pinocchio - Theaterverlag adspecta

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pinocchio - Theaterverlag adspecta
PINOCCHIO
Bearbeitung: Katharina Kutil
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Katharina Kutil „Pinocchio“
111010-16-01
adspecta Theaterverlag
Inhalt:
Erzählt wird die Geschichte dreier Holzpuppen, Gino, Giulio und Seppo, die allnächtlich in
einer alten Schreinerwerkstatt um Mitternacht für eine Stunde zum Leben erwachen und die
Abenteuer Pinochios und seiner Weggefährten nachspielen, ohne damit jemals fertig zu
werden. Die Geschichte jedoch einmal bis zum Ende zu spielen und dadurch wie einst auch
Colodis Pinocchio ein richtiger Mensch zu werden, ist das erklärte Ziel der Puppe, die
Pinocchio verkörpert. Zu diesem Zweck sollen nun die Colodis Original entommenen
Erzählungen in Form von Zeitungsartikeln in zufälliger Reihenfolge aus einer Kiste gezogen
und deren Inhalt mit verteilten Rollen dargestellt werden.
So durchleben die Holzpuppen die Entstehung Pinocchios durch Geppetto, sein
Zusammentreffen mit Figuren wie dem Fuchs und dem Straßenkater oder der Fee mit dem
blauen Haar, seine Streiche und die allmähliche Wandlung von der egozentrischen
Holzpuppe zum empfindsamen Jungen auf völlig neue Art und Weise. Als es ein Uhr schlägt,
fallen zwei der Puppen wieder zurück in tiefen Schlaf, Pinocchio aber ist tatsächlich ein
richtiger Junge geworden und geht in die Welt hinaus.
Für Kinder ab 8 Jahren
Spieldauer: ca. 60 Min.
Personen: 3 (m)
Holzpuppe Gino
Holzpuppe Giulio
Holzpuppe Seppo
1. Schauspieler
2. Schauspieler
3. Schauspieler
Pinocchio
Geppetto
Polizist
Grille
Junge
Harlekin
Feuerfresser
Fuchs
Kater
Fee
Taube
Altes Mütterchen
Docht
Murmeltier
Gino
Giulio
Seppo
Seppo
Giulio
Seppo
Giulio
Giulio
Seppo
Seppo
Seppo
Giulio
Giulio
Seppo
Bühne:
Ort: eine alte, verlassene Tischlerwerkstatt
In der Mitte der Bühne steht eine große, alte Holztruhe - sie muss das Gewicht von zwei
Schauspielern tragen können. In dieser Truhe befinden sich sämtliche Requisiten.
1 Holzkiste mit den Zeitungen
1 Holzkiste, die als Kohlebecken dient
1 kleinere Truhe mit allen Kostümen
Die Verwandlung in eine andere Figur soll mittels weniger Handgriffe erfolgen - ein Tuch, ein
Requisit - die Requisiten sollen nur Gegenstände sein, die man in einer alten
Tischlerwerkstatt finden kann.
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1. Szene
(Gino, Giulio und Seppo liegen, sitzen tief schlafend auf der Bühne, die Turmuhr schlägt
12mal, mit dem 12. Schlag erwachen Gino und Giulio, Seppo rollt sich ein und will
weiterschlafen - Gino springt auf die große Truhe und ist Pinocchio.)
Pinocchio:
Oh, wenn Ihr wüsstet, wie viel Unglück über mich hereingebrochen und wie viel Schlechtes
mir widerfahren ist! Stellt Euch vor, lieber, armer Vater, an dem Tag, als Ihr Eure Jacke
verkauft habt, um mir dafür eine Schulfibel zu kaufen, bin ich ausgerissen, um mir die
Marionetten anzusehen, und der Puppenspieler wollte mich ins Feuer werfen, damit ich ihm
seinen Hammelbraten gar machte, und er war es auch, der mir dann die fünf Goldmünzen
gab, die ich Euch bringen sollte, ich aber traf den Fuchs und den Kater, die mich zum
Wirtshaus „Zum goldenen Krebs“ führten, wo sie wie die Wölfe fraßen, und als ich dann
nachts allein weiterzog, begegnete ich den Mördern, die hinter mir her rannten, und ich auf
und davon, bis sie mich an einem Ast der großen Eiche aufhängten, wo das schöne Mädchen
mit den blauen Haaren mich mit einer Karosse holen ließ, und die Ärzte sagten, als sie mich
sahen: „Wenn er nicht tot ist, ist das ein Zeichen dafür, dass er noch lebt“, und dann
entwischte mir eine Lüge, und meine Nase wurde immer länger, und ich konnte nicht mehr
aus dem Zimmer, deshalb vergrub ich mit dem Fuchs und dem Kater die vier Goldmünzen eine hatte ich schon im Wirtshaus ausgegeben -, und der Papagei fing an zu lachen, und
anstatt zweitausend Goldmünzen fand ich gar keine mehr, weshalb der Richter, als er hörte,
dass ich ausgeraubt worden war, mich sofort ins Gefängnis werfen ließ, um die Diebe zu
belohnen, und als ich wieder raus kam, sah ich auf einem Weinberg eine schöne Taube und
blieb im Fangeisen stecken, und der Bauer band mir ganz zu Recht das Hundehalsband um,
damit ich den Hühnerstall bewachte, aber er ließ mich frei, als er meine Unschuld erkannte,
und die Schlange mit dem rauchenden Schwanz lachte, und dabei platzte ihr eine Ader, und
so kam ich zum Haus des schönen Mädchens zurück, das tot war und die Taube sah mich
weinend an und sagte: „Ich habe deinen Vater gesehen, der sich ein Boot zimmerte, um dich
zu suchen, und ich sagte: „Ach, wenn ich doch auch Flügel hätte!“ und sie sagte zu mir:
„Willst du zu deinem Vater?“ und ich sagte zu ihr: „Und ob! Aber wer bringt mich dorthin?, und
sie sagte zu mir: „Ich bringe dich hin“ und ich sagte zu ihr: „Aber wie denn?“, und sie sagte zu
mir: „Setz dich auf meinen Rücken“ und so sind wir die ganze Nacht geflogen, und am
nächsten Morgen sagten alle Fischer, die aufs Meer blickten: „Da ist ein unglücklicher Mann
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in einem Boot, der gleich untergeht“ und von Weitem erkannte ich Euch gleich, weil mein
Herz es mir sagte, und ich gab Euch Zeichen, damit Ihr zum Strand zurückkehren sollt.“
Giulio:
So geht das nicht! (zu Seppo) So geht das nicht!
Seppo:
Das nicht!
Giulio:
Du musst es schon erleben, nicht nur erzählen.
Seppo:
Nur erzählen.
Giulio:
Wenn du es nur erzählst, hast du es nicht erlebt.
Seppo:
Nicht erlebt.
Giulio:
Dann kannst du kein echter Junge werden.
Seppo:
Junge werden.
Gino:
Ach, ich dachte, ich fange einmal anders an, es ist doch sonst jede Nacht dasselbe und es
klappt ja doch nicht.
Giulio:
Du musst es erleben!
Seppo:
Es erleben!
Giulio:
Von Anfang an.
Seppo:
Anfang an.
Giulio:
Bis zum Ende.
Seppo:
Zum Ende.
Giulio:
Alles muss seine Ordnung haben. Die Geschichte muss ihre Ordnung haben.
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Seppo:
Ordnung haben.
Gino:
Aber wir werden nie fertig!
Giulio:
Ja, willst du denn fertig werden?
Seppo:
Fertig werden?
Gino:
Ich glaube schon.
Giulio:
Und was ist danach?
Seppo:
Ist danach?
Gino:
Das weiß ich nicht. Aber ich möchte einmal etwas Neues ausprobieren. Wir fangen am
Anfang an und schaffen es nie die Geschichte zu Ende zu spielen.
Seppo:
Zu spielen!
Giulio:
Wo willst du denn anfangen, wenn nicht am Anfang?
Seppo:
Am Anfang!
Gino:
Ja, wo... aber es ist doch ganz einfach!
Seppo:
Ganz einfach?
Gino:
Es ist doch eine Fortsetzungsgeschichte und, und, und wir haben hier die Kiste mit allen
Geschichten. Wir ziehen einfach mit geschlossenen Augen immer eine Geschichte und die
spielen wir dann nach, ganz gleich in welcher Reihenfolge.
Seppo:
Unsinn.
Giulio:
Völliger Unsinn.
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Gino:
Aber wieso? Es ist etwas Neues! Wir erzählen die Geschichte neu - dann passiert vielleicht
etwas Aufregendes.
Giulio:
Es muss alles seine Ordnung haben.
Seppo:
Vielleicht ist etwas Neues nicht schlecht. Manchmal ist etwas Neues sehr gut.
Giulio:
Unsinn. Unsinn! Ich weigere mich! Es ist ungehörig und Geschichte bleibt sich ja doch gleich.
Gino:
Das wissen wir aber nicht. Lasst es uns doch einfach versuchen. Nur diese eine Nacht.
Seppo:
Eine Nacht.
Giulio:
Gut. Bitte. Bitte! Aber dass mir dann keine Klagen kommen. Bitte - worauf wartet ihr? Fangen
wir an! Aber ich weigere mich!
(Seppo und Gino raufen darum, wer als erster eine Zeitung ziehen darf. Giulio zieht und
liest den Inhalt der ersten Geschichte vor.)
2. Szene
Giulio: (liest)
Zu Hause angekommen, macht sich Geppetto gleich daran, die Holzpuppe zu schnitzen und
gibt ihr den Namen Pinocchio.
Seppo:
Das bin ich!
Giulio: (liest)
Die ersten Streiche Pinocchios.
Gino:
Los geht’s! Los geht’s! Ich bin Pinocchio! (zu Giulio) Und Du Geppetto.
Seppo:
Das ist aber nicht neu.
Giulio:
Nicht neu.
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5
Gino:
Los jetzt!
(Giulio verkleidet sich, Seppo ist beleidigt. Gino setzt sich auf die große Truhe und hält sich
ein Holzscheit vor Gesicht und Oberkörper.)
Gepetto:
Heute Morgen hatte ich eine Idee. Ich habe gedacht, dass ich mir eine schöne Holzpuppe
schnitzen könnte; aber eine wunderbare Holzpuppe, die tanzen, fechten und sogar
Purzelbäume schlagen kann. Mit dieser Puppe möchte ich durch die Welt ziehen, um mir
damit ein Stück Brot und ein Glas Wein zu verdienen. Wie soll sie denn heißen?
Seppo:
Pinocchio?!
Gepetto:
Ich will sie Pinocchio nennen.
Seppo:
Nein?!
Gepetto:
Doch!
Seppo:
Oh!
Gepetto:
Dieser Name wird ihr Glück bringen.
(Er nimmt einen Hammer und schlägt dreimal auf das Holzscheit, wobei Pinocchio es mit
jedem Schlag tiefer rutschen lässt, sodass man schließlich seine Augen sieht.)
Gepetto:
Ihr Glotzaugen, was schaut ihr mich so an?
(Pinocchio schließt schnell wieder die Augen und Gepetto schlägt erneut dreimal auf das
Holzscheit, wieder lässt es Pinocchio tiefer sinken, sodass man nun seinen Mund sieht, der
breit grinst.
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Gepetto:
Hör auf zu lachen! ... Ich sage es nicht noch einmal, hör auf zu lachen!
(Der Mund hört auf zu lachen, streckt aber die Zunge heraus. Geppetto, der sein Werk nicht
aufs Spiel setzen will, tut so, als merkt er nichts und schlägt wieder dreimal auf das Holz,
Pinocchio lässt es so tief sinken, dass es nun zwischen seinen Beinen auf dem Boden steht,
streckt dann sofort die Hände aus und zieht die Perücke vom Kopf.)
Pinocchio. Gib mir sofort meine Perücke zurück! (Statt zu gehorchen, setzt sich Pinocchio die
Perücke selbst auf den Kopf.) Du Lausejunge von einem Sohn, du bist noch gar nicht fertig
und fängst schon damit an, es deinem Vater gegenüber an Respekt fehlen zu lassen.
Schlimm, mein Junge, schlimm. (Er schlägt wieder dreimal auf das Holzscheit, Pinocchio
streckt seine Beine aus, noch sind sie sehr steif, aber er steht auf, nach ein paar Schritten
geht es schon besser und er beginnt durch das Zimmer zu laufen, dann „auf die Straße“
hinaus. Geppetto läuft vergeblich hinter ihm her.)
Haltet ihn! Haltet ihn!
(Zum Glück taucht schließlich ein Polizist auf. Beherzt pflanzt er sich breitbeinig auf und ist
wild entschlossen, Pinocchio zu fassen und Schlimmeres zu verhüten. Als Pinocchio sieht,
dass ihm der Polizist den Weg versperrt, will er ihm durch die Beine durchschlüpfen, was
ihm jedoch völlig misslingt. Ohne sich von der Stelle zu rühren, ergreift ihn der Polizist und
gibt ihn Geppetto zurück, der ihn kräftig an den Ohren zieht. Dann packt er ihn am
Schlafittchen.)
Wir gehen sofort nach Hause. Zu Hause, kannst du sicher sein, rechnen wir miteinander ab.
(Pinocchio wirft sich auf den Boden, schmollt und will nicht weitergehen.)
Polizist:
Armer Holzjunge, du hast recht, nicht nach Hause zu wollen. Wer weiß, wie ihn dieser
Grobian von Gepetto verprügeln wird. Dieser Gepetto sieht wie ein Ehrenmann aus, aber den
Kindern gegenüber ist er wohl ein Tyrann. Wenn man ihm den armen Holzjungen überlässt,
ist er glatt imstande, ihn in Stücke zu hausen. (Der Polizist befreit Pinocchio.)
Und du, Meister Geppetto, kommst erst einmal mit mir. Eine Nacht im Gefängnis wird dein
Mütchen schon kühlen.
Geppetto:
Nichtswürdiger Sohn!
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Seppo: (liest aus der Zeitung)
Was sich danach ereignete, ist eine Geschichte, die man kaum glauben kann. Ich will sie
euch in den nächsten Kapiteln erzählen. - Und was jetzt?
Gino:
Jetzt kannst du eine Geschichte ziehen.
Seppo:
Geschichte ziehen?
Gino:
Ja, aus der Kiste mit den Zeitungen - das weißt du doch!
Giulio:
Es ist ungehörig! Alles muss seine Ordnung haben!
Seppo:
Ordnung haben?
Gino:
Ach was - dann ziehe ich die nächste Geschichte.
(Er wühlt mit geschlossenen Augen in der Kiste und zieht eine Geschichte hervor, Giulio
nimmt sie ihm schnell weg und liest selbst)
3. Szene
Giulio:
Die Geschichte von Pinocchio und der Sprechenden Grille, an der man sieht, wie böse Kinder
es satt haben, immer von Leuten, die mehr wissen als sie selbst, zurechtgewiesen zu
werden.
Seppo:
Ich möchte die Grille sein.
Giulio:
Das geht nicht, bisher war immer ich die Grille.
Seppo:
Die Grille!
Gino:
Jetzt lass ihn doch!
Seppo:
Lass ihn doch!
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8
Giulio:
Hä? - Bitte, bitte! Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.
Grille:
Zirp - zirp - zirp
Pinocchio:
Wer ruft mich?
Grille:
Ich bin es!
Pinocchio:
Sag, Grille, wer bist denn du eigentlich?
Grille:
Ich bin die sprechende Grille und wohne schon über 100 Jahre in diesem Zimmer.
Pinocchio:
Ab heute gehört dieses Zimmer mir und wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann
verschwinde schleunigst, ohne dich nochmals umzudrehen.
Grille:
Ich werde nicht von hier weichen, ohne dir eine große Wahrheit gesagt zu haben.
Pinocchio:
Sag sie mir. Aber schnell!
Grille:
Wehe den Kindern, die sich gegen ihre Eltern auflehnen und unüberlegt ihr Elternhaus
verlassen. Sie werden es nie mehr gut auf dieser Welt haben und früher oder später werden
sie es bitter bereuen.
Pinocchio:
Sing nur, meine Grille, wie es dir gefällt. Ich aber weiß, dass ich morgen bei Tagesgrauen von
hier weggehen will. Bleibe ich nämlich hier, wird es mir wie allen anderen Kindern ergehen:
man wird mich in die Schule schicken, ob ich will oder nicht, ich muss lernen. Und ganz im
Vertrauen gesagt - dazu habe ich nicht im Geringsten Lust. Ich laufe lieber den
Schmetterlingen nach und steige auf die Bäume, um junge Vögel aus den Nestern zu holen.
Grille:
Du Dummerle! Weißt du denn nicht, dass du so, bist du erst erwachsen, ein rechter Esel sein
wirst und dass alle sich über dich lustig machen werden?
Pinocchio:
Ich will nur eines: essen, trinken, schlafen, mich vergnügen und von früh bis spät ein
Vagabundenleben führen.
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Grille:
Armer Pinocchio, du dauerst mich schrecklich.
Pinocchio:
Warum tu ich dir leid?
Grille:
Weil du eine Holzpuppe bist und, was schlimmer ist, weil du einen Holzkopf hast.
(Bei diesen Worten springt Pinocchio auf, nimmt den Holzhammer und schlägt der Grille auf
den Kopf.)Zirp-zirp-zirp.
Gulio: (liest aus der Zeitung)
Dann ist die Grille tot. Draußen Beginnt es zu donnern und zu blitzen. Ein Sturm kommt auf ...
(Seppo reagiert nicht) Ein Sturm kommt auf!
Seppo:
Oh! Der Sturm! (er spielt den Sturm - Pinocchio spielt alles, was Giulio liest)
Giulio:
... und Pinocchio fürchtet sich. Er hat Angst, ist müde und hungrig und so setzt er sich und
legt seine Füße auf das Becken voll glühender Kohle. Dort schläft er ein und seine Füße
fangen Feuer und verkohlen allmählich und werden zu Asche. Aber Pinocchio schläft friedlich
und wird erst durch ein Klopfen an der Türe geweckt.
Pinocchio:
Wer ist da?
Geppetto:
Ich bin es! Mach mir auf!
Pinocchio: (bemerkt verzweifelt, dass er keine Unterschenkel mehr hat)
Ich kann nicht!
Geppetto:
Warum kannst du nicht?
Pinocchio:
Ich kann nicht stehen, so glaubt mir! (er schafft es doch die imaginäre Türe zu öffnen) Ach,
ich Armer, ich Armer, nun muss ich mein ganzes Leben lang auf den Knien gehen!
Geppetto:
Ach, Pinocchio, wie konnte es nur geschehen, dass du dir die Füße verbrannt hast?
Pinocchio:
Ich weiß es nicht, Vater! Es war eine ganz schreckliche Nacht. Hunger habe ich immer noch,
aber die Füße nicht mehr! Oh, ich will ein paar neue Füße haben! Mach mir ein paar neue
Füße, Vater, ich bitte dich!
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Geppetto:
Und warum sollte ich dir neue Füße machen? Damit du etwas wieder von zu Hause Reißaus
nehmen kannst?
Pinocchio:
Ich verspreche euch, dass ich von heute an artig sein werde.
Geppetto:
Alle Kinder reden so, wenn sie etwas haben wollen.
Pinocchio:
Ich verspreche Euch, ich werde in die Schule gehen, werde fleißig sein und es zu etwas
bringen.
Geppetto:
Alle Kinder erzählen die gleiche Geschichte, wenn sie etwas haben wollen.
Pinocchio:
Aber ich bin nicht wie die anderen Kinder! Ich bin besser als alle und sage immer die
Wahrheit. Ich verspreche Euch, lieber Vater, dass ich ein Handwerk erlernen will und Trost
und Stütze Eures Alters sein werde.
(Geppetto nimmt Pinocchio am Kragen, ruckt ein paar Male kräftig, Pinocchio springt in die
Höhe und landet auf seinen Füßen. Kaum hat Pinocchio seine Füsse wieder, fängt er an,
herum zu trippeln und Luftsprünge zu machen, als hätte er den Verstand verloren.)
Um mich für all das, was Ihr für mich getan habt, zu bedanken, will ich gleich in die Schule
gehen. Nebenbei bemerkt, um zur Schule zu gehen fehlt mir noch immer etwas; mir fehlt vor
allem das Wichtigste und Beste.
Geppetto:
Und das wäre?
Pinocchio:
Mir fehlt die Fibel.
Geppetto:
Du hast recht, aber wie bekommt man eine? Sie kostet Geld.
Pinocchio:
Ich habe keines.
Geppetto:
Ich auch nicht ... Aber Geduld!
(Gepetto wendet sich ab, zieht seine Jacke aus, gibt sie in die große Requisitentruhe und holt
dafür die Fibel heraus, Pinocchio geht ungeduldig auf und ab. Gepetto übergibt ihm
zitternd die Fibel)
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Pinocchio:
Und deine Jacke, Vater?
Geppetto:
Ich habe sie verkauft.
(Pinocchio versteht und umarmt Geppetto dankbar)
Pinocchio:
Heute will ich in der Schule gleich das Lesen lernen, morgen lerne ich dann schreiben, und
übermorgen lerne ich rechnen. Und dann werde ich mit meinen Fähigkeiten viel Geld
verdienen und vom ersten Geld, das ich in der Tasche habe, will ich meinem Vater eine
schöne Jacke kaufen. Der arme Mann verdient es wirklich, denn schließlich läuft er jetzt bei
dieser Kälte in Hemdsärmeln herum, nur um mir Bücher zu kaufen und mich in die Schule zu
schicken.
(Plötzlich hört Pinoccio Musik von Pfeifen und Trommeln - (Giulio und Seppo) - er lauscht.)
Was mag das für eine Musik sein? Schade, dass ich zur Schule muss, sonst ... Ach was,
heute will ich mir die Pfeifer anhören und morgen gehe ich zur Schule. Um in die Schule zu
gehen, ist immer noch Zeit genug.
Giulio: (als Junge hüpft an ihm vorbei)
Was ist das für eine Musik?
Junge:
Lies, was auf dem Plakat geschrieben steht, dann weißt du es.
Pinocchio:
Ich würde es ja gerne lesen, aber ausgerechnet heute kann ich nicht lesen.
Junge:
Bravo, du Ochse! Dann lese ich es dir vor. Also, da steht geschrieben: Heute großes
Puppentheater. - Es fängt gerade an.
Pinocchio:
Was kostet der Eintritt?
Junge:
Vier Groschen.
Pinocchio:
Würdest du mir bis morgen vier Groschen leihen?
Junge:
Würde ich gerne, aber ausgerechnet heute kann ich sie dir nicht geben.
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Pinocchio:
Ich verkaufe dir meine Jacke!
Junge:
Was soll ich mit deiner Jacke?
Pinocchio:
Willst du meine Schuhe?
Junge:
Nein!
Pinocchio:
Willst du mir vier Groschen für diese neue Fibel geben?
Junge:
Für vier Groschen nehme ich die Fibel.
Seppo:
Mag ich nicht.
Giulio:
Was mag er nicht?
Seppo:
Diese Geschichte.
Giulio:
Man muss sie zu Ende spielen, sonst ist es nicht richtig.
Gino:
Ach was, sie ist ohnehin zu Ende. Lasst uns eine neue ziehen.
Seppo:
Ich möchte!
Gino:
Jetzt will ich aber!
Seppo:
Manno!
1. Glockenschlag
4. Szene
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Gino: (liest)
Die Holzpuppen im Puppentheater erkennen ihren Bruder Pinocchio und bereiten ihm einen
stürmischen Empfang. Aber im schönsten Augenblick tritt der Puppenspieler „Feuerfresser“
hervor, und Pinocchio läuft Gefahr, ein schlimmes Ende zu nehmen
(Harlekin und Pinocchio toben spielend über die Bühne. Plötzlich erscheint die bedrohliche,
unheimliche Gestalt von Feuerfresser.)
Feuerfresser:
Warum richtest du in meinem Theater ein solches Durcheinander an?
Pinocchio:
Glaubt mir, Durchlaucht, es ist nicht meine Schuld!
Feuerfresser:
Genug! Jetzt rechnen wir miteinander ab! Ich habe mir zum Abendessen einen schönen
Hammel bereitet und mir fehlt noch Holz, um ihn gar und knusprig zu braten. Harlekin! Bring
mir diese Holzpuppe her, mir scheint, sie ist aus ganz besonders trockenem Holz und ich bin
sicher, wenn ich sie ins Feuer werfe gibt sie mir eine herrliche Flamme für den Braten ab.
(Harlekin zögert, doch unter dem strengen Blick Feuerfressers ist er eingeschüchtert und
gehorcht.)
Pinocchio:
Mein Vater! Rettet mich! Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben! Bitte! Habt Erbarmen!
(Feuerfresser will hart bleiben, kann sich aber schließlich nicht mehr beherrschen und muss
fürchterlich laut niesen. Bei diesem Niesen erstrahlt Harlekins Gesicht.)
Harlekin:
Gute Nachrichten, Bruder! Der Puppenspieler hat geniest und das bedeutet, dass er Mitleid
mit dir hat, und nun bist du gerettet.
Feuerfresser:
Hör auf zu weinen! Dein Gejammer hat mir hier drinnen im Magen ein Rumoren verursacht,
ich spüre ein Zwicken, dass ich beinahe, beinahe ... Hatschi! Hatschi!
Pinocchio:
Gesundheit!
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Feuerfresser:
Danke. Sind dein Vater und deine Mutter noch am Leben?
Pinocchio:
Der Vater ja, die Mutter habe ich nie gekannt.
Feuerfresser:
Wer weiß, was für ein Unglück es für deinen alten Vater wäre, wenn ich dich jetzt auf die
glühenden Kohlen werfen würde. Hatschi, hatschi, hatschi!
Pinocchio:
Gesundheit!
Feuerfresser:
Danke! Übrigens bin auch ich zu bedauern, denn wie du siehst, habe ich nicht mehr genug
Holz, um den Hammel gar zu braten. Aber nun habe ich mich erweichen lassen und muss
mich gedulden. Statt deiner werde ich eine Figur aus meiner Theatertruppe unter den Spieß
legen.
Harlekin:
Oh je, oh je, ohjegerle!
Feuerfresser:
Ergreif mir den Harlekin, fessle ihn gut und wirf ihn ins Feuer. Mein Hammel soll schön
durchgebraten sein.
(Harlekin ist zu Tode erschrocken - Pinocchio wirft sich Feuerfresser zu Füssen, heult und
fleht.)
Pinocchio:
Mitleid, Herr Feuerfresser!
Feuerfresser:
Hier gibt es keine Herren!
Pinocchio:
Mitleid, Herr Ritter!
Feuerfresser:
Hier gibt es keine Ritter!
Pinocchio:
Mitleid, Exzellenz!
Feuerfresser:
Nun, was willst du von mir?
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Pinocchio:
Ich bitte Euch um Gnade für den armen Harlekin!
Feuerfresser:
Hier ist keine Gnade angebracht. Wenn ich dich schon verschont habe, muss ich ihn dafür ins
Feuer werfen!
Pinocchio:
In diesem Fall weiß ich, was meine Pflicht ist. Vorwärts, fesselt mich und werft mich dort in die
Flammen. Nein, es ist nicht recht, dass der arme Harlekin, mein guter Freund, für mich
sterben soll.
(Feuerfresser niest vier, fünfmal)
Feuerfresser:
Du bist ein braver Junge. Komm zu mir und gib mir einen Kuss.
Harlekin:
Ich bi - bin also begnadigt?
Feuerfresser:
Du bist begnadigt. Also esse ich heute Abend meinen Hammel roh, aber ein andermal: wehe
dem, den`s erwischt. Sag mir, Pinocchio, was ist dein Vater von Beruf?
Pinocchio:
Ein Armer, er verdient so viel, wie man braucht, um nie einen Pfennig in der Tasche zu
haben.
Feuerfresser:
Armer Teufel, er tut mir fast leid. Da hast du fünf Goldmünzen. Geh schnell zu ihm und bringe
sie ihm und grüße ihn von mir.
Seppo: (liest aus der Zeitung)
Pinocchio bedankt sich bei Feuerfresser, verabschiedet sich von Harlekin und mach sich auf
den Weg; kurz darauf trifft er den hinkenden Fuchs und den fast blinden Kater, die
einander stützen und so durchs Leben gehen.
Fuchs:
Guten Morgen, Pinocchio!
Pinocchio:
Woher kennst du denn meinen Namen?
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