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PRAXIS | UNFALLAKTE
O R I E N T I E RU N G S V E R L U ST Der Übergang
vom Instrumentenflug zur Landung nach VFR
birgt bei schlechtem Wetter große Risiken
TEXT
Samuel Pichlmaier
F
lugregelwechsel von IFR zu VFR
und umgekehrt sind eigentlich
sehr praktisch, weil sie auch bei
schlechtem Wetter Flüge von und
zu kleinen Plätzen ermöglichen,
die kein Instrumentenanflugverfahren haben. Dennoch ist der Übergang zum Sichtflug vor der Landung bei grenzwertigem
Wetter nicht ungefährlich – denn die Versuchung ist groß, die gesetzlichen Mininima für Sicht und Wolkenabstände zu unterschreiten.
Die Cirrus SR22, die am 31. Mai 2010 im
polnischen Katowice zu einem Charterflug
nach Bielefeld (EDLI) startet, ist bestens ausgerüstet. Sie hat mit dem Avidyne Entegra
ein integriertes Avioniksystem im Cockpit,
das auf einem Primary Flight Display (PFD)
alle wichtigen Flugdaten anzeigt; ein Multifunktions-Display (MFD) stellt außerdem
Triebwerksparameter sowie Navigationsund Anflugkarten dar.
Um 7.52 Uhr Ortszeit hebt die SR22 in
Katowice ab und nimmt Kurs Richtung
West-Nordwest. Außer der 26 Jahre alten
Berufspilotin sind drei Passagiere an Bord
des Viersitzers. Der Flug soll bis kurz vor
dem Ziel nach Instrumentenflugregeln
durchgeführt werden; am Wegpunkt DENOL ist der Übergang zu VFR geplant, denn
Bielefeld kann nur VFR angeflogen werden.
Um 10.26 Uhr beantragt die Pilotin in
einer Höhe von 4200 Fuß MSL den Wechsel von IFR nach VFR. Es sind jetzt nur noch
sechs Nautische Meilen bis zur Schwelle der
1256 Meter langen Piste von Bielefeld.
Vier Minuten später dreht der Tiefdecker nach Süden und nimmt Kurs auf die
Piste 29. Der Platz ist jetzt nur noch zwei
Nautische Meilen entfernt, die SR22 wird
vom Autopilot im Heading-Modus sowie
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www.fliegermagazin.de #9.2013
Cirrus SR22:
baugleiches
Muster
Keine Chance auf Überleben
Alle vier Insassen verlieren beim Aufschlag
ihr Leben. Motor und Instrumentenpanel
der Maschine werden bis zu den hinteren
Sitzen ins Wrack hineingedrückt. Durch die
Wucht des Aufschlags hat das Rettungssystem der Cirrus am Boden ausgelöst.
Die Aufzeichnungen von PFD und MFD
sowie die ergänzende Auswertung der Radardaten durch die Bundesstelle für Flug-
Nicht überlebbar: Die Kabine wurde beim Aufprall
zerstört, das Rettungssystem löste dabei aus
unfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig
zeigen bei den folgenden Ermittlungen,
dass die SR22 während der hohen Querneigung in der letzten Linkskurve nur noch 78
Knoten Fahrt hatte. Im Betriebshandbuch
wird vom Hersteller bei 60 Grad Querneigung eine Überziehgeschwindigkeit von 99
Knoten angegeben – bei MTOM. Doch es
zeigt sich, dass die SR22 mit vier Personen
vollgetankt gestartet und zum Unfallzeitpunkt noch mit etwa 62 Kilo überladen war;
in Katowice waren es sogar 179 Kilo zu viel.
Die Wettermeldungen am Flugplatz
Bielefeld belegen schwieriges Wetter: 7000
Meter Sicht in leichten Regenschauern, vereinzelte Wolken in 1100 Fuß über Grund,
durchbrochene Wolken in 1700 Fuß.
Zwar gelten für einen Flugregelwechsel
von IFR nach VFR reduzierte Sichtbedingungen: Der Pilot muss 3000 Meter Flugsowie Erdsicht haben und frei von Wolken
bleiben. Doch mit großer Wahrscheinlichkeit hatte die Cirrus-Pilotin den Wetterberichten zufolge beim Flugregelwechsel
sowie danach zumindest zeitweise keine
Erdsicht. Aufgrund der gewählten Anflugplanung sank die Maschine erst direkt am
Platz unter die Wolken – in einer Position,
aus der eine Landung nicht direkt möglich
war. Beim nachfolgenden Manövrieren war
die Pilotin vermutlich darauf konzentriert,
Fatale Kurven: Die Drehung zur Bahn (am linken Bildrand)
wurde zu eng angelegt (Zeitangaben in UTC)
FOTOS: BUNDESSTELLE FÜR FLUGUNFALLUNTERSUCHUNG, HERSTELLER
Gefährlicher Wechsel
bei konstanter Vertical Speed gesteuert. In
1700 Fuß MSL schaltet die Pilotin die Steueranlage aus und fliegt manuell weiter.
Um 10.31 Uhr ist der Tiefdecker nur
noch 400 Meter von der Schwelle entfernt,
aber noch in 1200 Fuß MSL – und damit
750 Fuß über dem 454 Fuß hohen Platz. Der
Pilotin wird offenbar klar, dass sie für eine
Landung zu hoch ist, sie quert die Anfluggrundlinie und kurvt nach links, wohl mit
dem Ziel, nach einer 180-Grad-Drehung
in den Queranflug zu kommen. Das Flugzeug rollt dabei mit 105 bis 115 Knoten in
bis zu 40 Grad Querlage. Dann verringert
sich die Querneigung auf 5 Grad. Nach der
180-Grad-Drehung kreuzt die Maschine erneut die Bahnachse und dreht bei Vollgas
mit 55 Grad Querneigung nach links Richtung Bahn. Kurz darauf prallt das Flugzeug
mit hoher Längsneigung in ein Waldgebiet.
den Platz nicht außer Sicht zu verlieren. Dabei unterschritt sie die durch Überladung
erhöhte Stall Speed.
Typische Risiken
Im Unfallhergang finden sich typische Risiken für die IFR-Fliegerei mit kleinen Maschinen. So gab es erheblichen Druck, in
Bielefeld zu landen und nicht am mit ILSAnflügen ausgestatteten Ausweichplatz Paderborn, denn die Passagiere wurden am
Boden von Geschäftspartnern erwartet.
Auch erzeugt die Aufforderung »report ready to cancel IFR« des Lotsen bei
Erreichen des geplanten Punkt für den
Flugregelwechsel bei vielen Piloten den
Druck, nach VFR weiterzufliegen, obwohl
das Wetter nicht die erforderlichen Bedingungen erfüllt. Das sichere und gesetzlich
vorgeschriebene Vorgehen wäre in dieser
Situation, einen Alternate mit IFR-Anflugverfahren anzusteuern und eventuell von
dort den eigentlichen Zielflugplatz nach
VFR anzusteuern, wenn es die Wolkenuntergrenzen und Sichten erlauben. Dies ist
der sogenannte cloud break approach, mit
dem man sicher unter die Wolken gelangt.
Bei grenzwertigem, aber in der Platzrunde noch fliegbarem Wetter erliegen IFRPiloten an VFR-Plätzen immer wieder der
Versuchung, mit selbstgestrickten »VIFR«Verfahren anzufliegen. Wohl wissend, dass
der Rahmen der Legalität verlassen wird, legen sie solche Anflüge oft zu dicht am Platz
an, sodass enge Kurven bei schlechtem Wetter und in Bodennähe erforderlich sind. Dabei wirkt sich eine Überladung der Maschine besonders stark aus. Ebenfalls typisch
ist, dass genau dann, wenn die mentale Kapazität für die Kontrolle des Flugzeugs von
der Suche nach der Bahn und der Einteilung
des Anflugs eingeschränkt wird, viele Piloten den Autopiloten deaktivieren, obwohl
er sie genau in dieser Situation entlasten
könnte. Steilere Kurven als sie ein Autopilot fliegt, sind in diesem Fall ohnehin nicht
angebracht.
Grundsätzlich bleibt angesichts der
Möglichkeiten für IFR-Anflüge auf Basis
von GPS und EGNOS die Frage, ob nicht
der Flugsicherheit wesentlich gedient wäre,
wenn es kleinen Flugplätzen so leicht wie
möglich gemacht wird, solche Instrumentenanflugverfahren einzurichten.
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