M. Schenk Das Prader-Willi-Syndrom Eine Einführung und Übersicht

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M. Schenk Das Prader-Willi-Syndrom Eine Einführung und Übersicht
M. Schenk
Das Prader-Willi-Syndrom
Eine Einführung und Übersicht
Vorwort
Ein defektes oder inaktives Chromosom von 46.
Wie verheerend das für einen Menschen sein kann, wird gerade bei dem PraderWilli-Syndrom (PWS) deutlich.
In einer Fernsehreportage wurde einmal über einen 10 jährigen Jungen mit dieser
Störung berichtet. Die Familie musste den Kühlschrank mit einem Schloss versehen,
da der Junge permanent auf der Suche nach Nahrung war. Er war schon stark
übergewichtig, verhaltensauffällig und von der Körpergröße viel kleiner als normal.
Erschreckend waren seine exzessiven Wutanfälle, die er bekam, wenn etwas anders
verlief als sonst.
Ich habe mich dann mehr mit dieser seltenen und hoch interessanten Krankheit
beschäftigt.
Neben den medizinisch-biologischen Informationen, denke ich, spielt auch der
soziale und psychologische Aspekt bei PWS gerade für eine angehende
Rehabilitationspsychologin eine große Rolle.
M. Schenk
Definition/ Allgemeines
Das Prader– Willi– Syndrom (PWS) ist eine eher seltene,
häufig genetisch bedingte Krankheit, die durch das gemeinsame Vorhandensein
hormonell bedingter Störungen, wie der Zuckerkrankheit, Minderwuchs, Fettsucht,
Unfruchtbarkeit, sowie eingeschränkter Intelligenz gekennzeichnet ist. Die Häufigkeit
liegt bei durchschnittlich 1 von 16.000 Neugeborenen.
Die Lebenserwartung ist scheinbar abhängig von der Lebensweise der Patienten. Bei
starkem Übergewicht erreichen viele nicht das 30. Lebensjahr.
Im Jahre 1956 wurde das Prader-Willi-Syndrom erstmals von den Züricher Ärzten A.
Prader, A. Laphart und H. Willi beschrieben.
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Ursachen
Genetik
Bei ca. der Hälfte der PWS Patienten ist ein genetischer Defekt auf dem langen Arm
des Chromosoms 15 nachweisbar. Bekannt ist auch, dass die Symptome durch eine
Fehlfunktion des Zwischenhirns verursacht werden.
Die Gene unterliegen einer elternspezifischen Prägung (Imprinting),
in deren Folge die Genkopien auf dem väterlichen Chromosom aktiv und die
Genkopien auf dem mütterlichen Chromosom 15 inaktiv sind.
Es gibt drei Ursachen für den Funktionsverlust der väterlichen Genkopien:
1. Eine Deletion des väterlichen Chromosoms à Del 15q11-q13
2. Das Fehlen des väterlichen Chromosoms 15, jedoch bei Anwesenheit zweier
mütterlicher Chromosomen à uniparentale Disomie
3. Das väterliche Chromosom wird vom mütterlichen geprägt à ImprintingFehler
Als häufigste Ursache für PWS, mit ca. 70%, gilt eine Deletion 15q11-q13.
Uniparentale Disomien werden bei 29% der Patienten beobachtet und nur 1% haben
einen Imprintingfehler. Jedoch ist das klinische Erscheinungsbild bei allen drei
Ursachen gleich.
Weiterhin besteht bei einer Deletion und einer uniparentalen Disomie kein erhöhtes
Wiederholungsrisiko, wenn die elterlichen Chromosomen normal sind.
Bei einem Imprintingfehler ist ein Wiederholungsrisiko von 50% wahrscheinlich.
Das PWS wird durch einen Methylierungstest diagnostiziert.
Hierfür wird lediglich 5ml Blut des Patienten benötigt. Dieser erfasst alle drei
Ursachen unterscheidet aber nicht zwischen ihnen.
Hormone
Eine weitere Ursache, dieser Erkrankung, wird auf eine fehlende Freisetzung des
Gonadotropin- Releasing- Hormons (Gn-RH) im Hypothalamus zurückgeführt.
Der Hypothalamus als hormonproduzierende Region im Gehirn, steuert ebenso die
Freisetzung verschiedener Hormone die Funktionen anderer hormonproduzierender
Drüsen steuern. Wie z.B. die Schilddrüse, Nebennieren und Keimdrüsen (Hoden/
Eierstöcke)
Die erwähnte fehlende Hormonfreisetzung führt zu den typischen Zeichen der PWS
Erkrankung, wie z.B. die Unterentwicklung der Hoden und Eierstöcke.
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Fallbeispiele
Wie schon erwähnt ist das Prader- Willi- Syndrom ein seltener genetischer Defekt, er
tritt bei 1 von 16.000 Kindern auf.
Als Einstieg in die eigentliche Darstellung der Krankheit folgt zunächst einmal, auch
als Veranschaulichung, zwei klinische Fallbeispiele zum Prader- Willi- Syndrom:
Lilly*1
Lilly wurde geboren als 3. Kind und einzige Tochter. Ihre Mutter war damals 31 Jahre alt, ihr Vater 35.
Die Schwangerschaft verlief ohne Probleme, jedoch fühlte die Mutter keine oder wenig
Kindsbewegungen im Gegensatz zu den bereits zwei vorhergegangenen Schwangerschaften.
Nachdem die Mutter 10 Tage übertragen hatte, beschloß der Gynäkologe, die Geburt einzuleiten. Es
handelte sich um eine Steißlage. Nach der Geburt mußte der Arzt einige Versuche unternehmen, um
Lilly zum Weinen zu bringen. Sie hatte eine eigenartige Pfirsichfarbe, eine totale Muskelschwäche und
nach innen gedrehte Augen. Das Baby wollte an der Mutterbrust nicht saugen, so daß die Muttermilch
abgepumpt wurde. Milch wurde dann mit einem Fläschchen gegeben, aber dies verlief sehr mühsam,
weil das Baby kaum schlucken konnte. Nach einer Woche wurde Lilly plötzlich blau. Nach Angaben der
Ärzte beruhte dies darauf, daß das Kind sich verschluckt hatte. Eine Woche später wiederholte sich
dasselbe, dieses Mal wurde es einer vergrößerten Thymusdrüse zugeschrieben. die Eltern waren
derartig beunruhigt, daß sie die Ärzte um eine Chromosomenuntersuchung baten, um feststellen zu
können, ob Lilly an dem Downsyndrom litt. Das Ergebnis war jedoch negativ, worauf das Baby als
vollständig gesund erklärt wurde. Es war ein sehr liebes Baby, das viel schlief und sich wenig bewegte.
Nach fünf Monaten war noch keine spürbare Verbesserung eingetreten. Die Eltern beschlossen nun,
dem Baby alles selbst beizubringen. Hierbei achteten sie besonders auf die Reflexe, die Roll- und
Kriechbewegungen, das Sitzen mit oder ohne Unterstützung der Hände und schließlich auch das
Stehen und Laufen. Das einzige, was das Baby spontan von sich aus tat, war sprechen.
Inzwischen war Lilly zwei Jahre alt geworden. Sobald sie beweglicher wurde, aß sie den ganzen Tag
lang. Das Mädchen schien wirklich unersättlich mit der Folge, daß Lilly innerhalb eines Jahres (sie war
damals zwei bis drei Jahre alt) so enorm zugenommen hatte, daß nun Probleme beim Laufen
entstanden. Nun stand für die Eltern fest, daß es so nicht länger weitergehen konnte. Lilly wurde in eine
Universitätsklinik aufgenommen. Dort wurde die Diagnose eines PWS gestellt. Der Arzt beschrieb die
Krankheit wie folgt: große Eßprobleme, Charakterprobleme, Lernschwierigkeiten und
Wachstumsprobleme. Lilly wurde eine strenge Diät vorgeschrieben, um sie abnehmen zu lassen und
um anschließend das Gewicht unter Kontrolle halten zu können. Als Lilly drei Jahre alt war, ging sie in
die Kindergartenschule mit normalem Unterricht. Schon früh stellte sich heraus, daß sie nicht folgen
konnte. Sie suchte ständig nach Nahrung, forderte alle Aufmerksamkeit und hatte Probleme mit der
Motorik und mit der Konzentration.
Während einer Ferienfreizeit wurde Lilly psychologisch getestet. Den Eltern wurde geraten, sie an
einem medizinisch-pädagogischen Institut (einer ärztlichen Kindertagesstätte) unterrichten zu lassen.
Dort machte sie deutliche Fortschritte. Ihre Motorik verbesserte sich erkennbar, Ihre
Gleichgewichtsstörungen wurden geringer, die Diät wurde gut eingehalten und ihr Gewicht blieb unter
Kontrolle. Obwohl Lilly ein liebes und anhängliches Kind blieb, stellte ihr Eßproblem sowohl die Familie
als auch die Schule vor Probleme. Süßigkeiten und Eßwaren wurden stets außerhalb ihrer Reichweite
gehalten, und sie stand ständig unter Aufsicht. Wurde die Aufsicht einmal vernachlässigt, dann ging Lilly
sofort auf "Wilderertour".
Im Alter von 4 1/2 Jahren wurden zwei Augenkorrekturen durchgeführt. Als Lilly sechs Jahre alt war,
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wechselte sie zur normalen Grundschule über. Sie begann dort gut, brauchte aber eine starke Hand,
die sie führte. Fehlte diese, dann tauchten schnell soziale Probleme auf, die sich in unkontrollierten
Wutanfällen äußerten. Soweit möglich, konnten diese Probleme durch Gespräche zwischen Eltern und
Schule gelöst werden.
Trotz der Schwierigkeiten entwickelte Lilly sich positiv. Sprache und Rechnen verbesserten sich ständig.
Das Sprechen mehr als das Rechnen. Ihre Diät hielt sie gutwillig ein, sofern ihr dabei geholfen wurde,
aber ihre Persönlichkeitsentwicklung und ihr soziales Verhalten blieben auffallend schwach.
Freundschaften schloß sie nur mühsam. Sie war sehr egozentrisch.
In ihrem 13. Lebensjahr begann ihre Wachstumskurve zu stagnieren.
Eine Untersuchung in einem Universitätskrankenhaus ergab, daß Lilly zuwenig Wachstumshormon
produzierte. Es wurde mit einer Wachstumshormonbehandlung begonnen mit einem zunächst
günstigen Ergebnis. Im Alter von 14 Jahren wechselte LIlly über zu einer weiterführenden
Sonderschule. Sie ist nun in einem Internat, um sie besser vorbereiten zu können auf das spätere
Zusammenwohnen in einer Lebensgemeinschaft. Sie macht wiederum gute Fortschritte, sowohl was
ihre schulischen Kenntnisse angeht als auch auf sozialem Gebiet. Der Streß und der Leistungsdruck
werden größer und Lilly hat Zeit nötig, um sich anzupassen. Dieses äußerte sich erneut in Wutanfällen.
Durch den Einsatz der Leiter und Lehrkräfte, zusammen mit guter Zusammenarbeit mit den Eltern,
scheint sich dieses jedoch gut zu regeln. Die Menschen begreifen, daß ein Prader-Willi-Kind anders
angefaßt werden muß, besonders in Bezug auf sein eigenes Tempo, sein Können und seine
Bedürfnisse. Information, Ermutigungen und viel Liebe tun Wunder.
Daniel*1
Daniel wurde geboren als 3. Kind und zweiter Sohn. Die Mutter war damals 31 Jahre alt, der Vater 32.
Vor seiner Geburt war er - im Gegensatz zu dem, was "normal" bei Prader-Willi ist - sehr beweglich. Die
Geburt war eine Woche zu früh und erfolgte Zuhause. Weil seine Mutter zuwenig Milch hatte, wurde er
mit einem Fläschchen zusätzlich gefüttert, dessen Inhalt er jedoch umgehend darauf stets wieder
erbrach. Weil immer mehr Flaschen zugefüttert werden mußten, ging man auf Anraten des Kinderarztes
dazu über, ihn achtmal zu füttern, Tag und Nacht, und zwar mit Sojanahrung. Dieses ging so drei
Monate lang. Schon kurz nach der Geburt merkten die Eltern, daß ihr Sohn anders war. Er war so
schlapp und konnte nicht auf seinem Bauch liegen, weil er dann in Panik geriet. Auch fiel ihnen auf, daß
er in seiner Wiege immer sehr unruhig mit seinen Händchen flatterte.
Abweichend von anderen Prader-Willi-Kindern, weinte Daniel beinahe Tag und Nacht, was vor allem für
seine Mutter eine schwere psychische Belastung darstellte. Nach 1 1/2 Jahren wurde schließlich von
dem Kinderarzt Tropfen verschrieben, womit das Kind endlich gut schlafen "lernte". Weil Daniel nach 1
1/2 Jahren noch immer nicht selbständig sitzen oder sich umrollen konnte, wurde er eine Woche zur
Beobachtung aufgenommen in ein Krankenhaus, wo allerhand Untersuchungen durchgeführt wurden.
Diese kamen jedoch zu keinem besonderen Ergebnis. So hatte er im Gegensatz zu ersten
Vermutungen keinen Hirnschaden. Beschlossen wurde mit Physiotherapie (Bobath-Therapie) Daniel zu
reizen, um sitzen zu lernen, stehen und selbst laufen zu lernen. Hiermit wurden gute Resultate erreicht,
denn in seinem zweiten Lebensjahr konnte Daniel hinter einem Wägelchen herlaufen. Der Kinderarzt
war stets eine gute Unterstützung für die Eltern und suchte durchgehend nach der Ursache für das
weniger Funktionieren von Daniel. An einem Abend, Daniel war damals gerade 2 Jahre alt, rief er die
Mutter an, wobei er die Vermutung aussprach, daß Daniel möglicherweise das Syndrom von Prader4
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Willi haben könnte. Diese Vermutung wurde am folgenden Morgen anhand von medizinischer Literatur
und Fotomaterial bestätigt. Beinahe alle äußerlichen Kennzeichen trafen bei Daniel zu. Die
ausgesprochene Prognose war anfänglich sehr negativ, was die Eltern auf eine starke Probe stellte.
Daniel mußte direkt auf eine strenge Diät gesetzt werden; er war damals schon recht mollig. Zum Glück
war er bereits von seiner Geburt an kleine Nahrungsmengen gewöhnt und hatte (selbst bis zum
heutigen Tage) die große Eßlust noch nicht gezeigt. Dadurch verlief die Diät eigentlich ohne
nennenswerte Probleme. Als eine Art Anregung machte seine Mutter bei der Diät mit.
Um seine Spielaktivitäten etwas zu entwickeln, bekam Daniel noch eine Spieltherapie. Als Dreijähriger
ging er in eine gut geleitete Kinderkrippe, um das Spielen im Gruppenverband besser zu entwickeln. Als
er beinahe vier Jahre alt war, wurde er mehrere Male auf seine Schulfähigkeit hin untersucht. Im
Gegensatz zu der Prognose ist er zum normalen Kindergartenunterricht gegangen, wo er wohl ein Jahr
länger verblieb. Danach wechselte er zur normalen Grundschule über.
Er ist nun in Klasse 6 des Grundunterrichtes. Er bekommt etwas extra (ambulante) Unterstützung und
ist ein mittelmäßiger Schüler. Er hat wohl Höhen und Tiefen. Der Kontakt mit anderen Schülern verläuft
mühsam.
Daniel sondert sich am liebsten etwas ab, und auch das Spielen Zuhause mit Freunden muß durch die
Eltern immer wieder stimuliert werden. Die Physiotherapie ist mit einigen Zwischenpausen recht
konstant durchgeführt worden und wurde im Alter von 8 Jahren umgeändert in Hydrotherapie in einem
Rehabilitationszentrum, erst zweimal wöchentlich, später einmal.
Der Rehabilitationsarzt verschrieb Daniel wegen seiner starken X-Beine Einlagen für seine Schuhe.
Dieses hat sein anfangs mühsames Laufen (er fiel wortwörtlich über jedes Steinchen) positiv beeinflußt.
Zur Verbesserung seines Gleichgewichts erhält er "neben Fahrradfahren unter Aufsicht" auch jede
Woche Reitstunden auf einem Pony. Dieses verläuft echt mühsam, Fortschritte "wie auch immer"
werden nicht gemacht.
Nachdem zunächst verschiedene Hormonkuren bei Daniel ohne Erfolg verlaufen waren um seine
Hoden herunter zu holen, wurde er im Alter von 8 Jahren in einem Kinderkrankenhaus operiert.
Anfänglich schien die Operation Erfolg gehabt zu haben. Allerdings schienen die Hoden nach 1/2 Jahr
jedoch wieder an ihren ursprünglichen Platz, nämlich im Bauch, zu sitzen. Den Eltern fiel auf, daß ihr
Sohn etwa zwei Monate nach der Operation drei schwere Epilepsie-Anfälle hatte. Vor der Zeit war
dieses noch nie geschehen, und bei ihnen entstand die Vermutung, daß die Ursache hierfür in der
Narkose zu suchen sein könnte. Erkundigungen bei Ärzten brachten jedoch keine Bestätigung. Gegen
diese Anfälle nimmt Daniel noch täglich Medikamente (Tegretal (Carbamazepin)).
Daniel ist nun ungefähr 11 Jahre alt und durch seine Eltern vollständig über seine Krankheit informiert
worden. Diese sagen: "weil er so gescheit ist, hat er mit dieser Krankheit wohl selbst große
Schwierigkeiten, aber er ist ein feiner Junge, er hat Spaß an seinem Leben und er liebt die Musik sehr.
Wir bleiben - vielleicht gegen besseres Wissen - hoffnungsvoll bezüglich seiner Zukunft gestimmt.
Darum kämpfen wir weiter, um ihm einen guten und selbständigen Platz in der Gesellschaft zu
besorgen."
*1 Alle Namen von Betroffenen geändert
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Klinische Phasen und
Merkmale
Körperlich
Merkmale
Entwicklung
1. Gesicht: mandelförmige
Augen, dreieckiger Mund,
schmale Stirn
Vorhanden bei der
Geburt,
deutlicher in den ersten
Jahren danach, bleibt
stets gleich
2. Kleine Hände und Füße
Am deutlichsten im Alter
von 3-4. Bleibt gleich
Keine Probleme beim Kauf
von Schuhen oder
Handschuhen. Kein
orthopädisches
Schuhwerk nötig.
3. Fettansatz besonders
am Bauch, Hüften und
Schenkeln
Beginnt im 1 bis 3
Lebensjahr,
mit deutlicher Freßsucht;
abhängig von
Gewichtskontrolle
Diät. Die Fettverteilung
bleibt jedoch gleich, auch
wenn Gewicht stabilisiert
wird
Vorhanden bei der
Geburt.
Bleibt gleich während der
Jugend und danach
Eventuell mit Hormonen.
Jungen: operatives richten
der Hoden
4. Unterentwicklung der
Geschlechtsteile.
Jungen: Hodenhochstand;
kleine Hoden; kurzer,
unterentwickelter Penis
und Hodensack.
Mädchen: manchmal
unterentwickelte
Schamlippen
5. Geringe Körpergröße.
Männer: ca. 155 cm,
Frauen: ca. 150 cm
6. Augenprobleme; oft
kurzsichtig oder schielend
Meist bei der Geburt
kleiner als normal,
deutlicher jedoch während
der Grundschulzeit.
Besonders deutlich als
Teenager.
Kein Wachstumsschub
Kommt in jedem Alter vor;
weitgehender als bei
normalen Individuen
Behandlung
chirurgischer Eingriff nicht
nötig, da äußerlich nicht
wirklich anormal.
Eventuell mit
Wachstumshormonen,
jedoch häufig wenig
Erfolg.
Kontrolle vor der
Einschulung; regelmäßige
Kontrolle erforderlich
6
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Funktional
Merkmale
Entwicklung
Behandlung
1. Hypotonie
Weniger Kindsbewegungen
in der Gebärmutter.
Probleme beim Saugen.
Oft künstliche Ernährung in
den ersten beiden Monaten
notwendig. Sorgen um das
Gedeihen des Kindes
verringern sich mit dessen
zunehmenden Alter.Füttern
geht mit 1-11/2 besser.
Hypotonie bleibt in
gewissem Maße bestehen,
auch bei Erwachsenen.
Entbindung durch
Kaiserschnitt.
Sonderbehandlung
2. Geringere motorische
Fertigkeit. Möglicherweise
eine Kombination von
Hypotonie, kognitiven
Schwierigkeiten und
mangelhafter
Muskelbeherrschung
Verspätete Meilensteine bei
der motorischen
Entwicklung, selbst für die
psychische
Altersentwicklung. Beginn
des Laufens erst mit 2-3
Jahren. Grobe Motorik oft
geringer als die feine.
Krankengymnastik
3. Temperaturregelung.
Schlechte Regelung, oft
Untertemperatur. Oft kalte
Hände und Füße.
Am schlimmsten direkt nach Symptombehandlung.
der Geburt. Nach einigen
Brutkasten bei
Monaten weniger
Neugeborenen.
problematisch.
4. Fresssucht.
Verlangen nach Nahrung
scheint unersättlich.
Sie nennen es " Hunger "
Nicht deutlich in den ersten
1 1/2 - 2 Jahren(verdeckt
durch Hypotonie in der
ersten Lebensperiode).
Entwickelt sich meist
zwischen 1 1/2 u. 3 Jahren.
Bleibt bestehen,
verschlimmert sich aber
nicht nach dem Kindesalter.
Diät und
Verhaltenskontrolle.
Wöchentliche
Gewichtskontrolle.
Medizinische Eingriffe bis
heute unbrauchbar.
Magen-Bypass ?
Schlösser auf ( Kühl )
Schränken können nötig
werden.
Erbrechen ist beim Baby
wahrscheinlicher als im
höherem Alter.
Etwa 2/3 aller Kinder, die
zum erstenmal erbrechen,
tun das vor dem 6.
Lebensjahr.
Brechmittel wirken in
ca. 50 % der Fälle, aber
Vorsicht mit Vergiftungen!
Magenauspumpen kann
eine brauchbare Alternative
sein.
Unabhängig vom Alter
Verhaltensänderung nötig.
Allzu strenge
Gewichtskontrolle kann die
Ursache sein oder
verschlimmern.
5. Hohe "Brechschwelle",
Kind erbricht nicht als Folge
von Krankheit oder zuviel
Essen, während "normale"
Leute das tun
6. "Wiederkauen" bei
10-17% der Fälle vor.
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Kognitiv
Merkmale
Entwicklung
1. Geringere Intelligenz,
bzw geistige
Behinderung.
Die elterliche Intelligenz
könnte Einfluß auf das
Niveau des Kindes haben.
Nicht forts chre ite nd, a be r Entsprechende Erziehung
nur s chwe r früh e rke nnba rbzw. Ausbildung nötig.
we ge n de r motoris che n Frühe Diagnose wichtig.
Proble me und de r
Hypotonie
2. Sprech- und
Sprachprobleme.
Unsichere Ursachen:
Sprachprobleme können
ein Symptom für
verminderte Intelligenz
sein.
Später Sprechbeginn ist
typisch.
.
3. Ve rha lte nsproble me . Gewöhnlich nicht vor dem
Trotz, e motiona le
3. Lebensjahr.
La bilitä t.
Nimmt danach zu und
Proble me e nts te he n
flacht im
infolge de s S uche ns na chErwachsenenalter wieder
Es s ba re m.
ab.
Hä ufig die stä rks te
Ursa che für S pa nnunge n
in de r Fa milie .
Behandlung
Spezielle Therapien für
Sprech- und
Sprachprobleme
( z. B. durch Logopäden ).
Die durch die andauernde
Suche nach Essbaren
verursachten
Verhaltensprobleme
führen meist dazu,
Teenager und junge
Erwachsene in Heimen
unter Aufsicht zu stellen.
Besser ist früh über die
Versorgung in der Familie
zu informieren.
Das Verhalten wird selten
völlig verändert, und das
Ziel sollte nicht zu hoch
gesteckt sein.
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Mögliche sekundäre Folgen
Merkmale
Entwicklung
Behandlung
1. Schlechtes Gebiß.
Ursache oft unterschiedlich:
Mängel im Zahnschmelz;
trockener Mund;
abweichenden oder
mangelnden Speichel;
Niedriger IQ;
schlechte Eßgewohnheiten;
Viel Karies in jungen
Jahren.
Fortschreitend.
Fluorbehandlung
2. Seitliche Verkrümmung der
Wirbelsäule kommt manchmal
vor.
Ursache: Möglicherweise
Folge der Hypotonie.
Einzelne Fälle bei
Kleinkindern, aber meist
die ersten
Erscheinungen bei
Teenagern.
Jährlich Untersuchung
vom 10. Lebensjahr bis
Ende des Wachstums.
Röntgen wenn Patient
übergewichtig ist oder
andere Beschwerden
hat.
3. Hodenhochstand; oft
auftretend bei Jungen mit
PWS
bei oder direkt nach der
Geburt.
Bereits bei der Geburt.
Wandern nicht von selbst
in den Hodensack.
4. Diabestes ( Typ II ) tritt
selten auf;
sicherlich eine Folge des
Übergewichtes.
Bei deutlichem
Übergewicht. Kommt bei
PWS eher in späteren
Jahren vor.
Jährlich
Urinuntersuchungen für
alle Patienten mit PWS
vom 5. Lebensjahr an.
Normale Behandlung wie
bei Diabetiker.
Gewichtskontrolle nötig.
5. Herzbeschwerden und
Atmungsprobleme kommen
vor. Infolge vom
Übergewichts. Wirbelsäulenverkrümmungen können
weitere Probleme mit sich
bringen.
Es sind schon Teenager
und junge Erwachsene
daran gestorben. Kommt
noch immer in diesem
Alter und später häufiger
vor.
Gewichtskontrolle. Wenn
nötig orthopädische
Behandlung.
Symptombehandlung.
6. Sehr anfällig für
Prellungen. Eine oft
empfindliche Haut, relativ
niedriger IQ, ungeübte
Muskeln und hohe
Schmerzschwelle: Dies alles
kann beitragen zu der hohen
Anfälligkeit für Prellungen und
blaue Flecken. Die
Blutgerinnung scheint bei
Untersuchungen normal zu
sein.
Kommt vor bei
herumrennenden und
spielenden Kindern.
Kann schlimmer
auftreten in einer weniger
gut strukturierten
Umgebung.
Heilt normal.
Vorsichtsmaßnahmen im
Hinblick auf
Sicherheitaspekte. Kann
Probleme mit sich
bringen: Es könnte
Kindesmißhandlung
vermutet werden.
!Rechtzeitig zum
Zahnarzt!
Chirurgischer Eingriff
kann überlegt werden.
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Klinische Kennzeichen…
… im Neugeborenen- und Kleinkindalter
Die meisten Neugeborenen mit einen Prader-Willi-Syndrom zeigen eine ausgeprägte
Muskelhypotonie, die sich auch schon während der Schwangerschaft bemerkbar
macht.
Die meisten Mütter berichten über verminderte Kindsbewegungen.
Diese schon früh einsetzende Muskelschwäche führt häufig zu einer
Beckenendlagenstellung bei der Geburt, was eine Entbindung durch Kaiserschnitt
notwendig macht.
Fehlende Schluck- und Saugreflexe führen zu Problemen beim Füttern, die sehr
häufig eine Sonderernährung während der ersten Wochen erfordern. Die
Muskelhypotonie verursacht weiterhin eine verzögerte motorische Entwicklung.
Sitzen und Laufen werden später als normal erlernt. Als Ausdruck einer verminderten
Ausschüttung von Geschlechtshormonen, zeigt sich insbesondere bei Jungen ein
kleiner Penis sowie ein Kryptorchismus. Bei Mädchen sind die Schamlippen
unterentwickelt.
…vom 1. bis zum 5. Lebensjahr
Neben den verzögerten Meilensteinen der Entwicklung macht sich in dieser
Entwicklungsperiode besonders die verzögerte Sprachentwicklung bemerkbar. Ist die
Sprache einmal erlernt, sind es vor allem die deutlichen Artikulationsprobleme, die
bei den meisten Kindern während ihres ganzen Lebens bestehen.
Während dieser Lebensspanne beginnt auch in der Regel die Adipositas. Die
Fettverleilung ist meist trunkal, jedoch können auch die Extremitäten betroffen sein.
Das Essen wird zum zentralen Thema im Leben eines Prader-Willi-Kindes. Es zeigt
sich nicht nur ein gesteigerter Appetit, sondern auch ein nicht vorhandenes
Sättigungsgefühl.
Bei etwa der Hälfte der Patienten zeigen sich eine helle Haut, blaue Augen und
blonde Haare, also Zeichen einer Hypopigmentierung. Bei 30 bis 50% der Kinder in
dieser Altersgruppe finden sich Sehprobleme, etwa 60 bis 70 zeigen einen
Strabismus.
Dysmorphe faziale Züge werden klarer.
…vom 5. bis zum 12. Lebensjahr
Mit Beginn der Schulreife werden die reduzierten kognitiven Fähigkeiten der PraderWilli-Syndrom-Patienten immer deutlicher. Eine schwere mentale Retardierung ist
möglich bis hin zu Patienten, die eine niedrig normale Intelligenz aufweisen. Weithin
sind die Verhaltensprobleme bei nahezu allen Patienten auffällig. Schon kleinste
Änderungen vom regelmäßigen Tagesablauf können zu massiven Wutausbrüchen
(„Temper Tantrums“) führen.
Obwohl Verhaltensprobleme schon im Kleinkindalter vorhanden sein können, nimmt
deren Bedeutung und Tragweite mit zunehmendem Alter zu.
Die meisten Patienten dieser Altersgruppe zeigen ein niedriges Schmerzempfinden.
Dies ist im Zusammenhang mit dem Phänomen des "Skin picking" zu sehen. Die
Patienten knibbeln an verschiedenen Stellen ihrer Haut bis hin zu großflächigen
Wunden, die mit Narbenbildung verheilen. Das "Skin picking", das bei mehr als 80%
der Patienten gefunden wird, ist als ein sehr sensitives klinisches Zeichen
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anzusehen.
Ein weiteres Problem kann eine Skoliose darstellen, welche möglicherweise einen
chirurgischen Eingriff erfordert.
…in der Pubertät und im Erwachsenenalter
Etwa 80 -100% der Prader-Willi-Syndrom Patienten zeigen eine fehlende und
unvollständige Pubertätsentwicklung als Ausdruck einer Unterversorgung von
Hormonen.
Der Minderwuchs zeigt sich besonders jenseits der Pubertät. Zum einen ist hierfür
der Hypogonadismus verantwortlich, zum anderen zeigen einige neue Studien, daß
eine verminderte Wachstumshormonausschüttung vorhanden ist.
Bei vielen Patienten mit Prader-Willi-Syndrom, insbesondere dann, wenn die
Diagnose erst spät gestellt wird, zeigt sich, wie schon vorher berichtet, im
Erwachsenenalter eine massive Adipositas.
Diäten scheitern zwangsläufig und häufig an der mangelnden Kooperation der
Patienten.
Dieses massive Übergewicht beinhaltet ein hohes Erkrankungsrisiko im Hinblick auf
das Herz-Kreislauf- und Gefäßsystem, sowie ein erhöhtes Mortalitätsrisiko.
Ein Typ-II-Diabetes ist eng gekoppelt mit dem Übergewicht und tritt bei etwa 5-10%
der Patienten auf. Viele Patienten haben Kariesprobleme, die ursächlich mit einer
veränderten zähen Speichelzusammensetzung zu sehen sind.
Sexualität und Aufklärung bei dem Prader- Willi- Syndrom
Da es den Patienten an Sexualhormonen mangelt, ist deren geschlechtliche
Entwicklung oft nicht vollständig.
Bei einem Jungen ist der Hodenhochstand schon früh zu erkennen. Hier kann eine
Hormonbehandlung Einfluss nehmen oder später ein operativer Eingriff.
Mädchen haben meist erst zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr ihre erste
Menstruation, welche dann auch nur gering und nicht regelmäßig auftritt.
Wie schon erwähnt, kann ein Kind mit PWS eine Hormonbehandlung machen,
welche die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale fördert.
Obwohl sie kaum Sexualhormone produzieren, zeigen sie dennoch häufig ein großes
Interesse für Hochzeit und Familie. Dies ist wahrscheinlich eher sozialer als sexueller
Art.
Eine ehrliche und besonders einfühlsame Aufklärung, schon in der Kindheit, ist von
wichtiger Bedeutung. Den PWS Kindern sollte unbedingt deutlich gemacht werden,
dass sie als Menschen ebenso akzeptiert werden, wie andere und dass Menschen in
Größe, Hautfarbe und andere Merkmale verschieden sein können und dass dies
völlig normal ist.
Auch der Fakt, dass sie womöglich nie Vater oder Mutter sein werden ist zuklären.
Auch hier könnte man feinfühlig deutlich machen: alle Jungen können Vater werden,
aber nicht alle Jungen werden auch Väter.
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Dasselbe gilt für Mädchen, die Fragen über Mutterschaft stellen.
Weiterhin ist es, gerade für das PWS Kind, wichtig soziale Kontakte zu beiderlei
Geschlecht aufzunehmen. So lernt es schon früh mit Mädchen und Jungen im
gleichen Alter umzugehen.
Zudem ist es enorm wichtig ihnen verstärkt einige Normen bezüglich der Moral (z.B.
sich nicht einfach vor anderen zu entkleiden)beizubringen. Diese entwickeln sich
nicht wie normal von sich aus.
Geistige Förderung
Neben der schon erläuterten körperlichen Behandlung beim PWS, ist es auch von
enormer Wichtigkeit, die geistige Entwicklung zu fördern.
Trotz der unterschiedlichen Gewichtung der Symptome bei jedem Patienten, sollte
die Förderung schon im Säuglingsalter beginnen.
Auch wenn es schwierig scheint, da PWS Babys sehr ruhig und selten wach sind,
kann man hier schon seine Sinne reizen. Z.B. durch vorgesungene Lieder und durch
ansprechen, lernt es die Stimmen der einzelnen Familienmitglieder kennen oder ein
buntes Windspiel über dem Bettchen, fördert die visuelle Wahrnehmung.
In der Vorschulzeit, ist neben einer Spieltherapie, wo das Kind lernt sich mit Dingen
zu beschäftigen, das Zusammenkommen mit anderen Kindern wichtig, so erfährt es
auch Gemeinschaftlichkeit.
Auch eine Ergotherapie, welche darauf hin zielt, dass diese Menschen die
Vorraussetzungen und Grundlagen für ein eigenständiges Lernen besitzen, kann in
Erwägung gezogen werden.
Die Therapie geschieht durch die Vermittlung von taktiler (=Tasten) Wahrnehmung.
Z.B. berühren eines Gegenstandes àhart, weich, feucht und trocken.
Später können, um ein halbwegs selbstständiges Leben und auch zur geistigen
Entfaltung, sozialtherapeutische Einrichtungen für die Weiterentwicklung des
Jugendlichen sorgen.
Dort sind strukturgebende Maßnahmen, die unheimlich wichtig sind für die
Ausgeglichenheit und Gesundheit des Patienten, vorhanden. Dort können sie in
Werkstätten arbeiten und möglicherweise in betreute Wohnungen leben.
(Abb.: Ein Kind mit PWS während der Montesorritherapie)
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Erfahrungsbericht
Von der Familie Müller1 aus Marburg stammt folgender Artikel:
„Klaus - unser bärenstarkes Kind
Blind, hilflos und auf Lebenszeit auf die Hilfe anderer angewiesen,
so dramatisch schilderte uns die Ärztin in der Geburtsklinik
die Aussichten für unseren Sohn. Wie gut, daß sich auch Ärzte
manchmal irren können. Klaus wurde als dritter Sohn im September
1985 in Frankfurt geboren. Die Umstände seiner Geburt waren alles andere als ideal:
Frühgeburt im 7. Monat, Schwangerschaftsvergiftung der Mutter,
Steillage und Nabelschnur mehrfach um den Hals gewickelt.
Mit 2500 gr und 48 cm kam das "Frühchen" für mehrere Tage in
den Brutkasten.
Noch im Krankenhaus wurde ein erstes Aussetzen der Atmung
festgestellt. Fortan lebte Klaus unter ständiger Bewachung eines
Monitors, der Atmung und Herzschlag kontrollierte. Der kleine Kerl
lag schlaff und ohne spürbare Regung in seiner Wiege. Daneben
stand der Monitor, der etwa einmal täglich Alarm gab. In diesen
ersten 12 Monaten stellten wir etwa 4 bis 5 echte Alarme fest, die
anderen resultierten aus Bewegungen des Kindes oder nicht richtig sitzenden Elektroden.
Klaus entwickelte sich weiterhin verzögert. Seine übergroße körperliche Schlaffheit, deutliche
Unverträglichkeit gegenüber Kuhmilch-Produkten und allergische Reaktionen auf Ei führten
uns zu vielen Untersuchungen in den umliegenden Universitäten. Dort wurde er bereits
frühzeitig auf PWS hin diagnostiziert, wir lehnten diese, wie wir damals dachten, voreilige
Beurteilung und das "Schubladendenken der Ärzte" ab, da auch der Test auf eine
Veränderung des 15. Chromosomen negativ ausfiel.
Klaus weitere Entwicklung in Stichworten: Krabbeln mit 2 Laufen im Alter von 3 Jahren,
Sprechen mit 4. Viele ärztliche, physio- und psychotherapeutische Maßnahmen, die Klaus
jeweils in einer Eigenschaft ein kleines Stück weiterentwickelt haben. Insgesamt eine
Entwicklung gegen die "Norm", aber was ist das schon. Er wurde mit 6 Jahren in eine Schule
für Körperbehinderte eingeschult und nimmt dort am Schulunterricht teil. Klaus besucht heute
die 4. Klasse und geniest einen Unterricht in einer kleinen Gruppe mit 5 anderen Schülern.
Je älter Klaus wurde, umso größer wurden die Probleme mit seinem Körpergewicht. Er wiegt
heute 77 kg bei einer Körpergröße von 1,40 m. Er hat bereits zwei Kuren mitgemacht, die
geholfen haben, sein Gewicht jeweils um etwa 7 - 8 kg zu reduzieren. Nur leider lassen sich
die idealen Bedingungen eines Kuraufenthaltes nicht auf die private Umgebung übertragen.
Klaus hat in der Zwischenzeit detektivischen Spürsinn für Verstecke von Süßigkeiten, für die
Küchentürschlüssel und für alles entwickelt was im Hause vorhanden und nur im
entferntesten eßbar ist.
Noch reicht sein eigener Wille und sein Verständnis nicht aus, ihn vor unkontrollierter und
übermäßiger Nahrungsaufnahme zu schützen. Dennoch merken wir, daß er oftmals schon
fragt und überlegt, was er noch im Laufe eines Tages essen kann und was nicht. Die beiden
Kuraufenthalte in Bad Orb tragen, über die eigentliche Kurzeit hinaus, erste Früchte.
Daneben stehen noch immer seine persönlichen Probleme bei hohen Außentemperaturen,
körperlichen Anstrengungen (Treppensteigen, schnelles Laufen) und allergische
Hautreaktionen nach dem Verzehr von Zitrusfrüchten. Klaus ist nachts noch nicht sauber,
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Namen geändert
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was in erster Linie auf seine nach wie vor bestehende Hypotonie zurückzuführen ist.
Er braucht tagsüber einen weitgehend festgelegten Ablauf. Alle unvorhergesehenen,
kurzfristigen Änderungen führen oft zu Wutausbrüchen. Diese sind dann nur mit viel Geduld
und Überzeugungskraft zu überwinden.
Klaus hat das Glück, zwei ältere Brüder (heute 18 und 15 Jahre alt) zu haben, die ihm viel
geholfen und vorgelebt haben. Aber auch die unter Geschwistern üblichen
Randerscheinungen und Streitereien fanden und finden statt. Aber wenn er sich freut und
über etwas so herzhaft lacht, daß sein ganzer Körper vor Heiterkeit wackelt und bebt, dann
kann keiner seinem Charme widerstehen und lacht unweigerlich mit.
Andere Lebewesen faszinieren ihn ungemein. Unsere zwei Katzen und der Hase erfreuen
sich seiner intensiven Zuneigung. Klaus kümmert sich liebevoll um die Tiere, sorgt für
ausreichendes Fressen, achtet auf notwendige Impf- und Arzttermine und hilft beim Säubern
des Hasenstalles. Sein besonderes Interesse gilt den Bienen; er ist der Bienen-Spezialist in
der Familie. Viele Bücher über diese Insekten stehen in seinem Regal, und ein Besuch beim
Imker ist für die Zukunft fest eingeplant.
Ein Pflichttermin unter der Woche ist, wenn die Wagen der Müllabfuhr in unserem Stadtviertel
unterwegs sind. Egal bei welcher Tages- oder Nachtzeit, Klaus beobachtet sehr genau, was
dabei passiert. Er weiß aus dem Handgelenk, wann welche Müllabfuhr in unserer Straße
erwartet wird. Besuche bei Entsorgungsunternehmen werden, wann immer möglich, genutzt,
um Neues zu sehen und zu lernen.
Besondere Freude bereiten ihm die regelmäßigen Besuche im Schwimmbad. Hier nutzt er
alle Einrichtungen in vollen Zügen, selbst vor dem tiefen Wasser im 50m-Becken schreckt er
nicht zurück. Klaus genießt es offensichtlich, wenn er im Wasser sein Körpergewicht nicht
mehr spürt. Von unseren drei Söhnen ist er die größte Wasserratte und manchmal kaum aus
dem nassen Element herauszuholen.
Nachholbedarf besteht für Klaus im sozialen Bereich, da neben der Schule menschliche
Kontakte zu Gleichaltrigen im Privatbereich kaum möglich sind. Selbst Erwachsene
schrecken manchmal vor seiner Gestalt und Kraft zurück; völlig unnötig, da er in seinem
Herzen ein sehr lieber und vertrauensvoller Mensch ist. Wer ihn kennt und mit ihm bereits zu
tun gehabt hat, weiß, was für ein liebenswerter Mensch er ist.
Wir sind froh über seine Fortschritte und Entwicklung und neugierig auf die kommenden
Lebensabschnitte.“
Hautkratzen und andere Formen von Selbst-Traumata
beim Prader-Willi-Syndrom
In dem gleichnamigen Artikel berichtet Dr. Jeanne Hanchett, eine amerikanische
Kinderärztin, welche in einem Rehabilitations-Institut mit PWS Patienten arbeitet, von
unterschiedlichen Arten von Hautkratzen und Selbstverletzungen.
Dr. Hanchett meint, dass 80% der Personen mit PWS ihre Haut kratzen. Dies ist bei
jedem anders ausgeprägt.
Weder Hautcremes oder andere Behandlungen erwiesen sich als hilfreich, so
Hanchett.
Für einen kurzen Zeitraum hilft Knetmasse, um die Finger der Patienten beschäftigt
zu halten.
Weiterhin fand sie heraus, dass es auf keinen Falls hilft, die Patienten zu ermahnen
und sie zum aufhören zu bewegen. In einigen Fällen verursachte dies ein verstärktes
Kratzen.
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„Je weniger Beachtung“, so Hanchett „um so besser.“
Als zweithäufigste Art (15%) von Selbsttraumata bei PWS zählt Hanchett rektales
Kratzen, also Kratzen am After.
Sie musste feststellen, die Patienten nutzen jede Gelegenheit dieser Angewohnheit
nachzugehen.
Demnach sollte z.B. die Dauer eines Toilettenganges begrenzt und beobachtet
werden.
Rektale Blutungen sind eine Folge des Kratzens.
So wurden schon, meint Hanchett, organische Krankheiten als Ursache der
Blutungen vermutet à z.B. ulzeröse Kolitis, regionale Enteritis, Morbus Crohn und
Polypen.
Zudem hatte sie schwerwiegende Auswirkungen zu behandeln, wie eine moderate
Anämie und ein Rektumabszess.
Weiterhin zählt Hanchett andere erlebte Arten von Selbstverletzung bei Personen mit
PWS auf.
Viele reißen sich die Zehen- und Fingernägel, Zähne, Haare und Augenwimpern
raus. Einige rieben sich die Augen, dass sie so wiederholt eine Konjunktivitis in Kauf
nahmen.
Sie beobachtete extremes Nägelkauen, zu kurzes Nägel schneiden, bis hin zum
bluten.
Außerdem exzessive Selbstverletzung, durch Stäbchen, Nadeln, Reißnägel und
Ohrringe.
Neben der erhöhten Schmerzschwelle bei PWS, nennt Dr. Hanchett, Ängstlichkeit,
Aufgeregtheit, Langeweile, Überforderung und Probleme mit der Selbstachtung oder
dem Selbstbild der Patienten, als mögliche Ursachen für dieses Fehlverhalten.
Sie beschließt den Artikel mit dem Satz, dass es keine einheitliche Methode gibt,
welches hilft mit diesem Verhalten umzugehen.
„Gathered View“,1995
Wachstumshormonstudie in Essen, Zürich und Stockholm
Im amerikanischen " Core Journals in Pediatrics“ wurde über diese
Wachstumshormonstudie mit PWS Patienten berichtet.
Die Studie fand u.A. in Stockholm statt.
Hier wurden 27 Kinder in zwei Gruppen mit unterschiedlich hohen Hormongaben und
über unterschiedliche Zeiträume therapiert.
Eine Gruppe wurde ein Jahr, die andere zwei Jahre behandelt.
In Essen nahmen 17 Kinder an der Studie teil. 9 wurden mit Wachstumshormon
behandelt, während 8 eine nicht behandelte Gruppe stellten.
Die Studie umfasste einen Zeitraum von 1 Jahr.
In Zürich wurden 9 PWS Kinder über 6 Monate behandelt.
Alle mussten feststellen, dass die Gabe von Wachstumshormonen starken Einfluss
auf das Längenwachstum von PWS Patienten hat.
Während die Stockholmer und die Züricher Studie auch von einer verbesserten Fett
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– Muskel Verteilung berichteten, wird dies in der Essener Studie nicht festgestellt.
Allein die von allen festgestellte Verbesserung beim Längenwachstum spricht schon
für eine Wachstumshormontherapie.
Bezüglich der Fett – Muskelverteilung muss man den Ergebnissen in Stockholm und
Zürich mehr Beachtung schenken. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Eltern
von Patienten, die an der Essener Studie teilnahmen, von deutlichen
Verbesserungen beim Gewicht und bei der Fett – Muskelverteilung berichteten.
Da die Stockholmer Studie auch die intensivste war, müssen diese Ergebnisse auf
jeden Fall bei einer Entscheidung über eine Wachstumshormontherapie bei PWS
Betroffenen berücksichtigt werden.
Seit Juli 2000 ist die Wachstumshormontherapie beim Prader-Willi-Syndrom in
Deutschland zugelassen und steht allen Kindern mit PWS zur Verfügung.
Lexikon
Adipositas
Chromosom
Deletion
Diabetes mellitus
Dysmorphie
Hypogonadismus
Kryptorchismus
Strabismus
àFettsucht
àTräger des genetischen Materials,
in jedem Zellkern vorhanden
àChromosomenmutation,Verlust
eines Chromosomenteils
àZuckerkrankheit
àleichte Abweichung von der „normalen“ Form
àUnterfunktion der Geschlechtsdrüsenhormone
àfehlender Hoden im Hodensack
àSchielen
Literatur/Quellen
Urs Eiholzer: Prader-Willi Syndrome. Effects of Human Growth Hormone Therapy.
Endocrine Development. Vol. 3. Series Editor: M.O.Savage (London). S. Karger AG,
Basel 2001
http://www.uni-essen.de/humangenetik/Forschung/PWS
http://www.childgrowth.org
http://www.prader-willi.de
http://www.prader-willi.ch
http://www.m-ww.de
http://www.ihg.gsf.de/ihg/patinfo/diagnostik/pws.html
http://gentest24.de/krankheiten/prader_willi_syndrom
Korrespondenz:
M. Schenk
Hochschule Magdeburg-Stendal
Studierende im StG Rehabiliationspsychologie
Osterburger Str 25
39576 Stendal
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