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I n f o r m a t i o n s m a t e r i a l
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Sicher leben mit Blutverdünnern
Rund eine Million Menschen müssen in Deutschland täglich blutverdünnende
Medikamente einnehmen. Ohne diese Behandlung hätten sie ein hohes Risiko
für Herzinfarkt, Schlaganfall und Lungenembolie. Zu diesen ärztlich betreuten
Patienten kommt eine hohe Dunkelziffer an Leuten, die sich selbst täglich ASS
verabreichen, um Infarkten vorzubeugen. Doch das Leben mit dem umgangssprachlich "dünnen" Blut ist nicht ohne Risiko.
Blutverdünner verdünnen nicht das But.
Die Medikamente verlängern den Zeitraum, in dem das Blut gerinnt. Mit der
Verordnung von gerinnungshemmenden Arzneien soll die Bildung von
Thrombosen bzw. Embolien verhindert
werden. Trotzdem soll das Blut im Falle
von Verletzungen noch gerinnen können. Darum kommt es bei der Einnahme besonders auf die Einstellung der
optimalen Medikamentendosis an. Sie
ist ein Balanceakt und muss häufig kontrolliert werden.
Anzeichen für zu dünnes Blut:
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häufiges Nasenbluten
viele blaue Flecken (Hämatome)
auch ohne Grund
häufiges Zahnfleischbluten
intensive, schwer stillbare Blutungen bei Schnittverletzungen
schlechte Wundheilung
punktförmige bzw. stecknadelkopfgroße Einblutungen ins Gewebe der Haut
Bei Frauen: intensive und langanhaltende Regelblutung
Alte und neue Blutverdünner
Die meistverordneten Gerinnungshemmer gehören zur Wirkstoffgruppe der
Cumarine und sind vielen Menschen
unter den Handelsnamen Falithrom
oder Marcumar bekannt. Sie sind hochwirksame Blutgerinnungshemmer (Antikoagulanzien), die meist zur Langzeitbehandlung und unter Umständen zur
lebenslangen Therapie eingesetzt werden. Der jeweilige Wirkstoff gelangt
nach der oralen Einnahme über den
oberen Verdauungstrakt in die Leber
und hemmt dort die Vitamin-Kabhängige Bildung bestimmter Blutgerinnungsfaktoren. Der blutgerinnungshemmende Effekt tritt erst mit einer
Verzögerung von einigen Stunden bis
einigen Tagen ein. Nach dem Absetzen
der Arznei dauert es bis zu zwei Wochen, bis die Wirkstoff vollständig abgebaut ist.
Die schwerwiegendste Nebenwirkung
der Cumarine sind ernste Blutungen im
Magen-Darm-Trakt, im Gehirn, im Rückenmark oder in der Netzhaut. Hier
liegt die Häufigkeit zum Beispiel bei
Marcumar bei weniger als einem pro
1.000. Deswegen kommt es darauf an,
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das medizinisch beste Verhältnis zwischen dem Risiko für Blutgerinnsel und
dem des Verblutens zu finden.
Schwierige Einstellung
Die optimale Einstellung der Patienten
ist mitunter schwierig, weil die Cumarine in Wechselwirkung mit Nahrungsmitteln und anderen Medikamenten treten
können. Das liegt daran, dass Blutverdünner der Gruppe der Cumarine den
Rohstoff Vitamin K blockieren. Dieses
Vitamin K ist jedoch reichlich in Spinat,
Grünkohl, Zwiebeln, Petersilie, Brokkoli
und anderen Gemüsesorten vorhanden.
Isst man für gewöhnlich wenig davon,
ab und zu aber doch einmal mehr, reicht
bei diesen Ausnahmen die eingestellte
Dosis der Medikamente zeitweilig nicht
aus, um die Gerinnung ausreichend zu
hemmen. Die Patienten sollten deshalb
z.B. einseitige Ausnahmen - Saft- und
Gemüsetage etwa - und eine ausgewogene Mischkost bevorzugen. Probleme
kann auch eine ungewohnte Kost im
Urlaub machen, zum Beispiel viel Gemüse in Mittelmeerländern.
Auch eine Reihe von Medikamenten
beeinflusst die Wirkung der Cumarine:
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Gichtmittel Allopurinol
Antibiotika wie Chloramphenicol,
Sulfonamide, Tetracycline
Beruhigungsmittel wie Barbiturate
Schmerzmittel (Salicylate)
Ob im konkreten Fall Wechselwirkungen auftreten können, kann jeder in Apotheke überprüfen lassen.
Neue Wirkstoffe zur Blutverdünnung
Seit 2011 sind neue Wirkstoffe zur Gerinnungshemmung zugelassen. Es handelt sich um Arzneimittel aus der Gruppe der sogenannten direkten ThrombinHemmer und direkten Faktor-XaHemmer. Sie wirken anderes als Cumarine, denn sie greifen nicht in den Vitamin-K-Stoffwechsel ein. Darum ist auch
keine besondere Vorsicht bei der Ernährung geboten und auch Laborkontrollen
müssen nicht regelmäßig durchgeführt
werden.
Die neuen Wirkstoffe sind zudem besser
dosierbar, ihre Wirkung tritt schneller
ein und lässt auch schneller nach, was
bei unerwarteten Operationen das Blutungsrisiko herabsetzt. Doch die Behandlung mit dem Wirkstoff ist nicht für
jeden geeignet. Wie vier Todesfälle in
dem Zusammenhang zeigen, ist eine
eingeschränkte Nierenfunktion eine
Kontraindikation. Zudem ist die Behandlung mit dem neuen Wirkstoff 25-mal
teurer als eine Behandlung mit den bewährten Cumarinen.
Die Blutgerinnung: Eine
komplexe Kettenreaktion
Normalerweise muss das Blut schön flüssig sein, um optimal durch den ganzen
Körper gepumpt zu werden. Doch wenn
ein Leck im System entsteht, durch eine
Wunde zum Beispiel, darf der kostbare
Saft nicht unendlich auslaufen. Durch
eine komplexe Kettenreaktion, ähnlich
einem Dominoeffekt, gelingt das Wunder, dass das Blut nur im Bereich der
Wunde gerinnt. Im restlichen Gefäßsystem bleibt es flüssig. Fachleute bezeichnen den Prozess der Blutgerinnung als
Hämostase.
Der Gegenspieler der Blutgerinnung ist
die sogenannte Fibrinolyse. Sie sorgt
dafür, dass bei überschießenden Gerinnungen Blutklümpchen aufgelöst und
Gefäßverstopfungen verhindert werden.
Im Idealfall befinden sich beide Systeme
- Hämostase und Fibrinolyse - im Gleichgewicht. Doch was passiert bei einer
Verletzung? Dann läuft, vereinfacht
dargestellt, folgende Kettenreaktion
ab:
Sind Blutgefäße betroffen, kommt es
zuallererst zu einem spontanen Zusammenziehen der Gefäße. Dadurch wird
der Querschnitt des Loches verkleinert.
Dann heften sich Blutplättchen (Thrombozyten) an das Leck, verkleben untereinander und stellen damit den ersten
Wundverschluss her (primäre oder zelluläre Hämostase). In einem zweiten Teilvorgang wird dieser noch lose Verschluss
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mit Fäden aus Fibrin, einer Art Eiweißklebstoff, verstärkt (sekundäre oder
plasmatische Hämostase). Während dieses Prozess läuft eine Vielzahl von chemischen Reaktionen ab. Mehr als 20 verschiedene Eiweiße, die sogenannten
Gerinnungsfaktoren, werden dabei aktiviert. Darunter gibt es welche, die für
das Stillen von inneren Blutungen (endogene Gerinnung) zuständig sind und
welche, die speziell bei äußeren Verletzungen (exogene Gerinnung) zum Einsatz kommen.
Der Quickwert
Wie gut die Gerinnung bei äußeren Verletzungen abläuft, lässt sich über die
Bestimmung des Quickwertes feststellen. Für die Untersuchungen muss Blut
abgenommen werden. In der Regel erfolgt diese Bestimmung beim Arzt. Einige Patienten bekommen auch ein Testgerät für den Hausgebrauch verschrieben. Der Quickwert wird in Prozent angegeben. Ein normaler Wert ohne Beeinflussung durch Medikamente bewegt
sich im Bereich von 70 bis 120 Prozent.
Unter Einnahme von Gerinnungshemmern liegt der Normalbereich zwischen
15 und 36 Prozent. Der Quickwert dient
aber auch als Kontrolle, wenn eine gerinnungshemmende Therapie mit so
genannten Vitamin-K-Antagonisten
(Marcumar, Falithrom etc.) durchgeführt
wird. Der Wirkstoff blockiert das im
Körper vorhandene Vitamin K, was jedoch für die Gerinnung notwendig ist.
Eine zu hohe Dosis würde jedoch zuviel
blockieren und sich entsprechend in einem zu niedrigen Quickwert niederschlagen. Je nach Testmethode des bestimmenden Labors kann der Quickwert
variieren. Um die Messwerte besser vergleichen zu können, insbesondere in der
Therapiekontrolle der Vitamin-KAntagonisten, wird heute häufiger der
INR-Wert verwendet. INR steht für International Normalized Ratio und gibt
einen genormten Faktor für die Blutgerinnungszeit an.
Der PTT-Wert
Dieser Blutwert gibt die sogenannte
Partielle Thromboplastinzeit (PTT) an
und wird häufig bei der Behandlung mit
dem blutverdünnenden Wirkstoff Heparin bestimmt. Er lässt Schlüsse über den
endogenen (körperinneren) Teil der Gerinnungskaskade zu. Um den PTT-Wert
zu ermitteln, wird im Labor bei einer
Blutprobe künstich die Gerinnung ausgelöst und die Zeit gestoppt, die vergeht, bis der Prozess beginnt. Die Maßeinheit dieses Wertes ist demnach eine
Zeitangabe in Sekunden. Bei Erwachsenen ohne Medikamente soll der Wert
unter 38 Sekunden liegen. Unter Heparintherapie darf er zwei- bis dreimal so
lang sein.
Gerinnungsstörungen
Ist die Blutgerinnung entweder zu langsam (umgangssprachlich "dünnes Blut")
oder überschießend ("dickes Blut"), so
spricht man von einer Gerinnungsstörung. Dabei tritt letztere Variante viel
häufiger auf. Eine Neigung zu dickem
Blut ist gefürchtet, weil sie Thrombosen,
Blutgerinnsel in den Venen und Arterien
fördert. Gelangen sie ins Herz, ins Gehirn oder in die Lunge, kommt es zu
einem lebensgefährlichen Infarkt.
Dickes Blut und Thromboseneigung
Eine Neigung zu Blutgerinnseln (Thrombophilie) kann angeboren oder im Laufe
des Lebens entstanden sein. Oft ist auch
eine Kombination mehrerer angeborener oder eine Kombination von angeborenen und erworbenen Störungen für
eine Thromboseneigung verantwortlich.
Jedes Jahr erkranken in Deutschland
600.000 Patienten an tiefen Beinvenenthrombosen und ca. 200.000 an Lungenembolien.
Erworbene Risikofaktoren sind beispielsweise Tumore, schwere Nierenerkrankungen, schwere Herzkrankheiten
(Herzinsuffizienz), das Alter, die Einnahme der Antibabypille, Hormonbehandlungen mit Östrogen, längere Bettlägerigkeit von mehr als sieben bis zehn
Tagen, längere Flug- oder Busreisen,
Verletzungen, Operationen, entzündliche Darmerkrankungen, Übergewicht,
Krampfadern und Schwangerschaft. Vor
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allem bei älteren Menschen kann auch
nicht ausreichende Flüssigkeitszufuhr
das Blut "zu dick" werden lassen.
Eine Gerinnungsuntersuchung
bei einem spezialisierten Arzt
sollte erfolgen bei:
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jungen Patienten unter 40 Jahren
mit unerklärlichen Thrombosen
gehäuft aufgetretenen Thrombosen und Embolien in der Familie
mehrfach aufgetretenen Thrombosen,
bei Thrombosen mit ungewöhnlicher Lokalisation,
mehrfach aufgetretenen Venenentzündungen (Thrombophlebitis),
Lungenembolien unklarer Ursache,
Fehlgeburten, insbesondere,
wenn sie wiederholt auftreten,
Schlaganfall oder Herzinfarkt in
jungen Jahren.
Gefahr Vorhofflimmern
Vorhofflimmern gehört zu den häufigsten Herzrhythmusstörungen überhaupt
und ist mit einem hohen Risiko für die
Bildung von Blutgerinnseln verbunden.
Grund: Unser Blut ist ein Mix aus Wasser
sowie roten und weißen Blutkörperchen. Unser Herzschlag sorgt dafür, dass
diese Mischung aus flüssigen und festen
Bestandteilen stetig durchmischt wird.
Kommt das Herz aus dem Takt, wie
beim Vorhofflimmern, kann es diese
wichtige Aufgabe nicht mehr optimal
erledigen. Es kommt zu Verklumpungen
und Gerinnseln in den Herzvorkammern.
Werden sie vom Blutstrom in den Körper mitgerissen, können sie Adern
verstopfen und – geschieht das im Gehirn – zum Schlaganfall führen. Wie
groß diese Bedrohung ist, sieht man
daran, dass bei rund 20 bis 30 Prozent
aller Patienten, die mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus eingewiesen werden, Vorhofflimmern festgestellt wird.
OP statt Blutverdünner?
Helfen konnte man Patienten mit Vorhofflimmern durch eine Therapie mit
blutverdünnenden Medikamenten.
Problem: Hierbei treten nicht selten Blutungen auf. Diese Nebenwirkung kann
sehr schwer verlaufen und endet gelegentlich tödlich. Zudem muss die Wirkung der Blutverdünner regelmäßig
überprüft werden. Es zeigt sich hierbei
häufig, dass das Medikament nicht richtig eingestellt ist, da es z.B. durch Medikamente und verschiedene Nahrungsmittel zu Schwankungen kommen kann.
Die Folge ist entweder eine Unterdosierung mit dem Risiko für Gerinnselbildung und Schlaganfall oder aber eine
Überdosierung mit dem Risiko der Blutung. Eine Alternative zur medikamentösen Therapie besteht in der Möglichkeit, den Bereich der Vorhöfe, in dem
die meisten Gerinnsel (linkes Vorhofohr)
entstehen, mit einem Spezialimplantat
zu verschießen. Dies erfolgt in einer Kathetersitzung unter leichter Narkose.
Nach einigen Wochen hat sich körpereigenes Gewebe über das Implantat gebildet und das Vorhofohr ist komplett
verschlossen. Somit können sich darin
keine Gerinnsel mehr bilden und das
Schlaganfallrisiko ist ebenso wie durch
die medikamentöse Behandlung vermindert. Die Patienten müssen dann
keine blutverdünnenden Medikamente
mehr einnehmen, so dass die Gefahr von
Blutungen ebenfalls deutlich gemindert
ist.
Die Bluterrkankheit
und andere Defekte
Die sogenannte Bluterkrankheit oder
auch Hämophilie ist angeboren. Man
unterscheidet zwei Formen: Typ A, der
mit 85 Prozent am häufigsten vorkommt, und Typ B. Sie unterscheiden
sich durch das Fehlen unterschiedlicher
Gerinnungsfaktoren, rufen aber die
gleichen Symptome hervor: Es kommt zu
verlängerten Blutungen nach Verletzungen, zu Hauteinblutungen (Hämatomen, blauen Flecken) schon bei geringer Krafteinwirkung, zu Einblutungen in
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Gelenke und im schlimmsten Fall zu lebensgefährlichen Blutverlusten. Nicht
nur schwere Unfälle, sondern auch Operationen, Zahnarzteingriffe oder
Schnittverletzungen können zur Lebensgefahr führen, insbesondere wenn
die Erkrankung zuvor nicht bekannt
war. Durch die Art, wie die Erkrankung
weitervererbt wird, sind vor allem Männer betroffen.
Das Von-Willebrand-Syndrom
Neben der Bluterkrankheit können auch
andere Ursachen zu Defekten im Blutstillungssystem führen. Hierzu zählt vor
allem das Von-Willebrand-Syndrom, die
bei weitem häufigste angeborene Blutungsneigung. Hier liegt ein Mangel
oder Defekt eines für die normale Blutstillung wichtigen Eiweißkörpers im
Blutplasma vor, des sogenannten VonWillebrand-Faktors. Helfen kann man
den Betroffenen seit den 1970er-Jahren,
indem die jeweils fehlenden Gerinnungsfaktoren vorsorglich in den Körper
über Spritzen zugeführt werden.
Warum der Adel blaues Blut hat
Adel hat blaues Blut, heißt es. Doch warum sagt man das eigentlich? In Adelskreisen galt helle Haut als Schönheitsideal. Braun zu sein war in den elitären
Häusern verpönt. War es doch ein
Merkmal der im Freien arbeitenden
Landbevölkerung. Um auf keinen Fall
"bäuerlich" zu wirken, trugen Adelige
Kopfbedeckungen und Schirme oder
blieben ganz in den Häusern. Sie wollten ihre "vornehme Blässe" behalten.
Der Ausdruck "blaues Blut" beruht darauf, dass bei hellhäutigen Menschen
tiefer gelegene Venen bläulich wirken
Experten im Studio
Dr. Leanthe Braunert,
Ambulanz für Gerinnungsstörungen, Universität Leipzig
Dr. Ina Wittig,
Niedergelassene Fachärztin für
Angiologie, Leipzig
Dr. Anne-Kathrin Habermann,
Apothekerin, Leipzig
Anschrift/ Thema der nächsten Sendung
MDR FERNSEHEN
Redaktion Wissenschaft und Bildung "Hauptsache gesund"
04360 Leipzig
Faxabruf:
01803 151534 (0,09 € pro Minute aus dem Festnetz, Mobilfunk max. 0,42 €
pro Minute)
Internet:
www.mdr.de/hauptsache-gesund
E-Mail: [email protected]
Thema der nächsten Sendung am 03.05.2012: "Was der Gang über Krankheiten verrät"
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