Feuer Eine Kurzgeschichte von Sven. D

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Feuer Eine Kurzgeschichte von Sven. D
Feuer
Eine Kurzgeschichte von Sven. D
Der Schlaf verlässt mein Gehirn und gibt die Gedanken und Erinnerungen
wieder frei. Erinnerungen an den gestrigen Abend mit meinen Freunden bei mir
zu Hause, Erinnerungen an Computerspiele, Universität, meine Freundin, meine
Katze. Gedanken an das Morgen; Die Zukunft baut sich klar vor mir auf. Mit
bohrenden Kopfschmerzen und Schlafmangel in einem stickigen Hörsaal zu
sitzen, mir langweilige Vorträge über Infinitesimalrechnung anzuhören, das ist
meine Zukunft. Man könnte mir gewisse präkognitive Fähigkeiten anrechnen,
doch das wäre übertrieben und schlicht und einfach falsch. Ich weiß einfach wie
es abläuft. Es läuft immer so ab. Das Mensaessen in den Mittagspausen raubt
mir den letzten Rest Lebenslust, meine Prüfungsergebnisse bestätigen mein
Bild der Welt.
Ich mache die Augen langsam auf, in der festen Erwartung meine
Zimmerdecke, dekoriert mit einem Poster von Lara Croft in Unterwäsche, zu
sehen. Ich lächele. Das was ich sehe kann gar nicht real sein. Alle Register in
meinem Gehirn bestätigen mir dies und stempeln meine Augen als Lügner ab.
Etwa zwei Meter über mir, wo sich normalerweise eben genannte Zimmerdecke
befinden sollte erstreckt sich Schwärze. Wobei es sich nicht unbedingt um
Schwarz handeln muss, in diesem Fall währe Anthrazit oder, noch besser, Ruß
eine angebrachte Beschreibung. Als sich meine Augen nach und nach an die
Dunkelheit gewöhnen erkenne ich weitere Details. Risse, wie schwarze Mäuler,
tun sich in der rußigen Fläche auf. Ab und zu lösen sich einzelne schwarze
Partikel und fallen auf mich hernieder.
Ich drehe den Kopf um Neunzig Grad nach rechts. Ich sehe einen komplett
geschwärzten Raum, inklusive Einrichtung Marke Großbrand. Verrußte
Holzsplitter, Glasscherben, Kleidungsfetzen und unidentifizierbare Objekte
schwarzer Farbe bedecken den Boden, formen surreale Mosaike, erzählen
Geschichten aus Vergangenheit, Zukunft und Parallelwelten.
Ein wirklich wirrer Alptraum den ich da habe, aber ich lasse mich nicht so
leicht einschüchtern. Immerhin habe ich Call of Cthulhu – Dark Corners of the
Earth sowie Clive Barkers Jericho mehrmals durchgespielt. Langsam richte ich
mich auf, und bemerke dass das Bett auf dem ich liege erstens unbeschädigt ist
und zweitens, dass es feste, reale Substanz hat. Ein Wachtraum also. Interessant.
Ich trage noch meine Sachen vom Vorabend. Eine billige Workerjeans und ein
T-Shirt meiner Lieblingsband Nirvana. Socken oder Schuhe allerdings nicht.
Ich setze einen Fuß aus dem Bett und schreie.
Etwas hat sich in meinen Fuß gebohrt, etwas steinhartes, aber dennoch
bröckeliges. Ich fluche laut, und untersuche meinen Fuß. Ein verkohltes Stück
Holz steckt in meinem Fußballen, Blut strömt aus den Wundrändern. Es tut
wirklich schweinisch weh. Ein Wachtraum der Schmerz und Verletzungen
beinhaltet? Irgendwie kommt mir das spanisch vor. Mit einem kurzen,
schmerzhaften Ruck ziehe ich den Splitter aus meinem Fuß und schmeiße ihn in
die Ecke, wo er nach kurzem Bandenspiel an der Wand liegen bleibt und mich,
befleckt mit meinem Blut, höhnisch anzustarren scheint.
Glaubst du noch an einen Traum? scheint er mir sagen zu wollen.
Nehmen wir mal rein hypothetisch an dies alles sei real – wo bin ich dann?
Dieser Raum ist nicht mein Zimmer, nicht mal mein Zimmer wie es nach einem
Brand aussehen könnte. Sieht für mich eher nach einem Mittelklasse-Hotel aus.
Vielleicht ein sehr blöder Streich meiner Kommilitonen im Psychologiekurs?
Verfluchte Freudianer! Ein Traum ist dies jedenfalls nicht, das steht fest. In
einem Traum blutet man nicht. Aber die Psychologen werden bald bluten, das
steht fest. Mit jedem Quäntchen Vorsicht dass meine Würde zulässt setze ich
beide Füße auf den Boden – es schmerzt verdammt – und stehe komplett auf.
Ich muss wohl mehrere Stunden gelegen haben, denn das Blut aus meinem
Kopf gehorcht mehr der Schwerkraft als meinem Herzschlag, und mir wird
schwindelig. Nach einigen Sekunden allerdings ist der Spuk auch wieder vorbei
und ich kann gerade stehen. Mein Blick fällt zu einem Fenster an einem Ende
des Raumes, nur erkennbar durch Vorhänge durch die schwaches Licht
hineinfällt. Mit vorsichtigen Schritten begebe ich mich zum Fenster und ziehe
langsam die Vorhänge zur Seite.
Absolute Dunkelheit. Die einzige Lichtquelle ist ein roter Mond der im klaren
Nachthimmel scheint. Sollte der Mond rot sein? Ich glaube nicht. Vielleicht
Saharasand? Unwahrscheinlich, aber durchaus möglich. Durch dieses
Teufelszeug entstand immerhin auch der berühmte Blutregen von New York,
bei dem die Menschen ernsthaft dachten es regnete echtes Blut und der jüngste
Tag sei angebrochen.
Es gibt für alles eine rationale Erklärung, man muss sie nur finden.
Ich untersuche die Inneneinrichtung des Zimmers. Mein Verdacht es sei ein
Hotelzimmer wird bestätigt. Überall prangt der Name dieses Schuppens wie es
scheint – Hazienda Ansiedad – und es gibt sogar eine verkohlte, geschmolzene
Minibar. Während ich die Minibar weiter untersuche kracht es plötzlich hinter
mir ohrenbetäubend, Holz splittert und Metall prallt auf etwas hartes. Jede
Menge Metall. Erschrocken wirbele ich herum und ramme dabei meinen
verletzten Fuß nochmal in den gleichen Holzsplitter.
Doch das interessiert mich momentan nicht.
Vor meinen Augen steht ein etwa 120cm hoher, rostiger Tresor der anscheinend
durch die Decke gefallen ist. Ein wahrhaft schweres Ding, umgeben von
Holzsplittern mehrerer Stockwerke, uralt wie es scheint. Der cremefarbene
Lack blättert an vielen Stellen ab, an machen Stellen wurde er komplett durch
Rost ersetzt. Trotz seines unwahrscheinlichen Falles steht der Tresor aufrecht,
die Räder des Kombinationsschlosses sind unbeschädigt und sehen sogar recht
neu aus – im Gegensatz zum Rest des Panzerschrankes. Das Loch was er in die
Decke gerissen hat lässt mich in ein Haus voller Schwärze und Dunkelheit
blicken, Ruß fällt langsam wie Schneeflocken in den Raum. Ich erkenne
mindestens drei weitere Stockwerke, allesamt vom Tresor durchschlagen.
Da ich oben nichts weiter erkennen kann blicke ich den Tresor genauer an.
Irgendjemand hat mit roter Farbe in gekritzelten und halb verschmierten Lettern
groß Escape. Reset. auf die Tür geschrieben. Was soll das heißen? Wenn das
ganze ein Scherz sein soll, das ist nicht lustig! Versuchsweise rüttele ich an der
Tür, aber nichts passiert. Das Ding bewegt sich nicht ein Stück, muss wohl etwa
eine Tonne wiegen.
Inzwischen ist mir klar dass dies kein Traum ist. Ein Scherz der Psychologen ist
unwahrscheinlich, aber möglich. Klar ist, etwas läuft hier verdammt falsch.
Ich entschließe mich den Tresor fürs erste ruhen zu lassen. Immerhin kenne ich
die Kombination für das Schloss nicht, und mein Mathematikstudium hat mich
gelehrt dass es pure Glückssache ist die Kombination eines Tresors zu erraten.
Vom Glück verfolgt war ich nie, das weiß ich.
Stattdessen gehe ich auf die Tür zu und öffne sie. Mit einem persistenten, von
Alter und mangelnder Pflege zeugenden Quietschen und Knarren öffnet sie sich
nach außen, und gibt den Blick auf einen schwarzen, verrußten Gang frei. Ein
Stillleben, der typische Obstkorb, hängt unbeschädigt an der Wand und der
Geruch von Ruß, Feuer und alten Gebäuden schlägt mir ins Gesicht.
Das und ein schwerer, süßlicher Gestank, der mich spontan an den Kühlschrank
meines Mitbewohners erinnert.
Irgendetwas läuft hier ganz eindeutig falsch. Ein kurzer Blick durch den Gang
offenbart mir dass sich links neben meinem Zimmer die Tür zum Treppenhaus
befindet und der Gang rechts weitergeht und weitere Zimmer beherbergt.
Ich habe keine Lust weiter hier zu bleiben und bewege mich direkt aufs
Treppenhaus zu. Die Tür ist aus Metall, schwarz verrußt und leicht verzogen.
Die Klinke ist angeschmolzen, scheint aber intakt zu sein.
Ich greife nach der Klinke und ziehe versuchsweise daran.
Die Tür bewegt sich ein Stück in meine Richtung und schwingt dann in ihre
Ausgangsposition zurück. Das Schloss knackt. Was zum Henker ist hier los?
Ich will mich gerade umdrehen, als auf der Tür in der gleichen verschmierten,
blutroten Schrift Worte erscheinen. Worte, wie in Stein eingemeißelte
Botschaften die die Zukunft voraussagen.
Kein Weg zurück! Steht dort. Die Worte sind nicht von einer Zehntelsekunde auf
die andere aufgetaucht, sondern mehr aus der Tür geflossen, so absurd das auch
klingen mag. Die Farbe erinnert tatsächlich an Rost und getrocknetes Blut.
So sehr ich sie auch verachten mag, so was traue ich meinen Kommilitonen aus
dem Psychologiekurs doch nicht zu. Irgendetwas verstößt hier ganz klar gegen
gewisse Regeln der Realität.
Es gibt für alles eine rationale Erklärung, man muss sie nur finden. Niemand
sagte dass dies eine einfache Aufgabe sei.
Ich bewege mich von der Tür weg. Die ganze Situation kommt mir wie ein
schlechter Horrorfilm vor. Den Gang runter befinden sich weiter Reihen von
Zimmertüren und einige Räume der Bediensteten – Waschräume, Küchen und
so weiter. Ich ignoriere zerstörte Zimmertüren und den süßlichen Gestank und
gehe direkt in den Waschraum.
Etwa zwanzig Waschmaschinen stehen in zwei Reihen mitten im Raum, an der
Wand Wäschetrockner. Dazu einige Spinde, wahrscheinlich um Waschpulver
und ähnliches Zeug von dem ich keine Ahnung habe aufzubewahren. An der
Wand neben der Tür hängt ein Telefon.
Auf einmal klingelt es.
Der Schreck wirft mich fast von den Füßen, und ich spüre wie mein Herz an
meine Schädeldecke klopft. Mit zitternden Händen greife ich nach dem
Telefonhörer und nehme ab.
Hallo, Daniel meldet sich eine hohe, unmenschliche Stimme. Sie klingt als sei
sie durch ein Funkgerät übertragen worden, und irgendetwas stört das Signal.
Bist du bereit für deine Katharsis? Bist du bereit die tiefsten Abgründe deines
Selbst kennenzulernen und daran zugrunde zu gehen – oder zu überleben?
Mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft ramme ich den Hörer wieder in
seine Halterung. Weiße Plastiksplitter fallen zu Boden, doch die Stimme fängt
durch den Hörer an zu lachen, mich auszulachen wie ein Kind das Angst vor
der Dunkelheit hat, und sie lässt sich nicht abschalten. Tiefere, in der modernen
Zivilisation unbenutzte Teile meines Gehirns reagieren auf eine uralte Art und
Weise auf den Klang der Stimme, auf das Lachen und die Botschaft die mir
überbracht wurde.
Ich renne schreiend aus dem Waschraum und in die Küche hinein.
Aus irgendeinem Grund ist die Küche vollkommen intakt. Sogar ein Topf mit
Essen steht auf einem der Herde, der Raum ist sauber und weiß. Der Geruch
von Nudeln erweckt Hunger in mir, doch ich werde mich hüten an diesem Ort
etwas zu essen. Trotzdem mache ich den Topf auf – nur um sicher zu sein dass
sich darin nichts grässliches verbirgt.
Buchstabensuppe. Welches Hotel bietet Buchstabensuppe an? Und noch dazu
einen so riesigen Topf. Mindestens Fünf Liter Volumen, schätze ich. Sieht für
mich eher nach einer Großküche aus als nach einem Ort an dem
Buchstabensuppe für Kinder gekocht wird.
Irgendetwas stimmt mit dieser Suppe nicht. Ich beuge mich etwas weiter
darüber und bemerke dass die Masse aus Buchstaben und Zahlen in der Mitte
etwas höher steht als am Rand.
Das Ganze Alphabet in Hartweizengrieß spritzt mir ins Gesicht und wirft mich
mit voller Wucht zu Boden, wie ein Kinnhaken von Bruce Willis.
Verwirrt und ängstlich wische ich mir die Pasta-Pampe aus meiner Visage und
richte mich auf. Der Gasherd hat den Topf umgeworfen und wirft blaue
Flammen an die Decke, die sich unter der Hitze wellt und schwarz färbt.
Das schlimmste ist aber die geflieste Wand da hinter. Es kleben Buchstaben
daran.
Hass Hass Hass Hass Wir töten Dich Dich DICH DICH DICH TÖTEN WIR
CARPE DIEM CARPE NOCTEM Du Hast Uns Umgebracht
Es war kein Spiel kein Spiel KEIN SPIEL KEIN SPIEL KEIN SPIEL
Die erste Zahl des Untergangs 67
GIB UNS RUHE GIB UNS FRIEDEN
GIB UNS DEIN BLUT
DEIN BLUT
BLUT
BLUT
BLUT
BLUT
HASS
Das ganze ist kein Traum. Kein Streich. Das ganze ist realer als die Faust im
Gesicht, realer als Autounfälle, realer als die Realität. Aber ich verstehe es
nicht.
Ich habe nie jemanden umgebracht. Die 67 ergibt für mich auch keinen Sinn.
Und was zur Hölle soll kein Spiel gewesen sein?
Ich habe keine Ahnung worum es geht, aber vielleicht dreht sich das ganze um
ein Ereignis in meiner Kindheit, an die ich mich nur verschwommen erinnern
kann. Ein Autounfall mit einer kostenlosen Kopfverletzung dazu trug im
wesentlichen dazu bei, aber vielleicht auch mein Alkoholabsturz in der zehnten
Klasse.
Ich gehe wieder aus der Küche raus und auf den Gang. Mein Instinkt – wenn
man es so nennen kann, vielleicht ist es auch einfach nur ausgeprägter
Pessimismus – sagt mir dass sich etwas verändert hat. Archaische Teile meines
Gehirns leiten mich in Richtung des Stilllebens an der Wand.
Um den richtigen Effekt zu erreichen beschreibe ich das Bild an dieser Stelle
einmal genauer.
Vorher zeigte es eine braune, sich nach unten verjüngende Vase aus Terrakotta,
auf älteren Holztisch. In der Vase lagen zwei Orangen und eine Ananas, vor
einem bläulichen Hintergrund.
Die Orangen wurden durch blutige Augen ersetzt.
Sie zucken noch, obwohl sie auf das Gemälde gebannt sind.
Blut spritzt aus Kapillargefäßen im weißen Gelee der Augen, die Muskeln und
Nervenbahnen zucken, wiegen sich zu einer alptraumhaften Musik die nur sie
hören – oder sehen – können. Böse, nein, anklagend, nein richtend schauen die
grässlichen Augen die eigentlich tot und regungslos sein sollten mich an,
grässliche Augen auf einem Gemälde dass sich einfach so verändert und
bewegt. Sie sehen mich an wie ein Lynchmob einen Verräter.
Und dann die Ananas.
Die Ananas wurde zu einem grauen, granitenen Grabstein an dem die Augen
lehnen. Wie der Zahn eines Monsters sieht er aus, Mahlzähne von uralten
Göttern die die Menschen schon lange vergessen haben – aus gutem Grund.
Daniel Sikorski steht drauf. Mein Name. Er spielte mit dem Feuer und dann
spielte das Feuer mit ihm.
Ich registriere kaum dass ich mit meiner rechten Faust auf den Glasrahmen des
Bildes einschlage, meine Knöchel immer wieder gegen das langsam
zersplitternde Glas ramme, ignoriere wie meine Haut zerschnitten und
Glasscherben mir die Knochen an den Händen zerkratzen. Aus dem Gemälde
sprudelt heißes, rotes Blut vermischt mit Asche auf meine verletzte Hand, es
brennt wie das Höllenfeuer selbst, mir wird heiß und kalt und verliere mein
Be...
wusst...
sei...
n...
Stille. Der Bilderrahmen liegt zerschmettert auf dem Boden, das Bild ist in
Tausend kleine Stücke zerrissen. Überall Blut. Mein Blut und das kochende
Blut aus dem Stillleben. Es ist kalt. Ich muss wohl einige Zeit bewusstlos
gewesen sein. Mein Verstand scheint das nicht mehr mitgemacht zu haben – ich
kann es ihm nicht verübeln wenn er sich aus dem Staub macht. Irgendetwas
läuft hier verdammt falsch. Irgendjemand – Irgendetwas bricht hier alle Gesetze
der Realität. Oder?
Es gibt für alles eine rationale Erklärung. Doch uns Menschen sind nicht alle
variablen dieser Gleichung bekannt.
Damit kann ich mich abfinden. Nur weil ich mir absolut nicht erklären kann
warum etwas passiert muss das nicht heißen dass es eine übernatürliche
Ursache hat. Vielleicht bin ich ja auf Droge und halluziniere, ein Horrortrip der
besonderen Art. Wenn ich also aus dieser überaus realistischen Halluzination
aufwache werde ich diesen Scheiß sofort absetzen, egal wie süchtig ich bin.
Ich bin eher bereit meinen eigenen Verstand in Frage zu stellen als die Realität.
Die Realität ist allgegenwärtig. Sie kann nicht gebrochen werden. Gesetze der
Physik, Naturgesetze können nicht einfach außer Kraft gesetzt werden.
Allerdings... kennen wir alle Naturgesetze?
Bitte, Gott, wenn es dich gibt, hol mich hier raus....
Nein. Niemand wird mich hier rausholen. Ich muss das hier alleine durchstehen.
Anscheinend habe ich im Delirium mit Blut eine Botschaft an die Wand
geschrieben.
Kein Weg mehr zurück. Ich bekenne mich schuldig. Die zweite Zahl des
Untergangs 21.
67, 21. Zwei Zahlen.
Das Kombinationsschloss am Stockwerk-Express-Tresor hatte drei Räder.
Mir fehlt noch eine Zahl.
Eine Zahl um diesen Alptraum zu beenden.
Ich muss mich beeilen. Lange stehe ich das nicht mehr durch.
Höre ich da Schritte hinter mir?
Ein vorsichtiger Blick über die Schulter zeigt nur die verschlossene Tür zum
Treppenhaus.
Ich bin alleine.
Ganz alleine.
Ich weiß nicht ob ich diesen Fakt gutheißen soll oder nicht.
Verfluchte Scheiße, was geht hier vor?
Was geht hier vor?
Was tut dieses verdammte Hotel mir an?
Ein Geräusch aus einem der anderen Zimmer reißt mich aus meinen immer
verstrickter werdenden Gedanken.
Das statische Rauschen eines Fernsehers. Im Gang sehe ich sogar einen kleinen,
flackernden Lichtschein. Mit zittrigen Schritten betrete ich das Zimmer und
sehe den angeschalteten Fernseher, einen DVD-Player und eine einzelne,
unbeschriftete CD auf einem Tisch.
Ich weiß genau was von mir erwartet wird. Ich lege die CD in den Player ein
und mache es mir in der Asche vor dem Fernseher gemütlich.
Die letzte Zahl des Untergangs 87.
Hallo, und willkommen zurück Daniel!
Eine verbrannte Frau auf dem Fernseher redet mit mir. Ihr Gesicht ist schwarz
verkohlt und von tiefen Furchen wie Schnitte durchzogen. Ihre Muskeln
knirschen ein wenig während sie sich bewegt. Verdammt, sie sollte tot sein.
Ich will tot sein.
Weißt du wieso du hier bist? Nein, du weißt es nicht, Wir werden es dir sagen.
Wir, die wir durch deine Hand starben.
Sieh her.
Ich sehe mich selbst, als ich noch ein Kind war. Zusammen mit einem alten
Freund an den ich mich nicht erinnere spiele ich im Garten des Hotels.
Zuerst spielen wir nur Fußball und Fangen, aber dann hat mein Freund plötzlich
eine Idee. Lass uns doch mit Streichhölzern spielen.
Nein, das ist keine gute Idee. Ich habe Angst. antwortet mein junges Ego.
Nun sei kein Feigling.
Na gut.
Wir spielen also mit Streichhölzern. Den ganzen Tag. Diese Mega-Packungen
gehen auch nie leer. Das Video zeigt wie wir hinterher wieder weggehen und
die Packung liegen lassen.
Eine Welle schrecklicher Gewissheit ereilt mich.
Die Streichhölzer entzünden sich und ein Busch fängt in der Sommerdürre
Feuer. Der altersschwache Hausmeister kann das Feuer nicht kontrollieren, und
bald greift der Brand auf das erste Zimmer über. Schon bald steht das gesamte
Gebäude in Flammen, die Schreie von Männern, Frauen und Kindern hallen
durch das Rauschen, die Feuerwehr scheint noch weit entfernt...
AUFHÖREN! brülle, schreie, kreische ich aus tiefster Lunge.
Und siehe, es hört auf.
Dein jugendlicher Leichtsinn hat uns unschuldige Menschen in den Tod
getrieben. Du hast uns dem Feuer überantwortet, ohne zu wissen was du tust.
Du wurdest niemals bestraft, obwohl du damals wusstest was du getan hattest
als du die Zeitung last. Heute stehen wir, die Toten, als deine Richter. Geh und
öffne nun den Tresor den wir dir geschickt haben. Er enthält dein Urteil.
Die Kombination – 67, 21, 81 – dürftest du ja inzwischen kennen. Die Zahlen
des Untergangs.
Wir hoffen, wir müssen dich nie wieder sehen.
Eine Welle der Schuld überkommt mich und ich fange an hysterisch zu heulen,
wie ein verletztes Tier. Die Tränen laufen über meine Wangen wie Blut, meine
Seele fühlt sich an wie ein Stück glühendes Blei. Was kann ich tun? Was kann
ich tun um sie rein zu waschen?
Befolge das Urteil.
Ja.
Zitternd schreite ich zurück zu dem Zimmer in dem ich aufgewacht bin.
Der Tresor steht unverändert da, doch die Aufschrift lautet nun Gerechtigkeit.
Langsam drehe ich die Rädchen des Kombinationsschlosses, 67, 21, 81, und
nach etwa Fünf Minuten die mir wie Fünf Jahre vorkommen springt die Tür
leise quietschend auf. Der Innenraum ist mit Blut beschmiert, in das Symbole
eingekratzt sind die sich meiner Deutungsgabe entziehen.
Im mittleren Fach liegt ein schwer aussehender Revolver.
Natürlich. Blut muss mit Blut bezahlt werden, Tod mit Tod. Ist doch völlig klar.
Mein Leben gegen meine Unschuld, ein guter Deal. Ich kann sowieso nicht
widersprechen.
Ich zittere nicht mehr denn ich habe nie zuvor etwas getan was sich so richtig
anfühlt. Ich führe den Revolver mit einer ruhigen, bedachten Bewegung an
meine Schläfe, murmele meine letzten Worte Ruhet in Frieden und drücke
schließlich ab...
Obduktionsbericht im Falle „Daniel Sikorski“, den 27.5.2009
Ausgestellt von Dr. Faber
Die Leiche des Studenten Daniel Sikorski, männlich, 27 Jahre, weist ein
Schusstrauma am Kinn auf, welches den oberen Teil der Schädeldecke
vollkommen zerstört hat. Dies ist auch todesursächlich.
Das Opfer hatte zu keiner Zeit in den letzten zwei Wochen Alkohol oder
sonstige Drogen konsumiert, sein Muskel-Fett Verhältnis war ausgezeichnet.
Merkwürdig sind aber gewisse Spuren die ich an der Schusswunde gesichert
habe. Eine starke Zunahme des Serotinin- und Antihestaminpegels deuten
darauf hin dass Sikorki nach dem Schuss noch mindestens eine Minute gelebt
hat, was unwahrscheinlich ist. Außerdem lag die Leiche, wie in ihrem Bericht
erwähnt, in einer unnatürlichen Position, als ob sie sich vor etwas schützen
wollte. Trotz der Schmauchspuren an der rechten Hand und der Fingerabdrücke
auf der Waffe schlage ich vor diesen Fall als Mord und Selbstmord zu
untersuchen.
Vertrauliche Nachricht, Polizeihauptkommissar Christian Spring
Verdammte Scheiße, was ist da genau passiert? Im gesamten Gebäude
Blutspuren, das Gebäude an sich ausgebrannt bis auf einige Gegenstände wie
ein Bett und einen Fernseher. Die Küche unbeschädigt, bis auf ein paar
Brandflecken an der Decke und Nudelsuppe auf dem Boden! Anscheinend
klebten sogar Buchstabennudeln an der Wand, doch irgendjemand hat sie
abgewischt. Außerdem stand da ein verdammt schwerer Tresor in einem
Zimmer. Irgendwie ist der wohl durch mehrere Stockwerke gebrochen und
schließlich dort zum Stehen gekommen. Eine Satanssekte die Experimente mit
Studenten durchführt und sie in den Selbstmord treibt? Ich habe keine Ahnung,
aber dieser Fall ist mir verdammt unheimlich.
Die Video-CD die wir am Tatort gefunden haben, war leer, nicht mal die
Kriminaltechniker konnten an ihr Spuren irgendwelcher Dateien feststellen.
Alles verdammt unheimlich, ich sag's dir.