Rechtsanspruch für Kinder

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Rechtsanspruch für Kinder
Rechtsanspruch für Kinder
vom vollendeten 1. bis 3. Lebensjahr
- Inhalt, Grenzen und Konsequenzen -
Gemeinsames Papier
der kommunalen Spitzenverbände und der Landesjugendämter in NRW
-
Handreichung für die Jugendämter –
Am 1. August 2013 tritt der Rechtsanspruch für Kinder ab dem 1. vollendeten Lebensjahr in
Kraft. Mit diesem Papier wollen die kommunalen Spitzenverbände und die Landesjugendämter in NRW den Jugendämtern Hinweise zur Auslegung der Regelungen in § 24 SGB VIII
geben und damit zu einer möglichst einheitlichen Handhabung vor Ort beitragen. Grundlage
dafür sind neben den Gesetzesmaterialien1 die zum Rechtsanspruch veröffentlichte Literatur2
sowie die bislang in Rheinland-Pfalz ergangene Rechtsprechung3.
1. Entstehung des Anspruchs
Der Rechtsanspruch entsteht individuell mit der Vollendung des 1. Lebensjahres. Dies
bedeutet, dass das Jugendamt Eltern nicht auf eine mögliche Aufnahme erst zu Beginn
des folgenden Kindergartenjahres verweisen kann. Eltern können aber auch nicht eine
Aufnahme in eine Kindertageseinrichtung schon zum 01.08. beanspruchen, wenn ihr
Kind erst im Laufe des Kindergartenjahres das 1. Lebensjahr vollendet.
2. Rahmenbedingungen und flankierende Maßnahmen
Der Rechtsanspruch für Kinder u3 stellt eine zentrale Grundentscheidung des Gesetzgebers dar, die zum Einen die frühzeitige Förderung der Kinder, zum Anderen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Ziel hat.
Die Angebote für Kinder u3 müssen Bildung, Betreuung und Erziehung i.S.v. § 22 SGB
VIII zum Inhalt haben. Dies gilt sowohl für Kitas wie für Tagespflege, die seit demTAG
fachlich-inhaltlich den gleichen Auftrag haben und damit gleichgestellt sind.
Bei der Auswahl eines konkreten Platzes in Kitas oder in Tagespflege sollen Eltern
grundlegend beraten werden. Die Träger von Kitas tun dies regelmäßig in den Anmelde/ Aufnahmegesprächen, für das Jugendamt ist die Beratung über das Platzangebot und
die pädagogisch-konzeptionelle Ausrichtung der Angebote eine Verpflichtung (§§ 23 Abs.
4, 24 Abs. 4 SGB VIII). Auf das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern wird hingewiesen (§ 5
SGB VIII).
1
Bundestagsdrucksache 16 / 9299 (Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD), 16 /
10357 (Beschlussempfehlung und Bericht des federführenden Ausschusses)
2
Gutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht, erstellt im Auftrag des Deutschen Städtetages (Autorinnen und Autoren: Dr. Meysen, Beckmann, Seltmann, Birnstengel)
Gutachten der Kanzlei Bernzen Sonntag, erstellt im Auftrag des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (Autorinnen und Autoren: Prof. Dr. Dr. Wiesner, Grube, Kößler)
3
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.10.2012, AZ 7 A 10671/12;
VG Mainz, Urteil vom 10.05.2012, AZ 1 K 981/11
2
Die Förderung soll sich nach § 22 Abs. 3 SGB VIII u.a. am Alter und Entwicklungsstand
des einzelnen Kindes orientieren. Sicherlich hat die Förderung von Kindern u3 einen höheren Anteil von Pflege als die Förderung von älteren Kindern. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass auch beim Wickeln eines Kindes durch die Art und Weise des Wickelns, durch Kommunikation und Blickkontakt intensive Bindung entstehen kann.
Für Kinder u3 ist besonders die Zusammenarbeit von Kita und Tagespflege von Bedeutung, da Kleinkinder nicht selten zunächst in Tagespflege gefördert werden und später in
eine Kita wechseln. Diese Zusammenarbeit ist für Familienzentren ein besonderes Qualitätsmerkmal, soll dem Grunde nach aber bei allen Kitas gewährleistet sein (§ 22 a Abs. 2
Nr. 1 SGB VIII). Auch für Kinder u3 gilt, dass Kinder mit und ohne Behinderung im Regelfall gemeinsam gefördert werden sollen (§ 22a Abs. 4 SGB VIII).
Die Tagespflege hat in den letzten Jahren vor allem durch die Gleichstellung mit der Kita
hinsichtlich ihres Auftrags und das DJI-Curriculum, durch die bessere Vergütung der Tagespflegepersonen und die erstmalige Einbeziehung in die Landesförderung eine enorme quantitative und qualitative Entwicklung genommen. Gleichzeitig ist die kontinuierliche Beratung und Qualifizierung der Tagespflegepersonen von hoher Bedeutung (§ 23
Abs. 4 SGB VIII). Für Eltern ist zugleich die Sicherstellung von Vertretung im Krankheitsfall der Tagespflegepersonen von grundlegender Bedeutung.
3. Geltendmachung des Rechtsanspruchs
In der Praxis findet die Anmeldung zu den Kindertageseinrichtungen Ende des vorangegangenen bzw. zu Beginn des neuen Kalenderjahres statt, und zwar in den Kindertageseinrichtungen bzw. bei den Trägern. Dieses Verfahren ist etabliert und wird auch
grundsätzlich von allen Eltern so eingehalten. Es ermöglicht zudem das gegenseitige
Kennenlernen von Einrichtungen, Eltern und Kindern sowie eine eingehende Beratung
vor Ort. Aus juristischer Sicht ist festzuhalten, dass der Rechtsanspruch gegenüber dem
Jugendamt geltend zu machen ist.
Es ist deshalb sinnvoll, dass sich Eltern, die auf dem bisher üblichen Wege keinen Platz
in einer Kindertageseinrichtung bzw. bei den Trägern erhalten, an das Jugendamt wenden. Dazu kann ein Vordruck entwickelt werden, in dem neben den Personalien auch der
Betreuungsbedarf beschrieben wird, also insbesondere die Arbeitszeiten der Eltern, die
ansonsten bedarfsbegründenden Faktoren und die aus Sicht der Eltern in Betracht kommenden Einrichtungen.
Wie bei jeder anderen Sozialleistung haben die Eltern gemäß § 60 SGB I Mitwirkungspflichten und nehmen diese erfahrungsgemäß auch wahr. Dies bedeutet auch eine
rechtzeitige Geltendmachung von Sozialleistungsansprüchen, wobei den Sozialleistungsträgern – hier den Jugendämtern – eine Bearbeitungszeit zusteht; dies gilt erst recht,
wenn die Leistungen nicht in Geld, sondern in einer realen Handlung bestehen, also der
Bereitstellung eines Platzes in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass alle Jugendämter bemüht sind, den Eltern in
ihrem Anliegen entgegenzukommen und gemeinsam für das Kind schnellstmöglich einen
passgenauen Betreuungsplatz zu finden. Den Jugendämtern wird man vom Zeitpunkt
des ihnen gegenüber gestellten Antrags der Eltern auf einen U3-Platz für ihr Kind bis zu
dessen Bereitstellung eine angemessene Bearbeitungsfrist zubilligen müssen. Zur Realisierung des Rechtsanspruchs für das einzelne Kind erachtet das Gutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht eine Frist von drei Monaten als ange3
messen, das Gutachten der Kanzlei Bernzen Sonntag von sechs Monaten. Konkret bedeutet dies, dass Eltern drei bis sechs Monate vor der geplanten Inanspruchnahme eines
Platzes in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege einen Antrag gegenüber dem Jugendamt stellen müssen.
Im Rechtsverhältnis zwischen dem Jugendamt und den Eltern (als Vertreter des Kindes)
ist die Frist zum 15.03. irrelevant, weil es dabei allein um die Beantragung der Landesmittel im Rechtsverhältnis zwischen Land und Jugendämtern geht.
Es kann zur Erleichterung der Arbeitsabläufe für die Verwaltung und zur Erreichung von
Rechtsklarheit erwogen werden, die konkrete Anmelde-/Antragsfrist vom Jugendhilfeausschuss bzw. vom Rat/Kreistag in einer Satzung zu beschließen und auf dem üblichen
Weg zu publizieren. Die kommunalen Spitzenverbände haben sich mit Schreiben vom
24.01.2013 an Staatssekretär Neuendorf, Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur
und Sport NRW, dafür eingesetzt, dass landesseitig eine gesetzliche Regelung zur rechtzeitigen Bedarfsanmeldung, wie sie § 24 SGB VIII n.F. vorsieht, auf den Weg gebracht
wird.
Dabei ist zu beachten, dass die Bekanntmachung einer Antragsfrist von 3 Monaten dem
Ziel entgegensteht, das bisher weitestgehend etablierte Anmeldeverfahren zum Jahresende auszuhöhlen. Dennoch bleibt festzustellen, dass aus juristischer Sicht eine Anmelde-/Antragsfrist von 9 und mehr Monaten nicht haltbar ist.
Doch manchmal muss es auch schnell gehen und eine unbürokratische Hilfe vor Ort erfolgen. Bei Notfällen muss das Jugendamt gehalten sein, innerhalb kürzerer Zeit einen
Platz in der Kindertageseinrichtung oder in Tagespflege bereitzustellen. Unter Notfällen
sind z. B. kurzfristige und ungeplante Ortswechsel von Eltern (z.B. in Folge Versetzung
an einen anderen Arbeitsplatz) oder vergleichbare Situationen (z.B. Erkrankungen mit
Konsequenzen für den Betreuungsbedarf des Kindes) zu verstehen. Gegebenenfalls sind
Übergangslösungen in einer Spielgruppe oder in einer nicht so gut erreichbaren Kindertageseinrichtung einzuräumen. In diesen, wie in anderen Zusammenhängen ist darauf
hinzuweisen, dass nach § 80 SGB VIII das Jugendamt im Rahmen seiner Planungsverantwortung auch Vorsorge für unvorhergesehene Bedarfe zu treffen hat.
4. Erreichbarkeit / Wunsch- und Wahlrecht
Die Tageseinrichtung oder Kindertagespflege muss für die Eltern in angemessener Zeit
erreichbar sein. Lange Fahrzeiten stellen auch für die Kinder eine Belastung dar und stehen Treffen mit Spielpartnern außerhalb der Kindertageseinrichtung im Wege. Im Sinne
des Aufbaus und der Pflege von Beziehungen muss es Kindern möglich sein, nach den
Schließungszeiten der Einrichtung oder an den Wochenenden ihre Freunde aus der Kindertageseinrichtung zu sehen. Hinsichtlich der Erfüllung des Rechtsanspruchs stehen
Fahrzeiten und die Entfernung in Zusammenhang, so dass auf die bisherigen Empfehlungen von 5 km im städtischen Raum und entsprechend größeren Entfernungen im
ländlichen Raum verwiesen werden kann.
Das Wunsch- und Wahlrecht bezieht sich auch auf die konzeptionelle Ausgestaltung des
Angebots, so dass – sofern die Möglichkeit besteht – auch eine Förderung in altersgemischten oder altershomogenen Gruppen realisiert werden muss. Bei dezidierteren
Wünschen, z.B. nach Betreuung in einer altershomogenen Gruppe mit Kindern unter 3
Jahren werden die Eltern gegebenenfalls Abstriche bei der Erreichbarkeit der Einrichtung
machen müssen.
4
Hinsichtlich des Wunsch- und Wahlrechtes der Eltern nach § 5 SGB VIII ist zunächst
darauf hinzuweisen, dass dieses den Rechtsanspruch zwar konkretisiert, sich aber immer nur auf vorhandene Plätze bezieht. Außerdem ist bei einem institutionellen Angebot,
wie dem im Kindertageseinrichtungen, zu berücksichtigen, dass hier organisatorische
und wirtschaftliche Aspekte naturgemäß eine größere Rolle spielen, so dass hier nur
häufig wiederkehrende Wünsche und nicht einzelne Wünsche von Eltern berücksichtigt
werden müssen, auch wenn diese durchaus nachvollziehbar und plausibel sind.
Aus prozessrechtlichen Gründen kann eine Klage auf einen Kita-Platz nur auf einen vorhandenen Platz in einer Kindertageseinrichtung des beklagten Jugendamtes gerichtet
werden, auch wenn der Rechtsanspruch selbstverständlich auch in Kitas freier Träger
oder kreisangehöriger Gemeinden ohne eigenes Jugendamt erfüllt werden kann und
muss.
Die freien Träger stehen juristisch nicht in der (Mit-)Verantwortung, weil sich der Rechtsanspruch allein gegen das Jugendamt richtet. Dennoch muss festgestellt werden, dass
die freien Träger nicht zuletzt aufgrund der erheblichen Finanzierung ihrer Kindertageseinrichtungen durch die öffentliche Hand auch in der politischen Verantwortung stehen.
5. Zeitlicher Umfang
Auch wenn die landesrechtlichen Regelungen im KiBiz, insbesondere die §§ 18 ff., nicht
den Rechtsanspruch des Kindes gegenüber dem Jugendamt betreffen, sondern lediglich
die Refinanzierung der Kosten gegenüber dem Land, so ist doch das gewachsene und
sich kontinuierlich weiterentwickelnde Gesamtangebot mit den Angebotsformen 25, 35
und 45 Stunden pro Woche und den konkreten Öffnungszeiten der Tageseinrichtungen
zu Grunde zu legen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, nicht nur die Anforderungen des Arbeitslebens an die Eltern zu berücksichtigen, sondern im Rahmen einer Bildungspartnerschaft zwischen Einrichtung und Eltern das Angebot auszuwählen, welches
dem Entwicklungsstand des Kindes am besten Rechnung trägt. Dies kann im Rahmen
der Beratung der Eltern dazu führen, dass der ursprüngliche Wunsch nach der höchstmöglichen Öffnungszeit von 45 Stunden zurückgenommen wird. Oder die Eltern entschließen sich nach der Beratung zur Betreuung in Tagespflege. Im Rahmen der Tagespflege kann nicht nur stärker auf individuelle Arbeitszeiten von Eltern am späten Nachmittag oder am Wochenende eingegangen werden. Ein familienähnliches Angebot kann
auch für manche Kinder die geeignetere Beratungsform sein. Sofern aber die Möglichkeit
besteht, typische Arbeitszeiten der Eltern mit entsprechenden Betreuungszeiten des Kindes in Einklang zu bringen, besteht auch eine solche rechtliche Verpflichtung der Jugendämter.
Dem Grunde nach entsteht der Rechtsanspruch wie bei den Kindern Ü3 schlicht mit Vollendung des 1. Lebensjahres. Der Umfang des Rechtsanspruchs richtet sich nach § 24
Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SGB VIII nach dem individuellen Bedarf. Im Übrigen ist festzustellen,
dass selbstverständlich die Wünsche der Eltern der Ausgangspunkt bei der Feststellung
des Bedarfs sind. Ein Beratungsgespräch der Eltern – welches das Kind mit seinen Besonderheiten und seinem Entwicklungsstand in den Mittelpunkt stellt – ist daher unabdingbar notwendig.
Der Betreuungsbedarf ist letztlich aber auf Grund objektiver Bedarfskriterien festzustellen
ist. Dies sind z. B.:
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Erwerbstätigkeit, berufliche Eingliederung, Aus- und Weiterbildung der Eltern,
Pflege von nahen Angehörigen,
die frühkindliche Bildung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege ist zur besseren Persönlichkeitsentwicklung des Kindes erforderlich.
Bei der Erwerbstätigkeit der Eltern ist auf die Arbeitszeit zuzüglich der notwendigen
Fahrtzeiten zur Kindertageseinrichtung bzw. zur Tagespflegeperson abzustellen, bei zusammenlebenden personensorgeberechtigten Eltern auf den Elternteil mit dem geringeren Beschäftigungsumfang. Wenn die Eltern also beispielsweise halbtags mit einem
Stundenumfang von montags bis freitags jeweils fünf Stunden beschäftigt sind und die
Fahrzeit von und zur Tageseinrichtung jeweils eine halbe Stunde beträgt, besteht ein
Betreuungsbedarf von 30 Stunden pro Woche.
Bei den Bedarfen hinsichtlich der Betreuungszeiten (zeitliche Lage) müssen die inzwischen sehr ausdifferenzierten Arbeitszeiten berücksichtigt werden, dies allerdings in begrenztem Umfang. Bei der Betreuung in Tageseinrichtungen ist das Jugendamt gehalten,
die Öffnungszeiten im Zusammenwirken mit den Trägern soweit wie möglich an den Arbeitszeiten der Eltern auszurichten, wie dies in den letzten Jahren zunehmend erfolgt ist
und wie die Jugendämter dies im Einzelfall - wenn notwendig - im gerichtlichen Verfahren
konkretisieren können.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei nachgewiesenem Bedarf ein maximaler Betreuungsanspruch von 45 Stunden in einer Tageseinrichtung besteht. Darüber hinausgehende Bedarfe können im Einzelfall allenfalls durch entsprechende Angebote der Kindertagespflege gedeckt werden.
Der Mindestbetreuungsbedarf beträgt bei Förderung in einer Tageseinrichtung entsprechend der vorhandenen Infrastruktur 25 Stunden (s. KiBiz). Bei der Förderung in Tagespflege gibt es keine in diesem Sinne allgemeingültigen Betreuungszeiten, so dass unter
Zugrundelegung des Bildungsauftrages von einer Mindestbetreuungszeit von 15 bis 20
Stunden auszugehen sein dürfte.
6. Wahlrecht zwischen Tageseinrichtung und Tagespflege
Anders als beim Rechtsanspruch Ü3 können beim Rechtsanspruch u3 nicht die Eltern als
Anspruchsinhaber, sondern die Jugendämter als Anspruchsgegner die Entscheidung über die Förderung in Tageseinrichtungen oder in Tagespflege treffen. Im Wege eines
partnerschaftlichen Umgangs auf gleicher Augenhöhe ist im Wege der Beratung jedoch
dem Anliegen der Eltern möglichst entgegen zu kommen. Bei ausreichend freien Plätzen
ist sowieso das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern nach § 5 SGB VIII zu berücksichtigen.
Ist das tatsächlich zur Verfügung stehende Angebot erschöpft, können die Jugendämter
Eltern, die eine Betreuung ihres Kindes in einer Tageseinrichtung wünschen, die Möglichkeit der Förderung eines Kindes in Tagespflege einräumen.4
4
Während beim Rechtsanspruch Ü3 von vornherein zwei unterschiedliche Anspruchsgrundlagen und
damit Ansprüche für die Förderung in Tageseinrichtungen bzw. in Tagespflege bestehen, gibt es bei
den ein- bis dreijährigen Kindern einen einheitlichen Rechtsanspruch, der auf frühkindliche Bildung
gerichtet ist. Dieser Rechtsanspruch wird dann durch Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in
Tagespflege erfüllt. Es wird zwar auch die gegenteilige Auffassung in der Literatur vertreten, wonach
den Eltern das Auswahlrecht zusteht. Allerdings spricht für das Auswahlrecht des Jugendamtes zunächst der Wortlaut des § 24 Abs. 2 SGB VIII. Zudem sind die Förderung in einer Kindertageseinrichtung und in Tagespflege nach der gesetzgeberischen Konzeption in §§ 22 ff. SGB VIII grundsätzlich
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7. Platzvergabe durch das Jugendamt
Wenn Jugendämter (und nicht die freien Träger) bei einem nicht bedarfsdeckenden Angebot über die Vergabe von Plätzen entscheiden, sollten sie diese Entscheidung einschließlich ihrer Gründe dokumentieren. Wenn die Entscheidung, einen Platz an Kind A
und nicht an Kind B zu vergeben, ist dies ohnehin ein begründungspflichtiger Verwaltungsakt, wobei sich die Begründung auch auf die Auswahlentscheidung beziehen muss.
Das Gleiche gilt für kreisangehörige Gemeinden ohne Jugendamt als Träger einer kommunalen Kita.
Dabei ist es sinnvoll, die Entscheidungen über mehrere freie Plätze nicht nach und nach
zu treffen, sondern gebündelt zu einem bestimmten Zeitpunkt. Eine Verpflichtung zur
Aufstellung eines generellen Kriterienkataloges, der ggf. noch vom Jugendhilfeausschuss
zu beschließen wäre, ist hingegen abzulehnen, weil derart generelle Kriterien im Zweifel
bei den Einzelfallentscheidungen immer differenziert gewichtet werden müssten und
deshalb im Einzelfall kaum weiterhelfen.
8. Schadensersatzansprüche
Selbst bei allem Bemühen um kindgerechte Lösungen vor Ort kann es dazu kommen,
dass der Rechtsanspruch auf einen Platz nicht erfüllt werden kann. Soweit im Einzelfall
der Primäranspruch auf frühkindliche Bildung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege nicht erfüllt werden sollte, sind sekundäre Ansprüche möglich, die sich auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des primären Anspruchs, und zwar auf Erstattung
•
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der Kosten für eine selbst beschaffte Kindertageseinrichtung oder Tagespflege,
des entgangenen Arbeitsentgeltes, weil die Eltern das Kind selbst betreuen mussten,
richten können.
Im Rahmen dieses Papiers soll nicht weiter vertieft werden, auf welcher Rechtsgrundlage Schadensersatzansprüche beruhen und welche materiell-rechtlichen und prozessualen Unterschiede bei den einzelnen Klagearten bestehen (z. B. Amtshaftung, Folgenbeseitigungsanspruch etc.).
Generell ist festzustellen, dass Schadenersatzforderungen aufgrund einer Nichterfüllung
des Betreuungsanspruchs bislang in nur wenigen Einzelfällen Gegenstand gerichtlicher
Entscheidungen waren. Daher bestehen kaum Anhaltspunkte in Bezug auf die Höhe eines etwaigen Schadensersatzes.
gleichwertig und gleich geeignet, die Ziele (Förderung des Kindes und Unterstützung der Eltern bei
der Vereinbarkeit von Familie und Beruf) zu erfüllen. Ergänzend kann man auch § 262 BGB heranziehen, der zu den im öffentlichen Recht grundsätzlich analogiefähigen Regelungen des allgemeinen
Schuldrechts im BGB gehört. Danach steht das Wahlrecht im Zweifel dem Schuldner einer Leistung,
hier also den Jugendämtern zu (Palandt-Heinrichs, Kommentar zum BGB, Einleitung vor § 241, Anm.
6. b)).
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Zu erstatten sind die den Eltern tatsächlich entstandenen Kosten, nicht lediglich die Kosten, die dem Jugendamt selbst entstanden wären. Dies kann beispielsweise dazu führen, dass das Jugendamt höhere Kosten zu tragen hat, als es selbst im Falle der
Betreuung durch eine Tagespflegeperson gezahlt hätte. Zwar hat jeder Geschädigte
seinerseits eine Schadensminderungspflicht, so dass unangemessen hohe Kosten nicht
in vollem Umfang erstattungsfähig sind; allerdings dürfte dies im Hinblick auf die den Eltern entstandene Notlage durch die Nichterfüllung des Rechtsanspruchs auf seltene
Ausnahmefälle begrenzt sein.
Soweit Schadensersatzansprüche aufgrund entgangenen Arbeitsentgelts geltend gemacht werden, wird eine Schadensminderungspflicht dahingehend anzunehmen sein,
dass jedenfalls der Versuch zu unternehmen ist, eine Kindertagesbetreuung privat zu
organisieren.
Auf den Anspruch sind die Elternbeiträge anzurechnen, die die Eltern zu zahlen hätten,
wenn sie regulär einen Platz in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege erhalten hätten, sowie die zu zahlenden Entgelte für die Verpflegung des Kindes in der Kindertageseinrichtung.
Beziehen Erziehungsberechtigte Betreuungsgeld, so ist dieser Betrag ebenfalls anzurechnen.
9. Prozessuale Hinweise
Wenn Eltern zur Durchsetzung ihres primären Rechtsanspruchs auf frühkindliche Bildung rechtliche Schritte ergreifen, ist neben der Klage auch ein Antrag auf eine einstweilige Anordnung möglich und aus Sicht der Eltern der wesentlich schnellere Weg zum
Ziel. Dabei prüfen die Gerichte lediglich summarisch, ob den Antragstellern die beanspruchte Leistung zusteht, und zwar auch auf Basis einer Folgenabschätzung in beide
Richtungen:
• Welche Nachteile hätten die Eltern, wenn der Erlass einer einstweiligen Anordnung
abgelehnt wird, sie im anschließenden Klageverfahren aber obsiegen?
• Welche Nachteile hätte es, wenn die von den Eltern begehrte einstweilige Anordnung
erlassen wird, sich aber im anschließenden Klageverfahren herausstellt, dass der
Anspruch zumindest im geltend gemachten Umgang nicht besteht?
Da diese Abwägung bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgern und Behörden in aller
Regel zu Lasten der Behörden ausgeht, ist es ratsam, die Einleitung von Gerichtsverfahren möglichst abzuwenden und eine außergerichtliche Einigung herbeizuführen. Je früher Eltern und Jugendamt einen konstruktiven Dialog führen, umso eher lässt sich ein
Prozess vermeiden – ein für alle Beteiligten besseres Verfahren. Die Erfahrungen bei
der Einführung des Rechtsanspruchs für die Dreijährigen in den 90-er Jahren können
hier durchaus herangezogen werden.
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