Traktoren auf Rundkurs - Hebezeuge Fördermittel
Transcription
Traktoren auf Rundkurs - Hebezeuge Fördermittel
Fördertechnik Automated Guided Vehicles in der Fahrzeugproduktion Traktoren auf Rundkurs Um den Prozessablauf bei der Montage seiner aktuellen und zukünftigen Traktoren-Baureihen weiter zu optimieren und Arbeitsschritte vom Hauptband in die Vormontage zu verlagern, setzt Hersteller John Deere im Werk Mannheim u. a. auf die Applikations-Systemlösung AGV (Automated Guided Vehicles) von SEWEurodrive mit berührungsloser Energieübertragung. ■ Gunthart Mau Im Werk Mannheim werden die JohnDeere-Traktoren der Baureihen 5M, 5R, 6000 und 7000 durch neue Modelle ergänzt. Durch die zunehmende Anzahl der Modelle musste auch der Prozessablauf bei der Montage optimiert werden. Mehr Montageschritte sollten vom Hauptband in die Vormontage verlagert werden. Dort wird jetzt die Getriebe- und Rahmenmontage durchgeführt. Dazu musste auch der Materialfluss neu organisiert werden. Bei der neuen Anlage entschied sich das Unternehmen für eine flexible Lösung, ein Automated Guided Vehicle (AGV). „Mit der Applikations-Systemlösung AGV von der SEW-Eurodrive sind wir für die Zukunft gut gerüstet“, erläutert Ralf Mayer, Business Unit Manager in der Traktoren-Endmontage. Bei der bisherigen Anlage war ein Rahmenzuführband vorhanden. Hierauf wurden die Fahrzeugrahmen ge- Ein Bewegungssensor erfasst Menschen auf der Fahrbahn; je nach Abstand reduziert das Fahrzeug dann seine Geschwindigkeit oder bleibt stehen setzt, die aus der Farbgebung kamen. Dann folgte die Montage am Hauptrahmen, der anschließend auf das Hauptband gesetzt wurde. Einige Stationen weiter war die „Hochzeit“ des Getriebes mit dem Rahmen. Dieser Schritt findet jetzt früher statt. „Wir nehmen den Rahmen aus der Farbgebung heraus und verheiraten dann das Getriebe mit dem Rahmen“, erläutert Ralf Mayer. „Nach weiteren Vormontagen am Hauptrahmen setzen wir dann ein komplettes Chassis-Modul – Hauptrahmen mit Getriebe und Vorderachse – auf das Hauptband.“ Der Vorteil besteht darin, dass die Mitarbeiter eine Komponente erstellen, die fast komplett fertig ist. Die Arbeit wird innerhalb einer Gruppe erledigt. Eine Abstimmung zwischen verschiedenen Gruppen ist nicht mehr nötig, und gleichzeitig steigt die Verantwortung der Mitarbeitergruppe für diese Komponente. Das neue System ist nicht nur kostengünstig, sondern auch sehr flexibel. Virtuelle Inbetriebnahme verkürzt die Umbauzeit Die Getriebe werden auf den fahrerlosen Transportsystemen abgesetzt; die AGV sind mit einer Aufnahmevorrichtung und Adaptern für unterschiedliche Getriebevarianten ausgestattet 394 Zur Anpassung und Neuinstallation von Förderanlagen für den innerbetrieblichen Materialfluss werden meist nur kurze Stillstands- und Inbetriebnahmezeiten zugelassen. Damit der Umbau bei John Deere reibungslos und zügig durchgeführt werden konnte, nutzten die Projektbeteiligten die Virtuelle Inbetriebnahme (VIBN). Sie ermöglicht die frühzeitige Parallelisierung der mechanischen Anlagenplanung und der Entwicklung von Steuerungssoftware. Der OEM übergab das Layout, eine CAD-Datei, und besprach mit SEW die Funktionalität der Anlage. Die Projektierung des Systems auf Layout und Funktion geschah grafisch und vollständig parametrierbar. Das betraf z. B. Haltepositionen, Geschwindigkeitsbereiche und Fahrzeugabstände. Weil ein AGV aus Komponenten und Teilsystemen unterschiedlicher Hersteller besteht, müssen die Vorgaben bezüglich der mechanischen, elektrischen und IT-Schnittstellen zu den umgebenden Systemen eingehalten werden. Daher wurden die Verantwortlichkeiten von SEW und des OEM in der Software klar getrennt: SEW war dafür verantwortlich, wie sich die Fahrzeuge auf der Strecke verhalten; der OEM hingegen verantwortete, welche Aufgaben sie dabei erledigen, d. h. die Kopplung an die Produktionseinrichtungen (Fahrzeugabruf, Weiterfahrt nach Freigabe, Warten auf Produktionseinrichtungen usw.). SEW erstellte eine 3D-Simulation, die die Grundlage zur Virtuellen Inbetriebnahme des Systems bildete. In der Schraubstation montieren die Werker unterschiedliche Optionen, die der Kunde bestellt hat Die geforderte Funktionalität wurde hier bereits integriert. Die Inbetriebnahme der Steuerung des Kunden wurde direkt an der 3D-Simulation vorgenommen. Das geschah bereits Wochen vor dem Umbau bei John Deere. Die Schnittstellen zur 3D-Simulation und zur späteren Anlage sind identisch. Komplettumbau der Anlage Im Frühjahr 2010 begann der komplette Umbau des Bereichs. Business Unit Manager Ralf Mayer erinnert sich: „Die Vorarbeiten wurden bereits an vorhergehenden Wochenenden durch- www.hebezeuge-foerdermittel.de · Hebezeuge Fördermittel, Berlin 52 (2012) 7-8 Fördertechnik Flexible Abläufe Am Ende der Vormontage nimmt ein 6-t-Kran die Rahmen-Getriebe-Einheit ab und setzt sie auf das Hauptmontageband, eine Schubpalettenanlage geführt. Weil die Energieversorgung im Boden verlegt wird, mussten wir den Boden eisenfrei fräsen, die Leiter verlegen und den Boden versiegeln. Das ist an einem verlängerten Wochenende zu schaffen.“ In diesem Zeitfenster könnte auch künftig der Verlauf geändert werden, um ihn an neue Anforderungen der Montage anzupassen. Diese Möglichkeiten bieten traditionell eingesetzte Power&Free-Fördersysteme (Schleppkreisförderer) nicht. Die betroffenen Mitarbeiter waren während und nach den Umbauarbeiten im Haus. In dieser Zeit halfen sie durch das Bereitstellen der Werkzeuge, Einrichten der Arbeitsplätze und Platzieren des Materials mit, die Neuinstallation durchzuführen. Darüber hinaus hatten sie ein großes Mitspracherecht beim kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der von Anfang an durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage: Sind die geplanten Arbeitsschritte wirklich optimal? Gemeinsam mit der Logistik wurde Material verfahren und getestet, die besten Abläufe für den Montageprozess gesucht und das Layout der Streckenführung optimiert. Hebezeuge Fördermittel, Berlin 52 (2012) 7-8 · www.hebezeuge-foerdermittel.de Die AGV werden für den Transport der Einheit Getriebe-Rahmen im Taktbetrieb entlang einem Fahrkurs eingesetzt – von der Aufgabestelle über die Vormontagelinie zur Abgabestation. Während des Transports werden Getriebe und Rahmen sowie optionale Baugruppen nach Kundenwunsch montiert. Die AGV sind jeweils für eine maximale Zuladung von 4700 kg ausgelegt. Zunächst kommen die fertig montierten Getriebe vom Getriebebau aus einem Nebengebäude zur Montage. Sie werden mit einem Überflurförderer transportiert und anschließend mit einem Portal-Handlingsystem auf den fahrerlosen Transportfahrzeugen abgesetzt. Hierfür sind die AGV mit einer Aufnahmevorrichtung ausgestattet. Diese besteht aus einem immer gleichen Grundgerüst sowie speziellen Adaptern, die sich je nach Getriebevariante unterscheiden. Ralf Mayer erläutert: „Wir haben ein System konstruiert, das mit verschiedenen Auflagen zu allen Getrieben kompatibel ist.“ Anschließend wird der Hauptrahmen mit Vorderachse per Kran auf dem AGV abgelegt und mit dem Getriebe verbunden. Die Montage der Einheit GetriebeRahmen geschieht nach dem „One Piece Flow“-Prinzip. An der nächsten Station werden die Vorderachsen mit Rahmen, die aus der Farbgebung kommen, mit dem Getriebe verheiratet. Dann bewegen sich die Fahrzeuge im Taktbetrieb im Uhrzeigersinn weiter. In der Schraubstation folgt der weitere Ausbau. Die Werker montieren unterschiedliche Optionen, die bestellt worden sind, z. B. Druckluftkessel oder Öl- 395 Fördertechnik zusatzbehälter, Hydraulikrohre und Versorgungsleitungen sowie Halterungen. Auch bei diesem Arbeitsschritt legt John Deere besonderen Wert auf die Effektivität der Arbeit. So wurde ein Werkzeug entwickelt, mit dem unterschiedliche Getriebevarianten verschraubt werden können. In der Fahrstrategie wurden Stationen definiert, an denen die Mitarbeiter – je nach Modell und Optionen – variable Zeitfenster haben, um ihre Arbeit zu erledigen. Weil die Arbeiten vorn, in der Mitte oder hinten am AGV – und das jeweils auf beiden Seiten – durchgeführt werden, sind an mehreren Stellen am Fahrzeug Quittierungsschalter angebaut. Sobald der Werker seine Arbeit erledigt hat, quittiert er sie an einem Tretschalter. Dann fahren die AGV weiter zur nächsten Montagestation. Im 3-min-Takt muss am Ende der Vormontage ein fertiger Rahmen zur Verfügung stehen. Für die Personensicherheit wurden entsprechende Vorkehrungen getroffen. So erfasst ein Bewegungssensor Mitarbeiter, die sich möglicherweise auf der Fahrbahn befinden. Je nach Abstand reduziert das Fahrzeug dann seine Geschwindigkeit oder bleibt stehen. Die gesamte Strecke ist 140 m lang. 14 AGV sind im Einsatz, zwei Fahrzeuge stehen in Reserve. Systemlösung AGV Die Applikations-Systemlösung AGV von SEW-Eurodrive umfasst die Fahrzeuge, zwei Energieeinspeisekreise und vier Kommunikationskreise. Die Energie- und Kommunikationskreise sind zu einem geschlossenen Fahrkurs angeordnet und fest im Boden verlegt. Zur Energieeinspeisung dienen der Einspeisesteller Movitrans® und 396 Auf dem Hauptmontageband werden die Motoren und der Tank angebaut; danach findet die Hochzeit von Chassis und Kabine statt (Bilder: SEW-Eurodrive) das Anschaltmodul Movitrans® TAS10A. Zur Gesamtlösung gehören mehrere Teilsysteme – Fahrzeug, Energieversorgung, Kommunikation und Positionierung. Das Fahrzeug wird über die Linienleiter und den am Fahrzeug vorhandenen Übertragerkopf nach dem Prinzip der induktiven Energieübertragung kontaktlos mit Energie versorgt (s. a. Buchrezension „Kontaktlose Energieübertragung“ auf Seite 413). Zwei Antennen am Fahrzeug empfangen die Informationen und geben diese an die dezentrale Antriebs- und Steuereinheit Movipro® auf dem Fahrzeug weiter. Mithilfe des Bediengeräts LSI (Local System Interface) werden die Daten an der Strecke visualisiert und die Fehlermeldungen Not-Aus quittiert. Für die Inbetriebnahme und Parametrierung des Systems wird das Parameter- und Diagnose-Tool Movivision® verwendet. Zur Fahrwagenkoordination dient der Segment-Controller, der den Fahrkurs in verschiedene Segmente unterteilt. Für jedes Segment wird mit einem Access Point und angeschlossenem Leckwellenleiter die Information auf der Strecke zur Verfügung gestellt. Bei diesen Leitern für elektromagnetische Wellen tritt die Energie nicht nur an den Enden, sondern auch entlang der gesamten Leiterlänge ein und aus. Der Leckwellenleiter ist fest im Boden verlegt. Endmontage und Qualitätstests Am Ende der Vormontage nimmt ein 6-t-Kran die Rahmen-Getriebe-Einheit ab und setzt sie auf das Hauptmontageband, eine Schubpalettenanlage. Dort werden die Motoren angebaut sowie der Tank, der anschließend befüllt wird. Danach findet auf dem Quertransfer die Hochzeit von Chassis und Kabine statt. Bereits innerhalb der Fertigungslinie sind sog. Quality Gates vorgesehen. Am Ende werden in einer Testkabine Elektroniktests durchgeführt. Anschließend werden die Traktoren in einer Testkabine zum ersten Mal gestartet. Hier führen Mitarbeiter verschiedene Kalibrierungen und Prüfschritte durch, testen die Schaltung und montieren anschließend die Räder und Innenverkleidungen. Danach fahren die Traktoren aus der Halle zum Versand und werden per Lkw oder Bahn zu den Kunden transportiert. □ Dipl.-Ing. Gunthart Mau ist Referent Fachpresse bei der SEW-Eurodrive GmbH & Co. KG in Bruchsal www.hebezeuge-foerdermittel.de · Hebezeuge Fördermittel, Berlin 52 (2012) 7-8