stadtKarte des lärms - chilli:freiburg:stadtmagazin

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stadtKarte des lärms - chilli:freiburg:stadtmagazin
Titel auf die ohren
„Zwangsbeschallung“
in Cafés & Geschäften
Stadtkarte des Lärms
Platzrunde für den Anund Abflug vom Flugplatz
Feiern am
Augustinerplatz
Belastungsachse
Schienenverkehr
Belastungsachse
Straßenverkehr
Hochdorf
Beschwerden über
Freizeitlärm, die beim Verein
FILZ eingegangen sind
Übende Rockgruppen
am Alten Güterbahnhof
Brühl
FreiluftKonzerte
Lehen
Beachvolleyballplatz
Zähringen
Herumlungernde
am Runzmattenweg
Landwasser
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Mooswald
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Betzenhausen
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Stühlinger
Weingarten
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Rieselfeld
SC
Stadion
Nächtliches Radfahren
am Dreisamuferweg
Waldsee
Vauban
Unterwiehre
St. Georgen
8 CHILLI Juli/August 2014
Schauinslandstr.
Andreas-Hofer-Straße
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B31
Haslach
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Schwarzwaldstraße
Wiehre
Feiern am
Dreisamufer
Feiern der
Studentenverbindungen
Übungskeller von
Rockgruppen
Flaschensammler
Feiern auf der
Sternwaldwiese
Betrunkene
Diskobesucher
Titel Lärm in Städten
Tuut! Bumm! Klirr!
Fluglärm, Kirchengeläut, Barmusik:
Hier kracht’s in Freiburg
von Tanja Bruckert
K
Grafik: @ chilli / Quellen: FILZ, City-Flugplatz-Freiburg, Garten- und Tiefbauamt Freiburg
ommunaler Ordnungsdienst, Verlängerung oder
Verkürzung der Sperrzeiten, nächtlicher Güterzugverkehr – die Freiburger diskutieren zwar seit Jahren
hitzig, mit welchen Mitteln man dem Partylärm begegnen
kann. Doch ist der die Wurzel aller Ohrenschmerzen oder
nur die Spitze der Lärmbelästigung? Schmoren die Innenstadtbewohner im akustischen Gomorrha, während die anderen Stadtteile im Paradies der Stille schwelgen? Wir waren
mit einer Lärmmessungs-App unterwegs, um zu schauen, an
welchen Stellen in Freiburg so richtig gelärmt wird.
Lärm gilt heutzutage als Umweltproblem Nummer Eins. Laut
einer Umfrage des Umweltbundesamts aus 2012 fühlt sich jeder Zweite in seinem Wohnumfeld von Lärm belästigt. Schuld
daran ist vor allem die steigende Zahl der Fahr- und Flugzeuge.
Doch es gibt noch eine ganz andere Art von Lärm, der vielen zu
schaffen macht: der Freizeitlärm.
So wird der Diskobesucher mit bis zu 110 Dezibel beschallt,
in Rockkonzerten werden Pegel um 120 Dezibel erreicht, und
selbst bei klassischen Konzerten kann die Lautstärke bis zu 114
Dezibel betragen. Zum Vergleich: Eine Kreissäge schafft rund
100 Dezibel, ein startendes Flugzeug zwischen 110 und 140.
Zum Diskobesuch wird niemand gezwungen. Doch was,
wenn man dem Lärm einer Gaststätte, Straße oder Kita, eines
Public Viewings oder Sportplatzes nicht entgehen kann, weil er
bis ins heimische Schlafzimmer dringt? Klaus Miehling, Leiter
der Freiburger Initiative gegen Lärm und Zwangsbeschallung
(FILZ), sieht genau darin ein großes Problem in Freiburg. Er
selbst habe mehrmals umziehen müssen, weil er unter Lärm
gelitten habe, und lange gebraucht, um eine ruhige Wohnung
zu finden: „Wenn man in seiner eigenen Wohnung nicht
schlafen kann, ist das ungeheuerlich.“
Die Schuld daran gibt er der Gesellschaft und dem Gesetzgeber. „Die Rücksichtnahme nimmt ab, die Grenzwerte sind
zu hoch, und statt sie zu verschärfen, beseitigt man sie noch
zeitweise“, moniert Miehling im Hinblick auf die Ausnahmeregelungen, die etwa fürs Public Viewing gelten. „Was den
Verkehrslärm betrifft, ist Freiburg vorn, doch beim Freizeitlärm ist die Stadt untätig.“
Fußballjubel, Konzerte, spielende Kinder, Hocks und Weinfeste, aus Kneipen schallende Musik, Grillfeste: des einen Freud ist
des anderen Leid. Denn obwohl es Grenzwerte und Richtlinien
gibt: Lärm ist etwas Subjektives, das jeder anders wahrnimmt.
Der eine freut sich übers Kinderlachen vom nahen Spielplatz, der andere verzweifelt dran. Kinderkreischen kann
es übrigens auf stolze 91 Dezibel bringen – gemessen vom
nächstgelegenen Wohnhaus zur Paul-Hindemith-Schule im
Mooswald. Während der eine das Rattern der Güterbahn
ausblendet, kann der andere bei offenem Fenster nicht arbeiten – der lauteste Zug zieht während des Schreibens
dieses Artikels mit 88 Dezibel an der Redaktion auf dem
Güterbahnhof vorbei.
Und während der eine wegen der Nachbarkirche vor Gericht
zieht, schafft der andere seinen Wecker ab. Im Rappen am
Freiburger Münsterplatz dröhnt es oben aus dem schönsten Turm der Christenheit mit 89 Dezibel ans offene Hotelzimmer. Ab 85 Dezibel, so der Deutsche Berufsverband der
Hals-Nasen-Ohrenärzte, können bereits kurze Einwirkungen
zu dauerhaften Gehörschäden führen.
Fluglärm in Wiehre,
Zähringen und stadtmitte
An einem Sonntag auf dem Balkon entspannen, ist für Marianne Förderer unmöglich. Bei gutem Wetter flögen von 10
Uhr morgens bis 20 Uhr abends Sportflieger über ihr Haus
in der Rehlingstraße – im Dreiminutentakt. Auch sie misst
fürs chilli: zwischen 73 und 89 Dezibel. Telefonieren sei unmöglich, Gespräche auf dem Balkon auch.
Dabei liegt ihre Wohnung nicht einmal direkt in der Einflugschneise: Die Piloten sind dazu angehalten, vom Zubringer über die Bahngleise Richtung Flugplatz zu fliegen.
„Wenn die Flieger diese Platzrunde einhalten, höre ich sie
zwar auch“, erzählt die 45-Jährige, „das ist aber in Ordnung.
Das Problem sind die vielen Flieger, die stattdessen direkt
über das Wohngebiet fliegen.“
Förderer ist nicht die einzige Freiburgerin, die sich vom
Fluglärm belästigt fühlt: Die Freiburger Schutzgemeinschaft gegen Lärm erreichen rund 50 Beschwerden im Jahr,
überwiegend aus der Wiehre, Zähringen und der Stadtmitte. Der Verein leitet die Beschwerden, die sich überwiegend
gegen den Sport- und Schulflugbetrieb wenden, an das Regierungspräsidium weiter. Geändert hat das bisher nichts.
laute Feierei: Das Ende der Bar Erika?
Der am meisten umlärmte Streitpunkt in der Debatte ist
das Freiburger Nachtleben. Ein aktueller Fall: Die Bar Erika
in der Kartäuserstraße. „Anwohner kämpfen gegen die Bar
Erika“ titelte die BZ im vergangenen Oktober. Einer ist Tobias Kurzeder: „Die Bar Erika ist von Amts wegen geschlossen
worden. Ich gehe davon aus, dass der Betreiber das Maß des
von der Stadtverwaltung tolerierbaren Ignorierens von Auflagen überschritten hat.“
Juli/August 2014 CHILLI 9
Titel Lärm in Städten
Lärmquelle Biergarten: Kein Vergleich gegen die Höllentalbahn. Damit konfrontiert, fällt Katharina Möckel, die die Bar zusammen mit Klaus
Henning gepachtet hat, aus allen Wolken: Von Schließen sei keine Rede, die Bar
habe lediglich Betriebsferien. Doch der
Anwohner scheint den richtigen Riecher
zu haben: Nach Angaben der städtischen Pressestelle hat das Ordnungsamt den Betreiber aufgefordert, die Bar
zu schließen. Der habe dagegen einstweiligen Rechtsschutz vor Gericht beantragt, was ihm aber am 7. Juli versagt
worden ist. Für Henning kein Grund, das
Geschirrtuch zu schmeißen. Er will in
die nächste Instanz gehen:„Wir sind ein
gut laufender Betrieb und werden nicht
schließen.“
Doch obwohl sich die Pächter kämpferisch geben, merkt man ihnen an, dass
sie der Streit mitnimmt. „Ich bin nervlich
fix und alle“, sagt Möckel resigniert, „wir
wollen mit den Anwohnern und nicht
gegen sie.“
Ratternde Züge, hupende
Autos, quietschende
Bremsen: Freiburgs Lärmaktionsplan
Auf den ersten Blick wirkt das Einfamilienhaus in Zähringen wie eine
Traum-Immobilie: Wohnzimmer mit
Parkett und Schwedenofen, heller Wintergarten, gepflegter Garten mit großer
Terrasse. Dennoch tut sich Immobilienmaklerin Lydia Beyer schwer, das Haus
an den Käufer zu bringen. Grund: Die
Lage direkt an der Bahnlinie. Bei rund 80
Anfragen sei es nur zu zehn Besichtigun10 CHILLI Juli/August 2014
Foto: @ privat
gen gekommen, die anderen Interessenten habe bereits vorm Haus der Lärm abgeschreckt. In einer anderen Lage wären
statt der veranschlagten 595.000 Euro
locker 660.000 Euro drin.
„Die lauteste Lärmquelle ist in der Regel der Verkehrslärm“, weiß der Schallschutzgutachter Wolfgang Rink aus Reute. Die Zahl der Menschen, die in Freiburg
durch den Straßen- und Schienenverkehr
belastet ist, wird im Lärmaktionsplan
des Garten- und Tiefbauamts (GuT) auf
12.900 am Tag und 13.800 in der Nacht
taxiert. Aus Rinks Sicht ist die Stadt Freiburg beim Umgang mit Lärm in einer
Vorreiterrolle: „Nicht alle Kommunen
nehmen das Thema so ernst.“
Die unbekannte Lärmquelle: Pfandflaschensammler
Doch die Umsetzung von Lärmschutzmaßnahmen ist nicht immer einfach,
weiß Georg Herffs, Abteilungsleiter Verkehrsplanung des GuT: „Uns sind vom
Gesetzgeber enge Grenzen gesetzt.“ Beispiel: Zone 30. Innerstädtisch gelte eine
Höchstgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern. „Wenn eine Kommune
diese niedriger ansetzen will, dann ist
das eine Ausnahme, die begründet werden muss“, so der Verkehrsplaner.
Monika Ross wohnt gegenüber des
Adelhauser Klosters im vierten Stock.
Eine ruhige Lage – eigentlich. Dennoch
wacht die 45-Jährige bis zu „zehnmal
in der Nacht“ auf, kann ausgerechnet
in heißen Sommernächten nur bei ge-
schlossenem Fenster und mit Oropax
schlafen. Denn durch die Adelhauserstraße ziehen regelmäßig Pfandsammler, die in ihren Wagen auf dem Pflaster
Glasflaschen transportieren. Bei schönem Wetter scheppere es durchaus mal
bis fünf Uhr morgens.
Ross schickte eine Beschwerde ans
Ordnungsamt. Das geht von einem Verstoß gegen das Gebot der Nachtruhe
aus und rät, eine Anzeige bei der Polizei oder Bußgeldbehörde zu erstatten.
Allerdings nur gegen eine „namentlich bekannte Person“. Ross, die seit 21
Jahren in dem Haus wohnt: „Soll ich
nachts auf der Straße warten und den
Pfandsammler zwingen, mir seinen Namen zu nennen?“
Wem es in der Stadt zu laut ist, soll eben
aufs Land ziehen, ist das oft angeführte
Totschlagargument. Doch auch hier ist
es – wie überall, wo Menschen wohnen
– nicht mucksmäuschenstill. Der Rasenmäher des Nachbarn – aus dem ersten
Stock belauscht – schlägt mit 58 Dezibel
zu Ohren, der Laubsauger schafft es sogar auf 72 Dezibel.
Die mit Abstand lauteste Lärmmessung
des chilli war übrigens auf einem Balkon
im Haus Sternwaldstraße 49. Wenn dort
die Höllentalbahn zum Wiehrebahnhof
vorbeizieht, schlägt der Zeiger auf 103
Dezibel aus.
Lärm
So laut sind …
> 35 Dezibel: Flüstern
p
Lärmgrenze für Geräusche
in reinen Wohngebieten (nachts)
> 50 Dezibel:
normales Gespräch
Lärmgrenze für Geräusche p
in reinen Wohngebieten
(tagsüber)
> 60 Dezibel: Gruppengespräch
p
Stressgrenze
> 80 Dezibel: Staubsauger
> 100 Dezibel: Kreissäge
> 120 Dezibel: Flugzeug
> 130 Dezibel: Düsenjäger
Schmerzschwelle
p