Also sprach Zarathustra als Werk des Aufbruchs

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Also sprach Zarathustra als Werk des Aufbruchs
Vorlesung „Nietzsche und die Philosophie“: SoSe 2012 – PD Dr. Dirk Solies
www.dirk-solies.de
Programm und Textstellen der Sitzung vom 21. 6. und 28. 6. 2012
Begleitendes Thesenpapier – nur für Studierende gedacht!
 Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen
 Entstehung / Textgestalt
 Zarathustra und Zoroaster –
Nietzsches ästhetisches Kalkül
 Schlagworte und Missverständnisse im Zara
 Die Vorrede: Nietzsches Sendungsbewusstsein
 Kommentar zu einzelnen Reden Zarathustras
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected]
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Entstehung / Textgestalt
„Zarathustra‘s Vorrede
+ 22 Reden Zarathustra’s“
ersch. 1883, nicht als Teil 1 gekennzeichnet.
„Incipit tragoedia“ (Abschluss 1. Ausg. der FW)
werkhist. Anschluss an FW
„Zweiter Theil“
(22 Reden)
ersch. später 1883
„Dritter Theil“
(16 Reden)
ersch. 1884, Abschluss des Zara
„Vierter und letzter Theil“
nur als Privatdruck 1885 ersch.
„Ausgabe in drei Theilen“
1887
Zara Teil 1-4
1892 (besorgt durch P. Gast)
Ursprüngl. Konzeption von Zara endet mit Teil 3 (Tanzlied / Die sieben Siegel)
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Zara: Anlage / Adaption
Zarathustra (Z) in Anklang an altiranischen Religionsstifter Zoroaster (spätestens 6.
Jh. v. Chr.):
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in neoplaton. Phil. v. a. als Weisheitslehrer wahrgenommen
Begr. einer dualistischen Religion: gute Schöpfung – Mächte der Finsternis
„Projektionsfläche lit. Imaginationen“ (Stausberg, in: Niemeyer 2011)
Ns Absicht, „Geschichte im Ganzen Großen“ zu denken, „Reich von tausend
Jahren“ zu begründen (NF 1884; 25 [148])
vgl. Stausberg, M. (1998), Faszination Zarathustra. Zoroaster und die
Europäische Religionsgeschichte in der Frühen Neuzeit. Berlin / NY
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Ns Kalkül der Zarathustra-Adaption:
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Z als Maske für N selbst (Prediger, Anti-Jesus?!)
Zara als „Bibel der Zukunft“ (An Deussen, 26.11.1888)
Produktive (d.h. antinihilistische) Wendung der Erkenntnis vom „Tod Gottes“
Verabschiedung des Gestalt „freier Geist“ (FW, MA etc.):
o Aufbruch,
o Setzung neuer Werte
 Zara als Gegenentwurf zu
o Christentum, „Metaphysik“, Leibfeindlichkeit etc.
o Dualismen (Z widerruft eigene Lehre):
„Jenseits von Gut und Böse“ heißt immer auch jenseits moralischer, zu
Dualismen führender Qualifikationen (und Disqualifikationen!):
 ‚Wertfreiheit‘ nicht i. S. v. Neutralität, sondern i. S. einer Enthaltung
moralischer Präjudizierungen
 Moral als „Zeichensprache der Affekte“ und nicht als legitimer
Grund für moralisches Urteilen
 Gegen die „Guten und Gerechten“
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Zara: Rezeption und Selbstwahrnehmung
Zara als „Dichtung“ (an Schmeitzner, 13.2.1883):
 Wortspiele und –verschiebungen, Metaphern, Personifikation, Allegorien,
Parodie, Symbole, Rätsel (z. T. hermetisch), Träume, Masken.
 Heroische Stilisierung Zs (und Nietzsches): Untergangsmetaphorik,
Leidensthematik, prophetisches Bewusstsein
 Sprache: ungewohnt, rhapsodisch, neutestamentarisch / das NT parodierend /
Themen des NTs aufgreifend – stilbildend für Expressionismus
 N: M und FW könne als „Einleitung, Vorbereitung und Commentar“ zu Zara
gelesen werden (an Overbeck, 7.4.1884)
 N: Zara sei „unter die Musik“ zu rechnen – Ggs. zu vernichtender Kritik der
Zeitgenossen (Spitteler) – bis heute eher abfällige Urteile (Safranski, Bloch, Th.
Mann etc.)
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Polemisch-missverständliche Wortprägungen im Zara, z. B.:
 Löwe: „blonde Bestie“
 „Gelobt sei, was hart macht“
 „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt“
 „Du gehst zum Weib? Vergiss die Peitsche nicht!“
etc.
Herkunft zahlreicher „geflügelter Worte“, heute
wohlbekannt: Trivialitätsverdacht
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Vorrede
Programmatischer Kommentar: Zara und seine Leser / Zuhörer
1. Theil /
„Anti-Predigten“ Zaras: Anklang an Predigten Jesu,
Abschied vom „freien Geist“
„Schenkende Tugend“
parodierende Aufnahme und Thematisierung des NT
Thematik WzM
2. Theil
3. Theil
4. Theil
1
Auseinandersetzung mit eW,
Abschluss: „Ja-und-Amen-Lied“, „Liebeserklärung an die Ewigkeit“
Zara und seine „Jünger“
Das Nachtwandler-Lied (Thema der eW)
„Das Zeichen“: Zaras Überwindung seiner „letzten Sünde“
(Mitleiden mit dem höheren Menschen)
Brusotti, in: Ottmann 2000.
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Vorrede
1 „Segne den Becher…“ – Sich-Verausgaben, Schenkende Tugend als Gegenmodell
zur christl. Liebe
2 Eremit: „Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht.“ – Tod Gottes
3 „Ich lehre euch den Übermenschen.“ – Z predigt auf dem Markt
Überwindungsmotiv, darwinistische Anklänge
„bleibt der Erde treu“ – christl. ‚Metaphysiker‘ als „Verächter des Lebens“
4-6 Mensch: „Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch, – ein Seil über einem
Abgrunde.“
 Übergang – Untergang
 Gefahr eines solchen Überganges
 Riskiertheit des Menschen, insbesondere des „höheren Menschen“
5 „letzter Mensch“: ironische Charakterisierung gutmenschlicher Mittelmäßigkeit
6 Seiltänzermetapher – Possenreißer
9 „Nicht zum Volke rede Zarathustra, sondern zu Gefährten!“ – Schlange, Adler
„ – Also begann Zarathustra‘s Untergang“
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Kommentierte Reden Zs in Zara I und II:
Zara I:
 Von den drei Verwandlungen
 Von den Lehrstühlen der Tugenden
 Von den Hinterweltlern
 Von den Verächtern des Leibes
 […]
 Von der schenkenden Tugend
Zara II:
 Von den Tugendhaften
 Von den Taranteln
 Von der Erlösung
 Von der unbefleckten Erkenntnis
 Von den Gelehrten
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Von den drei Verwandlungen
Geist → Kamel
Geist → Löwe
Geist → Kind
Kamel: „tragsame[r] Geist, ausdauernd, sich erniedrigen lassen, ‚belastbar‘
Löwe: (aus der Wüste kommend): tötet Drachen „Du-sollst“. Löwe: „Ich-will“,
„heiliges Nein auch vor der Pflicht“ (gegen Kant), Freiheit
Kind: Schaffung neuer Werte
Aber: Nicht nur „Freiheit wovon“, sondern auch „Freiheit wozu“!
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Von den Lehrstühlen der Tugenden
Predigt des „Weisen“ im Stil der Bergpredigt: Persiflage auf christliche Tugenden
(Dekalog): Mittel zum Einschlafen, Beruhigung
„Sehr gefallen mir auch die Geistig-Armen: sie fördern den Schlaf. Selig sind die,
sonderlich, wenn man ihnen immer Recht giebt.“
Friede als Schlafvermögen (Anspielung auf Moliére: „vis dormitiva“)
„Selig sind diese Schläfrigen: denn sie sollen bald einnicken. – “: Nicht
Vernichtung von, sondern Selbstaufhebung dieser Moral durch sich selbst!
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Von den Hinterweltlern
Parodie auf „Metaphysiker“: nicht primär M. i. fachphilosophischen Sinne,
sondern realitätsflüchtige Jenseitsprojektionen
Pessimismus
Schopenhauer?! „Einst warf auch Zarathustra…“ – Selbstzeugnis Ns?!
Schaffung eines Gottes aus „Metaphysik“
Flucht zu „jener Welt“ (Anklang an „Jenseits“)
Bedeutung des Leibes
Genesung, Schaffung eines „höheren Leibes“
Charakterisierung der Hinterweltler: „Kranke und Absterbende“,
Glaube an Leib, aber in negativ-verachtender Weise – christl. Leibfeindlichkeit
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Von den Verächtern des Leibes
„dem eigenen Leib Lebewohl sagen“ – Aufforderung zur Konsequenz!
Seele: „Wort für ein Etwas am Leibe“
Leib: „grosse Vernunft“ (i. Ggs. zur kleinen Vernunft)
Vielheit mit Einem Sinne – biologisch gestützte, hoch spekulative Körperphil.
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Von der Nächstenliebe
Kritik an „Selbstlosen“:
„Das Du ist älter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch nicht das
Ich: so drängt sich der Mensch hin zum Nächsten.
Rathe ich euch zur Nächstenliebe? Lieber noch rathe ich euch zur NächstenFlucht und zur Fernsten-Liebe!
Höher als die Liebe zum Nächsten ist die Liebe zum Fernsten und Künftigen;
höher noch als die Liebe zu Menschen ist die Liebe zu Sachen und Gespenstern.“
 Nächstenliebe als Flucht vor dem eignen Selbst
 Selbstsucht als positiver Wert
 Der (höhere) Mensch als Schaffender
Vom Wege des Schaffenden
nicht „Freiheit wovon“, sondern „Freiheit wozu“!
Kritik an „grossen Gedanken“ – was sind große Gedanken?
Einsamkeit / Gefahr des Schaffenden
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Von der schenkenden Tugend
Letzte Rede von Zara I
„Jünger“ schenken Zara goldenen Stab:
Zs Rede von der „schenkenden Tugend“
„Wahrlich, zum Räuber an allen Werthen muss solche schenkende Liebe
werden; aber heil und heilig heisse ich diese Selbstsucht.“
Schenkende Tugend als Gegenteil des „Alles für mich“
„Und auf Entarthung rathen wir immer, wo die schenkende Tugend fehlt.“
Entartung als schlechte Selbstsucht:
décadence-Thematik: Krankheit, Verfall
Leib-werden von Erfahrungen
„Wahrlich, ich rathe euch: geht fort von mir und wehrt euch gegen Zarathustra!
Und besser noch: schämt euch seiner! Vielleicht betrog er euch.“
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Von den Tugendhaften
Kritik an an christl. „Tugenden“: Lohn und Strafe, auch
Absetzung von sokratischem T-Begriff (Vernunft = T = Glück, GD)
Ablehnung des „Lohn- und Zahlmeisters“:
„Ihr wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften!“
Tugend hier i. Ggs. zu Ns positivem Tugendbegriff („unsere Tugenden“):
„Tüchtigkeit (T im Renaissance-Stile, virtù, moralinfreie T) (AC 2)
Kritik an Tugend der „Selbstlosigkeit“ – i. Ggs. zu Zs ‚Seligpreisung‘ der „Drei
Bösen“: Wollust – Herrschsucht – Selbstsucht (Zara III)
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Von den Taranteln
Gerechtigkeit und Rache
Erlösung von der Rache
Motiv des Ressentiments
Kritik: „Prediger der Gleichheit“ – realpolitisch zu verstehen
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Von der unbefleckten Erkenntnis
Gelehrter – Mond
(echtes) Genie – Sonne
Von den Gelehrten
z. T. autobiografische Züge
G. als ‚bloße Zuschauer‘ – Kritik an ‚objektivem Beobachter‘ (vgl. UB)
„[…] gaffen Gedanken an, die Andre gedacht haben“
Unfruchtbarkeit des bloßen Gelehrten:
Im Verhältnisse zu einem Genie, das heisst zu einem Wesen, welches
entweder zeugt oder gebiert, beide Worte in ihrem höchsten Umfange
genommen —, hat der Gelehrte, der wissenschaftliche Durchschnittsmensch
immer etwas von der alten Jungfer: denn er versteht sich gleich dieser nicht auf
die zwei werthvollsten Verrichtungen des Menschen. In der That, man gesteht
ihnen Beiden, den Gelehrten und den alten Jungfern, gleichsam zur
Entschädigung die Achtbarkeit zu — man unterstreicht in diesen Fällen die
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Achtbarkeit — und hat noch an dem Zwange dieses Zugeständnisses den
gleichen Beisatz von Verdruss. (JGB § 206)
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Von der Erlösung
 Kritik am Geniebegriff
 Umschaffung des „Es war“:
 „So wollte ich es“
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