47. Feuertaufe, Lästermaul und Perlen vor die Säue – Luthers
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47. Feuertaufe, Lästermaul und Perlen vor die Säue – Luthers
Das Gestirn der Borgias begann indessen zu sinken. Am 18. August 1503 starb Papst Alexander VI. Sein Nachfolger Julius II. galt als vehementer Gegner der Familie. Cesare Borgia verlor 1504 eine Schlacht gegen die Spanier in Süditalien und wanderte für zwei Jahre ins Gefängnis. Anfang 1507 fiel er im Kampf. Lucrezia gebar nach siebenjähriger Ehe endlich den ersehnten Stammhalter, den späteren Herzog Ercole II. Ihr Verhältnis zu Männern blieb weiter tragisch. Als der Florentiner Humanist Ercole Strozzi Lucrezia 1508 ein freizügiges Gedicht widmete, wurde er wenig später ermordet aufgefunden. Wieder kursierten wilde Gerüchte über den verderblichen Einfluss der Dame Borgia. 1513 nahm sie der neue Papst Leo X. unter seinen persönlichen Schutz, quasi eine Ehrenerklärung. Auch Ehemann Alfonso d’Este stellte sich hinter sie. Doch ihr schlechter Ruf blieb haften, obwohl sie die nächsten zehn Jahre ohne jeden Skandal verbrachte. Am 24. Juni 1519 stirbt sie 39-jährig nach der Geburt ihres neunten Kindes. Erst der italienischen Geschichtsforscherin Maria Bellonci gelingt es 1939, die wahre Persönlichkeit der Lucrezia Borgia herauszuarbeiten – eine Frau, die weniger von Leidenschaft als von Schwermut geprägt war. 47. Feuertaufe, Lästermaul und Perlen vor die Säue – Luthers Bibelübersetzung An einem Adventssonntag des Jahres 1521 griff Martin Luther zur Feder. Ihn plagten nach eigenen Worten Langeweile und Darmträgheit. Also widmete er sich „einer Last, die über meine Kräfte ist“ – der Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche. Der Junker Jörg alias Martin Luther erinnerte kaum noch an den hageren Mönch, der im Mai 1521 auf die Wartburg kam. Statt Kutte und Tonsur trug der stattliche Ritter Vollbart, vornehme Gewänder und ein Schwert an der Seite. Ein „wunderlicher Gefangener“ sei er, schrieb Luther und das sah wohl nicht nur er allein so. Auf dem Reichstag zu Worms im April 1521 hatte Luther vor Kaiser und Prälaten sein mutiges Glaubensbekenntnis abgelegt. Der Theolo121 gieprofessor aus Wittenberg an der Elbe schien danach seines Lebens nicht mehr sicher. Schon vom kirchlichen Bannfluch ereilt, drohte nun auch noch die weltliche Ächtung. Sein Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, hielt es für angebracht, den aufsässigen Mönch zu seinem eigenen Schutz für einige Zeit aus der Schusslinie zu nehmen. Als Luther von Worms kommend sächsisches Territorium erreichte, wurde er in der Nacht vom 4. zum 5. Mai 1521 im Thüringer Wald von einer Rotte Bewaffneter ergriffen und auf die Wartburg bei Eisenach gebracht. Während bei den Anhängern der Reformation Entsetzen über diese Entführung herrschte, war Luther eingeweiht. An seinen Wittenberger Freund, den Maler Lucas Cranach, schrieb er, man werde ihn demnächst „eintun“ und: „Es muss eine kleine Zeit geschwiegen und gelitten sein.“ Auf der Wartburg, die damals – ganz anders als heute – ein recht verfallenes Gemäuer war, musste Luther keineswegs schweigen und auch nicht leiden, denn der Burghauptmann Hans von Berlepsch versuchte, seinem 38-jährigen Zwangsgast mit dem Decknamen „Junker Jörg“ das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Er weihte Luther in ritterliche Lebensweise samt Reiten, Fechten und Jagen ein. Die Kost war so reichlich bemessen, dass der bis dato asketische Mönch kräftig zunahm. Von seiner Studierstube im Obergeschoss des Vogteigebäudes führte Luther eine rege Korrespondenz, ohne freilich seinen Aufenthaltsort preiszugeben. Er verfasste Traktate über die Beichte, das Mönchswesen und die heilige Messe. Ende 1521, vieles deutet auf den 21. Dezember hin, verwirklichte er dann einen Plan, dessen Schwierigkeiten ihm wohl bewusst waren: die Übersetzung der Bibel, genauer des Neuen Testaments, ins Deutsche. Eigentlich war das nichts Neues. Seit mehr als einem Jahrhundert kursierten im Land etwa 15 deutsche Übersetzungen. Diese wurden aber vor allem als Argumentationshilfe für Geistliche gefertigt, lasen sich in ihrer gestelzten Sprache fast unverständlich und beruhten allesamt auf der „Vulgata“, einer 1 000 Jahre alten, oft ungenauen lateinischen Bibelübersetzung aus der griechischen Urfassung. Eben diesen Originaltext legte Luther seiner Übersetzung zugrunde. Das ermöglichte es ihm, sich mit aller Sprachgewalt so lebensnah, volkstümlich und bildhaft wie möglich auszudrücken. Er kleidete seine Gedanken in eigenwillige Ausdrücke, schuf poetische Bilder und erfand (manchmal nach tagelangem 122 Grübeln) neue Wortspiele. So übersetzte er im Matthäus-Evangelium proskairos (unstet, vergänglich) mit „wetterwendisch“. Luther auf der Wartburg Sein Deutsch wirkte stil- und sprachbildend für Jahrhunderte. Martin Luther ersann Ausdrücke wie Feuertaufe, Bluthund, Selbstverleugnung, Machtwort, Schandfleck, Lückenbüßer, Gewissensbisse, Lästermaul und Lockvogel. Metaphern wie „Perlen vor die Säue werfen“, „ein Buch mit sieben Siegeln“, „die Zähne zusammenbeißen“, etwas „ausposaunen“, gehen ebenso auf ihn zurück wie „im Dunkeln tappen“, „ein Herz und eine Seele“, „auf Sand bauen“ oder ein „Wolf im Schafspelz“ und „der große Unbekannte“. Heute ist kaum nachzuvollziehen, wie Luther dieses riesige, mehr als 220 Seiten umfassende Werk binnen nur elf Wochen in solcher Perfektion vollenden konnte. Dabei litt er nach eigenem Bekunden häufig unter Visionen. „Tausend Teufeln bin ich ausgesetzt“, schrieb er. Dass er den Satan durch einen Wurf per Tintenfass verjagt habe, ist eine nette Legende, die wohl auf seine Bemerkung: „Ich habe den Teufel mit Tinte bekämpft“ zurückgeht. Luthers linguistisches Anliegen formulierte er so: „Man muss die Mutter im Haus, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und danach dolmetschen; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“ 123 Durch seine sinnhafte und dichterische Qualität hat Luther die deutsche Schriftsprache wesentlich geprägt. Als er Anfang März 1522 nach zehn Monaten die Wartburg verließ, führte er das Manuskript bei sich. Nach weiterer Bearbeitung erschien es am 21. September 1522 in Wittenberg mit der für damalige Verhältnisse sehr großen Auflage von 3 000 Exemplaren. Diese „Septemberbibel“ war so rasch ausverkauft, dass ihr drei Monate später die nächste Auflage folgte. Bald wurde sie auf den Kanzeln zitiert, im Schulunterricht verwendet, als Volksbuch geschätzt. „Für meine Deutschen bin ich geboren, ihnen möchte ich auch dienen“, bekannte Luther. Tatsächlich vermittelte er mit seinen Schriften den Deutschen das einigende Band einer gemeinsamen Sprache von der Ostsee bis zu den Alpen. 48. Ein Mann, ein Lauf – Gustav Wasa Der Wasalauf gehört zu den traditionsreichsten Wintersportveranstal tungen. Alljährlich begeben sich Hunderte Skiläufer auf die 90 Kilometer lange Strecke in Mittelschweden. Dieser populäre sportliche Wettstreit besitzt einen Hintergrund, der tief in die Geschichte Schwedens reicht und mit dem Freiheitskampf des Landes verbunden ist. Ganz Skandinavien stand Anfang des 16. Jahrhunderts unter dänischer Herrschaft. In Schweden amtierte ein Reichsverweser, der auch für die Steuereintreibung zuständig war. Nachdem Christian II. 1513 in Kopenhagen den Thron bestiegen hatte, verschlechterten sich die Verhältnisse. Der König erhöhte den Steuerdruck dermaßen, dass es zu einem Aufstand der Schweden kam. 1518 wurden sie besiegt und Christian nahm danach mehrere prominente Geiseln, darunter auch den jungen Gustav Eriksson Wasa, Sohn eines führenden schwedischen Politikers. Die Dänen setzten Gustav in Nordjütland auf Schloss Kalö gefangen, doch 1519 gelang es ihm, als Bauer verkleidet über Flensburg nach Lübeck zu entkommen. Die dortigen Ratsherren, ständig in Fehde mit Dänemark liegend, gaben ihm finanzielle Hilfe und so konnte Gustav Wasa im Mai 1520 wieder nach Schweden zurückkehren. Inzwischen war auf ihn ein Kopfgeld ausgesetzt worden und im ganzen Land machten Häscher Jagd auf den Flüchtling. 124