"Achse Moskau-Ankara nicht in Sicht – Anmerkungen zum Treffen

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"Achse Moskau-Ankara nicht in Sicht – Anmerkungen zum Treffen
POLITISCHER BERICHT AUS DER
RUSSISCHEN FÖDERATION
Dr. Markus Ehm
Leiter der Verbindungsstelle Moskau
Nr. 13/2016 – 15. August 2016
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Achse Moskau-Ankara nicht in Sicht
Anmerkungen zum Treffen von Putin und Erdogan
Am 9. August 2016 empfing Staatspräsident Wladimir Putin seinen türkischen Amtskollegen Recep Erdogan in Sankt Petersburg. Es war die erste Zusammenkunft nach der spürbaren Abkühlung, die sich im
Zuge des Abschusses eines russischen Kampfjets durch die Türkei im Oktober 2015 ergeben hatte (1).
Schwerpunkt der Unterredung waren Wirtschaftsthemen und die Lage in Syrien (2). Über Durchbrüche
in maßgeblichen Verhandlungsfragen wurde nichts bekannt; die Bildung einer anti-westlichen Achse
Moskau-Ankara zeichnet sich nicht ab (3).
1.
Vorgeschichte und Begleitumstände des Gesprächs
Russland und die Türkei schmiedeten große Pläne für den Ausbau ihrer Wirtschaftsbeziehungen.1 Misstöne mischten sich in das Verhältnis, als Moskau im Oktober 2015 mit Bombardements in Syrien begann. Die Lage eskalierte, als die türkische Luftwaffe wenige Wochen später einen russischen Kampfjet
abschoss, weil dieser für wenige Sekunden türkischen Luftraum verletzt hatte. Daraufhin legte der
Kreml das Vorhaben einer Gaspipeline und den Bau eines Atomkraftwerks in der Türkei auf Eis, stoppte
zudem die Einfuhren von Obst und Gemüse aus der Türkei und untersagte Charterflüge. Über 90 Prozent
der russischen Touristen, 2015 waren es noch 3,6 Millionen, blieben inzwischen der Türkei fern.
Ein weiteres Problem kam durch die angespannte Lage im Gebiet Berg-Karabach im Südkaukasus hinzu.2 Offiziell gehört die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region zu Aserbaidschan. Tatsächlich hat
sie sich von Aserbaidschan losgesagt und erhält Unterstützung von Armenien. Baku und Ankara, beide
mit moslemischen Bevölkerungen, stehen sich ethnisch-religiös nahe. Eriwan hingegen, überwiegend
christlich geprägt, ist Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion und des Verteidigungsbündnisses
OVKS, die beide unter der Vorherrschaft Russlands stehen. Anfang April 2016 flammten in BergKarabach die schärfsten Kämpfe seit 1994 auf. Moskau, das Armenien und Aserbaidschan mit Waffen
beliefert, befriedete die Situation mit Aufrufen zur Besonnenheit und intensiver Reisediplomatie. Erdogan hingegen sagte: "Wir unterstützen Aserbaidschan bis ans Ende."
Im Laufe des Mais gab es Anzeichen dafür, dass sich Moskau und Ankara um eine Normalisierung des
gegenseitigen Verhältnisses bemühten.3 Die angestrebte Entspannung trat ein, als der Kreml verlautbaren ließ, Erdogan habe in einem Brief an Putin um Entschuldigung für die Tötung des getöteten Kampfpiloten gebeten. Als Vermittler nennt die russische Tageszeitung "RBK daily" den kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew und den türkischen Geschäftsmann Cavit Caglar.4 Dieser habe in eine
Textilfabrik in der russischen Teilrepublik Dagestan investiert und sei mit dem dortigen Präsidenten
bekannt.
Als günstig für eine Versöhnung wirkte sich Putins Verhalten nach dem Putschversuch in der Türkei aus.
Während westliche Stimmen die Einhaltung von Menschenrechten einforderten, sagte Putin als einer
der ersten unter den weltweit führenden Staatslenkern Erdogan seine Unterstützung zu. Moskau ver-
1
Siehe dazu Berichte aus dem Ausland, Politischer Bericht aus der Russischen Föderation, Nr. 24/2015 vom
27. November 2015, hrsg. von der Hanns-Seidel-Stiftung e.V.; FAZ vom 29.06.2016, S. 5; Wedomosti vom
10.08.2016, S. 1.
2
Das Folgende nach: Kommersant vom 04.04.2016, S. 1 und 6; Moscow Times, Ausgabe vom 07.13.04.2016, S. 4.
3
Das Folgende nach: Wedomosti vom 31.05.2016, S. 2; Kommersant vom 31.05.2016, S. 6; FAZ, a.a.O.
4
RBK daily vom 10.08.2016, S. 2f. "RBK daily" erwähnt außerdem, dass Caglar, seines Zeichens ehemaliger
türkischer Minister für Staatsbanken, sein Sohn ebenso wie sein Onkel in der Türkei 2004 wegen Bankenbetrugs zu je fast vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden seien.
zichtete auf jegliche Kritik, welche, so die Tageszeitung "Kommersant", als "Demokratie-Lehrstunde"
interpretiert hätte werden können.5
2.
Verlauf und Gesprächsthemen
Der "Kommersant" unterstreicht auf Seite 1 mit einem Foto, dass Putin mit dem Rücken zur Tür stand,
als Erdogan den Raum ihrer Besprechung betrat.6 Augenblicklich habe sich Putin umgedreht und Erdogan begrüßt. Nach der zweistündigen Unterredung hätten beide bevorzugt, vor den Journalisten nur
über das zu sprechen, was sie vereine, so "RBK daily".
Putin und Erdogan vereinbarten, die Zusammenarbeit in allen Bereichen wieder aufzunehmen. In nächster Zeit könne es wieder Charterflüge in die Türkei geben, und Russland erwäge - so Putin - die Aufhebung der Restriktionen für die Einstellung türkischer Arbeiter. Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew sagte, das Einfuhrverbot für türkische Landwirtschaftserzeugnisse solle bis Ende 2016 abgeschafft werden.
Diese Frist sei notwendig, um zu prüfen, ob die Lebensmittel russischen Qualitätsstandards entsprächen, so Uljukaew. Vor der Krise machte türkisches Obst 14,5% aller Importe nach Russland aus; Gemüse erreichte einen Anteil von 19,5%. Tomaten liefert heute insbesondere Marokko, allerdings zu einem
um fast 50% höheren Preis. Erdogan sagte den Bau der Gaspipeline "Turkish Stream" zu. Laut Energieminister Alexander Nowak könne hierzu im Oktober eine Regierungsvereinbarung unterzeichnet werden. Außerdem hebt Ankara die Errichtung des Atomkraftwerks "Akkuyu" auf das Niveau einer "strategischen Investition".
Putin räumte auf der Pressekonferenz divergierende Einschätzungen zur Lage in Syrien ein. Er hoffe auf
eine Annäherung bei der nachfolgenden Unterredung mit den Außenministern und Vertretern der Geheimdienste beider Länder. Aus dem Umfeld des russischen Verteidigungsministeriums verlautete, so
"Wedomosti", dass es auch um die Vermeidung neuer Zwischenfälle in der Luft gegangen sei. Außerdem
könnten auch die militärischen Verbindungen beider Länder gestärkt werden. Nicht zufällig habe der
Leiter der Abteilung für Rüstungsindustrie des türkischen Verteidigungsministeriums zur Delegation
gehört. Im Falle, dass Ankara Probleme beim Kauf von westlicher Rüstungstechnik wegen Erdogans hartem Vorgehen in Zusammenhang mit dem Putschversuch bekomme, könnte Moskau liefern.
3.
Ausblick
Auch wenn der heftige Streit beigelegt wurde, so fällt auf, dass die russische Seite eine vorsichtige
Wortwahl pflegte. Bis dato wurden keinerlei Verträge unterzeichnet. Dazu passt die Einschätzung von
Pawel Schlijkow vom Moskauer Carnegie Center, der ausführt, dass an die Stelle kämpferischer Rhetorik
erneut die Suche nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit trete. Und damit, so der Experte, richteten
Moskau und Ankara auch ein Signal an den Westen, mit dem beide ihre Probleme hätten. 7 Trotz der
freundlichen Worte zwischen Erdogan und Putin bleiben handfeste Fragen offen:8
- Gasleitung/Turkish Stream
Bereits vor dem Zerwürfnis kam das Projekt ins Stocken. Russland, das "Turkish Stream" auch als
Alternative zum Transit durch die Ukraine plante, hatte keine Abnahmezusagen aus EU-Staaten
vorzuweisen. Eine Verkleinerung der Kapazität durch die ausschließliche Belieferung des türkischen Marktes, macht das Projekt für Gasprom wirtschaftlich riskanter; zudem fordert Ankara
5
Kommersant vom 02.08.2016, S. 6.
6
Das Folgende nach: Kommersant vom 02.08.2016, S. 1 und 6; RBK daily vom 10.08.2016, S. 2f.; Wedomosti
vom 10.08.2016, S. 1f und 5.
7
Carnegie-Publikation vom 11.08.2016, http://carnegie.ru/commentary/2016/08/11/ru-64307/j3lg.
8
Das Folgende nach: Carnegie-Publikation a.a.O.; Profil vom 15.08.2016, S. 20 bis 23; RBK daily vom
10.08.2016, S. 3; vom 15.08.2016, S. 1, 10f.; Wedomosti vom 10.08.2016, S. 2; vom 08.08.2016, S. 20f.
Preisnachlässe. Gleichzeitig treibt die Türkei ein Konkurrenzprojekt voran, das aserbaidschanisches Gas über ihr Gebiet nach Griechenland bringen soll, was Moskau aus politischen Gründen
nicht gefällt.
- Atomkraftwerk in Akkuyu
Nach einer Stellungnahme des russischen Instituts für Energiefragen widerspricht das Vorhaben
den wirtschaftlichen Interessen Russlands. So bringe die Türkei keine Finanzmittel auf, erhalte
jedoch die Kontrolle über fremdes Eigentum, u.a. mit dem Argument der nationalen Sicherheit.
- Lieferung von türkischem Obst und Gemüse nach Russland
Die Verbraucherschutzbehörde "Rospotrebnadsor" sieht keine Basis für einen Wegfall des Embargos. Und erst Mitte Juli sagte Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschjow, dass die Regierung
in der nächsten Zeit keine Aufhebung der Importsperre plane. Es gehe nicht um eine Bestrafung
der Türkei, sondern um die Berücksichtigung der Interessen der russischen Landwirtschaft, die
die Signale ihrer Regierung gehört und daraufhin die eigene Produktion verstärkt habe. Dabei
dürfte der Minister auch den wirtschaftlichen Erfolg seines persönlichen Umfeldes im Blick gehabt
haben: "Wedomosti" berichtete neulich im Rahmen eines Berichts darüber, dass Verwandte
Tkatschjows umfangreiche Unternehmensbeteiligung im Bereich der Landwirtschaft besäßen.
- Geopolitische Gegensätze
Auch wenn die Türkei die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht unterstützt, bestehen doch
mit Russland signifikante Meinungsverschiedenheiten in internationalen Fragen. So sagte Erdogan auf dem NATO-Gipfel in Warschau, man dürfe die „Umwandlung des Schwarzen Meeres zu einem russischen See“ nicht zulassen. Im Schwarzmeerraum hat für Russland die annektierte Halbinsel Krim militärisch-strategische Bedeutung. Deshalb sieht Moskau die Unterstützung der krimtatarischen Bevölkerung durch Ankara sehr kritisch. Im Gegenzug verurteilt die Türkei die engen
Beziehungen Russlands zu den Kurden, die in Moskau sogar über ein Kontaktbüro verfügen. Die
Umsetzung ihrer Hauptforderung, nämlich der Schaffung eines unabhängigen Kurdistans, würde
auch auf Kosten der Türkei erfolgen.
Hinsichtlich des Schicksals des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad vertreten Putin und
Erdogan entgegengesetzte Auffassungen. Mit Blick auf die aktuellen Kämpfe um Aleppo führt Alexander Wasiljew vom Institut für Orientforschungen der Russischen Akademie der Wissenschaften
aus, dass die Stadt für die Türkei ein wichtiges Zentrum darstelle. Dort leben zahlreiche turkmenische Syrier, welche den Türken ethnisch nahe stehen. Russland unterstützt jedoch die Regierungstruppen. Damit finden sich Moskau und Ankara auf unterschiedlichen Seiten wieder. Eine
Tauschgeschäft, so der türkische Experte Krim Has, könnte darin bestehen, dass die Türkei die
Absetzung Assads für längere Zeit von der Tagesordnung nimmt, aber dafür Russland seine Waffenlieferungen an kurdische Einheiten verringert.
Unterschiede bleiben auch bezüglich des Konflikts um die Region Berg-Karabach. Während die
Türkei eindeutig auf der Seite Aserbaidschans steht, verfolgt Russland bislang eine Pendeldiplomatie und bezieht nicht eindeutig Position für seinen Verbündeten Armenien. So möchte Moskau
die Entstehung einer offenen Flanke an seiner südlichen Achillesferse verhindern.
Eine dauerhafte Freundschaft oder sogar eine Achse "Moskau-Ankara" als Alternative zur NATOMitgliedschaft der Türkei erscheint vor diesem Hintergrund als überaus unrealistisch. Eher wahrscheinlich ist, dass die Gegensätze zwischen Moskau und Ankara bald wieder offen zu Tage treten. War es eine
Machtdemonstration, dass Putin Erdogan den Rücken zuwandte, als dieser den Raum betrat?
Moskau, 15. August 2016
Dr. Markus Ehm
Leiter der Verbindungsstelle Moskau der Hanns-Seidel-Stiftung

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