Dokumentation Ringvorlesung: Let`s talk about Gender und Diversity

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Dokumentation Ringvorlesung: Let`s talk about Gender und Diversity
Dokumentation
Ringvorlesung: Let's talk about Gender und Diversity als
berufliche Schlüsselkompetenzen
Ringvorlesung: Gender, Race, Class, Bodies. Diversity als
berufliche Schlüsselkompetenzen
WiSe 2011/12, SoSe 2012, WiSe 2012/13, SOSE 2013
Organisation und Moderation: Dr. Gudrun Perko
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Kontextualisierung der Ringvorlesung
Die Ringvorlesung Let's talk about Gender und Diversity als berufliche
Schlüsselkompetenzen fand im Wintersemester 2011/12, im Sommersemester
2012 und donnerstags 14-tägig von 1800 bis 1930 an der Fachhochschule Potsdam
(Pappelallee, Hauptgebäude, Raum 067; Friedrich-Ebert-Straße 4. 14467 Potsdam)
statt.
Im Wintersemester
2012/13
und
Sommersemester 2013
wurde
die
Ringvorlesung mit dem Titel Gender, Race, Class, Bodies. Diversity als berufliche
Schlüsselkompetenzen weitergeführt. Eingeladen waren Student_innen aller
Fachbereiche der Fachhochschule Potsdam. Die Vorträge im Kontext der
Ringvorlesung waren darüber hinaus offen für alle Interessierten.
Die Ringvorlesung begann als Teil eines Verbundes von drei Veranstaltungen im
Kontext eines InterFlex-Projektes an der Fachhochschule Potsdam mit dem
übergeordneten Titel Konstruktiv. Gender, Class, Race und Bodies. Zu diesem
Verbund gehören neben der Ringvorlesung Let's talk about Gender und Diversity als
berufliche Schlüsselkompetenzen die Vortrags- und Filmreihe Das sieht man doch.
Inszenierungen von Identität und Alterität und im Wintersemester das Seminar
Drama Baby – mediale Inszenierungen von Weiblichkeit und pädagogische
Implikationen sowie im Sommersemester das Seminar Konstruktiv. Gender, Class,
Race, Bodies. Verantwortlich für das InterFlex-Projekt sind Gudrun Perko (FB
Sozialwesen), Andrea Schmidt (FB Sozialwesen), Anne Quirynen (FB Design) und
Jan Distelmeyer (FB Design). Mit dem Sommersemester war dieses Projekt
abgeschlossen.1
Ab dem Wintersemester fand die Ringvorlesung als alleinige Veranstaltung unter
1
Das Projekt „InterFlex – Förderung von Interdisziplinarität und Flexibilität zur Integration von
Forschung, Wissens- und Technologietransfer in die grundständige Lehre“ der Fachhochschule
Potsdam wurde im Rahmen des vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der
Kultusministerkonferenz ausgelobten Wettbewerbs „Exzellente Lehre" ausgezeichnet und wird mit
Mitteln des Stifterverbandes und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes
Brandenburg realisiert.
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dem
Titel
Gender,
Race,
Class,
Bodies.
Diversity
als
berufliche
Schlüsselkompetenzen als InterFlex-Projektes an der Fachhochschule Potsdam
statt und wurde vom Gleichstellungsbüro der Fachhochschule Potsdam unterstützt.
Inhaltlicher Ausgangspunkt der Ringvorlesung
Über das
verankerte Gender Mainstreaming (GM, 1999) und das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz (AGG, 2006) sollen Institutionen, Unternehmen und
Projekte ihre Arbeit diskriminierungsfrei organisieren und Chancengleichheit sowie
Gleichbehandlung förderung. Das setzt Qualifikationen wie
Kenntnisse von
Theorien, Methoden und Konzepte voraus und Kompetenzen, diese in der Praxis
umzusetzen. Die transdisziplinäre Ringvorlesung eröffnete dafür den Raum, indem
Theorien,
Methoden,
Hochschullehrenden
Konzepte
und
und
Referierende
praxisbezogene
außerhalb
der
Projekte
Fachhochschule
von
zur
Diskussion gestellt wurden.
Sie bot Informationen neuerer Ansätze, die Möglichkeit von gegenseitigem
Austausch und Raum für Diskussionen als ersten, unverzichtbaren Schritt des
forschenden Lernens und lerndenden Forschens. Sie bot Anregungen, die zu
eigenen studentischen Projekten führen konnten. Schwerpunkt waren Diskussionen
in Bezug auf Diversity (Vielfalt/ Unterschiedlichkeit von Menschen) sowie deren
Intersektionalität,
also
die
Ineinanderverwobenheiten
und
Wechselwirkungen
unterschiedlicher Diversitykategorien (wie Gender, Class, Race, Migration, Bodies…)
und Diversitydimensionen (wie Antiromanismus, Sexismus, Klassimus, Lookismus
etc.). Dabei wurde Gender als soziale bzw. gesellschaftliche Konstruktion in einem
erweiterten Sinn gedacht: Vorstellungen, Bilder, Funktionen, Rollen, Auswirkungen,
Bedeutungen
für
Frauen,
Männer,
Queers,
Geschlechterverhältnisse
etc.
Intersektionalität lässt sich nicht zuletzt in Bezug auf ihre Bedeutungsverankerung als
konstruierte Grundlage spezifischer Diskriminierungsformen entdecken. Dabei ging
es in der Ringvorlesung um die Vermittlung von (struktureller) Diskriminierung, um
dominante Repräsentationsmuster und vor allem um Fragen nach Ansätzen und
Projekten, die in verschiedenen Situationen, Projekten, Praxisfeldern, Institutionen
etc. Handlungsspielräume und Möglichkeiten bieten, gegen diese zugunsten von
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Diversity anzutreten.
Vorträge und Diskussionen
Vorträge im Wintersemester 2011/12
13. Okt. 2011
Gudrun Perko (FHP/ Sozialwesen): Auftakt - Gender und Diversity in ihrer
Intersektionalität als berufliche Schlüsselqualifikationen
27. Okt. 2011
Dagmar Jank (FHP/ Informationswissenschaften): Frauenspezifische
Bibliotheks- und Informationsarbeit in Deutschland anhand ausgewählter
Beispiele
10. Nov. 2011
Erzählcafé: Erzählungen zur (institutionell-strukturellen) Gleichheit der
Geschlechter im Kontext der 20 Jahre Fachhochschule Potsdam: Festjahr
im Zeichen von Rückblick, Ausblick und Wiedersehen (anstelle der
Ringvorlesung;
Beschreibung
siehe
http://www.fh-
potsdam.de/veranstaltungen0.html)
24. Nov. 2011
Anne Quirynen (FHP/ Design): gender in 261 keywords
08. Dez. 2011
Heiko Kleve (FHP/Sozialwesen): Differenz und Soziale Arbeit. Von Wegen
im Umgang mit dem Verschiedenen
05. Jan. 2012
Birgit Ammann (FHP/ Sozialwesen): Migration und Gender
19. Jan. 2012
Leah Carola Czollek (ASH, FHP/ Sozialwesen): Social Justice als Projekt
gegen strukturelle Diskriminierungen
Den Auftakt der Ringvorlesung gestaltete Gudrun Perko mit dem Vortrag „Gender
und Diversity in ihrer Intersektionalität als berufliche Schlüsselqualifikationen“.
Ausgehend von Grundlagen zu Gender Mainstreaming, verschiedenen Richtungen
von Gender Studies, Bedeutung von Konstruktion und Dekonstruktion führte sie in
die Bedeutung von Gender als soziales Konstrukt (Simone de Beauvoir, Judith
Butler) ein: Frauen, Männer, TransPersonen, Intersexuelle, Lesben, Schwule,
Queers. In Verbindung damit diskutierte sie Diversity als politisiertes Konzept.
Gender und Diversity wurden schließlich durch den Ansatz der Intersektionalität
verbunden. Dabei wurde die zumeist herangezogene Triade von Gender, Class,
Race durch eine Vielzahl von Diversity Dimensionen mit der Intention ergänzt, den
Lebenswirklichkeiten und den Seinsweisen von Menschen in ihren Diversitäten zu
entsprechen. Aufgezeigt wurden ferner Gender und Diversity Kompetenzen als
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berufliche
Schlüsselqualifikationen.
Im
Zentrum
des
Vortrages
stand
das
Dekonstruktionsdenken, in dem die Praktiken Doing Gender hin zu einem Undoing
Gender sowie Doing Identity hin zu einem Undoing Identity diskutiert wurden.
Dagmar
Jank
bot
mit
dem
Thema
„Frauenspezifische
Bibliotheks-
und
Informationsarbeit in Deutschland anhand ausgewählter Beispiele“ Einblick in diesen
Arbeitsbereich, der sich an den Bedürfnissen und Wünschen der Benutzer_innen
orientierte. Sie legte den Schwerpunkt auf frauenspezifische Informationsmittel, die
bereits in der Zeit der ersten Frauenbewegung entstanden und noch heute für die
Forschung wichtig sind. Meist ohne die Unterstützung staatlicher Bibliotheken
erstellten
Frauenrechtlerinnen
frauenspezifische
Bibliografien,
biografische
Nachschlagewerke zu Wissenschaftlerinnen und Schriftstellerinnen, ein illustriertes
Konversationslexikon sowie empfehlende Literaturlisten für Frauen. Insgesamt
erschienen zwischen 1894 und 1942 ca. 25 frauenspezifische Informationsmittel,
wovon einige in dem Vortrag vorgestellt wurden. Im Vortrag wurde zudem gezeigt,
dass in der Zeit der ersten Frauenbewegung der Beruf Bibliothekarin als neuer Beruf
für Frauen aus dem Bildungsbürgertum entstand, und gefragt, ob die ersten
Bibliothekarinnen die Ideen der Frauenbewegung rezipiert und im Berufsalltag
umgesetzt haben, und, ob sie die Probleme einer angeblich „geschlechtsneutralen“
Bibliotheksarbeit erkannten.
Anne Quirynen stellte mit ihrem Vortrag „gender in 261 keywords“ GenderArtNet als
ein experimentelles Mapping Projekt vor. Das Projekt wurde von den Kuratorinnen
Bettina Knaup, Maria Ptqk und der Medienkünstlergruppe Constant bzw. entwickelt
und durch die Unterstützung der European Cultural Foundation, Amsterdam (ECF)
und durch die Studierenden sowie Anne Quirynen vom Studiengang Europäische
Medienwissenschaft
ermöglicht.
GenderArtNet
kontextualisiert
Künstler_innen,
künstlerische Praxis, Projekte und Organisationen und bringt sie zusammen.
GenderArtNet erforscht die Wechselbeziehung von Geschlecht, Ethnizität, Race,
Klassenzugehörigkeit und Sexualitäten im zeitgenössischen Europa und orientiert
sich so an Diskursen und Projekten über Intersektionalität (Wechselbeziehungen
zwischen den genannten Diversity Kategorien bzw. Dimensionen). Im Vortrag wurde
die Intention und Zielsetzung des Projektes gezeigt, verschiedene, bereits
bestehende Online-Quellen von feministischen und queeren Künstler_innen,
5
Projekten und Netzwerken thematisch zu verbinden, um ihre Zugänglichkeit und
Lesbarkeit zu verbessern.
Heiko Kleve diskutierte in seinem Vortrag „Differenz und Soziale Arbeit. Von Wegen
im Umgang mit dem Verschiedenen“, in welchen Weisen Soziale Arbeit mit Diversität
konfrontiert ist. Die Kategorie der Differenz wird als zentraler Maßstab der
sozialarbeiterischen Beobachtungs- und Handlungspraxis herausgestellt. Vorgestellt
wurden
vier
unterschiedliche
Wege
im
Umgang
mit
Differenz:
(1.)
Differenzbeobachtung, (2.) Differenzminimierung, (3.) Differenzakzeptanz und (4.)
Differenzmaximierung. Mit Adornos negativer Dialektik spricht Heiko Kleve den
Fehler des traditionellen Denkens an, nämlich Identität für sein Ziel zu halten und
zeigt das – aus der indischen Philosophie kommende Konzept – Tetralemma als eine
Denkfigur, die dieser Identitätslogik nicht entspricht: Neben dem „zusprechen“ und
„absprechen“ beinhaltet dieses Denken auch ein „sowohl als auch“ und ein „weder
noch“ und verdeutlicht so, dass Differenzen bestehen bleiben (können). Die
besprochenen Möglichkeiten im Umgang mit Differenzen stellt Kleve zwar in den
historischen und gegenwärtigen Kontext der Sozialen Arbeit, ihre Bedeutungen aber
gehen über die Soziale Arbeit hinaus und betreffen ebenso andere berufliche Felder.
Birgit Ammann wählte in ihrem Vortrag „Migration und Gender“ den Schwerpunkt
der medialen Darstellung und Präsentation von Migrantinnen. Ihr Ausgangspunkt lag
in der Differenzierung von Migrantinnen, die nirgendwo eine homogene soziale
Gruppe bilden und trotzdem in Deutschland überwiegend als Musliminnen dargestellt
und wahrgenommen werden. Dass dem so ist, wurde anschaulich anhand von
(renommierten) Printmedien gezeigt, die den Frauen – unabhängig von ihrem
gesellschaftlichen Hintergrund und ihrem Selbstverständnis – häufig eine Opferrolle
zuweisen. So entstehen ineinander verschachtelte soziale Konstruktionen, die kaum
mehr revidierbar erscheinen und die eine enorme Wirkungsmacht entfalten. Birgit
Ammann ging weit über ein Aufzeigen hinaus, indem sie über empirische
Datenmaterialen und Fakten öffentlich produzierte Zerrbilder und oftmals fiktionale
Vorstellungen, die keiner Realität mehr entsprechen, dekonstruiert. Dabei rief sie in
positiver Weise nicht zuletzt damit Irritationen hervor, insofern sie medial-öffentliche
Konstruktionen „der Migrantin“ zugunsten der Diversitäten von Migrantinnen auflöst.
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Leah Carola Czollek diskutierte in ihrem Vortrag „Social Justice als Projekt gegen
strukturelle Diskriminierungen“ in Anlehnung an Iris Marion Young als ein theoretisch
und praktisch-politisches Konzept: die Möglichkeit der Teilhabe aller Menschen an
gesellschaftlichen Ressourcen, ungeachtet von Alter, Hautfarbe, zugewiesener
„Behinderung“, sozialer Herkunft, Gender, kultureller Herkunft etc. und ungeachtet
der vermeintlichen Nützlichkeit von Menschen. Diese Partizipationsmöglichkeit
schließt die Verteilung von Anerkennung und die gerechte Verteilung von Gütern mit
ein. Ausgehend
von
Macht-
Antidiskriminierungsprojekt
und
gegen
Herrschaftsanalysen
strukturelle
richtet
Diskriminierung
sich
im
dieses
Sinne
von
Exklusion und gesellschaftlichen Ausschlüssen von Menschen. Anhand der
intersektionalen Verbindung von Gender, Klasse/ soziale Herkunft und Rassismus
ging Leah Carola Czollek dabei der Frage nach, wie diese Kategorien Menschen
verletzen und ihre Lebensrealitäten gestalten und inwiefern das Projekt Social
Justice dagegen etwas tun kann. Im Zentrum stand dabei u. a. das Konzept des
Verbündet-Seins, wo die Anliegen der anderen die je eigenen Anliegen sind.
Vorträge im Sommersemester 2012
19. April 2012
Kirstin Mertlitsch (HU/ Berlin): Top Girls, Alphamädchen und
germanische Emanzen – zum „Wir“ der neuen deutschen Feminismen
3. Mai 2012
Andrea Schmidt (FHP/ Sozialwesen): „Drama Baby ...“: Über den
Einfluss
von
Castingshows
auf
Lebensentwürfe
und
Selbstinszenierungen von Mädchen und jungen Frauen
31. Mai 2012
Katja Grawinkel (Universität Potsdam): Postporno, Kunst, Affekt. Über
einen queer-politischen Umgang mit Pornografie
14. Juni 2012
Jan Distelmeyer (FHP/ Design): An so was müssen wir arbeiten!
James Bond, Hancock und die Bestimmung der Aktivität
15. Juni 2012
Peter Knösel/ Gudrun Perko (FHP/ Sozialwesen): Rechtliche und
politische Dimensionen des AGG (Allgemeines Gleichstellungsgesetz)
28. Juni 2012
Angela Redemeyer (FHP/ Sozialwesen): Gender, Queer, Diversity
Kompetenzen:
objektivierbare
Maßstäbe
zur
Eruierung
von
Vermittlungserfolgen? (Präsentation vorläufiger Ergebnisse eines
Forschungsprojektes von Gudrun Perko unter Mitarbeit von Angela
Redemeyer)
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Kirstin Mertlitsch gestaltete den Auftakt der Ringvorlesung mit dem Thema „Top
Girls, Alphamädchen und germanische Emanzen – zum „Wir“ der neuen deutschen
Feminismen“. In ihrem Vortrag zeigte sie, welche feministischen „Wirs“ in der neuen
„Frauenemanzipationswelle“ angerufen werden. In deutschen Medien werden seit
etwa zehn Jahren neue feministische „Wirs“ konstituiert. Und das obwohl „der“
Feminismus einerseits immer wieder totgesagt wurde und andererseits das „F-Wort“
im Mediendiskurs als Schimpfwort galt. Aktuelle Diskussionen über die „LatteMacchiato Mütter“, „Wir Alphamädchen“, „Die neue F-Klasse“, „Schwestern“ und
„Neue deutsche Mädchen“ lassen aufhören. Mit dem Phänomen eines neuen
Feminismus setzten sich auch Wissenschaftler_innen auseinander: „Top Girls“,
„neoliberale Emanzen“, „Post-Feminismus“, „Elitefeminismus“ oder „konservativer
Feminismus“ sind einige Stichwörter. Mertlitsch verdeutlichte dabei in der
Verschränkung verschiedener sozialer Ungleichheitskategorien (z. B. Geschlecht
und Herkunft), welche Machtverhältnisse auch innerhalb von Frauengruppen
bestehen. Dabei wurde entlang der Differenzen Herkunft/ Nation/ Staatsbürgerschaft,
sexueller Orientierung/ Lebensformen und Klasse/ Milieu analysiert, wie Über- und
Unterordnungen zwischen Frauen hergestellt werden, die letztlich als Argumente zur
Stärkung der eigenen kulturellen Dominanz dienen.
Andrea Schmidt zeigte mit „„Drama Baby...“: Über den Einfluss von Castingshows
auf Lebensentwürfe und Selbstinszenierungen von Mädchen und jungen Frauen“,
inwieweit Castingshows wie Germany‘s next Topmodel auf Lebensrealitäten und
Selbstinszenierungen von Mädchen Einfluss nehmen. In den Medien sind sie
präsent, die Bilder von starken, autonomen, selbstbewussten Mädchen und jungen
Frauen. Wenn man diesen (medialen) Geschlechterinszenierungen Glauben
schenken darf, ist in puncto Gleichberechtigung alles erreicht. Die Lebensrealitäten
von Mädchen und jungen Frauen sehen jedoch anders aus, so Schmidt. Vor dem
Hintergrund von Individualisierungen von Problemlagen sowie einem Zwang zu
Selbstoptimierung
zum
einen
und
dem
Geschlechterbilder
mit
einem
erweiterten
sich
Ausdifferenzieren
Spektrum
von
klassischer
Weiblichkeit
und
Männlichkeit zum anderen, zeichnet sich ihr zufolge eine gleichzeitige Verfestigung,
quasi
ein
Rollback
zu
konservativen
Werten,
Rollenvorstellungen
und
Selbstinszenierungen ab. Pointiert formulierte Schmidt: Das Spannungsfeld bewegt
sich zwischen erhitzten Debatten um die Einführung der Quote und den Role Models
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die Heidi Klum mit Germany‘s next Topmodel anbietet.
Katja Grawinkel referierte über „Postporno, Kunst, Affekt. Über einen queerpolitischen Umgang mit Pornografie“. Postpornografie begibt sich an den Rand des
gesellschaftlich Akzeptierten, so Grawinkel, wo die Mechanismen der Industrie
veränderbar werden und die Kunst noch nicht recht begonnen zu haben scheint.
Dort, wo andere Verhältnisse zwischen Produzent_innen und Rezipient_innen,
zwischen Sex und Arbeit, Lust und Blick herrschen, ergreift sie begeistert Partei für
kompliziertere Strukturen von Sexualität, Begehren und Identität als sie das
zweigeschlechtliche, heteronormative Modell vorsieht. Künstlerische Strategien, die
sich als postpornografisch bezeichnen, stehen für eine Politik der Wahrnehmung. Im
Vordergrund steht ein tiefes, körperliches Empfinden, das eine affektive Offenheit
zugänglich macht und starren Positionierungen eine permanente Bewegung
entgegenstellt. Es handelt sich der Referentin zufolge um eine queere Politik der
Vagheit und des Widerspruchs.
Jan Distelmeyer nahm in seinem Vortrag „An so was müssen wir arbeiten! James
Bond, Hancock und die Bestimmung der Aktivität“ zwei der erfolgreichsten
Actionfilme der letzten fünf Jahre zum Anlass, über gegenwärtige Diskurse und Bilder
zum Verhältnis von Körper und Arbeit nachzudenken. Die Ausgangs- und Fixpunkte
waren dabei das umjubelte Comeback von James Bond in „Casino Royal“ in der
Saison 2006/2007 und der erste Auftritt des verwahrlosten Superhelden „Hancock“
2008/2009. Beide Filme verhalten sich auf ihre Weise zur Bestimmung der Aktivität,
so Distelmeyer, die in unterschiedlichen Ausformungen die öffentlich verhandelten
Vorstellungen des flexiblen Kapitalismus prägen. Dabei zeigte Distelmeyer auch u. a.
die Verschränkungen zwischen Gender und Klassismus.
Peter Knösel und Gudrun Perko nahmen die Ringvorlesung zum Anlass, um über
die
„rechtlichen
und
politischen
Dimensionen
des
AGG
(Allgemeines
Gleichbehandlungsgesetz)“ zu diskutieren. Sie vermittelten dabei die wesentlichen
Inhalte des Antidiskriminierungs- und Schutzgesetztes, durch das mittelbare,
unmittelbare Diskriminierung sowie Belästigung (inklusive sexueller Belästigung und
Mobbing) gemäß bestimmter „Personenbezogener Merkmale“ verboten ist. Dabei
vermittelten sie verschiedene reale Beispiele ebenso wie die Vorgangsweisen
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bezüglich einer Klage nach dem AGG. Institutionell relevant ist ihnen zufolge das
AGG, insofern Institutionen die Aushangspflicht, Sorgfaltspflicht (vorbeugende
Maßnahmen gegen Diskriminierung) und Schulungspflicht aller Mitarbeitenden
haben. Politisch relevant ist ihnen zufolge das AGG, weil es Menschen ermöglicht,
gegen Diskriminierung vorzugehen und ihre Rechte einzuklagen. Gleichzeitig
machten Knösel und Perko darauf aufmerksam, dass im AGG bestimmte
„Kategorien“
nicht
aufscheinen,
gemäß
derer
Menschen
(strukturelle)
Diskriminierungen erfahren (z. B. soziale Herkunft/ Klasse, Lookismus/ Aussehen…).
Angela Redemeyer beendete die Ringvorlesung für das Sommersemester mit dem
Beitrag „Gender/Queer, Diversity Kompetenzen: objektivierbare Maßstäbe zur
Eruierung von Vermittlungserfolgen?“ Damit präsentierte sie vorläufige Ergebnisse
des gleichnamigen Forschungsprojektes, das an der FH Potsdam unter der Leitung
von Gudrun Perko gerade durchgeführt wird. Im Kontext des Bologna-Prozesses gilt
die Vermittlung und Eruierung von Kompetenzen („kompetenzorientiertes Prüfen“)
als
ein
wesentlicher
verschiedenen
Faktor
qualitativer
Praxisbereichen
Kompetenzvermittlungsbemühungen
hat
in
Lehre.
eine
Der
Kompetenzbedarf
Intensivierung
Bildungseinrichtungen
zur
in
von
Folge.
Kompetenzen messen, geht das überhaupt? Wenn ja, wie? Was ist unter Kompetenz
zu verstehen? Auf welche Arten von Kompetenzen wird in Beschreibungen in Bezug
auf Gender/ Queer und Diversity zurückgegriffen? Diese Fragen stehen im Zentrum
des Forschungsprojektes und damit, ob der Erfolg, dass Lernende in zukünftiger
sozialer Praxis und elementarpädagogischen Bereichen (BABEK, Early Education)
über Kompetenzen verfügen können, objektiv messbar sein kann. Die bisherigen
Ergebnisse des genannten Forschungsprojektes lassen neugierig werden.
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Vorträge im Wintersemester 2012/13
11.Okt. 2012 Natasha A. Kelly (HU Berlin): Rassismus und Sprache –
Eine Einführung
25. Okt. 2012 Marika Schmiedt (Filmemacherin/ Künstlerin, Wien): «Die Gedanken
sind frei» Angst ist Alltag für Roma in Europa
8. Nov. 2012 Patricia Redzewsky (ASFH, Berlin): Adultismus in der Vernetzung mit
anderen Diskriminierungsformen
22. Nov. 2012 Elisabeth Kirndörfer (FHP/ Sozialwesen): Tunnelblick bei
interkulturellen Projektkonzeptionen – Königsweg Intersektionalität?
Wissenschaftliche Ergebnisse eines interkulturellen Jugendprojekts im
ländlichen Brandenburg
6. Dez. 2012 Christina Thürmer-Rohr (TU, Berlin): Der Feminismus und das
Kassandra-Syndrom
24. Jan. 2013 Kerstin Schumann/Christoph Damm (FHP/ Sozialwesen): Paradigma
Diverstät in der Kinder- und Jugendarbeit: sind Ansätze der
geschlechterspezifischen Kinder- und Jugendarbeit noch queer genug?
14. Feb. 2013 Leah Carola Czollek/ Gudrun Perko (Institut Social Justice und Diversity/
Berlin; FHP/ Sozialwesen): Das Konzept des Verbündet-Seins im Projekt
Social Justice als spezifische Form der Solidarität
Den Auftakt gestaltete Natasha A. Kelly mit dem Beitrag zu „Rassismus und
Sprache – Eine Einführung“. Kelly zeigte, dass Sprache kein neutrales, passives
Medium ist, mit dem gesellschaftliche Wirklichkeiten ›objektiv‹ abgebildet werden.
Stattdessen stellen Menschen u. a. durch ihre Wortwahl und ihren Sprechstil
unterschiedliche Sichtweisen und Wirklichkeitsvorstellungen aktiv her. Auch wenn die
diskriminierende Wirkung von Sprachhandlungen in der öffentlichen Wahrnehmung
oft auf Schimpfwörter beschränkt wird, kommt sprachliche Diskriminierung weit
häufiger vor, als es zunächst scheint. Während manche Begriffe in jeder
Verwendung im deutschsprachigen Raum heute rassistisch sind, werden andere erst
im Kontext und in der Art ihrer Verwendung rassistisch aufgeladen. Rassismus hat
viele unterschiedliche Dimensionen, sprachliche „Be_Nennungspraktiken“ sind eine
sehr wichtige, die kontinuierlich realisiert wird – sowohl im Sprechen als auch im
Nicht-Sprechen, im Wegsehen und Schweigen.
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Marika Schmiedt setzte sich mit ihrem Beitrag „«Die Gedanken sind frei» Angst ist
Alltag für Roma in Europa“ mit der Verfolgung von Roma, insbesondere mit den
Verhältnissen zwischen „Damals und Heute“ auseinander. Dabei richtete sich der
Blick u. a. auf die Auswirkungen der faschistischen Vernichtungsideologie auf
nachfolgende Generationen und auf die real-politische Situation. Gefragt wurde
danach, was das Ausmaß der europaweiten, massiv steigenden Verfolgungen und
Diskriminierung wirklich bedeutet. Dabei untermauerte Schmiedt ihren Vortrag mit
filmischen Ausschnitten, die sie als Filmemacherin zur Thematik produziert hat.
Patricia
Redzewsky
zeigte
„Adultismus
in
der
Vernetzung
mit
anderen
Diskriminierungsformen“. Adultismus gilt als eine sehr verbreitete und eigenständige
Diskriminierungsform gegen Kinder vor allem durch Erwachsene, die bereits da
beginnt, wo Kinder verniedlicht werden und durch diskriminierende Äußerungen,
Verbote und Gebote sowie Handlungen der Erwachsenen verschiedenste Formen
annimmt. In dem Vortrag wurde ein spezifischer Akzent gesetzt: Dieser lag darin,
dass
die
Verwobenheit
(Intersektionalität)
von
Adultismus
mit
Rassismus,
Antisemitismus, Sexismus, Antiziganismus und anderen Diskriminierungsformen
reflektiert wurde, denen Kinder oftmals gleichzeitig ausgesetzt sind. Im Vortrag
wurde zudem diskutiert, inwiefern Selbstreflexion und Sensibilisierung sowie
bewusste Entscheidung als Ausgangspunkte für eine Welt ohne Adultismus
fungieren.
Elisabeth
Kirndörfer
besprach
die
Gefahr
des
„Tunnelblicks“
bei
Projektkonzeptionen mit interkulturellem Fokus und stellt dabei Ergebnisse aus der
wissenschaftlichen Begleitung eines interkulturellen Jugendprojekts im ländlichen
Brandenburg vor. „Migration in Brandenburg? Marginal!“ So ähnlich wird von
zentraler
Vergabestelle
europäischer
Fördermittel
gegen
die
finanzielle
Unterstützung von interkulturellen Projekten im größten ostdeutschen Bundesland
argumentiert. Gegenläufig dazu ist mittlerweile die Tendenz von Seiten der Träger
und Initiativen, in Projekten mit interkulturellem Fokus eine Art „Allerheilmittel“ zum
Abbau von Vorurteilen und Diskriminierungen und damit zum präventiven
Entgegenwirken rechtsextremer Gesinnungen zu sehen. Dies ist das Spannungsfeld,
in das Projekte zur Förderung von Interkulturalität im ländlichen Brandenburg
eingeschrieben werden. Beide Perspektiven zeichnen sich durch einen begrenzten
12
Blick aus. An dieser Stelle interessieren jedoch vornehmlich die – konzeptuellen –
Stolperfallen, in die ein Projekt geraten kann, nachdem die große Hürde der
Finanzierbarkeit überwunden ist: Es war Anliegen dieses Vortrags, aufzuzeigen, wie
die Fixierung auf ‚Interkulturalität’ dazu führen kann, dass andere Dimensionen als
Herkunft bzw. Migrationshintergrund, die ebenso den Einschluss oder eben
Ausschluss aus Gruppen strukturieren, aus dem Blickfeld geraten. Könnte dieser
„Tunnelblick“,
d.
h.
die
Nichtbeachtung
verschiedener,
sich
überlagernder
Differenzkategorien mit Hilfe des Konzepts der ‚Intersektionalität’ überwunden
werden? Wie könnte dieser Ansatz konkret für die Konzeption interkultureller
Projekte fruchtbar gemacht werden? Diesen und anderen Fragen gingen wir mit dem
Ziel nach, die unter den Begriffen „gender/ queer“ und „diversity“ gefassten
Differenzkategorien zusammen zu denken und zusammen darüber nachzudenken,
welche Möglichkeiten alternative Konzepte, wie das der ‚Intersektionalität’, dabei
bieten.
Christina Thürmer-Rohr stellte ihren Beitrag „Der Feminismus und das KassandraSyndrom“ zur Diskussion. Vor 30 Jahren hatte Christa Wolf mit ihrem KassandraStoff den damaligen Zeitgeist aufgenommen und vielen aus dem Herzen
gesprochen. Das Kassandra-Syndrom hatte viele mit der Erwartung beflügelt und
beunruhigt, dass Frauen, wenn sie endlich den Mund aufmachen, „die Wahrheit“
sagen würden. Zehn Jahre später provozierte Barbara Sichtermann ihre Leser_innen
mit der Bemerkung: jetzt, wo Frauen alles sagen dürfen, seien die Männer erleichtert.
Denn was sie zu hören bekämen, unterscheide sich nicht wirklich von dem, was sie
von sich selbst gewohnt seien. Wenn Frauen also gar keine andere Welt anvisierten,
wäre das den Frauen auferlegte jahrtausendealte Schweigegebot ja ganz unnötig
gewesen. Der Vortrag bot einen Rückblick zum Schweigen und zum Sprechen, der
nicht einfach frühere Positionen revitalisieren will. Was zu revitalisieren ist, ist
vielmehr das Nachdenken über einen Feminismus, der heute manchen veraltet
erscheint, für den niemand eine allgemeingültige Definition zur Hand hat und dessen
Probleme zugleich „zu den interessantesten und produktivsten Fragen zu Beginn
dieses Jahrhunderts“ (Judith Butler) gehören.
Leah Carola Czollek und Gudrun Perko rundeten die Ringvorlesung mit dem
Thema „Das Konzept des Verbündet-Seins im Projekt Social Justice als spezifische
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Form der Solidarität“ ab, das sie erstmals zur Diskussion stellten. Social Justice
bedeutet partizipative Anerkennungs- und Verteilungsgerechtigkeit. Im Kontext der
Social Justice Theorien wurden Methoden zugunsten der Partizipation, Inklusion und
Empowerment gegen strukturelle Diskriminierung entwickelt. Im Zentrum des
Projektes Social Justice steht u. a. die Idee des Verbündet-Seins, der politischen
Freundschaft, wo die Anliegen der anderen die je eigenen Anliegen sind. Dabei ist
kein identitäres „Wir“, sind keine gleichen/ identischen Merkmale als Bedingung für
ein Verbündet-Sein gegeben: weder in Bezug auf Einzelpersonen noch in Bezug auf
Gruppen respektive ein gemeinsames Handeln.
Die Idee des Verbündet-Seins
richtet sich gegen strukturellen Macht- und Herrschaftsverhältnissen und die dadurch
hergestellten
Ausgegrenzten
(Exklusion,
strukturelle
Diskriminierung,
soziale
Ungleichheit) aufgrund von bestimmten Diversity „Kategorien“ wie Geschlecht, Alter,
zugewiesener „Behinderung“, kulturelle Herkunft, soziale Herkunft, Hautfarbe etc. Im
Vortrag wurde das Konzept des Verbündet-Seins als spezifische Form von Solidarität
erläutert und die Frage gestellt, inwiefern es auch als pädagogisches Handeln
umgesetzt werden kann.
Vorträge im Sommersemester 2013
25. April 2013 Dorothea Kitschke (FH Potsdam, Fachbereich Sozialwesen: Im Fokus von
Diversity - Forschendes Lernen als Haltung des Verstehen-Wollens
23. Mai 2013 Hans-Christoph Hobohm (FH Potsdam: Fachbereich
Informationswissenschaften/Bibliothekswissenschaften): Warum es
gesellschaftlich gefährlich ist, in Bibliotheken auf Diversity zu verzichten: Zu
Schlüsselkompetenzen in den Informationsberufen
6. Juni 2013
Franziska Homuth (FH Potsdam/ Sozialwesen): Prozesse des Othering im
interdisziplinären Diskurs zu Gender, Race und Body. MuslimWomen und
HipHop – Widerstand gegen das Schweigen
20. Juni 2013 Hermann Staats (FH Potsdam: Fachbereich Sozialwesen): Sinnliche
Entwicklungen: Zur Geschlechterdifferenz aus psychoanalytischer
Perspektive
4. Juli 2013
Abschluss der Ringvorlesung mit Filmevent „Mein Leben in Rosarot“ und
Ausstellungseröffnung: „Frauenförderung – Familienfreundlichkeit –
Gendergerechtigkeit – Soziale Gerechtigkeit: eine Chronik der
Gleichstellungsarbeit an der Fachhochschule Potsdam 1991 bis 2013“
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Dorothea Kitschke führte mit ihrem Beitrag „im Fokus von Diversity: Forschendes
Lernen als Haltung des Verstehen-Wollens“ in das Konzept des Forschenden
Lernens ein. Dabei lassen sich als wichtige Elemente von Diversity gerechtem,
professsionellem Handeln innerhalb und jenseits der Sozialen Arbeit und
frühkindlichen Bildung Offenheit und die Fähigkeit benennen, die Realität aus
unterschiedlichen
Perspektiven
zu
betrachten.
Forschendes
Lernen
ist
in
Zusammenhang mit der so genannten Kompetenzorientierung derzeit sehr präsent
im Diskurs um „gute Lehre“ an Hochschulen. In dem Vortrag reflektierte sie
Forschendes Lernen nicht als didaktisches Konzept mit bestimmten intendierten
Effekten, sondern als eine bewusste Lern- und Forschungshaltung, die auf
Verstehen abzielt und deren Leitbild in einer größtmöglichen Offenheit gegenüber
dem subjektiv als „fremd“ oder „anders“ Empfundenen besteht. Die Wichtigkeit von
„verwertbaren“ Forschungsergebnissen tritt dabei hinter der Auseinandersetzung mit
forschungsethischen Prämissen und dem eigenen Lernprozess zurück.
Hans-Christoph Hobohm ging in seinem Vortrag, „warum es gesellschaftlich
gefährlich ist, in Bibliotheken auf Diversity zu verzichten. Zu Schlüsselkompetenzen
in den Informationsberufen“, auf Bibliotheken und Archive im internationalen
Vergleich ein, die sich im Kontext Globalisierung und der Digitalen Revolution
grundlegend gewandelt haben. Ihre zentrale Funktion als Garant des Informationsund Bildungszugangs für alle Gesellschaftsbereiche trat nach dem Ende der
Gutenberg Galaxis wieder immer mehr in den Vordergrund. Die Digitalisierung
verdeutlicht zunehmend, dass Informationsarbeit sich nicht in erster Linie um
physische Medien wie Bücher und gedruckte Dokumente dreht, sondern persönliche
Wissenstransferprozesse als Fokus hat. Im Vortrag wurde in Bezug auf z.B. Gender
und Kultureller Herkunft („Migrationshintergrund“) mittels existierender Studien
gezeigt, wer welche Medien nützt und im Zusammenhang damit diskutiert, dass
Wissen vorwiegend zwischen Personen ausgetauscht wird, die sich gleichen. Auf
Diversity Konzepte ist, so ein zentraler Aspekt des Vortrages, nicht zu verzichten:
hinsichtlich des Nutzungsverhaltens, aber auch der Personalpolitik (zumeist sind es
Bibliothekarinnen; es fehlen „männliche Bibliothekare mit Migrationshintergrund“). Im
Bildungsbereich besonders erfolgreiche Länder wie Finnland zeigen, dass mit
Diversity Management nicht nur unter Gender-Aspekten die informelle Bildung
gestärkt werden muss.
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Franziska
Homuth
zeigte
in
ihrem Vortrag
„Prozesse
von
Othering
im
interdisziplinären Diskurs von Gender, Race und Bodies“ am Beispiel von
„MuslimWomen und HipHop“ und thematisiert den Widerstand gegen das
Schweigen. Ausgangspunkt waren dabei grundlegende Verschiebungen in der
Sozialen Arbeit, aber auch in den Sozialwissenschaften, in denen Fragen nach den
Möglichkeiten von Inklusion und Exklusion innerhalb der Gesellschaft bedeutsam
wurden. Dabei stellte sie Überlegungen zur Einverleibung fremder oder neuer
Kulturen in die dominanten kulturellen Normen einer Mehrheitsgesellschaft (Birgit
Rommelspacher) den Überlegungen von Mariam Popal gegenüber. Während
innerhalb der „bürgerlichen, linken, Weißen Frauenbewegung“ in Deutschland das
Kopftuch muslimischer Frauen Ausdruck für deren Unterdrückung in einer
patriarchalen islamischen Ordnung für Rückständigkeit, traditionelle Frömmigkeit und
fehlende Emanzipation ist, zeigen junge Muslimas, so die Referentin, dass dies nur
eine von vielen möglichen Interpretationen ist. Sie stellen zur Debatte, dass das
Kopftuch auch Ausdruck von Selbstbestimmung, Rückeroberung der eigenen Körper
und Umdeutung hegemonialer Diskurse ist. In Bezug darauf wurde in dem Vortrag
vor allem die Dimension des Widerstandes gegen das Besprochen-Werden zur
Diskussion gestellt, das sich mit widerständischer Präsentation eigener Definitionen
durch HipHop verbindet (zu Wort kamen Vertreterinnen dieses Bereichs von
HipHop).
Hermann Staats brachte mit seinem Beitrag „sinnliche Entwicklungen: Zur
Geschlechterdifferenz aus psychoanalytischer Perspektive“ eine andere Dimension
ins Spiel. Dabei pointierte er, dass das körperliche Erleben, bewusste und nicht
bewusste Phantasien und die Beziehungen zu anderen Menschen zentrale Themen
im Verhältnis der Geschlechter sind
und zugleich zentrale Arbeitsfelder der
Psychoanalyse. Zur Diskussion standen psychoanalytische Autoren (z.B. Sigmund
Freud), die in ihren Beiträgen zu Geschlechterdifferenzen eine ursprüngliche
Bisexualität annehmen. In einem komplexen Entwicklungsprozess entwickeln sich
daraus vielgestaltige männliche und weibliche Identitäten. Sexualität wird in einem
umfassenden Sinn verstanden. Sie ist Organisator seelischer Entwicklung. Lustvolles
sinnliches Erleben spielt daher für die Gestaltung der Beziehungen zu anderen
Menschen von Beginn des Lebens an eine entscheidende Rolle. In dem Vortrag
wurde verdeutlicht, dass das Herausbilden individueller und gesellschaftlicher
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Konstruktionen zu Geschlecht und Gender aus psychoanalytischer Sicht auf und
neben dem „gewachsenen Fels“ der Biologie steht.
Der
Abschluss
der
Ringvorlesung
wurde
als
Filmevent
und
einer
Ausstellungseröffnung gestaltet Der Spielfilm „Mein Leben in Rosarot“ (1997)
thematisiert die Schwierigkeit der Identitätssuche in einer von Rollenmustern
dominierten Welt. So wünscht sich Ludovic im Alter von sieben Jahren nichts
sehnlicher denn als Mädchen wahrgenommen zu werden und stößt dabei doch
schnell an die Grenzen gesellschaftlicher Toleranz.
Im Anschluss daran war die neu konzipierte Ausstellung „Frauenförderung –
Familienfreundlichkeit – Gendergerechtigkeit – Soziale Gerechtigkeit: eine Chronik
der Gleichstellungsarbeit an der Fachhochschule Potsdam 1991 bis 2013“ zu sehen.
Resümee
Die Vortragenden, die für die Ringvorlesung als Expert_innen gewonnen werden
konnten, wählten aus ihren jeweiligen Fachbereichen selbst das Thema im Kontext
der oben beschriebenen Grundlagen, das sie zur Diskussion stellen wollten. Dabei
entstand einerseits eine große Spannbreite an Themenfelder und andererseits boten
die einzelnen Vortragenden die Möglichkeit zur vertiefenden Diskussion. Studierende
aus verschiedenen Fachbereichen, Mitarbeitende und Lehrende der Fachhochschule
Potsdam sowie Teilnehmende, die nicht an der Fachhochschule verankert sind,
konnten ihr eigenes Wissen vertiefen und sich mit den Expert_innen der einzelnen
Vorträge austauschen. Auffallend (und des Öfteren auch als Feedback vermittelt)
waren die sehr offenen und anregenden Diskussionen zwischen Publikum und
Vortragenden, aber auch unter dem Publikum selbst.
Die Anzahl des Publikums war alternierend und unterschiedlich bei den einzelnen
Vorträgen. Eine Gesamtschau zeigt aber einen kontinuierlichen Anstieg: waren es zu
Beginn im Wintersemester 2011/12 zwischen 15 und 30 Personen, so kam es bereits
im
Sommersemester 2012 bis zu 40 Personen und im Wintersemester 2012/13
sowie Sommersemester 2013 zwei Mal sogar bis zu 50 Personen. Die Ringvorlesung
kann insgesamt als ein großer Erfolg angesehen werden und hat auch mediale
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Wirkung erzielt.
Eine Schwierigkeit bei der Organisation der Ringvorlesung, Expert_innen für
Vorträge gewinnen zu können, lag in der finanziellen Einschränkung. Aufgrund des
geringen Budgets für Honorar-, Reise- und Übernachtungskosten konnte insgesamt
nur eine Expert_in aus Österreich eingeladen werden (Wintersemester 2012/13). Um
die Thematik im internationalen Diskurs an der Fachhochschule Potsdam verankern
zu können, bedürfte es ausreichender Mittel (dasselbe gilt für eine Publikation der
einzelnen Beiträge).
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Zu den Vortragenden
Ammann, Birgit: Dr., Professorin im Fachbereich Sozialwesen, arbeitet schwerpunktmäßig
zu den Themen Migration, Minderheiten und Diaspora, Interkulturelle Kommunikation,
Mittlerer Osten, Islam, Kurdologie, Internationale und vergleichende Politik, Europäische
Sozialpolitik und Soziale Gerechtigkeit.
Czollek, Leah Carola: BA, Geschäftsleiterin des Instituts „Social Justice und Diversity“.
Lehrbeauftragte an der Alice-Salomon-Hochschule und an der Fachhochschule Potsdam/
Sozialwesen;
Mediatorin,
Supervisorin,
Erwachsenentrainerin.
Mitbegründung
und
Geschäftsleitung des Instituts „Social Justice und Diversity“ mit den Schwerpunkten Gender,
Queer, Migration, Diversity, Interkulturelle Mediation.
Distelmeyer, Jan: Dr., Professor für Geschichte und Theorie der technischen Medien im
Kooperationsstudiengang Europäische Medienwissenschaft der Fachhochschule Potsdam
und Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte bewegen sich zwischen Film und
digitalen Medien. Dabei beschäftigt er sich u. a. mit Perspektiven des Computerspiels, der
Wiederkehr des 3D-Films und das flexible Kino.
Grawinkel, Katja: BA, MA, Studium der Medien- und Kulturwissenschaft an der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf und der Europäischen Medienwissenschaft an der Universität
und Fachhochschule Potsdam. Journalistische Arbeiten für Magazine, Zeitungen, Radio und
Internet. Seit 2008 Zusammenarbeit mit der freien deutsch-schweizerischen Theatergruppe
Schauplatz International.
Hobohm, Hans-Christoph: Prof. Dr., ist seit 1995 Professor für Bibliothekswissenschaft an
der Fachhochschule Potsdam. Nach sozial- und geisteswissenschaftlichen Studien in Köln
und Paris sowie Promotion zu einem Thema der historischen Sozialforschung war er lange
Zeit
Marketingleiter bei einem
Informationsproduzenten.
Einer seiner
Forschungs-
schwerpunkte ist Informationsverhaltensforschung.
Homuth, Franziska: hat Soziologie, Gender Studies und Psychologie an der FU Berlin
studiert, ist Diplom-Soziologin und derzeit akademische Mitarbeiterin an der Fachhochschule
Potsdam im Fachbereich Soziale Arbeit.
Jank, Dagmar: Dr., Professorin im Studiengang Bibliotheksmanagement am Fachbereich
Informationswissenschaften, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit verschiedenen Aspekten
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frauenspezifischer Bibliotheks- und Informationsarbeit. Derzeit arbeitet sie an der Studie
„Frauenspezifische Informationsmittel der ersten Frauenbewegung in Deutschland“.
Kirndörfer, Elisabeth: war während und nach ihrem Master der Soziokulturellen Studien an
der Europa-Universität Viadrina in der migrationspolitischen Arbeit tätig und arbeitet seit April
2011 als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Dr. Birgit Ammann im Fachbereich
Sozialwesen der Fachhochschule Potsdam. Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind
Fragen um Migration und Interkulturalität.
Kitschke,
Dorothea:
hat
Erziehungswissenschaft,
Neuere
Geschichte
und
Literaturwissenschaft in Potsdam und Växjö (Schweden) studiert. Sie arbeitet als
wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FHP und als Dozentin des Netzwerks „Studienqualität
Brandenburg“ im Kontext von Hochschuldidaktik, Forschendem Lernen und Gender
Mainstreaming/Diversity Management.
Kelly, Natasha A.: ist Doktorandin am Institut für Kommunikationswissenschaften der
Universität Münster und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für transdisziplinäre
Geschlechterstudien der Humboldt Universität zu Berlin. Sie ist als Autorin und Journalistin
tätig und seit vielen Jahren in der anti-rassistischen Bewegung aktiv. Im Mai 2012 wurde sie
in den Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen des Berliner Senats als
Repräsentantin der Europäischen Union gewählt.
Kleve, Heiko: Dr., Professor für soziologische und sozialpsychologische Grundlagen und
Fachwissenschaft
Sozialer
Arbeit
am
Fachbereich
Sozialwesen,
beschäftigt
sich
insbesondere mit Theorien und Methoden Sozialer Arbeit und der Sozialwissenschaften aus
systemisch-konstruktivistischer, systemtheoretischer und postmoderner Perspektive; er
arbeitet seit Jahren an einer postmodernen Sozialarbeitstheorie.
Knösel, Peter: Dr., Jurist, Professor für Rechtswissenschaften und Dekan am Fachbereich
Sozialwesen an der FH Potsdam, war als Rechtsanwalt von 1981 bis 2001 tätig.
Schwerpunkte: verschiedene Rechtsgebiete; Forschungsschwerpunkt: Migration.
Mertlitsch, Kirstin: Mag.a, Philosophin, geschäftsführende Leiterin des Zentrums für
Frauen- und Geschlechterstudien sowie Universitätslektorin an der Universität Klagenfurt.
Schwerpunkte u. a.: Gender/ Queer, feministische Studien, Kultur und Konflikt. Dissertation
zum
Thema:
„Sisters,
Cyborgs,
Drags.
Denkfiguren
auf
der
Bühne
des
Geschlechterimaginären.“
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Perko, Gudrun: Mag.a Dr., Philosophin, derzeit Gastprofessorin zu Gender und Diversity an
der Fachhochschule Potsdam. Mediatorin, Mitbegründerin des Instituts „Social Justice und
Diversity“. Schwerpunkte: Gender/Queer, Diversity, Social Justice, Ethik, Kommunikation/
Dialog.
Redemeyer, Angela: M.A., Sozialarbeiterin, arbeitet seit Oktober 2011 in halber Stelle als
akademische Mitarbeiterin von Gudrun Perko an der Fachhochschule Potsdam. Darüber
hinaus ist sie in der Praxis Sozialer Arbeit in einem Obdach für wohnungslose Frauen (auch)
mit psychischen Erkrankungen in Berlin tätig.
Redzewsky, Patricia: Mag.a Genderstudies und Erziehungswissenschaften; Ausbildnerin
und Trainerin für Social Justice und Diversity; Assessorin für Potenzialermittlung in der
beruflichen Orientierung, Mentorin im
Sista Abla Projekt bei
LIFE e.V. Berlin und
examinierte Krankenschwester. Derzeit Lehrbeauftragte an der Alice-Salomon-Hochschule
Berlin (Gesundheits- und Pflegemanagement) und an der Hochschule Neubrandenburg
(Bildung und Erziehung im Kindesalter).
Schmiedt, Marika: Aktivistin, Filmemacherin, bildende Künstlerin. Seit 1999 Recherchen zur
Verfolgung von Roma und Sinti; die Auseinandersetzung mit der Situation der Roma vor und
nach 1945 bildet einen Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit. Tätigkeiten in der Jugendund Erwachsenenbildung.
Schmidt, Andrea: Dr., Professorin für Sozialpädagogik an der FH Potsdam. Einer ihrer
Arbeitsschwerpunkte ist gendersensible Soziale Arbeit. Aktuell arbeitet sie im Rahmen eines
InterFlexProjektes zum Thema Castingshows.
Staats, Hermann: Prof. Dr., Arzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker und
Paar- und Familientherapeut ist Sigmund - Freud Professor für psychoanalytisch orientierte
Entwicklungspsychologie und Leiter des Familienzentrums an der Fachhochschule Potsdam.
Arbeitsschwerpunkte sind Beziehungen in Paaren, Familien und Gruppen, Ergebnisse von
Psychotherapien und Beratungen, Säuglings-Kleinkind-Eltern Therapien und Supervision.
Thürmer-Rohr, Christina: Prof. e. m., Dr. phil., Dipl. Psych., seit 1972 Professorin an der TU
Berlin. Feministin und feministische Theoretikerin der ersten Stunde in der BRD.
Schwerpunkte: feministische Theorie, Menschenrechte, Dialog. Zahlreiche Publikationen.
Mitinitiatorin des „Forum Akazie 3“ (Veranstaltungen, Lesungen, Vorträge, Konzerte in
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Verbindung von philosophischem, politischem und musikalischem Denken).
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