Blutglukose-Messung in der Apotheke

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Blutglukose-Messung in der Apotheke
 Pharmazie und Medizin · Pharmacie et médecine
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Die AKA informiert über Diabetikerbetreuung
Blutglukose-Messung in der Apotheke
An d rea B o to mi n o, P h il ip p Wa l t e r, Ku rt He rsbe rg e r
Screening-Kampagnen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die Apotheke ein wichtiger Partner bei der Früherkennung von Diabetes sein kann. Die
Blutglukose-Messung ist inzwischen eine wichtige, nicht mehr wegzudenkende Dienstleistung sowohl bei Screening-Aktivitäten als auch bei der Betreuung von Diabetespatienten. Der folgende Artikel geht auf praxisbezogene
Aspekte bei der Blutglukose-Messung in der Apotheke ein.
Für viele Patienten ist die Apotheke die
erste Anlaufstelle, so auch für Patienten
mit Diabetes, womit der Apotheke eine
bedeutende Rolle beim Diabetes-Management zukommt, sei es bei der Früherkennung oder bei der Betreuung diagnostizierter Diabetespatienten. Kommt es
bei der Untersuchung zu auffälligen Werten, kann der Patient an den Arzt verwiesen werden. Unbestritten ist, dass die
Diagnosestellung dem Arzt vorbehalten
ist.
Beeinflussende Faktoren und Fehler quellen bei der Blutglukose-Messung
In der Apotheke werden die BlutglukoseMessungen mit Blutzucker-Überwachungssystemen durchgeführt, die für die
Blutzucker-Selbstkontrolle durch die Patienten vorgesehen sind. Die modernen
Blutzucker-Überwachungssysteme verwenden ein elektrochemisches Messsystem. Sogenannte «Biosensoren» können eine enzymatische Reaktion (mit
Glukosedehydrogenase) in ein elektronisch verwertbares Signal umwandeln,
welches proportional zur Glukosekonzentration ist.
Als Probenmaterial dient Kapillarblut,
welches in der Regel aus der Fingerkuppe
gewonnen wird. Messungen in externen
Fachlabors und im ärztlichen Praxislabor
basieren dagegen auf venösem Blut. Entsprechend muss bei der Messung mit
Kapillarblut in der Apotheke Folgendes
berücksichtigt werden: Im Kapillarblut,
einem Gemisch aus arteriellem und venösem Blut, werden postprandiale Spitzen
deutlicher erkennbar als im venösen Blut.
Die Unterschiede zwischen kapillär und
venös können bis zu 2 mmol/l betragen.
Bei der Messung in nüchternem Zustand
ist der Unterschied unbedeutend.
Die Messgeräte in der Arztpraxis, in
externen Fachlabors und inzwischen auch
alle auf dem Schweizer Markt erhältlichen Blutzucker-Selbstkontrollgeräte
werden auf Plasmawerte kalibriert, d. h.
sie sind «plasmareferenziert». Das ermöglicht direkte Vergleiche der Resultate,
währenddem früher die Selbstmessgeräte
auf Vollblut kalibriert waren und im Vergleich zu plasmareferenzierten Geräten
ca. 12 Prozent tiefere Werte anzeigten.
Das Resultat der Blutzucker-Messung
kann durch diverse Substanzen in hohen
Dosen beeinflusst werden. Das Ausmass
der Beeinflussung ist gerätespezifisch;
entsprechende Informationen zur Interferenz mit z. B. Acetylsalicylsäure, Ascorbinsäure, Paracetamol und diversen Zuckerarten können den Packungsbeilagen
entnommen werden.
Zudem muss bedacht werden, dass
sowohl die Richtigkeit (Abweichung zum
Wert einer Referenzmethode) als auch die
Reproduzierbarkeit zur Abweichung vom
wahren Wert von insgesamt über 10 Prozent beitragen können. Die Richtigkeitsund Präzisionsparameter sind der Packungsbeilage zu entnehmen. In der Praxis soll bei der Beurteilung der Messungen
etwa 10 Prozent Abweichung miteingerechnet werden.
Für die Qualitätskontrolle der Blutzuckermessgeräte stellen die Hersteller
Kontrolllösungen zur Verfügung. Sofern
die Apotheke selbst Messungen anbietet,
sollte sie an Ringversuchen zur externen
Qualitätskontrolle teilnehmen. (z. B. www.
mqzh.ch oder www.cscq.ch).
Blutentnahme
Die Blutentnahme an der Fingerkuppe ist
prinzipiell schmerzhaft. Da sich in der
Mitte der Fingerkuppe am meisten Nervenenden befinden, sollte der Einstich
seitlich erfolgen. Zuvor müssen die Hände gewaschen werden. Für die Selbstmessung ist die Desinfektion der Einstichstelle nicht zwingend; falls Alkohol
eingesetzt wird, muss dieser vor dem
Abb. 1: Blutglukose-Grenzwerte für die Diabetes-Diagnostik (plasma-referenzierte Blutglukose-Werte in mmol/l)
Nüchtern (8 Std. nichts gegessen / getrunken ausser Wasser):
0,6

3,5

5,6

7,0


33,3

33,3
Postprandial (2 Std. nach dem Essen):
0,6

4,5

Hypoglykämie (Unterzuckerung)
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
Normalglykämie


7,8
Gestörter Glukose-Stoffwechsel


11,1
Diabetes
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Einstich vollständig verdunstet sein (mindestens 30 Sekunden zuwarten). Bei der
Messung in der Apotheke muss das Infektionsrisiko durch die Desinfektion der
Einstichstelle mit Alkohol und einer
Stechhilfe für den professionellen Einsatz
minimiert werden.
Alternative Messstellen sind Handund Daumenballen, Ohrläppchen, Oberund Unterarm. Hierbei ist zu beachten,
dass an schlecht durchbluteten Messstellen (z. B. am Unterarm) rasche Blutzuckeränderungen (z. B. postprandial, nach
körperlicher Aktivität oder nach Insulininjektion) verzögert beobachtet werden.
Nach der Punktion soll ein frisch
gebildeter Blutstropfen rasch für die Messung genutzt werden. Bei einer Zeitdifferenz >15 Sekunden zwischen Punktion
und Messung soll mit einem Tupfer abgewischt und der frisch gebildete Bluttropfen verwendet werden.
Sofern die Fingerkuppe unzureichend durchblutet ist, sollte unbedingt
vermieden werden, durch Drücken an der
Fingerkuppe Blut auszupressen. Dies
Tab. 1: Häufige Fehlerquellen bei
der Blutglukose-Messung
R abgelaufene Sensoren oder der maximale
Zeitraum seit dem ersten Öffnen der Dose
überschritten
R Aufbewahrung der Sensoren ausserhalb der
Originaldose
R Sensorendose nicht sofort wieder
verschlossen
R falsche Codierung des Gerätes bei
nicht-automatisch codierten Geräten
R falsche Lagerung der Sensoren (z. B. längere
Zeit ausserhalb 15–30 °C)
R starkes Pressen bei der Blutgewinnung
R schmutzige Hände (nicht gewaschen)
R Alkohol/Desinfektionsmittel nicht
vollständig verdunstet
R zu langes Warten bis zum Aufsaugen des
Blutstropfens
führt zu nicht repräsentativen Proben mit
in der Regel zu niedrigen Werten. Erlaubt
ist die Förderung der Durchblutung durch
Massieren der Handinnenfläche und
leichtes Stauen nur am ersten Fingerglied.
Häufige Fehler bei der BlutglukoseMessung sind in Tab. 1 zusammengefasst.
Screening nach Typ-2-Diabetes in
der Apotheke
Für das Diabetes-Screening in der Apotheke können die in Abb. 1 angegebenen
Grenzwerte als Richtlinie für die Weiterleitung an den Arzt gelten. Blutglukosewerte im Grenzbereich zwischen den
physiologischen Referenzwerten und
dem Grenzwert für die Diabetesdiagnose
sollten in der Apothekenpraxis durch eine
erneute Messung der Nüchtern-Blutglukose überprüft werden. Bei der Beurteilung sollen stets auch die übrigen Risikofaktoren (Blutdruck, Übergewicht, Rauchen, Bewegungsmangel, familiäres Risiko) berücksichtigt werden. Da in der
Apotheke diese Messungen meistens mit
den für die Blutglukose-Selbstkontrolle
gedachten Geräten erfolgen, ist stets Vorsicht geboten bei der voreiligen Interpretation eines Messwertes.
Blutzucker-Messung zur
Therapiekontrolle
Eine physiologische Stoffwechseleinstellung kann präventiv das Risiko für Komplikationen vermindern und die Progredienz in allen Krankheitsstadien verlangsamen. Eine Rückbildung von diabetesbedingten Funktionsstörungen bzw.
Organschäden gelingt dagegen – wenn
überhaupt – nur in den Frühstadien.
Therapieziele werden üblicherweise vom
Arzt in Absprache mit dem Patienten individuell festgelegt. Die Kenntnis dieser
Therapieziele ist auch für den Apotheker
eine zentrale Voraussetzung, um Diabeti-
Tab. 2: Therapieziele beim Diabetes mellitus
Parameter
Zielwerte
(Kapillarblut, plasmareferenziert)
1
American Diabetes Association 2009
2
Deutsche Diabetesgesellschaft, aktualisierte Leitlinie 2007
Blutglukose nüchtern
3.9–7.2 mmol/l 1
Blutglukose postprandial
<10.0 mmol/l 1
Blutglukose vor dem Schlafen
6.8–8.6 mmol/l 2
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ker betreuen zu können. Allgemeine Therapieziele sind:
R gute Lebensqualität
R Symptomfreiheit
R Vermeidung akuter diabetes- und
therapiebedingter Stoffwechsel­
entgleisungen
R Vermeidung diabetischer Folgeschäden
R möglichst hohe Lebenserwartung
Für die Erkennung kurzfristiger Schwankungen und postprandialer Spitzen sind
Glukosebestimmungen erforderlich. In
Tab. 2 sind die Zielwerte aufgeführt, welche nach Möglichkeit eingehalten werde
sollen. Die relevante Messgrösse für die
Beurteilung der Therapie ist das glykierte
Hämoglobin (HbA1c).
Die durchschnittlichen BlutglukoseMesswerte vermitteln eine grobe Orientierungshilfe: Liegt der Durchschnitt der
Selbstmessungen über 10 mmol/l (HbA1c
ist dann >7%) soll der Arzt informiert
werden; bei Durchschnittswerten über
12mmol/l (HbA1c >8%) ist eine Rücksprache mit dem Arzt erforderlich. Jüngere Diabetiker (<60–65 Jahre) sollten auf
(nahezu) normalen Glukosestoffwechsel
eingestellt werden. Bei Diabetikern >65
Jahre kann eine mässig hyperglykämische
Einstellung (HbA1c 7-8%) toleriert werden, da die Vermeidung therapiebedingter
Symptome gegenüber der Prävention von
Folgeschäden in den Vordergrund rückt.
Häufig sieht man in der Praxis abweichende Messwerte und es stellt sich
die Frage nach der Dringlichkeit einer
Intervention. Sofern nur Einzelwerte ausserhalb des Ziels liegen und kein Hinweis
auf eine Entgleisung des Stoffwechsels
besteht (vgl. Tab. 3), reicht eine engmaschige Blutglukosemessung. Bei wiederholten Abweichungen sollen zusätzlich
die Medikamenteneinnahme, die körperlichen Aktivitäten und die Nahrungsaufnahme protokolliert werden. Sofern Werte über 15 mmol/l beobachtet werden,
soll der Urin auf Keton getestet werden.
Zudem gilt es, die Symptome einer Ketoazidose zu beachten und bei akuter
Entgleisung des Stoffwechsels unverzüglich ärztliche Hilfe zu beanspruchen.
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Fazit
Literatur auf Anfrage
Blutglukose-Messungen sind als nicht
mehr wegzudenkende Dienstleistung in
den öffentlichen Apotheken etabliert. Sowohl bei Screening-Aktivitäten als auch
bei der Therapiebegleitung von Diabetes­
patienten nimmt die Apotheke im Sinne
des Pharmaceutical-Care-Konzeptes eine
wichtige Funktion wahr.
Bei der Beratung rund um die Blutzuckermessung müssen die Grenzen der
Methoden (Abweichungen in der Grössenordnung von 10% sind möglich) und
die möglichen Fehlerquellen beachtet
werden.
z
Referenzen
American Diabetes Association (ADA) (2009): Standards of
Medical Care in Diabetes. Diabetes Care 32: S13–S61,
Deutsche Diabetesgesellschaft, evidenzbasierten Leitlinien
frei zugänglich auf http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/redaktion/mitteilungen/leitlinien/leitlinien.php
Hersberger KE, Botomino A, Mancini M, Bruppacher R.
Sequential screening for diabetes – evaluation of a campaign in Swiss community pharmacies. Pharm World Sci
2006, 28 (3): 171–179
Gerdemann A. Blutzuckerkontrolle in der Apotheke.
Diabetes-Forum 11/2008: S. 25–29
Engler H., Riesen W.F. Was gilt es bei der Therapiekontrolle
des Diabetes im Praxislabor zu beachten? Hausarzt Praxis
2009: S. 22–24
Plasma-kalibrierte Blutzucker-Messsysteme: Grössere
Genauigkeit und Klarheit in der Anwendung. Cardiovasc
2005: S. 62–63
Dieser Artikel wurde im Auftrag der AKA geschrieben von:
Dr. Andrea Botomino, Bayer (Schweiz) AG, Diabetes Care,
Zürich, Philipp Walter, dipl. pharm. Laborspezialist FAMH,
PD Dr. Kurt Hersberger, Pharmaceutical Care Research Group,
Institut für klinische Pharmazie, Universität Basel.
Korrespondenzadresse
Arzneimittelkommission der Schweizer Apotheker AKA
Postfach 5247
3001 Bern
Tel. 044 994 75 63
Fax 044 994 75 64
E-Mail: [email protected]
Tab. 3: Stoffwechselentgleisung bei Diabetikern
Insulinmangel
Insulinüberangebot
R Ketoazidose
R Hypoglykämischer Schock
Verlauf
langsame Entwicklung
schnell, innert Minuten
Anzeichen
Polyurie, Durst, Schwäche, Hypotonie bis
Heisshunger, Schweissausbruch
zum Kreislaufkollaps, Appetitlosigkeit,
Unruhe, Zittern, Tachykardie, Übelkeit,
Erbrechen, Oberbauchschmerzen,
Sprach- und Sehstörungen, unange-
Somnolenz, «Kussmaul-Atmung» mit
messener Affekt
Acetongeruch
hypoglykämischer Schock mit
apathische Stimmung
Krämpfen
Ambulanz! Notfallarzt
leichte Hypoglykämie: 4–8 Würfel
Therapie
Zucker, dann 1–2 BE Brot
Hypoglykämie mit Bewusstlosigkeit:
Glucagon-Fertigspritze i. m. durch
Angehörige
Merke
Eine Insulin-Einheit senkt den Blutzucker
10 Gramm Glukose erhöhen den
um ca. 2 mmol/l
Blutzucker um ca. 2 mmol/l
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