Jugend und Werbesprache

Transcription

Jugend und Werbesprache
Fachhochschule Stuttgart
Hochschule der Medien
Diplomarbeit im Studiengang
Werbewirtschaft-Werbetechnik
Abgabetermin: 11.12.2001
Jugend und
Werbesprache
Erforschung des werbesprachlichen Beitrags zur
sozialen Differenzierung in der Jugendkultur
Vorgelegt von
Robert von Keller
Referenten:
Prof. Dr. Petra Grimm
Prof. Dr. Franco P. Rota
Eidesstattliche Erklärung
Ich versichere hiermit schriftlich, daß ich die vorliegende Arbeit selbständig
und ohne unerlaubte Hilfe Dritter verfaßt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die inhaltlich
oder wörtlich aus Veröffentlichungen stammen, sind kenntlich gemacht. Die
Arbeit lag in gleicher oder ähnlicher Weise noch keiner Prüfungsbehörde vor
und wurde bisher noch nicht veröffentlicht.
München, den 5.12.2001
Robert von Keller
Robert von Keller
Jugend und Werbesprache
Erforschung des werbesprachlichen Beitrags zur
sozialen Differenzierung in der Jugendkultur
»Fühlst du dich alt?
Die Kinder, die in diesem Jahr ihr Abi machen, wurden 1983 geboren. Die
meisten davon kennen nur einen Papst. Für sie gibt es außerdem keinen Kanzler vor Kohl. Bei »The day after« denken die meisten an Kopfschmerzen, nicht
an einen Film. Cola gab es immer nur in den unkaputtbaren Plastikflaschen.
Der Verschluss war immer aus Kunststoff und nie aus Metall. Cola in Glasflaschen? Und dann nur ein Liter? Atari ist für die meisten genauso weit weg
wie Vinyl-Schallplatten. Sie haben nie einen Plattenspieler besessen. Sie haben
nie das echte Pac Man gespielt. Ganz zu schweigen von Zaxxon. Twix hat nie
Raider geheißen und war auch nie »der Pausensnack«. Und was zum Teufel
sind Treets?
Die Compact Disc wurde vor ihrer Geburt erfunden. Ein Cornetto hat immer mehr als 2 Mark gekostet. Sie haben nie einen Fernseher mit nur drei Programmen gesehen. Ganz zu schweigen von einem Schwarz-Weiß-Fernseher.
Sie hatten immer Kabel- und Satelliten-Fernsehen. Was ist eigentlich Beta? Der
Walk-man wurde vor ihrer Geburt erfunden. Mit Roller-Skates verbinden die
meisten Inline-Skates. Disco-Roller??? Wetten dass... war immer mit Thomas
Gottschalk. Pommes kommen seit jeher aus dem Backofen. Sie kennen Rummenigge und Breitner nur als Kommentatoren.
Sie haben beim Schwimmen noch nie über den Weißen Hai nachgedacht. Ihnen ist es egal, wer J.R. erschossen hat und haben keine Ahnung, wer J.R. überhaupt ist. Michael Jackson war immer schon weiß. Sie haben noch nie einen Big
Mac in einer Styropor-Verpackung gesehen. Sie wissen nicht, daß Puma-Schuhe
mal der letzte Schrei waren und das Top-Modell von Adidas weniger als 100
Mark gekostet hat. Sie haben noch nie ein Snickers mit roter Verpackung gesehen.
Sie wissen nicht, daß man Daten auch auf Kassetten speichern kann. Sie haben
noch nie eine Diskette gelocht, geschweige denn umgedreht. Sie wissen nicht,
warum Niki Lauda immer eine Kappe trägt. Wie alt fühlst du Dich jetzt?«
Dahlial
ÜBERSICHT
Übersicht
A.
Einführung
1. Danksagung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
2. Die Ausgangssituation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
3. Disposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
B.
Grundlagen und Begriffsklärungen
1. Soziologische Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2. Kommunikationstheoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
C.
Theoretische Konzeptionen
1. Soziosprachliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2. Sprachliche Differenzierungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
3. Jugend und ihre Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4. Werbesprache als Sprachstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
5. Soziale Gruppen und Mediennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
D.
Exkurs: Analysemethoden
1. Semantische Sprachanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
2. Grammatische Sprachanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
E.
Ergebnisse und Verknüpfungen
1. Ergebnis der theoretischen Konzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
2. Forschungsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
3. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
F.
Quellenverzeichnis
1. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I
2. Studien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII
3. Internet-Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
INHALT
Inhalt
A.
Einführung
1. Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
2. Die Ausgangssituation
2.1
Sprache als soziales Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
2.2
Aufeinanderwirken von Sprache, Medien und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
3. Disposition
B.
3.1
Ziel der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
3.2
Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
3.3
Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Grundlagen und Begriffsklärungen
1. Soziologische Konzepte
1.1 Der Gesellschaftsbegriff
1.1.1 Notwendigkeit eines Gesellschaftsbegriffs für die vorliegende Arbeit. . . . . . . . . . . . . . 9
1.1.2 Gesellschaft – allgemeine Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.1.3 Gesellschaft als Kommunikation im Kontext der Systemtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2 Soziale Gruppen
1.2.1 Abgrenzung der Begriffe »Gesellschaft« und »Gruppen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.2.2 Unterscheidungskriterien für Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.2.3 InGroup und OutGroup . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2. Kommunikationstheoretische Grundlagen
2.1 Zeichen als Bedingung sozialer Kommunikation
2.1.1 Definition menschlicher Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.1.2 Eigenschaften von Zeichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
INHALT
2.2 Zeichen
2.2.1 Wahrnehmung und Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.2.2 Zeichen und Anzeichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.2.3 Signifikant und Signifikat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.2.4 Äußerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.2.5 Konnotation und Denotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.2.6 Das semiotische Dreieck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.3 Zeichen als System
2.3.1 Kode und Performanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.3.2 Kontext und Kotext. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.3.3 Äußerung, Wissen und Realität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.3.4 Das Referenzpostulat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.4 Zeichengebrauch und Gesellschaft
2.4.1 Zeichenhafte Signalisierung sozialer Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.4.2 Soziosemiotische Differenzierungsstrategien und Scheindifferenzierung. . . . . . . . . . . . 28
2.5 Medien und Gesellschaft
2.5.1 Medien als Generator soziosemiotischer Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.5.2 Medien und Weltwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
C.
Theoretische Konzeptionen
1. Soziosprachliche Aspekte
1.1 Grundüberlegungen
1.1.1 Aufgaben der Soziolinguistik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
1.1.2 Wechselwirkungen zwischen Sozialität und Sprachgebrauch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
1.1.3 Sprachfunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
1.2 Ausdrucksfunktion von Sprache
1.2.1 Ausdrucksfunktion als Hinweis auf soziales Selbstverständnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
1.2.2 Soziale Symbolisierungsverfahren durch sprachliche Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
1.2.3 Soziale Marker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
INHALT
1.3 Darstellungsfunktion von Sprache
1.3.1 Die soziolinguistische Bedeutung der Darstellungsfunktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
1.3.2 Gruppensprache als Fachsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
1.3.3 Zitate als Referenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
1.4 Appellfunktion von Sprache
1.4.1 Sprechen verfolgt Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1.4.2 Distanzierung und Solidarisierung mittels Sprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
1.5 Sprachfunktionen im Zusammenspiel
1.5.1 Sprachstile und Sprachvarietäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
1.5.2 Dualität sozialer und kommunikativer Sprachfunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
1.5.3 Umsetzung sozialer Sprachfunktionen durch Sprachmarker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
2. Sprachliche Differenzierungsmethoden
2.1 Zur Unterscheidbarkeit von Sprachleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.2 Semantische Differenzierungsleistungen
2.2.1 Bedeutungsdifferenz als Mittel sozialer Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.2.2 Konnotationen als fachsprachliches Stilelement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.2.3 Offene und verdeckte Bedeutungsdifferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2.2.4 Situationskontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
2.2.5 Bedeutung durch Wahlmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.2.6 Relevanz nichtsprachlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.2.7 Bedeutung grammatischer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.3 Grammatik als soziales Werkzeug
2.3.1 Abgrenzung zwischen Grammatischen Regeln und Grammatikanwendung. . . . . . . 60
2.3.2 Grammatische Analyse der Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
2.3.3 Akzeptierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
2.3.4 Wortformenvariierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
2.3.5 Soziolinguistische Syntaxanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
INHALT
3. Jugend und ihre Sprache
3.1 Rahmenbedingungen der Jugendsprache
3.1.1 Jugend im Spannungsfeld sozialer Entwicklungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
3.1.2 Gesellschaftsnischen als Quelle sprachlicher Eigenständigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.1.3 Jugendliche Kommunikationsräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
3.1.4 Jugendsprache und Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
3.2 Sprachfunktionen im Jugendsprachgebrauch
3.2.1 Stilaneignung durch jugendliche Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
3.2.2 Sprachliche Strategien zur sozialen Symbolisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
3.2.3 Jugendliche Lebensbereiche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
3.2.4 Jugendsprachliche Bewertungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
3.2.5 Zitate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
4. Werbesprache als Sprachstil
4.1 Das Phänomen »Werbesprache«
4.1.1 Was ist Werbesprache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.1.2 Analysierbarkeit von Werbesprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
4.2 Werbung als funktionale Sprachvarietät
4.2.1 Katalysatoren werbesprachlicher Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.2.2 Attention Getter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.2.3 Rezeptionsorientierte Stilistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4.2.4 Rhetorische Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
4.2.5 Notwendigkeit retrospektiver Werbesprachanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
4.3 Werbung und Gesellschaft
4.3.1 Werbung als Generator von Handlungsdispositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.3.2 Sprachlicher Verweis auf werbliche Wertewelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
4.3.3 Voraussetzungen für soziodifferenzierende Wirkung von Werbesprache . . . . . . . . . . . 93
INHALT
5. Soziale Gruppen und Mediennutzung
5.1 Eingrenzung der Untersuchungsgruppen
5.1.1 Allgemeine Kriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
5.1.2 Untersuchungsgruppe Großgruppe der Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
5.1.3 Untersuchungsgruppen auf Szene-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
5.1.4 Bildung von Vergleichsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
5.2 Zielgruppen und soziale Gruppen
5.2.1 Notwendigkeit der Korrelierung werblicher Ziel- und sozialer Gruppen . . . . . . . . . . . 100
5.2.2 Bildung soziospezifischer Zielgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
5.2.3 Problematik der Marktdatenaufbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
5.2.4 Für die vorliegende Arbeit geeignete Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
5.2.5 Analysierbarkeit verschiedener Werbeträgergattungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
D.
Exkurs: Analysemethoden
1. Semantische Sprachanalyse
1.1 Grundlagen
1.1.1 Problematik der Bedeutungsermittlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
1.1.2 Grundstrategien der Semantik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
1.1.3 Bedeutungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
1.2 Strategien zur Bedeutungsermittlung
1.2.1 Merkmalssemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
1.2.2 Wahrheitskonditionale Semantik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
2. Grammatische Sprachanalyse
2.1 Grammatische Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
2.2 Morphologie
2.2.1 Syntaktisches Wort und Lexem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
2.2.2 Der Aufbau von Wörtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
2.2.3 Morphosyntaktische Funkti0nen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
INHALT
2.3 Wortartenlehre
2.3.1 Notwendigkeit der Wortarten-Klassifizierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
2.3.2 Wortartenklassifizierung nach Glinz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
2.4 Syntax
2.4.1 Allgemeine Bedingungen der Satzbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
2.4.2 Satzgliedlehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
E.
Ergebnisse und Verknüpfungen
1. Ergebnis der theoretischen Konzeptionen
1.1 Beschreibung der Zusammenhänge
1.1.1 Sprachliche Manifestation gesellschaftlicher Phänomene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
1.1.2 Beiträge werblichen Sprachstils zur sozialen Differenzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
1.1.3 Differenzierungsebenen im Jugendbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
1.2 Konkrete Ausgestaltung soziolinguistischer Strategien
1.2.1 Ebenen soziolinguistischer Sprachhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
1.2.2 Gruppensprachliche Elemente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
1.3 Überprüfung der Ausgangshypothese
1.3.1 Werbesprache als Instrument gesellschaftlicher Binnenstrukturierung. . . . . . . . . . . . . 130
1.3.2 Notwendigkeit praktischer Überprüfung des Differenzierungspotentials . . . . . . . . . . . 131
2. Forschungsbeschreibung
2.1 Systematik
2.1.1 Formulierung des Untersuchungsziels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
2.1.2 Einzelfragen der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
2.2 Untersuchungsablauf
2.2.1 Auswahl der Untersuchungs- und Kontrollgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
2.2.2 Auswahl des zu analysierenden Werbeangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
2.2.3 Analyse des werblichen Textkörpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
INHALT
2.2.4 Quantitative Überprüfung werblicher Sprachverwendung in Gruppen . . . . . . . . . . 135
2.2.5 Qualitative Beschreibung gruppaler Werbesprachverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
2.2.6 Analyse der Sprachinterpretation auf Objektebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
3. Schlußbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
F.
Quellenverzeichnis
1. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I
2. Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII
3. Internet-Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
A. Einführung
A. EINFÜHRUNG
1.
1. DANKSAGUNG
Danksagung
Noch vor Beginn meiner Ausführungen möchte ich all jenen meinen Dank aussprechen, die mir und meinem nun vorliegenden Projekt mit ihrer Hilfe tatkräftig zur Seite
standen.
Ich danke zunächst meiner Referentin Frau Prof. Dr. Petra Grimm für die Ermutigung, mich diesem überaus komplexen Thema zu stellen sowie für ihre hilfreichen Gedanken zur Bewältigung der Fragestellungen. Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich Herrn
Prof. Dr. Franco P. Rota dafür, daß er sich als Koreferent zur Verfügung stellte. Auch
Ingrid Jahr, Barbara Schlindwein und Stephan Heemken kann ich nicht genug Dank äußern, deren außerordentliches Lektoratstalent ich nutzen durfte – ich hoffe, mich dieser
Großzügigkeit einmal erkenntlich zeigen zu können.
Eine Gratwanderung dürfte es sein, niemanden zu vergessen beim Ausdruck der Bewunderung dafür, meine allzeitige Auseinandersetzung mit dem Thema (»Siehst Du, Du
hast gerade eine soziale Ausdrucksfunktion benutzt!«) nicht nur geduldig hinzunehmen,
sondern mir in vielen Gesprächen und Diskussionen fruchtbare Anregungen zum Gegenstand meiner Arbeit zu liefern. Mein Dank gilt deshalb also allen, die mich in den
vergangenen Monaten so freundschaftlich unterstützt haben.
2.
Die Ausgangssituation
2.1 Sprache als soziales Gut
Sprache ist für uns ein derart selbstverständliches Werkzeug, daß wir sie im Normalfall
nutzen, ohne darüber einen Gedanken zu verlieren. Ob wir den Wetterbericht hören,
uns zum Essen verabreden oder uns angeregt unterhalten – immer ist Sprache ein selbstverständlicher Begleiter, mit dem wir einander das mitteilen, was wir gedanklich geformt
haben.
Sobald wir uns jedoch genauer mit Sprache auseinandersetzen, stellen wir fest, daß im
Grunde jede Einzelheit unseres Lebens von der Sprache abhängt. Es ist kein menschliches Leben – so wie wir es kennen – ohne gemeinschaftliches Miteinander vorstellbar;
und dieses gemeinschaftliche Abstimmen der individuellen Pläne und Dispositionen ist
-2-
A. EINFÜHRUNG
2. DIE AUSGANGSSITUATION
nur durch Kommunikation möglich, deren wichtigstes und vielseitigstes Werkzeug die
menschliche Sprache ist.
Sprache und Gesellschaft bedingen sich gegenseitig; dies ist die bedeutende Erkenntnis
aus Niklas Luhmanns systemtheoretischer Gesellschaftsbetrachtung. Aus diesem Blickwinkel ergibt sich eine neue Perspektive bei der Spracherforschung. Denn die Art, wie
Sprache gebraucht wird, ist der direkte Ausdruck des gesellschaftlichen Status Quo: Sie
zeigt an, was in einer sozialen Gemeinschaft für wichtig erachtet wird, wie soziale Entitäten zueinander stehen, und nicht zuletzt spiegelt sie die innere Struktur der Gemeinschaft wider, in der sie genutzt wird.
2.2
Aufeinanderwirken von Sprache, Medien und Gesellschaft
Wenn sich die Gesellschaft verändert, verändert sich auch die Sprache. Und wenn Sprache neue Variationen entwickelt, wandelt sich die Gesellschaft. Wir leben in einer Kommunikationsgesellschaft, und sehen uns mit mehr Sprach- und Kommunikationsakten konfrontiert als jemals zuvor in der menschlichen Geschichte.
Durch die technischen Innovationen auf dem Mediensektor hat jedes Individuum Kontakt mit den vielseitigsten und unterschiedlichsten Äußerungen – und niemals konnten
wir einen derart großen Fundus an Sprechakten rezipieren und diesen Fundus für unsere
Zwecke nutzbar machen.
Es liegt nahe, daß die massenhafte Verbreitung von Kommunikationsakten zur Veränderung des allgemeinen Sprachgebrauchs und infolge dessen auch zu einem Wandel der
Gesellschaft führt. Doch welche Genres, die uns in den Medien präsentiert werden, haben tatsächlich einen Einfluß auf unser gesellschaftliches Leben? Nachrichten, Meldungen, Reportagen? Sicher, denn über sie entwickeln wir unser Weltwissen. Geschichten
und Filme? Zweifelsohne, denn sie zeigen uns, was denkbar ist und helfen uns somit, unseren gedanklichen Horizont zu erweitern.
Doch wie sieht es mit der Werbung aus? Jenes Genre, welches durch seinen Finanzierungsbeitrag die Medien überhaupt erst ermöglicht und am Leben erhält. Das uns zeigt,
welche Möglichkeiten die Warenwelt bereithält, um unsere Bedürfnisse zu stillen? Hat
die Sprache der Werbung Einfluß auf unser Leben, auf unsere Gesellschaft, unser soziales
Miteinander? Mit anderen Worten: Sähen wir die Welt mit anderen Augen, wenn es die
Sprache der Werbung nicht gäbe?
Dies sind die Fragen, zu deren Antworten der Verfasser mit der vorliegenden Arbeit einen Beitrag leisten will.
-3-
A. EINFÜHRUNG
3.
Disposition
3.1
Ziel der Arbeit
3. DISPOSITION
Der vorliegenden Arbeit liegen zwei Thesen zugrunde. Die erste Annahme geht davon
aus, daß sich Werbesprache von der im Alltag gebrauchten Sprache unterscheidet. Die
zweite besagt, daß jede gesellschaftliche Gruppe spezifische Sprachformen nutzt, nicht
nur um sich zu verständigen, sondern auch, um sich in der Gesamtgesellschaft von anderen Gruppen zu differenzieren.
Die zentrale, sich aus der Kombination beider Annahmen ergebende Frage lautet:
Nimmt die Werbesprache Einfluß auf den Sprachgebrauch der Gesellschaft? Wird ein
solcher werblicher Sprachstil eventuell sogar von gesellschaftlichen Gruppen genutzt, um
sich von anderen Gruppen unterscheidbar zu machen?
Es ist die Vermutung des Verfassers, daß sprachliche Eigenheiten der Werbung von den
Rezipienten in Ihren Sprachschatz aufgenommen werden und in der Folge zur Differenzierung ihrer gesellschaftlichen Gruppe herangezogen werden. Die Erforschung, ob eine
Verbindung zwischen Werbesprache und Gesellschaftsstrukturierung besteht, und die
Fragen, auf welche Weise sie realisiert wird und mit welchen Konsequenzen für das soziale Gefüge, sind also Gegenstand der vorliegenden Diplomarbeit.
3.2 Einschränkungen
Es ist einsichtig, daß eine weitreichende Frage wie die eben formulierte im Rahmen einer Diplomarbeit nicht erschöpfend bearbeitet werden kann. Aus diesem Grund sollen
nachfolgend einige Eingrenzungen beschrieben werden, die einen angemessenen inhaltlichen und zeitlichen Umfang des Arbeitsgebiets sicherstellen.
Zunächst ist zu beachten, daß alle Aussagen, die zu gesellschaftlichen Phänomenen gemacht werden, naturgemäß kulturrelativ einzuschätzen sind. Die folgenden Erkenntnisse
beziehen sich also ausschließlich auf das deutsche Sprach- und Kulturgebiet, wobei davon
auszugehen ist, daß sie sich weitgehend auf alle modernen, abendländischen Kulturen übertragen lassen. Weiterhin darf nicht davon ausgegangen werden, die mittels der Untersuchung einer einzelnen gesellschaftlichen Gruppe gewonnenen Feststellungen ließen sich
auf alle gesellschaftlichen Einheiten oder gar auf die Gesamtgesellschaft übertragen. Jedes
gewonnene Urteil gilt also nur für die jeweils betrachtete Gruppe.
-4-
A. EINFÜHRUNG
3. DISPOSITION
Es würde den Rahmen sprengen, mit dieser Abhandlung eine allgemeingültige Regel
zwischen Gesamtgesellschaft und Werbesprache aufzustellen. Deshalb soll diese Verbindung exemplarisch an einer gesellschaftlichen Gruppe überprüft werden. Der Verfasser
wählte dafür die gesellschaftliche Gruppe der Jugendlichen, da es sich bei der Jugend um
einen gesellschaftlich gut abgrenzbaren Bereich handelt, der sich durch eine starke Binnenstrukturierung auszuzeichnen scheint, sehr intensiv beworben wird und sich aufgrund
der noch ungefestigten gesellschaftlichen Disposition wohl weit stärker auf unerprobte
kommunikative Reize einläßt als Personen in gefestigtem Alter.
Nicht zuletzt fordern die vielfältigen wissenschaftlichen Disziplinen, die in den vorliegenden Arbeitsbereich einwirken, eine umfassende theoretische Ausarbeitung des Themas.
Nur so kann sichergestellt werden, daß alle wesentlichen Erkenntnisse beachtet werden,
die im Rahmen dieses Themenbereichs bereits erarbeitet wurden. Diese umfangreiche theoretische Bearbeitung verhindert jedoch bedauerlicherweise die notwendige pragmatische
Überprüfung der im theoretischen Bereich gewonnenen Erkenntnisse.
Demzufolge wird am Ende dieser Arbeit eine umfassende Beschreibung der Grundlagen stehen, die in diesem Themenbereich von Bedeutung sind, verbunden mit der Darstellung eines Versuchsaufbaus, der zur praktischen Kontrolle dieser Erkenntnisse notwendig wäre. Die nachfolgenden Seiten dienen also dazu, einem späteren Bearbeiter
dieses Themas das Werkzeug in die Hand zu geben, um die oben angeführten Thesen in
dem Bereich zu prüfen, den wir Realität nennen.
3.3 Vorgehensweise
Um eine mögliche Verbindung zwischen Werbesprache und gesellschaftlicher Differenzierung greifbar machen zu können, ist zunächst eine Auseinandersetzung mit grundlegenden soziologischen und linguistischen Erkenntnissen notwendig. Denn es gilt einerseits, das Phänomen gesellschaftliche Gruppe charakterisieren zu können, um Gruppen
voneinander unterscheidbar zu machen. Andererseits muß der Verfasser in der Lage sein,
die Struktur von Sprache sowie ihre Anwendung zu analysieren, um Gemeinsamkeiten
und Differenzen in ihrer Verwendung beschreibbar zu machen
Ziel ist es letztlich, beide Aufgaben miteinander zu verbinden und so die Rahmenbedingung zu beschreiben, innerhalb derer bestimmte sprachliche Eigenheiten rezipierter
Werbemittel von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen übernommen und sozial eingesetzt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind im einzelnen folgende Anforderungen zu
bewältigen:
-5-
A. EINFÜHRUNG
3. DISPOSITION
Zunächst sind wesentliche Erkenntnisse aus dem Bereich der SOZIOLOGIE zusammenzufassen. Hier ist zu klären, was eigentlich Gesellschaft bedeutet und was die Kennzeichen eine gesellschaftlichen Gruppe sind. Dieses Wissen wird später Anwendung finden
bei der Beschreibung der Untersuchungsgruppe JUGEND. Es wird zu fragen sein, was die
Eigenschaft »jugendlich« im gesellschaftlichen Kontext darstellt und welches die Kennzeichen jugendlicher Gruppen sind. Denn je besser man die sozialen Motivationen Jugendlicher kennt, desto genauer lassen sich die sprachlichen Techniken untersuchen, mit
denen solche Motivationen umgesetzt werden. Weiterhin sind im Verlauf der Arbeit die
Bereiche MEDIALE ZIELGRUPPEN und M EDIENKONSUM zu erforschen. Das Ziel hier: eine Verbindung zwischen medialer Zielgruppe und gesellschaftlichen Gruppen aufzudecken: Wer rezipiert die dargebotene Werbung und wie intensiv tut er dies? Diese Fragen sind mit den Techniken der Mediaplanung zu beantworten.
Um wiederum das Fundament für die sprachlichen Analysen der vorliegenden Arbeit
zu schaffen, sind die zu untersuchenden Bereiche der SEMIOTIK und SEMANTIK von herausragender Bedeutung. Der erstgenannte soll helfen, das Wesen und die zugrundeliegenden
Mechanismen jeglicher Kommunikation kennenzulernen und beschreibbar machen, wie
Sprache eigentlich funktioniert. Eine Darstellung der Semantik hingegen gibt dem Verfasser die Werkzeuge in die Hand, um greifbar zu machen, welche Bedeutungen einzelne
Sprachhandlungen annehmen können. Dies ist besonders wichtig, da sich die vorliegende
Arbeit im speziellen mit Sprachhandlungen beschäftigt, die sich von der Standardsprache
unterscheiden. Weiterhin wird auf grundlegende Erkenntnisse der GRAMMATIKLEHRE
eingegangen werden, damit – unter dem speziellen Gesichtspunkt sozial orientierter Grammatikanwendung – zu untersuchende Sprachhandlungen trennscharf auf wechselseitige
Abweichungen analysierbar werden.
Wichtige Hinweise auf die soziale Bedeutung von Sprache und die Mechanismen, die
im sozial motivierten Sprachgebrauch angewendet werden, erwartet der Verfasser weiterhin in einer Auseinandersetzung mit dem Bereich der SOZIOLINGUISTIK. Sobald geklärt
ist, wie soziale Differenzierung mittels Sprache konkret funktioniert und welche sprachlichen Werkzeuge und Strategien dazu genutzt werden, kann eine spezifische Beschreibung
der W ERBESPRACHE einerseits und der JUGENDSPRACHE andererseits erfolgen. In diesen
Kapiteln werden Techniken und Strategien zu erläutern sein, die zur jeweils unterscheidbaren Sprachanwendung beider Bereiche führen. Nicht zuletzt sollen in diesen Abschnitten ebenfalls die konkreten Eigenheiten von Jugend- sowie Werbesprache deutlich gemacht
werden.
-6-
A. EINFÜHRUNG
3. DISPOSITION
Die Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der genannten wissenschaftlichen Disziplinen sollen den Verfasser in die Lage versetzen, auf theoretischem Weg einen Zusammenhang zwischen der Rezeption von Werbesprache und ihrer sozial motivierten Anwendung zum Zweck gesellschaftlicher Differenzierung aufzudecken. Die Beschreibung, wie
ein konkreter Versuchsaufbau aussehen könnte, mit dem sich ein eventuell theoretisch gefundener Zusammenhang praktisch bestätigen ließe, liefert den Abschluß der vorliegenden Arbeit. Hier schildert der Verfasser, wie die gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen
eines Experiments überprüft werden können und zeigt auf, welche Aspekte besonders zu
beachten sind, um bei diesem vielseitigen und komplexen Thema vorschnelle oder gar
falsche Schlüsse zu vermeiden.
-7-
B. Grundlagen und Begriffsklärungen
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
1.
1. SOZIOLOGISCHE KONZEPTE
Soziologische Konzepte
Der folgende Abschnitt dient der Festlegung der Begriffe »Gesellschaft«
und »gesellschaftliche Gruppen« mit dem Ziel, eine definitorische Grundlage
für die weiteren Untersuchungen der vorliegenden Arbeit zu erreichen. Weiterhin sollen erste grundlegende Zusammenhänge zwischen den Phänomenen
Gesellschaft und Kommunikation dargelegt werden.
1.1 Der Gesellschaftsbegriff
1.1.1 Notwendigkeit eines Gesellschaftsbegriffs für die vorliegende Arbeit
Den werbesprachlichen Beitrag zur sozialen Differenzierung in der Jugendkultur zu ergründen ist eine Aufgabe, die zunächst die Klärung ihres zentralen Untersuchungsgegenstands verlangt. Nicht ohne Grund ist diesbezüglich bereits eingangs mehrfach der Begriff G ESELLSCHAFT gefallen: Die Beschäftigung mit Jugendkultur impliziert, daß der
Verfasser es einerseits mit gesellschaftlichen Fragen zu tun hat. Denn letztlich ist Kultur
nichts anderes als ein Regelwerk, innerhalb dessen das soziale Leben in Gemeinschaften
organisiert ist. Andererseits wird durch den Begriff DIFFERENZIERUNG deutlich, daß Gesellschaft offensichtlich ein Gebilde ist, das eine innere Struktur aufweist. Nur durch eine
solche Struktur wird es möglich, verschiedene gesellschaftliche Teilmengen voneinander
abzugrenzen.
Diese eben genannten Feststellungen führen zwangsläufig zu der Notwendigkeit, sich
bei der Auseinandersetzung mit der gestellten Aufgabe einleitend mit dem Phänomen
Gesellschaft und deren Eigenschaften auseinanderzusetzen – die intuitive Vorstellung
davon, was Gesellschaft bedeutet, erscheint als Fundament für die darauf aufbauenden
Beiträge jedenfalls zu diffus.
1.1.2 Gesellschaft – allgemeine Definitionen
Es herrscht in der fachbezogenen Literatur kein Mangel an Vorschlägen, was unter dem
Begriff »Gesellschaft« verstanden werden soll. Eine Auswahl dieser Vorschläge sind:
-9-
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
1. SOZIOLOGISCHE KONZEPTE
»Unter einer Gesellschaft verstehen wir alle Geschehnisse, Prozesse und Strukturen, insofern sie einen Zusammenhang von zeitlicher Kontinuität bilden, der direkt oder indirekt
auf wechselseitigen, prinzipiell verstehbaren sozialen Handlungen beruht.«1
»In allgemeinster Bedeutung bezieht sich Gesellschaft auf die Totalität sozialer Beziehungen zwischen Menschen.«2
»Gesellschaft [ist zu verstehen] als Summe von Individuen, die durch ein Netzwerk sozialer Beziehungen miteinander in Kontakt und Interaktion stehen.«3
»Gesellschaft ist das jeweils umfassendste System menschlichen Zusammenlebens.«4
So vielfältig diese Empfehlungen erscheinen mögen, lassen doch alle erkennen, welches
die Voraussetzung zur Konstitution einer Gesellschaft ist: Es ist eine mengenmäßig undefinierte Anzahl von Menschen, die nicht isoliert voneinander existieren, sondern gegenseitig aufeinander wirken. Das Resultat dieses Aufeinander-Wirkens ist ein Geflecht
von Regeln, Beziehungen und gemeinschaftlichen Handlungen, die auf eine diffuse Menge
von Individuen strukturierend wirken und ihr Zusammenleben organisieren. Somit ist
Gesellschaft etwas, das zwischen menschlichen Individuen passiert – es sind die Interaktionen zwischen Individuen, für die der Begriff Gesellschaft steht, nicht die Individuen
selbst.5
1.1.3 Gesellschaft als Kommunikation im Kontext der Systemtheorie
In Anbetracht dessen, daß Menschen nicht als Teil der Gesellschaft anzusehen sind, bereitet jeder Versuch, das Verhalten einer Gesellschaft vom Verhalten ihrer Individuen abzuleiten, ernsthafte Schwierigkeiten: Das irrationale, sprunghafte Verhalten von Individuen macht es unmöglich, eine tragfähige Theorie über die Eigenschaften einer Gesellschaft
abzuleiten. Einen Ausweg bietet die Systemtheorie, mit deren Regeln soziale Zusammenhänge übergreifend betrachtet werden können und Gesellschaft als eine Einheit anzusehen ist, die den Gesetzen eines Systems folgt.
1
2
3
4
5
Bahrdt, 1992, S. 182
Fuchs-Heinritz et al., 1978, S. 674
Gould et al., 1965, S.268
Luhmann in Ritsert, 2000, S. 9
Es soll für die vorliegende Arbeit keine Unterscheidung getroffen werden zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft, wie sie Tönnies und Weber eingeführt haben. Die Unterscheidung zwischen affektiver und rationaler Konstitution überindividueller Gruppen ist unerheblich für die vorliegenden Zwecke. Zu Einzelheiten bezüglich dieser Einteilung vgl. Tönnies, 1963 und Weber, 1956, S. 29
- 10 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
1. SOZIOLOGISCHE KONZEPTE
Anhand der Systemtheorie hat Niklas Luhmann eine neue und weitreichende Sicht auf
das Phänomen Gesellschaft entwickelt.6 Er nimmt an, daß das oben beschriebene Aufeinanderwirken nur durch KOMMUNIKATION zustande kommen kann – folglich sieht er den
Begriff Gesellschaft als deckungsgleich mit dem Begriff Kommunikation an. Was Gesellschaft definiert, wodurch Gesellschaft erkennbar wird, wodurch gesellschaftliche Gruppen
voneinander unterscheidbar werden, wird erst definierbar, erkennbar, unterscheidbar
aufgrund von Kommunikation:
»[Gesellschaft] kommt nur aus Kommunikation zustande und setzt sich nur durch diese
fort. Würde die Kommunikation aufhören, wäre auch die Gesellschaft am Ende. Andererseits ist Kommunikation aber nicht ohne Gesellschaft zu denken.«7
Diese Sichtweise wird inzwischen von vielen Soziologen geteilt, vergleiche hierzu beispielsweise Titzmann:
»Wo auch immer soziale Strukturen gegeben sind und soziale Interaktion stattfindet, da
werden sie [...] konstituiert durch Kommunikation mittels Zeichen (systemen). Ohne Gesellschaft gibt es keine Kommunikation: aber ohne Kommunikation auch keine Gesellschaft.«8
Die Konsequenzen dieser Annahme für die vorliegende Diplomarbeit sind bereits in
der Einleitung angedeutet worden – nur weil beide Begriffe als deckungsgleich anzusehen sind, ist überhaupt die These aufstellbar, daß ein veränderter Sprachgebrauch auch
eine veränderte Gesellschaft bedeutet. Soll nun geprüft werden, ob Werbesprache einen
Einfluß auf die Gesellschaft hat, so ist dies zunächst gleichbedeutend mit der Frage, ob
Werbesprache überhaupt einen Einfluß auf den Sprachgebrauch an sich hat – dieser Zusammenhang wird im Abschnitt »Kommunikationstheoretische Grundlagen« vertiefend
erörtert werden.
Vorläufig ist jedoch festzuhalten, daß gesellschaftliche Zusammenhänge feststellbar sind
anhand der Art, wie Menschen mittels Sprache interagieren – und daß aufgrund der Erforschung eines spezifischen überindividuellen Sprachgebrauchs Rückschlüsse auf gesellschaftliche Zusammenhänge gezogen werden dürfen.
6
7
8
vgl. Luhmann, Niklas: »Die Gesellschaft der Gesellschaft«, 1997
Reese-Schäfer, 1992, S. 12
Titzmann, 1993, S. 5
- 11 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
1. SOZIOLOGISCHE KONZEPTE
1.2 Soziale Gruppen
1.2.1 Abgrenzung der Begriffe »Gesellschaft« und »Gruppen«
Wie jedes komplexe System weist auch die Gesellschaft kein homogenes Inneres auf,
sondern besteht aus weiteren, in ihr enthaltenen Subsystemen, die als SOZIALE GRUPPEN
bezeichnet werden. Kennzeichen solcher Gruppen ist, daß
»...in ihr Individuen zusammengefaßt sind, die unter vergleichbar objektiven gesellschaftlichen Lebensbedingungen eine potentielle Kommunikationsgemeinschaft bilden, und diese
gegebenen Bedingungen wie auch andere objektive Gegebenheiten in ähnlicher Weise interpretieren.«9
Soziale Gruppen sind immer Teil einer übergeordneten Gesellschaft, da sie in wesentlichen Bereichen die gleichen beziehungsweise sehr ähnliche Beziehungskonzepte und
Normen besitzen wie die übergeordnete Gesellschaft – allerdings weichen sie in bestimmten Bereichen so weit von der normativen Struktur ab oder besitzen ergänzende Normkonzepte, daß sie innerhalb der Gesamtgesellschaft von anderen Gruppen dauerhaft auf
kommunikativer Ebene unterscheidbar werden:10
»[Von einer sozialen Gruppe ist dann zu sprechen,] wenn mehrere Menschen in sozialen
Beziehungen stehen und über eine gewisse Zeit gemeinsame Ziele verfolgen. Über die gemeinsamen Ziele und die Art ihrer Verwirklichung wird kommuniziert. Ihre Realisierung
geschieht durch situationsübergreifende Interaktionsprozesse. Die Garantie des situationsübergreifenden Interaktionsprozesses geschieht durch Normen, aber auch durch Bräuche,
Gewohnheiten und Interessen, insbesondere durch Rollenzuweisungen, die sich auf den
Zusammenhang der Interaktion innerhalb der Gruppe beziehen, über deren Sinn Konsens
besteht.«11
Der wesentliche Unterschied zwischen sozialen Gruppen und Gesellschaften ist, daß
zwei unterschiedliche Gesellschaften gewissermaßen nebeneinander existieren und wesentliche Wert- und Normstrukturen nicht miteinander teilen, während beispielsweise
die Gruppe der FDP-Wähler mit der Gruppe der Sozialdemokraten das zentrale Element
der christlich-abendländischen Kultur miteinander teilen. Soziale Gruppen sind somit
9 Mattheier, 1980, S. 18 f.
10 vgl. Bahrdt, 1992, S. 93
11 Bahrdt, 1992, S. 90
- 12 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
1. SOZIOLOGISCHE KONZEPTE
gewissermaßen auch als TEILKULTUREN zu bezeichnen, im Gegensatz zu SUBKULTUREN,
die von der normativen Struktur der sie umgebenden Gesellschaft völlig abweichen und
deshalb innerhalb der Gesellschaft ein Inseldasein führen – dies wäre etwa bei Sekten der
Fall.12
1.2.2 Unterscheidungskriterien für Gruppen
Es wurde deutlich, daß nicht die Größe eines sozialen Verbunds maßgeblich dafür ist,
ob sie als Gesellschaft oder als Gruppe zu definieren ist. Gruppen sind sowohl als abstrakte Großgruppen mit abstrakten und indirekten Kommunikations- und Interaktionsstrukturen beschreibbar – genannt sei beispielsweise die GROSSGRUPPE DER JUGENDLICHEN
in Abgrenzung zur Großgruppe der Erwachsenen – als auch in sehr direkt interagierende
Kleingruppen wie etwa die PEERGROUP, also die jeweilige unmittelbare Bezugsgruppe
eines Individuums. Auch Zwischengrößen sind existent, wenn als Bezugsgröße zur Definition einer Gruppe beispielsweise das Interesse an einer Geisteshaltung, einer Musikrichtung oder an einer Sportart herangezogen wird, um etwa SZENEN und MILIEUS voneinander abzugrenzen.13
Hier zeigt sich auch, wie wichtig es ist, Menschen in diesem Zusammenhang nicht als
Teil der Gesellschaft aufzufassen. Soziale Gruppen können nie als gleichbleibende Summe von bestimmten Individuen festgemacht werden: Sie sind eben eine abstrakte Menge
von Übereinkünften, Ansichten und Weltanschauungen, und dies sind die Kriterien, die
– sobald sie kommuniziert werden – einen gruppenhaften Verbund von einem anderen unterscheiden, und nicht die Menschen, die der Gruppe angehören.
Andererseits ist kein Individuum Mitglied nur einer einzigen gesellschaftlichen Gruppe:14 Ein Mensch ist nicht nur Mitglied seiner Bezugsgruppe und deren übergeordneten
meta- und makrosoziologischen Verbunden, sondern in den meisten Fällen auch Teil
mehrerer paralleler Strukturen – vielleicht als Angelfreund, CDU-Wähler und Klassikliebhaber.
Es kommt immer darauf an, welche Maßstäbe herangezogen werden, um zu beurteilen,
aus welchen Individuen sich eine Gruppe zusammensetzt. Werden andere Kriterien festgelegt, sind dieselben Individuen möglicherweise auf völlig unterschiedliche Gruppen
verteilt: Einmal sind sie Teil derselben Gruppe, etwa Teil einer Schulklasse, ein weiteres
12 Bahrdt, 1992, S. 90
13 Es ist freilich strittig, ob sich statistische Größen – wie sie zur Beschreibung eines Milieus teilweise herangezogen
werden – als Maßstab zur Bildung einer sozialen Gruppe eignen. Deshalb sollen Milieus nur insofern als soziale
Gruppe angesehen werden, als sie norm- und wahrnehmungsstrukturell differenzieren lassen.
14 vgl. Bahrdt, 1992, S. 91 f.
- 13 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
1. SOZIOLOGISCHE KONZEPTE
Mal gehören sie verschiedene Szenen mit unterschiedlichen Interessen und Strukturen
an, vielleicht der Rapper- oder Skateboarderszene.
1.2.3 InGroup und OutGroup
Der zentrale Maßstab zur Bildung der Unterscheidungsränder zwischen sozialen Gruppen ist sowohl das Eigenbild, das die Gruppe von sich selbst besitzt, als auch ein Fremdbild,
mit dessen Hilfe andere diese Gruppe in das gesellschaftliche Gesamtsystem einsortieren.
Dieses Eigen- oder Fremdbild faßt die Gesamtheit aller gruppalen Beziehungs- und Normenkonzepte zusammen und ermöglicht es den mit einer Gruppe konfrontierten Individuen überhaupt erst zu sagen, wer zu ihr gehört – also wer zur INGROUP zählt – und wer
Teil der OUTGROUP ist, demnach nicht zu ihr gehört:
»Zur Existenz einer sozialen Gruppe gehört, daß sie von den Mitgliedern als ein ‚We‘ anerkannt wird, das sich von einem ‚They‘ abgrenzt. Die Identifikation mit einem ‚Wir‘ ist eine
der Bedingungen dafür, daß die Gruppe existiert.«15
Das »WE« und »THEY« ist somit letztlich das umfassende Kriterium, mittels dessen eine
Gruppe überhaupt im gesellschaftlichen Rahmen relevant wird: Der kommunikative Verweis auf das Dazu- beziehungsweise Nicht-Dazugehören steht stellvertretend dafür, wie
das darauf verweisende Individuum zu den Werten, Normen und Strukturen steht, die mit
einer bestimmten Gruppe in Verbindung gebracht werden. Ist es auf kommunikativer Ebene nicht möglich, eine solche Zugehörigkeit zu verdeutlichen, sind die Differenzierungskriterien der Gruppe – zumindest aus soziologischer Sicht – nicht wesentlich; die Gruppe ist
gesellschaftlich nicht wahrnehmbar und somit nicht existent.
Für die vorliegende Arbeit ist diese Erkenntnis von wesentlicher Bedeutung. Nur wenn eine Menge von Individuen existiert, die sich nicht als zu einer bestimmten Gruppe zugehörig
empfindet, kann eine solche Gruppe überhaupt existieren. Dies muß der Maßstab sein,
wenn es für die Erforschung gruppenspezifischer Spracheigenheiten die zu untersuchende
Gruppe einzugrenzen gilt: Eine Gruppe ist erst dann eine Gruppe, wenn nicht nur sie sich
selbst als solche betrachtet, sondern wenn auch die Gesellschaft dies – aus welchen Gründen
auch immer – tut.
15 Bahrdt, 1992, S. 90
- 14 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
1. SOZIOLOGISCHE KONZEPTE
Soziologische Konzepte – Das Wesentliche in Kürze:
Das voranstehende Kapitel hat aus bereits gegebenen definitorischen Vorschlägen die für diese Arbeit wesentlichen Kriterien zur Beschreibung der Begriffe »Gesellschaft« und »soziale Gruppen« herausgearbeitet. Eine Gesellschaft
– also der Rahmen, innerhalb dessen sich diese Untersuchung bewegt – ist
zu verstehen als Aufeinanderwirken einer unbestimmten Anzahl von Individuen mit den Mitteln der Kommunikation.
Innerhalb einer Gesellschaft sind verschiedene Gruppen voneinander abgrenzbar, die, obwohl in wesentlichen Bereichen den Normen und Beziehungskonzepten der übergeordneten Gesamtgesellschaft verhaftet, in bestimmten
Bereichen abweichende oder ergänzende Normkonzepte besitzen. Wie bereits
bei der Gesamtgesellschaft sind nicht die teilnehmenden Individuen für die
Konstitution einer Gruppe maßgeblich, sondern vielmehr die Werte, Vorstellungen und Normen, für die die Gruppe steht.
Eine soziale Gruppe wird erst dann im gesellschaftlichen Kontext relevant,
wenn es Individuen möglich ist, sich zu dieser Gruppe als zugehörig oder nichtzugehörig zu beschreiben. Ist hingegen die Zuschreibung von »We« und »They«
nicht realisierbar, so fehlen die Unterscheidungsränder zu anderen Gruppen.
Somit erhält eine soziale Gruppe erst dann einen Realitätsstatus, wenn sie
auch von außerhalb als Gruppe erkennbar ist.
Da auf den vorangehenden Seiten deutlich wurde, daß sämtliche gesellschaftliche Phänomene ausschließlich kommunikativ verwirklicht werden,
muß auch die Differenzierung gesellschaftlicher Teilkulturen mit Werkzeugen
der Kommunikation erfolgen. Wie soziale Gruppen diese Unterscheidbarkeit
also auf kommunikativer Ebene realisieren, wird im folgenden Kapitel zu erarbeiten sein.
- 15 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2.
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Kommunikationstheoretische Grundlagen
Die folgenden Seiten dienen dazu, den Ausdruck Kommunikation begrifflich einzuordnen sowie die der Kommunikation zugrundeliegenden Elemente
und Mechanismen zu erörtern. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden
weiterhin auf ihre Relevanz hinsichtlich gesellschaftlicher Differenzierung untersucht. Nicht zuletzt soll unter semiotischen Gesichtspunkten die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft, Kommunikation und Medien ermittelt werden.
2.1
Zeichen als Bedingung sozialer Kommunikation
2.1.1 Definition menschlicher Kommunikation
Eine Untersuchung über die soziale Wirkung von Kommunikationsakten fordert zunächst die Klärung des eigentlichen Wesens von Kommunikation. Allgemein läßt sich
Kommunikation als Übermittlung von Informationen zwischen Sender und Empfänger
beschreiben. Wenn auch vielfältige Formen existieren, mittels derer Kommunikation erfolgen kann – genannt sei nur die biochemische Informationsübermittlung beispielsweise
zwischen Synapsen – interessiert für die vorliegende Arbeit jedoch nur folgende Frage: Auf
welche Weise erfolgt menschliche Kommunikation?
Allgemein läßt sich Kommunikation hier als die Übermittlung eines Gedankens an andere Individuen beschreiben, wobei der Begriff »Gedanke« hier definiert sein soll als die Gesamtheit aller subjektiven Realitätsvorstellungen eines Individuums. Jedoch können nicht
Gedanken an sich an Andere übermittelt werden, sondern müssen in eine Form umgewandelt werden, die in der Lage ist, eine zeitliche oder räumliche Distanz zwischen Sender und
Empfänger überbrücken zu können. Wenn also etwas zwischen menschlichen Kommunikationspartnern ausgetauscht wird, dann handelt es sich dabei nicht um eine Information
oder den Gedanken selbst, sondern um etwas, das stellvertretend für den Gedanken steht.
Dieses stellvertretende Element nennt man ZEICHEN.16
Kommunikation zwischen Menschen ist also eine zeichenhafte. Zeichen sind die Bedingung dafür »daß Produkte des Denkens nach außen gebracht werden können«.17 Wenn
ein Individuum an ein Buch denkt, befindet sich selbstverständlich kein Buch unter der
16 vgl. Sottong/Müller, 1998
17 Linke et al., 1996, S. 14
- 16 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Schädeldecke; wenn sich zwei Personen über ein Buch unterhalten, findet nur das Wort
»Buch« den Weg in den Gehörgang des Zuhörers, aber nicht das Buch selbst. Die auffälligste Eigenschaft von Zeichen ist demnach, daß sie »etwas präsent machen können, ohne
selbst dieses Etwas zu sein«.18
2.1.2 Eigenschaften von Zeichen
Das Verhältnis zwischen Zeichen und dem, was sie bezeichnen, ist dabei zunächst beliebig. Gemäß dem Grundsatz »ALIQUID STAT PRO ALIQUO« – übersetzt: »etwas steht für
etwas« – kann alles sinnlich Wahrnehmbare als Zeichen für etwas stehen, vorausgesetzt,
es steht stellvertretend für etwas anderes: Rauch, Schallwellen, Licht – alles, was wahrnehmbar ist, kann als Zeichen fungieren. Im Gegenzug kann jedes Zeichen zunächst für
etwas Beliebiges stehen. Die BEDEUTUNG eines Zeichens ist in erster Linie nicht festgelegt: Daß eine rote Fahne für Kommunismus steht, ist nicht zwingend vorgegeben, sondern muß zwischen den Kommunikationspartnern vereinbart sein:19
»Zeichen und Kodes sind immer das Ergebnis sozialer und kultureller Entwicklungen und
Prozesse, sie beruhen auf abgestuft starken und schwachen Übereinkünften, [...] und sie
sind daher immer auch potentiell wandelbar.«20
Andererseits ist nicht alles, was wahrnehmbar ist und für etwas steht, auch ein Zeichen.21
Die Blätter eines Baumes beispielsweise sind nicht deshalb verfärbt, weil der Baum damit
den Herbst ankündigt, sondern weil es Herbst ist.22 Der Zeichenbegriff reduziert sich
demnach auf die folgenden fünf, von Sottong/Müller formulierten Punkte:23
• Das Kriterium zur Unterscheidung von Zeichen und
Nicht-Zeichen ist die kulturelle Kodierung
• Der Zeichenbegriff muß Zeichen von anderen kulturellen
oder natürlichen Phänomenen unterscheiden können
18 Linke et al., 1996, S. 18
19 Diese Aussage wird im Verlauf dieser Arbeit einzuschränken sein, soll jedoch aus Gründen der Verständlichkeit
an dieser Stelle so stehen bleiben.
20 Sottong/Müller, 1998, S. 9
21 Obwohl Pierce und Eco gerade dies behaupten (vgl. Pierce 1983, Eco 1972), erscheint dem Verfasser die Definitionseingrenzung, wonach allein in kulturellen Äußerungen Zeichen verwendet werden, akzeptabler. (vgl. Lotman
1990, Titzman 1972)
22 Dazu mehr im folgenden Abschnitt
23 vgl. Sottong/Müller, 1998, S.12 ff.
- 17 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
• Zeichen und ihre Bedeutung sind kulturrelativ aufzufassen
• Es muß zwischen Zeichen und anderen in kommunikativen
Kontexten vorkommenden Phänomenen unterschieden werden
• Die Anbindung der Zeichen an die Realität ist ebenfalls
kulturrelativ aufzufassen
Besonders der letzte Punkt birgt eine interessante und wichtige Erkenntnis: Zeichen
stehen für etwas, das der oder die Zeichenverwender mit ihrem Realitätskonzept vereinbaren können. Die Kenntnis dessen, auf was Zeichen in einer Kultur verweisen, läßt Rückschlüsse auf die subjektive Realität einer Kultur zu. Allerdings ist dabei zu beachten, daß
auch die Dekodierung eines Zeichens kulturell gebeugt ist.24 Dies wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit zu beachten sein.
2.2 Zeichen
2.2.1 Wahrnehmung und Realität
Wie bereits der Philosoph Ludwig Wittgenstein in seinem Satz »Wovon man nicht reden
kann, davon muß man schweigen«25 feststellte, sind Sprache und Realität eng miteinander
verbunden. Einige Wissenschaftler gehen sogar davon aus, daß die gesamte Realitätswahrnehmung ausschließlich sprachlich begründet ist – in ihren Augen ist etwas, das man nicht
beschreiben kann, nicht existent.26 Trotz der Tatsache, daß diese These in ihrer Absolutheit durchaus umstritten ist, lohnt es sich dennoch, vor diesem Hintergrund in gebotener
Kürze einen Blick darauf zu werfen, wie Menschen Realität wahrnehmen, bevor man Wesen und Struktur von zeichenhafter Kommunikation genauer ergründet.
Es ist offensichtlich, daß bereits die Wahrnehmung der Welt mit den menschlichen Sinnen schon deshalb nicht vollständig sein kann, da das Wahrnehmungsspektrum der Sinne
biologisch begrenzt ist. Und selbst die theoretisch sinnlich erfaßbaren Informationen lassen sich aufgrund ihrer Vielzahl nicht komplett verarbeiten. Bei der Wahrnehmung ist
folglich eine Auswahl zu treffen, um unter allen vorhandenen Informationen die subjektiv relevanten herauszuarbeiten.
24 Eine weitere weitreichende Folge des Konzepts der subjektiven Realitätskonstruktion ist die Erkenntnis, daß
Empfänger von Zeichen streng genommen keine Rückschlüsse auf die reale Existenz eines Senders ziehen können,
da sämtliche Realität und damit auch das vermeintliche Vorhandensein eines Senders möglicherweise subjektiv
konstruiert sind. Diese Problematik soll jedoch im Rahmen dieser Arbeit außer Acht gelassen werden. Weitere
Ausführung zu subjektiver Realität im Abschnitt 2.3.3
25 www.geschichte.2me.net
26 vgl. hierzu unter anderem die Anmerkungen zur Sprachdeterminiertheit des Denkens in Gipper, 1972
- 18 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Da nicht jedes Individuum bei der Informationsauswahl die identischen Prioritäten treffen kann, kann auch Wahrnehmung nicht objektiv sein. Realität muß also subjektiv sein
– jedes Individuum entwickelt aufgrund seiner subjektiven Wahrnehmung ein persönliches
Bild von der Wirklichkeit. Erfreulicherweise bilden sich in jeder Kultur dennoch Konventionen bezüglich der Wahrnehmung heraus, die intersubjektiv gelten, und die der Grund
sind, daß sich Menschen überhaupt über Realität verständigen können:
»Angehörige derselben Kultur teilen Wahrgenommenes in hohem Grade ähnlich und nach
den gleichen Prinzipien ein, nehmen die gleichen Differenzierungen und Relationen wahr,
wenn sie unter ähnlichen Bedingungen perzipieren.«27
In der eben zitierten Aussage ist jedoch auch implizit enthalten, daß verschiedene Kulturen oder Teilkulturen unter Umständen unterschiedliche Wahrnehmungskonzepte besitzen, die in bestimmten Bereichen erheblich voneinander abweichen können – was auch
zwangsläufig Auswirkungen darauf haben muß, auf was Menschen kommunikativ verweisen. Dieser Erkenntnis ist herausragende Beachtung zu schenken, möchte man – wie
im vorliegenden Fall – Unterschiede in der zeichenhaften Kommunikation gesellschaftlicher Gruppen untersuchen.
2.2.2 Zeichen und Anzeichen
Ein weiteres interessantes Phänomen ist bei der individuellen Wahrnehmung der Realität zu beobachten: Während bestimmte Wahrnehmungen gewissermaßen direkt erfolgen (ein Baum wird in erster Linie als Baum perzipiert), werden andere Wahrnehmungen
vom Rezipienten mit etwas anderem verbunden, das gegenüber der eigentlichen Wahrnehmung als vorrangig verbunden wird (Rauch steht für Feuer).28 Obwohl im letztgenannten Fall etwas (der Rauch) auf etwas anderes verweist (das Feuer), handelt es sich
hier nicht um ein Zeichen im semiotischen Sinn – schließlich ist der Rauch nicht willentlich in der Lage, das Vorhandensein von Feuer zu kommunizieren.
Um also besser zu verstehen, wann es sich bei Kommunikationsakten um zeichenhafte
Kommunikation im Sinne der semiotischen Definition handelt, gilt es in der Folge den
Begriff des Zeichens genauer einzugrenzen.
Wie bereits angedeutet, darf nicht jedem Phänomen, dem Information entnommen werden kann, zeichenhafte Bedeutung zugeschrieben werden. Eco sowie Sottong/Müller29 ha27 Sottong/Müller, 1998, S. 45
28 vgl. Sottong/Müller, 1998, S. 47
29 Eco, 1972, S. 31 ff.; Sottong/Müller, 1998, S. 47 ff.
- 19 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
ben die Unterscheidungskriterien zwischen Zeichen und ANZEICHEN, also sonstigen Phänomenen mit Informationsgehalt, wie folgt definiert:
• Im Gegensatz zu Anzeichen sind Zeichen beliebig verfügbar und
reproduzierbar; es wäre sinnlos, etwa mittels Regen kommunizieren zu
wollen, denn ein Wolkenbruch erfüllt die eben genannten Bedingungen
nicht. Um Zeichen zur Informationsübermittlung nutzen zu können,
dürfen sie nicht nur zufällig auftreten.
• Anzeichen sind von dem, auf das sie verweisen, nicht trennbar. Eine
dunkle Wolke steht für schlechtes Wetter, sie kann nicht den Weg zur
Tankstelle weisen. Zeichen hingegen sind ablösbar und unabhängig von
dem, was sie bezeichnen. Ob ein Lächeln als Zuneigungsbekundung oder
als Drohgebärde zu verstehen ist, ist einzig Folge einer kulturellen
Vereinbarung.
• Nur wenn der Zeichenbenutzer die Wahl hat, ein Zeichen zu verwenden
oder es zu unterlassen, handelt es sich um ein Zeichen im semiotischen
Sinn. Die Spur eines Hasen im Schnee ist deshalb ein Anzeichen, weil der
Hase keine Wahl hat, Spuren zu hinterlassen oder nicht. Von zeichenhafter Kommunikation ist nur bei der Wahlmöglichkeit zu sprechen,
etwas mittels Zeichen zu äußern oder nicht zu äußern.
Will man also erforschen, welchen sozialen Gehalt in einem Kommunikationsakt enthalten ist, so muß man sich auf die Analyse von Zeichen beschränken. Möglicherweise
parallel ausgesendete Anzeichen sind zu vernachlässigen, sie bergen mangels Wahlmöglichkeit, kultureller Definiertheit, sowie bewußter Reproduzierbarkeit keine soziologische
Aussagekraft.
2.2.3 Signifikant und Signifikat
Es wurde bereits angemerkt, daß das Bezeichnete im Regelfall nicht Bestandteil des
Zeichens ist; man muß nicht notwendigerweise eine Mahlzeit vor eine Gaststätte stellen,
um zu zeigen, daß dort Verpflegung erhältlich ist – eine Speisekarte erfüllt den gleichen
Zweck. Jedoch muß etwas Bezeichnendes, unabhängig von seiner Form (Geste, Buchstabe, Piktogramm etc.) immer etwas bezeichnen: Die Bedeutung ist notwendiger Teil eines
- 20 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Zeichens. Somit läßt sich ein Zeichen als Summe zweier Elemente beschreiben: des Erscheinungsbilds des Zeichens (SIGNIFIKANT) einerseits und seiner Bedeutung (SIGNIFIKAT)
andererseits.30 Wird nun beim Auftreten des Signifikanten regelmäßig eine bestimmte
Wissensmenge abgerufen, stellt diese Wissensmenge das Signifikat dar. Ein Zeichen ist
also erst dann als solches zu bezeichnen, wenn mehrere Individuen ihm die gleiche oder
zumindest ähnliche Bedeutung zuordnen:
»Erst die feste Relationierung einer bestimmten lautlich, gestisch oder bildlich realisierbaren Gestalt mit einer definierten, intersubjektiv nachvollziehbaren Bedeutung macht ein
Phänomen zum Zeichen. Die Relationierung zwischen Signifikant und Signifikat ist – wie
Saussure unterstreicht – prinzipiell willkürlich; erst durch die kulturelle Übereinkunft, was
ein Signifikant bedeutet, entsteht eine feste Verbindung zwischen Zeichen und Bedeutung.«31
2.2.4 Äußerung
In den meisten Fällen stehen Zeichen nicht alleine, sondern sind in strukturierten Kommunikationsakten miteinander verbunden, die man als ÄUSSERUNG bezeichnet. Um nun
derartige Phänomene von anderen sozialen oder biologischen Erscheinungen unterscheiden zu können, bedarf es auch hier einer genaueren definitorischen Eingrenzung:32
So ist bei Äußerungen eine Instanz anzunehmen, die dieses Phänomen produziert, um
damit etwas mitzuteilen. Wie bei Zeichen ist ein kommunikativer Zweck nur dann gegeben, wenn einerseits die Wahlmöglichkeit besteht, eine Äußerung zu produzieren oder
nicht, und andererseits A RBITRARITÄT33 gegeben ist, also die Möglichkeit, die verwendeten Zeichen durch andere zu ersetzen, also beispielsweise Lautsprache durch Gesten. Die
Produzenteninstanz muß dabei nicht individueller Natur sein, auch Institutionen können
Botschaften senden (beispielsweise das Straßenverkehrsamt mittels Verkehrszeichen). Es
ist nicht einmal notwendig, daß der vom Rezipienten angenommene und der tatsächliche
Produzent übereinstimmen. So verfassen in vielen Fällen nicht die Firmen ihre Werbebotschaften, sondern Werbeagenturen. Wesentlich ist allein, daß überhaupt ein sich willentlich äußernder Produzent existiert.34
30
31
32
33
34
vgl. Saussure, 1967, S. 79 f.
Sottong/Müller, 1998, S. 52
vgl. Sottong/Müller, 1998, S. 33 ff.
Dieser Begriff wurde von Ferdinand de Saussure eingeführt; Saussure, 1967, S. 79
»Willentlich« ist hier nicht gleichzusetzen mit »gewollt«, auch unbewußt gesendete Botschaften sind in dieser Definition eingeschlossen. Auch die Frage, ob die intendierte Botschaft beim Rezipienten in gewollter Weise ankommt,
bleibt hier unbeantwortet.
- 21 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Sobald Äußerungen komplex werden, also aus vielen Zeichen zusammengesetzt sind,
stellt sich zudem die Frage einerseits nach der inneren Struktur von Äußerungen, andererseits nach der Definition, wann eine Äußerung beendet ist und die nächste beginnt.
Sottong/Müller legen die Einheit von Äußerungen durch folgende Kennzeichen fest:35
•K OHÄRENZ DER PRODUZENTENINSTANZ: Eine abgeschlossene Äußerung
kann nur von einem Produzenten artikuliert werden. Dieser Produzent
kann auch eine Gruppe sein, soweit diese Gruppe vereinbart, etwas gemeinsam zu äussern.
• KONTEXTUELLE KOHÄRENZ: Die Einheit des Kommunikationsaktes ist
dann gegeben, wenn er innerhalb der gleichen räumlichen und/oder zeitlichen Situation beginnt und endet. Eine eindeutige Definition des Kontexts ist jedoch schwierig, da in den meisten Kulturen der Begriff »Kontext« weitgehend intuitiv definiert wird.
•K OHÄRENZ DES ADRESSATEN: Sobald der Adressat wechselt, an den die
Äußerung gerichtet ist, ist auch die Äußerung selbst abgeschlossen. Diese
Definition ist von den beiden oben genannten abgeleitet, denn wer Adressat ist, bestimmen Produzent und Kontext. Zu beachten ist auch, daß der
Rezipient einer Äußerung nicht zwangsläufig Adressat ist: Wer zum Beispiel als Klassikliebhaber einen Werbespot betrachtet, der eine neue Tech
no-CD anpreist, ist zwar Empfänger der Botschaft, aber nicht der vom
Produzenten intendierte.
Für die Beurteilung von Kommunikationsakten ist es also von Bedeutung, die von einem
Sender produzierten Zeichen zu Einheiten, sprich Äußerungen zusammenzufassen. Dieser Strukturierungsakt ist notwendig, um möglichst eindeutig Richtung, Funktion und
nicht zuletzt Intention der Botschaft zu klären.
2.2.5 Konnotation und Denotation
Obwohl ein Zeichen erst dann als solches gilt, wenn es eine für mehrere Individuen
nachvollziehbare Bedeutung hat, ist die Zuordnung zwischen Signifikat und Signifikant
nicht immer eindeutig. Jedes Signifikat eines Zeichens besitzt zwar meist eine primäre,
allgemeine Bedeutung, die man DENOTAT nennt. Allerdings existieren in den meisten
35 vgl. Sottong/Müller, 1998, S. 37 f.
- 22 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Fällen darauf aufbauend eine Menge von Zusatzbedeutungen, die als KONNOTAT bezeichnet werden.36 So bezeichnet der Begriff »Liebe« übergreifend ein Verhältnis zweier
Individuen zueinander, doch kann der Begriff unterschiedliche Bedeutungsfärbungen
enthalten: Eine Person verbindet mit ihm einen eher sexuellen Sinn, eine andere Person
bringt den Begriff mit einer emotionalen Verbindung in Zusammenhang. Die Summe aller Bedeutungsmöglichkeiten eines Signifikanten bezeichnet man dabei als SIGNIFIKATSVARIANTEN.
Vergleichbar den Wahrnehmungskonzepten, die sich innerhalb einer Kultur verhältnismäßig ähneln, tendieren auch soziale Gruppen dazu, die Bedeutung eines Zeichens ähnlich zu konnotieren. 37 Auch hier läßt die Kenntnis, welche Sinngehalte Individuen bestimmten Begriffen zuordnen, Rückschlüsse auf ihr Realitätskonzept und ihre soziale
Zugehörigkeit zu.
2.2.6 Das semiotische Dreieck
Die Saussuresche Definition der Zeichenelemente Signifikant und Signifikat hat Morris
um ein weiteres wichtiges Element ergänzt. Er stellte fest, daß ein Bezug zwischen Signifikant und Signifikat nicht denkbar ist ohne ein Individuum, das diesen Bezug herstellt –
also die Person des Zeichenbenutzers. Ein Zeichen kann nur dann für etwas stehen, wenn
diese Beziehung bewußt beziehungsweise intuitiv aufgebaut wird. Diesen Sachverhalt hat
Morris im sogenannten SEMIOTISCHEN DREIECK festgehalten.38
Der Bezug zwischen Signifikant und Signifikat wird nur durch die Aktivität eines Zeichenbenutzers hergestellt, der mittels des Zeichens auf das Bezeichnete hinweist. Die wichtige Erkenntnis daraus: Der Gebrauch von Zeichen erfordert zwingend einen Willen und
daraus folgend ein Handeln. Und da zweckfreies Handeln nicht vorstellbar ist, ergibt sich
daraus, daß Zeichenbenutzung immer ein Ziel (ob bewußt oder unbewußt) verfolgt.39
36
37
38
39
vgl. Sottong/Müller, 1998, S. 51 ff.
vgl. Maletzke, 1996
Linke et al., 1996, S. 25
Ob jedoch vom Empfänger einem Zeichen das vom Sender intendierte Signifikat zugeordnet wird, ist damit noch
nicht geklärt.
- 23 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
2.3 Zeichen als System
2.3.1 Kode und Performanz
Es ist offensichtlich, daß Zeichen alleine nicht für eine erfolgreiche Kommunikation
genügen. Erst die Einordnung der Zeichen in ein System, mit dessen Hilfe die Zeichen eines Zeichensystems geordnet, ihre Verwendung und Verknüpfung geregelt werden, lassen sich Botschaften zwischen Individuen oder Gruppen austauschen. Dieses System,
KODE genannt, enthält die Summe aller Zeichen eines oder mehrerer Zeichensysteme, die
syntaktischen Regeln für ihre Auswahl und Kombinatorik, aber auch rhetorische Regeln
oder Regeln über die Angemessenheit eines Ausdrucks.40
Im Gegensatz zur allgemeinsprachlichen Bedeutung bezeichnet ein Kode im semiotischen
Sinn nur das Regelwerk über die Benutzung von Zeichen, nicht aber die Anwendung der
Zeichen selbst. So wie der Linguist Saussure41 im sprachlichen Bereich zwischen Zeichenvorrat (LANGUE) und Zeichengebrauch (PAROLE) unterscheidet, ist dieses Prinzip für alle
semiotischen Zeichensysteme anwendbar:
Während der Kode den Zeichenvorrat und die Zeichenanwendung regelt, beschreibt die
PERFORMANZ die konkrete Realisation des Zeichenvorrats. Diese Unterscheidung ist wichtig, da Kode und Performanz nicht deckungsgleich sind – etwa bei Sprachfehlern, falscher
Rechtschreibung oder der Mißachtung sprachlicher Normen im sozialen Bereich. Einerseits kann nun eine Veränderung im Kodebereich auf die Performanz einwirken (etwa
bei einer Rechtschreibreform), andererseits kann auch eine Performanz, die wiederholt
den Kode-Regeln widerspricht, den Kode prägen. Ein fortgesetzter Regelverstoß führt
hier zu Änderungen auf der Kode-Ebene.
Diese eben genannten Erkenntnisse haben bedeutenden Einfluß auf die Beurteilung
sprachlicher Subsysteme, die vom Allgemeinstandard abweichen. Sie machen deutlich,
wie sprachliche Subkodes entstehen und sich verbreiten können. Nicht zuletzt stellen sie
ein Begriffsraster zur Verfügung, anhand dessen man einen Vergleich zwischen sprachlichen Untermengen vornehmen kann.
2.3.2 Kontext und Kotext
Neben den bisher genannten Faktoren sind »das situative, kulturelle, mediale Umfeld
einer Äußerung [...] für die Interpretation [zeichenhafter Kommunikation] nicht unwesentliche Faktoren«42 Erst wenn eine Äußerung zusammen mit ihrem KONTEXT und ihren
40 vgl. Sottong/Müller, 1998, S. 75 ff.
41 Saussure, 1967, S. 7
42 Sottong, Müller, 1998, S. 81
- 24 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
KOTEXTEN betrachtet wird, erschließt sich ihre gesamte Bedeutung, die mitunter das Gegenteil dessen sein kann, was allein sprachlich transportiert wurde.
Als Kontext wird hier die Umgebung beschrieben, in der eine Äußerung gemacht wird.
Es spielt für die Interpretation einer Äußerung eine große Rolle, wer zu wem spricht, in
welcher räumlichen Umgebung etwas geäußert wird und welche Handlungen damit verbunden sind. Auch soziale Kodes und Regeln sind dabei zu beachten. Denn es macht offensichtlich einen Unterschied, ob sich Jugendliche untereinander gewissermaßen rituell
beschimpfen (»Na, Du Arsch!«) oder dieselbe Grußformel gegenüber einem Lehrer geäußert wird.43
Neben dem Kontext sind auch Kotexte, also Äußerungen im Umfeld einer Äußerung,
für die Interpretation einer Botschaft von Bedeutung – denn meist bezieht sich eine Äußerung explizit oder implizit auf eine andere Äußerung: im einfachsten Fall, wenn etwas zitiert wird (etwa wenn ein Filmzitat weitere Assoziationen zum Filminhalt hervorrufen
soll), oder wenn im Rahmen einer Unterhaltung auf eine vorher gemachte Äußerung Bezug genommen wird. Auch eine Kombination paralleler Äußerungen, etwa ein Augenzwinkern während einer Aussage, muß als Kotext wahrgenommen und interpretiert werden, um die Bedeutung der Botschaft zu erfassen.
Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, daß jede zu analysierende Botschaft in einem
möglichst umfassenden Kontext betrachtet werden muß, um ihre (möglicherweise von der
Norm abweichende) Bedeutung erfassen zu können. Selbst wenn sich eine Kommunikationsanalyse auf einen Zeichenbereich – bespielsweise die natürliche Sprache – beschränken
sollte, darf das Umfeld der Kommunikationen nicht außer Acht gelassen werden. Ansonsten wären Fehlinterpretationen unvermeidlich.
2.3.3 Äußerung, Wissen und Realität
Die Kenntnis von Ko- und Kontext sind also unabdingbare Faktoren bei der Interpretation zeichenhafter Kommunikation. Erst sie aktivieren das »zur vollständigen Interpretation einer Äußerung relevante Wissen«.44 Und gerade weil diese Faktoren vom Wissen
der Kommunizierenden über Ort, Umstände, Vorgeschichte, Status der beteiligten Personen sowie der Kultur abhängig sind, in der etwas oder über die etwas geäußert wird,
tragen sie wesentlich zur Subjektivität bei der Ausdeutung zeichenhafter Botschaften bei.
Man kann also sagen, Kommunikation ist eng mit dem Weltwissen bzw. den Weltbildern
der Personen verknüpft, die Botschaften senden und empfangen.
43 vgl. hierzu Henne, 1986, S. 116
44 Sottong/Müller, 1998, S. 83
- 25 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Und da Kommunikation letztlich »wie indirekt auch immer, der Versuch der Verständigung von Individuen oder Gruppen über Welt«45 ist, lohnt sich ein Blick auf die Frage, in
welcher Weise sich Wissen, Realität und die darauf verweisenden Zeichen aufeinander
beziehen.
Wie bereits dargelegt wurde, ähnelt sich die Wahrnehmung der Realität innerhalb einer
Kultur in hohem Grad. Da Wissen wiederum bedeutet, Kenntnis von realen Phänomenen zu haben (sie also wahrgenommen zu haben), ist das Verhältnis zwischen Wissen
und Wahrnehmung wechselseitiger Natur.46 Schwer zu lösen ist dabei der Konflikt, daß
Wissen und Wahrnehmung sich gegenseitig voraussetzen: Wahrnehmung erfolgt im wesentlichen in Form von Kontrasten, weshalb sich eine Kultur zunächst darüber bewußt
werden muß, daß es etwas gibt, das anders ist als ihr bisheriges Wissen. Sie muß sozusagen eine eigene Klasse für das neue Phänomen finden, um zur Wahrnehmung dieser Klasse überhaupt befähigt zu sein.
Man vermutet, daß eine solche Differenzierung in Form DOPPELTER KONTINGENZ Eingang in eine Kultur findet.47 Die Voraussetzungen für eine Differenzierung sind in einer
Kultur zunächst diffus vorhanden, wird also noch nicht explizit wahrgenommen. Sobald
sich die Hinweise auf diese neue REALITÄTSKLASSE häufen, wächst die Notwendigkeit, eine Bezeichnung für sie zu finden. Und erst, wenn diese differenzierte Klasse in Form einer Äußerung gewissermaßen realisiert wird, wird sie als Wissen einer Kultur verfügbar.
Das Realitätskonstrukt verschiedener Kulturen (und im vorliegenden Zusammenhang
besonders wichtig: Subkulturen) hängt also direkt ab vom Zeichenvorrat, der einer Kultur zur Verfügung steht. Ebenso macht die wahrgenommene Realität die Schaffung spezifischer Zeichenvorräte notwendig, um soziale und situative Bezeichnungsbedürfnisse
zu befriedigen. Diese Erkenntnis ist ein wesentlicher Hinweis darauf, warum sich zwischen sozialen Gruppen sprachliche Differenzierungen ausbilden können. Diese Differenzierungen wären im weiteren Verlauf dahingehend zu analysieren, ob sie auch bewußt
zur sozialen Abgrenzung eingesetzt werden.
2.3.4 Das Referenzpostulat
Das eben skizzierte kollektive WELTWISSEN einer Kultur enthält nicht nur Wissen über
das, was es gibt, sondern auch darüber, was es nicht gibt. Demnach müssen Zeichen nicht
zwangsläufig auf die physische Welt verweisen, ja nicht einmal auf real Existierendes. Sie
können auch auf real nicht Existierendes verweisen. Durch den Zeichengebrauch auf
45 Sottong/Müller, 1998, S. 85
46 vgl. Titzman, 1998
47 vgl. Luhmann, 1984, S. 149 ff.
- 26 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Performanzebene wird klar, ob die zeichengebrauchende Kultur mit dem Zeichen auf etwas ihrer Meinung real Existierendes referiert. Je nach Realitätskonzeption der Kultur
kann ein performant gebrauchtes Zeichen in drei Arten auf die Realität verweisen, die als
REFERENZPOSTULATE beschrieben werden:48
• POSITIVES REFERENZPOSTULAT: reales Phänomen (gibt es)
• NEGATIVES REFERENZPOSTULAT: nicht reales Phänomen (gibt es nicht)
• NEUTRALES REFERENZPOSTULAT: nicht definierte Realität (unentschieden)
Ein Dissens zwischen sozialen Gruppen wird nicht selten durch unterschiedliche Referenz auf die Realität deutlich. Während Jugendliche der Äußerung »Rockmusik macht
schwerhörig« ein negatives Referenzpostulat zuordnen, ist dies bei Erziehungsberechtigten genau umgekehrt.
Eine Taktik, diesen Dissens zu umgehen, ist nun häufig der Wechsel einer Kultur auf
einen neuen Signifikanten, der einen Realitätsbereich beschreibt, der vom ursprünglichen
abweicht und ein allgemein positives Referenzpostulat erhalten soll. Diese Strategie der
Umsemantisierung ist auch in der Werbung anzutreffen. Sind beispielsweise Müsli oder
Körner bei der anvisierten Zielgruppe als »uncool« konnotiert, wird mit »Cerealie« ein
neuer Signifikant eingeführt, um zumindest eine neutrale Konnotierung zu erhalten. In
diesem Zusammenhang wird der Einfluß des Referenzpostulats auf sprachliche Subsysteme besonders deutlich: Die Art und Weise, in der soziale Gruppen einer Äußerung ein
Referenzpostulat zuordnen, ermöglicht aufschlußreiche Erkenntnisse auf die Weltsicht
dieser Gruppen. Hier wird einmal mehr die Verbindung zwischen zeichenhafter Kommunikation deutlich.
2.4 Zeichengebrauch und Gesellschaft
2.4.1 Zeichenhafte Signalisierung sozialer Gruppen
Jede differenzierte Struktur ist auf die Konstruktion von Grenzen angewiesen, auf eine
Festlegung darauf, wo ein Phänomen endet und ein anderes beginnt. Aus systemtheoretischer Sicht ist Grenzziehung die Voraussetzung sowohl für die Entstehung als auch die
Wahrnehmung von Systemen.49
48 Sottong/Müller, 1998, S. 100
49 vgl. Schlemm, 1998
- 27 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Betrachtet man Gesellschaft aus systemischer Sicht, so gilt für sie das gleiche:
»Von einem Sozialsystem – einer Gruppe, einem Stamm, einer Nation – kann sinnvoll erst
dann gesprochen werden, wenn es sich wiederholt und erkennbar von anderen in relevanten Merkmalen unterscheidet, sowohl zur Selbstverständigung nach innen als auch nach
außen hin, um Differenz zu signalisieren.«50
Wie bereits im voranstehenden Kapitel angedeutet wurde, kann Gesellschaft als deckungsgleich mit menschlicher Kommunikation betrachtet werden. Diese Annahme birgt einen
wichtigen Hinweis auf die hier diskutierten Zusammenhänge:
Da sich Gesellschaft mit Kommunikation gleichsetzen läßt, müssen folglich die Merkmale, die zur gesellschaftlichen Binnendifferenzierung führen, ebenfalls zeichenhaft repräsentiert werden. Hier läßt sich zwar einwenden, daß auch objektiv gegebene Differenzen (also Nichtzeichen, die zwar Informationen über ein Phänomen liefern, aber weder
willkürrlich verwendbar noch beliebig verfügbar sind) zur Strukturierung dienen können; schließlich unterscheiden sich Jugendliche augenscheinlich schon durch ihr Alter
von Erwachsenen. Dieses Argument arbeitet jedoch zu eingeschränkt. Schließlich kann
eine Gesellschaft Jugend erst dann als solche wahrnehmen, wenn sie das Wissen um die
Andersartigkeit dieser Gesellschaftsgruppe besitzt. Und – wie oben erläutert – entsteht
Wissen auf gesellschaftlicher Ebene erst, wenn es bezeichnet und somit kommunizierbar
wird. Semiotik ist somit gleichermaßen Abbildung sozialer Realitäten als auch Mittel zur
deren Gestaltung.51
2.4.2 Soziosemiotische Differenzierungsstrategien und Scheindifferenzierung
Durch Luhmanns Erkenntnisse werden semiotische Phänomene auch für gesellschaftliche Zusammenhänge relevant. Sämtliche semiotischen Untermengen wären nach den oben
genannten Erkenntnissen nicht nur Ausdruck, sondern konstitutives Element sozialer Differenzierung. Hier unterscheidet sich die Ansicht des Verfassers von der beispielsweise
Sottongs/Müllers, die sozialen Zeichengebrauch als Oberflächenphänomen einer – wie
auch immer gearteten – nicht-zeichenhaften Struktur der Gesellschaft betrachten. Ihre in
diesem Zusammenhang diskutierten Fragen, etwa nach dem Grad zeichenhafter Abgrenzung, sind nach Ansicht des Verfassers irrelevant, da es keinen Unterschied zwischen semiotischer und sozialer Differenz geben kann.
50 Sottong/Müller, 1998, S. 136
51 vgl. Sottong/Müller, 1998, S. 137
- 28 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Der Verfasser bestreitet nicht, daß individuelle Bedürfnisse soziologische Effekte hervorrufen können. Die Motivation nach Gruppenzugehörigkeit etwa führt durch modische Anpassung tatsächlich zum bewußten und intentionalen Gebrauch von sozialen
Zeichen. Jedoch sind solche Intentionen psychologischer und nicht sozialer Natur. Deshalb hält es der Verfasser für unbedingt notwendig, in diesem Punkt Luhmann zu folgen
und die Komplexität einzelner psychischer Systeme nicht dem Gesellschaftssystem, sondern seiner Umwelt zuzuordnen.52
Die Erforschung gesellschaftlicher Zusammenhänge mittels semiotischer Methoden sieht
sich vielmehr mit dem Problem konfrontiert, wahrnehmbare Phänomene in systeminterne
(gesellschaftlich konstituierend) und systemexterne (also der Umwelt zugehörig) Raster
einzuordnen. Die größte Schwierigkeit besteht darin, daß diese Zuordnung dynamisch erfolgt. Durch die Transformierung von Zeichen differenzierter Gruppen in die Allgemeinkultur büßen sie ihre semiotische Funktion ein, die Folgerbarkeit bestimmter Inhalte und
Bedeutungen aufgrund der Äußerung bestimmter signifikanter Elemente wird aufgelöst.
Das Zeichen wird zum Nicht-Zeichen, die Strukturierung der Gesellschaft mittels dieses
Zeichens aufgehoben. Aus dieser Sicht ist die von Sottong/Müller kritisierte Scheindifferenzierung53 nichts weiter als eine Manifestierung verringerten Informationsgehalts: Kurz
bevor ein Zeichen nicht mehr beschreibbar wird, steht es nur noch für sich selbst – Signifikant und Signifikat sind identisch.
Hier folgt die zeichenhafte Ausprägung der Gesellschaft einmal mehr systemtheoretischen Gesetzen. Um als System beschreibbar zu bleiben, muß die Gesellschaft immer
weniger Elemente zu immer komplexeren Strukturen verbinden.54 Die Folge ist eine immer weitere Spezialisierung in der Zeichenwahl sozialer Gruppen, die wiederum von der
Allgemeinheit aufgenommen, entsemiotisiert und somit erneut aus dem Zeichenvorrat
entfernt werden. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung gilt es also genauestens zu
unterscheiden zwischen Phänomenen, die auf sozialer Ebene keinen zeichenhaften Bedeutungsgehalt tragen und tatsächlichen Zeichen mit soziodifferenzierendem Inhalt.
52 vgl. Luhmann, 1984, S. 289
53 vgl. Sottong/Müller, 1998, S. 142 ff.
54 vgl. Porr, 1999, S. 19
- 29 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
2.5 Medien und Gesellschaft
2.5.1 Medien als Generator soziosemiotischer Realität
Die Medien spielen sowohl bei der Generierung als auch bei der Entsemiotisierung sozialer Zeichen eine tragende Rolle. Sie können in diesem Zusammenhang als Regelkreis
in systemtheoretischem Sinn betrachtet werden: Einerseits kompensieren sie Störgrößen
aus der Umwelt – also individualpsychologische Motivationen – indem sie diese mittels
Verbreitung neuer Zeichen in das soziosemiotische System einbinden. Andererseits sorgt
diese Verbreitung gleichzeitig für eine homöostatische Tendenz, indem der Informationsgehalt dieser Zeichen zunächst verringert und dann aufgehoben wird.
Die Frage liegt nahe, ob Werbung als fundamentaler Stützpfeiler der gegenwärtigen Medienrealität eine ebenso zentrale Rolle bei der Generierung und Modifikation soziologischer Realitäten spielt, und zwar in weit höherem Maß, als dies bisher beschrieben wurde. Während sich die gegenwärtige Forschung hauptsächlich mit der Semantisierung
käuflicher Produkte beschäftigt (beispielsweise bei der Entstehung von Dress-Kodes)55,
und angeführt wird, diese gesellschaftliche Semantisierung würde »torpediert« durch die
Semantisierungsversuche werblicher Kotexte, die die Produkte mit bestimmten Werten,
Images und Konzepten »auffüllen« sollen, zielt die Fragestellung des Verfassers in eine
andere Richtung: Dienen möglicherweise die Kotexte selbst als soziosemiotische Zeichen?
Sind in den gesellschaftlichen Alltag übernommene Äußerungen wie »Da werden Sie geholfen!«, »Alles Müller, oder was?« und dergleichen tatsächlich sozial zu verstehen oder
mangels Informationsgehalt nichtsozialen Phänomenen zuzuordnen. Es wird also im
weiteren Verlauf der Arbeit zu prüfen sein, ob es möglich ist, nicht nur Waren und Produkte, sondern vielmehr deren Umfeld (Szenen, Bilder, Sprüche) sozial zu semantisieren
und als Zeichen zu verwenden.
2.5.2 Medien und Weltwissen
Nachdem im vorhergehenden Abschnitt die Frage erörtert wurde, ob die Massenmedien
generell einen Beitrag zur soziosemiotischen Realitätsbildung leisten, soll nun diskutiert
werden, wie groß dieser Anteil sein könnte. Luhmann hat in seinem Buch »Die Realität der
Massenmedien« darauf hingewiesen, daß alles, »was wir über unsere Gesellschaft, ja über die
Welt, in der wir leben, wissen, wir durch die Massenmedien [wissen]«.56 Soweit man Luhmanns Gesellschaftsmodell ebenfalls räumlich und inhaltlich großflächig anlegt, läßt sich
55 vgl. Sottong/Müller, 1998, S. 150
56 Luhmann, 1997, S. 9
- 30 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
dem fraglos zustimmen – schließlich ist Weltwissen einer Gesellschaft definiert als Wissen,
das alle Mitglieder einer Gesellschaft teilen. Und damit Allen dieses Wissen zumindest potentiell zugänglich wird, muß es eben über einen Kommunikationskanal verteilt werden, der
wiederum Allen zur Verfügung steht: den Medien.
Nun interessiert in dieser Arbeit nicht das gemeinsame Wissen/Weltbild der Mitglieder
einer Gesellschaft, sondern die semiotische Ausdifferenzierung bestimmter Gruppen innerhalb einer Gesellschaft. Hierzu sind nun im wesentlichen drei Wege denkbar:
• Das Weltbild einer Gruppe wird durch direkte Kommunikation
innerhalb der Gruppe ausgehandelt.
• Das Weltbild wird einer Gruppe aufgeprägt durch Auseinandersetzung
mit Medieninhalten, die zwar allen Mitgliedern einer Gesellschaft zur
Verfügung stehen, aber nur von bestimmten Gruppen rezipiert werden.
• Das Weltbild entsteht – ex negativo – als bewußtes Gegenmodell zu
einem medial dargebotenen Realitätskonzept, das sowohl der sich differenzierenden Gruppe zur Verfügung steht als auch den Gruppen, von
denen sich differenziert werden soll.
In den eben genannten Punkten wird die Erweiterung des Luhmannschen Konzepts
deutlich. Zwar sind Medien potentiell jedem Mitglied der Kultur zugänglich, in der der
Kommunikationsakt getätigt wird. Jedoch muß nach Ansicht des Verfassers beachtet
werden, daß nicht alle Medien beziehungsweise Medieninhalte absolut gleichmäßig von
sämtlichen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft rezipiert werden. Wie später im Kapitel
»Soziale Gruppen und Mediennutzung« deutlich werden wird, erfolgt vorwiegend eine
Rezipierung der Inhalte durch bestimmte Zielgruppen (wenn auch gewisse Streuverluste
auftreten, sobald Medienangebote konsumiert werden, die für den Rezipienten ein negatives Referenzpostulat besitzen).
Die aktuelle Tendenz der Medienfragmentierung macht dies besonders deutlich: Immer
kleinere Gruppen mit speziellen Interessen an bestimmten Realitätsausschnitten bestätigen
ihr Realitätskonzept mit ganz auf sie zugeschnittenen Medien. Die Einbindung differenter
Gesellschaftsgruppen erweitert somit Luhmanns Modell der »Realität der Massenmedien«,
widerspricht ihm aber nicht: Ein differenziertes Weltbild wird in gesellschaftlichen Gruppen fraglos zum Teil durch ein – wiederum differenziertes – medial vermitteltes Weltbild
- 31 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
genährt. Allerdings spielt die immediat – also unmittelbar – erfahrene Umgebung eine umso
größere Rolle, je enger eine Gruppe definiert wird. Das gemeinsame Wissen etwa einer
PeerGroup ist offensichtlich nicht ausschließlich von den Medien vorgegeben, sondern
wird zu einem großen Teil von gemeinsamen Erfahrungen gespeist.
Die Frage, wie groß dieser Anteil im einzelnen ist, ist für die vorliegende Untersuchung
allerdings von untergeordneter Bedeutung.57 An dieser Stelle genügt zu wissen, daß die
(semiotische) Differenzierung gesellschaftlicher Gruppen sowohl aus medialen als auch
aus unmittelbaren Erfahrungen gespeist wird. Sie ist eine Mischung aus allen Quellen, die
weiter oben angeführt sind – mit der Tendenz, daß unmittelbare Erfahrungen umso größeren Raum gewinnen, je weniger Individuen in der untersuchten Gruppe enthalten sind.
Niemals werden jedoch unmittelbare Erfahrungen ausschließlich das Weltbild bestimmen,
und infolge dessen sollte auch die mediale Zeichenvermittlung (und damit auch die Werbung) zur gesellschaftlichen Differenzierung beitragen.58
57 Diese Frage wäre jedoch sicher für eine separate Untersuchung von Interesse.
58 Bedauerlicherweise würde es in dieser Untersuchung zu weit führen, die Frage der Zeichenhaftigkeit der Medien
an sich zu erörtern. Prinzipiell sind Medien selbst keine Zeichensysteme, sondern nur Mittel zur Übertragung von
Zeichen. Dennoch ist unbestreitbar, daß die Nutzung oder Nichtnutzung bestimmter Medien die individuelle Position im Gesellschaftssystem markiert. Interessante Hinweise hierzu gibt beispielsweise McLuhan, 2001.
- 32 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Kommunikationstheoretische Grundlagen – Das Wesentliche in Kürze:
In den vorangegangenen Ausführungen wurde nicht nur erläutert, daß gesellschaftliche Kommunikation zeichenhaft erfolgt. Es wurde auch gezeigt,
daß Gesellschaft als gleichbedeutend mit Kommunikation angesehen werden
kann. Daraus folgt: Ein unterschiedlicher Vorrat und Gebrauch von Zeichen/
Kodes ist gleichzusetzen mit sozialer Differenzierung.
Die weitere Diskussion führte wiederum zum Wissen um die kulturrelative
Bedeutung von Zeichen sowie die Erkenntnis, daß die Bedeutung eines Zeichens
einerseits mit einer (kollektiven) Wissensmenge verbunden ist und andererseits sowohl Kulturen als auch Teilkulturen unterschiedliche Wahrnehmungskonzepte besitzen. Die Schlußfolgerung daraus: Der Zeichenvorrat einer (Teil-)
Kultur ist gleichbedeutend mit dem Realitätsbild dieser (Teil-)Kultur.
Definiert man eine gesellschaftliche Gruppe als System, kann das Weltbild
beziehungsweise Realitätskonzept einer Gruppe als Maßstab zur Unterscheidung verschiedener Gesellschaftsgruppen dienen. Auch hier läßt sich sagen, daß
der Zeichengebrauch soziale Differenzierung nicht nur abbildet, sondern – da
Zeichenvorrat und Wissensmenge identisch sind – soziale Differenzierung ist.
Allerdings führt erst die Performanz, die konkrete Realisation des Zeichenvorrats, zur Entstehung/Verbreitung sprachlicher Subkodes. Der Vergleich von
Kode und Per formanz ist somit ein wichtiges Hilfsmittel zur Abgrenzung zwischen Gruppensprachen und sprachlichem Allgemeinstandard.
Die Wissen, daß nur dann ein Phänomen differenzieren kann, wenn es sich
dabei um ein Zeichen handelt, führte weiterhin zur Notwendigkeit einer schärferen Eingrenzung des Zeichenbegriffs. Es handelt sich bei Phänomenen nur
dann um Zeichen, wenn sie (im Gegensatz zu Anzeichen) beliebig verfügbar
und reproduzierbar, arbiträr, sowie frei in ihrer Verwendung oder Nichtverwendung sind. Diese Einteilung in Zeichen und Nichtzeichen ist vor allem deshalb
notwendig, da ursprünglich zeichenhafte Phänomene aufgrund gruppenübergreifender Verwendung ihr Signifikat verlieren und dadurch ihre Zeichenhaftigkeit einbüßen können.
- 33 -
B. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNGEN
2. KOMMUNIKATIONSTHEORIE
Zuletzt konnte erörtert werden, daß die Realität gesellschaftlicher Gruppen
wesentlich durch die Medien geformt wird. Und da nicht alle Gesellschaftsgruppen die gleichen Medieninhalte rezipieren, sorgen die Medien für eine differenzierte Ausgestaltung der Weltbilder verschiedener Gesellschaftsgruppen.
Diese Differenzierung muß sich wiederum zeichenhaft manifestieren, und
deshalb sollte sie sich im Sprachgebrauch von Gruppen nachweisen lassen.
In Verbindung mit dem Wissen um die semiotische Relevanz von Kontexten
und Kotexten ist es zusätzlich naheliegend, daß auch sämtliche medialen
Kon- und Kotexte, und damit auch die Werbung, gesellschaftlich differenzierend wirken.
- 34 -
C. Theoretische Konzeptionen
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1.
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
Soziosprachliche Aspekte
Die voranstehenden Abschnitte haben gezeigt, daß auch innerhalb einer
Gesellschaft voneinander unterscheidbare Strukturen erkennbar sind und diese Struktur nach den in dieser Arbeit herangezogenen Theorien durch Kommunikation sowohl manifestiert als auch beschreibbar wird. Das folgende Kapitel
soll nun klären, wie soziale Differenzierung mittels Sprache konkret funktioniert
und welche sprachlichen Werkzeuge und Strategien dazu angewendet werden.
Welche sozialen Aufgaben kommen der Sprache zu und wie werden diese
sprachlich transportiert? Und nicht zuletzt stellt sich folgende Frage: Wie können soziale Sprechakte wissenschaftlich analysiert und beschrieben werden?
1.1 Grundüberlegungen
1.1.1 Aufgaben der Soziolinguistik
Sprache ist das vielseitigste, machtvollste und auch komplizierteste Kommunikationsinstrument, das wir kennen. Erst durch die Sprache ist es möglich, Gedanken, Pläne und
Intentionen nach außen zu tragen und damit mehreren Individuen gemeinsam zielgerichtetes Handeln zu ermöglichen. Nicht zuletzt deshalb wird die Tatsache, daß wir Sprache
haben, im Selbstverständnis vieler Gesellschaften als das entscheidende Kriterium des
Menschseins gesehen.
Doch Sprache leistet noch entscheidend mehr. Wie bereits in den voranstehenden Kapiteln gezeigt werden konnte, ist Sprache nicht nur Werkzeug für die Entstehung und Entwicklung sozialer Strukturen. Sie ist vielmehr ein wesentlicher Teil der Zeichensysteme,
mit deren Hilfe sich Gesellschaft manifestiert. Gesellschaft ist Kommunikation, und wer
Sprache untersucht, untersucht gleichermaßen jene Aspekte der Gesellschaft, die sich in
diesem Zeichensystem offenbaren. Wie Sprache und Sozialität zusammenhängen, ist Untersuchungsgegenstand der Soziolinguistik.
Erste Bemühungen, soziale Zusammenhänge aus linguistischer Sicht zu betrachten, sind
in den sechziger und siebziger Jahren auf die Soziologen Bernstein und Labov zurückzuführen.59 Die Arbeiten beider Forscher enthalten entscheidende Hinweise darauf, daß Unterschiede im Sprachgebrauch mit gesellschaftlichen Strukturen in Verbindung gebracht
59 vgl. Bernstein, 1972; Labov, 1980
- 36 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
werden können. Und da gesellschaftliche Strukturen aus mehr als nur sozioökonomischen
Milieus bestehen, rückten mit fortschreitenden Erkenntnissen der Soziolinguistik neben
vertikalen Schichtungsmerkmalen viele außersprachliche Kennzeichen der Gesellschaft
in den Blickwinkel des Interesses: Faktoren wie Alter, Geschlecht, Status oder Größe der
Gesprächsgruppe wurden bezüglich ihres Einflusses auf den Sprachgebrauch hin untersucht.
Im Zentrum des aktuellen Interesses steht heute die Forschungsperspektive, unter der
Sprache nicht mehr als Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen gesehen wird, sondern
vermehrt danach gefragt wird, wie bestimmte Sprachformen die soziale Identität gesellschaftlicher Gruppen konstituiert und stützt.60
1.1.2 Wechselwirkungen zwischen Sozialität und Sprachgebrauch
Zeichensysteme wie die Sprache sind also Inhalt und Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen zugleich. Erste Hinweise, warum sich der Sprachgebrauch sozialer Gruppen voneinander unterscheidet, haben bereits die vorliegenden Untersuchungen zur Semiotik geliefert: Mitglieder einer Gruppe gleichen sich in ihrer Fähigkeit, bestimmte Phänomene
ähnlich wahrzunehmen, mehr als nicht zu dieser Gruppe gehörende Individuen. Infolge
dessen unterscheiden sich die Weltbilder verschiedener Gruppen mehr oder weniger stark
voneinander, und es müssen somit in jeder sozialen Entität unterschiedliche Begriffe gefunden werden, um individuelle Ausdrucks- und Bezeichnungsnotwendigkeiten zu befriedigen:
»Das soziale So-Sein von Menschen, ihre spezifischen Lebensbedingungen und die kommunikativen Anfordernisse, die sie zu bewältigen haben, nehmen Einfluß auf ihr Sprechen. Dieser Einfluß erfolgt in dem Maße, daß sich Sprechende in dem gemäß der spezifischen Bedingungen ihres So-Seins sprachliche Formen kreieren [...], die ihre spezifischen
Aufgaben lösen, weil sie gerade zu diesem Zweck entworfen worden sind.«61
Ebenso ist nach Coulmas Sprache kein
»abstraktes, von den Bedingungen seiner Entstehung und Verwendung abgelöstes System,
sondern ein Instrument der Kommunikation, dessen systematische Eigenschaften es als ein
Mittel der intersubjektiven Verständigung und gesellschaftlichen Kooperation tauglich sein
60 vgl. Linke et al., 1996
61 Augenstein, 1998, S. 6
- 37 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
lassen, [wobei davon auszugehen ist], daß zwischen den kommunikativen Bedürfnissen jeder einzelnen [...] gesellschaftlichen Gruppe und den sprachlichen Mitteln, derer sie sich bedient, ein Zusammenhang besteht.«62
Gruppensprachliche Äußerungen sollten also als Phänomene betrachtet werden, die der
Realisierung ganz bestimmter Kommunikationsbedürfnisse dienen. Aber dadurch fließen
in die Sprache auch die ganz spezifischen Wissensbestände und Weltbilder ein, auf die diese Gruppe aufbaut. Der Alltag einer sozialen Gemeinschaft manifestiert sich in der Sprache, die somit die Unterschiede im Leben verschiedener Gruppen zeichenhaft verdeutlicht.
Somit differenzieren sich soziale Gruppen bereits aufgrund ihrer jeweiligen Bezeichnungsnotwendigkeiten. Doch daneben wird Sprechen im soziolinguistischen Sinn auch als
eine sozial intentionengeleitete Handlungsform verstanden.63 Schließlich ist das Bedürfnis
nach Gruppenzugehörigkeit ein zentraler Faktor im menschlichen Motivationsspektrum;
und wie könnte es besser als sprachlich gelingen, diese Gruppenzugehörigkeit sowohl innerhalb einer Gruppe als auch nach außen zu verdeutlichen? Wenn ein Jugendlicher zu einem anderen »Das ist echt megadef!« sagt, versucht er allein aufgrund seiner Wortwahl zu
erfahren, ob sich sein Gegenüber ebenfalls für Rap-Musik interessiert, also zu seiner Gruppe gehört oder nicht. Hier verfolgt Sprache also direkt ein soziales Ziel.
Noch eine dritte soziale Dimension läßt sich der Sprache zuweisen: Sprache verweist
ebenfalls auf den Sprechenden selbst als soziales Wesen: Jemand, der die Bezeichnung
»antifaschistischer Schutzwall« anstatt »Berliner Mauer« verwendet, beschreibt damit
auch gleichzeitig seine Position im politischen Spektrum.
1.1.3 Sprachfunktionen
Die Verwendung von Sprache ist also nicht nur als Mittel zur Informationsübertragung
im Sinne von »Dies ist ein Baum« zu verstehen. Diesem INHALTSASPEKT, nämlich dem
Gegenüber Informationen zu übermitteln, ist immer ein BEZIEHUNGSASPEKT beigefügt,
der das soziale Gerüst beschreibt, in dem diese Aussage gemacht wurde.64 Jede Sprechhandlung verfügt – in wechselnder Gewichtung – über soziale und nicht-soziale Aspekte.
Und es ist zu beachten, daß nichts ausgedrückt und über nichts gesprochen werden kann,
ohne zugleich Aussagen über sein Weltbild und die spezifische Beziehung zum Kommu62 Coulmas, 1981, S.8
63 vgl. Augenstein, 1998, S. 7
64 Watzlawick et al., 1990, S. 53ff.
- 38 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
nikationspartner zu machen; bereits eine einfache Aussage wie etwa »Herr Ober, ich möchte zahlen« enthält soziale Informationen, zum Beispiel über das Über- und Unterordnungsverhältnis der Kommunikationspartner.
Besonders deutlich geraten die eben beschriebenen Aspekte in den Blick, wenn man sie
in Bühlers O RGANON-MODELL einbindet. In diesem Modell ist beschrieben, welchen
Zweck und welche Funktion Sprachhandlungen haben können. Der Gebrauch von Sprache verfolgt demnach folgende Zwecke:65
•A USDRUCKSFUNKTION: etwas über sich selbst zu sagen
•D ARSTELLUNGSFUNKTION: auf Dinge und Sachverhalte der inneren und
äußeren Welt referieren
•A PPELLFUNKTION: eine Aufforderung an den Kommunikationspartner
richten
Nach Bühler sind bei jeder zeichenhaften Äußerung alle drei Funktionen gleichermaßen
beteiligt, wobei fast immer eine Funktion dominiert. Aus soziolinguistischer Sicht spielt
die Ausdrucksfunktion naturgemäß eine besonders große Rolle, da sie immer gebraucht
wird, wenn der Sprecher seine soziale Position beschreiben möchte. Durch die Markierung seiner Äußerungen mit gruppentypischen Spracheigenheiten verdeutlicht der Sprecher, wie er sich und seine Welt im Verhältnis zum Kommunikationspartner sieht (in den
folgenden Abschnitten wird darauf intensiv eingegangen werden).
Doch auch wenn die Ausdrucksfunktion für die Soziolinguistik von besonderer Bedeutung ist, übertragen appell- und darstellungsfunktionale Äußerungen ebenfalls wichtige
soziale Informationen. Erstere sind immer dann von Bedeutung, wenn verschiedene Gruppen miteinander konfrontiert sind und ihre Positionen mittels Sprache aushandeln. Letztere verweisen, wie bereits eingehend beschrieben, auf das Weltbild und die Wahrnehmung einer sozialen Gruppe.
Um also für die vorliegende Untersuchung die soziologischen Aspekte von Sprechhandlungen genauer erkennen und besser von den Inhaltsaspekten abgrenzen zu können, soll
im Folgenden den eben erwähnten Sprachfunktionen eine intensivere Betrachtung zuteil
werden.
65 vgl. Bühler, 1982, S. 28 ff.
- 39 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1.2
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
Ausdrucksfunktion von Sprache
1.2.1 Ausdrucksfunktion als Hinweis auf soziales Selbstverständnis
Jede Sprachgemeinschaft – wie etwa die Gemeinschaft der Deutschsprechenden – bildet
eine Spange über verschiedene gesellschaftliche Gruppen, genannt seien zum Beispiel Angler, Stadtbewohner, Konservative, Arbeiter oder eben auch Jugendliche. Weil diese sich
voneinander unterscheiden, ist – wie bereits ausführlich erörtert – Sprache für sie nicht in
der gleichen Form brauchbar. Um ihre spezifischen Bedürfnisse kommunizierbar zu machen, entwickeln die Gruppen unterschiedliche sprachliche Formen.
Allerdings dient Sprache nicht nur zur Befriedigung kommunikativer Bedürfnisse. Sprache ist auch und vor allem identitätsbildend: Die Art wie jemand spricht zeigt, wie er denkt
und wie er die Welt wahrnimmt. Das soziale So-Sein spiegelt sich also nicht nur im sprachlich-kommunikativen Handeln wider, vielmehr wird es dadurch erst erzeugt. Die Weise,
mit der ein Individuum sein Vokabular, seine Lexik, seine Aussprache einsetzt, verweist
auf sein soziales Selbstverständnis und wo er seine Position in der Gesellschaft sieht: Ein
Mensch, der von »Blume« statt von »Hasenschwanz« spricht, zeigt allein durch seine
Wortwahl, daß er als Jäger erkannt werden will. Diese Art des Sprechens nennt man
SOZIALSYMBOLISCHE
EXPRESSIV
Sprachverwendung. Hier
MARKIERT
der Sprecher seine Äußerung
mit Zeichenelementen, die sozial verstanden werden sollen, und drückt damit
etwas über sein soziales Selbstverständnis aus.
Die eben beschriebene Anwendung der sprachlichen Ausdrucksfunktion – also die Funktion, mit der der Sprecher etwas über sich selbst äußert – ist aus soziolinguistischer Sicht
eine mehr als wesentliche Sprachfunktion. In ihr tritt das soziale Selbstverständnis des
sich Äußernden am deutlichsten in den Vordergrund: Sprecher machen durch die Art ihres Sprechens immer auch Aussagen darüber, wer oder was sie sind – und zwar nicht nur
individualpsychologisch, sondern auch hinsichtlich ihrer Sozialität. Die Ausdrucksfunktion ist deshalb die zentrale Kategorie für die Analyse von Gruppensprachen, weil in der
OutGroup-Kommunikation gruppensprachliche Äußerungen immer expressiv markiert
sind.
1.2.2 Soziale Symbolisierungsverfahren durch sprachliche Variation
Soziale Symbolisierungsverfahren kommen also durch die expressive Markierung einer
Sprachhandlung mittels spezifischen Formen des Sprechens zustande – eine Variation der
allgemein anerkannten und damit unmarkierten Sprache wird zur Symbolisierung der
- 40 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
sozialen Zugehörigkeit herangezogen. Die Markierung kann dabei durch räumlich bestimmte Varianten des Sprechens erfolgen (Dialekte), durch den Faktor soziale Herkunft
(Sprachniveaus) oder – und dies interessiert für die vorliegende Arbeit besonders – aufgrund sozialer Gruppenzugehörigkeit gebildeter Sprechstile.66
Gruppensprachen lassen sich dabei als spezifische Formen des Sprechens beschreiben,
die als besonders und typisch für das Sprechen dieser Gruppen angesehen werden.67 Ein
Finanzbeamter wird eine gelungene Steuererklärung niemals als »geil« bezeichnen und
ein Pazifist ein »Kriegsopfer« nicht als »weiches Ziel«.68 Selbst wenn solche Begriffe ursprünglich aufgrund von Bezeichnungsnotwendigkeiten innerhalb einer Gruppe entstanden sind, werden die Sprachvarianten immer mehr oder weniger eindeutig einer sozialen
Gruppe zugeordnet. Innerhalb dieser Gruppe wird diese Sprechart als WE-KODE erkennbar, für Außenstehende markiert er als THEY-KODE die Nichtzugehörigkeit zu dieser
Gruppe. Die sprachliche Variation einer Gruppensprache steht in der Folge als zeichenhafter Verweise für diese Gruppe: entweder, indem der Sprecher sich selbst als Mitglied
der Gruppe ausweist oder, wenn er kein Mitglied dieser Gruppe ist, indem er durch den
Gebrauch der Sprachvariation auf die Gruppe an sich verweist.69 Die Variation macht die
Gruppe auf sprachlicher Ebene erkennbar beziehungsweise konstituiert diese erst, indem
sie sie zeichenhaft erkennbar macht.
1.2.3 Soziale Marker
Das Besondere an SOZIALEN MARKERN ist, daß ein Sprecher immer die Wahl hat, ob er
sie benutzt oder nicht. Er entscheidet, ob er sich in einer Art äußert, die dem Kontext nach
erwartbar und angebracht ist – dies wird als unmarkierte Form des Sprechens bezeichnet
– oder ob er seine Ausdrucksweise markiert, weil seine Art des Sprechens im gegebenen
Kontext nicht erwartbar ist.70 Und wenn er dies tut, steht praktisch immer die (vielleicht
auch unbewußte) Absicht dahinter, das soziale Selbstverständnis des Sprechers darzustellen.
Durch die Wahl einer markierten Form erfolgt also sozialsymbolisches Handeln. Sie
drückt die individuelle Disposition des Sprechenden und seine soziale Herkunft und Zugehörigkeit aus. Für die Interagierenden sind sprachliche Markierungen zudem eine wich66 vgl. Coseriu, 1988, S. 25. ff.
67 vgl. Augenstein, 1998, S. 18
68 Auch wenn die Unterschiede im Vokabular am greifbarsten werden, erfolgt – wie im Verlauf der Arbeit noch
deutlich werden wird – eine Differenzierung der Sprechstile nicht allein durch den Wortschatz.
69 Hier wird ansatzweise bereits deutlich, wie wichtig der außersprachliche Kontext für das Verständnis einer Äußerung ist. Ob der Gebrauch einer Gruppensprache als We- oder They-Code zu verstehen ist, bestimmt allein der
Kontext, ob nämlich der Sprecher dieser Gruppe zugehörig ist oder sich die Gruppensprache nur leiht.
70 vgl. Scotton, 1988, S. 200
- 41 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
tige Hilfe. Sie dienen dazu, das komplexe Umfeld zu kategorisieren und zu strukturieren,
indem spezifische Marker mit spezifischen Sprechergruppen verbunden werden. Weil
der Sprecher mit den Markierungen auf seine soziale Gruppe und dadurch auch auf sein
Wertegebäude verweist, kann mit ihrer Hilfe das Verhalten der Interaktionspartner in gewissem Maß vorhergesagt und somit Kontrolle über die Interaktionssituation erlangt
werden.71
Sprachliche Marker sind also als soziale Marker interpretierbar, denn ein regelmäßiges
Auftreten von Markern führt zu einem spezifischen Sprechstil einer Gruppe, der sowohl
innerhalb als auch außerhalb der Gruppe mit ihr identifiziert wird. Marker treten – um
gut erkennbar zu sein – relativ isoliert auf und verweisen, allgemein gesprochen, auf den
Status der Gruppe.72 Sie können Gruppenmitgliedschaft symbolisieren und Ausgrenzungen intendieren, oder aber Annäherungen und Solidaritätsbekundungen zum Ziel haben
– beispielsweise wenn Werbung Jugendsprache verwendet, um bei der Zielgruppe ein
Sympathiegefühl zu erreichen.
Soziale Marker werden also immer gebraucht, um etwas über die jeweilige Gruppe auszudrücken. Damit sind sie Teil der Ausdrucksfunktion, selbst wenn sie ursprünglich aufgrund spezifischer Bezeichnungsnotwendigkeiten innerhalb der Gruppe entstanden sind.
Da aber eine Gruppe im besonderen durch die spezifische Art ihres Sprechens identifiziert wird beziehungsweise selbst die expressive Markierung nutzt, um beispielsweise
Zugehörigkeit darzustellen, sind diese expressiven Marker für die Untersuchung von
Gruppensprache von besonderer Bedeutung.
1.3 Darstellungsfunktion von Sprache
1.3.1 Die soziolinguistische Bedeutung der Darstellungsfunktion
Wenn auch die Ausdrucksfunktion besonders wichtig ist für die soziale Markierung, ist
sie nicht allein zuständig für die soziolinguistische Beschreibung einer Sprache. Für ein
Zeichensystem wie die Sprache ist das Referieren auf Dinge und Sachverhalte, die durch
die DARSTELLUNGSFUNKTION beschrieben werden, ebenfalls von Bedeutung. Sie erst ermöglicht überhaupt ausdruckshaftes Denken, weil mittels Referenzen Dinge bezeichnet
werden können, ohne daß sie physisch vorhanden sind.73 Außerdem, und dies macht die
Darstellungsfunktion für die vorliegende Untersuchung interessant, kann Sprache auch
auf die innere Welt des Sprechers referieren.
71 vgl. Giles et al., 1979, S. 352 f.
72 vgl. Augenstein, 1998, S. 21
73 vgl. Bühler, 1969, S. 101 ff.
- 42 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
Durch die Selbstreferenz kann der Sprecher seine Innenwelt, sein Wertegebäude oder
auch sein Wissenspotential zeichenhaft vermitteln, und zwar, indem er direkt darüber
spricht. Während also die Ausdrucksfunktion die Innerlichkeit des Sprechers durch die
Art und Weise des Sprechens wiedergibt, wirkt die Darstellungsfunktion direkt, indem
durch sprachliche Darstellung auf die innere Disposition referiert wird. Hier spricht man
auch von KOMMUNIKATIVER SPRACHFUNKTION.
Darstellungsfunktion hat also direkt mit Informationsvermittlung zu tun, wodurch wieder der Zusammenhang mit den bereits beschriebenen subjektiven Wissenskonzepten
verschiedener sozialer Gruppen in den Blick kommt. Diese Wissensmengen manifestieren sich in sprachlichen Phänomenen, die man als Gruppenfachsprachen bezeichnen
kann, und auf die im Folgenden etwas genauer eingegangen werden soll.
1.3.2 Gruppensprache als Fachsprache
Wenn Gruppen innerhalb sozialer Gemeinschaften auf unterschiedliche Wissenskonzepte verweisen, ist es aufgrund des untrennbaren Bezugs zwischen Wissens- und Sprachvorrat unbedingt notwendig, auch spezifische sprachliche Formen hervorzubringen und
zu gebrauchen. Denn die Notwendigkeit, zeichenhafte Referenzen aufzubauen, hängt
direkt mit der Erfordernis zusammen, auf Dinge und Sachverhalte zu verweisen, die für
die Mitglieder sozialer Gruppen von besonderer Bedeutung sind und die sich mittels anderer Sprechweisen nicht realisieren ließen. Auf diese Weise bilden sich in sozialen Gruppen fachsprachliche Elemente heraus, die gewissermaßen das EXPERTENWISSEN dieser
Gruppe beschreiben.
Die fachsprachlichen Elemente führen dabei zu keinem vollständig ausgebildeten sprachlichen System, ebenso wie es sich bei der Fischersprache oder dem Jägerlatein um keine
eigene Sprache handelt. Vielmehr begründen diese Gruppenfachsprachen SPRACHSTILE,
die auf den Grundlagen einer Standard- oder (bei Gruppensprachen) einer Umgangssprache basieren und die durch ergänzende Ausdrucksweisen erweitert werden. Diese
Ausdrucksweisen sind zwar vorwiegend sachlich dominiert, weisen aber eben auch starke sozialsymbolische Komponenten auf, wobei beide Komponenten stark miteinander
verbunden sind:
»Auch dort, wo ganz eindeutig die nötige sachliche Differenzierung eine Sprache hervorruft, [schafft] diese doch zugleich soziale Differenzierungen.«74
74 Bausinger, 1986, S. 120
- 43 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
Bezeichnungsnotwendigkeiten führen also zu speziellen Signifikant-Signifikat-Verbindungen. Und da, wie bereits in den kommunikationstheoretischen Grundlagen erläutert,
nichts bezeichnet werden kann ohne jemanden, der es bezeichnet, verweist der Signifikant
ebenso auf den Bezeichnenden selbst. Verschiedene Gruppen mit spezifischen Bezeichnungsnotwendigkeiten bilden ihre eigenen sprachlichen Formen heraus, die man mit
Recht als kommunikative Marker einer Gruppe bezeichnen darf.
Solche Marker äußern sich naturgemäß im differenzierten Wortschatz einer Gruppe.
Die Gruppe versucht, ihre Wirklichkeit möglichst treffend wiederzugeben und diese Wiedergabe möglichst sprachökonomisch zu gestalten.75 Somit ist die Absicht für den Gebrauch der Fachsprache (im Gegensatz zur Ausdrucksfunktion) vorwiegend zweckbegründet und nicht sozialer Natur. Eine solche Fachsprache wird vorwiegend innerhalb
einer Gruppe gebraucht und hier auch nicht als sozialsymbolische Markierung verstanden.76 Ein OutGroup-Zuhörer hingegen, der an einer InGroup-Kommunikation mit fachsprachlichen Elementen teilhat, erkennt sehr wohl eine soziale Komponente in einem solchen Gespräch. Ihm gibt die verwendete Fachsprache Informationen über diejenigen, die
sie verwenden. Somit führt also ebenfalls das Erfüllen reiner Bezeichnungsnotwendigkeiten zu sozialer Differenzierung auf sprachlicher Ebene, die es ebenfalls zu beachten und
von den bewußten sozialen Markern zu unterscheiden gilt.
1.3.3 Zitate als Referenz
Eine weitere Art von Referenz sind Redeerwähnungen oder Zitate, deren Verwendung
im sozialen Gefüge ebenfalls eine nicht geringe Rolle spielen. Denn die richtige Verwendung und Entschlüsselung von Zitaten setzt einen gemeinsamen Fundus an Weltwissen
voraus. Wird ein Zitat angebracht, gibt es demnach zwei Möglichkeiten: Entweder setzt
der Sprecher voraus, daß der Kommunikationspartner über ein vergleichbares Weltwissen verfügt und somit sozial in einer gleichen oder ähnlichen Gruppe anzusiedeln ist, oder
er testet genau dies mittels Verwendung des Zitats (»Kennst Du Schiller, dann gehörst Du
zur gleichen Bildungsgruppe wie ich«).
In der InGroup-Kommunikation fällt diese soziale Funktion nicht weiter auf. Hier wird
Weltwissen in großem Maß geteilt, und Zitate dienen eher dazu, Gesagtes als authentisch
auszuweisen, Bewertungen abzugeben (etwa beim Nachäffen) oder um gemeinsame (meist
mediale) Erlebnisse wiederaufleben zu lassen und die Kommunikationspartner mittels
dem Zitat als ATTENTION GETTER in diese Erlebnisretrospektive zu involvieren.77 Doch
75 vgl. Augenstein, 1998, S. 45
76 Es sein denn, die Fachsprache wird bewußt zur Ausgrenzung der Person genutzt, an die sie gerichtet ist.
77 vgl. Augenstein, 1998, S. 61
- 44 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
läßt sich auch hier vermerken, daß die kommunikativen Funktionen des Zitats sich nicht
völlig von ihren sozialen trennen lassen. Sie zeigen an, welche medialen Ereignisse innerhalb der Gruppe als wichtig anzusehen sind, und daß man als Mitglied dieser Gruppe gut
daran tut, diese Ereignisse ebenfalls zu kennen.
Zitate verweisen auf Weltwissen und damit auch auf ein Weltbild, dem der Zitierende je
nach Kontext wahlweise zustimmt oder das er ablehnt. Wer etwa den Werbespruch »Da
werden Sie geholfen!« mit positivem Referenzpostulat verwendet, drückt damit auch aus,
daß er der Ansicht »Geringe Bildung verhindert nicht persönlichen Erfolg.« prinzipiell
aufgeschlossen gegenüber steht. Deshalb dienen Zitate immer auch der sozialen Rollenaushandlung, in der es geklärt wird: »Das bin ich, und wer bist Du?«
1.4 Appellfunktion von Sprache
1.4.1 Sprechen verfolgt Ziele
Neben den bereits beschriebenen Funktionen von Sprache, nämlich etwas über sich
auszudrücken oder mittels Referenz auf die nichtsprachliche Welt etwas darzustellen,
verfolgt Kommunikation auch das Ziel, eine Aufforderung an den oder die Kommunikationspartner zu richten. Dieser Appell geschieht, um sozusagen die Realität zu verändern,
sie den Bedürfnissen des Sprechers anzupassen: Wer die Bemerkung »Es zieht« in den
Raum stellt, erwartet, daß eine der im Raum befindlichen Personen das Fenster schließt.
Mithin kann der Gebrauch von Sprache also zum Ziel haben, das Verhalten oder die Disposition des Kommunikationspartners zu beeinflussen.
Auf sozialer Ebene bedeutet dies: Die Kommunizierenden signalisieren, wie sie sich
verstanden wissen wollen, sie verhandeln über ihr Image oder fordern den anderen auf,
sich anzunähern, zu distanzieren oder sich mit dem Sprecher zu solidarisieren. Gerade
im Hinblick auf die Werbesprache ist die Appellfunktion von ausgewiesener Bedeutung,
schließlich bedeutet Werbung in ihrem Kern nichts anderes als ein Appell an die Zielgruppe, ihr Verhalten oder ihre Einstellung zu ändern. Besonders interessant ist deshalb
in diesem Umfeld die Untersuchung werblicher Solidarisierungsversuche mittels Sprache. Doch auch im soziolinguistischen Kontext ist die Appellfunktion auf keinen Fall
vernachlässigbar, wie im Folgenden deutlich werden wird.
- 45 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
1.4.2 Distanzierung und Solidarisierung mittels Sprache
Das zentrale Anwendungsgebiet soziosprachlicher Appelle liegt in der Binnenstrukturierung der Sprachgemeinschaft, die wiederum eigentlich psychologisch motiviert ist. In
seinem Motivationsmodell beschreibt Maslow, daß die soziale Anerkennung durch den
Kommunikationspartner sowie das Aufrechterhalten der sozialen Identität zu einer Steigerung des positiven Selbstwertgefühls führt.78 Mit anderen Worten: Die Zugehörigkeit
zu einer Gruppe und die Möglichkeit, dies auch nach außen darzustellen, gehört zu den
zentralen Zielen menschlicher Individuen.
Dieses Ziel kann erreicht werden, indem Menschen, sobald sie sich als Mitglieder einer
bestimmten sozialen Gruppe wahrnehmen, auch andere Menschen oder Situationen nach
der Wertestruktur der Gruppe beurteilen – und zwar überwiegend nach den Wertestrukturen, die zur Unterscheidung der jeweiligen Gruppen von anderen besonders relevant
sind.
Wer also Benehmen, Kleidung oder etwa tabuisierte Bereiche wie Sexualität als besonders wichtig erachtet, hat zur sozialen Differenzierung das besondere Bedürfnis, gerade
diese Themen zu thematisieren.79 Und dadurch, daß gerade solche kritischen Wertevorstellungen zeichenhaft verdeutlicht werden, wird diese Differenzierung sogar weiter verstärkt und sorgt in der Folge für die gewünschte und positiv empfundene gesellschaftliche Strukturierung.80 Das Ansprechen von Themen und Gebrauchen von Ausdrücken,
die der Gesprächspartner tabuisiert, läßt sich also direkt als sozialer Distanzierungsappell
verstehen.
Doch im Gegenzug zur Distanzierungsbemühung ist auch die sprachliche Signalisierung von Annäherungswillen feststellbar, indem beispielsweise ein Individuum der OutGroup bewußt Themen und Ausdrücke anwendet und zur Sprache bringt, die eigentlich
aufgrund seiner sozialen Stellung nicht von ihm erwartbar sind. Dies könnten etwa die
Eltern sein, die durch die Übernahme von Jugendjargon Interesse an den Themen ihres
Nachwuchses bekunden oder auch der an eine jugendliche Zielgruppe gerichtete Werbespot, der durch die Übernahme von Szeneausdrücken Solidarität zur Erlebniswelt der Jugendlichen bezeugt.
78 vgl. Maslow et al., 1977
79 Diese Tendenzen werden mehr oder weniger deutlich, je nachdem, ob es sich um Gespräche handelt, die primär
intergruppal geführt werden (also bezüglich Themen, die für die jeweiligen Wertesysteme von besonderer Bedeutung sind) oder aber interpersonal (bei Themen, die unabhängig vom Gruppenbezug geführt werden). Hierbei
zeigt sich, daß Gespräche umso mehr intergruppal bestimmt sind, je deutlicher Wertevorstellungen in Gesprächen
thematisiert werden.
80 vgl. Augenstein, 1998, S. 74 ff.
- 46 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
Nehmen Interagierende die Konvergenzbemühungen Anderer wahr, fühlen sie sich anerkannt, da der Gesprächspartner ihnen auf sprachlicher Ebene Zugeständnisse macht,
also durch die Wahl sprachlicher Markierung Zugeständnisbereitschaft signalisiert. Im
– vom Sprecher intendierten – Idealfall fühlt sich der Zuhörer als sozial attraktiv eingeschätzt und neigt eher dazu, dem Sprecher allgemein zuzustimmen.81
Allerdings wird vom Zuhörer auch interpretiert, welche Motive und Ziele hinter der
sprachlichen Solidaritätsmarkierung stehen könnten. Führt die Interpretation zu dem
Schluß, daß die Solidaritätsbekundung nicht ernst gemeint ist oder Ziele verfolgt, die mit
dem Weltbild des Kommunikationsteilnehmers nicht vereinbar sind, so wird nur das Gegenteil des Erhofften erreicht: anstatt die Statusasymmetrie zu überwinden, wird sie nur
auf zeichenhafter Ebene reproduziert.82
Im Gegensatz zum Distanzierungsappell ist also der Solidaritätsappell ein durchaus delikates Unterfangen – besonders im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung. Wenn
Jugendliche nämlich tatsächlich Eigenheiten der Werbesprache in ihren Jargon einbinden
sollten, setzt dies voraus, daß die werblichen Solidaritätsappelle einerseits mit dem Wertgebäude der angesprochenen Jugendlichen vereinbar sind und sie andererseits Bereiche
ansprechen, die von der Zielgruppe als besonders relevant eingeschätzt werden. Andernfalls entfällt für sie die Notwendigkeit, sie als Referenz in ihren Sprachschatz aufzunehmen.
1.5 Sprachfunktionen im Zusammenspiel
1.5.1 Sprachstile und Sprachvarietäten
Die Anwendung sozialer Sprachfunktionen führt, wie bereits erläutert wurde, zu sprachlichen Varianten, die Gruppensprachen sowohl untereinander als auch im Verhältnis zur
Standardsprache unterscheidbar machen. Im Gegensatz zu anderen, nicht sozial intendierten Sondersprachen weisen Gruppensprachen eine wesentliche Besonderheit auf, deren Kenntnis bei der Untersuchung solcher Sprachstile durchaus wichtig ist. Während
nämlich Sprachvarietäten – räumliche Sondersprachen wie Dialekte oder Milieusprachen,
die einer bestimmten sozialen Schicht zuzuordnen sind – unwillkürlich gebraucht werden, läßt sich der Gebrauch von Gruppensprache bewußt wählen.83 Dialekte und Milieusprachen dienen weder spezifischen Ausdrucksbedürfnissen noch werden sie mit dem
Ziel sozialer Differenzierung gebraucht. Sie können zwar auch zur Strukturierung eines
81 Dieser Mechanismus läßt sich ebenfalls auf die werbliche Anwendung übertragen, denn das soziale Wissen eines
Kommunikationsteilnehmers, daß der Kommunikationspartner aufgrund des Zugeständnisses auf sprachlicher
Ebene eine Belohnung erwartet, funktioniert auch auf medialer beziehungsweise werblicher Ebene.
82 vgl. Giles, 1982, S. 257 ff.
83 vgl. Augenstein, 1998, S. 105 ff.
- 47 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
Sprachraums herangezogen werden – aber nur in einem räumlichen oder schichtspezifischen, nicht aber in einem sozialen Sinn.
Eine Gruppensprache hingegen wird verwendet oder eben nicht, abhängig davon, welches Ziel eine Sprechhandlung hat. Dies unterscheidet sie von anderen Sprachvarianten.
Sie ist willkürlich einsetzbar, und genau dies führt zu ihrer Interpretierbarkeit im semiotischen Sinn. Sie verweist auf die Gruppe, weil ihre Nutzer (also sowohl Sender als auch
Empfänger) sich kulturell darauf verständigt haben, daß sie für eben diese Gruppe steht:
Soll etwas über die Gruppe ausgedrückt werden, kann dafür Gruppensprache verwendet
werden. Spielt die soziale Struktur in einem Gespräch hingegen keine Rolle oder soll diese Struktur nicht zum Ausdruck kommen, so wird auf den sozial intendierten Gebrauch
von Gruppensprache verzichtet.
Wenn nun mittels Gruppensprache die Darstellung des eigenen Images und eine Aushandlung der eigenen Position im Verhältnis zu dem oder den Gesprächspartnern erfolgen soll, geschieht dies mittels eines sprachlichen Grundgerüsts, das standardsprachlich,
umgangssprachlich oder auch soziodialektal sein kann, zu dem ergänzend sprachliche
Marker hinzukommen, die für die Gruppe von besonderer Bedeutung sind. Erst diese
Marker, und nur diese, spiegeln das individuelle Weltbild der Gruppe wider und wirken
als sprachliches Gruppenabzeichen. Nicht zuletzt deshalb sollte man Gruppensprachen
weniger als eigene Sprache oder SPRACHVARIETÄT bezeichnen, sondern vielmehr als
SPRACHSTIL:
»Insofern mit Stil im Rahmen sozialer Handlungszusammenhänge sprachliche und nichtsprachliche Merkmale und Strukuren gemeint sind, die von den Interagierenden methodisch verwendet und interpretiert werden, ist damit eine linguistische Einheit ausgemacht,
deren Interpretation die Rekonstruktion der in einer kommunikativen Situation wirksamen sozialen Verhältnisse verlangt. [Dem gegenüber stehen] die regionalen, sozialen, situativen und zum Beispiel gruppenspezifischen Varietäten, die man isoliert voneinander
und aus der klassifizierenden Perspektive des Wissenschaftlers als linguistische Subsysteme
idealisieren und losgelöst von der konkreten Verwendungssituation beschreiben kann.«84
Die Konsequenz daraus: Werden bei einer Sprachhandlung Abweichungen im Hinblick auf die Standardsprache (im vorliegenden Fall: hochdeutsch) ausgemacht, hat dies
nicht zwangsläufig einen gruppensprachlichen Hintergrund, sondern möglicherweise einen schichtspezifischen oder räumlichen. Der Maßstab für die Isolierung gruppensprach84 Selting/Hinnenkamp, 1989, S. 5
- 48 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
licher Elemente ist also nicht der Vergleich mit standardsprachlichen Äußerungen, sondern mit Sprachhandlungen, die nicht gruppenspezifisch motiviert sind. Die Betrachtung
von Besonderheiten in Syntax, Semantik, Lexik und Intonation greift zu kurz, wenn
nicht die Willkürlichkeit im Gebrauch dieser Besonderheiten in die Untersuchung mit
einbezogen wird. Der reine Vergleich der Parole-Ebene mit der Langue-Ebene würde
zwangsläufig in die Irre führen. Erst wenn zusätzlich Vergleiche zwischen unterschiedlichen Parole-Ebenen angestellt werden, die sozial intendierte und neutrale Gesprächssituationen miteinander vergleichen, lassen sich soziolinguistisch relevante Daten herausfiltern. Eine derartige Untersuchung sollte also auch möglichst genau die kontextuellen
Umstände einer Sprachhandlung erfassen, um zu erkennen, welche sprachlichen Besonderheiten unabhängig von bestimmten Situationen bestehen und welche von den Sprachhandelnden erst aufgrund bestimmter Kontexte gewählt werden.
1.5.2 Dualität sozialer und kommunikativer Sprachfunktionen
In den voranstehenden Kapiteln konnte herausgearbeitet werden, daß Sprache niemals
ausschließlich der Vermittlung von Informationen dient. Neben dieser kommunikativen
Funktion enthält sprachliches Handeln immer auch eine soziale Komponente, mit der
sowohl die Charakterisierung des Sprechenden selbst als auch die Positionierung der Gesprächspartner untereinander festgelegt wird. Um diese Festlegungen zu erreichen, werden folgende Sprachfunktionen genutzt:
•A USDRUCKSFUNKTION: Beschreibung sozialer Zugehörigkeit durch die
Art des Sprachgebrauchs
•D ARSTELLUNGSFUNKTION: Referenzielle Darstellung der inneren Disposition und des soziales Weltwissens
•A PPELLFUNKTION: Signalisierung von sozialer Abgrenzung oder
Angleichung durch abweichendes oder kooperatives Sprachverhalten
Diese Funktionen existieren nicht isoliert voneinander, sondern beschreiben die Gesamtmenge der sozialen Sprachfunktionen, die in jeder sprachlichen Äußerung zu finden
sind. Innerhalb dieses Koordinatensystems bewegen sich sämtliche sozial getätigten
Äußerungen – keiner Äußerung kann eine Funktion alleine zugesprochen werden. Um
also die sozialen Intentionen einer Sprachäußerung zu extrahieren, ist man gezwungen,
- 49 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
diese Äußerung gewissenhaft auf die enthaltenen Funktionen zu untersuchen und eventuell dominierende Funktionen zu extrahieren, damit ihr sozialer Gehalt treffsicher bestimmbar wird.
Ein zusätzliches Problem in der sozialen Sprachanalyse ergibt sich dadurch, daß Äußerungen nie alleine sozial intendiert sind, sondern immer auch kommunikative Informationen transportieren. Dies erschwert es zusätzlich, die verschiedenen Funktionen aus einer Äußerung zu extrahieren und zu entscheiden, ob eine Sprechhandlung kommunikativ
oder sozial dominiert wird. Sie hängt vom Kontext und besonders von der spezifischen
Konstellation zwischen Sprecher, Adressat sowie Empfänger ab. Dennoch läßt sich allgemein sagen, daß markierte Sprachhandlungen, die in einer OutGroup-Konstellation empfangen werden, praktisch immer sozial dominiert sind, gleichgültig, ob der Adressat der
InGroup oder OutGroup zugehörig ist. In einer InGroup-Konstellation hingegen dominieren die kommunikativen Funktionen. Für die anstehende Untersuchung soziosprachlicher Mechanismen beim jugendlichen Gebrauch von Werbesprache ist somit festzustellen, daß gruppenübergreifende Kommunikation immer eine Abbildung sozialer Realitäten
enthält und somit grundsätzlich soziale Funktionen erfüllt. Es ist also unabdingbar, die
jeweiligen Gruppenkonstellationen in einer soziolinguistischen Untersuchungssituation
zu kennen und zu berücksichtigen, um die Intention einer Sprachhandlung beurteilen zu
können.
1.5.3 Umsetzung sozialer Sprachfunktionen durch Sprachmarker
Eine Sprachhandlung ist umso stärker sozial dominiert, je mehr sie sich von einer allgemein anerkannten normalsprachlichen Form unterscheidet. In der Realität ist jede Äußerung weitgehend auf normalsprachlichen Regeln aufgebaut, die von gruppensprachlichen
Elementen durchbrochen, sprich markiert werden. Ein wichtiger Hinweis auf die sozialen Funktionen ist demnach immer dann gegeben, wenn in einer ansonsten unmarkierten
Sprachhandlung eine Markierung zu entdecken ist. Die Suche nach solchen Markierungen ist somit das wichtigste Element soziolinguistischer Analysen.
Es sind zwei Arten sozialer Marker zu unterscheiden. Bei der ersten Art handelt es sich
um Marker, die von der Gruppe für soziale Sprachfunktionen entwickelt wurden und
auch bewußt zur gesellschaftlichen Differenzierung eingesetzt werden. Aber auch Sprachhandlungen, die für den Sprecher nicht sozial markiert sind, können in der OutGroupKommunikation soziale Markierung annehmen, indem sie den Sprecher als Mitglied einer bestimmten Gruppe ausweisen: Das jugendsprachliche Denotat des Worts »geil« gilt
- 50 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
beispielsweise in der InGroup-Kommunikation als fachsprachliche Bewertung und wird
verwendet, weil andere Bewertungen dem jugendlichen Sprecher nicht angemessen erscheinen. Wer aber ohne weitere Hinweise auf das Alter eines Sprechers diese Sprechhandlung beobachtet, schließt aufgrund der kontextuellen Verwendung von »geil« intuitiv auf die Jugendlichkeit des Sprechers.
Ein Fehlschluß wäre es jedoch, aufgrund von expressiven Markern in einer Sprachhandlung zu schließen, der Sprecher sei in jedem Fall Mitglied der entsprechenden sozialen
Gruppe. Schließlich können auch Individuen der OutGroup sich diese sozialsymbolischen Markierungen zu eigen machen, um beispielsweise Distanzierung oder Kooperationsbereitschaft zu signalisieren. Der Signifikant einer gruppensprachlichen Äußerung ist
also die Gruppe selbst, und nicht der Sprecher als Mitglied dieser Gruppe. Wird ein Marker gebraucht, verweist er zunächst allein auf die Gruppe und auf ihre Wissensmengen,
Weltbilder und ihre Position in der Gesamtgesellschaft. Ob eine Identifikation mit diesen Werten erfolgt, hängt ausschließlich von den jeweiligen Kon- und Kotexten ab. Wie
schon bei der Frage, ob eine Sprachhandlung sozial oder kommunikativ dominiert ist,
läßt sich auch die Frage nach der Intention beim Gebrauch eines Markers nur durch eine
Analyse der Sprecher-Adressat-Empfänger-Konstellation klären. Erst wenn bekannt ist,
wer zu der Gruppe gehört, auf die per Sprachmarker verwiesen wird, kann das soziale
Konnotat der Äußerung dechiffriert werden.
- 51 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
Soziosprachliche Aspekte – Das Wesentliche in Kürze
Jede Sprechhandlung verfügt in wechselnden Anteilen über soziale und nichtsoziale Aspekte, genauer: einem Inhaltsaspekt, mit welchem dem Gegenüber
Sachinformationen vermittelt werden und einem Inhaltsaspekt, der das soziale Gefüge beschreibt, in dem eine Aussage gemacht wurde. Um beide Aspekte zu transportieren, nutzt sprachliche Kommunikation drei Funktionen:
• AUSDRUCKSFUNKTION: um etwas über sich zu sagen
• DARSTELLUNGSFUNKTION: um auf Dinge und Sachverhalte zu referieren
• APPELLFUNKTION: um eine Aufforderung an den Kommunikationspartner zu richten
Die Ausdrucksfunktion wird für die soziale Selbstbeschreibung eines Individuums genutzt, indem sein soziales Selbstverständnis durch die Art des Sprechens und der Wortwahl deutlich wird. Die gruppentypische Sprechweise durchbricht dabei an bestimmten Stellen die standardsprachliche Form, die an diesen
Stellen gruppentypisch markiert wird.
Die Darstellungsfunktion hingegen referiert explizit auf das soziale Selbstverständnis, indem sie es (auch unbewußt) thematisiert. Die Darstellungsfunktion ist immer auf lexikalischer Ebene zu finden, indem auf einen differenzierten, fachsprachlichen Gruppenwortschatz zurückgegriffen wird. Auch Zitate
aus der realen und medialen Welt können Darstellungsfunktion übernehmen,
da sie auf das gruppeninterne Weltwissen mit positivem Referenzpostulat verweisen.
Die Appellfunktion dient im soziolinguistischen Kontext immer als Aufforderung an den Kommunikationspartner, eine bestimmte Position im sozialen Gefüge einzunehmen. Realisiert wird dies durch soziale Distanzierungs- oder
Annäherungsappelle. Es werden sozial markierte Spracheigenheiten genutzt,
um beispielsweise Einverständnis mit der Gruppe zu erklären oder um deutlich zu machen, daß der Kommunikationspartner aus dieser Gruppe ausgeschlossen ist.
- 52 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
1. SOZIOSPRACHLICHE ASPEKTE
Alle genannten Sprachfunktionen und die in ihnen transportierten Sach- und
Beziehungsaspekte sind in jeder Äußerung in wechselnder Gewichtung enthalten – keine Funktion tritt isoliert auf. Für eine soziolinguistische Untersuchung
von Jugend- und Werbesprache müssen also geeignete Techniken gefunden
werden, um zielsicher soziale Sprechaspekte von nicht-sozialen zu isolieren und
um die sozialen Ziele einer Äußerung erkennbar zu machen.
Ein wesentliches Merkmal von Gruppensprachen im Verhältnis zu anderen
sozial differenzierbaren Spracheinheiten ist die Tatsache, daß gruppensprachliche Elemente je nach Kontext verwendet oder vermieden werden können. Für
die Untersuchung von Gruppensprachen bedeutet dies: Es reicht nicht, die
Langue-Ebene einer Sprache mit der in der Gruppe angetroffenen Parole zu
vergleichen. Vielmehr muß die Parole in verschiedenen sozial relevanten Kontextsituationen bestimmt und miteinander verglichen werden. Dabei sind die
Sprachhandlungen auf gruppensprachliche Markierungen zu untersuchen, die
die normalsprachliche Form durchbrechen. Weiterhin ist zu klären, ob diese
sprachlichen Marker
• in einer reinen InGroup-Situation verwendet wurden und somit als
fachsprachliche Referenz zu betrachten sind beziehungsweise in der
Ausdrucksfunktion Zugehörigkeit zu dieser Gruppe beschreiben
• in einer InGroup-OutGroup-Kommunikation verwendet wurden: dies
deutet auf einen Appell oder auf eine Beschreibung der
Gruppenzugehörigkeit nach außen
• in einem reinen OutGroup-Kontext genutzt werden, um – allgemein
gesprochen – auf die Gruppe als solche zu verweisen
Die in diesem Kapitel gewonnenen Erkenntnisse liefern somit wichtige
Beiträge bei der Konzipierung einer Untersuchungssituation und geben deutliche Hinweise darauf, auf welche Sprachelemente zu achten ist, um die sozialen Bestandteile einer Sprechhandlung zu isolieren.
- 53 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2.
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
Sprachliche Differenzierungsmethoden
Auf den folgenden Seiten soll geklärt werden, welche sprachlichen Werkzeuge für soziale Differenzierungsleistungen herangezogen werden können.
Es ist zu fragen, inwieweit hier die Kenntnis der Bedeutung von Äußerungen
für die vorliegende Arbeit eine Rolle spielt und wie mittels gruppenspezifischer Signifikatszuweisungen soziale Differenzierung erreicht werden kann.
Weiterhin ist zu klären, ob sich auf grammatischer Ebene ein vergleichbares
Potential für die soziale Differenzierung ergibt und wie in diesem Bereich Differenzierungsleistungen erreicht werden.
2.1 Zur Unterscheidbarkeit von Sprachleistungen
In den voranstehenden Kapiteln konnte der Verfasser aufzeigen, daß aus systemtheoretischer Sicht gesellschaftliche Differenzierung dann stattfindet, wenn diese Differenz
– unter anderem sprachlich – kommuniziert und vermittelt wird. Folgend gilt es nun zu
klären, wann sich ein Sprachstil von einem anderen unterscheidet und in welcher Form
sich sprachliche Differenzierungsleistungen äußern können.
Sehr offensichtlich ist sprachliche Differenzierung allgemein im Bereich der LEXIK und
GRAMMATIK: Werden in einer sozialen Gruppe Wörter oder bestimmte sprachkombinatorische Varianten verwendet, die sich von den gemeinsprachlichen unterscheiden, so ist
dies soziolinguistisch verhältnismäßig einfach zu beschreiben. Weitere Differenzierungsleistungen finden auf PRAGMATISCHER EBENE im Bereich der Sprachanwendung statt, wie
sie im Kapitel »Soziosprachliche Aspekte« bereits festgehalten wurden. Hier bewirken
bestimmte situative Faktoren den Einsatz sozial motivierter Sprachfunktionen.
Auch im Bereich der PHONETIK sind soziale Unterscheidungsmomente zu finden: Menschen verwenden je nach Kontext unterschiedliche Stimmlagen, soziale Milieus sind an
verschiedenen Sprechgeschwindigkeiten und Dialekte unter anderem an ihren Sprachmelodien und Betonungen erkennbar. Nicht zuletzt können im Bereich der SEMANTIK unterschiedliche Haupt- und Nebenbedeutungen einer Äußerung auf soziale Differenzierung hinweisen.
- 54 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
All diese Bereiche, aus denen eine Sprache aufgebaut ist, tragen also in unterschiedlicher
Kombination und in verschiedenen Gewichtungen zur Unterscheidbarkeit von Sprachleistungen bei. Nachfolgend sollen mit den Bereichen Semantik, Lexik und Grammatik
nun jene Sprachebenen ausführlicher erörtert werden, bei denen eine sozial motivierte
Übernahme aus dem werbesprachlichen Bereich möglich scheint.
2.2 Semantische Differenzierungsleistungen
2.2.1 Bedeutungsdifferenz als Mittel sozialer Differenzierung
Im Kapitel »Kommunikationstheoretische Grundlagen« wurde bereits ausgeführt, daß
eine zeichenhafte Äußerung immer aus drei Elementen besteht: erstens dem Zeichen, das
gemäß dem Grundsatz »aliquid stat pro aliquo« für etwas in der außersprachlichen Welt
steht, zweitens dem Bezeichneten, auf das dieses Zeichen referiert, sowie drittens dem
Individuum oder der Gruppe, die dieses Zeichen benutzt. Die Verbindung zwischen dem
Zeichen und dem Bezeichneten ist dabei keine direkte, sondern erfolgt immer über den
Umweg des Zeichenbenutzers, der das Zeichen verwendet, um eben auf das Bezeichnete
zu verweisen.
Diese Tatsache wird greifbar, sobald man die Konnotationen bestimmter Lexika betrachtet. Im allgemeingesellschaftlichen Kontext etwa sind die Wörter »stark« oder »geil« zunächst einerseits ein Synonym für »kräftig« und ein Ausdruck sexueller Erregung. Andererseits stellen beide ein jugendsprachliches Mittel zur sprachlichen Bewertung von
Dingen oder Sachverhalten dar. Letztere Bedeutungsvariante wiederum ist auch der Gesamtgesellschaft bekannt und wird – wenn sie in dieser Bedeutungsnuance verstanden
wird – als sprachliches Kennzeichen für Jugendlichkeit angesehen.
Was Zeichen bedeuten, ist also abhängig sowohl von demjenigen, der das Zeichen kommuniziert, als auch von dem, der es rezipiert – die Bedeutung ist somit kulturrelativ. Daraus folgt, daß sich die Bedeutung von Zeichen auch zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft unterscheiden kann – und aus diesem Grund sind auch Bedeutungsunterschiede von Zeichen gemäß der systemtheoretischen Gesellschaftstheorie
Luhmanns eine Differenzierungsleistung.
2.2.2 Konnotationen als fachsprachliches Stilelement
Wesentliche Elemente dieses Modells der soziolektalen und stilistischen Bedeutungsvarianten sind die Begriffe DENOTATION und KONNOTATION:
- 55 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
»Mit Denotation ist der Kern einer Wortbedeutung gemeint, mit Konnotation eine – sozial,
individuell oder sonstwie gebundene – Überlagerung dieses denotativen Kerns mit Bedeutungsaspekten, Gefühlswerten und anderem.«85
Neben dem begrifflichen Bedeutungskern existieren somit teilweise entscheidende Nebenbedeutungen. Selbst wenn also Ausdrücke in ihrer Kernbedeutung synonym sind,
können die semantischen Relationen, unter anderem sozial bedingt, entscheidend differieren. Und genau diese Differenz kann, wenn sie bei einer gruppenübergreifenden Kommunikationssituation auftritt – als wesentlicher Hinweis auf differierende Wahrnehmungsund Wertewelten der Kommunikationsteilnehmer eingeschätzt werden: Das sprachliche
ÖKONOMIEPRINZIP besagt, daß Sprache dazu tendiert, ihren kommunikativen Zweck mit
möglichst einfachen Mitteln zu erfüllen.86 Gleichbedeutende Zeichen sind somit ein unnötiger Luxus.
Existieren solche Zeichen oder Ausdrücke, werden sie gewöhnlich im Lauf der Zeit mit
unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen. Genau dies geschieht vor allem im darstellungsfunktionalen Bereich, in dem Alltagsbegriffe mit vager Synonymie aufgegriffen und
mit dem Ziel größerer sprachlicher Differenziertheit unterschiedlich verwendet werden.
Auf Gruppenebene führen diese eingeschränkten Bedeutungsfelder zu gruppensprachlichen Elementen mit fachsprachlichem Charakter, die im Gegenzug wiederum kennzeichnend für genau diese Gruppen sind.
2.2.3 Offene und verdeckte Bedeutungsdifferenz
Gruppenspezifische Bedeutungen einer Äußerung sorgen auf zwei verschiedene Arten
für eine soziolinguistische Differenzierung: Einmal ist die gruppenspezifische Bedeutung
der OutGroup nicht bekannt. Dies führt beispielsweise bei gruppenübergreifenden Kommunikationssituationen oft zu Mißverständnissen, wenn etwa das »krasse Konzert« von
Jugendlichen positiv, von Eltern jedoch negativ konnotiert wird. Allerdings ist eine solche Äußerung bei außergruppaler Nichtkenntnis der Bedeutung ungeeignet, um mit ihr
zeichenhaft auf die Gruppe als solche zu verweisen.
Dies wird erst dann möglich, sobald die gruppenspezifischen Bedeutungen einer Äußerung auch der jeweiligen OutGroup bekannt sind. Will man nämlich mittels solcher Bedeutungsdifferenzen auf die Gruppe referieren, so muß bei der OutGroup ein Wissen da85 Linke et al., 1996, S. 153
86 vgl. Linke et al., 1996, S. 154
- 56 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
rüber existieren, daß die Äußerung von der InGroup anders denotiert oder konnotiert
wird und daß der Gebrauch der gruppenspezifischen Bedeutung zum Ziel haben kann,
auf die jeweilige Gruppe zu referieren.
Für die vorliegende Arbeit ist allein der zweite Mechanismus von Bedeutung. Denn nur
für den Fall, daß die Werbesprache bereits bekannte Zeichenelemente mit spezifischen
Bedeutungsgehalten auflädt und diese Bedeutungsgehalte wiederum im gesellschaftlichen
Kontext mit bestimmten sozialen Gruppen in Verbindung gebracht werden, würde eine
solche Semantisierung auch gesellschaftlich differenzierend wirken. Sind hingegen werbespezifische Bedeutungsgehalte nur der InGroup bekannt, referieren diese – wenn überhaupt – nur auf die Werbemaßnahme, der sie entnommen wurden, nicht aber auf die
Gruppe, die sie verwendet.
2.2.4 Situationskontexte
Neben der direkten Signifikatszuweisung, die ein Zeichen enthält, spielen für das Erkennen der Bedeutung einer zeichenhaften Äußerung auch AUSSERSPRACHLICHE ELEMENTE
eine wichtige Rolle. Daß Kon- und Kotext bestimmte semantische Konnotationen bis
hin zur völligen Bedeutungsumkehr enthalten können, war bereits mehrfach Inhalt der
vorliegenden Arbeit. Praktisch jede Äußerung enthält Merkmale, die sich auf die Situation beziehen, in der sie erfolgt. Der Hörer muß diese Elemente unter Einbeziehung der
entsprechenden Situationsmerkmale dekodieren; sonst ist er nicht in der Lage, die Äußerung richtig zu interpretieren.
Selbstverständlich sind diese Kontexte nicht allein gleichbedeutend mit der Raum-ZeitSituation, in der die Äußerung erfolgt. Auch das gemeinsame Wissen der Kommunikationspartner über im Vorfeld Kommuniziertes, über allgemeine Konventionen, Meinungen,
sprich: alles, was Sprecher und Hörer als gemeinsam gegeben betrachten, ist in die Bedeutungsanalyse mit einzubeziehen.87 So spielt beispielsweise bei dem TV-Slogan »Ja, is’
denn heut scho’ Weihnachten?« nicht allein der Bedeutungsgehalt des Satzes an sich eine
Rolle; er wird vielmehr ergänzt um die Tatsache, daß der Satz von Franz Beckenbauer geäußert wurde. Damit findet auch das gesamte Image der Person Beckenbauer Eingang in
die Interpretation der Äußerung und muß deshalb für den Fall, daß diese Äußerung in einem gruppensprachlichen Umfeld verwendet wird, ebenfalls beachtet werden.
Aus nachvollziehbaren Gründen ist es niemals möglich, sämtliche Kontextelemente eines Kommunikationsaktes zu erfassen. Dennoch sollte beim Bemühen um die Beschreibung von Äußerungsbedeutungen wenigstens versucht werden, möglichst alle relevanten
87 vgl. Lyons, 1995, S. 422
- 57 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
Kontextelemente in die Analyse mit einzubeziehen. Die folgenden Hinweise sollen zunächst für einige kontextuelle Phänomene eine gewisse Sensibilisierung schaffen – eine
ausführliche Beschreibung semantischer Analysewerkzeuge folgt in einem eigenen Kapitel.
2.2.5 Bedeutung durch Wahlmöglichkeit
Ein wichtiges kontextuelles Element wird bei der Betrachtung der WAHLMÖGLICHKEIT
deutlich: Ein Sprachakt hat umso größere Bedeutung, je mehr Äußerungsvarianten bei
einer Kommunikationshandlung zur Verfügung stehen.88 Ist hingegen das Vorkommen
einer Äußerung vollständig durch den Kontext bestimmt, transportiert sie keine Information – sie ist bedeutungslos.89 Im sozialen Kontext heißt dies: Besäße etwa eine Person
keine andere sprachliche Bewertungsmöglichkeit als den Ausdruck »phatt«, wäre sein Gebrauch nicht sozial interpretierbar. Erst die Möglichkeit, statt diesem Ausdruck einen anderen zu verwenden, gibt Individuen die Möglichkeit, sich sprachlich von anderen abzugrenzen.
Natürlich ist ein solcher Extrempol in der kommunikativen Realität kaum jemals zu finden – fast immer existieren sprachliche Markierungsvarianten, die eine linguistische Differenzierungsmöglichkeit zulassen. Vielmehr ist im Rahmen der Wahlmöglichkeit zu beachten, in welchen Nuancen zwischen »unwahrscheinlich« bis »vorausgesetzt« im jeweiligen Kontext spezifische Äußerungen erwartbar sind.
Ist die Wahlmöglichkeit beispielsweise sehr gering, und wählt ein Sprecher dennoch eine im Kontext nicht erwartete Äußerung, ist die Bedeutung dieser Äußerung entsprechend
hoch – sie wird zu einer kommunikativen (und möglicherweise sozialen) Markierung der
Sprachhandlung. Tauchen solche unerwartbaren Äußerungen auf, sind sie bei einer soziolinguistischen Analyse entsprechend zu würdigen, da sie möglicherweise sehr starke
Signale für eine gesellschaftliche Differenzierung bieten.
Jedoch ist in diesem Zusammenhang zu beachten, daß an sich identische Äußerungen in
verschiedenen Kontexten auch unterschiedliche Markierungsqualitäten besitzen: Das Wort
»nur« bei einer Preisauszeichnung im werblichen Kontext hat aufgrund seines häufigen
kontextuellen Vorkommens so gut wie keine Bedeutung; wird eine solche Preisauszeichnung hingegen in Zitierform etwa von Jugendlichen – und somit in einem unerwartbaren
Kontext – verwendet, ist darin wahrscheinlich ein Attention Getter zu finden, der eben
diesen Brauch der Preisankündigung ironisiert. Die Bedeutungshaftigkeit eines Ausdrucks
88 vgl. Lyons, 1995, S. 423
89 Diese Erkenntnis macht sich die Informatik zunutze, indem sie die Vorkommenswahrscheinlichkeit von Zeichen
zur Komprimierung von Computerdateien nutzt.
- 58 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
innerhalb eines bestimmten Kontexts kann somit nicht unreflektiert in einen anderen
übertragen werden.
2.2.6 Relevanz nichtsprachlichen Verhaltens
Auch nichtsprachliches Verhalten besitzt eine besondere kon- und kotextuelle Relevanz
für die Bedeutung einer Äußerung. Sprachliche Kommunikationsakte gehen immer Hand
in Hand mit unterschiedlichsten Intonationen, Mimiken und Gesten. Eine Äußerung
kann höflich, lässig, verächtlich, herablassend gemacht werden.90 Ein Sprachakt, begleitet
von gestenhaften »Gänsefüßchen«, transportiert das Gegenteil des Ausgesprochenen, ein
besonders lautes, aber emotionsloses Lachen bisweilen nur, daß der Lachende einen Witz
eigentlich gar nicht lustig findet.
Besondere Bedeutung im Rahmen dieser Arbeit findet diese Tatsache nicht zuletzt beim
sprachlichen Verweis auf gruppentypische Werte mittels Gruppensprache. Die außersprachlichen Kotexte, die beispielsweise ein nicht zur Gruppe gehörendes Individuum beim
Verwenden der jeweiligen Gruppensprache einsetzt, machen deutlich, ob der sprachlich auf
diese Gruppe Verweisende mit diesen Werten sympathisiert oder eben nicht.
Es würde den Rahmen sprengen, auch nur beispielhaft auf die vielfältigen Möglichkeiten einzugehen, die der Kontext außersprachlicher Begleitäußerungen bietet. Deshalb soll
an dieser Stelle nur der Hinweis gegeben werden, daß nichtsprachliches Verhalten auf keinen Fall bei der Bedeutungsanalyse vernachlässigt werden darf. Nur so ist einigermaßen
sichergestellt, den semantischen Inhalt treffend zu erfassen. Eine exemplarische Technik
zur Kontextstrukturierung wird nachfolgend im Rahmen der Forschungsbeschreibung
vorgestellt werden.
2.2.7 Bedeutung grammatischer Funktionen
Im Vorgriff auf den folgenden Abschnitt soll bereits an dieser Stelle ein kurzer Hinweis
auf die Tatsache gegeben werden, daß der Kombination lexikalischer Einheiten mittels
der Grammatik ebenfalls eine Bedeutung im semantischen Sinn zukommt.
Wie bereits auf der lexikalischen Ebene gilt auch hier der Grundsatz, daß »Bedeutung
haben Wahlmöglichkeit voraussetzt«.91 Wenn ein Satz nur auf eine einzige Weise gebildet
werden kann, dann ist der grammatischen Konstruktion selbstverständlich keine semiotische Bedeutung zuzuschreiben. Doch bereits die Möglichkeit des Verschiebens von Satz90 Die Relevanz nichtsprachlicher Kontexte versucht man, im Internet-Chat durch die Verwendung sogenannter
Emoticons wie :-) zu imitieren; dies zeigt deutlich, daß diese außersprachlichen Hinweise auf Bedeutungsinhalte
für die Kommunikation von großem Wert sind.
91 Lyons, 1995, S. 447
- 59 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
elementen (»Ich bin doch nicht blöd!«, »Doch blöd bin ich nicht!«), die Wahl zwischen
Substantiv oder Verb (»Die Abgabe der Steuererklärung«) oder auch zwischen Aktiv und
Passiv (»Cäsar wurde ermordet«, also der Ermordete als Handlungssubjekt) sorgen dafür,
daß die grammatische Ebene vom Kommunizierenden semantisch nutzbar wird.
Auch hier gilt, daß einer grammatischen Funktion umso größere Bedeutungshaftigkeit
zukommt, je unwahrscheinlicher ihr Auftreten – besonders im jeweiligen Kontext – ist.
Wer in einem normalsprachlichen Umfeld in ‚beamtendeutsche‘ Satzkonstruktionen verfällt, der wird diese spezielle Art der Syntax und Flexion wahrscheinlich nutzen wollen,
um seiner Aussage einen besonders imperativen und offiziellen Charakter zu verleihen.
Die Markierung von Sprachakten kann somit auch durch den Einsatz bestimmter grammatischer Strukturen erfolgen, die – je weniger sie im entsprechenden Kontext erwartbar
sind – eine Sprachhandlung mit möglicherweise auch sozialen Funktionen anreichern und
von denen nachfolgend die wichtigsten erläutert werden sollen.
2.3 Grammatik als soziales Werkzeug
2.3.1 Abgrenzung zwischen grammatischen Regeln und Grammatikanwendung
Seit ihren Ursprüngen bis in die jüngste Vergangenheit wurde die Grammatik als Inbegriff einer Lehre vom Regelhaften in klar normativer Absicht betrieben. Grammatik hatte den Zweck, Regeln über die Verwendung von Sprache aufzustellen, an die sich ihre
Benutzer halten sollten:
»In unserem von der Schule [...] geprägten Alltagskonzept von Grammatik gehört wohl
sehr stark die Vorstellung, daß dies ein Lehrgebäude ist, das im Prinzip genauso fest und
indiskutabel ist, wie die Urteile fest und indiskutabel erscheinen, die man unter Abstützung auf grammatische Regeln über sprachliche Ausdrücke zu fällen glaubt.«92
Jedoch hat bereits de Saussure mit seiner Unterscheidung zwischen Langue und Parole93
verdeutlicht, daß ein Unterschied besteht zwischen den Regeln einer Sprache und der Verwendung derselben. Die Existenz einer grammatischen Regel besagt nicht, daß sie auch
tatsächlich eingehalten wird.
Somit unterliegt Grammatik in ihrer konkreten Anwendung auch einer ständigen Entwicklung: Sei es der schleichende Verlust des Genitivs (»Die Mutter vom Kind«) oder die
Verbreitung des Possessiv-Apostrophs (»Harry’s Wurstbude«), die Sprache ist durch ihren
92 Linke et al., 1996, S. 45
93 vgl. hierzu das Kapitel »Kommunikationstheoretische Grundlagen«
- 60 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
und in ihrem Gebrauch einer ständigen Wandlung unterworfen.94 Mit diesen Erkenntnissen fand letztlich eine GRAMMATIKSCHREIBUNG IN DESKRIPTIVER ABSICHT – also mit dem
Ziel, die Regularitäten der tatsächlich gebrauchten Sprache zu erfassen – Eingang in die
anerkannten wissenschaftlichen Disziplinen, deren Bedeutung für die vorliegende Untersuchung nachfolgend deutlich werden wird.
2.3.2 Grammatische Analyse der Abweichungen
Es ist zwar kaum zu bestreiten, daß die traditionelle Schulgrammatik einen breiten sprachlichen Konsens in unserer Gesellschaft bewirkt und somit weithin normativ auf unseren
Sprachgebrauch wirkt. Dennoch läßt sich beobachten, daß – aus welchen Gründen auch
immer – grammatische Normen nicht durchgehend eingehalten werden. Sei es aus Unkenntnis, aus sprachökonomischen Gründen oder nicht zuletzt, um bewußte sprachliche
Regelverletzungen als Attention Getter einzusetzen.
Diesen Irregularitäten gilt die Aufmerksamkeit der vorliegenden Arbeit. Denn jeder Fall
einer sprachlichen Normverletzung könnte eine soziale Differenzierbarkeit nach sich
ziehen – nämlich immer dann, wenn diese Normverletzung als charakteristisches Merkmal einer gesellschaftlichen Gruppe anzusehen ist. Der aktuelle Comedy-Trend ethnodeutscher Sprachverballhornung – etwa die »Kanacksprack« der Komiker Erkan und
Stefan – ist nur ein Beispiel dafür. Und nicht zuletzt ist der Tatsache Beachtung zu schenken, daß auch die Sprache der Werbung – Stichwort Attention Getter – sich grammatischer Unregelmäßigkeiten bedient, etwa bei dem bereits mehrfach genannten FeldbuschBeispiel »Da werden Sie geholfen!«.
Die Aufgabe ist also, eine Regelmäßigkeit in der Unregelmäßigkeit zu finden, weshalb
nicht ausschließlich auf die Werkzeuge und Strategien entweder der normativen oder der
deskriptiven Grammatik zurückgegriffen werden kann. Vielmehr ist – wie oben bereits
angedeutet – davon ausgehen, daß ein breiter gesellschaftlicher Konsens bezüglich der
grammatischen Normen besteht, von dem ausgehend Abweichungen festgestellt und beschrieben werden können. Erst innerhalb dieses Rahmens könnte erforscht werden, ob
bestimmte Normverletzungen – sofern diese regelmäßig innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppe auftreten – als soziosprachliche Markierungen angesehen werden können.
94 Siehe hierzu exemplarisch die regelmäßigen, sprachpuristischen Aufschreie über die Verarmung deutscher Sprache, beispielhaft nachzulesen etwa in Spiegel Online: »Was soll da’s? vom 26.7.01, die insofern bemerkenswert
sind, als die bemängelten Normverletzungen sich nur über willkürlich festgelegte Rechtschreibregeln hinwegsetzen und den Ausdrucksreichtum der Sprache in keiner Weise behindern.
- 61 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
2.3.3 Akzeptierbarkeit
Ein wesentlicher Begriff moderner Grammatikbetrachtung ist die GRAMMATISCHE AKZEPTIERBARKEIT
95
, der die wertende Konnotation von ‚richtiger‘ und ‚falscher‘ Gramma-
tik aufhebt:
»Eine Äußerung ist dann akzeptierbar, wenn sie von einem muttersprachlichen Sprecher in
einem bestimmten Zusammenhang gebraucht wurde oder gebraucht werden könnte und
von anderen muttersprachlichen Sprechern als zu der betreffenden Sprache gehörig empfunden wird oder empfunden würde.«96
Der normative Aspekt traditioneller Grammatik gilt nach dieser Sichtweise nicht mehr
als der alleinige Maßstab für die Sprachbetrachtung. Eine Äußerung kann durchaus als
grammatikalisch falsch empfunden werden, ist aber dennoch akzeptierbar. Nach Ansicht
des Verfassers ist aus soziolinguistischer Sicht nicht einmal die definitorische Einschränkung »muttersprachlich« notwendig: Ein gebrochenes Deutsch ist für einen muttersprachlichen Zuhörer durchaus akzeptierbar – es weist den Sprecher lediglich als Landfremden
aus. Das Gleiche gilt auf binnensprachlicher Ebene. Wer »Butter« einem maskulinen Genus zuordnet, weist sich damit als Sprecher süddeutscher Mundart aus: Die Akzeptierbarkeit dieses Ausdruck ist in Süddeutschland hoch, im Rest des Lands jedoch gering. Der
Grad der Akzeptierbarkeit grammatikalischer Irregularitäten steht also in Abhängigkeit
zu bestimmten dialektalen, sozialen und anderen gesellschaftlichen Gruppen – und wird
somit zu einem semiotischen Abzeichen dieser Gruppen.
Es mag nun den Anschein haben, daß eine Äußerung schon dann akzeptierbar ist, sobald sie irgendwann einmal von einem Sprecher gebraucht worden ist. Jedoch ist der Ausdruck ‚akzeptierbar‘ immer nur dann anwendbar, wenn eine Äußerung im entsprechenden Kontext von den Kommunikationsteilnehmern als tatsächlich akzeptierbar empfunden
wird oder werden könnte.97 Letztlich ist die Aufgabe moderner Grammatikforschung eine zunächst retrospektive: nämlich die deskriptive Analyse gemachter Äußerungen hinsichtlich ihrer Akzeptierbarkeit und erst dann folgend die Suche nach Regeln für die Akzeptierbarkeit potentieller Äußerungen.98 Für die Belange der vorliegenden Arbeit genügt
95 Aktuelle Beschreibungen unterteilen die Akzeptierbarkeit weiter in grammatisch akzeptierbar und signifikant.
Für die vorliegenden Zwecke genügt jedoch der übergeordnete Begriff.
96 Lyons, 1995, S. 140
97 vgl. Lyons, 1995, S. 143
98 Diese Regeln sollen dabei die Struktur aller Sprachhandlungen beschreiben, die jetzt und zukünftig geäußert
werden.
- 62 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
die retrospektive Analyse, da sie sich mit der Untersuchung gemachter und nicht potentieller Äußerungen beschäftigt.
Wie schon hinsichlich der Erwartbarkeit im semantischen Bereich sind auch bei der Akzeptierbarkeit verschiedene Arten und Grade zu beachten: Der Jugendsprachstil eines
Nicht-Jugendlichen kann aus jugendlicher Perspektive möglicherweise »jugendgrammatisch« durchaus, hingegen intonatorisch nicht akzeptierbar sein; andere Äußerungen sind
wiederum nur in bestimmten Kontexten angemessen – so wie etwa die jugendsprachliche
Bewertung »geil« in der Kirche nicht akzeptierbar ist, obwohl dies in allen sonstigen jugendsprachlichen Ebenen der Fall ist.
Der Grad der Akzeptierbarkeit ist nicht zuletzt auch ein Maß für die Stärke der sozialen Differenzierung. Je höher die Akzeptierbarkeit eines Ausdrucks, desto geringer ihr
soziolinguistischer Markierungswert und umgekehrt. Die Analyse eines Textkörpers hat
somit nicht nur die soziale Angemessenheit grammatikalischer Wendungen festzustellen,
sondern sie zudem von anderen Formen der Akzeptierbarkeit zu trennen und gleichzeitig ihren Grad innerhalb unterschiedlicher sozialer Gruppen festzustellen.
Im Folgenden soll aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten der Grammatik allgemein
auf Wort- beziehungsweise Satzebene zur Verfügung stehen, um den Grad sozialer Akzeptierbarkeit zu beeinflussen – die Beschreibung der entsprechenden Regeln zur grammatischen Analyse soll ebenfalls in einen eigenen Kapitel erfolgen.
2.3.4 Wortformenvariierung
Eine sehr brauchbare Methode zur soziogrammatischen Differenzierung ist die der
Wortformenvariierung. Denn gemessen an den vielfältigen Möglichkeiten, morphosyntaktische Funktionen zu realisieren, sind für das jeweilige Lexem nur wenige allgemein
akzeptierbar: Obwohl also theoretisch der Plural von »Butter« auch »Bütter« lauten
könnte, wird er als grammatikalisch unkorrekt empfunden. Das Interessante ist jedoch,
daß »Bütter« ohne weiteres als Pluralform dekodierbar und somit verwendbar ist, ohne
die außersprachliche Referenz einzubüßen.
Damit wird den Sprachhandelnden ein vielseitiges Formenspiel ermöglicht: der Wechsel zu ungebräuchlichen Flexionsformen (etwa von Affigierung zu innerer Abwandlung)
oder auch zu nicht akzeptierbaren grammatischen Beugungsmerkmalen – sei es falscher
Genus (»Da werden Sie geholfen!«), eine überzogene Komparation (»Jetzt noch leckererer«) 99, oder vielleicht auch eine Umformung von Affix- zu Stammbedeutung (»die
Sonder-Bar«). Da solche sprachlichen Strategien sehr aufmerksamkeitsstark sind, bieten
99 Werbeslogan von Müller Milchreis
- 63 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
sie sich als Attention Getter geradezu an, und werden sowohl in Werbung als auch in der
Jugendsprache gerne genutzt.
2.3.5 Soziolinguistische Syntaxanwendung
Auch beim Satzbau sind unterschiedlich hohe Grade an Akzeptierbarkeit erzeugbar.
Hier liegen – wie bereits auf Wortbildungsebene – vielfältige Möglichkeiten, eine Sprachhandlung mit besonderen Attention Gettern anzureichern; und zwar immer vor dem Hintergrund, daß eine allgemein akzeptierbare grammatische Konstruktion keinen besonderen Aufmerksamkeitswert besitzt und somit als unmarkiert betrachtet werden kann.
Wird hingegen eine markierte Form gewählt, dann spielt aus soziolinguistischen Gesichtspunkten keine Rolle, ob dies bewußt und willentlich oder vielleicht nur wider besseren Wissens erfolgt. Wie bereits mehrfach angedeutet, kommt es allein darauf an, ob
diese Form wiederholt auftritt und unter Umständen als Kennzeichen sozialer Gruppen
angesehen wird. In diesem Fall erhält die derart markierte Äußerung seitens des Rezipienten bestimmte Konnotationen, die in der Folge auf eben diese Gruppe verweisen.
Es ist auch hier nicht notwendig, daß eine solche Äußerung von einem Mitglied der Gruppe gemacht wird, auf die die markierte Form verweist. Es ist ebenso denkbar, daß die Wahl
der Form gebraucht wird, um auf die Gruppe zu verweisen, für die diese grammatische
Besonderheit steht. Somit erfüllt selbst die Grammatik, die grundsätzlich nur innersprachliche Funktion besitzt, die Anforderung eines semiotischen Zeichens: Etwas (also die grammatische Form) steht für etwas Anderes (also die Vorstellung von einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe) und referiert somit auf etwas Außersprachliches (also eben jene
gesellschaftliche Gruppe).
In der sprachlichen Realität ist eine solche Strategie tatsächlich immer wieder anzutreffen: Man imitiert bestimmte Sprech- und Formulierungsweisen, um auf Ärzte, Finanzbeamte, Ausländer, Österreicher oder Yuppies zu verweisen. Die Medien, vor allem das dort
verbreitete Satire- oder Comedy-Genre, haben in jüngerer Vergangenheit verstärkt mit
den Möglichkeiten soziogrammatischer Referenz gespielt – genannt sei hier exemplarisch
die Comedy-Show »Was guckst Du?« mit Kaya Yanar auf dem Sender SAT 1. In den
Werbeinseln sind diese Strategien ebenfalls zu finden, sei es auf morphologischer Ebene
(»Karstadt ist kaufregend«)100 oder eben auf syntaktischer Ebene – letzteres zum Beispiel
100 Interessanterweise ebenfalls mit Verona Feldbusch sowie einem Harald Schmidt, der Feldbuschs linguistische
Variierung »kaufregend« fortwährend bildungsbürgerlich korrigiert; es wäre interessant, die sozioreferenzielle
Struktur der Werbekampagne zu untersuchen hinsichtlich der Fragen, wie Feldbusch und Schmidt durch die
Wahl ihrer Sprache auf ihr Wertegebäude und Selbstverständnis verweisen, wie sie damit auf ihre Position im
gesellschaftlichen Kontext referieren, und nicht zuletzt, welche Zielgruppenwirkung sich aus dem – tatsächlich
oder vermeintlichen – Wertekontrast ergibt, den die Protagonisten verkörpern.
- 64 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
durch die bewußte Bildung unvollständiger Sätze, die anhand soziospezifischen Weltwissens zu ergänzen sind (»Nichts ist unmöglich...«)101.
Interessant ist im Rahmen dieser Arbeit letztlich die Frage, ob die von der Werbung
aufgebauten grammatischen Referenzen auf spezifische außersprachliche Wertemodelle
stark genug sind, um die Übernahme in jugendsprachliche Kontexte zu ermöglichen, ohne daß diese Referenzen verloren gehen. Dies ist eine der prominenten Fragen, die anhand der zu entwerfenden Untersuchung zu klären sein werden.
101 Werbeslogan der Automarke Toyota
- 65 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
Sprachliche Differenzierungsmethoden – Das Wesentliche in Kürze:
Im Rahmen der vorliegenden Aufgabe konnten aus den Differenzierungsmethoden, die Sprache zur Verfügung stellt, verschiedene herausgearbeitet
werden, die ein besonderes Potential bieten für eine Übernahme aus der Werbung in den sozial intendierten Sprachgebrauch. Im einzelnen handelt es sich
um die Elemente Wortformenvariierung, Satzbildung und Bedeutungsgehalt.
Aus soziolinguistischer Perspektive können sonst identische Äußerungen,
die jedoch in verschiedenen sozialen Gruppen unterschiedliche Bedeutungsinhalte besitzen, als Anzeige sozialer Differenzierung der Sprachhandelnden
dienen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß die jeweiligen gruppentypischen
Konnotationen auch über die Gruppe hinaus bekannt sind, damit die Verwendung dieser Bedeutung als auf diese Gruppe referierend erkannt wird.
Weiterhin konnte angesichts des Einflusses kon- und kotextueller Elemente auf die Bedeutung von Sprachakten festgestellt werden, in welchem Grad
der Kontext den Inhalt einer spezifischen Äußerung beeinflußt – dies wiederum ist besonders wichtig aufgrund des Umstands, daß erst der Kon- und Kotext verdeutlichen, wie ein Verwender gruppensprachlicher Äußerungen zu
den Werten der Gruppe steht, auf die er verweist. Eine gestische, mimische
oder intonatorische Ergänzung der Äußerung kann unter Umständen auch die
Ablehnung der Werte darstellen, auf die gruppensprachlich verwiesen wurde.
Als ebenfalls wesentlicher Kontext hat sich zusätzlich das Phänomen der
Wahlmöglichkeit herausgestellt: Je weniger eine Äußerung in einem bestimmten Kontext erwartbar ist, desto größer ist ihr allgemeiner Markierungswert,
der je nach Kommunikationssituation auch ein sozialer sein kann. Wenn keine Wahlmöglichkeit bei der Formulierung einer Äußerung besteht, kann eine
solche Äußerung auch keine soziale Referenz enthalten.
Diese Tatsache findet sinngemäß auch Beachtung bei der grammatischen
Konstruktion einer Äußerung. Erst wenn der sich Äußernde die Wahl zwischen
unterschiedlichen grammatischen Funktionen hat, kann auch der Art, wie ein
Satz konstruiert ist, soziale Bedeutung zukommen. Hier gilt ebenfalls: Je un-
- 66 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
2. SPRACHLICHE DIFFERENZIERUNGSMETHODEN
wahrscheinlicher das Auftreten einer grammatischen Form im jeweiligen Kontext ist, desto eher ist davon auszugehen, daß sie auf diese Weise bedeutungshaft aufgeladen werden soll.
Da eine grammatische Regel nicht bedeutet, daß sie auch tatsächlich beachtet wird, sind auf Parole-Ebene regelmäßig Abweichungen auch im grammatischen Bereich zu finden. Falls solche Abweichungen innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppe regelmäßig auftreten und – sozusagen zeichenhaft –
auf eben diese Gruppe verweisen, können sich gesellschaftliche Gruppen
ebenfalls mit Hilfe der Grammatik soziolinguistisch differenzieren. Der Begriff
der grammatischen Akzeptierbarkeit beschreibt hierbei, daß eine Äußerung in
bestimmten Kontexten durchaus als angemessen empfunden werden kann,
auch wenn sie grammatisch »falsch« ist – etwa immer dann, wenn sie vom
Rezipienten mit bestimmten sozialen Konnotationen verknüpft und somit innerhalb dieses Kontextes akzeptiert wird.
Der Grad der Akzeptierbarkeit spielt als Werkzeug für die gesellschaftliche
Differenzierung auf grammatisch-sprachlicher Ebene eine gewichtige Rolle: Je
ungewöhnlicher eine Formulierung, desto höher ihr Aufmerksamkeitswert. Es
lassen sich sowohl bezüglich Werbe- als auch Jugendsprache einige Beispiele
finden, die eben dieses Phänomen nutzen, um auf diesem Weg Attention Getter in ihre Sprachhandlung einzubauen.
Konkret beeinflußt wird die grammatische Akzeptierbarkeit im Bereich der
Wortformung. Hier sind neben üblichen auch ungewöhnliche – aber dennoch
verstehbare – Varianten ausbildbar, womit die Wortformung eine brauchbare
Methode für eine soziolinguistische Differenzierung darstellt.
Auch auf Syntaxebene ist die Akzeptierbarkeit eines Satzes einschränkbar
– mit den gleichen soziolinguistischen Konsequenzen, die für die Wortebene
gelten: Je weiter ein Satz vom allgemeinen Konsens der Wohlgeformtheit abweicht, desto größer ist sein – möglicherweise soziologischer – Aufmerksamkeitswert. Voraussetzung ist dabei ebenfalls, daß ein Satz verständlich bleibt
und weiterhin einen Sinngehalt besitzt. Wird eine spezifische Art der Satzkonstruktion wiederum regelmäßig mit einer bestimmten sozialen Gruppe in Verbindung gebracht, wird eben diese spezielle Syntax zeichenhaft aufgeladen
und verweist in der Folge auf diese soziale Gruppe.
- 67 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3.
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
Jugend und ihre Sprache
Nachdem im Vorfeld bereits erarbeitet werden konnte, welche Strategien
und Werkzeuge allgemein im Zusammenhang mit sozial motiviertem Sprachgebrauch angewendet werden, sollen diese Kenntnisse nun hinsichtlich der
Jugendsprache weiter spezifiziert werden. Es gilt zu klären, was Jugendsprache im besonderen auszeichnet, worin diese Besonderheiten begründet liegen und – besonders wichtig – wo sich Ansatzpunkte für eine Übernahme von
Werbesprache in den Jugendsprachgebrauch finden lassen. Zuvor sollen jedoch die Rahmenbedingungen jugendlichen Sprachgebrauchs ergründet werden, um den für eine Sprachanalyse so wichtigen außersprachlichen Kontext
greifbar zu machen.
3.1 Rahmenbedingungen der Jugendsprache
3.1.1 Jugend im Spannungsfeld sozialer Entwicklungsaufgaben
Bereits in den voranstehenden Kapiteln konnte die außerordentliche Bedeutung des
außersprachlichen Kontexts für die Interpretierbarkeit von Äußerungen gezeigt werden:
Eine Sprachhandlung kann erst dann verstanden werden, wenn man Kenntnis über das
Umfeld hat, in dem sie getätigt wurde. Zu diesem Kontext zählt nicht nur die konkrete
Situation, in der gesprochen wird, sondern ebenfalls die allgemeine Lebenssituation des
oder der sich Äußernden. Die Kenntnis dessen, wie der Sprachhandelnde diese Lebenssituation wahrnimmt, zeigt dem Sprachforscher den Weg zu den Gründen, wo und warum
sich bestimmte Sprachstile entwickeln und bei welcher Gelegenheit sie angewendet werden.
Ein wesentlicher und übergreifender Kontext im Lebensbereich Jugendlicher ist fraglos
die Entwicklung weg vom Kind- und hin zum Erwachsenen-Dasein.102 In dieser wichtigen Stufe der menschlichen Entwicklung gilt es, neben der körperlichen auch die psychische Reife zu erlangen. Mit 12 bis 13 Jahren setzt eine intensive Beschäftigung mit dem eigenen Körper sowie mit dem ganzen Selbst ein, infolge dessen die Entwicklung der eigenen
Identität voranschreitet. Es erfolgt eine Ablösung von den Eltern, Selbständigkeit und
Autonomie werden erstritten. In gleichem Maß erfolgt eine Orientierung hin zu Gleich102 vgl. Shell-Jugendstudie, 1992, S. 171
- 68 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
altrigen im Bereich der PeerGroup und bei Freundschaften zu gleich- und zunehmend
gegengeschlechtlichen Partnern.
Diese Entwicklung ist mit einem Mangel an Ausgeglichenheit verbunden, dessen Gründe in einer Ich-Unsicherheit, dem Erkennen der Ambivalenzen der sozialen Umwelt, einem entzauberten Elternbild sowie neuen Leistungs- und Rollenanforderungen zu suchen sind. In weiten Bereichen des sozialen Raums werden Jugendliche auf ihre nun zu
lebende Erwachsenenrolle hingewiesen, in der kindliches, spielerisches Verhalten weitgehend sanktioniert wird. Unbekümmertheit kann nur noch in gesellschaftlichen Nischen
gelebt werden.103 Die jugendliche Ambivalenz zwischen kindlichen und erwachsenen Bedürfnissen findet also ihren Niederschlag in einem ebenfalls zweigeteilten sozialen Umfeld, in dem sich Jugendliche wechselseitig bewegen.
In den vergangenen Jahren konnte festgestellt werden, daß dieser geteilte soziale Raum
vermehrt über die Beendigung der Pubertät hinaus bestehen bleibt. Der Grund: Jugend
ist nicht nur Ausdruck eines körperlichen, sondern auch des sozialen Alters. Da sich die
Ausbildungszeiten zunehmend verlängern, ist auch das Alter bis 30 zunehmend geprägt
von Unselbständigkeit und finanziellen Abhängigkeiten. Diese Phänomene werden gesellschaftlich als Kennzeichen von Jugend angesehen, wodurch sich Jugendlichkeit im
gesellschaftlichen Kontext bis ins dritte Lebensjahrzehnt verlängert.104 Und in der Tat ist
der Lebensstil über einen immer längeren Zeitraum an der Jugendkultur der Cliquen ausgerichtet, die – wie später erläutert werden wird – maßgeblich für die Bildung, Entwicklung und den Gebrauch von Jugendsprache sind.
3.1.2 Gesellschaftsnischen als Quelle sprachlicher Eigenständigkeit
Die genannten gesellschaftlichen Nischen finden Jugendliche vornehmlich in ihrer Freizeit, in der sie ihr erhöhtes Bedürfnis nach Sozialkontakten und Selbstverwirklichung
ausleben können. Hier ist die normative Erwartung noch relativ unausgeprägt, wodurch
sich in der Gruppenzeit vom Alltag abgekoppelte Jugendkulturen besonders gut entwickeln können. Es werden Lebens-, Sozial- und infolge dessen auch Sprechstile erprobt,
die im bewußten Kontrast zum Sozialbild der Erwachsenen stehen, und somit auch das
soziale Kennzeichen »Jugendlichkeit« markieren.105
Der Kontrast zum Erwachsenen-Sprachbild ist jedoch nicht das einzige Differenzierungsmerkmal in der Jugendsprache. Auch die Binnendifferenzierung im Jugendbereich
ist auf sprachlicher Ebene erforschbar. Die sozialpsychologische Motivation nach Grup103 vgl. Oerter, 1987
104 vgl. Shell-Jugendstudie, 1992, S. 113
105 vgl. Augenstein, 1998, S.23 ff.
- 69 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
penzugehörigkeit führt auch innerhalb des Gesamtbereichs Jugendkultur zur Ausbildung
sozialer und damit auch sprachlicher Strukturen, die sich voneinander unterscheiden. Auf
welchen Ebenen dies geschieht und welche Konsequenzen dies für den Sprachgebrauch
hat, soll im folgenden Abschnitt ausführlich diskutiert werden.
Festzuhalten ist jedoch, daß diese Kulturen nicht völlig autonom voneinander bestehen.106
Sowohl im Vergleich zur Standardkultur der Erwachsenen als auch untereinander manifestieren sich die Großgruppe der Jugendlichen sowie jugendliche Teilgruppen als gesellschaftlich integrierte Teilkulturen, die auch sprachlich in weiten Bereichen in die Standardkultur eingebunden sind. Wenn man sich die Sprachfunktionen vor Augen führt, wird
auch verständlich, warum dies so ist: Bei völliger Abkopplung würde die Möglichkeit zur
Verständigung mit anderen Gruppen verloren gehen. Und dort, wo keine Kommunikation vorhanden ist, kann mangels Information auch keine soziale Struktur entstehen. Die
Ausbildung von Sprechstilen bietet der Sprache jedoch die Möglichkeit, sowohl Informationsübermittlung zu bewerkstelligen, als auch – wann immer dies erforderlich ist – für
Differenzierung zwischen der eigenen Gruppe und anderen gesellschaftlichen Bereichen
zu sorgen.
3.1.3 Jugendliche Kommunikationsräume
Neben der Standardsprache nutzen Jugendliche also einen speziellen jugendlichen Sprachstil, um sich die kommunikativen und sozialen Sprachfunktionen nutzbar zu machen. Jedoch ist das Spektrum der Jugendsprache nicht allein auf diese »Zweisprachigkeit« reduzierbar; vielmehr sind bei jedem Jugendlichen weitere Unterteilungen im Sprachgebrauch zu
finden, die auf unterschiedlichen Ebenen zu finden sind und immer spezifischere Untermengen der Standard-Jugendsprache darstellen.107 Je nachdem, in welchem KOMMUNIKATIONSRAUM sich der Jugendliche befindet, lassen sich folgende Ebenen herausarbeiten, in de-
nen Jugendliche ihren identitätsbildenden Sprechstil herausbilden und pflegen:
Den größten Kommunikationsraum finden Jugendliche erwartungsgemäß auf jener Ebene, die man als G ROSSGRUPPE DER JUGENDLICHEN beschreiben könnte. Diese Gruppe
findet ihr Selbstverständnis aus der Abgrenzung gegenüber anderen Altersgruppen und
erfährt durch ihr Alter ein gemeinschaftliches Wir-Gefühl.
Diese Gemeinschaft der Jugendlichen ist jedoch eher virtueller Natur, da selbstverständlich nicht alle Jugendlichen in direktem Kontakt ihr Weltbild und ihr soziales Selbstverständnis aufeinander abstimmen können. Den Medien kommt hier die Aufgabe zu, die
106 vgl. Henne, 1986, S. 202
107 vgl. Nowottnick, 1989, S. 75
- 70 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
verbindenden Merkmale der allgemeinen Jugendkultur zu liefern. Das wichtigste Verbindungsstück innerhalb der Großgruppe der Jugendlichen ist also der Konsumaspekt und
die Medienvermitteltheit der Freizeitkultur:108 Musik-, Fernsehkonsum, Mode sowie gemeinschaftliche Aktivitäten wie Trendsportarten, Computerspiele oder Kinobesuche spielen in dieser Kultur eine bestimmende Rolle. Kennzeichnend für diese Konsum- und Freizeitaktivitäten ist, daß sie nicht von der Jugend selbst, sondern von einer OutGroup generiert wurden – nämlich den Erwachsenen, die diese Medien produzieren. Sind auf dieser
makrosoziologischen Ebene sprachliche und soziale Bezeichnungsnotwendigkeiten zu
finden, liegt die Vermutung nahe, daß der dazugehörige Zeichenvorrat ebenfalls medial
generiert wird. Die Folge davon ist, daß sich der gemeinsame jugendliche Generationssoziolekt mit Recht als JUGEND-KONSUMSPRACHE bezeichnen läßt.
Durch die Jugend-Konsumsprache entsteht eine relativ homogene Großgruppe von Jugendlichen, die ein ähnliches Wahrnehmungsverhalten zeigt und mehr oder weniger stark
auf die Gesamtgesellschaft hin orientiert ist. Studien haben gezeigt, daß ein Großteil der
Jugendlichen nicht zu auffälligen zentristischen Gruppen gehört, sondern zu einer weitgehend integrierten und kommerzialisierten Teilkultur.109 In dieser Großgruppe
»…ist kein direkter Kontakt nötig, um kollektive Verhaltensähnlichkeiten zu zeigen und
um eine generationsübergreifende Wir-Identität zu entwickeln – auch hier übernehmen
die Medien eine wichtige Katalysatorfunktion.«110
Zwar sollten die Jugend und Jugendkulturen nicht über einen Kamm geschert werden,
doch empfinden offensichtlich Jugendliche pauschal viele Gemeinsamkeiten und ein kollektives Wir-Gefühl:
»Moden und Stile der Jugendsprache werden größtenteils nicht von den Jugendlichen in
ihren PeerGroups hervorgebracht, sondern meist über die Medien und kommerziell vermittelt, bei jugendlichen Subkulturen angeeignet und als Versatzstücke von den Jugendlichen in die jeweiligen InGroup-Stile montiert.« 111
Im Gegensatz zur Jugend-Konsumsprache finden Jugendliche im Kontakt untereinander einen bereits stärker differenzierten Kommunikationsraum. Auf dieser Ebene erfolgt
108
109
110
111
vgl. Henne, 1986, S. 202
vgl. Augenstein, 1998. S. 33
ebd.
Augenstein, 1998, S. 34
- 71 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
eine erste Binnendifferenzierung in sogenannte SZENEN, etwa Rapper, Sportler oder ähnlichem, wobei spezielle Interessen und Weltansichten gemeinschaftsstiftend für diese jugendlichen Teilgruppen wirken. Die SZENESPRACHE hilft sowohl den Angehörigen der
Gruppe als auch Außenstehenden bei der Standortbestimmung in der Szenelandschaft.112
Wenn auch die jeweilige Szenesprache in weiten Bereichen ebenfalls medienvermittelt
ist, unterscheidet sie sich von der jugendlichen Gemeinsprache dadurch, daß die Transportkanäle ebenfalls Teil der Szene sind. Während also die Jugend-Konsumsprache von
einer OutGroup entwickelt und von der Großgruppe der Jugendlichen lediglich übernommen wird, zeigt die Vermittlung von Szenesprachen einen deutlich geschlosseneren
Charakter. Spezielle Szenemagazine sowohl in Printform als auch über Fernsehen nehmen Strömungen aus der Szene auf und sorgen in der Folge für deren Verbreitung und
Etablierung.
Im kleinsten Kommunikationsraum bewegen sich Jugendliche im Mikrokosmos der
PEERGROUP. Maßgeblich für die Herausbildung spezifischer Sprachstile sind auf dieser
Ebene gemeinsame Erlebnisse, die in der Folge auf kommunikativer Ebene reproduziert
werden, sowie die individuellen Kommunikationsbedürfnisse innerhalb der Gruppe.113
Da sich für diesen Kommunikationsraum nur im Ausnahmefall eine Schnittmenge mit
den Medien finden läßt, kann er für die vorliegende Untersuchung vernachlässigt werden.
Wenn auch Jugendsprache in mehrere Ebenen untergliedert ist, finden dennoch vielseitige Wechselbeziehungen zwischen diesen drei Bereichen statt; sie beeinflussen sich gegenseitig und finden sich parallel im Sprachrepertoire Jugendlicher wieder. Denn Jugendliche gewinnen ihr Selbstverständnis nicht nur aus der Zugehörigkeit zur Großgruppe
Jugend – die den Generationssoziolekt Jugendsprache beziehungsweise die Jugend-Konsumsprache nutzt – sondern auch durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten PeerGroup oder Szene. Der Einfluß dieser Ebenen auf das Selbstverständnis jugendlicher Individuen kann sehr unterschiedlich sein, jedoch haben so gut wie immer alle drei Bereiche einen gewissen Einfluß.
112 vgl. Augenstein, 1998, S. 25
113 ebd.
- 72 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
3.1.4 Jugendsprache und Medien
Sowohl im Bereich der Jugend-Konsumsprache als auch in der Szenesprache sind die
Medien von Bedeutung, wenn auch aufgrund unterschiedlicher Vorzeichen.
Szenesprachen finden ihren Ursprung in der Szene selbst und werden lediglich über
szenespezifische Medienkanäle verbreitet. Eine generierende Sprachleistung der Medien
ist hier somit nicht gegeben. Doch könnte ihnen eine sehr wesentliche Rolle dahingehend
zukommen, eine szenetypische Sprache zu etablieren.
Im als Konsum-Jugendsprache bezeichneten Sprechstil hingegen ist eine Rolle der Medien als Generator dieses Sprachstils als sehr wahrscheinlich anzusehen: Das Wertegerüst,
was »in« ist und worüber man wie reden muß, erfährt die Jugend aus den Medien, wodurch ein spezifischer, altersbestimmter Sprechstil im Rahmen der Gesamtgesellschaft
entsteht. Die Vermutung liegt also nahe, daß auch die Werbung als direkter Vermittler
von Botschaften, die auf den jugendkulturellen Konsumaspekt zielen, einen Beitrag zur
jugendlichen Sprachdifferenzierung leistet.
Jedoch darf nicht der Fehler begangen werden, diese Differenzierungsleistung dem Gebrauch von Jugendsprache in der Werbung zuzuschreiben. Hier nämlich handelt es sich
um reine Solidarisierungsappelle an die jugendliche Zielgruppe, die höchstens zu einer
Verwässerung der jugendsprachlichen Differenzierungsleistung beiträgt. Vielmehr wird
zu untersuchen sein, ob nicht etwa die Jugendsprache bestimmte werbesprachliche Eigenheiten adaptiert, die in Zusammenhang mit der im Rahmen der Produktpräsentation offerierten Erlebniswelt stehen. Damit böten Elemente der Werbesprache Jugendlichen eine sprachökonomische Möglichkeit, um auf die rezipierten Werbewelten zu
referieren, die wiederum einen Bezug zu ihren eigenen Werten und Anschauungen besitzen können.
Einen wesentlichen Hinweis darauf, daß eine solche Referenzierung tatsächlich sprachlich nutzbar ist, gibt der Kolumnist Florian Illies, der in seinem Buch »Generation Golf«
markante Werbeslogans einer Automarke zitiert, um das Lebensgefühl seiner Generation
zu beschreiben.114 Wie also der Gebrauch des Spruchs »Die mit der Goldkante«115 die
Zugehörigkeit zu den in den 70er Jahren Geborenen beschreiben kann, sollte es auch
möglich sein, etwa durch das Zitieren des Slogans »Da werden Sie geholfen!«116 die persönliche Sicht zu dem in dem Werbespot verkörperten Weltbild »Erfolg mit/trotz Unbedarftheit« zu beschreiben. Ob von dieser Möglichkeit, Werbezitate als Signifikat zu nut114 Illies, 2000
115 Werbeslogan der Gardinenmarke Ado in den 70er Jahren
116 Werbeslogan des Telefonunternehmens Telegate
- 73 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
zen, tatsächlich Gebrauch gemacht wird, wird eine der zentralen und interessantesten
Fragestellungen im Rahmen dieser Untersuchung sein.
3.2 Sprachfunktionen im Jugendsprachgebrauch
3.2.1 Stilaneignung durch jugendliche Gruppen
Auf den bisherigen Seiten dieses Kapitels konnte der Verfasser herausarbeiten, aufgrund welcher Umfeldbedingungen sich Jugendsprache entwickelt und in welchen Kontexten Jugendsprache genutzt wird. Ebenfalls läßt sich feststellen, daß es »Jugendsprache«
als solche nicht gibt; vielmehr werden auf verschiedenen makro- und mikrosoziologischen
Ebenen verschiedene jugendliche Sprachstile genutzt. Diese Erkenntnisse geben wichtige
Hinweise darauf, in welchen Kontexten nach den gesuchten Sprachmarken zu fahnden
ist. Nachfolgend soll nun erarbeitet werden, wie diese Marker aussehen könnten.
Wie in den voranstehenden Kapiteln gezeigt werden konnte, spiegeln sprachliche Ausdrucksformen nicht nur soziale Herkunfts- und Aufenthaltswelten sozialer Gruppen wider. Im Gegenzug beschreiben sie auch die Räume, die die Gesellschaft diesen Gruppen
zuweist. Forschungen konnten zeigen, daß sich die Manifestierung gesellschaftlicher Differenzierung auf sprachlicher Ebene immer in spezifischen Sprachstilen äußert.117 Wie aber
entstehen solche spezifischen Stile?
Sobald soziale Gruppen Aspekte ihrer Umgebung im Vergleich zu anderen Gruppen
different perzipieren und in ihren Wahrnehmungsschatz aufnehmen, müssen sie diese
Wahrnehmung auch zeichenhaft repräsentieren können, sprich, sie in ihren Sprachschatz
einbetten. Teilkulturen sind dabei allgemein auf die von der dominierenden Kultur übersehenen zeichenhaften Repräsentanten angewiesen, denen sie ihre eigenen Bedeutungsgehalte aufdrücken können.118
Die Auswahl dieser Stellvertreter erfolgt jedoch nicht beliebig, sondern nach einem
wiederkehrenden Muster, das Clarke in einem dreistufigen Prozeß beschrieben hat:119
Zunächst werden Elemente aus verschiedenen kulturellen Bereichen herausgegriffen (Selektion), dann in einen eigenen Bedeutungskontext überführt (Transformation) und
schließlich kommerzialisiert, so daß die Elemente ihren Symbolwert erneut verlieren und
neue Stilschöpfungen nötig machen (Stilausbreitung und -auslöschung). Die Entwicklung gruppentypischer Zeichen knüpft also stets an bereits vorhandene Zeichen an, so
daß Sprachstile nicht in isoliert entstehen, sondern in Auseinandersetzung mit den sie
117 vgl. Schlobinski, 1989, S. 10
118 vgl. Willis, 1981, S. 263
119 vgl. Clarke, 1979, S. 136 ff.
- 74 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
umgebenden Sprachräumen. 120 Dies kann in Form gruppentypischer Konnotationen
(»Bullen«) erfolgen, muß aber nicht zwangsläufig so sein. Auch bisher ungenutzte, lexikalische Kombinationen (»saustark«) können den spezifischen Zeichenvorrat erweitern,
ebenso wie ein Sich-auf-die-Fahne-Schreiben bekannter sprachlicher Äußerungen als gruppentypische Floskel (»Deutschland über alles«) oder das kreative Verschmelzen vorhandener Lexik-Elemente (»Polente«).
Sobald genügend Individuen der OutGroup dann diese Zeichen als von dieser Gruppe
verwendet konnotieren, werden diese – ursprünglich zum Zweck fachsprachlicher Referenzen entwickelten Sprachelemente einer Gruppe – zu ihrem sprachlichen Kennzeichen.
Und im Fall jugendlicher Gruppen also kennzeichnend für das soziale So-Sein Jugendlicher, mithin als sprachliche Ausdrucksfunktion für Jugendlichkeit. Denn Stil entfaltet
seine identitätsbildende Kraft erst dann, wenn eine Gruppe von außen mit diesem Stil
identifiziert wird. Der Stil wird dann für die Außenstehenden zu einem sozialen Marker
der Gruppe, selbst wenn die eigentliche Bedeutung des Stils von außen nicht nachvollzogen werden kann.121
Im Bereich der Stilausbreitung ist neben der Herausbildung eines jugendlichen Sprechstils auch die Aneignung durch Außenstehende, die auf zweierlei Arten erfolgen kann:
einerseits durch die Übertragung einer Szenesprache in die allgemeine Jugend-Konsumsprache mittels des medialen Übertragungswegs, aber auch durch Erwachsene, die sich
wiederum der kommerzialisierten Jugendsprache bedienen, um Abgrenzungs- oder (häufiger) Solidaritätsappelle an die Jugend zu richten. Doch werden die gruppenspezifischen
Stile zu intensiv von der OutGroup genutzt, so verlieren sie ihren gruppenkennzeichnenden Charakter – der Stil dient dann nicht mehr als Signifikat für die Gruppe. Er ist
ausgelöscht.
3.2.2 Sprachliche Strategien zur sozialen Symbolisierung
Wie aber äußern sich sozialsymbolische Redeelemente? Eine Studie Schwitallas122 hat
gezeigt, daß Jugendliche sozial markierte Formen des Sprechens vorwiegend durch zwei
Strategien verwirklichen: Einerseits werden sie im lexikalisch-syntaktischen Bereich in
Form von jugendsprachlichen Wendungen und Ausdrücken realisiert, andererseits mittels spezifischer Ausgestaltung von Tonhöhen und Intonationen, etwa bei der Karikatur
anderer Stimmen – beispielsweise einer Onkel- oder Babystimme. Besonders letzteres
scheint für Jugendliche von deutlich größerer Bedeutung zu sein als für Erwachsene. Die
120 vgl. Januschek, 1980, S. 172 f.
121 vgl. Augenstein, 1998, S. 32
122 vgl. Schwitalla, 1986, S. 256
- 75 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
Karikatur fremder Stimmuster jedoch bezieht sich großteils auf das Nachahmen von Stereotypen und nicht auf konkrete Personen oder Begebenheiten und ist somit für die vorliegende Untersuchung nicht von Belang. Allenfalls das Nachahmen von werblichen Zitaten könnte eine gewisse Rolle spielen, jedoch ist hier die Ausgestaltung der Intonation
eher als schmückendes Beiwerk zu betrachten, da ihr ohne den konkreten Kotext keine
zeichenhafte Bedeutung zukommt. Deshalb wird für eine Betrachtung von Werbesprachverwendung im Jugendbereich vor allem der semantische und lexikalisch-syntaktische
Bereich zu beachten sein.
3.2.3 Jugendliche Lebensbereiche
Einen weiteren Hinweis, in welchen Kontexten jugendsprachliche Markierungen gehäuft
auftreten, gibt Henne.123 Diese Kontexte – im Rahmen der sprachlichen Appellfunktionen wurde darauf hingewiesen – sind Lebensbereiche, die in der jeweiligen sozialen
Gruppe als besonders wichtig erachtet und infolge dessen auch überproportional häufig
thematisiert werden. Diese Thematisierung erfolgt vorwiegend in gruppentypischer Ausdrucksweise, da nur diese Fachsprache eine kurze, prägnante und umfassende Beschreibung der jeweiligen Referenzen zuläßt.
Laut einer Untersuchung Hennes – allerdings aus dem Jahr 1986 und damit nur bedingt
aktuell – ist eine solche zweckökonomische Ausdrucksweise in folgenden Bereichen zu
finden, die Jugendliche als besonders relevant erachten: Schule, Kneipe, Disco, Kleidung /
Aussehen, Spitznamen, Genußmittel, Musik und – besonders wichtig – bei Kontakthandlungen mit Mitgliedern der PeerGroup.
Bei dieser Aufstellung muß beachtet werden, daß viele aktuelle Reizobjekte zum Zeitpunkt der Untersuchung im allgemeinen Lebensumfeld der Jugendlichen noch nicht zu
finden waren; dennoch zeigt die aktuelle KIDS-Verbraucheranalyse, daß die genannten
Kontexte nach wie vor eine zentrale Rolle im Leben Jugendlicher spielen.124 Allerdings
nehmen nach dieser Studie neben den von Henne genannten Lebensbereichen die Beschäftigung mit elektronischen Medien wie Computer, Internet, Handy, Videospielen
und -filme inzwischen eine ebenso wichtige Rolle im Leben Jugendlicher ein. Zweifelsohne sind auch aktuelle Medieninhalte wie etwa Daily Soaps oder Reality Shows (Big
Brother) von nicht zu vernachlässigender Bedeutung bezüglich ihrer Relevanz in der jugendlichen Biografie.
123 vgl. Henne, 1986, S. 212 f.
124 vgl. Lübbe et al., 2001, 13-2 ff.
- 76 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
Da es sich beim Medienbereich, genauso wie bei Musik und Mode, um stark kommerzialisierte Bereiche handelt, ist die Chance groß, hier auf Ebene der Jugend-Konsumsprache Verbindungen zur Werbesprache festzustellen. Interessant wird zu erfahren sein, ob
auch im Bereich Ausgehen, Spitznamen oder interindividuellen Kontakthandlungen Korrelationen zum werblichen Sprachgebrauch registriert werden können.
3.2.4 Jugendsprachliche Bewertungen
Jugendsprachliche Bewertungen sind besonders wichtig für die Werbung, da Werbung
eine für die Zielgruppe möglichst genaue (fachsprachliche) Qualitätsdarstellung des Produkts liefern muß. Qualitative Bewertungen einer Sache oder eines Sachverhalts werden
allgemein aufgrund wiederholter Erfahrungen im eigenen Lebensbereich getroffen und
sind im wesentlichen an Wertmaßstäbe gebunden, die in der jeweiligen Gruppe als zentral angesehen werden. 125 Danach sind gruppensprachliche Bewertungen (»hip, cool,
geil, ätzend, megadef«) oft viel genauer definiert als allgemeinsprachliche (»schön, gut,
schlimm«).
Aber gleichzeitig – und das ist das Interessante – dienen sozialspezifische Arten der Bewertung auch dazu, sich als Mitglied einer Gruppe auszuweisen. Verwenden nun Mitglieder der OutGroup diese Begriffe mit dem Ziel, sich mit dieser Gruppe zu solidarisieren – wenn beispielsweise eine Mutter die neuen Schuhe der Tochter »geil« findet – wird
diese Art von Sprachgebrauch oft als nicht akzeptierbar gewertet und entsprechend sanktioniert. Da fachsprachliche Bewertungen im Werbekontext von besonderer Bedeutung
sind, laufen Werbetreibende ebenfalls in Gefahr, als Außenstehende einer Gruppe solche
Bewertungsbegriffe in einer Weise zu gebrauchen, die bei der InGroup mit einem negativen Referenzpostulat belegt ist.
Damit der gewünschte Solidarisierungsappell also nicht ins Leere läuft, bleiben zwei
Möglichkeiten: Entweder muß es den Werbetreibenden gelingen, sich innerhalb des
Gruppenkontexts zu plazieren, so daß die Äußerungen gar nicht erst als Solidarisierungsappell einer OutGroup aufgefaßt werden. Oder aber sie bringt es fertig, eigene Bewertungsarten zu generieren, die die jugendliche Zielgruppe in ihr eigenes fachsprachliches
Repertoire zu integrieren bereit ist.
Ob die zweite Bewertungsstrategie aufgeht und ob Jugendliche tatsächlich bereit sind,
werbliche Bewertungsäußerungen in Sprachstil aufnehmen, kann nur eine experimentelle
Überprüfung zeigen. Fest steht jedoch, daß gruppensprachliche Bewertungen und Beurteilungen ein wichtiges Element soziokultureller Sprachstile darstellen, denen bei der ex125 vgl. Augenstein, 1998, S. 55
- 77 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
perimentellen Erforschung von sprachlichen Übernahmehandlungen besondere Beachtung zuteil werden sollte.
3.2.5 Zitate
Wie weiter oben bereits ausgeführt, hilft auf sprachlicher Ebene wesentlich die Appellfunktion, um die Gruppenbindung zu halten und zu stärken. Deshalb werden von Jugendlichen intensiv Sprachformen entwickelt, die nach Aufmerksamkeit drängen.126 Neben Lautwörtern (»ey!«), Sprüchen und Gags dient auch das Zitieren als Verweis auf
gruppenbekannte Personen, Sachverhalte und Ereignisse als wichtiger Attention Getter.
Ein wesentlicher Bereich im Zitatschatz Jugendlicher ist der Verweis auf die Medienkultur: Parodien auf die dominante Erwachsenenkultur (»Mutantenstadl«), das Heraufbeschwören gemeinsamer Nostalgien (»Wetten, daß...«), das Anspielen auf Kultfilme oder
eben auch Kultspots im Werbebereich sind gerne angewendete Methoden, um Gemeinsamheiten zu thematisieren.
In der Jugend herrscht ein vielfältiges Medienwissen, das genutzt wird, »um durch
schlagwortartig eingestreute Zitate aus Fernsehen und Kino Gruppeninteraktionen in
Gang zu halten oder durch ,Keywords‘ assoziative Variationsschemata zu eröffnen.«127
Fraglos dient dieses Zitieren auch dem Ausloten des Weltbilds der jeweiligen Kommunikationspartner, was er für wichtig erachtet, positiv einschätzt und mehr. Über den Umweg des Zitats werden gemeinsame Erfahrungen ausgetauscht. So entstehen so neue Weund They-Muster, Solidaritäten oder Abgrenzungen.128
Die Feststellung von Korrelationen zwischen Werbezitaten und Jugendsprache ist sicher
eine der einfacheren Übungen innerhalb des geplanten Untersuchungskontexts, da in keinem anderen Bereich die Übernahme von Sprachelementen so deutlich wird wie hier. Interessant wird aber vor allem zu erfahren sein, in welchem Kontext und mit welchen Konnotationen diese Zitate auf jugendsprachlicher Ebene verwendet werden. Hier liegt eine
interessante Fragestellung, die zu erforschen sich in diesem Zusammenhang ohne Zweifel
lohnt.
126 vgl. Henne, 1986, S. 205
127 Augenstein, 1998, S. 88
128 Diese Muster sind sowohl in der eng abgegrenzten PeerGroup-Sprache zu finden als auch in der weit verbreiteten
Konsum-Jugendsprache. Dementsprechend ist auch die Appellfunktion eine unterschiedliche: einmal die strikte
Trennung der In- und OutGroup, einmal die Ausgestaltung des generationsumfassenden Wir-Gefühls.
- 78 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
Jugend und ihre Sprache – Das Wesentliche in Kürze:
Jugend beginnt aus gesellschaftlicher Sicht im Alter von etwa 12 Jahren
mit dem Einsetzen der Pubertät und endet mit Abschluß der Ausbildung, die
sich bis ins Alter von 30 Jahren ziehen kann. Verbunden mit Jugend ist eine
intensive Beschäftigung mit der sozialen Position im Gesellschaftsgefüge in
einem dynamischen Gruppenumfeld, in dem unterschiedlichste Lebens- und
Sozialstile erprobt werden und die sich in einem bewußt differenzierenden
Sprachgebrauch äußern.
Sowohl jugendliche Gruppenkulturen als auch ihre Sprache sind weitgehend gesamtgesellschaftlich integriert und unterscheiden sich nur an spezifischen Bereichen voneinander. Auf sprachlicher Ebene ist demnach besonders
nach soziolinguistischen Markierungen in diesen Bereichen Ausschau zu halten.
Jugendlicher Sprachgebrauch läßt sich weiterhin in drei Ebenen unterteilen: der Jugend-Konsumsprache der makrosoziologischen Großgruppe der Jugendlichen, der Szenesprachen und die Sprachen der jeweiligen PeerGroups.
Es ist zu vermuten, daß die Medien auf die Jugend-Konsumsprache den größten sprachbildenden Einfluß besitzen, wohingegen auf Ebene der PeerGroupSprache ein solcher Einfluß äußerst unwahrscheinlich ist.
Bei der Entwicklung jugendtypischer Sprachelemente wird weitgehend auf
einen gesellschaftlich bereits existierenden Zeichenvorrat zurückgegriffen,
der mittels Ausbildung neuer Konnotationen, der Kombination ungenutzter lexikalischer Verbindungen, dem Einsatz besonderer syntaktischer Formen oder
der intensiven Nutzung von Zitaten semiotisch so belegt wird, daß er gesellschaftlich als gruppentypisch angesehen wird.
Bei der Fahndung nach möglichen werblichen Elementen in der Jugendsprache ist besonders auf diejenigen Lebensbereiche zu achten, die von Jugendlichen als besonders relevant erachtet werden, da hier für Jugendliche
eine besonders intensive Bezeichnungsnotwendigkeit besteht: Schule, Ausgehen, Mode, Aussehen, Musik, Kontakthandlungen innerhalb der PeerGroup
- 79 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
3. JUGEND UND IHRE SPRACHE
und ebenso medientechnische Erzeugnisse wie Computer, Handy, Internet, Videospiele sowie jugendspezifische Medieninhalte (Daily Soaps, Big Brother).
Ebenso ist jugendsprachlichen Bewertungstechniken bei der Erforschung
sprachstilistischer Übernahmehandlungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, da hier ein wichtiger Zusammenhang mit werblichen Qualitätsaussagen
liegen könnte. Nicht zuletzt ist auch nach Zitaten werblicher Herkunft zu fahnden, da das Zitieren medialer – also auch werblicher – Ereignisse als besonders jugendtypisch anzusehen ist und möglicherweise jugendsprachlich auch
als Referenz auf gruppensprachliche Werte eingesetzt wird.
- 80 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4.
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
Werbesprache als Sprachstil
Die folgenden Seiten haben zum Ziel, die linguistischen und stilistischen Besonderheiten des Phänomens Werbesprache im Vergleich zu anderen Sprachvarietäten näher zu bestimmen. Weiterhin soll geklärt werden, in welchen Bereichen die werbesprachlichen Eigenheiten semiotisch stark genug sind, um für
eine Übernahme in andere Sprachstile geeignet zu sein. Anschließend sollen
die semiotischen Funktionen erörtert werden, die werbesprachliche Elemente
in anderen Sprachstilen wahrnehmen und die Voraussetzungen dargelegt werden, damit Werbesprache eine soziodifferenzierende Wirkung entfalten kann.
4.1 Das Phänomen »Werbesprache«
4.1.1 Was ist Werbesprache?
Seitdem die Linguistik ihre Aufmerksamkeit nicht mehr allein auf die Allgemein- oder
Hochsprache richtet, sondern auch auf abgeleitete Sprachvarietäten und Sondersprachen,
gilt auch der Werbesprache ein gesteigertes Interesse: Eine Vielzahl wissenschaftlicher
und populärer Publikationen versuchte, den sprachlichen Eigenheiten der Werbung besonders in der siebziger und achtziger Jahren auf die Spur zu kommen. Auch wenn, gemessen an der Menge der Veröffentlichungen, das akademische Interesse etwas nachgelassen zu haben scheint, deutet schon die wissenschaftliche Beachtung darauf hin, daß die
Werbesprache etwas an sich hat, was sie offensichtlich von der Allgemeinsprache unterscheidet.
Was aber zeichnet die Sprache der Werbung aus, um einer wissenschaftlichen Untersuchung wert zu sein? Aus kommunikationstheoretischer Sicht beginnen die Eigenheiten
der Werbesprache bereits, sobald sie mit Hilfe der Anwendung der Laswell-Formel129 beurteilt wird. Denn im Gegensatz zum ersten Anschein sind bei der klassischen Werbung
nicht nur die werbetreibenden Unternehmen (diejenigen, die Botschaft verbreiten möchten) der Absender einer Werbebotschaft. Neben ihnen sind mindestens zwei weitere Institutionen auf Absenderebene beteiligt: Diejenigen, die sie entwerfen (die Werbeagenturen) und schließlich jene, die die Botschaft letztlich verbreiten (etwa ein Fernseh- oder
eine Printunternehmen).
129 »Wer sendet was zu wem über welchen Kanal mit welchem Effekt?«, vgl. Conen, 1985, S. 4
- 81 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
Die Werbebotschaft wird also nicht nur von eigens zu diesem Zweck ausgebildeten
Spezialisten unter Anwendung kommunikationstheoretischer Erkenntnisse verfaßt. Der
Entwurf muß zudem auch die Eigenheiten und Randbedingungen des entsprechenden
Kommunikationskanals berücksichtigen, etwa eine schnelle Rezipierbarkeit oder die
zeitliche beziehungsweise räumliche Beschränkung der Darstellung.
Hinzu kommt, daß Werbung letztlich genau ein Ziel hat: dem beworbenen Gut zu einem wirtschaftlichen Erfolg zu verhelfen. Da es sich ein Werbetreibender selten leisten
kann, sein eigentliches Kernmotiv »Kauf mich!« direkt und offen zu formulieren, muß er
Wege finden, mit Hilfe zeichenhafter Ausdrucks- und Darstellungsfunktionen die eigentlich intendierte Appellfunktion des Kommunikationsakts zu vermeiden.130 Anstelle des
Kaufappells tritt dementsprechend die Darstellung eines Produktnutzens, die im weitesten Sinn auch das Versprechen einer Lebenswelt bergen kann, um den Rezipienten letztlich ohne direkte Aufforderung zur gewünschten Handlung zu bewegen – mit weitreichenden und interessanten Folgen für die verwendete Sprache.
Die Folge der genannten Randbedingungen des Werbeschaffens ist also eine hochgradig institutionalisierte, spezialisierte, funktionalisierte und letztlich künstliche Form der
Kommunikation. Werbesprache ist das Resultat einer auf Verhaltenssteuerung abzielenden Sprachplanung.131 Aber spricht Werbung deshalb eine eigene Sprache, ist Werbesprache ein Sondersprache?
Römer132 definiert als Sondersprache eine Sprache, die
• von einem beschränkten Personenkreis gesprochen wird
• einen besonderen Wortschatz hat
• der internen Verständigung einer Gruppe über sich dient
• ein besonderes Ausdrucksbedürfnis erfüllt
Das erste Kriterium trifft auf Werbesprache zwar insofern zu, als daß sie im Wesentlichen innerhalb des medialen Rahmens Verwendung findet. Eine Hausfrau, die ein Waschmittel lobt, sagt nicht, daß die Wäsche nach dem Waschen ‚angenehm griffig‘ wird. Andererseits ist durchaus möglich, daß bestimmte sprachliche Eigenheiten Eingang finden
in den gesellschaftlichen Sprachgebrauch – dies herauszufinden, ist Ziel der vorliegenden
130 vgl. Baumann, 1989, S. 24
131 vgl. Dichter, 1983, S. 9
132 vgl. Römer, 1980, S. 202
- 82 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
Arbeit. Die Beurteilung der Werbesprache hinsichtlich dieses Punkts muß also zurückgestellt werden.
Jedoch verwendet die Werbesprache tatsächlich einen besonderen Wortschatz und bevorzugt darüber hinaus bestimmte Methoden der Wort- und Satzbildung – dies wird in
der Folge näher belegt werden. Auch das Kriterium des besonderen Ausdrucksbedürfnisses wird von ihr erfüllt:
»Besondere Gedankeninhalte, besondere Bedürfnisse, besondere Zwecke prägen besondere
sprachliche Formen und Mittel – und ihr außerordentliches Ausdrucksbedürfnis veranlaßt
[die Werbung] zu vielen eigentümlichen Ausdrucksformen.«133
Hingegen dient Werbesprache nicht der internen Verständigung einer Gruppe – ihr
Zweck ist es schließlich, von möglichst Vielen verstanden zu werden.
Für die Festlegung auf eine Sondersprache ist die Werbesprache also nicht geeignet. Sie
ist vielmehr eine von der Hochsprache abgeleitete Variante, ein Sprachstil, der vorhandene Elemente förmlich verdichtet, variiert und neu kombiniert mit dem Ziel, Lücken in
der Ausdrucksebene der Hochsprache zu besetzen – eine notwendige Strategie, um die
oben beschriebene Umcodierung der Sprachfunktionen zu erreichen. Über diese sprachlichen Marker hinaus ist Werbesprache weitgehend integriert in die Allgemeinsprache
und demnach erscheint auch die Einordnung als Sprachvarietät – auf gleicher Ebene wie
Fachsprachen oder lokale Dialekte – zu gewagt. Vielmehr ist sie, wie schon die Jugendsprache, als Sprachstil anzusehen, der aber mehr als die meisten Sprachvarianten nur wenige und spezielle Funktionen zu erfüllen hat und mithin als FUNKTIOLEKT anzusehen
ist.134
4.1.2 Analysierbarkeit von Werbesprache
Wer sich heute der Aufgabe stellt, die Eigenheiten der Werbesprache zu beurteilen,
sieht sich mit einer Unzahl von Sekundärliteratur konfrontiert. Jedoch existiert diese
Quellenvielfalt nur scheinbar: Die meisten Arbeiten datieren auf die späten sechziger bis
frühen achtziger Jahre, einer Zeit vor Einführung des Privatfernsehens und der verstärkten Fragmentierung des Zeitschriftenmarkts. Dadurch sind diese Arbeiten nur noch von
bedingter Aussagekraft. Das Werbeangebot hat sich seitdem vervielfacht und damit auch
die Bedingungen für die Durchsetzungsfähigkeit werblicher Aussagen im Medienkon133 Römer, 1980, S. 206
134 Diese Einordnung stammt aus: www.uni-potsdam.de
- 83 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
text. Es ist offensichtlich, daß ein solches verändertes Umfeld auch eine Änderung der
werbesprachlichen Strategien zur Folge haben muß.
»[Es] haben zahlreiche Veränderungen auf verschiedenen Ebenen des privaten und öffentlichen Lebens zu einer modifizierten Art von Werbung geführt, so daß die heutige Erscheinungsform von Werbung eine andere ist als vor zwanzig Jahren. Eine veränderte Marktsituation bedarf innovativer Werbemodelle, was wiederum neue konzeptionelle Methoden,
speziell auf sprachlichem Sektor, erfordert.«135
Doch nicht nur die Strategien der Werbung haben sich verändert, sondern auch die gesellschaftliche Haltung gegenüber der Werbung: Die Werbeforschung im oben angeführten Zeitrahmen war stark geprägt von einer establishment- und wirtschaftskritischen
Haltung. Werbliche Beeinflussung wurde durchweg negativ bewertet. Da der Verfasser
jedoch in der vorliegenden Arbeit eine wertende Beurteilung werblicher Mechanismen
vermeiden möchte, sind die bereits vorliegenden Untersuchungen zum Thema Werbesprache mit entsprechender Vorsicht zu genießen.
Auch die analytischen Vorgehensweisen, mit der sich die Arbeiten dem Vergleich von
Werbesprache mit anderen Sprachstilen nähern, überzeugen nicht restlos. Zwar lassen
die dort vorgenommenen quantitative Untersuchungen hinsichtlich Satzlängen oder
Worthäufigkeiten einen Vergleich zu anderen Sprachvarietäten zu. Doch ob damit das
Wesen der Werbesprache eingefangen wird, bleibt mehr als fraglich:
»Die Untersuchungen [...] zählen Wortarten aus, grenzen Textsorten ab, weisen auf Stilebenen, rhetorische Mittel u. s. w. hin. Gemeinsam ist all diesen Untersuchungen, daß keine
für sich beanspruchen kann, die Werbesprache deskriptiv als Textsorte und schon gar nicht
in ihrem komplexen interdisziplinären Rahmen erfaßt und interpretiert zu haben.«136
Eine qualitative Beschreibung, sei es der semantischen, syntaktischen oder pragmatischen Ebene, rückt dem werbesprachlichen Kern schon näher.137 Doch ist dem Verfasser
keine Arbeit bekannt, die in diesem Bereich einen Vergleich zwischen Werbesprache und
anderen Sprachvarietäten vorgenommen hätte. Folglich beschreiben die Untersuchungen
zwar, was Werbesprache ist, aber sie beurteilen nicht, ob sie sich von anderen Sprachbe135 Baumgart, 1992, s. 324
136 Conen, 1985, S. 9
137 Ansätze hierzu bieten etwa auf semantischer Ebene Hantsch, 1972, beziehungsweise auf pragmatischer Ebene
Flader, 1972, S. 341 ff.
- 84 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
reichen merklich unterscheidet. Deshalb können diese Arbeiten auch nicht abwägen, ob
eine Wirkung von der Werbung auf den allgemeinen oder gruppalen Sprachgebrauch ausgeht oder ob diese sprachlichen Einflüsse nicht doch andere Ursachen haben.
Der Verfasser ist also darauf angewiesen, aus den vorliegenden Untersuchungen die seiner Ansicht nach gesicherten und nach wie vor aktuellen Erkenntnisse zu extrahieren und
in einen möglichst wertefreien Zusammenhang zu stellen. Soweit möglich, soll im Folgenden auch eine Abgrenzung der Werbesprache zu anderen Varietäten auf intuitiver Ebene
erfolgen, um Ansatzpunkte zu gewinnen, wo sich Werbesprache originär von anderen
Sprachstilen unterscheidet. Erst wenn dies erfolgt ist, kann der Nachweis gelingen, daß
eine Übernahme von sprachlichen Eigenheiten aus der Werbung und nicht aus anderen
Sprachräumen erfolgt ist.
4.2 Werbung als funktionale Sprachvarietät
4.2.1 Katalysatoren werbesprachlicher Entwicklung
Als Sprachforscher nähert man sich am direktesten der Werbesprache, wenn man stets
ihren funktionalen Aspekt im Auge behält: Damit Werbung ihren Zweck erfüllt, muß sie
Aufmerksamkeit erregen, in ihrer Aussage leicht erfaßbar sein und Handlungsdisposition
beziehungsweise eine emotionale Identifikation beim Rezipienten hervorrufen.
Es liegt nahe, daß die Entwicklung der Werbesprache speziell in jenen Sprachebenen
voranschreitet, die für eben diese funktionalen Aspekte besonders geeignet erscheinen.
Attention Getter, rezeptionsorientierte Stilistik und rhetorische Techniken mit indirektem Appellcharakter sind die Elemente, in denen sich Werbesprache am wahrscheinlichsten von der Allgemeinsprache unterscheidet – und dementsprechend soll sich die Beurteilung des Phänomens Werbesprache an dieser funktionalen Dreiteilung orientieren.
4.2.2 Attention Getter
Die Erregung von Aufmerksamkeit ist heute zweifelsohne eine der vordringlichen Aufgaben werbesprachlichen Handelns. Wird der Rezipient innerhalb des medialen Umfelds
nicht auf die Werbeaussage aufmerksam, so kann auch kein Interesse für die dargebotenen Produktinformationen entstehen und sich deshalb auch kein Bedürfnis entwickeln,
das Produkt zu besitzen.138
Die Sprache bietet viele Möglichkeiten, solche Aufmerksamkeitssignale in die Sprachhandlung einzubauen. Man kann sie allgemein als sprachliche Markierungen beschreiben,
138 Diese Darstellung der Funktionsschritte, die eine Werbung auslösen soll, sind angelehnt an die AIDA-Formel
(attention, interest, desire, action), nach der allgemein die kognitiven Schritte eines Werberezipienten im Fall
erfolgreicher Werbung beschrieben werden.
- 85 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
die eine sonst unmarkierte Äußerung durchbrechen und durch ihre Ungewohntheit den
Rezipienten gewissermaßen aufhorchen lassen. Solche Attention Getter können – wie in
den voranstehenden Kapiteln hinlänglich beschrieben – in allen sprachlichen Ebenen auftauchen (lexikalisch, syntaktisch, morphologisch und auch semantisch) und sind als sprachliches Mittel auch nicht exklusiv von der Werbung besetzt.
Erst die konkrete werbesprachliche Anwendung der Attention Getter ist als werbetypisch bezeichenbar: Nicht die Adjektivkomposition mit »-bar« ist ein Kennzeichen der
Werbesprache, wohl aber ist der Ausdruck »unkaputtbar« ein werbesprachliches Produkt. Nicht die Bildung eigenwilliger Syntax oder ein fragwürdige Lexemeinsatz spricht
für die Werbung, sondern erst ihre Besetzung durch die werbliche ‚Feldbusch-Grammatik‘ oder durch Ausdrücke wie »Deutschlands meiste Kreditkarte«.
Tatsache ist also, daß erst die konkrete Analyse werblicher Textkörper zeigen kann,
welche sprachlichen Strategien zur Bildung von Attention Gettern herangezogen werden. Aus diesem Grund soll auch darauf verzichtet werden, an dieser Stelle die von anderen Autoren als werbetypisch erkannten Wörter und Satzelemente aufzulisten. Eine solche Liste wäre zwangsläufig unvollständig und auch nach kürzester Zeit überholt.
Die bereits im Verlauf der vorliegenden Arbeit genannten Beispiele sollten aber deutlich gemacht haben, daß die Strategie der sprachlichen Markierung in der Werbung tatsächlich genutzt wird. Die voranstehenden Kapitel geben Hinweise darauf, wo solche
Markierungen zu finden sind und bieten somit einen Leitfaden bei der sprachlichen Analyse aktueller Werbemaßnahmen. Erst wenn eine konkrete werbesprachliche Figur gefunden ist, kann ihr Vordringen in andere Sprachvarietäten verfolgt werden – die abstrakte Beschreibung von werbesprachlichen Strategien genügt zu diesem Zweck jedenfalls nicht.
4.2.3 Rezeptionsorientierte Stilistik
Ein wesentlicher Aspekt erfolgreicher Werbesprache ist eine leichte Verständlichkeit
ihres Inhalts. Die Werbeaussage muß auch unter erschwerten Bedingungen – bei abgelenkten, unaufmerksamen Rezipienten oder in einem reizstarken Umfeld – noch transportiert werden.
Die werbesprachlichen Methoden, um dieses Ziel zu erreichen, sind die gleichen wie
bei allen rezeptionsorientierten Sprach- und Textsorten, die Schifko mit den Merkmalen
Kürze und Prägnanz, vorwiegender Gebrauch von Substantiven und Adjektiven, mehr-
- 86 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
fache Wiederholung weniger Inhaltselemente und dem Einsatz restringierter Kodes beschreibt.139
Nun sind diese stilistischen Mittel ebenfalls nicht exklusiv der Werbung zuzuschreiben.
Dennoch lassen sich Anwendungstaktiken finden, die schwerpunktmäßig als werbetypisch beschreibbar sind. Ein solches Element ist beispielsweise die Komposition von
Quasi-Fachbegriffen, die bestimmte Eigenschaften eines Produkts oder einer Dienstleistung prägnant darstellen sollen. Römer nennt als Beispiele unter anderem »Appetitzügler«, »Frischei«, »atmungsaktiv«, »waschaktiv« und einige mehr.140 Denn obwohl diese
Lexemkombinationen dem Dogma widersprechen, möglichst ausschließlich Alltagssprache zu verwenden und Fachvokabular zu vermeiden, dienen sie der intuitiven Erfaßbarkeit der Kernqualitäten des Produkts.
Sie stellen im Gegensatz zu den Attention Gettern keine sprachliche, sondern eine inhaltliche Markierung dar, die ein reichhaltiges semantisches Feld ausfüllt: Sie enthalten in
komprimierter Form das Problemlösungsversprechen, mit dem sich die Werbung an den
Rezipienten wendet. Der Rezipient konnotiert mit diesen Begriffen reichhaltige Assoziationen zu seinem Weltwissen, zu dem eben jenes Problem zählt, welches das Produkt zu
lösen verspricht. Deshalb ist der Rezipient besonders zugänglich für solche Lexemkompositionen, und im Idealfall gelingt es, daß ein solches Lexem exklusiv mit dem beworbenen Produkt assoziiert wird.
Aus sprachstilistischer Sicht ebenfalls in den Bereich Rezeptionsorientiertheit einordbar sind werbesprachliche Redewendungen und Werbesprüche. Sie gewinnen ihre einfache Rezipierbarkeit durch den Wiedererkennungswert, der durch ihre fortwährende Darbietung über einen langen Zeitraum entsteht. Der Rezipient lernt, solche Werbesprüche
nicht als eine syntaktisch geformte Äußerung zu verstehen, sondern als eine semiotische
Einheit, die als Komplex für den Hersteller oder das Produkt steht:141 »Wer wird denn
gleich in die Luft gehen?«, »Pack den Tiger in den Tank!« oder »Nichts ist unmöglich!«
sind nur einige Beispiele dafür.
Auch hier gilt, daß solche sprachlichen Einheiten eine feste semiotische Verbindung
zum Äußerungskontext wie etwa dem jeweils Beworbenen eingehen, selbst wenn sie in
anderen Kontexten gebraucht oder sogar verballhornt werden: »Nicht immer, aber immer schlimmer«, »Damit sie auch morgen noch kräftig ins Gras beißen« oder »Katzen
würden Whisky saufen« verdeutlichen beispielhaft das Phänomen solcher Stilbasteleien.
Selbst im außerwerblichen Kontext bleibt der Bezug zur Ursprungsäußerung immer be139 vgl. Schifko, 1982, S. 982 ff.
140 vgl. Römer, 1980, S. 37 ff.
141 vgl. Baumgart, 1992, S. 253 ff.
- 87 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
stehen. Dies kann, wie oben angedeutet, das beworbene Produkt sein, aber auch sonstige
aufmerksamkeitsstarke Begleitkontexte wie etwa die Lebenswelt, die der Werbespruch
repräsentiert: »Ja, ist denn heut’ schon Weihnachten?« steht somit nicht in erster Linie
für ein Mobilfunknetz, sondern für die Person Beckenbauer und sein gesamtes mediales
Image; so wie auch »Vorsicht, isch cool, man!« zunächst die Figur des ‚Alm-Öhi‘ semiotisch vertritt und erst in zweiter Linie das Produkt »Milka fresh«.
Anhand dieser Beispiele läßt sich feststellen, daß im Bereich rezeptionsorientierter Stilmittel für soziolinguistische Übernahmetendenzen besonders jene interessant sind, die
einen Bezug zu den in der Werbung dargebotenen Lebenswelten aufbauen. Ihr geringer
Markierungswert wird dadurch ausgeglichen, daß diese Stilmittel in der Regel wiederholt
eingesetzt werden und somit mit einem Lerneffekt bei den Rezipienten gerechnet werden
kann. Nun kommt es darauf an, ob diese werbesprachlichen Elemente bestimmte gruppenspezifischen Reizthemen ansprechen. Falls dies der Fall ist, besteht durchaus die Möglichkeit, daß diese Äußerungen genutzt werden, um mit Hilfe der durch die Werbung
aufgebauten Signifikate gruppenspezifische Wertvorstellungen zu transportieren.
4.2.4 Rhetorische Techniken
Obwohl die Handlungsaufforderung oder Aufruf zur Einstellungsänderung das zentrale Ziel einer Werbehandlung ist, sind dezidierte sprachliche Appelle in der Werbung
nur selten zu finden. Vielmehr wird versucht, diese direktiven Sprechhandlungen mittels
affektorientierten rhetorischen Strategien zu ersetzen: An die Stelle einer Aufforderung
treten ausdrückende und darstellende Sprachfunktionen, die versuchen, einen »handlungsleitenden Konsens zwischen Sender und Empfänger zu erreichen«.142 Dies soll erreicht werden durch die klassischen rhetorischen Mittel: lehrhafte Demonstration (DOCERE)
und unterhaltsame Darstellung (DELECTARE) fungieren dabei als Diener des Hand-
lungsappells (MOVERE).143
Wie bereits bei den rezeptionsorientierten Stilmitteln wird im Bereich der Rhetorik versucht, durch die (sprachliche) Darstellung von attraktiven Lebenswelten und Lösungsversprechen Bedürfnisse beim Rezipienten zu wecken, indem ihm die Werbung seine eigene Lebenswelt defizitär erscheinen läßt. Die verwendeten rhetorischen Mittel sind
dabei als werbetypisch zu bezeichnen, allen voran die Methode der Semantischen Aufwertung:144 Mit Hilfe steigernder Lexemkompositionen ( »Edelkirsche«, »Familientube«),
der Benennung der Waren mit Hochwertwörtern (»Kingsize Cigarette«, »Byzantiner Kö142 Krüger, 1978, S. 51
143 vgl. ebd.
144 Römer, 1980, S. 85
- 88 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
nigsnüsse«), entkonkretisierten Bewertungen (»nur 1,99 DM«), Superlativkonstruktionen
(»Sixt – günstixt«) oder der Verwendung von Quasifachwörtern (»Naturjod S11«, »Der
körperverwandte Tempomacher Lysin«) werden die empfundenen Defizite der Rezipienten noch verstärkt.
Auch werbliche Schlüsselwörter bergen eine versteckte Appellfunktion. Wörter wie
»gratis«, »neu«, »Gelegenheit«, »jetzt noch besser« haben semantisch zwar Darstellungscharakter, bedeuten aber konnotativ, daß es keine bessere Gelegenheit zum Erwerb des
Produkts gibt als gerade jetzt – womit der Rezipient letztlich zum sofortigen Handeln
aufgefordert wird.
Wann immer derartige Sprachkonstruktionen außerhalb des werblichen Kontexts auftreten, ist zumindest ein werblicher Ursprung zu vermuten. Außerhalb der Marketingkommunikation besteht schlicht keine Notwendigkeit, Haselnüsse als »königlich« zu bezeichnen. Hier ist – sobald entsprechende Äußerungen außerwerblich zur Anwendung
kommen – entsprechend ein semiotischer Bezug zum beworbenen Kontext anzunehmen;
die meisten dieser Ausdrücke sind zu werbetypisch, als daß sie neutral konnotiert sein
könnten.
4.2.5 Notwendigkeit retrospektiver Werbesprachanalyse
Es bleibt zu bilanzieren, daß sich die Werbesprache aller sprachlichen Register bedient,
um ihre eingangs beschriebenen Funktionen zu erfüllen. Das Resultat dieser Sprachverwendung ist dabei weniger eine eigene Sprache als vielmehr ein Sprachstil, ein Funktiolekt, dessen konkrete Unterscheidungsmomente erst retrospektiv erfaßbar sind. Denn eine Äußerung ist erst dann werbetypisch, wenn ihre von der sprachlichen Norm abweichenden Elemente in einem werblichen Kontext stehen.
Egal also, ob es sich um syntaktische, lexikalische oder eine sonstige stilistische Eigenheiten handelt – es muß eine konkrete, werbliche Äußerung sein, deren Eingang in den
soziolinguistischen Sprachgebrauch es nachzuweisen gilt. Die rein quantitative Analyse
des werblichen Sprachstils – etwa der statistischen Menge bestimmter rhetorischer Mittel, der Satzlängen oder der Substantivanteile im Satz – sind für einen Nachweis von
Übernahmetendenzen in andere Sprachstile ungeeignet. Denn erstens erfolgen solche
Übernahmen niemals unmittelbar, sondern bedingen einen längeren Lernzyklus. Zweitens ergibt erst die Gesamtheit solcher Kennzeichen einen werbetypischen Stil. Einzelne
Elemente sind bei fragmentarischer Übernahme somit nicht als ursprünglich werblich erkennbar. Und drittens dürfte es so gut wie unmöglich sein, eine mögliche Übernahme aus
- 89 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
der Werbung abzugrenzen von verwandten Sprachgattungen wie journalistischen oder
literarischen Texten. Deshalb wird sich die angestrebte vergleichende Sprachanalyse auf
die tatsächlich innerhalb des werblichen Textkörpers realisierten Sprachphänomene konzentrieren müssen.
4.3 Werbung und Gesellschaft
4.3.1 Werbung als Generator von Handlungsdispositionen
Obwohl die Wirkung der Werbung auf die Binnengestaltung der Gesellschaft durchaus
als Reizthema angesehen werden kann, ist in diesem Bereich erstaunlich wenig Forschungsmaterial zu finden. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Sprachgebrauch und gesellschaftlichem Selbstverständnis ist in den bisherigen Arbeiten übergangen worden –
beide Gebiete wurden bisher jeweils getrennt behandelt. In der vorliegenden Arbeit ist
bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß jede Änderung des gesellschaftlichen
oder teilgesellschaftlichen Wertekomplexes auch ihre sprachliche Entsprechung finden
muß, und andererseits jede sprachliche Differenzierung gleichermaßen für eine modifizierte Sozialstruktur steht.
Nun herrscht allgemeiner Konsens darüber, daß Werbung zum Ziel hat, Handlungsdispositionen beim Rezipienten zu erzeugen. Würde sie diesem Ziel nicht gerecht, wäre sie
letztlich überflüssig. Weil also Werbung nach wie vor existiert, kann dies als Hinweis darauf gewertet werden, daß sie durchaus in der Lage ist, kognitive Vorgänge zu steuern.
Sie sorgt für die Prägung von Konsumnormen und -standards oder bewirkt zumindest
einen stabilisierenden Effekt auf die bestehenden Normen.145 Doch wird in den meisten
Arbeiten in der Prägung dieser Normen der einzige gesellschaftliche Einfluß gesehen, der
zudem andere ‚wichtigere‘ Differenzierungsmerkmale verdrängt: Güter und Konsum
seien zum gesellschaftlichen Schichtungsmerkmal geworden, im Ersatz für handlungsorientierende Weltbilder, sprich Werte und Normen:146
»Der Besitz eines Produkts dokumentiert die wirkliche oder vermeintliche Zugehörigkeit
zu einer sozialen Gruppe, spiegelt Individualität, Geschmack, gesellschaftliches Ansehen,
Weltläufigkeit, Selbstbewußtsein, Tatkraft und Erfolg wider.«147
Jedoch wurde bisher dem Phänomen zu wenig Beachtung geschenkt, daß es vor allem
die Werbung ist, die eben diese Produkte mit semiotischen Referenzen auflädt. Damit
145 Krüger, 1978, S. 19 f.
146 vgl. Krüger, 1978, S. 14
147 Brandt, 1973, S. 100
- 90 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
stehen Produkte als Signifikant zeichenhaft für die in der Werbung dargestellte Lebenswelt. Das Besitzen oder Nicht-Besitzen bestimmter Produkte verweist also auch auf Zustimmung oder Ablehnung des werblich präsentierten emotiven Wertegefüges. Und dies
wiederum bedeutet nichts anderes, als daß die dem Produkt mittels der Werbung aufgeprägten Signifikate gesellschaftlich differenzierend genutzt werden. Deshalb ist nicht das
Produkt selbst das gesellschaftliche Schichtungsmerkmal, sondern vielmehr sind es die
Werte, die aufgrund der Werbung mit dem Produkt konnotiert werden.
4.3.2 Sprachlicher Verweis auf werbliche Wertewelten
Daß Werbung zur Wertegestaltung einer Gesellschaft beiträgt, kann also ebenso wenig
bezweifelt werden wie die Tatsache, daß diese Wertestruktur semiotisch-kommunikativ
repräsentiert werden muß. Doch der Konsum eines Produkts ist nicht die einzige Möglichkeit, auf die werblichen Wertedarstellungen zu verweisen; die Übernahme sprachlicher
Eigenheiten, die gesellschaftlich zu einer Werbung zugehörig empfunden werden – also
auf die jeweilige Werbung verweisen – erfüllen semiotisch den gleichen Zweck.
Die Frage zu klären, ob die Sprache der Werbung ebenso von den Rezipienten genutzt
wird, um ihre gesellschaftliche Position zu definieren und zu beschreiben, setzt zunächst
den Nachweis voraus, das werbesprachliche Eigenheiten überhaupt Eingang in den individuellen Sprachgebrauch finden. Jedoch ist speziell in dieser Frage kein allgemeiner Konsens zu verzeichnen:
»Für die Hypothese, die typischen semantischen und syntaktischen Stilmittel der Werbesprache hätten einen prägenden Einfluß auf die Umgangssprache, gilt dasselbe Handicap
wie für die anderen der Werbung unterstellten Sozialisationseffekte: es fehlen empirische
Untersuchungen, die einen solchen Zusammenhang belegen könnten.«148
Während diese Frage bei einigen Sprachwissenschaftlern – wie eben gesehen – als ungeklärt gilt, liegt für Ronneberger die Vermutung nahe, die Besonderheiten der Werbesprache übten sehr wohl einen prägenden Einfluß auf die Gemeinsprache aus.149 Er unterscheidet hinsichtlich dieser Prägung einerseits das fachsprachliche Benennen von Produkten
oder Produkteigenschaften (»Walkman«, »röstfrisch«) und andererseits das Umschreiben
emotiver Zustände durch das Zitieren werblicher Slogans.
148 Krüger, 1978, S. 24
149 vgl. Ronneberger, 1971, S. 378
- 91 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
Es lassen sich also durchaus Beispiele für werblich generierte Begriffe finden, die tatsächlich Eingang in die Alltags- und Umgangsprache gefunden haben. Dennoch führt
Römer an:
»Die Wirkungen der Werbesprache beeinflussen weder Denken noch Handeln einer
Sprachgemeinschaft. [...] Viele Menschen sind den Wirkungen der Werbesprache nicht ausgesetzt, [...und es gibt] auch viele Empfänger dieser Sprache, die sich aus Gründen geringen
Konformismus, persönlicher Intelligenz und Urteilskraft den Wirkungen dieser Sprache
entziehen können und ihr Handeln nicht nach Anstößen richten, die sie aus der Werbung
bekommen.«150
Römer setzt voraus, daß als sprachliche Wirkungen immer nur solche gelten können,
die sich gesamtgesellschaftlich etablieren. Damit übergeht sie die Tatsache, daß eine Gesellschaft in sich strukturiert ist, und sich diese Strukturierung notwendigerweise kommunikativ (und eben auch sprachlich) niederschlagen muß. Nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen wendet sich eine Werbemaßnahme niemals an die Gesamtgesellschaft,
sondern vorwiegend an die für das Produkt anvisierte Zielgruppe. Und wer sich für ein
Produkt interessiert, rezipiert die entsprechenden Informationen naturgemäß intensiver
als andere Gruppen. Selbst wenn also nur bestimmte soziale Gruppen werbesprachliche
Übernahmetendenzen zeigen, sind diese nicht nur als Hinweis auf soziales Handeln, sondern sogar explizit als Gegenstand gesellschaftlicher Differenzierung zu werten. Wenn
Werbesprache also nur von teilgesellschaftlichen Gruppen übernommen wird, hat dies
sehr wohl Auswirkungen auf die gesamte Sprachgemeinschaft: Sie erkennt diesen Sprachgebrauch als gesellschaftlich differenzierendes Merkmal.
Auch aus weiteren Gründen geht Römer nach Ansicht des Verfassers in ihrer Argumentation nicht differenziert genug vor. Denn es ist nicht möglich, sich der Werbung zu
entziehen. Selbst wer also versucht, auf die Betrachtung von Werbung zu verzichten, ist
indirekt deren Wirkungen ausgesetzt durch Teilnahme am sozialen Leben. Wer sich der
Werbung entziehen will, muß sich der Gesellschaft entziehen. Selbst wenn dies – theoretisch angenommen – jemand täte, wäre er per Definition nicht mehr Gegenstand soziologischer Betrachtung. Wer hingegen konsequent Anstrengungen unternimmt, sich nicht
von Werbeargumenten beeinflussen zu lassen, muß sich – ex negativo – ebenfalls mit
Werbung beschäftigen. Selbst in diesem Fall erzielt dann Werbung eine Wirkung auf die
individuelle Handlungsdisposition.
150 Römer, 1980, S. 233
- 92 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
Immerhin weist Römer darauf hin, daß bestimmte phraseologische Konstruktionen und
Slogans der Werbesprache als überdauernde Bestandteile in die Umgangssprache eingegangen sind, will dies aber nicht als Indiz für den sprachbildenden Einfluß der Werbesprache gelten lassen: Slogans hätten als Redensart Zitatcharakter und gingen nicht in den
Vollbesitz des Benutzers über.151
Wie allerdings voranstehend geschrieben wurde, ist jede Redehandlung nie isoliert von
ihrem Kontext betrachtbar. Und im Fall von werblichen Zitaten sind dies in erster Linie
die Kontexte der beispielsweise im Werbespot enthaltenen Werte- und Lebenswelten. Zitate stehen stellvertretend für werblich genutzte Wertedarstellungen, und wer Zitate benutzt, nimmt Bezug auf diese Werte, entweder zustimmend oder ablehnend.
4.3.3 Voraussetzungen für soziodifferenzierende Wirkung von Werbesprache
Im Verlauf der vorliegenden Arbeit konnten nun die Voraussetzungen definiert werden,
die für eine soziodifferenzierende Wirkung von Werbesprache gegeben sein müssen: Es
muß nicht nur eine außerwerbliche Verwendung von Werbesprache vorliegen, sondern
diese werbesprachlichen Phänomene müssen auch Signifikate besitzen, die auf bestimmte
soziale Gruppen verweisen.
Im aktuellen Kapitel wurden nun bezüglich dieser Voraussetzungen einige Feststellungen getroffen, die nun wie folgt konkretisierbar sind:
• Obwohl nur im konkreten Fall und erst retrospektiv beschreibbar,
zeichnet sich Werbesprache durch Eigenheiten aus, die sie von anderen
Sprachvarianten unterscheidet.
• Es lassen sich Beispiele finden, in denen spezifisch werbliche Äußerungen
Eingang in den Alltagssprachgebrauch gefunden haben.
• Da Werbemaßnahmen zielgruppenorientiert konzipiert werden, wenden
sie sich nicht an die Gesamtgesellschaft, sondern an teilgesellschaftliche
Gruppen.
• Werbesprachliche Eigenheiten verlieren auch bei außerwerblicher
Verwendung nicht den Bezug zur in der Werbung dargestellten
Wertewelt.
151 vgl. Römer, 1980, S. 213 f.
- 93 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
Wird also bei Sprachhandlungen auf werbesprachliche Mechanismen zurückgegriffen,
wird auf eben diese Wertewelt referiert. Und da keine Wertewelt vorstellbar ist, die nur
im innerwerblichen Kontext existiert, muß diese Wertewelt mit Werten korrelieren, die
zumindest von Teilen der Gesellschaft mitgetragen werden. Der Gebrauch einer werblichen Sprachhandlung verweist dann zwangsläufig auf eben jene gesellschaftlichen Gruppe, die gesamtgesellschaftlich mit dieser Wertewelt in Verbindung gebracht wird – entweder indem die Gruppe selbst die Sprachhandlung verwendet, um auf ihre Wertewelt
zu referieren, oder indem nicht zu dieser Gruppe gehörende Gesellschaftsteile mit Hilfe
der werbesprachlichen Eigenheit auf jene Werte verweisen, die gesellschaftlich dieser
Gruppe zugeordnet werden. In beiden Fällen würde jedoch die Werbesprache ihren Beitrag zur sozialen Differenzierbarkeit leisten, da sie – semiotisch betrachtet – als Signifikant für das Selbstverständnis und die Werte einer teilgesellschaftlichen Gruppe zur Verwendung kommt.
- 94 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
4. WERBESPRACHE ALS SPRACHSTIL
Werbesprache als Sprachstil – Das Wesentliche in Kürze:
Obwohl Werbesprache als eigenständiger Sprachstil klar erkennbar ist, entzieht sie sich weitgehend einer definitorischen Beschreibung. Der Grund: Die
werbesprachlichen Eigenheiten sind erst in ihrem Kontext erkennbar, nicht zuletzt weil sie – isoliert betrachtet – nicht exklusiv der Werbesprache, sondern
auch anderen Sprachstilen zugeordnet werden können. Erst die Summe der
Eigenheiten macht demnach einen werbetypische Sprachgebrauch aus, und
deshalb ist werbliche Sprachverwendung erst im konkreten Kontext beschreibbar. Für eine vergleichende Untersuchung mit anderen Sprachstilen ist also
die Sammlung tatsächlich genutzter werbesprachlicher Phänomene mittels
der Analyse eines werblichen Textkörpers unabdingbar.
Die Suche nach Sprachbesonderheiten in der Werbung wird erleichtert,
wenn anhand der funktionalen Bedingungen von Werbesprache (Erzeugung
von Aufmerksamkeit, leichte Erfaßbarkeit, Erzeugung einer Handlungsdisposition) der Textkörper speziell hinsichtlich sprachlicher Attention Getter, rezeptionsorientierter Stilmittel und affektorientierter rhetorischer Techniken analysiert wird.
Weiterhin konnte ausgeführt werden, daß werbesprachliche Eigenheiten
immer dann besonders für die Übernahme in andere Sprachstile geeignet
sind, wenn sie mit werblichen Wertewelten in Verbindung gebracht werden
können, die auch in bestimmten sozialen Gruppen relevant sind. Wenn nun
diese Wertewelt auch allgemeingesellschaftlich mit der Sicht auf eine bestimmte sozialen Gruppe korreliert, dann stellt die jeweilige werbliche Spracheigenheit ein geeignetes Mittel dar, um sprachökonomisch auf bestimmte
Gruppen zu referieren.
Ein werblicher Signifikant kann demnach nicht nur genutzt werden, um auf
seine eigene gesellschaftliche Gruppe beziehungsweise auf seine individuelle
soziale Disposition zu verweisen. Er bietet auch nicht zu dieser Gruppe gehörenden Gesellschaftsteilen ein Mittel, um auf das mit dieser Gruppe verbundene Wertegebäude – und damit letztlich auf die Gruppe selbst – zu referieren.
- 95 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
5.
5. SOZIALE GRUPPEN UND MEDIENNUTZUNG
Soziale Gruppen und Mediennutzung
Nach den im Vorfeld allgemein diskutierten Kriterien zur Beschreibung sozialer Gruppen sollen nachfolgend konkrete Charakteristika erarbeitet sein,
anhand derer die soziolinguistischen Eigenheiten einzelner sozialer Gruppen
bestimmt werden können. Hier sind sowohl der Rahmen für die Bildung entsprechender Untersuchungsgruppen festzulegen als auch mögliche Verbindungen zwischen sozialen Gruppen einerseits und werblichen Zielgruppen andererseits aufzudecken, um verläßliche Daten zu erhalten bezüglich der
Rezeption bestimmter Werbemaßnahmen durch die jeweilige Untersuchungsgruppe.
5.1 Eingrenzung der Untersuchungsgruppen
5.1.1 Allgemeine Kriterien
Um die Wirkung der Werbesprache auf soziale Gruppen beurteilen zu können, besteht
zunächst zweifelsfrei die Notwendigkeit festzustellen, welche Gruppen überhaupt Gegenstand der sprachanalytischen Betrachtung sind. Der erste Schritt zur analytischen Bearbeitung der vorliegenden Fragestellung muß somit zunächst die Suche nach einer geeigneten Untersuchungsgruppe sein, deren Sprachstil es zu analysieren gilt. Dabei muß es
sich um eine aus soziologischer Sicht homogene Gruppe handeln, die den Kriterien einer
sozialen Gruppe genügt, wie sie im Kapitel »Soziologische Konzepte« skizziert worden
sind.152
Es konnte bereits herausgearbeitet werden, daß sich der in der vorliegenden Arbeit interessierende Gesellschaftsbereich der Jugendlichen in drei Ebenen einteilen läßt: in die
allgemeine Großgruppe der Jugendlichen, die sich gegenüber den Erwachsenen abgrenzen läßt; weiterhin in Szenen, die diese Großgruppe hinsichtlich verschiedener Interessen
und Wertegebäude unterteilt und schließlich in PeerGroups, also kleine Gruppen, deren
Mitglieder konkret miteinander interagieren und in direkter Kommunikation miteinander verbunden sind.
152 Für eine valide Forschung am Objekt wird als Vergleichsgruppe noch eine weitere, von der Untersuchungsgruppe
eindeutig differenzierbare soziale Gruppe notwendig sein. Mehr dazu im Abschnitt: »Bildung von Vergleichsgruppen«
- 96 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
5. SOZIALE GRUPPEN UND MEDIENNUTZUNG
Dem Verfasser erscheint die Ebene der PeerGroups nicht als geeignetes Untersuchungsobjekt für die vorliegende Fragestellung. Da es sich auf dieser Ebene um eng eingegrenzte
soziale Einheiten handelt, sind die Wertewelten, auf die die werbespezifischen Sprechstile verweisen, nicht differenziert genug, als daß sie exklusiv auf die PeerGroup referieren
könnten. Es ist also äußerst unwahrscheinlich, daß eine solche werbesprachliche Eigenheit gesellschaftlich dieser Gruppe zugeordnet wird, und somit besitzt sie nicht die in
dieser Arbeit geforderte referenzielle Qualität.153
Hingegen sind sowohl bei der Großgruppe der Jugendlichen als auch bei den jugendlichen Szenen die Voraussetzungen für eine soziospezifische Übernahme werblichen Sprachgebrauchs gegeben. Für beide bietet die Werbesprache genug Sprachmaterial mit Differenzierungspotential. Auch sind sie groß genug, um werbliches Sprachmaterial so exklusiv
für sich besetzen zu können, damit es für den Verweis auf andere soziale Gruppen nicht
mehr geeignet ist.
Im Folgenden sollen nun wesentliche Kriterien zusammengefaßt werden, die eine Auswahl jugendlicher Individuen und deren Zuordnung zu soziologisch homogenen Untersuchungsgruppen ermöglichen sollen.
5.1.2 Untersuchungsgruppe Großgruppe der Jugendlichen
Neben der soziodemografischen Abgrenzung der Großgruppe der Jugendlichen durch
ihr Alter erscheint im Rahmen einer soziologischen Untersuchung schwerpunktmäßig
auch eine soziologische Definition des Begriffs Jugend notwendig. Denn aus gesellschaftlicher Sicht ist Jugend zwar in gewisser Hinsicht mit der Altersspanne der Pubertät zwischen zwölf und achtzehn Jahren verbunden, doch zählen zur Jugend vor allem diejenigen, der sich einerseits zumindest in der Nähe dieser Altersspanne befindet und andererseits
das lebt, was gesellschaftlich als Bestandteil der Jugendkultur gewertet wird.154 So zählt
ein 20jähriger berufstätiger Familienvater soziologisch betrachtet nicht zur Gruppe der
Jugendlichen, ein 26jähriger Student im vierten Semester hingegen durchaus.
Es ist offensichtlich, daß das Element der Jugendkultur als Auswahlkriterium für die Untersuchungsgruppe hinsichtlich einer soziolinguistischen Betrachtung besonders maßgebend sein muß. Nur wer im Rahmen einer jugendlichen Wertewelt lebt, wird entsprechende Bezeichnungsnotwendigkeiten suchen, um auf seine – und damit auf eine jugendliche –
Wertewelt verweisen zu können.
153 Eine Ausnahme könnte eine spezifisch medial interessierte PeerGroup sein, die sich von anderen Gruppen aufgrund ihrer erhöhten Nutzung von Medienzitaten differenziert. Dies soll für die vorliegende Untersuchung jedoch vernachlässigt werden.
154 vgl. Statistisches Bundesamt, 2000, S. 8 f.
- 97 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
5. SOZIALE GRUPPEN UND MEDIENNUTZUNG
Sollen also werbliche Sprachphänomene auf der Ebene der Großgruppe der Jugendlichen gefunden werden, sind als Untersuchungsobjekt Individuen heranzuziehen, die dem
Kriterium »jugendliche Wertewelt« – dessen Kennzeichen bereits im Kapitel »Jugend und
Jugendsprache« erörtert wurden – genügen.155
5.1.3 Untersuchungsgruppen auf Szene-Ebene
Legt man individuellere Maßstäbe an als allein eine jugendliche Wertewelt, läßt sich die
Großgruppe der Jugendlichen wiederum in voneinander abgrenzbare jugendliche Teilkulturen einteilen: den Szenen. Ihren Zusammenhang und ihre Abgrenzung gegenüber
anderen Szenen erhalten diese Gruppen aufgrund gemeinsamer Interessen und Neigungen, die mit einer speziellen Lebensstilistik einhergehen.
Einen ersten Überblick über die jugendlichen Szenewelten liefert das Forschungsinstitut Iconkids & Youth, nach dem sich die Großgruppe der Jugendlichen in folgende Szenen aufteilt:156
Rollerblader, Skateboarder, Fußballfans, Computerfreaks, Streetballer,
Rapper, Normalos, Schlager-Fans, Raver, Homosexuelle, Ökos, Junge
Christen, Heavy Metals, Punks, Trekkies, Grunger, Grufties, SchickiMickis, Skins, Esoteriker, Hooligans, Prols, Okkultisten.
Diese anhand der Selbsteinschätzung der Jugendlichen gefertigte Einteilung ermöglicht
eine relativ unkomplizierte Zuordnung jugendlicher Individuen zu einer der obengenannten Gruppen, die offensichtlich einen weiten Bereich aktuell existierender Szenen abdecken.
Im zweiten Schritt ermöglicht beispielsweise die vom Marktforschungsinstitut A & B
Analyse und Beratung erstellte »MUSEG-JUGENDSEGMENTIERUNG« die Beschreibung der
spezifischen Lebens- und Wertewelt, die mit einer bestimmten Szene einhergeht. In dieser Studie wurden als Kernkriterien zur Beschreibung jugendlicher Lebensstile die Merkmale MUSIK, MODE, SPORT und WERTEKANON herausgearbeitet.157 Jedes dieser Merkmale enthält verschiedene Werte, die in den verschiedenen Szenen unterschiedlich ausgeprägt
sind. Mögliche Werte sind beispielsweise:
155 Weitere Dimensionen der Jugendkultur wurden erarbeitet in der Shell-Jugendstudie, 2000
156 vgl. Dammler et al., 2000, S. 41 ff.
157 vgl. A & B Analyse und Beratung, 1999
- 98 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
5. SOZIALE GRUPPEN UND MEDIENNUTZUNG
•M USIKSTILE: Progressiv (Crossover, Art-Music, ...), Idol-Musik
(Boygroups, ...), Etabliert (Mainstream, Pop, ...), ...
•M ODESTILE: Nobel (Armani, Versace, ...), Fastfood ( H&M, Orsay, ...),
Show Off (Hilfinger, Fila, ...), ...
•S PORTSTILE: Social (Tennis, Tanzen, ...), Fun (Snowboard, Skating, ...),
Styling (Bodybuilding, Aerobic, ...), ...
•W ERTE:
Stabilität, Hedonismus, Engagement, ...
Zusammengefaßt in einer mehrdimensionalen Matrix geben diese Werte die Eckpfeiler
der jeweiligen Szene wieder und beschreiben detailliert jugendliche Teilkulturen wie etwa »Girlies«, »HipHopper«, »Computerfreaks«, »Punker« oder »Skater«. Dies ermöglicht neben einer präzisen Zuordnung jugendlicher Individuen zu einer Jugendszene auch
die trennscharfe Abgrenzung von anderen sozialen Gruppen – und stellt wiederum eine
notwendige Voraussetzung dar, um sprachliche Eigenheiten überhaupt sozialen Gruppen zuordnen zu können.
5.1.4 Bildung von Vergleichsgruppen
Die Bestimmung sprachlicher Eigenheiten sozialer Gruppen erfordert nicht nur die
Analyse des jeweiligen gruppentypischen Sprachstils, sondern zusätzlich den Nachweis,
daß dieser Sprachstil ein anderer ist als der von Individuen, die nicht zu dieser Gruppe
gehören. Es ist also ein Vergleich notwendig zwischen den Sprachstilen von In- und OutGroup – und somit ist es erforderlich, neben der eigentlichen Untersuchungsgruppe auch
eine Vergleichsgruppe in die Analyse mit einzubeziehen, um deren sprachliche Formen
miteinander zueinander in Beziehung zu setzen.
In Zusammenhang mit sozialen Gruppen ist als solche Vergleichsgruppe immer die
OutGroup zu betrachten. Wenn eine sprachliche Eigenheit also als Kennzeichen für diese Gruppe dienen soll, muß sie sich zwangsläufig von der Sprache der jeweiligen OutGroups unterscheiden. Um diese Unterschiede also feststellen zu können, muß eine vergleichende sprachliche Beurteilung auch zwischen vergleichbaren Gruppen vorgenommen
werden. Die Gegenüberstellung beispielsweise einer jugendlichen Rapper-Szene mit einer
altersübergreifenden Gruppe pazifistischer Vegetarier macht vor diesem Hintergrund soziolinguistisch wenig Sinn.
- 99 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
5. SOZIALE GRUPPEN UND MEDIENNUTZUNG
Gilt es also, die Sprache der Großgruppe der Jugendlichen zu betrachten, so muß dies
im Verhältnis zu ihrer OutGroup geschehen, also indem ihre Sprache mit der der Großgruppe der Erwachsenen verglichen wird. Die vergleichende Analyse einer Szenesprache
wiederum hat zu erfolgen, indem sie mit der Sprache einer anderen Szene verglichen wird.
Nur in diesem direkten Vergleich wird die Differenzierungsleistung ihres Sprachstils im
Verhältnis der Gruppen untereinander deutlich, und somit ist nur der direkte Vergleich
der einzig aussagekräftige.
5.2 Zielgruppen und soziale Gruppen
5.2.1 Notwendigkeit der Korrelierung werblicher Ziel- und sozialer Gruppen
Es scheint nachvollziehbar, daß Gruppen besonders dann zur Einbindung werbesprachlicher Eigenheiten in ihren Sprachschatz tendieren, wenn diese Eigenheiten treffend auf
die Besonderheiten der gruppenspezifischen Lebens- und Wertewelt referieren – vor allem deshalb, weil gruppal integrierte Individuen das Bedürfnis haben, besonders über die
Dinge zu sprechen, die sie und ihre Gruppe beschäftigen. Eine solche Referenz ist tendenziell immer dann vorhanden, wenn sich die Werbemaßnahme an eine Zielgruppe mit
eben dieser Wertewelt richtet, denn – wie bereits beschrieben – kann eine Werbung nur
dann erfolgreich sein, wenn sie sich mit positivem Referenzpostulat an die Rezipienten
richtet.
Trotz allem läßt sich nicht ohne weiteres eine werbliche Zielgruppe als Untersuchungsobjekt für die gewünschte Analyse heranziehen. Zielgruppen werden nicht nach sozialen
Kriterien gebildet, sondern nach wirtschaftlichen, wie beispielsweise mediale Erreichbarkeit oder Gewinnpotential. Aufgrund dieser unterschiedlichen Kriterien sind beide Gruppen zunächst nicht vergleichbar.
Dennoch ist es notwendig, Korrelationen zwischen Ziel- und sozialer Gruppe aufzudecken, da sich nur so feststellen läßt, welche Werbemaßnahmen die Individuen der jeweiligen Gruppen schwerpunktmäßig rezipieren. Es würde den Rahmen einer Untersuchung sprengen, den Textkörper sämtlicher dargebotenen Werbeformen zu extrahieren,
um sie in einer möglichen sozioreferenziellen Verwendung wiederzuerkennen. Es muß
eine Vorauswahl getroffen werden, in der geklärt wird, welche Medien- und damit Werbeangebote von der jeweiligen sozialen Gruppe vorwiegend rezipiert werden – schließlich ist eine Übernahme werbesprachlicher Elemente umso wahrscheinlicher, je öfter und
intensiver eine Gruppe in Kontakt mit bestimmten Werbemaßnahmen ist.
- 100 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
5. SOZIALE GRUPPEN UND MEDIENNUTZUNG
5.2.2 Bildung soziospezifischer Zielgruppen
Ziel ist es also, anhand der sozialen Gruppen, die für die soziolinguistische Analyse ausgewählt wurden, werbliche Zielgruppen zu entwickeln, die sich mit den sozialen Gruppen so weit wie möglich decken. Unter Anwendung der Techniken der Mediaplanung
wird es möglich, die von den jeweiligen sozialen Gruppen bevorzugten Medienangebote,
Programmplätze und Printprodukte in Erfahrung zu bringen.158 Es gilt gewissermaßen,
zu einem virtuellen Produkt, das genau auf die Lebenswelt einer sozialen Gruppe zugeschnitten ist, einen ebenso virtuellen Mediaplan zu entwickeln, um zu erfahren, auf welchen medialen Wegen diese soziale Gruppe möglichst oft und unter Vermeidung von
Streuverlusten zu erreichen ist. Das werbliche Umfeld, auf das dieser Mediaplan dann
trifft, muß in der Folge dasjenige sein, das diese soziale Gruppe besonders intensiv rezipiert.
Bei der Ausarbeitung einer soziologisch ausgerichteten Zielgruppe hilft, daß im Verlauf
der wirtschaftlichen Entwicklung zu gesättigten Märkten eine rein soziodemografische
Zielgruppensegmentierung vermehrt als defizitär erkannt wurde. Die Einteilung der Konsumenten hinsichtlich Alters-, Geschlechts- und Einkommensmerkmalen reicht für eine
treffsichere werbliche Ansprache heute nicht mehr aus.159 Im Rahmen dieser Entwicklung wurden die soziodemografischen Zielgruppenmodelle vermehrt ergänzt um sogenannte psychografische Merkmale, um Verbraucher anhand von Kriterien wie Lebensstil, Bedürfnisstrukturen oder Wertvorstellungen gezielter einteilen zu können.160 Diese
Charakteristika decken sich weitgehend mit denjenigen, anhand derer sich soziale Gruppen oder jugendliche Szenen definieren lassen und ermöglichen so die Bildung einer soziologisch ausgerichteten Zielgruppe.
5.2.3 Problematik der Marktdatenaufbereitung
Eine der zentralen Aufgaben der Mediaplanung ist die Zusammenführung marktbezogener Zielgruppendaten (wer kauft welches Produkt und warum) mit entsprechenden Mediennutzungsdaten. Es geht um die Frage, welche Medienangebote diese Zielgruppe vorwiegend rezipiert. Deshalb gilt es, zu einer definierten Zielgruppe ein optimiertes mediales
Umfeld zu finden, innerhalb welchem eine Werbebotschaft einerseits möglichst treffsicher
zur gewünschten Zielgruppe übermittelt wird, andererseits möglichst wenige Marktteilnehmer angesprochen werden, die nicht zur ausgewählten Zielgruppe zählen.
158 Aus Umfangsgründen soll darauf verzichtet werden, im Rahmen dieser Arbeit den dezidierten Ablauf einer Mediaplanung zu beschreiben. Für eine ausführliche Erörterung hierzu vgl. exemplarisch Unger et al., 1999
159 vgl. Kotler et al., 1999, S. 428
160 vgl. Unger et al., 1999, S. 29 ff.
- 101 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
5. SOZIALE GRUPPEN UND MEDIENNUTZUNG
Dezidierte Mediennutzungsanalysen wie beispielsweise die MA (MEDIAANALYSE), AWA
(ALLENSBACHER WERBETRÄGERANALYSE) oder das von der Gesellschaft für Konsumforschung erstellte GFK-PANEL helfen dabei nur bedingt weiter, da sie allein einen demografischen Einblick in den Medienkonsum bieten. Der Analogieschluß von rein soziodemografischen Daten auf Konsumgewohnheiten ist sehr ungenau und für die vorliegende Aufgabe – wie im obigen Abschnitt argumentiert – praktisch ungeeignet. Eine verläßliche
Aussage über die soziale Struktur ist mit ihnen nicht zu erhalten.
Vielmehr ist Ausschau zu halten nach Studien, die nach der Single-Source-Methode
erstellt wurden, die also Mediaverhalten sowie individuelle beziehungsweise soziale
Dispositionen gemeinsam erfassen. Idealerweise sollten diese Studien eine hohe Korrelation und eine hohe Strukturgleichheit zu den Kriterien aufweisen, anhand derer die
Untersuchungs- und Vergleichsgruppen für die anzusetzende soziolinguistische Studie
gebildet worden sind (vgl. Abschnitt »Eingrenzung der Untersuchungsgruppen« in diesem Kapitel).
5.2.4 Für die vorliegende Arbeit geeignete Studien
Als besonders tauglich für die vorliegende Aufgabe ist die Single-Source-Studie TYPOLOGIE DER
WÜNSCHE (TDW) herauszustellen, die in regelmäßigen Abständen vom Burda
Verlag herausgegeben wird.161 Ihre herausragende Stellung erreicht die TdW dadurch,
daß sie verschiedene Zielgruppen anhand zahlreicher psychologischer Merkmale wie Einstellungen, Interessen, Wünsche und Ziele beschreibt. Da sie auf die gleiche Datenbasis
wie die MA zurückgreift, können die in ihr enthaltenen psychografischen Daten mit den
soziografischen und Mediennutzungsdaten der MA fusioniert werden. Auf diese Weise
läßt sich aus den Daten eine Korrelation feststellen zwischen gruppenrelevanten Einstellungs- und Verhaltensweisen sowie beispielsweise Themeninteressen in Zeitschriften, der
Beliebtheit von bestimmten Fernseh-Genres, kurz: Medienangeboten, die aufgrund spezifischer Interessen besonders gesucht und konsumiert werden.
Eine Einschränkung hinsichtlich der Nutzbarkeit für die vorliegende Aufgabe ergibt
sich jedoch dadurch, daß die TdW den Jugendbereich erst ab dem Alter von vierzehn
Jahren erfaßt. Somit bietet sich als Ergänzung zur eben beschriebenen Studie eine spezifisch auf den Jugendmarkt ausgerichtete Media-Markt-Analyse an, wie sie beispielsweise
mit der vom Verlagsgruppe Lübbe herausgegebenen KIDS VERBRAUCHERANALYSE (KVA)
vorliegt.162 In ihr werden Medien- und Konsummerkmale von Kindern und Jugendlichen
161 vgl. Burda Advertising Center, Offenburg, 2001
162 vgl. Lübbe, 2001
- 102 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
5. SOZIALE GRUPPEN UND MEDIENNUTZUNG
in deutschen Privathaushalten im Alter zwischen sechs und neunzehn Jahren erfaßt. Da
die Erhebung der Soziodemografie dieser Studie an die der klassischen Verbraucheranalyse (VA)163 angelehnt ist, ist auch hier die Kombination beider Studien möglich – eine
hilfreiche Ergänzung der Daten, denn die VA bietet nicht nur ausführliche Informationen
zum Media- und Konsumverhalten, sondern auch ausführliche Informationen zu Besitzmerkmalen und Freizeitverhalten sowie ein Auflistung vielfältiger psychografischer Merkmale der befragten Personen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß einzelne Media- oder Marktstudien den Anforderungen der vorliegenden Aufgabe nicht gerecht werden. Um geeignete Untersuchungsgruppen zu erarbeiten und Kenntnis deren Mediennutzungsverhaltens zu erhalten, ist die
Fusion spezifischer sozio-orientierter Studien – etwa der MuSeg Jugendsegmentierung –
sowohl mit marktorientierten Verbraucheranalysen als auch Untersuchungen zur Mediennutzung erforderlich. Hier ist gezielt auf vergleichbares statistisches Material zu achten,
um eine verläßliche Datenbasis zum Erkennen soziolinguistischer Nutzung werblicher
Sprachphänomene zu erhalten.
5.2.5 Analysierbarkeit verschiedener Werbeträgergattungen
Abschließend sollen an dieser Stelle diverse Werbeträgergattungen hinsichtlich ihrer
Eignung als Transportmittel soziolinguistischer Stilmittel diskutiert werden. Dabei stehen vor allem die Kriterien Reizstärke und Untersuchbarkeit im Vordergrund.
Die Reizstärke ist vor allem deshalb vorrangig zu betrachten, da die Übernahme soziolinguistischer Stile als sprachlicher Lernvorgang zu betrachten ist, der umso einfacher von
statten geht, je intensiver die Rezeption der dargebotenen Inhalte erfolgt. Dementsprechend
sind im Rahmen der vorliegenden Arbeit monomediale Werbeträger wie Plakate, Radio
und letztlich auch Anzeigenwerbung eher nachrangig zu betrachten. Die fehlende Möglichkeit der Visualisierung und die hohe Ablenkungsgefahr beim Radiokonsum, die geringe Kontaktdauer bei Plakatwerbung sowie die allgemein geringe Reizstärke bei Printkampagnen verhindern mit hoher Wahrscheinlichkeit nachhaltige sprachstilistische Lernvorgänge.
Einzig der Bereich der Anzeigenwerbung sollte trotz dieser Nachteile in die Untersuchung mit einbezogen werden, da er von allen Werbeträgern die zielgruppengenaueste
Ansprache bietet. Dies ist vor allem im Untersuchungsbereich szenespezifischer Sprachphänomene von Bedeutung, da diesbezüglich die übrigen Medien – mit Ausnahme hinsichtlich der Zielgruppe sehr eingegrenzte TV-Angebote – aufgrund ihrer verhältnismäßig
163 vgl. Bauer, 2001
- 103 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
5. SOZIALE GRUPPEN UND MEDIENNUTZUNG
hohen Streuverluste kein ausreichendes Differenzierungspotential für die relativ eng eingegrenzten Szenen zu bieten scheinen.
Hingegen bieten sowohl TV- als auch Kinowerbung aufgrund der Kombination sprachlicher als auch visueller Elemente das höchste Rezeptionspotential – wobei sich das Kino
durch seinen reizarmen Kontext (dunkler Vorführraum), die hohe Akzeptanz vor allem
bei Jugendlichen sowie seine hohe Zielgruppengenauigkeit zusätzlich auszeichnet.164
Problematisch ist jedoch die praktische Durchführbarkeit einer Textkörpererfassung, da
im Kino keine Aufzeichnungs- oder Analysemöglichkeit gegeben ist. Somit wird sich die
Erfassung werbesprachlicher Einheiten im audiovisuellen Bereich auf die TV-Werbung
konzentrieren müssen. Hier ist besonders auf eine zielgruppenspezifische Ausrichtung
der werbesprachlichen Analyse zu achten, sprich, die Suche nach geeigneten Werbe-Spots
sollte sich am Programmumfeld orientieren, das im Rahmen der Untersuchungs- beziehungsweise Zielgruppenbildung herausgearbeitet wurde. Je nachdem, ob das Differenzierungpotential auf Jugend- oder Szenenebene untersucht wird, sind entsprechend allgemein jugendorientierte oder eben szenespezifische Programmfelder zu bearbeiten. Denn
entsprechend der werblichen Zielgruppenorientierung werden sich die Werbeangebote
eines allgemein jugendlichen Programmumfelds wie »Bravo TV« oder »Marienhof« von
einem szene-orientierten (etwa eines Skater- oder Heavy-Metal-Magazins) unterscheiden
– und damit auch die in der Werbung dargestellten Lebens- und Wertewelten, denen in
dieser Arbeit hohe Bedeutung beigemessen werden.
164 Zu den Akzeptanzwerten verschiedener Werbeträgergattungen vgl. Youngcom, 2000
- 104 -
C. THEORETISCHE KONZEPTIONEN
5. SOZIALE GRUPPEN UND MEDIENNUTZUNG
Soziale Gruppen und Mediennutzung – Das Wesentliche in Kürze:
Im voranstehenden Kapitel konnte herausgearbeitet werden, daß zur Untersuchung soziolinguistischer Übernahmen aus dem werbesprachlichen Bereich vor allem die soziogruppalen Ebenen der Großgruppe der Jugendlichen
sowie die Ebenen der jugendlichen Szenegruppen heranzuziehen sind. Um
das tatsächliche Differenzierungspotential bestimmter sprachlicher Strategien erkennbar zu machen, sind als Vergleichsgruppe jeweils OutGroups heranzuziehen. Diese OutGroups müssen dabei mit den identischen Kriterien beschrieben worden sein, nach denen auch die Untersuchungsgruppe definiert
worden ist. Auf der Ebene der Großgruppe der Jugendlichen ist dies die Großgruppe der Erwachsenen, auf Szene-Ebene eben eine von der Untersuchungsgruppe abgegrenzte Szene. Zur Definition und Eingrenzung jugendlicher Szenen bieten sich die Untersuchungen des Forschungsinstituts Iconkids & Youth
sowie die Studie »MuSeg-Jugendsegmentierung« des Marktforschungsinstituts A & B Analyse und Beratung an.
Um die Medien- und Werberezeptionsgewohnheiten der so definierten Untersuchungsgruppen in Erfahrung zu bringen, ist die Fusion der eben genannten Studien mit entsprechenden Media-Markt-Analysen notwendig, da man
nur so Aufschluß erhält über die von den jeweiligen sozialen Gruppen konsumierten Medienangebote. Als geeignet haben sich in dieser Hinsicht die Studien »Typologie der Wünsche« sowie die »Kids Verbraucheranalyse« herausgestellt. Bei der Fusion von Sozial- und Mediennutzungsstudien ist explizit auf
eine vergleichbare Grundgesamtheit zu achten, um die Daten sinnvoll miteinander in Bezug setzen zu können.
Als Werbeträgergattungen, die als Transportmittel soziolinguistischer Stilmittel geeignet scheinen, verbleiben letztlich allein TV-Werbung und – auf Szenenebene und aufgrund der monomedialen Darstellung nur eingeschränkt –
der Bereich der Printanzeigen. Die konkreten Titel beziehungsweise Sendeplätze, in deren Rahmen die Werbeangebote zu suchen sind, sind anhand der
entsprechenden soziologisch ausgerichteten Media-Marktanalysen herauszuarbeiten.
- 105 -
D. Exkurs: Analysemethoden
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
1.
1. SEMANTISCHE SPRACHANALYSE
Semantische Sprachanalyse
Die kommenden Seiten sind als Vorbereitung auf eine empirische Überprüfung der in dieser Arbeit vorgestellten Zusammenhänge anzusehen. Da im
Verlauf eines solchen Experiments auch die Bedeutung von Äußerungen zu
klären sein werden, sollen nachfolgend einige wichtige Erkenntnisse und
Strategien aus dem Bereich der Semantik dargelegt werden.
1.1 Grundlagen
1.1.1 Problematik der Bedeutungsermittlung
Aufgrund der bereits im Kapitel »Sprachliche Differenzierungsmethoden« genannten
Gründe wird es bisweilen erforderlich sein, über die Bedeutungsfelder gewisser Äußerungen Kenntnis zu erlangen, um zu entscheiden, ob deren gruppenspezifische De- und
Konnotationen auch eine soziale Differenzierungsleistung erfüllen. Um diese Aufgabe zu
erfüllen, bieten sich die Werkzeuge der Semantiklehre an, die sich allgemein mit der Bedeutung von sprachlichen Zeichen beschäftigt.
Jedoch ist die auf den ersten Blick einfache Aufgabe der Bedeutungsermittlung mit einigen, vor allem phänomenologischen Hindernissen verbunden.165 Vor allem wiegt schwer,
daß es die Semantik – im Gegensatz zu den Sprachebenen der Syntax oder der Phonologie – mit der immateriellen Seite sprachlicher Zeichen zu tun hat und deshalb vor dem
Problem steht, die natürliche Sprache mit Hilfe der natürlichen Sprache beschreiben zu
müssen: Um die Bedeutung eines Zeichens zu klären, ist man im wesentlichen auf andere
Zeichen angewiesen, die allerdings wieder eine Bedeutung haben. Die Produktion von
Zirkelschlüssen ohne Aussagekraft (»Eine Kuh ist ein Tier, ein Tier ist zum Beispiel eine
Kuh...«) oder endlosen Definitionsreihen (»Eine Kuh ist ein Tier, ein Tier ist ein Lebewesen, ein Lebewesen ist...«) sind schwer zu vermeiden, will man den Inhalt zeichenhafter Äußerungen definitorisch eingrenzen. Noch schwieriger ist es, der Bedeutung nicht
nur von einzelnen Wörtern, sondern von komplexen Äußerungen näherzukommen: Bedeutet »Brutus hat Cäsar ermordet« und »Cäsar wurde von Brutus ermordet« wirklich
das Gleiche, und wenn nicht, wo liegen die genauen Unterschiede?
165 vgl. Linke et al., 1996, S. 132
- 107 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
1. SEMANTISCHE SPRACHANALYSE
Lyons hat angemerkt, daß »noch niemand auch nur in Umrissen eine befriedigende
und umfassende Semantiktheorie angeboten hat«.166 Es muß also akzeptiert werden, daß
bei jeder semantischen Analyse eine nicht definierbare Restmenge an Sinngehalten unberücksichtigt bleibt. Dennoch bietet die Semantik wertvolle Hinweise, um die Suche zumindest nach den wesentlichen Bedeutungselementen zu systematisieren. Einige dieser
Systematisierungswege sollen im Folgenden besprochen werden.
1.1.2 Grundstrategien der Semantik
Jede semantische Theorie steht also vor dem Problem, der Bedeutung eines sprachlichen
Ausdrucks nie direkt habhaft werden zu können. Im Alltag behilft man sich mit folgenden Strategien, um die Bedeutung eines Zeichens zu klären:
• Es wird auf den entsprechenden Gegenstand – also auf die Referenz –
gedeutet. Man spricht hier von ostensiver Definition.
• Es werden Zeichen produziert, die ungefähr das Gleiche bedeuten; dies
wird als Formulierung von Paraphrasen bezeichnet.
• Man nennt Gebrauchsbedingungen von Zeichen (»xy sagt man, wenn...«).
In der wissenschaftlichen Semantik sind die oben genannten Strategien prinzipiell die
selben. Da jedoch die Anzeige einer Referenz selten möglich ist und das Nennen von Gebrauchsbedingungen oft zu ungenau ist, spielt die Paraphrasen-Strategie die wichtigste
Rolle: Um ihrer Aufgabe, Bedeutungen zu benennen, gerecht zu werden, behilft sich die
Semantik damit, B EDEUTUNGSBEZIEHUNGEN zu beschreiben. Also etwa zu sagen: »Die
Bedeutung von ‚anfangen‘ und ‚beginnen‘ ist gleich« oder »‚tot‘ und ‚lebendig‘ haben gegensätzliche Bedeutungen«.
Prinzipiell gilt die Strategie der Bildung von Paraphrasen nicht nur für die Beschreibung
von Wörtern, sondern auch von zusammengesetzten Äußerungen. Denn die meisten der
zusammengesetzten Ausdrücke und Phrasen sind in ihrer Bedeutung nicht durch die Beschreibung ihrer Elemente erfaßbar. Sie sind UNTERDETERMINIERT, also durch die Bedeutung ihrer Teile nicht voll erklärbar.167 Bei idiomatischen Wendungen, die in der vorliegenden Arbeit besonders interessieren, reicht diese Unterdeterminiertheit sogar bis hin
zur völligen Arbitrarität: Die Bedeutung von »durch die Lappen gehen« oder »aufs Korn
166 Lyons, 1995, S. 411
167 vgl. Linke et al., 1996, S. 140
- 108 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
1. SEMANTISCHE SPRACHANALYSE
nehmen« ist durch die Beschreibung ihrer Einzelelemente überhaupt nicht mehr klärbar.
Bei der Inhaltsanalyse komplexer Äußerungen ist man also auf eine komplett eigenständige definitorische Bedeutungszuordnung angewiesen.
1.1.3 Bedeutungsrelationen
Im Alltag werden zur Beschreibung sprachlicher Ausdrücke Beziehungen wie etwa Bedeutungsgleichheit oder Bedeutungsgegensatz verwendet. Da, wie oben dargestellt, das
wichtigste Werkzeug der Semantik die Bildung von Bedeutungsrelationen ist, sollen nachfolgend in aller Kürze die wichtigsten semantischen Relationen dargestellt werden, mit
denen die Beziehung zwischen Wort- und Satzbedeutungen systematisiert werden:168
•S YNONYMIE ist die Bezeichnung für Bedeutungsgleichheit. Als semantische Relation ist absolute Synonymie selten zu finden. Jedoch wird sie
oft als Werkzeug bei paraphrasischen Beschreibungen von Wörtern herangezogen; die Beziehung zwischen einem Wort und der dazugehörigen
Paraphrase ist hier als weitgehend synonym zu bezeichnen.
•B EDEUTUNGSÄHNLICHKEIT ist in sogenannten Wortfeldern zu finden
(etwa »Bach, Teich, Fluß, See«). Die im Feld enthaltenen Wörter beziehen sich auf den gleichen Sachverhaltsbereich und differenzieren ihn
weiter aus. Entsprechend existiert für ein solches Wortfeld meist auch
ein gemeinsamer Oberbegriff (»Gewässer«).
•I NKOMPATIBILITÄT herrscht zwischen geschlossenen Wortreihen, die
gemeinsam einen Sachverhaltsbereich tendenziell zu hundert Prozent
abdecken (»Montag, Dienstag, Mittwoch,...«). Im Gegensatz zur Bedeutungsähnlichkeit stehen inkompatible Wortreihen in einem systematischen Bezug zueinander.
•K OMPLEMENTARITÄT liegt dann vor, wenn zwei Wörter zusammen einen
bestimmten Sachverhaltsbereich in genau zwei Teile teilen (»lebendig,
tot«). Komplementär sind diese Wörter insofern, als daß ein Sachverhalt
nicht zutreffen kann, wenn der andere zutrifft.
•A NTONYMIE beschreibt ebenfalls einen Bedeutungsgegensatz, allerdings
einen, der an zwei Endpunkten einer Skala steht, auf der weitere Wort168 vgl. Linke et al., 1996, S. 143
- 109 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
1. SEMANTISCHE SPRACHANALYSE
bedeutungen angesiedelt sind (»heiß, kalt« und dazwischen »kühl, warm«).
Oft ist bei Antonymen das normale, allgemeine Wort unmarkiert, etwa
»freundlich«, während das konträre Wort den gewissermaßen bemerkenswerteren Umstand kennzeichnet (»unfreundlich«).169 Antonyme
Wörter schließen sich gegenseitig nicht aus, der Gegensatz von »kaltem
Kaffee« muß nicht zwangsläufig »heiß« sein.
•K ONVERSION 1 beschreibt verschiedene Perspektiven des gleichen Sachverhalts aus unterschiedlicher Perspektive (»kaufen, verkaufen«), während KONVERSION 2 zwei gegensätzliche Sachverhalte aus einer identischen Perspektive zeigt (»Kommen, gehen«).
•I MPLIKATION 1 ist die Relation zwischen Ober- und Unterbegriff:
»Wissenschaftler« ist der Überbegriff von »Soziologe« und »Physiker«.
Auch auf Satzebene kann man von Implikation sprechen: »Ich bin Physiker« impliziert »Ich bin Akademiker«. Die IMPLIKATION 2 hingegen läßt
sich nicht auf ein Über-/Unterordnungsverhältnis zurückführen, so zum
Beispiel »Töten, sterben«: Obwohl »Maria hat Hans getötet« impliziert,
daß »Hans gestorben ist«, ist kein Umkehrschluß von »Hans ist gestorben« auf »Maria hat Hans getötet« möglich.
1.2 Strategien zur Bedeutungsermittlung
1.2.1 Merkmalssemantik
Die eben angeführten Bedeutungsrelationen beschreiben die möglichen Formen der
Bedeutungsähnlichkeit. Ähnlichkeit beschreibt – wie im Alltag – auch hier ein Konzept
partieller Gleichheit und partieller Verschiedenheit. Will man die Aussage »Er sieht ihr
ähnlich« genauer beschreiben, könnte dies in etwa so erfolgen: »Er hat die gleiche Nase,
aber der Mund ist anders«.
Vergleichbar verfährt die MERKMALSSEMANTIK, um die Bedeutung semantischer Einheiten zu beschreiben. Sie sucht nach partiellen Gleich- und Verschiedenheiten von Bedeutungen. Dabei nimmt sie an, daß selbst die elementaren Grundeinheiten einer Sprache
etwas Zusammengesetztes sind.170 Sie bedient sich der Beschreibung von Merkmalsrelationen, um Bedeutungsgemeinsamkeiten und -differenzen zwischen verschiedenen Spracheinheiten greifbar zu machen. Ein Beispiel: »Bach«, »Fluß« und »See« sind Gewässer
169 Allgemein weisen sprachliche Markierungen auf etwas hin, das besonders betont werden soll.
170 vgl. Linke et al., 1996, S. 146
- 110 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
1. SEMANTISCHE SPRACHANALYSE
(= Bedeutungsähnlichkeit). Ein Bach und ein Fluß sind »fließend«, ein See hingegen nicht
(= Komplementarität). Ein See und ein Fluß sind »groß«, ein Bach »klein« (= Antonymie).
Diese Aufzählung läßt sich bis zur gewünschten Detailgenauigkeit verfeinern. Auf diese
Weise wird die Beschreibung einer Bedeutungsähnlichkeit wie »Ein Bach und ein Fluß
sind ungefähr das Gleiche« hinreichend verfeinert, um die gewünschten Bedeutungsunterschiede extrahierbar zu machen.
Kritiker der Merkmalssemantik führen an, daß die eben beschriebene Komponentialanalyse für abstrakte Wortfelder wie beispielsweise im Gefühlsbereich (Verliebtheit, Freude, ...) ungeeignet sei. Tatsächlich besteht die Gefahr, daß die Beschreibung von Bedeutungsbeziehungen in schlimmsten Fall zur reinen Wiederholung der Objektsprache führt
(»Die Trauer ist traurig«). Dennoch erscheint dem Verfasser die beschriebene Methode
für die vorliegende Arbeit geeignet. Wenn bei bestimmten Sprechakten die genaue Bedeutung tatsächlich nicht greifbar werden sollte, so sorgen die merkmalssemantischen Methoden immerhin dafür, Bedeutungsunterschiede erkennbar zu machen und sie sogar in
Beziehung zueinander setzen zu können. Für die vorliegende Aufgabe, nämlich Differenzen im Sprachgebrauch festzustellen, ist diese semantische Praktik somit hinreichend genau.
Zudem ist die Merkmalssemantik sehr geeignet zur Aufdeckung von Nuancen, mit denen Begriffe und Äußerungen konnotiert werden. Denn selten sind zwei Begriffe vollkommen synonym, so daß einer vollständig durch den anderen ersetzt werden könnte,
ohne daß sich die Bedeutung des Gesamtausdrucks ändert. Vielmehr existiert je nach Kontext eine gewisse T EILSYNONYMIE. Während beispielsweise fachsprachlich kein Unterschied zwischen »Metzger« und »Fleischer« existiert, die Begriffe also synonym verwendet werden können, herrscht ein regionaler Unterschied zwischen beiden Begriffen; der
erste wird vorwiegend im süddeutschen Raum verwendet, letzterer eher im norddeutschen
Raum. Indem nun mit Hilfe der Merkmalssemantik die genaue Ähnlichkeitsbeziehung
zwischen Begriffen analysiert wird, wird deutlich, worin genau sich bestimmte Begriffe
voneinander unterscheiden.
1.2.2 Wahrheitskonditionale Semantik
Im Gegensatz zur Merkmalssemantik, die sich vorwiegend, aber nicht ausschließlich
mit der Bedeutung von Wörtern beschäftigt (aufgrund der Systematisierung von Bedeutungsrelationen ist sie auch für die Differenzierung von Äußerungen geeignet), beschäftigt sich die WAHRHEITSKONDITIONALE SEMANTIK mit der Bedeutung von Sätzen. Theo- 111 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
1. SEMANTISCHE SPRACHANALYSE
riespender dieser Semantik ist der Bereich der Logik, der sich mit dem Wahrheitsgehalt
von Sätzen beschäftigt. Nach dieser Theorie ist die Kenntnis des Wahrheitsgehalts eines
Satzes entscheidend dafür, ob man seine Bedeutung verstehen kann:
»Einen Satz verstehen, heißt wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist. Man kann ihn also
verstehen, ohne zu wissen ob er wahr ist.«171
Der eben zitierte Satz birgt den entscheidenden Hinweis auf den Wert der hier besprochenen Semantik für die vorliegende Arbeit. Denn die Bedeutung eines Satzes zu verstehen heißt nicht: zu wissen, ob er wahr ist, sondern: zu wissen, wie die Welt aussehen
muß, damit er wahr ist. Da das Bild von der Realität aber kulturrelativ ist, sind die
Wahrheitsbedingungen ebenfalls relativ, nämlich von sozialer Gruppe zu Gruppe unterschiedlich.
Die Grundprinzipien, nach denen die Wahrheitskonditionale Semantik arbeitet, läßt sich
nun wie folgt beschreiben: Ein »rotes Auto« unterliegt härteren Wahrheitsbedingungen
als ein »Auto«, da eine größere Anzahl an Merkmalen zutreffen muß, damit die erstgenannte Aussage wahr ist. 172 Verbunden mit dem Konzept des Referenzpostulats (vgl.
Kapitel »Kommunikationstheoretische Grundlagen«) lassen sich nun die Bedingungen
für den Wahrheitsgehalt eines Satzes aus der Weltsicht gesellschaftlicher Gruppen beschreiben: Eine Aussage wie »Die Musik dröhnt voll« hat für einen Jugendlichen einen
anderen Wahrheitsgehalt als für Eltern. Für Jugendliche ist der Satz wahr, wenn es sich
um gute Musik handelt, für Eltern dann, wenn aufgrund der Lautstärke die Wände
wackeln.
Es soll nicht verschwiegen werden, daß die Wahrheitskonditionale Semantik für die exakte Bedeutungsanalyse mit erheblichem Aufwand und unter Zuhilfenahme mathematischlogischer Formalismen arbeitet, deren Umfang die vorliegende Arbeit sprengen würde.
Jedoch ist die spezifische Wahrnehmung des Bedeutungsgehalts von Äußerungen aus der
Sicht sozialer Gruppen sehr gut wahrheitskonditional erfaßbar, sobald Sprachhandelnden
die Frage gestellt wird, wie die Welt aussehen muß, damit die getätigte Äußerung einen
Wahrheitsgehalt erhält. Die Antwort auf diese Frage beschreibt sehr treffend den Bedeutungsgehalt komplexer Äußerungen, durch den sich ein sehr definierter Einblick ist die
differenzierte Weltsicht der jeweiligen Gruppe erhalten läßt.
171 Wittgenstein, 1921, Abs. 4.024
172 Wohlgemerkt sind die Wahrheitsbedingungen immer auf die Welt abzustimmen, auf die sich eine Aussage bezieht;
schließlich wäre auch eine Welt vorstellbar, in der nur rote Autos fahren, womit beide Aussagen wieder den gleichen Wahrheitsbedingungen unterliegen.
- 112 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
1. SEMANTISCHE SPRACHANALYSE
Semantische Sprachanalyse – Das Wesentliche in Kürze:
Obwohl die Erforschung der Bedeutungsebene zeichenhafter Äußerungen
prinzipiell niemals vollständig sein kann, bietet die Semantik dennoch verschiedene Strategien an, um sich der Inhaltsebene einer Äußerung zu nähern.
Alle Strategien haben zum Ziel, eine Sammlung weiterer Äußerungen zu erarbeiten, die zu der ursprünglichen Äußerung in einer Bedeutungsbeziehung stehen. Die Semantik stellt hier ein Begriffsraster zur genauen Darstellung dieser
Beziehungen zur Verfügung, so daß das Verhältnis zwischen zeichenhaften
Äußerungen exakt beschreibbar wird.
Für die Bedeutungsbestimmung einzelner Wörter kann die Merkmalssemantik herangezogen werden, bei der zu einzelnen zeichenhaften Elementen
bedeutungsähnliche Begriffe gesammelt und deren Bedeutungsbeziehungen
zueinander mit Hilfe des oben genannten Rasters so lange eingegrenzt werden,
bis die Bedeutung der untersuchten Begriffe hinreichend extrahiert erscheint.
Bei einer solchen Bedeutungsbeschreibung ist – besonders bei der vorliegenden Arbeit – neben der Denotation des Begriffs insbesondere die soziale Überlagerung mit ergänzenden Bedeutungsaspekten zu beachten.
Für die semantische Erfassung komplexer Äußerungen wie beispielsweise
Sätzen erweist sich die Wahrheitskonditionale Semantik als brauchbar. Bei ihr
wird gefragt, welche Bedingungen eintreten müssen, damit der zu analysierende Satz als wahr erachtet werden kann. Durch die Antworten (»Der Satz ist
wahr, wenn...«) entsteht – wie bei der Merkmalssemantik – eine Sammlung
von Äußerungen, die in Beziehung zum Ursprungssatz stehen und deren Verhältnis mit Hilfe der Synonymieskala beschrieben werden kann, um – möglicher weise sozial begründete – Bedeutungsdifferenzen beschreibbar zu
machen.
- 113 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2.
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
Grammatische Sprachanalyse
Analog zur voranstehenden semantischen Sprachbeschreibung sollen nachfolgend grundlegende Erkenntnisse zur grammatischen Struktur einer Sprachhandlung dargestellt werden. Ziel dieser Schilderung ist es, die Analyse soziolinguistischer Sprachstile aus grammatischer Sicht zu ermöglichen, damit die
genauen Unterschiede in Wort- und Satzbau zwischen sozial differenzierenden Sprachstilen exakt beschreibbar werden.
2.1 Grammatische Ebenen
Die Betrachtung grammatischer Regularitäten soll auf den kommenden Seiten den Ebenen
folgen, in die sich nach aktueller Lehrmeinung die Bildung komplexer Äußerungen einteilen
läßt: die MORPHOLOGIE, die die Bildung von Wörtern und deren FLEXION beschreibt; die
WORTARTENLEHRE, in der die grundsätzlichen Worttypen einer Sprache klassifiziert
werden und nicht zuletzt die SYNTAX, die die Regeln der Bildung von Sätzen schildert.173
Auf die Beschreibung orthographischer Regularitäten soll verzichtet werden, da die Thematik der vorliegenden Arbeit auf gesprochene Kommunikationssituationen beschränkt
ist.
Nachfolgend soll eine grundsätzliche Darstellung der grammatikalischen Ebenen und
deren Charakteristika erfolgen, um die Suche nach sowie die Beschreibung von grammatischen Unregelmäßigkeiten zu erleichtern. Der Verfasser verzichtet bewußt auf eine tiefere Beschreibung einzelner Flexions- und Syntaxregeln, die zum einen zu umfangreich
wären und andererseits in verschiedenen Werken bereits hinlänglich beschrieben sind.
Für die konkrete Sprachanalyse sei auf die einschlägigen Standardwerke sowie das grammatikalische Schulwissen verwiesen.174
173 Das Wort »schildern« ist bewußt gewählt, da der Verfasser einer Grammatiksicht folgt, die die Regeln zum
Sprachgebrauch eher beschreibt als definiert.
174 Der Verfasser empfiehlt unter anderem: Duden, Bd. 4, 1998, bzw. Eichler et al., 1989
- 114 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
2.2 Morphologie
2.2.1 Syntaktisches Wort und Lexem
Im Gegensatz zur Wortbetrachtung im Rahmen der Syntax sind Wörter aus morphologischer Perspektive keine unteilbaren Einheiten; die Morphologie fragt vielmehr ganz explizit nach dem inneren Aufbau von Worten. Bevor man sich jedoch diesem Aufbau widmen
kann, gilt es zu klären, was die Definition eines Worts im Sinn der Morphologie einschließt.
Die Wortformenlehre unterscheidet hier zwischen zwei Definitionsarten:175
•S YNTAKTISCHES WORT ist jede spezifische Ausprägung eines Worts in
seiner lautlichen oder grafischen Gestalt. Eine unterschiedliche grammatische Form eines Worts (»fliegen, fliegt«) hat zwei syntaktische Wörter
zur Folge. Grammatische Unterschiede müssen dabei nicht offenkundig
sein: »wir fliegen« und »sie fliegen« sind ebenfalls zwei syntaktische
Wörter.
•L EXEM ist eine Menge verschiedener syntaktischer Wörter, die gewisse
wesentliche Dinge – meist den Stamm – gemeinsam haben. Die grammatische Variation, also die Flexion, der Numerus und dergleichen bleibt
hierbei neutral. Somit sind »fliegen« und »fliegt« zwar zwei syntaktische
Wörter, aber ein Lexem.
Man kann also sagen, daß syntaktische Wörter mittels Anreicherung von Lexemen durch
grammatische Merkmale entstehen. Die Morphologie untersucht dabei die innere Struktur von syntaktischen Wörtern und stellt Kategorien bereit, mit Hilfe derer diese Glieder
klassifiziert werden können.
Nach der Morphologie besteht ein syntaktisches Wort einerseits aus seiner Form auf
der Signifikanten-Ebene und andererseits verschiedenen Merkmalen auf der Signifikatsseite: den semantischen Merkmalen (die aber nicht Gegenstand der Morphologie sind),
der Wortart (etwa Verb oder Substantiv) sowie den morphosyntaktischen oder auch Flexions-Merkmalen. Ein neutrales Lexem trägt aufgrund seiner Wortart eine spezifische
Veranlagung dafür, bestimmte morphosyntaktische Ausdifferenzierungen zu erhalten
(etwa die Ausdifferenzierung des Tempus beim Verb). Erst durch diese Ausrüstung mit
Flexionsmerkmalen wird es möglich, syntaktische Ausdrücke – also Phrasen oder Sätze –
zu bauen.
175 vgl. Linke et al., 1996, S. 57
- 115 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
2.2.2 Der Aufbau von Wörtern
Die voranstehenden Absätze haben gezeigt, daß ein Wort aus verschiedenen bedeutungstragenden oder funktionellen Einheiten zusammengesetzt ist, die zusammen als MORPHEM
bezeichnet werden. Nicht zu verwechseln sind diese Einheiten mit Silben, in die ein Wort
ebenfalls unterteilt werden kann. Wichtig ist für ein Morphem einzig, daß ihm eine grammatische oder semantische Bedeutung zukommt.
Es werden verschiedene Morphemtypen unterschieden, denen im Innenbau eines Worts
unterschiedliche Aufgaben zukommen:176
• FREIE und GEBUNDENE MORPHEME: Freie Morpheme können als eigenständige Wortform auftreten, müssen es aber nicht (etwa das Wort »frei«,
das auch zu »Freiheit« kombinierbar ist), während gebundene Morpheme
nie als selbständige Wortform auftreten (beispielsweise »-bar« oder »-keit«).
• LEXIKALISCHE und GRAMMATISCHE MORPHEME: Lexikalische Morpheme
referieren auf Außersprachliches, sie tragen die Bedeutung im engeren
Sinn. Hingegen haben grammatische Morpheme vorwiegend innersprachliche Bedeutung und markieren beispielsweise Wortarten (etwa die
Adjektivierung »-lich«) oder den Numerus (»-en« für Plural). Grammatische Morpheme sind im Regelfall gebunden, lexikalische normalerweise
frei. Der Verfasser merkt hierzu allerdings an, daß sich grammatische
Morpheme nicht mehr auf die innersprachliche Funktion beschränken,
sobald sie der sozialen Differenzierung dienen. In diesen Fall referieren
sie auf etwas Außersprachliches, etwa den sozialen Status des Sprechers.177
•A FFIX und STAMM: Angehängte (gebundene) grammatische Morpheme
bezeichnet man als Affixe, das Morphem, an das sie angehängt sind, als
Stamm. Je nach Ort der Affigierung bezeichnet man die Affixe als Präfix
(vorne), Suffix (hinten) oder Zirkumfix (den Stamm umschließend). Der
Stamm muß nicht zwangsläufig ein einzelnes Morphem sein, es kann sich
auch um einen morphologischen Komplex handeln – beispielsweise
»Mehr-heit-en«: »Mehr« ist der Stamm vom Suffix »heit«, und »Mehr-heit«
bildet zusammen den Stamm vom Suffix »-en«.
176 vgl. Linke et al., 1996, S. 61
177 Ein Beispiel könnte die Wahl einer erkennbar altmodischen grammatischen Form sein.
- 116 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
Die Kenntnis über den eben beschriebenen Aufbau von Wörtern wird vor allem bei der
Beschreibung von Wortformen wichtig sein, die vom allgemeinsprachlichen Standard abweichen. Mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Struktur läßt sich genau beschreiben, wo
und inwiefern eine Wortkonstruktion vom erwartbaren (oder auch akzeptierbaren) Raster
abweicht.
2.2.3 Morphosyntaktische Funktionen
Grammatische Affixe besitzen mehrere innersprachliche Funktionen, deren Aufgaben
sich in Wortbildung und Wortbeugung unterteilen lassen.
Bei der Wortbeugung oder auch Flexion spielen Affixe eine zentrale, wenn auch nicht
die ausschließliche Rolle. Flexionsaffixe dienen dazu, aus einem Lexem verschiedene syntaktische Wörter zu bilden, sie gewissermaßen mit den grammatischen Funktionen aufzuladen, die zur Bildung komplexer Äußerungen wie etwa eines Satzes notwendig sind.
Diese flexivischen Abwandlungen hat die Linguistik in Kategorien wie beispielsweise Tempus, Modus, Genus oder Numerus eingeteilt, wobei diese Kategorien je nach Wortklasse
(welche im nachfolgenden Abschnitt genauer beschrieben werden) nochmals in Deklination und Konjugation untergliedert werden. Es muß beachtet werden, daß die Affigierung von Lexemen die weitaus prominenteste, aber nicht die einzige Flexionsmethode
ist.178 Es ist auch möglich, flexive Formen etwa durch INNERE ABWANDLUNG darzustellen (»Mutter, Mütter«) oder sogar mittels KONVERSION, indem ein Wechsel der morphosyntaktischen Merkmale ohne äußere Kennzeichen erfolgt: etwa »(der) Enkel, (die)
Enkel«.
Neben den Flexionsaufgaben kommt den grammatischen Morphemen die Funktion der
Lexembildung zu, die wiederum auf zwei Arten erfolgen kann.179 Die DERIVATION sorgt
mit Hilfe von Prä- und Suffixen für die Ableitung unterschiedlicher Lexeme aus einem
Wortstamm, beispielsweise aus dem Substantiv »Frucht« das Adjektiv »fruchtbar«. Es
existieren typische Affixe zur Bildung bestimmter Wortarten, etwa »-bar«, »-lich« für Adjektive oder »-heit«, »-keit«, »-ung« für Substantive.
Eine weitere Form der Lexembildung ist die KOMPOSITION, in der jedoch nicht ein Stamm
und ein Affix zur Anwendung kommen, sondern die Kombination mindestens zweier lexikalischer, meist freier Morpheme – zum Beispiel »Meer-jung-frau«. Man unterscheidet
hinsichtlich semantischer Gesichtspunkte zwischen KOPULATIV- und D ETERMINATIV-
178 vgl. Linke et al., 1996, S. 62
179 vgl. Linke et al., 1996, S. 65
- 117 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
KOMPOSITIONEN. Im ersten Fall gibt es nur ein geringes Hierarchiegefälle zwischen den
Gliedern: »graublau« hat keine wesentlich andere Bedeutung als »blaugrau«. Ein Determinativ-Kompositum besitzt hingegen ein klares Bestimmungswort, das im Deutschen
am Ende des Kompositums steht: »Steinsalz« ist aus Stein extrahiertes Salz, »Salzstein«
ist der Stein, aus dem es gewonnen wird.
Da die affektive Wortformenvariierung eine sehr brauchbare Methode zur soziogrammatischen Differenzierung darstellt, werden die voranstehend beschriebenen morphosyntaktischen Funktionen im Rahmen sprachlicher Differenzierung öfters zur Anwendung
kommen.
2.3 Wortartenlehre
2.3.1 Notwendigkeit der Wortarten-Klassifizierung
Wie bereits angemerkt, enthält die Signifikantenseite eines Worts neben den semantischen
und morphosyntaktischen Merkmalen auch das Merkmal der Wortart. Die Wortart gibt
Hinweise auf die innersprachliche Funktion eines Lexems und beschreibt, in welchem
morphosyntaktischen Rahmen es variierbar ist. Vor allem aufgrund der zweiten Funktion ist die Kenntnis der Wortart für die vorliegende Arbeit von Bedeutung: Erst wenn geklärt ist, auf welche Weise ein Lexem flektierbar ist beziehungsweise ob und wie eine Derivation oder Komposition erfolgen kann, lassen sich Abweichungen vom allgemeinen
Sprachgebrauch strukturiert beschreiben.
2.3.2 Wortartenklassifizierung nach Glinz
Seit den fünfziger Jahren hat sich zum Zweck der Wortartenklassifizierung allgemein
die von Hans Glinz entwickelte FÜNF-WORTARTEN-LEHRE durchgesetzt.180 Mit dieser
auf der folgenden Seite tabellarisch dargestellten Wortarteneinordnung mit Hilfe eindeutiger Kriterien werden die Schwächen der ZEHN-WORTARTEN-LEHRE mit ihrer fast zweitausendjährigen Tradition vermieden, da die Klassifizierung nach Glinz ausschließlich
hinsichtlich der Zugänglichkeit der Lexeme für Flexionsprozesse erfolgt und eine semantische Zuordnung vermeidet, von der die klassische Lehre teilweise Gebrauch gemacht
hat.181
180 Glinz, 1973
181 vgl. Linke et al., 1996, S. 76 f.
- 118 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
Lexeme
flektierbar
konjugierbar
deklinierbar
festes Genus
Verb
nicht flektierbar
Nomen
Substantiv
variables Genus
steigerbar
2 Flexionsreihen
nicht steigerbar
1 Flexionsreihe
Adjektiv
Begleiter
Stellvertreter
Artikel/Pronom
Partikel
Tabelle 1: Kriterien zur Wortartenklassifizierung nach Glinz
Die voranstehende Klassifizierung ermöglicht die eindeutige Einordnung aller Lexeme,
indem sie auf die angeführten Kriterien hin überprüft werden. Die fünf Wortklassen können für bestimmte Zwecke (etwa für Kriterien des Satzbaus, vgl. nachfolgender Abschnitt)
weiter unterteilt werden. Denkbar sind für den Bereich der Partikel etwa Subklassen wie
Konjunktion (»und, weil, daß«), Präposition (»in, auf, bei«) oder Adverb (»hier, gestern,
hoffentlich«).
Auch für die Aufgabe einer grammatischen Analyse der Abweichungen wären Verben
genauer zu klassifizieren hinsichtlich der Frage, welchen Kasus sie fordern. Da jedoch eine Klassifizierung, die eine solche Aufgabe allgemeingültig wahrnimmt, für die vorliegenden Zwecke zu umfangreich wäre, erscheint es dem Verfasser ausreichend, Fragen beispielsweise zur Partikel- oder Verb-Einordnung jeweils anhand der Fälle im zu analysierenden
Textkörper einzeln zu klären.
- 119 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
2.4 Syntax
2.4.1 Allgemeine Bedingungen der Satzbildung
Die Syntax im grammatischen Sinn beschäftigt sich mit der Frage, wie aus Wörtern Sätze gebildet werden. Sie fragt somit nach dem auch für die vorliegende Arbeit relevanten
formalen Aufbau sprachlicher Ausdrücke.
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung hat die Beschäftigung mit Syntax nicht die
Formulierung von Regeln zur Bildung grammatisch korrekter Sätze zum Ziel. Es soll, wie
bereits in den voranstehenden Abschnitten, nur der Umstand geklärt werden, wie die Struktur einer wohlgeformten – und damit allgemein akzeptierbaren – Äußerung aussehen muß,
damit sie syntaktisch von gruppenspezifischen Äußerungsformen unterschieden werden
kann.
Linke et al. haben drei allgemeine Grundsätze formuliert, in denen die Grundregeln zur
Satzkonstruktion zum Ausdruck kommen:182
• Damit eine Gruppe von Wörtern eine wohlgeformte Wortgruppe
genannt werden kann, genügt es nicht, beliebige Wörter zusammenzustellen, sondern es braucht dazu ganz bestimmte syntaktische
Wörter mit spezifischen Eigenschaften.
• Es genügt nicht, die passenden Wörter mit den spezifischen Eigenschaften irgendwie zusammenzustellen; vielmehr muß eine bestimmte
Ordnung eingehalten werden.
•Damit etwas ein vollständiger Satz ist, muß ein bestimmtes Minimum
an Wörtern gegeben sein, sonst entstehen zwar wohlgeformte Ausdrücke,
aber keine Sätze.
Damit also ein Satz entsteht, sind genügend ‚richtige‘ syntaktische Wörter in der passenden Reihenfolge zu kombinieren:183 »Den Tisches am Vormittag hat gedeckt« ist nicht
als syntaktischer Satz akzeptierbar, da das Subjekt fehlt, das Lexem »Tisch« nicht mit
‚falschen‘ Merkmalen aufgeladen ist und zudem die Satzelemente in ‚falscher‘ Reihenfolge stehen.
182 vgl. Linke et al., 1996, S. 79
183 Es wird aufgefallen sein, daß in diesem Zusammenhang von syntaktischen Wörtern und nicht von Lexemen die
Rede ist, also von Wörtern, die bereits in der Wortart, der Wortform und den entsprechenden morphosyntaktischen Merkmalen geprägt sind.
- 120 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
2.4.2 Satzgliedlehre
Ein Satz ist im syntaktischen Sinn nicht in erster Linie als Kombination von Wörtern
zu verstehen, sondern als Kombination von Wortgruppen, die als bestimmte Sinneinheit
anzusehen sind. Der Grund dafür, daß Sätze nicht nur als bloße Wortsequenzen betrachtbar sind, sondern daß eine strukturelle Ebene zwischen einzelnen Wörtern und ganzen
Sätzen existiert, zeigen die zwei folgenden Phänomene:184
• Im deutschen Satz lassen sich bestimmte Wortgruppen gesamthaft
verschieben, und zwar nur gesamthaft: »Sie hat den ganzen Tag
geschlafen«, »Den ganzen Tag hat sie geschlafen«, aber nicht «Ganzen
hat sie den Tag geschlafen«.
• Bestimmte Wortgruppen lassen sich gesamthaft durch ein Wort ersetzen,
und umgekehrt können auch ganze Wortgruppen ein einzelnes Wort
ersetzen: »Die völlig erschöpfte Frau hat den ganzen Tag geschlafen«,
»Sie hat den ganzen Tag geschlafen«.
Diese SATZGLIEDER genannten Wortgruppen werden mit aus der Logik importierten
Begriffen wie beispielsweise Subjekt oder Objekt beschrieben. Wie bereits bei der voranstehend beschriebenen Wortartenklassifizierung hat Glinz auch bei der Satzgliedlehre eine neue Strukturierung angeboten, die seit den fünfziger Jahren eine immer breitere Anerkennung bis hinein in die Schulgrammatik erfährt. Im Kern folgt die Satzgliedlehre
nach Glinz folgenden Grundsätzen:185
•V ERBALE TEILE und SATZGLIEDER werden aufgetrennt. Die verbalen
Teile, die das traditionelle Prädikat ersetzen, enthalten alle Elemente der
Verbform (»gehabt zu haben wollen«).
• Von den übrigen im Satz enthaltenen Teilen werden jene Elemente als
Satzglieder bestimmt, die folgender Definition genügen: Satzglied ist
diejenige kleinste Wortgruppe, die gesamthaft ersetzt und die im Satz
(ohne Bedeutungsänderung) nur gesamthaft verschoben und insbesondere
gesamthaft in die Position vor das finite Verb in einfachen Aussagesätzen
gestellt werden kann.
184 vgl. Linke et al., 1996, S. 80
185 vgl. allgemein Glinz, 1973
- 121 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
Mit Hilfe der sogenannten Ersatzprobe und Verschiebeprobe186 werden also alle Satzglieder außer den bereits im Vorfeld extrahierten Verbalteilen segmentiert und anhand der
folgenden – von Glinz vorgeschlagenen – Kriterien klassifiziert:187
Kern
ohne Einleitewort
fallbestimmt
im Nominativ
im Akkusativ
im Dativ
im Genitiv
fallfremd
mit Adjektiv
mit Partikel
Subjekt
Gleichsetzungsnominativ
Anredenominativ
Akkusativobjekt
Gleichsetzungsakkusativ
adverbialer
Akkusativ
Dativobjekt
Genitivobjekt
adverbialer
Genitiv
Satzadjektiv
Satzpartikel
Einleitewort
mit Einleitewort
mit Präposition mit »als«/«wie«
Konjunktionalglied
Präpositionalglied
präpositionales
Satzadjektiv
präpositionale
Satzpartikel
konjunktionales
Satzadjektiv
konjunktionale
Satzpartikel
Tabelle 2: Kriterien zur Satzgliedbestimmung nach Glinz
Mit Hilfe dieser Struktur können aus Äußerungen, die in soziogruppal relevanten Kommunikationssituationen getätigt wurden, nicht akzeptierbare Satzglieder extrahiert und
beschrieben werden. Dabei wird analysierbar gemacht, wo die Besonderheit des Satzglieds
mit verringerter Akzeptierbarkeit liegt und welche syntaktischen Wörter in welchen Kombinationen gegeben sein müßten, um die Akzeptierbarkeit bei der OutGroup wieder her-
186 Zur exakten Definition und zu Handlungsanweisungen bezüglich der Ersatz- und Verschiebeprobe vgl. Duden,
Bd. 4, 1998, S. 620 ff.
187 Kreuztabelle entnommen aus: Linke et al., 1996, S. 83
- 122 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
zustellen.188 Die Satzgliedklassifizierung stellt somit für die notwendige empirische Überprüfung der beschriebenen sprachlichen Differenzierungshandlungen ein wichtiges Werkzeug dar, da nur bei ihr die zur Darstellung der Unterschiede notwendigen Kategorien
erhältlich sind.
188 Da sich eine solche Analyse am konkreten Fall orientiert, soll aus Umfangsgründen darauf verzichtet werden, die
Eigenschaften und Funktionen der Satzgliedkategorien einzeln zu illustrieren – hier sei ebenfalls stellvertretend
auf die Duden-Grammatik verwiesen: Duden, Bd. 4, 1998, S. 629 ff.
- 123 -
D. EXKURS: ANALYSEMETHODEN
2. GRAMMATISCHE SPRACHANALYSE
Grammatische Sprachanalyse – Das Wesentliche in Kürze:
Um die Strategien bei soziogrammatischen Differenzierungsleistungen beschreibbar zu machen, sind zunächst die auf morphologischer Ebene vorhanden Elemente zu bestimmen, die zum inneren Aufbau eines Worts beitragen.
Hier sind zum einen die lexikalischen, also bedeutungstragenden Wortteile
zu trennen von den grammatischen, die zunächst innersprachliche Funktion
besitzen. Die bedeutungstragenden Elemente werden im Rahmen der Semantik zu untersuchen sein, während die grammatischen hinsichtlich der Frage zu
untersuchen sind, ob sie möglicherweise durch eine verringerte kontextuelle
Akzeptierbarkeit nicht doch eine außersprachliche Referenz besitzen, nämlich
die Referenz auf die soziale Gruppe.
Die Analyse grammatischer Abweichungen wird nicht zuletzt möglich durch
die Kenntnis der in diesem Kapitel dargelegten inneren Struktur von Wörtern
– wobei der Beschreibung von durch Affigierung neu ausgebildeten Lexem- und
Flexionsformen ein besonderes Gewicht zukommt. Um weiterhin im Bereich
der Lexembildung genauere definitorische Abgrenzungen zu ermöglichen, ist
die Analyse der Wortart für die anzusetzende empirische Untersuchung ebenfalls von Bedeutung. Denn auch die Kenntnis der Wortart leistet einen Beitrag
dazu, die Ursache für eine soziogrammatisch verringerte Akzeptierbarkeit greifbar zu machen. Hierzu wurde die inzwischen weithin anerkannte Wortartenklassifizierung nach Glinz eingeführt.
Nicht zuletzt wird mit der ebenfalls von Glinz angebotenen Satzgliedlehre
ein Begriffsraster zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe Differenzen vom allgemein als wohlgeformt empfundenen Satzbau analytisch erkennbar gemacht
werden können. Denn nur, indem Sätze mit verringerter grammatischer Akzeptierbarkeit mittels eines solchen Rasters untersucht werden, läßt sich das
sprachliche Phänomen eruieren, das für die Akzeptierbarkeitsdifferenz verantwortlich zeichnet – und infolge dessen kann erst dann erforscht werden, ob
dieses Sprachphänomen aus anderen Sprachstilen in den gruppenspezifischen
Sprachgebrauch übernommen wurde.
- 124 -
E. Ergebnisse und Verknüpfungen
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
1.
1. ERGEBNIS DER THEORETISCHEN KONZEPTIONEN
Ergebnis der theoretischen Konzeptionen
1.1 Beschreibung der Zusammenhänge
1.1.1 Sprachliche Manifestation gesellschaftlicher Phänomene
Es ist Absicht der vorliegenden Arbeit, das Phänomen Werbesprache aus soziologischer
Sicht zu betrachten – genauer: aufzuklären, ob werbesprachliche Eigenheiten zur Differenzierung sozialer Gruppen beitragen können.
Ausgangspunkt dieser Hypothese ist dabei einmal mehr das systemtheoretische Gesellschaftsmodell Niklas Luhmanns, nach dem die Ausbildung und Strukturierung einer sozialen Gesellschaft ausschließlich kommunikativ erfolgt – Kommunikation ist also die
einzige Möglichkeit, Interessen, Werte, Normen und Wahrnehmungen darzustellen und
somit überindividuelle Gemeinsamkeiten herauszubilden, die als Kennzeichen einer Gesellschaft anzusehen sind.
Da auch die Binnenstrukturierung einer Gesellschaft in Teilgesellschaften beziehungsweise soziale Gruppen erfolgt, indem diese Gruppen ihre von anderen Gruppen differierenden Lebens- und Wertewelten kommunikativ darstellen, steht jede spezifische
Form der Kommunikation im Gegenzug zeichenhaft für die spezifische kulturelle Wahrnehmung einer sozialen Gruppe. Semiotisch betrachtet dient also die Art, mit der soziale Gruppen miteinander und mit anderen Gruppen kommunizieren, als Signifikant sowohl für die Gruppe selbst als auch für die mit ihr verbundenen kulturellen Normen
und Werte.
Sinngemäß gilt das Gleiche für gruppenspezifische Sprachstile. Eine spezifische Art des
Sprachgebrauch referiert auf diejenige Gruppe, mit der die Gesellschaft eben diesen Sprachstil verbindet – nur so wird es möglich, beispielsweise durch den Gebrauch von Jugendsprache Jugendlichkeit auszudrücken; und zwar nicht nur als Angehöriger dieser speziellen Gruppe, sondern auch für jeden, der nicht zu dieser Gruppe zählt, aber Jugendsprache
verwendet.
- 126 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
1. ERGEBNIS DER THEORETISCHEN KONZEPTIONEN
1.1.2 Beiträge werblichen Sprachstils zur sozialen Differenzierung
Anhand der voranstehenden Argumentation konnte also verdeutlicht werden, daß ein
spezifischer Sprachgebrauch geeignet ist, um auf soziale Gruppen zu verweisen. Ein möglicher Beitrag der Werbesprache zu einem solchen Sprachstil ist hingegen zunächst davon
abhängig, ob sich überhaupt ein werbetypischer Sprachstil ausmachen läßt.
In diesem Zusammenhang konnte belegt werden, daß die spezifischen Aufgaben, die
Sprachhandlungen im werblichen Kontext zu erfüllen haben, tatsächlich zu einem eigenen Sprachstil führen. Jedoch war festzustellen, daß die funktiolektalen Elemente nur retrospektiv erfaßbar sind, da erst die Summe verschiedener, nicht werbe-exklusiver Sprachstrategien einen werbetypischen Sprachstil ergeben: Erst die konkrete Verwendung beispielsweise steigernder Lexemkompositionen (»Familientube«) oder des Einsatzes spezifischer Hochwert- beziehungsweise Quasifachwörter (»Königsnüsse, Naturjod«) führen
zum Prädikat werblichen Sprachstils. Obwohl also die Frage nach der Existenz einer linguistisch abgrenzbaren Werbesprache allgemein positiv beantwortet werden kann, ist für
die konkrete Beschreibung werbesprachlicher Phänomene die konkrete Analyse werblicher Textkörper notwendig.
Bezüglich der Eignung werblichen Sprachstils im Hinblick auf die sprachliche Differenzierung sozialer Gruppen kann folgendes festgestellt werden: Da eine Werbemaßnahme
nicht nur ein Produkt oder eine Dienstleistung isoliert präsentiert, sondern das Beworbene auch in einen emotiven Kontext einbindet, darf als feststehend gelten: Eine Werbung
nimmt immer auch Bezug auf soziale Normen und Werte.
Enthält in der Folge eine Werbemaßnahme eine spezifische sprachliche Eigenheit, entsteht eine referenzielle Verbindung zwischen der sprachlichen Eigenheit und den dargestellten Lebens- und Wertewelten, sofern die Werbung diesen Bezug wiederholt und
dauerhaft anbietet und sich eine überindividuelle Übereinkunft über eben dieses Signifikant-Signifikat-Paar herausbilden kann.
Wenn nun in einem außerwerblichen Kontext Werbesprache verwendet wird, referiert
dies gleichzeitig auf die in der Werbung dargestellte Wertewelt, und – nachdem zwangsläufig eine soziale Entsprechung zu dieser Wertewelt existieren muß (sonst würde sich
die Werbemaßnahme an niemanden richten) – auch auf die Wertewelt einer bestimmten
sozialen Gruppe, sofern diese Wertewelt auch als wesentliches Differenzierungsmerkmal
dieser Gruppe angesehen wird.
- 127 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
1. ERGEBNIS DER THEORETISCHEN KONZEPTIONEN
Weiterhin konnte der Verfasser eine zweite Möglichkeit ausfindig machen, durch die
eine referenzielle Verbindung zwischen einer werbesprachlichen Eigenheit und den Lebens- und Wertewelten einer Gruppe entsteht: Jede soziale Gruppe benötigt, um von anderen Gruppen unterscheidbar zu werden und zu bleiben, einen spezifischen exklusiven
Zeichenvorrat. Da dieser Zeichenvorrat regelmäßig von der Gesamtgesellschaft aufgenommen und dabei entsemiotisiert wird – also seine Funktion der zeichenhaften Referenz auf
die Gruppe und deren Lebens- und Wertewelt verliert – benötigt jede Gruppe regelmäßig
eine Menge neuer Zeichen, die die verlorengegangenen ersetzen. Hier bietet der werbetypische Sprechstil eine sprachökonomische Möglichkeit, den Zeichenvorrat aufzufüllen.
Besonders geeignet sind hierbei aus der Werbung hevorgegangene Sprachstilistika, die
spezifische Bezeichnungsnotwendigkeiten der Gruppe auszudrücken in der Lage sind.
Etabliert sich die Verwendung dieser werbesprachlichen Eigenheit dann innerhalb einer
Gruppe, erhält diese Sprachform einen referenziellen Bezug zur Gruppe und verweist in
der Folge zeichenhaft auf sie.
1.1.3 Differenzierungsebenen im Jugendbereich
Die eben beschriebene soziolinguistische Differenzierung kann in dem in der vorliegenden Arbeit betrachteten Jugendbereich auf zwei soziogruppalen Ebenen zur Verwendung
kommen. Zunächst bietet sie sich der Großgruppe der Jugendlichen an, um eine soziosprachliche Abgrenzung zur Gruppe der Erwachsenen zu erreichen. Erreicht wird eine
solche Abgrenzung mittels der Jugend-Konsumsprache; sie kommt schwerpunktmäßig
zur Anwendung, sobald Lebens- und Wertewelten kommuniziert werden, die sowohl von
der In- als auch der OutGroup als Reizthemen der allgemeinen Jugend angesehen werden:
Schule, Kneipe, Disko, Modekonsum, Genußmittel, Musik, Beziehungen, Medien, elektronische Kommunikation sowie spezifische Medieninhalte wie Daily Soaps und Reality
Shows.
Weiterhin ist eine soziosprachliche Differenzierung geeignet, um auf Szenenebene eine
Grenzziehung zu anderen Szenegruppen zu bewirken. Die hier thematisierten Werte und
Normen sind spezifischer als auf der Ebene der Jugend-Konsumsprache – auf Szenenebene
nehmen sie überwiegend Bezug auf die speziellen Interessen und Weltsichten, anhand derer sich eben jene Szenen formieren.
Auf der Ebene der PeerGroups scheint Werbesprache hingegen kein Potential zu besitzen, um auf eigene oder fremde Gruppen zu referieren. Einerseits sind hier andere gemeinschaftliche Kennzeichen relevant als Medienerlebnisse, andererseits wird Werbesprache
- 128 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
1. ERGEBNIS DER THEORETISCHEN KONZEPTIONEN
von schlicht zu vielen Gruppen rezipiert, als daß sie gesellschaftlich erkennbar auf derart
kleine Gruppen referieren könnte.
1.2 Konkrete Ausgestaltung soziolinguistischer Strategien
1.2.1 Ebenen soziolinguistischer Sprachhandlungen
Um die Suche nach und die Interpretation von sozial differenzierenden Sprachhandlungen
zu erleichtern, wurde im Verlauf der vorliegenden Arbeit herausgearbeitet, welche Zwecke
im einzelnen mit soziolinguistischer Differenzierung verfolgt werden.
In Anlehnung an die allgemeinen Sprachfunktionen konnten folgende soziale Differenzierungsziele festgestellt werden:
• auf Ausdrucksebene: durch den gruppentypischen Einsatz von Grammatik und Lexik erfolgt ein sprachlicher Verweis auf die gruppenbezogene Weltsicht.
•auf Darstellungsebene: die Verwendung gruppentypischer Fachtermini wird konnotiert mit einer zeichenhaften Referenz auf diese Gruppe.
• auf Appellebene: durch den Einsatz von gruppentypischer Sprache
werden Solidarisierungsbemühungen oder Abgrenzungshandlungen
deutlich.
Diese drei Ausdrucksebenen stehen der gesamten Gesellschaft zur Verfügung, nicht nur
der jeweiligen InGroup. Sie können immer dann zum Einsatz kommen, wenn es sprachlich auf eine spezifische Gruppe zu verweisen gilt. Dies ist eine zentrale Erkenntnis dieser
Arbeit: Eine Gruppensprache wird nicht dadurch definiert, daß nur die jeweilige Gruppe
sie verwendet, sondern durch die Tatsache, daß dieser spezifische Sprachstil gesellschaftlich mit dieser Gruppe in Verbindung gebracht wird.
1.2.2 Gruppensprachliche Elemente
Obwohl die Bezeichnung »Gruppensprache« allgemein etabliert ist, handelt es sich im
Grund um einen irreführenden Terminus. Vielmehr handelt es sich bei gruppentypischen
Sprechweisen um einen Sprachstil, der weitgehend in die Gemeinsprache integriert ist. Sozial symbolisierende Merkmale werden hierbei vereinzelt in die Sprachhandlung eingefügt
und markieren den allgemeinsprachlichen Kotext.
- 129 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
1. ERGEBNIS DER THEORETISCHEN KONZEPTIONEN
Als Werkzeug zur soziosprachlichen Markierung mit Hilfe der Werbesprache kommen
alle linguistischen Ebenen in Betracht, anhand derer Sprache beschrieben werden kann. Für
die vorliegende Untersuchung kann jedoch der Bereich der Phonetik zurückgestellt werden. Eine werbesprachliche Phonetik erscheint zu indifferenziert, als daß sie erkennbar
zur soziogruppalen Differenzierung beitragen könnte. Demnach erscheinen folgende werbesprachlichen Sprachelemente geeignet, um zur Differenzierung auf Jugendebene beizutragen:
• Lexik: bei Übernahme werbesprachlicher Lexemkreationen
• Semantik: bei Verwendung werbespezifischen Bedeutungsinhalts bei
existierenden Lexemen und Phrasen
• Grammatik: durch Einsatz werblich verwendeter und vom Allgemeinstandard abweichender grammatischer Konstruktionen
Der eigentliche lexikalische, semantische oder grammatische Inhaltsaspekt der jeweiligen Äußerung ist in diesem Zusammenhang nicht relevant – es ist die Andersartigkeit der
Sprachverwendung, die den sozialen Aspekt der Sprachhandlung transportiert und als Signifikant zum Verweis auf die soziale Gruppe dient. Mit anderen Worten: Es spielt keine
Rolle, was jugendliche Gruppen durch Verwendung von Werbesprache zum Ausdruck
bringen wollen – sozial relevant ist allein, daß mittels der Sprachhandlung ein Unterschied
zu anderen sozialen Gruppen deutlich wird.
1.3 Überprüfung der Ausgangshypothese
1.3.1 Werbesprache als Instrument gesellschaftlicher Binnenstrukturierung
Es war Ziel dieser Arbeit festzustellen, ob sich ein Einfluß werblicher Sprachgestaltung
auf das soziale Gefüge einer Gesellschaft allgemein und speziell auf Ebene jugendlicher
Gruppen nachweisen läßt. Angesichts der in dieser Arbeit gesammelten Erkenntnisse läßt
sich diesbezüglich folgendes feststellen:
Werbesprache bietet tatsächlich ein Potential zur sozialen Differenzierung zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Die beschriebenen sprachlichen und sozialen Mechanismen
zeigen, daß werbesprachliche Eigenheiten dazu geeignet sind, auf die mit einer jugendlichen Gruppe verbundenen Lebens- und Wertewelten und somit auch auf die Gruppe an
sich zu referieren – sei es, indem sie im werblichen Kontext einen Bezug zu dieser Grup- 130 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
2. FORSCHUNGSBESCHREIBUNG
pe herstellen, sei es, indem die Gruppe sich einen bestimmten werblichen Sprachstil zu
eigen macht und dieser Sprachstil infolge der gruppenspezifischen Nutzung als zu dieser
Gruppe zugehörig erkennbar wird. In beiden Fällen wäre werblichem Sprachstil ein Beitrag zur gesellschaftlichen Binnenstrukturierung zuzuerkennen.
1.3.2 Notwendigkeit praktischer Überprüfung des Differenzierungspotentials
Mit dem Aufzeigen eines soziodifferenzierenden Potentials der Werbesprache sind die
Fähigkeiten einer theoretischen Abhandlung des vorliegenden Themas jedoch erschöpft.
Ob werbliche Sprachkreationen wie »Cerealie«, »Da werden Sie geholfen!« oder »Bin
ich schon drin?« tatsächlich auch genutzt werden, um sich binnengesellschaftlich zu positionieren, kann nur im konkreten gesellschaftlichen Kontext überprüft werden. Allein
die Feststellung, daß es sich bei dem vorgestellten Mechanismus um eine sehr sprachökonomische Möglichkeit der sozialen Differenzierung handelt, reicht jedenfalls nicht aus, um
diesen Zusammenhang als gegeben hinzunehmen.
Aus diesem Grund sollen in den folgenden Absätzen der Rahmen für eine Untersuchung
dargestellt werden, der die tatsächliche Nutzung der beschriebenen sprachlichen Differenzierungsstrategie bestätigen oder widerlegen kann.
2.
Forschungsbeschreibung
2.1 Systematik
2.1.1 Formulierung des Untersuchungsziels
Die nachfolgend skizzierte Untersuchung dient der Überprüfung der Frage, ob die Anwendung werblichen Sprachstils in gesellschaftlichen Sprachhandlungen tatsächlich bei der
sozialen Differenzierung auf Jugendebene mitwirkt. Um diese Annahme zu bestätigen
oder zu widerlegen, wird folgende Null-Hypothese aufgestellt:
Werbesprache liefert keine Beiträge im sozial motivierten Sprachgebrauch,
um die gesellschaftliche Differenzierung der Jugend allgemein und zwischen
jugendlichen Szenen darzustellen.
- 131 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
2. FORSCHUNGSBESCHREIBUNG
Sollte sich anhand der praktischen Überprüfung herausstellen, daß die eben formulierte
Aussage nicht haltbar ist, so ist dies als Bestätigung der Annahme zu werten, daß Werbesprache nicht nur die Möglichkeit zur sozialen Differenzierung bietet, sondern daß dieses
soziolinguistische Werkzeug tatsächlich auch Verwendung findet.
2.1.2 Einzelfragen der Untersuchung
Die Nullhypothese ist dann zu bestätigen, wenn sich folgende Einzelaussagen als haltbar erweisen:
a) Im Rahmen der Werbung sind keine Sprachelemente werblichen
Ursprungs zu finden.
b) Es existieren zwar werbesprachliche Eigenheiten, aber es findet keine
Übernahme werblichen Sprachstils in den außermedialen Kontext statt.
c) Den in Werbemaßnahmen verwendeten sprachlichen Eigenheiten wird
keine Signifikant-Funktion auf die werblich dargestellten Lebens- und
Wertewelten zugeschrieben.
d) Obwohl eine solche Signifikant-Funktion existiert, findet keine Verknüpfung zwischen werblich dargestellter Lebens- und Wertewelt
und den Lebens- und Wertewelten jugendlicher Szenen beziehungsweise denen der Jugend allgemein statt.
e) Es gelingt zudem weder der Großgruppe der Jugendlichen noch jugendlichen Szenen, eine Signifikat-Signifikant-Verbindung zwischen ihrer
Gruppe und einer werbesprachlichen Eigenheit herzustellen.
Die Aussagen a) und b) sind als fundamentale Aussagen in jedem Fall zu widerlegen.
Stellt sich eine der beiden als richtig heraus, ist eine weitere Untersuchung entbehrlich.
Die Aussagen c) und d) sind zusammenhängend zu betrachten. Bestätigen sich beide nicht,
bedeutet dies, daß die außermediale Verwendung einer werbesprachlichen Eigenheit auf
eine Lebens- und Wertewelt referiert, die im gesellschaftlichen Kontext als Kennzeichen
von Jugend oder von jugendlichen Szenen erkannt wird. Weiterhin ist die Gültigkeit der
Aussage e) zu überprüfen; für den Fall, daß sich c) und d) nicht bestätigen, gibt dies Auskunft darüber, ob die Jugend allgemein oder jugendliche Szenen in der Lage sind, durch
- 132 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
2. FORSCHUNGSBESCHREIBUNG
die Verwendung werbesprachlicher Eigenheiten eine Referenz zwischen dieser Spracheigenheit und ihrer Gruppe aufzubauen.
2.2 Untersuchungsablauf
2.2.1 Auswahl der Untersuchungs- und Kontrollgruppen
Erster Schritt bei der Anlage der auszuführenden Untersuchung ist zweifelsohne die
Auswahl eines geeigneten Untersuchungsobjekts. Im Rahmen der Fragestellung ist die Untersuchung an zwei separaten Objekten vorzunehmen: zum einen an der Großgruppe der
Jugendlichen, zum anderen an einer Szenegruppe.
Da als – im sozialen Sinn – zentrale Merkmale von Jugend ein Alter zwischen vierzehn
und dreißig Jahren, das Leben einer jugendlichen Freizeitkultur (etwa Ausgehen in Kneipen oder Diskotheken, intensive Beschäftigung mit elektronischer Unterhaltung etc.) sowie das aktuelle Absolvieren einer Ausbildung angesehen werden, ist eine Gruppe von
Individuen zusammenzustellen, die diese Merkmale aufweisen. Die Individuen dürfen
hierbei keiner gemeinsamen Szene angehören, da dies das Untersuchungsergebnis verfälschen würde.
Als Kontrollgruppe dient die Großgruppe der Erwachsenen, deren Individuen einerseits keine Jugendmerkmale tragen dürfen, andererseits soweit mit Jugendlichen in Kontakt sein müssen, um eine Vorstellung von deren Werten und Sprachgewohnheiten zu besitzen. Eine Gruppe, die keine soziale Interaktion mit Jugendlichen betreibt, besitzt keinen
Zeichenvorrat, der eine Auseinandersetzung mit dieser sozialen Teilgesellschaft ermöglicht und würde somit auch weder auf sie referieren noch solche Referenzen dekodieren
können.
Zur Analyse des Zeichenvorrats jugendlicher Gruppen untereinander ist wiederum die
Zusammenstellung von Individuen notwendig, die explizit einer spezifischen Szene angehören – sie müssen sowohl die oben genannten jugendlichen Merkmale aufweisen als
auch weitere verbindende Merkmale tragen, die sie gesellschaftlich als Szene erkennbar
machen, etwa das intensive Interesse für einen Musik- und den damit verbundenen Lebensstil. Als Vergleichsgruppe sind ebenfalls Individuen einer jugendlichen Szene heranzuziehen, die sich erkennbar von der Untersuchungsszene unterscheidet.
- 133 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
2. FORSCHUNGSBESCHREIBUNG
2.2.2 Auswahl des zu analysierenden Werbeangebots
Da es weder möglich noch sinnvoll ist, das komplette massenmediale Werbeangebot
hinsichtlich sprachlicher Eigenheiten zu analysieren, ist die Analyse auf Werbeangebote
zu beschränken, die einerseits vorwiegend von den Untersuchungsgruppen rezipiert werden, andererseits genügend Wirkkraft besitzen, um tatsächlich einen sprachprägenden
Einfluß zu entwickeln.
Aufgrund der im Kapitel »Soziale Gruppen und Mediennutzung« genannten Gründe
sind somit im Bereich jugendlicher Großgruppen die Werbeträger Fernsehen sowie im
Szenenbereich die Werbeträger szenespezifische Printangebote und ergänzend Fernsehen
zu betrachten, sofern sich szenespezifische TV-Inhalte eruieren lassen. Um aus dem gesamten Werbeangebot der genannten Medien nun die vorwiegend von den Gruppen genutzten herauszuarbeiten, sind anhand soziodemografischer und psychografischer sowie
der gruppenspezifischen Besitz- und Konsummerkmale das Programmumfeld sowie die
Printtitel zu suchen, die den Interessen der jeweiligen Gruppen entsprechen. In diesem
Umfeld befindet sich auch das Werbeangebot, mit dem diese Gruppen die intensivste
Auseinandersetzung führen.
2.2.3 Analyse des werblichen Textkörpers
Im folgenden Schritt ist in den Textkörpern der ausgewählten Werbemaßnahmen dezidiert nach werblichen Spracheigenheiten zu suchen. Die ausgewiesenen Spracheigenheiten dürfen nicht vom allgemeinensprachlichen Gebrauch übernommen worden sein – sie
müssen also entweder werblich generiert sein, oder aber die Werbung muß als treibender
Faktor für die Etablierung dieses Sprachstils dienen.
Hier ist mit Hilfe der im Verlauf der Arbeit genannten Methoden und Strategien zu
suchen nach:
• sprachlichen Besonderheiten auf lexikalischer Ebene, also neuartige
Lexeme oder Lexemverbindungen
• Äußerungen mit verringerter grammatischer Akzeptierbarkeit
• semantischer Umdeutung existierender Lexeme oder Paraphrasen
- 134 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
2. FORSCHUNGSBESCHREIBUNG
Nicht betrachtet werden sollen mangels sozialem Signifikant-Potentials bei einer Übernahme aus der Werbung die Bereiche Rechtschreibung sowie phonologische Eigenheiten,
es sei denn, sie besitzen kontextuelle Relevanz im Hinblick auf die semantische Umdeutung eines Sprachakts.
2.2.4 Quantitative Überprüfung werblicher Sprachverwendung in Gruppen
Die Voraussetzung für eine Analyse soziodifferenzierender Verwendung werbesprachlicher Elemente ist zunächst die Überprüfung der Frage, ob derartige Elemente im außermedialen Kontext überhaupt zum Einsatz kommen und wenn ja, um welche es sich dabei
konkret handelt.
Zu diesem Zweck ist es notwendig, sich einen Textkörper der untersuchten Gruppen
zu erarbeiten, in dem sprachliche Interaktionen einer realen, möglichst unbeeinflußten
Kommunikationssituation gesammelt sind und aus diesem jene werbesprachlichen Elemente zu extrahieren, die idealerweise bereits aus der Werbetextanalyse bekannt sind
(möglicherweise wird es notwendig sein, den werblichen Textkörper um Elemente zu
ergänzen, die zusätzlich bei der gruppensprachlichen Untersuchung entdeckt werden).
In diesem Untersuchungsabschnitt ist also die Parole-Ebene, sprich: die konkreten
Sprachhandlung, zu betrachten. Der Abgleich mit der Langue-Ebene erfolgt im nächsten Schritt.
Deshalb gilt es im Rahmen einer verdeckten Untersuchung, einerseits die sprachliche
Interaktion einerseits in einer InGroup-Situation aufzudecken, andererseits das Sprachverhalten in Konfrontation zur jeweiligen OutGroup zu beschreiben. Es werden somit
vier Versuchszyklen notwendig sein, in der zunächst die beiden jugendlichen Untersuchungsgruppen exklusiv, und dann im zweiten Schritt in einer InGroup-OutGroup-Situation beobachtet werden.
Neben der Aufzeichnung des Textkörpers wird eine genaue Protokollierung des kommunikativen Kontexts notwendig sein, der Veraussetzung für die spätere qualitative Analyse der Gespräche ist. Hier gilt es beispielsweise zu vermerken, welche Interessensgebiete und Lebensfelder bestehen und zur Sprache kommen, wer mit wem worüber spricht,
ob es sich um einen Dialog oder ein Gruppengespräch handelt oder welche Vorgeschichte der Beteiligten als Kontext eine Rolle spielen könnte. Hilfreich zur Formalisierung
der wichtigsten außersprachlichen Ebenen sind hierbei die Kontextkategorien nach
Henne/Rehbock:189
189 vgl. Henne/Rehbock 1982, S. 32 f.
- 135 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
2. FORSCHUNGSBESCHREIBUNG
•G ESPRÄCHSGATTUNGEN: natürlich, inszeniert
•F ORMALITÄTSGRAD: formal, frei
•K ONSTELLATION DER GESPRÄCHSPARTNER: InGroup, OutGroup
•G RAD DER ÖFFENTLICHKEIT: privat/öffentlich
• SOZIALES VERHÄLTNIS: Über-/Unterordnungsverhältnis
•B EKANNTHEITSGRAD DER GESPRÄCHSPARTNER: bekannt, fremd
•G RAD DER VORBEREITETHEIT: unvorbereitete, vorgefertigte Darstellung
•G ESPRÄCHSINHALT: wichtig/unwichtig für Weltbild
• THEMAFIXIERTHEIT: frei, fixiert
• VERHÄLTNIS von Kommunikation und nichtsprachlichen Handlungen
2.2.5 Qualitative Beschreibung gruppaler Werbesprachverwendung
Sollten im Rahmen der untersuchten Gesprächssituationen werbesprachliche Elemente
vorgefunden worden sein, so ist im Folgenden eine mögliche soziale Funktion bei deren
Verwendung zu überprüfen. Um sowohl die Intention des Kommunizierenden beim
Einsatz werblicher Markierungen in der Sprachhandlung zu klären als auch, welche sozialen oder kommunikativen Inhalte die Kommunikationspartner mit ihr konnotieren,
ist eine Sprachrekonstruktion auf Objektebene notwendig: Sprachfunktionen, Kon- und
Kotexte sollen dabei so weit wie möglich von den untersuchten Individuen interpretiert
werden, eine Interpretation auf Forscherebene ist zu vermeiden.
Mittels mündlichem und schriftlichem Interview und mit Hilfe merkmals- und wahrheitskonditional-semantischer Techniken können Antworten zu den auf der folgenden
Seite aufgelisteten Fragen ermittelt werden. Diese Antworten geben Hinweise auf einen
Zusammenhang zwischen werblichen Sprachmarkierungen und gruppenspezifischen Lebens- und Wertewelten.
- 136 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
2. FORSCHUNGSBESCHREIBUNG
• Welche Werte konnotieren die Kommunikationspartner mit konkreten
werbesprachlichen Elementen?
• Wie hoch ist der Grad der Akzeptierbarkeit der mit den werbesprachlichen Elementen verbundenen Lebens- und Wertewelten? Sind sie
wesentlich für das individuelle Kulturempfinden?
• Stehen diese Werte in Verbindung mit der eigenen Lebens- und Wertewelt oder werden sie mit den Werten sonstiger Gruppen verbunden?
•Wie schätzen die Kommunikationsteilnehmer die Wahrheitsbedingungen
der einzelnen werbesprachlichen Äußerungen ein? Stimmen sie den
Werten zu oder lehnen sie sie ab?
• Welche Sprachfunktionen senden oder empfangen die Kommunikations
partner, wenn werbesprachliche Markierungen zum Einsatz kommen?
• Werden soziale Darstellungs- oder Ausdruckselemente beziehungsweise
Appelle von In- und OutGroup gleichermaßen verstanden oder bleiben
die Äußerungen außerhalb der InGroup sozial unmarkiert?
Diese Abfragen dienen dem Aufdecken möglicher sozialer Signifikatzuweisungen und
helfen bei der nachfolgenden Interpretation, ob werbesprachliche Elemente überindividuell erkennbar mit gruppenbezogenen Werten konnotiert werden.
2.2.6 Analyse der Sprachinterpretation auf Objektebene
Im letzten Schritt sind nun die vorliegenden Textkörper und die Selbstinterpretation
der Kommunikationsteilnehmer ins Verhältnis zu setzen, um die Sprachfunktionen der
werblichen Sprachelemente zu erfassen, etwa die Bestimmung »fachsprachlicher Terminus mit Referenz auf Handlungswissen« oder »sprachlich markierter Attention Getter«.
Hier ist unter Einbeziehung der kon- und kotextuellen Elemente gewissenhaft zu prüfen, ob soziale Funktionen wie Imagedarstellung beziehungsweise Solidarisierungshandlungen die Sprachhandlung dominieren oder ob kommunikative Funktionen den weitesten Raum einnehmen wie beispielsweise ein Werbezitat ohne soziales Differenzierungspotential.
- 137 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
2. FORSCHUNGSBESCHREIBUNG
Nicht zuletzt ist, bevor ein abschließender Vergleich der Analyseergebnisse mit der
Hypothese stattfinden kann, bei der Interpretation zu klären: Haben die Kommunikationspartner überhaupt eine Wahl bei der Nutzung oder Nichtnutzung des werblichen
Zeichenvorrats, oder ist er zur zeichenhaften Beschreibung eines Signifikats unabdingbar
notwendig?
Erst die Möglichkeit einer willkürlichen Nutzung gibt einem Zeichen das Potential zum
sozial motivierten Einsatz. Existiert hingegen keine Alternative zur Verwendung eines
solchen Zeichens, ist es – zumindest aus soziologischer Sicht – nicht semantisiert: wenn
es jeder verwenden muß, kann mit ihm keine soziale Differenzierung stattfinden.
- 138 -
E. ERGEBNISSE UND VERKNÜPFUNGEN
3.
3. SCHLUSSBEMERKUNGEN
Schlussbemerkungen
Allein die Tatsache, daß die in dieser Arbeit diskutierten Themen überhaupt für eine
wissenschaftliche Bearbeitung relevant erscheinen, beschreibt den außerordentlichen
Stellenwert, den Werbung in unserer Kultur einzunehmen scheint. Denn nur dasjenige,
für das eine Kultur bereits eine Vorstellung – oder vielmehr Ahnung – bereithält, nur das
kann überhaupt gedanklich konkretisiert, in Form gegossen und nicht zuletzt vermittelt
werden.
Daß eine Vorstellung über das Aufeinander-Wirken von Werbung und Gesellschaft überindividuell vorhanden ist, davon konnte sich der Autor in mehreren Gesprächen im Umfeld dieser Arbeit überzeugen. Man identifiziert sich mit werblichen Inhalten oder lehnt
sie ab, Werbeslogans werden erkannt und rezitiert, kurz: Werbung wird als kulturelle
Triebfeder ebenso erkannt wie anerkannt. Es steht zu hoffen, daß die empirische Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Werbung und kultureller Weltsicht einen wenigstens
kleinen Beitrag zum besseren Verständnis unserer Kultur liefern wird.
Darum muß es gehen, und nicht nur um das Kartografieren marktwirtschaftlichen Potentials für die beworbenen Güter und Dienstleistungen, sobald sich aus den vorliegenden
Erkenntnissen verfeinerte Möglichkeiten für werbesprachliche Konzepte ergeben. Letzteres weiter zu verfolgen – auch im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit – ist zweifelsohne legitim. Doch daß es ebenso geboten ist, die moralischen Ideen, Werte und Wahrnehmungen der eigenen sowohl fremder Kulturen genauer kennenzulernen, machen nicht
zuletzt die Ereignisse des Jahres 2001 nachdrücklich deutlich.
Erst das Erkunden unseres kulturellen Verständnisses und das Begreifen unserer relativen Wahrnehmungen ermöglicht uns besser zu erkennen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, daß es unterschiedliche kulturelle Ansichten darüber gibt, welchen Werten und
Normen man zustimmen kann. Die Tatsache, daß man schon über ein Milchdessert im
Handyformat unterschiedlicher Auffassung sein kann, läßt eine Ahnung zu, wohin wirklich existentielle kulturelle Mißverständnisse führen können.
München, Juni bis Dezember 2001
Robert von Keller
- 139 -
F. Quellenverzeichnis
F. QUELLENVERZEICHNIS
1.
1. LITERATUR
Literatur
Augenstein, Susanne:
»Funktionen von Jugendsprache. Studien zu verschiedenen Gesprächstypen
des Dialogs Jugendlicher mit Erwachsenen«
Tübingen, 1998
Bahrdt, Hans Paul:
»Schlüsselbegriffe der Soziologie. Eine Einführung mit Lehrbeispielen«
München, 1992
Baumann, Hans:
»Kauf mich. Werbewirkung durch Sprache und Schrift«
Weinheim-Basel, 1989
Baumgart, Manuela:
»Die Sprache der Anzeigenwerbung. Eine linguistische Analyse
aktueller Werbeslogans«
Heidelberg, 1992
Bausinger, Herrmann:
»Deutsch für Deutsche. Dialekte – Sprachbarrieren – Sondersprachen«
Frankfurt/Main, 1986
Bernstein, Basil:
»Studien zur sprachlichen Sozialisation«
Düsseldorf, 1972
Brandt, Wolfgang:
»Die Sprache der Wirtschaftswerbung. Ein operationales Modell zur Analyse
und Interpretation von Werbungen im Deutschunterricht«
Hildesheim, 1973
Bühler, Karl:
»Axiomatik der Sprachwissenschaft«
Frankfurt/Main, 1933/69
Bühler, Karl:
»Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion von Sprache«
Stuttgart/New York, 1934/1982
-I-
F. QUELLENVERZEICHNIS
1. LITERATUR
Clarke, John (Hrsg.):
»Jugendkultur als Widerstand. Milieus, Rituale, Provokation«
Frankfurt/Main, 1979
Conen, Dieter:
»Wirkung von Werbesprache. Eine experimentelle Untersuchung zur
Interaktion von Bild und Text«
München, 1985
Coseriu, Eugenio:
»Die Begriffe Dialekt, Niveau und Sprachstil und der eigentliche Sinn
der Dialektalogie«
in Jörn Albrecht (Hrsg.):
»Schriften von Eugenio Coseriu«
Tübingen, 1988
Coulmas, Florian:
»Sprache und Kultur«
in Hymes, Dell Hathaway (Hrsg.):
»Soziolinguistik«
Frankfurt/Main, 1981
Dammler, Alex; Barlovic, Ingo; Melzer-Lena, Brigitte:
»Marketing für Kids und Teens. Wie Sie Kinder und Jugendliche richtig ansprechen«
Landsberg/Lech, 2000
Dichter, Ernest:
»Das große Buch der Kaufmotive. Beispielhafte Ansatzpunkte für Innovation«
München, 1983
Duden Verlag (Hrsg.):
»Duden Bd. 4: Grammatik der deutschen Gegenwartssprache«
Mannheim, 1998
Eco, Umberto:
»Einführung in die Semiotik«
München, 1972
Eichler, Wolfgang; Bünting, Karl-Dieter:
»Deutsche Grammatik. Form, Leistung und Gebrauch der Gegenwartssprache«
Kronberg, 1989
Flader, Dieter in Wunderlich, Dieter:
»Linguistische Pragmatik«
Frankfurt/Main, 1972
- II -
F. QUELLENVERZEICHNIS
1. LITERATUR
Fuchs-Heinritz, Werner (Hrsg.):
»Lexikon zur Soziologie«
Opladen, 1978
Giles, Howard:
»Interpersonale Akkomodation in der vokalen Kommunikation«
in Scherer, Klaus (Hrsg.):
»Vokale Kommunikation. Nonverbale Aspekte des Sprachverhaltens«
Weinheim/Basel, 1982
Giles, Howard; Scherer, Klaus:
»Social Markers in Speech«
London/New York/Melbourne, 1979
Gipper, Helmut:
»Gibt es ein sprachliches Relativitätsprinzip? Untersuchungen zur
Saphir-Whorf-Hypothese«
Frankfurt/Main, 1972
Glinz, Hans:
»Die innere Form des Deutschen. Eine neue deutsche Grammatik«
Bern, 1952/1973
Gould, Julius; Kolb, William:
»A Dictionary of the Social Sciences«
Glencoe, 1965
Hantsch, Ingrid:
»Zur semantischen Strategie der Werbung«
München, 1972
Henne, Helmut:
»Jugend und ihre Sprache. Darstellungen – Materialien – Kritik«
Berlin/New York, 1986
Henne, Helmut; Rehbock, Helmut:
»Einführung in die Gesprächsanalyse«
Berlin/New York, 1982
Illies, Florian:
»Generation Golf. Eine Inspektion«
Berlin, 2000
- III -
F. QUELLENVERZEICHNIS
1. LITERATUR
Januschek, Franz:
»Arbeit an sprachlichen Handlungsmustern«
Opladen, 1980
Kotler, Philip; Bliemel, Friedhelm:
»Marketing-Management: Analyse, Planung, Umsetzung und Steuerung«
Stuttgart, 1999
Krüger, Cordula:
»Semantische Strategien in der Werbung und ihre pragmatische Bedeutung«
Hamburg, 1978
Labov, William:
»Sprache im sozialen Kontext«
Königstein, 1980
Linke, Angelika; Nussbaumer, Markus; Portmann, Paul:
»Studienbuch Linguistik«
Tübingen, 1996
Lotman, Jurij:
»Über die Semiosphäre«
in: »Zeitschrift für Semiotik«, Bd. 12, H. 4
Tübingen, 1990
Ritsert, Jürgen:
»Gesellschaft. Ein unergründlicher Grundbegriff der Soziologie«
Frankfurt/Main, 2000
Luhmann, Niklas:
»Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie«
Frankfurt/Main, 1984
Luhmann, Niklas:
»Die Realität der Massenmedien«
Opladen, 1996
Luhmann, Niklas:
»Die Gesellschaft der Gesellschaft«
Frankfurt/Main, 1997
Lyons, John:
»Einführung in die moderne Linguistik«
München, 1995
- IV -
F. QUELLENVERZEICHNIS
1. LITERATUR
Maletzke, Gerhard:
»Interkulturelle Kommunikation. Zur Interaktion zwischen Menschen
verschiedener Kulturen«
Opladen, 1996
Maslow, Abraham Harold:
»Motivation und Persönlichkeit«
Freiburg i. Br., 1977
Mattheier, Klaus:
»Dialekt und Standardsprache. Über das Varietätensystem des Deutschen
in der Bundesrepublik«
Berlin/New York, 1980
McLuhan, Marshall:
»The Medium is the Message, An Inventory of Effects«
Fiore Quentin, 2001
Meulemann, Heiner:
»Älter werden und sich erwachsen fühlen«
in der Shell-Jugendstudie:
»Jugend ‘92. Lebenslagen, Orientierungen und Entwicklungsperspektiven
im vereinigten Deutschland«
Opladen, 1992
Nowottnick, Marlies:
»Jugend, Sprache und Medien. Untersuchungen von Rundfunksendungen
für Jugendliche«
Berlin/New York, 1989
Oerter, Rolf:
»Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch«
Müchen/Weinheim, 1987
Pierce, Charles:
»Phänomen und Logik der Zeichen«
Frankfurt/Main, 1983
Porr, Bernd:
»Die Systemtheorie Niklas Luhmanns aus der Sicht der Naturwissenschaften
und ihre Anwendung in der Kommunikationswissenschaft«
Magisterarbeit, Ruhr-Universität, Bochum, 1999
-V-
F. QUELLENVERZEICHNIS
1. LITERATUR
Reese-Schäfer, Walter:
»Niklas Luhmann zur Einführung«
München, 1992
Römer, Ruth:
»Die Sprache der Anzeigenwerbung«
Düsseldorf, 1980
Ronneberger, Franz:
»Sozialisation durch Massenkommunikation«
Stuttgart, 1971
Saussure, Ferdinand de:
»Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft«
Berlin, 1967
Schifko, Peter:
»Die Werbetexte aus sprachwissenschaftlicher Sicht«
in Tietz, Bruno (Hrsg.):
»Die Werbung. Handbuch der Kommunikations- und Werbewirtschaft«, Bd. 2
Landsberg/Lech, 1982
Schlobinski, Peter:
»Frau Meier hat Aids, Herr Tropfmann hat Herpes, was wollen Sie einsetzen?
Exemplarische Analyse eines Sprechstils«
Berlin, 1989
Schwitalla, Johannes:
»Jugendliche ‚hetzen‘ über Passanten. Drei Thesen zur ethnographischen
Gesprächsanalyse«
in: »Linguistische Reihen«, Reihe A, Bd. 149, 1986
Scotton, Carol:
»Self-enhancing Code-switching as interactional Power«
in: »Language and Communication«, 8, 3/4, 1988
Selting, Magret; Hinnenkamp, Volker:
»Stil und Stilisierung. Arbeiten zur interpretativen Soziolinguistik«
Tübingen, 1989
Sottong, Herrmann; Müller, Michael:
»Zwischen Sender und Empfänger. Eine Einführung in die Semiotik der
Kommunikationsgesellschaft«
Bielefeld, 1998
- VI -
F. QUELLENVERZEICHNIS
1. LITERATUR
Titzman, Michael:
»Literatursemiotik«
in Posner, Roland (Hrsg.):
»Handbuch der Semiotik«, Bd. 3
Berlin/New York, 1998
Titzman, Michael:
»Strukturale Textanalyse. Theorie und Praxis der Interpretation«
München, 1972
Titzmann, Michael:
»Der symbolische Rausch und der Kode. Zeichenfunktionen und ihre
Neutralisierungen«
Tübingen, 1993
Tönnies, Ferdinand:
»Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie«
Darmstadt, 1963
Unger, Fritz; Durante, Nadia; Gabrys, Enrico; Koch, Rüdiger; Wailersbacher, Rainer:
»Mediaplanung: Methodische Grundlagen und praktische Anwendung«
Heidelberg, 1999
Watzlawick, Paul; Beavin, Janet; Jackson, Don de Avila:
»Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien«
Bern/Stuttgart, 1969/1990
Weber, Max:
»Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie«
Köln/Berlin, 1956
Willis, Paul:
»Profane Culture. Rocker, Hippies. Subversive Stile der Jugendkultur«
Frankfurt/Main, 1978/81
Wittgenstein, Ludwig:
»Logisch-philosophische Abhandlung«
Frankfurt/Wien, 1921
- VII -
F. QUELLENVERZEICHNIS
2.
2. STUDIEN
Studien
A & B Analyse und Beratung GmbH (Hrsg.):
»MuSeg-Jugendsegmentierung«
Heidelberg, 1999
Bauer Verlagsgruppe (Hrsg.):
»Verbraucheranalyse 2001«
Hamburg, 2001
Burda Advertising Center (Hrsg.):
»Typologie der Wünsche 2001/02«
Offenburg, 2001
Lübbe GmbH (Hrsg.):
»Kids Verbraucheranalyse 2001«
Bergisch Gladbach, 2001
Shell-Jugendstudie:
»Jugend ‘92. Lebenslagen, Orientierungen und Entwicklungsperspektiven im
vereinigten Deutschland«
Opladen, 1992
Shell-Jugendstudie:
»Jugend 2000. Zuversicht ohne Illusionen: Die Jugend ist schon in der
Zukunft angekommen«
Opladen, 2000
Statistisches Bundesamt (Hrsg.):
»Im Blickpunkt: Jugend in Deutschland«
Stuttgart, 2000
Youngcom (Hrsg.):
»Youngcom Jugendstudie 2000«
München, 2000
- VIII -
F. QUELLENVERZEICHNIS
3.
3. INTERNET-QUELLEN
Internet-Quellen
Spiegel Online (Hrsg.):
www.spiegel.de
26.7.2001
Universität Potsdam (Hrsg.):
www.uni-potsdam.de/u/germanistik/varietaeten/inhalt.htm
23.6.2001
Geschichte.net (Hrsg.):
www.geschichte.2me.net/bio/cethegus/w/wittgenstein.html
15.6.2001
Schlemm, Annette:
www.thur.de/home/annette/assyst.htm
13.5.2000
- IX -