SCHULEWIRTSCHAFT, Ausgabe 7/3 (September 2005)
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SCHULEWIRTSCHAFT, Ausgabe 7/3 (September 2005)
Qualitätssiegel „Schule mit vorbildlicher Berufsorientierung“ erneut verliehen Am 20. Juni war es soweit: Das Albrecht-Thaer-Gymnasium und das HeisenbergGymnasium sowie die Gesamtschulen Eppendorf und Niendorf wurden in einer feierlichen Veranstaltung am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung ausgezeichnet. Stolz nahmen Schulleitungen, Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler das Qualitätssiegel „Schule mit vorbildlicher Berufsorientierung“ entgegen. Während der Preisverleihung machten die Jury-Mitglieder aus Unternehmen, Behörden und weiteren Institutionen deutlich, dass die ausgezeichneten Schulen ihre Schülerinnen und Schüler in vorbildlicher Weise auf die Arbeitswelt vorbereiten und ihnen so den Übergang ins Berufsleben erleichtern. Zum Erlangen des Siegels wiesen die Preisträger in einer externen Evaluation nach, mit welcher Praxisrelevanz sie ökonomische Themen im Unterricht aufnehmen, betriebliche Lernorte und Kooperationspartner einbeziehen und Schülerinnen und Schüler im Erwerb überfachlicher Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen unterstützen. „Beeindruckt hat uns auch, dass weitere Handlungsperspektiven entwickelt werden, sowohl fachlich als auch methodisch, um die Berufsorientierung noch weiter zu verbessern“, so Dieter Neukirch, Jury-Mitglied und Elternvertreter. Dass dieses von Erfolg gekrönt ist, bewiesen zwei der jetzt ausgezeichneten Schulen. Sie hatten sich bereits im letzten Jahr beworben und waren nun nach Überarbeitung ihres Konzeptes erfolgreich – hoffentlich ein Ansporn für weitere Schulen. Das Siegel wird von einer Gemeinschaftsinitiative verliehen, der die Landesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT, der DGB und die Behörden für Bildung und Sport, Soziales und Familie sowie Wirtschaft und Arbeit angehören. Die Schulen erhalten das Siegel für drei Jahre. In dieser Zeit können sie das Siegel werbewirksam einsetzen, bevor sie sich dann rezertifizieren lassen müssen. Die neue Bewerbungsrunde startet im Februar 2006. Dann sind die Bewerbungsunterlagen beim Zentrum Schule & Wirtschaft, der geschäftsführenden Stelle, aus dem Internet herunter zu laden. Mit der ersten Zertifizierungsrunde sind nun zwanzig allgemein bildende Schulen in Hamburg mit dem Qualitätssiegel „Schule mit vorbildlicher Berufsorientierung“ ausgezeichnet. Gute Beispiele finden sich aber auch in anderen Regionen. Neben Hamburg wird in der Bodenseeregion, Düsseldorf, Hannover, Mönchengladbach, Ostwestfalen als erstem „Siegel-Land“, Thüringen, Region Dortmund/Kreis Unna/Hamm und in Wuppertal das Zertifikat vergeben. Die Partner haben sich unter Projektleitung der Bertelsmann-Stiftung in einem Netzwerk zusammengeschlossen. Unter www.netzwerk-berufswahl-siegel.de finden Interessierte Informationen zum Projekt, zu Zielen, Inhalten und den regionalen Partnern. Sie erhalten in einem Siegel-Handbuch Tipps für die Einführung und Durchführung des Siegel-Konzeptes in einer Region. Wir haben bereits von guten Beispielen einiger Hamburger Siegel-Schulen berichtet und werden dies auch in Zukunft tun. Die Serie der Preisträger 2005 startet das Albrecht-ThaerGymnasium. Renate Krollpfeiffer-Kuhring, Koordinatorin für Berufsorientierung, berichtet von wichtigen Bausteinen des Konzeptes, indem insbesondere die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern und die Förderung der Schlüsselqualifikationen eine große Rolle spielen. Berufsorientierung am Albrecht-Thaer-Gymnasium Wir haben uns sehr gefreut, dass wir im vergangenen Schuljahr mit dem Qualitätssiegel „Schule mit vorbildlicher Berufsorientierung“ ausgezeichnet wurden. Bereits im Vorjahr hatten wir uns beworben, aber die notwendige Punktzahl leider nicht erreicht. Aus dem anschließenden Auswertungsgespräch haben wir viele Anregungen mit- und in unser Konzept aufgenommen. Berufsorientierung heißt bei uns am Albrecht-Thaer-Gymnasium (ATh) Lebensorientierung. Sie umfasst für uns drei Schwerpunkte - einen individuellen, einen berufsvorbereitenden und einen ökonomischen - mit dem Ziel, einen für die Schüler und Schülerinnen gelungenen Übergang von der Schule in die Berufswelt zu ermöglichen und ihre Bereitschaft zu lebenslangem Lernen zu fördern. Deshalb bieten wir neben der Vermittlung von Fach- und Methodenwissen verschiedenste Einblicke in die Berufs- und Arbeitswelt und geben Möglichkeiten zur Erkundung unterschiedlichster Berufsfelder. Darüber hinaus haben Schülerinnen und Schüler mehrfach Gelegenheit, sich mit ihren Stärken und Fähigkeiten auseinanderzusetzen, ein Kompetenzprofil zu erstellen und dieses weiter zu entwickeln. Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern Unterstützt werden wir regelmäßig und institutionalisiert von einer Reihe außerschulischer Kooperationspartner, z. B. dem Institut der deutschen Wirtschaft (Gründung von Schülerfirmen), der AOK und der Barmer Ersatzkasse (Bewerbertraining und Accessment-Center), dem Institut für Talentforschung (Messe Chancen in Hamburg) und dem Geva-Institut (Berufseignungstest). Mit der TU-Harburg und der Siemens AG verbinden uns darüber hinaus feste Kooperationsverträge. So findet jeweils zu Beginn des neuen Schuljahres eine Planungssitzung zwischen unserem Ansprechpartner bei Siemens, der Schulleitung und betroffenen Kollegen statt. Im Halbjahr überprüfe ich als zuständige Koordinatorin mit unserem Partner die verabredeten Bausteine und gemeinsam nehmen wir ggf. Nachbesserungen vor. Die Planung enthält feste Elemente, z. B. Besuche bei Siemens zur Berufserkundung, am Girls´ Day, Fachvorträge, Lehrer- und Schülerpraktika. Darüber hinaus verleiht Siemens jedes Jahr an unserer Schule je einen „Mädchen für Technik-Preis“ in Jahrgang 5,7, 10 und 13 sowie zusätzlich einen MINT-Preis für den besten Schüler im Abiturjahrgang. Hinzu kommen flexible Bausteine: So haben wir in den Jahrgängen 7 und 12 mit Experten von Siemens einen Projekttag zum Thema „Hören: Dialog im Leisen“ entwickelt und durchgeführt, der nun regelhaft in das Curriculum aufgenommen wurde. In Jahrgang 11 stand das Thema „Einstein – Physiker des Lichts“ auf dem Programm – auch dieser Projekttag wurde von einem Siemens-Experten und den Physikkollegen auf der Grundlage von Unterrichtsmaterialien der Siemens AG durchgeführt. Ein Höhepunkt nicht nur für die Schülerinnen und Schüler waren zwei Podiumsdiskussionen, die wir ebenfalls mit Siemens gemeinsam an unserer Schule im Rahmen unserer Reihe „Das ATh am Abend lädt ein …“ veranstaltet haben. Experten haben sich den Fragen der Schülerinnen und Schüler zu den Themen Mobilität und Globalisierung gestellt und haben angeregt auf dem Podium ihre oft gegensätzlichen Einstellungen ausgetauscht. In dieser sehr lebendigen Partnerschaft lernen die Schülerinnen und Schüler die Vielseitigkeit eines großen Unternehmens kennen und können sich selbst einen Einblick verschaffen, was nach der Schule von ihnen erwartet wird und welche Unterstützungsangebote frühzeitig genutzt werden können. Förderung von Schlüsselqualifikationen Dazu gehört auch, dass wir uns umfassend bemühen, Schlüsselqualifikationen zu fördern. Von Jahrgang 5 – 11 ist daher die Klassenratsstunde fest im Stundenplan verankert. Hier lernen die Schülerinnen und Schüler frühzeitig, ihre Belange zu formulieren, Probleme zu lösen, Aktivitäten wie Wandertage u.ä. selbstständig zu organisieren sowie Terminplanungen eigenständig vorzunehmen. Sie üben sich in Gesprächsleitung, Protokollführung und Zeitmanagement. Jedes Jahr finden darüber hinaus drei Sozialpraktikumstage mit ganz unterschiedlicher Themenstellung statt, in Jahrgang 11 schließlich ein 14-tägiges Sozialpraktikum. Außerdem gibt es je ein Curriculum zum „Lernen lernen“ und zur Medienkompetenz, das insbesondere das selbstständige und die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen fördern soll; durch eine schulinterne Lehrerfortbildung des gesamten Kollegiums am ATh mit Unterstützung des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung wird dieses Curriculum gerade überarbeitet. In den pädagogischen Klassenkonferenzen werden je nach Jahrgang Gruppenarbeit, fächerübergreifende Projekte u.ä. verabredet, die die Teamfähigkeit und das Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gruppe schulen sollen. Durch die Gründung von Schülerfirmen werden diese Schlüsselqualifikationen zusätzlich gefordert und gefördert. Ältere Schülerinnen und Schüler übernehmen in vielfacher Weise Verantwortung für die Jüngeren, z.B. als Paten und in Gremien (Schülerrat und Umweltrat führen einmal im Jahr eigenständig ein Seminar für die Klassensprecher bzw. die Umweltsprecher durch). Sie veranstalten regelmäßig Stufenpartys, übernehmen Hausaufgabenbetreuung und bieten eigene AGs an. Gestaltungskompetenz wird bei uns gefördert durch Partizipation. Unsere Schülerinnen und Schüler sind in allen AGs vertreten, die sich mit aktuellen Fragen der Schulentwicklung am ATh beschäftigen: AG Profilschärfung, AG Nachmittagsunterricht, Arbeitskreis Nachhaltigkeit, Gelände-AG. Als Rückmeldung an die Schülerinnen und Schüler haben wir uns im Kollegium auf einen Ankreuzbogen (Lernverhalten, Problemslösestrategien, Organisation des eigenen Lernprozesses, Miteinander leben und lernen) verständigt, um zweimal im Jahr für jede/n Schüler/in eine Übersicht über ihr/sein Arbeits- und Sozialverhalten zu erstellen. Andere Schlüsselqualifikationen werden mit einer „Bescheinigung“ bzw. einem „Führerschein“ bewertet. Die Zertifikate können im Berufswahlpass gesammelt werden. Am ATh schätzen wir den Austausch mit Externen. Der Blick von außen stellt für uns eine sehr große Bereicherung dar und garantiert, dass wir mit unserem Konzept zur Berufs- und Lebensorientierung unsere Schüler möglichst optimal und realitätsnah „auf ein Leben nach der Schule“ vorbereiten. Renate Krollpfeiffer-Kuhring, Albrecht-Thaer-Gymnasium Ein Jahr danach Erfahrungen mit dem Siegel SCHULEWIRTSCHAFT: Herr Bräuer, Sie sind Schulleiter der Ganztagsschule Am Altonaer Volkspark und konnten bereits im letzten Jahr zusammen mit Ihrem Kollegen das Siegel „Schule mit vorbildlicher Berufsorientierung" entgegen nehmen. Welche Auswirkungen hatte das Siegel für Ihre Schule, z. B. was die öffentliche Wahrnehmung angeht? Thorsten Bräuer: Die Verleihung des Qualitätssiegels für vorbildliche Berufsorientierung hatte intern und extern einige positive Auswirkungen. Durch die Veröffentlichungen in der Presse und auf der Homepage ergab es sich, dass wir mit unserem Schwerpunkt Berufs- und Anschlussorientierung im Stadtteil von Eltern, Schülern und Kooperationspartnern eine stärkere Wahrnehmung feststellen konnten und auch große Nachfrage über die Bedeutung des Qualitätssiegels hatten. In erster Linie ging es bei den Anfragen darum, welche Leistungen die Schule im Bereich der Berufsorientierung unternommen hat und welche sie perspektivisch in diesem Bereich in der nächsten Zeit plant. Darüber hinaus spielte und spielt das Qualitätssiegel bei den Anmeldungen eine große Rolle. Viele Eltern informieren sich inzwischen über die Homepage über unsere Schule und dementsprechend nehmen sie auch das Logo des Qualitätssiegels und unser Berufsorientierungskonzept wahr. Die Eltern haben das Qualitätssiegel mit großer Akzeptanz aufgenommen, da das Berufsorientierungskonzept der Schule und seine Aktivitäten zur Unterstützung der Übergangsplanung Schule-Beruf von externen Auditoren begutachtet wurde und dann in der Verleihung endete. Mit den Zahlen, dass 2004 sechs von zwölf Bewerbern um eine Lehrstelle und 2005 fünf von zehn Bewerbern unserer Hauptschulabsolventen in den ersten Ausbildungsmarkt gekommen sind, konnten wir einen gewissen Erfolg der Maßnahmen auch untermauern. SCHULEWIRTSCHAFT: Welche Impulse hat das Siegel intern ausgelöst? Thorsten Bräuer: Intern hat die Bewerbung für das Qualitätssiegel eine weitere Bestandsaufnahme im Bereich der Berufsorientierung und der Übergangsplanung Schule-Beruf ausgelöst. Berufsorientierung ist seit längerer Zeit Schwerpunkt unserer Schule. Über die Jahre haben sich eine Reihe von Berufsorientierungsmodulen entwickelt, die in der Regel nach einer praktischen Erprobung ins Berufsorientierungskonzept aufgenommen wurden. Dieses Konzept wurde nun einer umfangreichen Evaluation unterzogen, Stärken und Schwächen aufgedeckt. Die Bestandsaufnahme löste intern einen Motivationsschub aus, da zum einen deutlich wurde, dass die Kollegen der Schule im Bereich der Berufsorientierung viel leisten, aber auch Felder aufgedeckt wurden, wo noch Umsetzungsmöglichkeiten bestehen. Diese neuen Felder wurden im letzten Jahr bearbeitet und mit Hilfe unserer Kooperationspartner aus Wirtschaft und Jugendträgern schon in Ansätzen umgesetzt. Die Verleihung selber wurde im Kollegium mit Freude aufgenommen, da sie das Ergebnis eines fünfjährigen Prozesses im Bereich Berufs-orientierung darstellt. Im Kollegium hat unser Konzept durch das Siegel noch mehr Akzeptanz und Fortbildungsbereitschaft – quasi zum Erhalt und Ausbau des Qualitätsstandards – erfahren. SCHULEWIRTSCHAFT: In Hamburg haben jetzt nach der zweiten Runde 20 Schulen das Siegel „Schule mit vorbildlicher Berufsorientierung" erhalten. Warum lohnt es sich Ihres Erachtens für Schulen, sich zu bewerben? Thorsten Bräuer: Eine Bewerbung beginnt in der Regel mit einer Bestandsaufnahme. In dieser Bestandsaufnahme wird deutlich, wie viele Prozesse und Projekte im Bereich der Berufsorientierung an der Schule schon ablaufen. Meist sind es mehr als man denkt, da viele kleinere Aktivitäten gar nicht gebündelt ablaufen. Diese würden aber alle bei einer Bestandsaufnahme sichtbar werden. Zudem bin ich fest davon überzeugt, dass eine Reihe von Schulen die Kriterien für das Qualitätssiegel erfüllen, aber davon ausgehen, dass ihre Maßnahmen im Bereich der Berufsorientierung noch nicht ausreichen. Selbst eine Bewerbung ohne Erfolg sollte als eine Standortbestimmung im Bereich Berufsorientierung angesehen werden, mit dem Ziel der steten Weiterentwicklung. Die Weiterentwicklung hilft unseren Schülern bei ihrem Berufswahlprozess und der Schule vermag sie vielleicht einen Motivationsschub mit großer Anerkennung und öffentlicher Wahrnehmung im Stadtteil zu geben. SCHULEWIRTSCHAFT: Wenn Sie Schulen abschließend einen Tipp geben sollten, welcher wäre es? Thorsten Bräuer: Ich denke, an den einzelnen Schulen läuft im Bereich der Berufsorientierung schon enorm viel, so dass sie keinen Tipp von außen brauchen. Einzig der Mut und die Zeit, die Prozesse transparent zu machen, fehlt vielleicht noch. Schulisch rückblickend betrachtet, lohnt sich das Verfahren der Bewerbung um das Qualitätssiegel für vorbildliche Berufsorientierung mit seinen internen und externen beschreibbaren Auswirkungen.