Standard Pruritus

Transcription

Standard Pruritus
Pflegeleitlinie Pruritus (Juckreiz)
Pruritus (Juckreiz)
Vorbemerkungen, begleitende Gedanken
Juckreiz ist eine hautspezifische Empfindung, die eine Abwehrbewegung (z.B. Kratzen)
auslöst. Juckreiz kann so quälend sein kann, dass die Lebensqualität des Patienten
dauerhaft stark eingeschränkt ist.
Starker Juckreiz wird vom Patienten häufig auch als schmerzhaft erlebt.
Der Patient wir von dem starken Wunsch beherrscht “zu kratzen“. Infolge des Kratzens
können Hautläsionen entstehen, die weitere entzündliche Begleiterkrankungen nach sich
ziehen.
Pruritus gehört auf Grund der vielen möglichen Ursachen und nicht immer
zufriedenstellenden Behandlungserfolgen, zu den schwierig zu behandelnden Symptomen.
Bei der Behandlung des Pruritus ist die Ermittlung der möglichen Ursachen oder Auslöser
Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung oder Linderung des Symptoms.
Generell verstärkt sich Juckreiz in der Nacht, bei lokaler Wärmeanwendung und in Kontakt
mit alkoholhaltigen Lösungen.
Leitgedanken im Umgang mit Juckreiz
Der Patient
Zitat einer Patientin:
„Ich wünsche mir Bürsten“
Die Augen möchte ich einzeln herausnehmen
und mit der Zahnbürste bearbeiten,
den Rachen mit der Flaschenbürste
und die Nasenlöcher mit der Bürste für Reagenzgläser,
damit endlich dieses Jucken aufhört........
Ich werde sonst noch verrückt!“
Juckreiz ist für den Patienten schon als isoliertes Symptom sehr belastend, doch verstärkt es
zusätzlich noch das Erleben anderer vorhandener Probleme wie z.B. Unruhe, Angst und
Schlaflosigkeit und gleichzeitig verstärken diese Symptome den Juckreiz.
Meist ist der Patient bereits mit verschiedenen Salben, Pudern oder Medikamenten in
Kontakt gekommen, oftmals ohne den gewünschten lindernden Effekt. Diese negativen
Erfahrungen können sich in sehr unterschiedlichen Gefühlsreaktionen äußern (z.B.
Ohnmacht, Aggression oder Verzweiflung).
Das ständige Empfinden von Juckreiz, verbunden mit dem unsäglichen Wunsch zu kratzen,
kann zum Mittelpunkt des Geschehens beim Patienten werden.
Der Patient spürt sich Selbst oft nicht mehr als Ganzes, sondern fühlt seinen Körper nur
noch auf die juckenden Hautregionen oder Körperteile begrenzt.
Dies kann zum Verlust der eigenen Identität führen, besonders bei Menschen, denen ihr
äußeres Erscheinungsbild sehr wichtig ist.
© DGP Sektion Pflege Stand 10/2004
Pflegeleitlinie Pruritus (Juckreiz)
Die Angehörigen
Permanentes Jucken und Kratzen erzeugen beim Patienten eine hohe Körperanspannung,
die sich nach Außen in körperlicher Agitiertheit zeigt. Die ständige Unruhe, die vom
Patienten ausgeht überträgt sich auf Angehörige und das soziale Umfeld. Zusätzlich löst der
Juckreiz bei Angehörigen, sowie beim behandelnden Team gleichermaßen einen
„Kratzimpuls“ aus, den man selbst bei der theoretischen Bearbeitung des Symptoms
verspürt.
Persönliche Verzweiflung kann zu sanktionierendem Verhalten gegenüber Betroffenen
führen. „ Wenn du jetzt nicht sofort mit dem Kratzen aufhörst, komme ich dich nicht mehr
besuchen.“
Oftmals können Angehörige den Anblick des unruhigen und kratzenden Patienten, sowie den
dadurch bei ihnen erzeugten Leidensdruck nicht mehr ertragen.
Aus der persönlichen Hilflosigkeit wächst Unverständnis gegenüber dem Leid des Patienten,
verbunden mit dem dringenden Wunsch, dass dieses Jucken endlich aufhören möge.
Infolge starken und lang anhaltenden Juckreizes kommt es meist zu Hautdefekten, die
Hautläsionen werden immer wieder blutig aufgekratzt, Kleidung und Bettwäsche sind mit Blut
kontaminiert, für Angehörige ein beängstigender, manchmal ekelerregender Anblick.
Oftmals wissen sie nicht mehr, wo sie den Erkrankten anfassen können, Berührungsängste
entstehen.
Die Pflegenden
Juckreiz als eigenständiges, schwer therapierbares und für den Patienten extrem
belastendes Symptom zu erkennen und anzuerkennen ist Grundvoraussetzung für eine
erfolgreiche medizinisch - pflegerische Behandlung. Wenn der Juckreiz pflegerisch nur als
Begleiterscheinung oder Randsymptom erkannt und in diesem Stellenwert behandelt wird, ist
das Ergebnis immer unzureichend und wird dem hohen Leidensdruck des Patienten nicht
gerecht.
Es gibt für das Symptom Juckreiz pflegerische Maßnahmen, wie z.B. Juckreiz lindernde
Bäder oder spezielle Hautcremes, die kurzzeitig zur Linderung führen. Die generelle
Beseitigung des Juckreizes ist bei Palliativpatienten meist nicht möglich, was dazu führt,
dass Pflegende sich oftmals hilf- und mach(t)los fühlen.
Dennoch dürfen wir uns nicht vom Patienten abwenden, sondern ihm signalisieren das wir
ihn wahrnehmen und begleiten.
Ziele in Bezug auf Pruritus
Der Patient
• erhält medizinische und/oder pflegerische Hilfe zur Linderung bzw. Beseitigung des
Pruritus
• fühlt sich in Bezug auf seinen Pruritus mit seinen Ängsten ernst genommen und nicht
allein.
© DGP Sektion Pflege Stand 10/2004
Pflegeleitlinie Pruritus (Juckreiz)
Die Angehörigen
• lernen zu verstehen, welche Bedeutung der Juckreiz für den Patienten hat
• lernen Verhaltensweisen und praktische Hilfe kennen, um den Patienten mit Juckreiz
unterstützen zu können
• fühlen sich mit ihren negativen Gefühlen wie Ekel und Wut verstanden und haben
Gelegenheit, diese zu äußern.
• lernen die Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung zu erkennen.
Die Pflegenden
• ordnen die Ursache des Juckreizes ein, ( z.B. Hauttrockenheit, Neurodermitis,
Medikamente) und wählen entsprechende medizinisch -pflegerische Maßnahmen aus
• bedenken, dass das Symptom Juckreiz immer auch eine psychische Komponente haben
kann und durch Angst, Depression oder Langeweile erheblich verstärkt wird
• haben Verständnis für die psychische Belastung des Patienten und der Angehörigen
durch den Juckreiz
• erkennen, dass der Juckreiz und evtl. Sekundärinfektionen die Lebensqualität des
Betroffenen deutlich reduzieren kann
• informieren Angehörigen und leiten sie in pflegerischen Entlastungsmaßnahmen an
Ursachen von Juckreiz
Tumorbedingt
• Leukämien
• kutane Lymphome
• Neuroendokrine Tumoren
• Hautmetastasen
Therapiebedingt
• Medikamente (prinzipiell jedes Medikament, insbesondere aber Opioide, Carbamazepin,
Captopril, Neomycin, Antihistaminika, Lokalanästhetika, Hautcremes/- salben)
• Strahlentherapie
Umweltbedingt
• Kontaktallergie auf Seife, Parfüm, Creme, Waschmittel, Gummi, Wolle,
Desinfektionsmittel, Latex(Stomaverschlüsse), Metalle
• Pilzinfektionen
• Zu häufiges Waschen
• Nahrungsmittelallergie
• Überwärmung bewirkt Vasodilatation
• Skabies, Läuse
Stoffwechselbedingt und Sonstiges
• Hyperthyreoidismus
• Cholestase
• Diabetes mell.
• Urämie
• Hyperkalzämie
• Dehydration bewirkt Hauttrockenheit
© DGP Sektion Pflege Stand 10/2004
Pflegeleitlinie Pruritus (Juckreiz)
Psychisch bedingt/verstärkt
• Angst
• Langeweile
• Depression
• (Juckreiz bei umgebenden Personen wirkt ansteckend)
Anamnese zu Pruritus
•
•
•
•
•
•
Wann tritt Juckreiz auf?
Was führt zum Juckreiz(Umstände, Zusammenhänge)?
Häufigkeit? Dauer (Beginn/Ende)? Intensität?
Aussehen der Haut ( Kratzspuren, Läsionen...)
Gab es früher schon Probleme mit der Haut?
Was hat dem Kranken in der Vergangenheit Linderung verschafft?
Pflegerische Maßnahmen
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Kratzen vermeiden, stattdessen leichtes Reiben/Drücken der juckenden Stellen
Baumwollkleidung bevorzugen
Fingernägel kürzen, evt. Baumwollhandschuhe nachts
Überhitzen und Schwitzen vermeiden, verschwitzte Pat. waschen s.u
Keine ausgedehnten, heißen Bäder
Badezusatz mit Olivenöl; Sahne + Honig; Töpferbad; evt. ätherische Öle s.u.; Balneo
Hermal Bad F
Nach dem Bad Haut trocken tupfen, rückfettende/ feuchtigkeitsspendende Creme dünn
auftragen s.u.
Kühlende Verbände (z.B. mit Essigwasser / Retterspitz) oder Kühlung mit Cool- Packs
Statt Seife ph-neutrale Waschzusätze benutzen
Ph-neutrale Cremes evt. mit Ureazusatz dünn auftragen
Zusätzliche unterstützende Maßnahmen
• Ganzkörperwaschung:
• bei fettiger Haut 3 Eßl. Obstessig auf 5l Waschwasser ( Intimbereich aussparen)
• bei trockener Haut:1/2 Becher süße Sahne auf 5l Waschwasser+ ätherisches Öl von
Zitrone oder Rosmarin
• bei verschwitzter Haut Teewaschungen mit Schachtelhalm,Hagebutte, Salbei oder
schwarzem Tee+ Eiswürfeln
Rezept für juckreizstillendes Hautpflegeöl:
Melisse100%
2 gtt
Rose
1 gtt
Lavendel
7 gtt
Teebaum
5 gtt
Römische Kamille
3 gtt
In 70 ml Johanniskrautöl und 30 ml Jojobaöl geben
• Wasser-in-Öl-Emulsion (W/Ö)
• Hautpflege mit Jojobaöl und ätherischem Zitronenöl
• Pflege mit reinen Pflanzenölen wie Linola®-Fett-Salbe
© DGP Sektion Pflege Stand 10/2004
Pflegeleitlinie Pruritus (Juckreiz)
Medizinisch/pflegerische Maßnahmen
• Gabe von Antihistaminika/Antiallergika lokal
> Dimetindenmaleat (Fenestil® Creme)
> Clemastin (Tavegil® Creme)
• Gabe von Antihistaminika/ Antiallergika systemisch
> Loratadin 1x10mg (Lisino®) nicht sedierend
> Dimetindenmaleat 3x1-2mg (Fenestil®) sedierend
> Clemastin 2x1mg (Tavegil®) sedierend
> Promethazin 1-3x25mg (Atosil®) sedierend
> Cetirizin 2x5mg (Zyrtec®) wenig sedierend
> Alimemazin 3x25mg. (Repeltin®)
• Gabe von Kortisoncreme an besonders schwer betroffenen Stellen (nur für kurze Zeit bis
zur Abheilung)
> Diprosone® Salbe
> Ecural® Fettcreme /Salbe
> Volon A Lotio®
• Ggf. systemische Gabe von Steroiden
• Gabe von H2- Rezeptorantagonisten
> Cimetidin 400-1200mg (Tagamet®)
• Gabe von Lipidsenkern bei Cholestase
> Cholestyramin 1-3x1 Btl.(Quantalan 50®)
• Gabe von Setronen
> Ondansetron 2x8mg (Zofran®)
• Gabe von nicht-steroidalen Antiphlogistika zur Reduktion der Prostaglandinsynthese,
bei ulcerierenden juckenden Hautmetastasen:
> Diclofenac 2x75mg (Voltaren® resinat)
• Gabe von Antibiotika bei bakterieller Superinfektion
> Roxithromycin 2x150mg (Rulid®)
• Gallengangsdrainage (invasiver Eingriff)
• Phototherapie mit UVB Strahlen
Literatur
•
•
Aulbert E, Zech D (Hrsg.): Lehrbuch der Palliativmedizin. Stuttgart 1997
BAUSEWEIN C et al.: Leitfaden Palliativmedizin. 2. Aufl., München, Jena 2004
© DGP Sektion Pflege Stand 10/2004

Documents pareils