Für Heime kann es teuer werden

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Für Heime kann es teuer werden
2 // CAR E ko n kret
AUS GA B E 3 6 // 4 .9 .2 0 1 5
THEMA DER WOCHE
Einheitlicher Eigenanteil für Pflegeheimbewohner
Für Heime kann es teuer werden
Das Pflegestärkungsgesetz II sieht vor, dass der Eigenanteil der Heimbewohner über alle Pflegegrade hinweg
gleich bleiben soll. Für die Betroffenen ist das eine faire
Sache – doch den Heimbetreibern droht Ungemach. Ändert sich die Belegung im Haus, drohen deutliche Mehrkosten, denen nicht entgegengesteuert werden kann.
VON ROMAN TILLMANN UND THOMAS
HARAZIM
Fotos: Archiv
Köln // Der Kabinettsbeschluss
zum Pflegestärkungsgesetz II (PSG
II) liegt auf dem Tisch und wird intensiv diskutiert. Einer aus unserer
Sicht wesentlichen Veränderung
ist bisher nur wenig Beachtung
geschenkt worden: die wirtschaftlichen und strategischen Auswirkungen der einrichtungseinheitlichen Eigenanteile für stationäre
// Im System der
einheitlichen Eigenanteile kommt es
quasi zu einer Entkopplung der Pflegepersonalschlüssel und
der Pflegeerträge //
THOMAS HARAZIM
Pflegeanbieter. Geplant ist die Vereinbarung einheitlicher Eigenanteile für Bewohner unabhängig
vom Pflegegrad. Die nicht durch
die Pflegekassen gedeckten Kosten werden somit im Sinne einer
Mischkalkulation auf alle Bewohner verteilt.
Dies kommt jedoch weitgehend
einer Entkopplung der Entgelte von
den für die Versorgung der Bewohner erforderlichen Pflegeperso-
nalschlüsseln gleich. Im heutigen
System steigen die Pflegeerträge
in Abhängigkeit von den pflegestufenabhängigen Personalschlüsseln.
Eine solche Steigerung der Erträge
kann es jedoch im neuen System
nicht geben, da nur die Pflegekassenleistungen variieren, nicht aber
die Eigenanteile. Durch die Entkopplung kann es bei unterjährigen
Belegungsänderungen zu Defiziten
für Pflegeheimbetreiber kommen,
den nicht entgegengesteuert werden kann. Des Weiteren wird durch
das einrichtungseinheitliche Entgelt die Eintrittsschwelle für niedrige Pflegestufen angehoben, da
Bewohner mit heutiger Pflegestufe
1 zukünftig deutlich mehr selbst
zahlen müssten.
Ab dem 1.1.2017 sollen die neuen
einrichtungseinheitlichen Eigenanteile gelten. Für die Neuberechnung dieser Eigenanteile sind aktuell drei Möglichkeiten vorgesehen:
1. Einzelverhandlungen in 2016:
Basis noch offen
2. Pauschales (vereinfachtes) Verfahren nach den Empfehlungen
der Pflegesatzkommission: Details noch unklar
3. Umstellung anhand der Überleitungsformel aus den heutigen Pflegesätzen
Als einzige greifbare und aktuell
von den Gesetzgeber präferierte
Lösung ist die Umstellung anhand
der Überleitungsformel anzusehen (vgl. Artikel 3, PSG II). Hierbei
werden im Rahmen einer Monatsbetrachtung die Erträge aus dem
Bereich Pflege anhand der alten
Pflegesätze je Pflegestufen aufsummiert. Anschließend werden die
durch die Pflegekassen zu leistenden Beträge nach Überleitung der
Pflegestufen in die Pflegegrade je
Bewohner summiert. Die Differenz
aus den aus den alten Pflegesätzen
hergeleiteten Pflegeerträgen und
den Erträgen aus den neuen Pflegekassenleistungen wird durch alle
Pflegeheimbewohner dividiert. Da-
IST (PSG I)
IST (PSG I)
Bewohner
verhandelter
Eigenanteil für
Pflege
Pflegegrad Bewohner
1
40
11,85 €
2
2
47
24,16 €
3
20
36,71 €
Auswirkungen einer Pflegegradverschiebung
(fünf Bewohner aus 2 und 3 in 4 und 5)
Pflege- Bewohner Pflegeerträge Pflege- Bewohner Pflegeerträge Pflege- Bewohner Pflegeerträge Differenz
stufe
gesamt
grad
gesamt
grad
neu
gesamt
Ertrag
Pflegekassen
1
40
683.718 €
2
20
184.800 €
2
18
161.700 €
- 23.100 €
2
47
1.164.653 €
3
44
658.764 €
3
41
620.904 €
- 37.860 €
3
20
654.883 €
4
34
713.550 €
4
36
766.800 €
53.250 €
Härtefall
0
-€
5
10
240.600 €
5
13
300.750 €
60.150 €
Eigenanteil
107
705.540 €
Eigenanteil
85
705.540 €
-€
Summe
Pflegepersonal
107
2.503.254 €
107
2.503.254 €
107
Stellen
gemäß
Schlüssel
Personalkosten
Stellen
gemäß
Schlüssel
Personalkosten
Stellen
gemäß
Schlüssel
39,91
2.02.484 €
39,91
2.027.484 €
41,44
nicht gedeckte Kosten
2.555.694 € 52.440 €
Personalkosten
2.105.096 €
Kosten­
steigerung
- 77.611 €
- 25.171 €
Tabelle 2: Bei einer Verschiebung von fünf Bewohnern aus den niedrigen Pflegegraden zwei und drei in die höheren Pflegegrade würde dies eine jährliche Unterdeckung der Personalkosten von knapp 25 000 Euro bedeuten Quelle: rosenbaum nagy
raus ergibt sich der einrichtungseinheitliche Eigenanteil, der unabhängig vom Pflegegrad von den
Bewohnern bzw. Sozialhilfeträger
zu zahlen ist. Hierdurch erhalten
die niedrigen Pflegestufen einen
deutlich höheren Eigenanteil als
bisher (s. Tabelle 1).
des Personalbedarfs vor, als die
Pflegekassenerstattung steigt. Im
Risiken für die Betreiber
Die Berechnung eines einrichtungseinheitlichen
Eigenanteils
mag aus Sicht vieler Interessensvertreter als faire Lösung für die
Bewohner angesehen werden. Wir
weisen jedoch an dieser Stelle deutlich auf die finanziellen Risiken für
die Betreiber der Pflegeheime hin.
Die Berechnung des Eigenanteils
ist nach der im Entwurf vorgestellten Logik immer eine Momentaufnahme. Sofern wir davon ausgehen,
dass die Pflegepersonalschlüssel in
ähnlicher Form bestehen bleiben,
müsste sich der Eigenanteil bei jeder Veränderung der Pflegegradzusammensetzung ändern. Denn im
heutigen System sehen die Pflegeschlüssel bei höheren Pflegestufen
einen deutlich stärkeren Anstieg
SOLL UMWANDLUNG (PSG II)
Pflegestufe
SOLL UMWANDLUNG (PSG II)
Differenz
verhandelter
tgl. einheitlicher
Eigenanteil
maximale Differenz
Eigenanteil neu zu alt
20
18,07 €
6,22 €
3
44
18,07 €
- 6,10 €
4
34
18,07 €
- 18,65 €
5
10
18,07 €
- 18,65 €
Annahme: jeweils 50 % der Pflegestufen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz
Tabelle 1 stellt die Überleitung anhand eines konkreten Beispiels für ein bestehendes Pflegeheim dar. Das neue System wird dazu führen,
dass Bewohner mit einem niedrigen Pflegegrad einen deutlich höheren Eigenanteil erhalten als bisher. Quelle: rosenbaum nagy
fast 25 000 Euro bedeuten (s. Tabelle 2). Sofern die bisherige Spreizung
der Personalschlüssel beibehalten wird, führt eine Verschiebung
zu höheren Pflegegraden stets zu
höheren Defiziten. Nur wenn die
Pflegepersonalschlüssel exakt entsprechend der Abstufung der Pflegekassenerstattungen in Relation
gesetzt werden, würde das System der einheitlichen Eigenanteile
funktionieren.
Politisch gewollte
Markt­segmentierung?
// Sofern die bisherige
Spreizung der
Personalschlüssel
beibehalten wird,
führt eine Verschiebung zu höheren
Pflegegraden stets zu
höheren Defiziten //
ROMAN TILLMANN
System der einheitlichen Eigenanteile funktioniert dies nicht mehr,
es kommt quasi zu einer Entkopplung der Pflegepersonalschlüssel
und der Pflegeerträge.
Wir haben dies einmal, ausgehend von den aktuell geltenden
Personalschlüsseln in NordrheinWestfalen, am Beispiel einer Einrichtung mit 107 Plätzen nachvollzogen. Bei einer Verschiebung von
gerade einmal fünf Bewohnern aus
den niedrigen Pflegegraden zwei
und drei in die höheren Pflegegrade würde dies eine jährliche Unterdeckung der Personalkosten von
Das bedeutet aber wiederum, dass
der Unterschied im Personalbedarf
zwischen niedrigen und hohen
Pflegegraden deutlich geringer als
heute sein müsste: Die Schlüssel
für die niedrigeren Pflegegrade
müssten deutlich erhöht, für die
höheren Pflegegrade deutlich abgesenkt werden. Es erscheint uns
unwahrscheinlich, dass diese notwendige betriebswirtschaftliche
Konsequenz der einheitlichen Eigenanteile bei der Formulierung
des Referentenentwurfes bedacht
worden ist – selbst wenn die andere Konsequenz, nämlich die Segmentierung des Marktes in LowBudget- und High-End-Anbieter
mit unterschiedlichen Stellenschlüsseln möglicherweise politisch gewollt ist.
 Roman Tillmann ist Geschäftsführender Partner bei der rosenbaum nagy Unternehmensberatung GmbH, E-Mail: tillmann@
rosenbaum-nagy.de
 Thomas Harazim ist Berater bei
der rosenbaum nagy Unternehmensberatung GmbH), E-Mail:
[email protected],
Tel. (02 21) 5 77 77 53

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