Wir wollen keine fremden Richter

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Wir wollen keine fremden Richter
«Wir wollen keine fremden Richter»
Der amerikanische Historiker Jonathan Steinberg lehrte Geschichte in Cambridge. Er schrieb
ein hervorragendes Buch über die Schweiz. Ein Gespräch über Wilhelm Tell, den Zweiten Weltkrieg
und die Schweiz als abschreckendes Beispiel. Von Roger Köppel und Philipp Ebeling (Bilder)
Herr Professor Steinberg, Sie haben Mitte
der neunziger Jahre in Ihrem Buch «Why
Switzerland?» geschrieben, die Schweiz
werde in näherer Zukunft der EU bei­
treten. Glauben Sie das angesichts der
aktuellen EU­Krise immer noch?
Sagen wir mal, die historische Entwick­
lung der Schweiz hat ihr eigenes Tempo.
Ich sage immer: Falls die Welt untergeht,
wird es in Uri erst drei Tage später pas­
sieren. Ob die Schweiz noch immer ein
Ausnahmefall in Europa sein kann, hängt
natürlich nicht nur von der Schweiz ab,
sondern von den sie umgebenden Län­
dern. Vorläufig, wahrscheinlich für das
nächste Jahrzehnt, werden diese EU­Län­
der zu sehr mit sich selber beschäftigt sein,
um sich um die Schweiz zu kümmern.
Zweitens: Die Schweiz hat sich europa­
kompatibel gemacht, und vorläufig geht
das. Die Wählerschaft in der Schweiz ist
weiterhin gegen einen Beitritt, und ich
habe grosse Sympathie dafür.
Glauben Sie, dass die EU in der aktuellen
Form überhaupt überleben wird?
Die EU steht vor einem unlösbaren Pro­
blem. Ich bin ehemaliger Bankier. Ich
verstehe ein bisschen etwas von der Fi­
nanzwelt. Und ich kann mich in meinem
langen Leben bisher nicht an eine solche
Periode erinnern, in der die ganze Welt so
ratlos vor einem Problem gestanden ist.
Sie reden von der Schuldenkrise und der
Euro­Schwäche.
Genau. Ich sehe keinen Ausweg. Treten die
Griechen aus der Euro­Zone aus, wird die
Schuldenlast noch grösser. Bleiben sie
drin, müssen sie Sanierungsprogramme
umsetzen, die ihnen den Garaus machen.
Erlässt man ihnen die Schulden, stürzen
die beteiligten Banken ab.
Glauben Sie an verschärfte Konflikte
zwischen der Schweiz und der EU?
Ja, aber das kann gemanagt werden.
Zuletzt hat die Schweiz der EU meistens
nachgegeben.
Aufgepasst. Die Schweiz hat die Kunst
entwickelt, Dinge auf die lange Bank zu
schieben, bis die Leute sich langweilen und
weggehen. Das kommt sozusagen einer
Igelstellung gleich nach dem Motto: «Ja,
ihr habt zwar recht, aber bei uns ist alles
sehr kompliziert.» Als Oase der Steuerhin­
terzieher wird sich die Schweiz allerdings
nicht halten können. Fünfhundert Millio­
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nen Europäer können einen gewissen Druck
auf sieben Millionen Schweizer machen.
Sie haben vor Jahren von einer «Identitäts­
krise» der Schweiz gesprochen. Sie meinten
damals vor allem die Diskussion um die
Armeeabschaffung, die für Sie Ausdruck
von Selbstzweifeln war. Hat die Schweiz
ihre Identitätskrise überwunden?
Sagen wir es so: Die Identitätskrise ist zum
Normalfall geworden. Die Schweiz ist ein
Vorbote jener populistischen und rechts­
gerichteten Strömungen, die sich jetzt in
Europa verbreiten. Ich meine die Reaktion
gegen den Islam, gegen Ausländer, gegen die
Unterminierung «unserer Art», das ist eine
schweizerische, aber auch eine europäische
Krise. Dahinter steckt auch eine Abwehr­
reaktion gegen das sehr elitäre europäische
Einigungsprojekt.
«Falls die Welt untergeht,
wird es in Uri erst drei Tage später
passieren.»
Was macht die Identität der Schweizer aus?
Die Schweizer Identität fängt an im Augen­
blick, wo einer ins Flugzeug steigt. Bis dahin
ist man Zürcher, Basler oder Walliser. Es ist
eine eingewurzelte Bodenständigkeit, unbe­
wusst. Die Schweiz ist ein Land, in dem alle
irgendwo irgendwie zur Minderheit werden.
Eine Stammesgesellschaft der Minderhei­
ten. Was hält das Land Ihrer Ansicht nach
zusammen?
Die Ähnlichkeit innerhalb dieser Vielfältig­
keit. Und ein gemeinsames Bekenntnis zur
Selbstbestimmung. Die institutionelle
Struktur ist der politische Ausdruck dieser
Vielfältigkeit.
Ist am Schluss der Sonderfall – direkte
Demokratie, Föderalismus, Neutralität –
die Klammer der Schweiz?
Das ist etwas sehr, sehr Wichtiges. Für die
Schweiz gilt, was Benjamin Franklin über
die jungen USA sagte: «Gentlemen, if we do
not hang together, we shall be sure to hang
separately.» Wenn wir nicht zusammen­
stehen, werden wir einzeln hängen. Das ist
die Schweiz.
Eine Schicksalsgemeinschaft.
Die kleinste Gemeinde in der Schweiz mit
ihren Selbständigkeiten weiss haargenau,
dass diese Selbständigkeit von dem ganzen
Gefüge der Institutionen in der Schweiz her­
rührt und davon abhängt. Selbst der Bun­
desrat ist gewissermassen nur ein grosser
Gemeinderat.
Mit möglichst wenig Macht.
Ich machte ein Interview mit Doris Leuthard,
tüchtige Frau, sehr schön. Sehr dramatisch,
sehr glamourös. Ihre persönliche Assisten­
tin erzählte mir etwas Erstaunliches: näm­
lich dass Frau Leuthard sich Mühe gebe, mit
viel Understatement aufzutreten. Zu viel
Glamour sei unschweizerisch.
Wenn die Institutionen die Schweiz ausma­
chen, dann würde eine stärkere institutio­
nelle Verflechtung der Schweiz mit Europa
die Identität der Schweiz gefährden.
Ich neige heute zur Meinung, dass die Schweiz
der EU als Schweiz nicht beitreten kann.
Ex­Bundesrat Couchepin sagte, viele
Schweizer hätten Angst vor einem EU­Bei­
tritt, weil sich die Schweiz in der EU auflö­
sen würde.
Das ist möglich. Man sieht es zum Beispiel
im schottischen Nationalismus, der sich
fragt, wieso man überhaupt zum Vereinig­
ten Königreich gehört. Und was in Belgien
passiert: Die Belgier haben eingesehen, dass
der Zusammenhalt des Königreichs keine
Rolle mehr spielt.
Könnte die Schweiz einen «belgischen
Weg» gehen, oder ist das Ihrer Meinung
nach unvorstellbar?
Das ist undenkbar. Welche Gruppe würde
die Rolle der flämischen Nationalität spielen?
Gibt es, wie in den USA, eine protestan­
tische Schweizer Leitkultur?
Es gibt verschiedene Leitkulturen. Eine da­
von bezieht sich auf das Geschäft. Und dort
kann man nicht sagen, dass die katholischen
Schweizer weniger tüchtig sind als die
Protestanten. Typisch ist, dass die Schweizer
Katholiken die Obhut des Papstes sehr unbe­
quem finden. Die päpstliche Unfehlbarkeit
wurde schon im 19. Jahrhundert abgelehnt.
Der Philosoph Karl Raimund Popper
schrieb von einem urzeitlichen Freiheits­
drang der Schweizer. Die ersten Schweizer
seien deshalb auf die Berge gestiegen, um
selbstbestimmt, wenn auch anstrengend zu
leben. Ist das Mythologie oder Wahrheit?
Es ist nicht nur Mythologie, es hat durchaus
etwas für sich. Der Freiheitsdrang zieht sich
durch die Geschichte. Als die französischen
Jakobiner 1798 die Schweiz der neuen Fran­
zösischen Republik einverleiben wollten,
sagten die Tessiner, obwohl sie Untertanen­
Weltwoche Nr. 30/31.11
«Die Schweiz ist ein Land, in dem alle irgendwo irgendwie zur Minderheit werden»: Schweiz­Kenner Steinberg in der Trinity Hall von Cambridge.
Weltwoche Nr. 30/31.11
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gebiet waren, entschieden nein. Die Tessi­
ner Eliten wussten, dass sie unter einer ein­
heitlichen Republik viel schlechter dran
wären als unter der ziemlich lässigen Obhut
der Urner. Auch die kleine Elite in Altdorf
wollte Elite bleiben. Das schweizerische
System sicherte den lokalen Eliten ihre
Macht.
Sind die Schweizer obrigkeitshöriger, als
sie selber glauben?
Die Schweizer sind sehr demokratisch,
aber auch übertrieben ehrerbietig gegen­
über den führenden Familien und Leuten.
In dieser Hinsicht sind die Schweizer sehr
unamerikanisch.
Wo ist Ihnen als Ausländer diese ehrerbie­
tige Unterwürfigkeit aufgefallen?
Man spürt es beim Empfang des Bundes­
rats, wenn der seinen Heimatort besucht.
Auffällig ist auch der Unwille, die führen­
den Leute abzuwählen. Es gibt diesen
voraussetzungslosen Respekt gegenüber
hohen Amtsträgern bei vielen, nicht allen
Schweizern. Schliesslich muss man fest­
stellen, wie humorlos die Schweizer Poli­
tiker auftreten. Witz ist keine demokra­
tische Tugend.
Wie kommen Sie denn darauf?
Witze sind unerwünscht. Ernst, solid,
volksnah – das sind die Tugenden der
schweizerischen Führung. Ihre Politiker
müssen sich unter Wert verkaufen.
Welche Bedeutung hat das Jahr 1291 für
die Schweiz?
Es gibt Schweizer Historiker, welche die
Gründungszeit der Eidgenossenschaft mit
dem Nebel des Märchenhaften, des My­
thischen ausstatten wollen. Das sehe ich
anders. Die Gründung der Eidgenossen­
schaft folgte einem allgemeinen Trend der
Zeit damals. 1215 wurde die Magna Charta
in England formuliert. 1222 entstand die
Goldene Bulle im Königreich der Magya­
ren. Im 13. Jahrhundert schwächte sich die
Macht der Prinzen und vor allem des
Kaisers ab . Es gab Gegenreaktionen mit
Ausläufern bis ins 17. Jahrhundert, als in
England die Stuart­Könige davongejagt
wurden. Diese Gegenreaktion verdichtete
sich in der Schweiz zur Formel: «Wir
möchten unsere eigenen Richter im Tal
haben.» Dafür steht die Schweiz.
«Wir wollen unsere eigenen Richter»:
Würden Sie darin einen Kern der politi­
schen Identität der Schweiz erblicken?
Absolut. Das geht zurück auf 1291 und ist
verbrieft. Dieses Ereignis hat wirklich
stattgefunden. Es ist kein Mythos. Aus die­
sem Ereignis wurde aber schnell ein My­
thos. Die wachsende Schweiz brauchte im
Verlauf ihrer zahl reichen Unabhängig
­
keitskriege eine neue Ideologie.
Wie bewerten Sie eine Figur wie Wilhelm
Tell?
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«Schweizer Politiker treten humorlos auf.»
In unserer sehr alten Bibliothek habe ich ein
Buch gefunden: «La République des Suisses»
von Josias Simmler aus dem Jahr 1577. In die­
ser Schweizer Geschichte kommt die Figur
des Tell nicht vor. Ihr Nationalheld ist eine
Erfindung des 17. und 18. Jahrhunderts, ver­
ewigt durch Schiller.
Was bedeutet Tell?
Wilhelm Tell ist ein Held der Bewegung
«Wir wollen keine fremden Richter im Tal».
Er ist eine mythologische Figur, ganz ge­
wiss. Aber er hat eine Berechtigung wie ein
Westernheld für die Amerikaner. Er bringt,
obwohl frei erfunden, sehr echte und wahr­
haftige schweizerische Freiheitssehnsüchte
zum Ausdruck.
Was war der Grund, dass ausgerechnet im
19. Jahrhundert die Figur des Wilhelm Tell
erfunden wurde?
«Wir wollen ein einig Volk von Brüdern
sein!» Schiller hat eine universale Figur ge­
gen die Tyrannenherrschaft in der Person
dieses Urner Jägers gefunden. Das Schwei­
zer Vorbild wirkte über die Grenzen hinaus.
Wie beurteilen Sie den Einfluss Napoleons
auf die Schweiz?
Napoleon hat die moderne Schweiz geschaf­
fen. Er hat die Untertanengebiete in die Frei­
heit geführt, und er hat den Föderalismus
verfestigt. Sogar Napoleon musste einsehen,
dass es sich nicht lohnt, gegen diese hart­
näckigen Bergleute zu kämpfen.
War Napoleon ein Freund oder ein Feind
der Schweiz?
Weder noch. Die Schweiz kontrollierte wich­
tige Alpenpässe. Darin lag die strategische
Bedeutung für den Korsen. Und weiterzu­
kämpfen gegen diese hartnäckigen Urner
und Nidwaldner, um die Kontrolle der Päs­
se, hatte keinen Sinn für ihn. Insgesamt war
Napoleons Einfluss positiv für die Schweiz.
Aber die Helvetische Republik war doch ein
grandioser Misserfolg.
Ja, weil sie den Schweizern den Zentralis­
mus aufpfropfen wollte. Doch Napoleon
war sehr pragmatisch und sagte: «Okay,
wenn die Leute keine Einheitsrepublik
haben wollen, warum machen wir nicht eine
Bundesrepublik?!» Und diese Bundesrepu­
blik hat er geschaffen, und sie existiert ab­
gewandelt heute noch.
Bundesbrief 1291 oder die Gründung des
modernen Bundesstaats 1848: Welches ist
das wichtigere Datum für die Schweiz?
Weder noch. 1803 ist entscheidend. Die
Mediation hat die Stabilität der Schweiz
garantiert.
Können Sie das erläutern?
Die Mediation brachte die Selbstregierung
der Kantone, eine republikanische Staats­
form, das Ende der Oligarchien, Gleichheit
sämtlicher Kantone, einen föderalistischen
Aufbau. Das war eine absolut moderne
Lösung des schweizerischen Problems. Den
Föderalismus gibt es heute noch, wie ihn
sich Napoleon ausgedacht hat. Allerdings:
Ohne die Obhut Napoleons konnte das
Mediationssystem nicht überleben. Als Na­
poleon abtreten musste, hatte die Schweiz
keine richtige Hauptstadt, keine stabilen In­
stitutionen. Das sollte sich 1848 ändern.
Sie werten das Monumentaldatum der
Bundesstaatsgründung erstaunlich zu­
rückhaltend.
1848 ist viel subtiler. Ja, die Schweiz erlangte
eine Bundesverfassung. Und diese Bundes­
verfassung stand unter der Kontrolle der
Radikalen beziehungsweise der Liberalen.
Aber das war im Grunde nur eine vorüberge­
hende Lösung, denn der katholische Volks­
teil musste erst noch einbezogen werden.
Warum hat sich in der Schweiz nie die
Monarchie durchgesetzt?
Die Französische Revolution beendete im
Grunde diese Staatsform. Für die Schweiz
mit ihren republikanischen Traditionen war
es ohnehin klar, dass die alte aristokratische
Berner Herrschaft nicht mehr so weiter­
gehen konnte.
Schon vorher hatte die Fürstenherrschaft
keine Chance in der Schweiz.
Stimmt. Sie hatten andere Staatsformen. Es
gab Aristokratie, Oligarchie. Die Oligarchie
war die Seele der Alten Eidgenossenschaft.
Wenn man die Schriften des späteren US­
Präsidenten John Adams liest, fällt sein
negatives Urteil über die Schweiz auf. Die
Begründung ist interessant. Er verfasste
1776 ein Traktat über die republikanischen
Staatsformen in Europa. Er untersuchte
Genf, Venedig, Genua, Bern und Holland.
Fazit: All diese Republiken waren nach
Adams’ Dafürhalten als Vorbild für die USA
Weltwoche Nr. 30/31.11
ungeeignet, weil es in diesen Republiken
Oligarchien gab, welche die Freiheit des
Einzelnen zur Illusion machten. Adams
warnte seine Mitbürger vor dem Beispiel
Genfs und Berns. Er warnte sie vor der
Schweiz.
Die alte Schweiz war für diese Amerikaner
ein abschreckendes Beispiel?
Eindeutig. Dieselbe Skepsis findet sich
auch in den «Federalist Papers» der ameri­
kanischen Verfassungsväter. Madison und
seine Gefolgsleute wussten genau um die
politische Lage in der Schweiz und wollten
diesen Weg ausdrücklich nicht einschla­
gen. Aber sie lernten eines von der Schweiz,
und zwar, wie man die Macht der Masse
unter Kontrolle hält.
Ihrer Meinung nach brachte die Französi­
sche Revolution entscheidende Demokra­
tisierungsschübe in die Schweiz, weil sie
die alten Oligarchien entmachtete.
Die alten Patrizier und Aristokraten wuss­
ten, dass ihre Herrschaft dem Ende ge­
weiht war. Die Schweiz muss Frankreich
dankbar sein.
Ein wichtiges Bollwerk gegen die Fürs­
tenherrschaft waren in der Schweiz aber
auch die Berge. Der natürliche Schutzwall
entlastete die Schweiz von der Aufgabe,
ein stehendes Heer mit einer zentralisti­
schen Bürokratie und einem Fürsten auf­
zubauen. Die Alpenpässe waren die grosse
Trumpfkarte.
Ja, und das ist natürlich auch genau der
Grund, warum sich sogar ein Napoleon
mit den Schweizern arrangieren musste.
Die Schweiz zeigte sich immer wieder
immun gegen Verirrungen des Zeitgeists.
Auch Kommunismus und Faschismus
konnten nicht Fuss fassen. Warum nicht?
Es gibt tiefe Instinkte gegen Polarisierung
und Spaltung in der Schweiz. Der General­
streik nach dem Ersten Weltkrieg war sehr
linksgerichtet. Doch nach dem Streik kam es
zu einer typisch schweizerischen Art der
Konfliktlösung: «If you can’t beat them, join
them!» Das hat natürlich der sozialistischen
Bewegung, vor allem ihren Extremen, den
Wind aus den Segeln genommen. Der
Faschismus wiederum scheiterte an der
schweizerischen Urangst, dass es das Land
zerreissen könnte.
Diese Ideologien konnten sich doch vor
allem auch deshalb nicht durchsetzen, weil
sie in der Schweiz als fremdländisch, als
unschweizerisch empfunden wurden.
Es gab noch einen anderen Ansatz. Als der
Erste Weltkrieg ausbrach, waren viele
Deutschschweizer – besonders in der Armee
– begeisterte Anhänger des autoritären
Systems des deutschen Kaiserreichs. Die
französischen Schweizer wiederum waren
fast zu hundert Prozent frankreichfreund­
lich. Auf einmal sahen sich die Schweizer ge­
trennt durch einen Graben von fast belgi­
schen Verhältnissen. Das war ein Schock, der
die öffentliche Meinung gegen Spalt­Ideolo­
gien impfte.
Wie erklären Sie sich den Umstand, dass die
Schweiz den Zweiten Weltkrieg als freies
Land überstand?
Die Gefahr der Anpassung war grösser, als
Sie es in Ihrer Frage andeuten. Denn An­
passung war an sich eine sehr vernünftige
Politik. Die Schweiz war umgeben vom
Faschismus, die Welt hatte sich verändert.
Viele Schweizer bis hinaus in den Bundesrat
sagten: «Okay, jetzt müssen wir in den
sauren Apfel beissen und bei Hitler und
Mussolini gute Miene zum bösen Spiel
machen.» Dann kam dieser Augenblick, in
dem die schweizerische Verfassung wieder
hochgehalten wurde dank General Guisan
aus der Westschweiz. Eine sehr, sehr merk­
würdige Geste des schweizerischen Patrio­
tismus.
Wieso merkwürdig?
Guisan trommelte das ganze Offizierskorps
auf dem Rütli zusammen, um den alten Eid
«Wir wollen frei sein» als Akt des Militä­
rischen zu erneuern. Dieses Symbol des
Widerstands war doch erstaunlich!
Guisan bekannte sich zur schweizerischen
Freiheitstradition in einem Moment, als
Teile der schweizerischen Eliten einzubre­
chen drohten.
Absolut. Ich würde das als eine Sternstunde
der Schweizer Geschichte bezeichnen.
Sie bewegen sich stark in der amerikanisch­
angelsächsischen Welt. Die Schweizer sehen
sich als eine Art Angelsachsen von Zentral­
europa. Was unterscheidet die Amerikaner
und Engländer von den Schweizern?
Im Grunde genommen haben die Angel­
sachsen keine Ahnung. Man sollte niemals
die Ignoranz der Amerikaner und der Eng­
länder gegenüber europäischen Verhältnis­
sen unterschätzen.
Glauben Sie eigentlich immer noch, dass
die schweizerische Verfassung ein Modell
für Europa sein könnte?
Ja. Und man muss sehen, was das Problem
ist: Der bürokratische Geist der EU ist noch
immer französisch, trotz der Tatsache, dass
die EU von Engländern regiert ist über
Brüssel.
Wenn Sie eine 1.­August­Rede halten müss­
ten, was wäre die Kernbotschaft?
Wir wollen keine fremden Richter im Tal.
Jonathan Steinberg ist Historiker und Autor des
Klassikers «Why Switzerland?». Der Amerikaner
lehrte über dreissig Jahre an der Cambridge-Universität
und ist seit einigen Jahren an der University
of Pennsylvania in Philadelphia tätig.
Unterschreiben Sie
jetzt die Volksinitiative!
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