Die verstummten Zwillinge - Bar

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Die verstummten Zwillinge - Bar
Schweiz.
| Freitag, 17. August 2012 | Seite 6
Viel Getöse um
ein eigentlich
belangloses
Interview.Die
FCB-Spieler
David und Philipp
Degen gehen
gegen einen Journalisten vor. Foto Keystone
Die verstummten Zwillinge
Die Geschichte eines Gesprächs mit David und Philipp Degen, das es plötzlich nicht mehr gegeben haben soll
Von Emanuel Gisi
Die Degen-Zwillinge kommen ins Plaudern. Es ist ein Dienstagabend im Sommer, David und Philipp Degen haben
sich für 21 Uhr an der Bar des Zürcher
Restaurants «Schmuklerski» mit dem
Journalisten Christian Nill zum Interview verabredet. Die Fragen von Nill gefallen den Zwillingen. Das Gespräch sei
«hochwertig», attestiert David Degen
dem Journalisten im Verlauf des
Abends. Nill interviewt die beiden
29-jährigen Fussballer des FC Basel für
die Gesprächsreihe «Ein Drink an der
Bar mit…» auf dem Internetportal barstorys.ch. Regelmässig trifft er sich dafür mit Prominenten, SVP-Präsident
Toni Brunner, dessen sozialdemokratischen Antipoden Christian Levrat, den
Grünliberalen Martin Bäumle, auch den
Zukunftsforscher Matthias Horx und
die Seglerin Nathalie Brugger hat er für
die Serie schon interviewt.
Die Degen-Brüder erzählen über
eine Geschäftsidee. Neben der Fussballkarriere versuchen sie ein zweites
Standbein aufzubauen. Etwas umständlich beschreiben sie ihr Geschäftsmodell, eine Art Bonuspunkte-System für
Kunden hochklassiger Restaurants und
Bars. Dann geht es um die Rückkehr der
Zwillinge zum FC Basel, auch um Frauen und um Sex. Dabei fällt David Degen
seinem Bruder immer wieder ins Wort,
es entsteht beim Leser der Eindruck,
David dominiere Philipp.
Viel Lärm um nichts
Ein paar Tage später ist es vorbei mit
der Gesprächigkeit. Die Zwillinge wollen nichts mehr gesagt haben. Zumindest nicht in dem Interview mit Nill, das
der BaZ vorliegt. Am 2. August, einen
Tag nach der Veröffentlichung auf barstorys.ch, flattert Nill unangenehme
Post ins Haus: Der FC Basel, der Agent
der Degen-Zwillinge, deren Anwalt und
einer ihrer Geschäftspartner, sie alle
hätten ihn kontaktiert, so Nill. Mit der
Drohung: Wenn er das Interview nicht
sofort von seiner Homepage entferne,
habe er mit ernsthaften juristischen
Konsequenzen zu rechnen.
Aber warum nur? Das Gespräch entanzeige
hält keine spektakulären Aussagen, es
wird niemand beleidigt, zum Teil ist es
langfädig. «Es ist richtig, dass wir vor
mehreren Wochen das Gespräch nicht
autorisiert haben, weil sich die beiden
interviewten Spieler in relevanten Teilen nicht richtig zitiert wieder erkannt
haben und weil bei der Wiedergabe des
Gespräches mehrfach Philipp und David verwechselt wurden», sagt Josef
Zindel, der Mediensprecher des FC Basel. «Zudem wurde das Gespräch nicht
wie vereinbart als Interview wiedergegeben, sondern als Transkript.» Zindels
Aussage, sagt Nill, sei «Wortklauberei.
Ich habe David Degen vor dem Gespräch mehrere bereits erschienene Teile der Serie zukommen lassen. Sie sind
alle in ähnlichem Stil gehalten wie das
Degen-Gespräch.» Davon abgesehen
seien der Vorwurf der Verwechslung
der Zwillinge falsch.
Es fehlt ein Urteil
Jetzt hat Nill ein Problem. Die Chancen, dass er vor Gericht gegen die Degen-Brüder gewinnen würde, sind zwar
intakt. «Aufgrund der mir bekannten
Inhalte des Interviews glaube ich nicht,
dass Herr Nill Angst haben muss», sagt
Matthias Schwaibold, der an der Uni St.
Gallen Medienrecht lehrt. Aber Nill
wird sich einen Prozess kaum leisten
können. Der ehemalige Redaktor von
Schweizer Fernsehen und Ringier-TV
hat sich 2009 mit seiner Agentur selbstständig gemacht. Insider schätzen, dass
er im Fall eines Prozesses gegen
20 000 Franken aufwenden müsste.
Und auch im Fall eines erfolgreichen
Prozesses sei die Chance gross, dass der
Journalist danach mit Schulden dastehe.
Dabei wartet die Medienbranche
darauf, dass jemand den Gang vor Gericht antritt. Es gibt bisher kein Gerichtsurteil zu einem derartigen Fall.
Die Degen-Zwillinge berufen sich auf
das «Recht am Wort». In Juristenkreisen
hält man dies für wenig aussichtsreich.
«Das ‹Recht am Wort» bedeutet nicht,
dass ich ein Interview jederzeit zurückziehen kann, wenn ich mit dem Ergebnis unzufrieden bin», sagt Michael
Schweizer, der als Medienjurist im
Rechtsdienst der Generaldirektion der
SRG arbeitet. Er hat im Juni eine Dissertation zu diesem Thema veröffentlicht.
Nach Schweizers Ansicht will das in
Streitfragen um die Veröffentlichung
von Interviews vielzitierte «Recht am
Wort» nach Art. 28 ZGB etwas anderes
gewährleisten: «Es geht darum, dass ich
frei entscheiden kann, ob ich rede und
was ich sage, ob ich also ein Interview
geben, eine Frage beantworten will
oder nicht», sagt er. «Man kann mich
nicht dazu zwingen, mit einem Journalisten zu sprechen. Habe ich aber frei
eingewilligt, ein Interview zu geben,
kann ich das Gesagte nicht jederzeit
nach Belieben zurückziehen.»
«Das sogenannte ‹Recht am eigenen
Wort› ist nicht absolut. Wer als Prominenter in ein Interview einwilligt, hat
eigentlich schon darauf verzichtet»,
sagt auch Schwaibold, der als Medienjurist und Anwalt für den Ringier-Verlag
arbeitet. Die Voraussetzung dafür ist,
dass der Interviewer das geführte Gespräch korrekt abbildet. Der Autorisierungsprozess, das sogenannte Gegenlesen, ist ein Instrument zur Vermeidung
von Fehlern und Ungenauigkeiten, zum
Ausräumen von Missverständnissen,
bevor ein Text veröffentlicht wird. Die
Idee ist nicht, dass ganze Passagen umgeschrieben oder gestrichen werden –
obwohl dies in der journalistischen Praxis allein im deutschsprachigen Raum
täglich wohl hundertfach passiert.
Presserat auf Seite der Degens
Beim Schweizer Presserat relativiert
man derweil. «Wir beurteilen den Einzelfall», sagt Presserat-Sekretär Martin
Künzi, auch er ein Jurist. Grundsätzlich
gelte aber, dass ein Interview von den
Interviewten abgesegnet werden muss.
«Üblicherweise müssen sich beide Parteien auf eine Version einigen können»,
sagt Künzi. «Gelingt das nicht, kann ein
Interview auch zurückgezogen werden.» Der deutsche Presserat ist diesbezüglich liberaler: «Ein Wortlautinterview ist auf jeden Fall journalistisch
korrekt, wenn es das Gesagte wiedergibt», schreibt er im Pressekodex. Im
Fall des Gesprächs von Nill mit den Degen-Zwillingen ist für den Schweizer
Künzi von Bedeutung, «was im Vorfeld
abgemacht wurde.»
Dazu sagt Christian Nill: «Die Autorisierung wurde vor dem Gespräch
nicht explizit diskutiert.» Die Fragen,
die sich ein Interviewpartner laut SRG-Jurist Schweizer stellen muss, sind
einfache: «Wurde das Interview vereinbarungsgemäss durchgeführt? Wurde
das Gesagte inhaltlich korrekt übernommen und die Autorisierung wie abgemacht vollzogen?» Wenn die beiden
Fragen mit Ja beantwortet werden können, sagt Schweizer, dann gäbe es keinen Grund, ein Interview zurückzuziehen. «Ausnahmen sind nicht ausgeschlossen, aber besonders zu begründen. Etwa wenn das Interview höchst
Intimes preisgibt oder Rechte Dritter
verletzt.» Das Interview der DegenZwillinge dürfte sich in seiner bereits
beschriebenen Belanglosigkeit dafür jedoch kaum qualifizieren.
Faule Journalisten
Nach dem Verständnis von Schweizer und Schwaibold gilt für die Gebrüder Degen im Interview mit einer Zeitung dasselbe, wie in einem Live-TV-Interview nach einem Fussballspiel oder
wei für Politiker in einer Diskussionssendung: «Die Rechtslage ändert sich
nicht einfach dadurch, dass zwischen
dem Interviewgespräch und der Publikation in der Zeitung mehr Zeit liegt»,
sagt Schweizer, «sie bemisst sich vielmehr danach, was die Interviewpartner
aufgrund der Vereinbarung oder der
konkreten Vorgeschichte erwarten
durften und was nicht.»
Ob die Degen-Zwillinge und der FC
Basel in diesem Fall überreagiert haben,
oder ob Christian Nill unsauber gearbeitet hat – die Frage lässt sich an dieser
Stelle nicht klären. Dass sich Interviewpartner und ihre Berater erlauben, nach
einem sauber geführten Gespräch mehr
als nur kosmetische Retuschen an einem Interview vorzunehmen, ist weit
verbreitet. Und die Journalisten sind
daran mitschuldig. So wie es jetzt läuft,
ist es bequem für die Fragesteller. «Die
jetzige Praxis, das Gesagte komplett
umzuschreiben, befördert nicht nur das
Weichspülen von Aussagen», hat der
«Geo»-Redaktor Ariel Hauptmeier Anfang Jahr dem «Medium Magazin» gesagt, «sondern auch die Faulheit des Interviewers – er kann ja irgendwie fragen, Kraut und Rüben, weil er weiss, am
Ende macht er es dann noch mal schön.»
So wehren sich viele Journalisten gegen
übertriebene Einflussnahme kaum. Sei
es, weil sie besseres zu tun haben, aus
Gleichgültigkeit, aus Faulheit – immer
häufiger haben PR-Stellen und Kommunikationsberater leichtes Spiel, ihre Interessen im Nachhinein durchzudrücken. Und wenn sie es nicht schaffen, drohen sie mit dem Rückzug sämtlicher Aussagen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der BaZ in den
letzten Jahren von seiten des FC Basel
kein Interview zurückgezogen worden
ist. Das ist auch Josef Zindel wichtig:
«Es ist erst zum zweiten Mal in den letzten zwölf Jahren, dass wir vom FCB eines von Hunderten Interviews nicht autorisieren konnten», sagt er über den
Fall Nill, «was sicher für unsere grösste
Sorgfalt im Umgang mit der journalistischen Freiheit steht, die wir in diesem
Fall aber dem Persönlichkeitsschutz unterordnen mussten.»
Gibt Nill nach?
Der Anwalt der Degen-Brüder hat
am Dienstag verlangt, dass alle Spuren
des ominösen Bar-Interviews verwischt
werden. Auch Christian Nills Kommentar, den der Journalist online gestellt
hatte, nachdem er das ursprünglich beanstandete Interview vom Internet genommen hatte und ein Dokument, das
nur die Fragen an David und Philipp Degen enthielt.
Ob Nill der Aufforderung des Degen-Anwalts nachkommt, ist heute
noch offen. Er bespreche sich nächste
Woche mit seinem Anwalt, sagt Nill.
«Dann legen wir die weitere Strategie
fest.» Stefan Gnädinger, Nills Anwalt,
weilt derzeit in den Ferien. Am Telefon
gibt er der BaZ Auskunft. Zitieren lassen
will er sich ironischerweise nicht.