Keine Angst vorm „blauen Blut“

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Keine Angst vorm „blauen Blut“
Adelige Umgangsformen heute
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Keine Angst vorm „blauen Blut“: Diese
Umgangsformen gelten in Adelskreisen
besonderes Wissen, um sich in aristokratischen Kreisen zu bewegen? Lesen Sie,
wie Sie im 21. Jahrhundert angemessen mit adeligen Titelträgern umgehen: weder
ignorant noch unterwürfig.
Tipps & Trends
Welche Bedeutung hat der Adel heute? Ist er ein Relikt vergan Darum geht es: gener Epochen? Benötigen Sie spezielle Umgangsformen oder
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Ihr Experten-Team:
Agnes Anna Jarosch und Horst Arnold
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Agnes Anna Jarosch ist Chefredakteurin von „Der große Knigge“, Buchautorin und zertifizierter Coach. Sie
leitet den „Deutschen Knigge-Rat“, schult deutschlandweit Führungs- und Nachwuchskräfte und wird
überregional in den deutschen Medien zitiert (Print,
Rundfunk, Fernsehen). Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Horst Arnold, Protokollchef der
Bundespräsidenten von 1974 bis 2001.
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Adel und Adelstitel sind längst
abgeschafft: Stimmt das?
Wüssten Sie auf Anhieb, wie Sie sich zu verhalten haben,
wenn Sie es bei einem Small Talk mit einer Gräfin, einem
Freiherrn oder einer Frau von Exempel zu Musterberg zu
tun hätten? Falls nicht, befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Die meisten Menschen sind unsicher, wie sie Adelige korrekt ansprechen und sich parkettsicher in Adelskreisen bewegen.
Keine Vorrechte mehr
Häufig bekomme ich zu hören, dass Adel und Adelstitel
längst abgeschafft seien. Diese Aussage ist so nicht richtig.
Korrekt ist: Artikel 109 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 hebt öffentliche Vorrechte
der Geburt auf und bestimmt, dass Adelsbezeichnungen
nur noch als Teil des Namens gelten und nicht mehr verliehen werden dürfen.
„Hoheit“ und „Durchlaucht“
Nach diesen Bestimmungen sind Anreden wie „Königliche Hoheit“ oder „Durchlaucht“, die den Angehörigen
adeliger Familien vor 1919 zustanden, fortgefallen.
Die den Namen vorangestellten Abkürzungen, zum Beispiel S. K. H./I. K. H. (Seiner Königlichen Hoheit/Ihrer Königlichen Hoheit) sind ebenfalls entfallen.
Diese Anreden sind nur dann zu berücksichtigen, wenn
Verwandtschaften zu regierenden Adelshäusern im Ausland bestehen. Außerdem werden diese Kürzel im privaten
Schriftverkehr sowie beim gesellschaftlichen Umgang in
Adelskreisen immer noch gepflegt und verwendet.
hinweis: Welchem Mitglied eines Adelshauses welcher
Titel zukommt, ist auch für Kundige nur aus dem jeweiligen Abschnitt des Genealogischen Handbuchs des Adels
zu ersehen.
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Adelige Abkürzungen und ihre Bedeutung
I. H.
Ihrer Hochwohlgeboren
S. H. u. I. H.
Seiner Hochwohlgeboren und Ihrer Hochwohlgeboren oder
S. I. H. H.
Seiner und Ihrer Hochwohlgeboren/-en
S. E.
Seiner Erlaucht
I. E.
Ihrer Erlaucht
S. D.
Seiner Durchlaucht
I. D.
Ihrer Durchlaucht
S. K. H.
Seiner Königlichen Hoheit
I. K. H.
Ihrer Königlichen Hoheit
S. K. K. H.
Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit
Faszination für Herrscherhäuser
und blaues Blut
Trotz Weimarer Verfassung: Heute, ein knappes Jahrhundert später, ist die Begegnung mit einer blaublütigen
Persönlichkeit für viele Normalbürger immer noch ein besonderes Ereignis.
Es bleibt dabei, dass viele Menschen auch heute noch fasziniert sind von den Stammbäumen und Wappen, der Tradition und den Umgangsformen.
Dem Adel ist es also weitgehend gelungen – Gesetze hin
oder her –, die „Aura des Blaublütigen“ als markantes
Merkmal zu bewahren – Ausnahmen und Negativbeispiele aus der Presse bestätigen diese Regel. Die besondere
Aura wird gepflegt durch die Formen des Umgangs, die
Einstellung und den adeligen Ehrenkodex.
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So bewegen Sie sich auch in Adelskreisen parkettsicher
Viele Menschen sind schlecht informiert und unsicher: Sie
verhalten sich gegenüber Titelträgern entweder ignorant
oder unterwürfig. Doch das sollte heute passé sein: Treten
Sie in aristokratischen Kreisen respektvoll und angemessen, aber auch partnerschaftlich und selbstbewusst auf.
Lesen Sie, wie Ihnen das gelingt.
1. Gut informiert ist halb gewonnen
Adelige fühlen sich der eigenen Historie, Tradition und Kultur überdurchschnittlich verpflichtet. Aus diesem Grund
machen auch Sie eine gute Figur, wenn Sie über einige
wesentliche kulturelle und historische Besonderheiten des
Adels informiert sind.
Königliches Blut und besondere Verdienste
Adelig war/wurde, wer königliches Blut an sich besaß
oder den Adelstitel vom König oder von einem anderen
Adeligen verliehen bekam – meistens für besondere Verdienste, militärische Siege oder aus Gunst. Später wurden
in Deutschland auch Beamte und Juristen in den Adelsstand erhoben.
Stand durch Geburt
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Alle Gruppen dienten dem Oberhaupt, das seinen Thron
von Gottes Gnaden erhielt. Den Adelsstand bot der König/Kaiser an, um Gefolgsleute enger an seine Macht
zu binden, sie zu belohnen und durch Landgabe abzusichern, denn mit dem Landbesitz waren Einnahmen
verbunden. Die Adeligen schworen dem König Treue bei
Gott. Das nannte man die Ständegesellschaft: Jeder hatte
seinen festen Platz, den die Nachkommen automatisch
übernahmen. Den Stand aus eigener Kraft zu wechseln,
war nahezu unmöglich.
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Welche Bedeutung hat welcher Adelstitel?
Kaiser und Könige gibt es in Deutschland nicht mehr, aber
die folgenden Adelsbezeichnungen:
Herzogin/Herzog
Der Herzog (altdeutsch „herizogo“ – der, der vor dem
Heer zieht) stand unter dem Kaiser/König und gehörte wie
er zur Fürstengruppe. Ursprünglich war der Herzog ein erwählter germanischer Heerführer, in Frankreich wurde er
später zum Mittler zwischen dem König und den Grafen.
Auf deutschem Boden gab es bis zur Weimarer Verfassung etliche Herzog- und Großherzogtümer, die auch das
Recht hatten zu adeln.
Fürstin/Fürst
Der einfache Fürst gehört auch zur Gruppe der Fürsten und
steht rangmäßig über dem Grafen und dem Prinzen, aber
unter dem Herzog. Der Begriff ist abgeleitet von „furisto“,
der althochdeutschen Bezeichnung für den Führer eines
politischen Verbandes. Es gab geistliche (Erzbischöfe,
Bischöfe) und weltliche Fürsten (Mark- und Pfalzgrafen,
Kurfürsten), die den Kaiser wählten. Fürstenhäuser gibt es
in Deutschland noch – aber keine regierenden mehr.
Prinzessin/Prinz
Als Prinzessin oder Prinz wurden in Deutschland die
standesgemäßen Nachkommen eines Fürsten, Königs
oder Herzogs bezeichnet. Nahm der Prinz als Nachfolger
seinen Platz ein, ging der Fürstentitel des Vaters auf ihn
über.
Gräfin/Graf
Der Graf war ursprünglich mit dem Fürsten gleichgestellt,
wurde diesem aber später untergeordnet. Er war Amtsträger eines Königs oder Fürsten, besaß Land und hatte
besondere Vorrechte. Sein Verwaltungsbezirk hieß Grafwww.stil.de
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schaft, der Adelstitel wurde später jedoch auch ohne ein
Amt verliehen. Grafen gehörten zum niederen Hochadel.
Freifrau/Freiherr und Baronin/Baron
Freiherren gehörten im Mittelalter genau wie Ritter und
Edle zum niederen Adel. Der Freiherr war ursprünglich
– etwa im Gegensatz zum abhängigen Bauern – ein freier
Mann. Der Titel „Baron“ entspricht dem des „Freiherrn“.
Dieser Titel wurde außerhalb von Deutschland verliehen,
zum Beispiel im Baltikum.
„Baron“ und „Freiherr“ sind nicht beliebig
austauschbar
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Ein Freiherr wird häufig als Baron bezeichnet. Das ist
allerdings nicht korrekt. Seit der Weimarer Verfassung gelten adelige Anreden wie Freiherr oder Baron
als Namensbestandteile. Das bedeutet: Ein Anrecht auf
die Anrede „Baron“ besteht heutzutage, sofern der Namensbestandteil „Baron“ im Pass vermerkt ist. Das ist
bei Freiherren in der Regel nicht der Fall. Baron und
Freiherr können heutzutage, wenn man es genau nimmt
und sich an die Regeln hält, nicht wie Synonyme ausgetauscht werden.
Ritter und Edle
Ritter und Edle standen zwischen dem titulierten und
dem untitulierten Adel. Ritter waren die adeligen Gefolgsleute und Kriegsdiener des Hochadels. Erfüllte man die
sittlichen und militärischen Maßstäbe, konnte man vom
Herrscher oder von einem anderen Adeligen zum Ritter
erhoben werden. Als Edle bezeichnete man vor allem in
Süddeutschland und in Österreich einen Adelsstand, der
unter dem Freiherrn/Baron, aber über dem untitulierten
Adel stand.
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Untitulierter Adel
Diese Gruppe ist die größte. Sie besteht aus den Familien
des Niederadels, die nur ein „von“ oder ein „von und zu“
in ihrem Namen haben. Es kann auch sein, dass Adelsfamilien gar kein Adelszeichen führen.
Warum wird das adelige „von“ mit „v.“
abgekürzt?
Vielleicht fällt Ihnen auf, dass Adelige das „von“ in
ihrem Namen in der Regel mit „v.“ abkürzen. Das hat
geschichtliche Gründe: In der preußischen Armee kam
es im 19. Jahrhundert immer öfter vor, dass Nichtadelige den Offiziersrang erreichten. Häufig waren es Friesen oder Holländer, deren „van“ im Namen in ein „von“
abgeändert wurde. Um die Unterscheidung – adelig
oder nicht – zu ermöglichen, einigten sich die Adeligen
in der norddeutschen Region darauf, ihre Namen mit
einem „v.“ abzukürzen. Heute gilt die seit 1919 verwendete Form als verbindlich.
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Adel versus Bürgertum – auch heute noch?
Lange Zeit waren Hochzeiten zwischen Hochadel und niedrigem Adel oder einfachen Landsleuten ausgeschlossen.
Eheschließungen hatten die Aufgabe, die Macht und den
Einfluss des eigenen Familienstamms zu mehren. Außerdem glaubte man früher, dass das Blut eine göttliche Kraft
hätte und geschwächt würde, wenn man unadelig oder unterhalb seines Standes heiratete. Man blieb unter sich und
kommunizierte nur mit seinesgleichen auf einer Augenhöhe.
Gleich und gleich gesellt sich gern
Auch heute heiraten Adelige sehr oft untereinander. Das
hat in den meisten Fällen nichts mit Hochmut zu tun,
sondern mit dem Bekanntenkreis oder mit den ähnlichen
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Wertevorstellungen und Interessen. Ein Metzger wird
heutzutage schließlich auch kaum etwas dagegen haben,
wenn seine Tochter einen fleißigen Berufskollegen heiratet. Heutzutage steht selbstverständlich auch in regierenden Königs- und Fürstenhäusern die Liebe an erster Stelle,
wenn es um die Eheschließung geht.
Vererbung von Adelstiteln früher und heute
Während der Monarchie wurde der volle Familienname
samt Adelstiteln vom Vater auf das ehelich gezeugte Kind
übertragen. Uneheliche Kinder und Adoptivkinder erhielten
nur den Familiennamen, aber keinen adeligen Rang. Heutzutage zählen Adelstitel als Namensbestandteile und werden auch auf Adoptiv- und uneheliche Kinder übertragen.
Entspannter Umgang
Im Großen und Ganzen ist der Umgang mit dem Adel
heutzutage entspannt. Lediglich in regierenden Königsund Fürstenhäusern ist bei offiziellen Anlässen ein mehr
oder weniger strenges Protokoll zu befolgen.
Etikette im englischen Königshaus –
Begegnungen mit der Royal Family
Sollten Sie einmal die große Ehre haben, einem Mitglied der Royal Family zu begegnen oder vielleicht
eine Einladung zu einem der zahlreichen Anlässe zu
erhalten, bei denen auch die Queen oder eines ihrer Familienmitglieder anwesend ist, gelten strenge Etikettevorschriften:
 Die Damen machen bei der Begrüßung während
des Händereichens einen leichten Knicks (nicht
übertreiben).
 Die Herren verbeugen sich leicht mit dem Kopf, machen jedoch keinen Diener aus der Hüfte.
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 Bei der ersten Begrüßung sprechen Sie die Queen mit
„Her Majesty“ an, die Familienmitglieder mit „Your
Royal Highness“. Im weiteren Gesprächsverlauf wird
lediglich das „Ma’am“ oder das „Sir“ verwendet.
 Ändern Sie nicht das Thema, das von einem Mitglied
der königlichen Familie begonnen wurde.
 Es ist unhöflich, eine Party vor der Queen zu verlassen, es sei denn, Sie haben wichtige Gründe.
In Deutschland gibt es keine regierenden Adelshäuser
und kein strenges Hofprotokoll mehr. Im Umgang mit
deutschen Adeligen genügt es, wenn Sie Ihre gewohnt
guten Umgangsformen an den Tag legen.
2. Gehen Sie sorgsam mit Titeln
und Formen um
Alle Menschen wissen es zu schätzen, wenn man ihren
Namen richtig ausspricht und eine korrekte Anrede wählt.
Die wenigsten wissen jedoch ad hoc, wie man Adelige
richtig anspricht: „Herr Graf“ oder einfach nur „Herr von
Beispielshausen“?
„Herr Graf“ sagten früher nur die Bediensteten, deswegen
ist diese Ansprache nicht empfehlenswert. Da der „Graf“
jedoch seit der Weimarer Verfassung ein Namensbestandteil ist, wäre streng genommen die Anrede „Herr Graf von
Beispielshausen“ korrekt. Doch das sagt niemand; stattdessen hat es sich eingebürgert, den Zusatz „Herr“ oder
„Frau“ wegzulassen. Da die Anredeformen „Herr Baron“
oder „Frau Gräfin“ für das Dienstpersonal reserviert waren, sind diese Anreden heute üblich:
 Graf: Graf (von) Beispielshausen
 Freifrau: Frau (von) Beispiel
 Baron: Baron (von) Exempel
 Herzogin: Herzogin (von) Musterreich
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Mit „von“ oder ohne?
Das „von“ oder das „von und zu“ kann wegfallen, wenn Sie
Barone, Herzoginnen oder Grafen mündlich oder schriftlich ansprechen, zum Beispiel: Gräfin von Beispielshausen
oder Gräfin Beispielshausen.
Untitulierte Adelige
Untitulierte Adelige, beispielsweise „Hans von Muster“,
sprechen Sie mit „Herr von Muster“ an. Auch viele titulierte Adelige wählen diese simple Anrede für sich und
verzichten im Gespräch auf ihren Titel. Ihnen genügt die
Anrede „Herr von Beispielshausen“ statt „Graf (von) Beispielshausen“. Bitte beachten Sie: Auf das „von“ nach dem
„Herrn“ sollten Sie in diesem Fall jedoch nicht verzichten!
mein tipp: Sollten Sie unsicher sein, wie jemand angesprochen werden will, fragen Sie nach. Das ist weder
ein Fauxpas noch eine Schande.
Das Problem mit dem Understatement
Viele Adelige legen Wert auf Understatement und stellen
sich selbst ohne Adelstitel vor. Sie wollen niemanden mit
ihrem Namen beeindrucken oder gar einschüchtern. Graf
von Beispielshausen würde sich beispielsweise bescheiden
als „Bernd (von) Beispielshausen“ vorstellen – nach dem
Motto: Man rühmt sich nicht selbst.
In Adelskreisen geht man außerdem davon aus, dass spätestens bei der Namensnennung klar ist, mit wem man es zu tun
hat. Schließlich kennt man sich, ist über einige Ecken miteinander verwandt und deswegen häufig auch per Du.
Die korrekte Vorstellung ist wichtig
Achten Sie nichtsdestotrotz darauf, dass Sie Titelträger
immer korrekt mit ihrem ganzen Namen samt Titel vor
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stellen, damit sie auch von neuen Bekanntschaften korrekt
angesprochen werden.
Wissen Sie nicht, dass jemand adelig ist, muss Ihnen das
nicht peinlich sein, und Sie brauchen sich auch nicht zu
entschuldigen. Reden Sie Ihr Gegenüber korrekt mit Titel
an, sobald Sie davon erfahren.
Was bedeutet „ohne Tritt“?
Bewegen Sie sich als Nichtadeliger in konservativ-adeligen Kreisen, kann bei der Vorstellung der Zusatz „Berta
Beispiel, ohne Tritt“ sinnvoll sein. Ihre neue Bekanntschaft weiß dann, dass Sie keinen Adelstitel haben und
dass sie Sie mit „Frau Beispiel“ richtig anspricht.
Keine Angst vor Fehlern
Johannes Baron von Mirbach schreibt in dem Büchlein
„Adelsnamen, Adelstitel“, dass niemand von seinem Gegenüber die historisch richtige Anrede verlangen, kann:
„Es kann nicht der Sinn unserer traditionsreichen FORMEN sein, dass diese zwischen uns Barrieren aufbauen,
nur weil wir Angst haben, durch einen Fehler in Form und
Anrede als ‚formlos‘ aufzufallen. Wir müssen uns den lebendigen Kontakt untereinander erhalten, wir müssen uns
möglichst oft begegnen, wir müssen unsere Kinder in die
Gemeinschaft hineinwachsen lassen, und diesen Zielen
dürfen unsere FORMEN nicht im Wege stehen.“
Diese Ansicht teilt auch „Der große Knigge“. Ob ein
Adeliger eher moderne oder klassische Anreden und Umgangsformen pflegt, können Sie nicht erahnen. Folgende
Indizien helfen Ihnen bei der Einschätzung:
Alter: Je älter eine adelige Person, desto eher ist sie konservative Umgangsformen und Anreden gewohnt.
Religion: Der katholische Adel pflegt alles in allem eine
strengere Etikette als der protestantische.
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Region: In Norddeutschland sowie in Großstädten ist die
Vorherrschaft des Adels im Gegensatz zu Süddeutschland
und ländlichen Regionen relativiert.
Gesellschaftliche Position: Adelige, die sich als Aristokraten (Elite – „Herrschaft der Besten“) in politischen und
wirtschaftlichen Führungs- und Entscheiderrollen verstehen, denken unter Umständen eher hierarchisch als Adelige, die normale „bürgerliche“ Berufe (Journalist, Architekt, Floristin etc.) ergreifen.
3. Bleiben Sie Sie selbst
Müssen Sie sich gegenüber adeligen Menschen anders verhalten als sonst? Die Antwort muss Nein lauten, schließlich sind Adelige auch nur Menschen – wie Sie und ich.
Diese Meinung teilen auch viele Titelträger.
Was zeichnet den Adel heute aus?
„Was kannst du als Adeliger mir zum Adel sagen, wie
benimmt man sich mit Adeligen, was würdest du mir
raten?“ Ich rief einen netten Bekannten an, der als Autor über das Schicksal seiner uralten adeligen Familie
von sich hatte reden machen. Er ist originell, witzig,
wortgewandt, gebildet, er hat viel Erfolg, wird zu allem Möglichen im Fernsehen befragt, sitzt in Talkshows neben Rappern, kommt mit allen Leuten klar,
hat in internationalen Gremien gearbeitet, alle sagen,
er sei charmant – vor allem: Er sagt mir die Wahrheit.
Seine Antwort: „Adel, meine Liebe, das ist nur noch
eine Erinnerung. Adel ist in den besten Fällen Talent,
ansonsten, wenn Adelige gut geraten sind, nehmen sie
sich nicht wichtig.“
Doch auch wenn Ihr adeliger Gesprächspartner sich selbst
nicht zu wichtig nimmt, sollten Sie ihn wichtig genug neh
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men. So ist zum Beispiel die korrekte Anrede für jeden
Menschen ein Zeichen des Respekts. Und auf solche Zeichen des Respekts wiederum legen viele Adelige besonderen Wert. Für sie sind Manieren und Umgangsformen kein
steifes Korsett, sondern eine sinnvolle, bewahrenswerte
Hilfe im täglichen Alltag. Nicht Egoismus oder die eigene
Bequemlichkeit bestimmen ihr Handeln, sondern die Achtung vor dem anderen, vor Ihnen. Wenn es also eine Regel
im Umgang mit Adeligen gibt, so lautet sie: Verhalten Sie
sich wie immer. Denn: Sie sind, was Sie sind, ganz gleich
wer Ihnen gegenübersteht.
Welche Werte sind Ihnen wichtig?
Viele Adelige verfolgen heute nach wie vor das Ziel,
selbstlos zum Wohle der Familie und der Gesellschaft
Verantwortung zu übernehmen und sich für christliche
oder humanistische Ideale einzusetzen. Im 18. Jahrhundert schrieb der englische Staatsphilosoph Edmund Burke: „Der König kann einen Mann in den Adelsstand erheben, einen Gentleman kann er nicht aus ihm machen.“
Für Normalbürger gilt im Gegensatz dazu: Heute wird
niemand mehr in den Adelsstand erhoben, doch nobel und
ehrenhaft kann jeder sein. Mit einem solchen Ziel kommen wir auch den „adeligen Tugenden“, dem Ehrenkodex
und dem Hauch des Besonderen etwas näher.
Stehen Sie zu Ihren Überzeugungen
Viele Adelige haben großen Respekt und Wertschätzung
für die Traditionen und Werte ihrer Urahnen. Der Dynamik zwischen Ererbtem und Neugewonnenem ist allerdings jeder ausgesetzt:
„Es erben sich Gesetz’ und Rechte
Wie eine ew’ge Krankheit fort,
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Wahnsinn, Wohltat Plage;
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Weh dir, dass du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.“
(aus: „Faust“, J. W. von Goethe)
Traditionelle und moderne Umgangsformen
Wandel vollziehen sich nicht überall in der Gesellschaft
gleich schnell. In adeligen Kreisen werden Sie unter Umständen mit Umgangsformen konfrontiert, die Ihnen etwas
antiquiert erscheinen mögen. Als Dame werden Sie zum
Beispiel mit „Sehr verehrte Frau Muster“ angeschrieben.
Als Herr hören Sie: „Gestatten Sie, dass ich Sie vorstelle?“
Das bedeutet jedoch nicht, dass der Adel über die modernen Entwicklungen bei den Umgangsformen nicht informiert wäre. Im Gegenteil: 2004 traten in der „BenimmShow“ von Thomas Gottschalk die Gruppen „Adel“,
„Motorradfahrer“, „Service-Kräfte“ und „Jugendliche“
gegeneinander an. Das Ergebnis: Die adeligen Gäste
wussten mit Abstand am besten über die zeitgemäßen
Umgangsformen Bescheid.
Traditionelle Formen und Werte
Umgangsformen
als Kulturgut
Der Adel sieht die konventionellen, klassischen Umgangsformen vielmehr als Kultur- und Erbgut, das er gern pflegt
und erhält. Er ist oft nicht so trendig und innovativ, aber
auch nicht so hektisch, wankelmütig, schnelllebig oder
überstürzt wie manch andere Bevölkerungsgruppe. Der
Vorteil: Beständigkeit gibt gerade in wirtschaftlich oder
politisch unsicheren Zeiten Orientierung.
Sie brauchen die Formen des Adels nicht zu übernehmen:
Bleiben Sie bei Ihren Umgangsformen und Ihrem Verständnis von Höflichkeit. Sie müssen auch nicht mit „vorzüglicher Hochachtung“ oder mit „angenehm“ antworten.
Formulierungen wie „Mit besten Grüßen“ oder „Ich freue
mich, Sie kennenzulernen“ sind auch in adeligen Kreisen
angemessen.
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4. Respektieren Sie die adeligen Werte
Adel verpflichtet – doch wozu eigentlich? Traditionell zum
selbstlosen Dienst am Menschen und zur Ausbildung von
Talenten, Tugenden und Tüchtigkeit.
Es gibt einen „ethischen Kodex des europäischen Adels“,
den auch deutsche Adelsverbände unterstützen. Darin
wird den adeligen Mitgliedern empfohlen, sich für das
Wohl einer europäischen Gesellschaft einzusetzen. Folgende Werte gelten als zukunftsweisend, erstrebens- und
erhaltenswert:
1.geistig-moralische Werte: Respekt gegenüber anderen religiösen und philosophischen Traditionen, Würde
der Person, Förderung der Menschenrechte unabhängig
von Herkunft, sozialer Lage und Rasse, uneigennütziges Dienen, Übernahme von Verantwortung, Wort halten, Verpflichtungen erfüllen.
2.familiäre Werte: Förderung von Familiensinn und Familienverband, Betrachtung der Familie als Ausgangspunkt der Gesellschaft, Würdigung der Ehe, „Schönheit der ehelichen Liebe“, Schutz des kulturellen Erbes,
Erinnerung der Verstorbenen, Erhaltung der Familientraditionen und der -solidarität, Achtung zwischen den
Generationen.
3.gesellschaftliche Werte: Berufung zur Verantwortung,
zur Führung zum Wohl aller – und nicht der eigenen
Vorteile willen – Erwerb von Sprachkenntnissen und
Führungskompetenzen, Profession statt Mittelmäßigkeit, Bürgersinn, Aufbau Europas, gemeinwohlorientiertes Handeln.
Schon im Mittelalter galt: Ritterliches und adeliges Verhalten sollten geprägt sein durch Fairness, Höflichkeit,
Selbstbeherrschung und Zurückhaltung. Sich um diese
Werte bemühen zu können, war damals ein Privileg derer,
die eine Ausbildung genossen hatten und nicht mehr um
das tägliche Überleben bangten.
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Der perfekte Adelige
Aus dem adeligen Selbstverständnis ergibt sich ein gewisser Lebensstil, der vielleicht für den Hauch des Besonderen mitverantwortlich ist und der – gemäß dem adeligen
Ehrenkodex – gepflegt werden sollte:
 Der perfekte Adelige kümmert sich um das Wohlergehen anderer und wahrt die Umgangsformen.
 Er hat Sinn für Heimat und empfindet einen gesunden
Stolz für sein Land. Auch wenn er heute keine Ländereien mehr besitzt, bleibt die Verbundenheit zu Grund
und Boden, Land und Wald: Vielleicht ist er Landschaftsarchitekt, Förster oder er geht auf die Jagd.
 Seine Kinder wählen ihren Beruf nicht vorrangig nach
Prestige und Verdienst aus, sondern bedenken ihren
Nutzen für die Gesellschaft.
 Zu seinen Pflichten gehören der Umweltschutz und ein
bewusster Umgang mit den natürlichen Ressourcen.
 Er ist nicht humorlos, sondern erkennt die positive Wirkung des Humors in der Gesellschaft an.
Ihr Lebensstil entscheidet
Sie merken: „Der perfekte Adelige“ ist längst nicht mehr an
Adelsprädikate gebunden. Die Werte, der Ehrenkodex und
der Lebensstil stehen heutzutage auch Ihnen – unabhängig
von Ihrer Herkunft und Ihrer monetären Situation – offen.
Sie haben die freie Wahl, auf Fairness und Höflichkeit zu
setzen.
Wie also sollen Sie mit Adeligen umgehen? Die Frage lässt
sich mit Mark Twain (amerikanischer Schriftsteller) beantworten. Er sagte: „Freundlichkeit ist eine Sprache, die
Taube hören und Blinde lesen können.“ Der Satz lässt sich
ergänzen: Freundlichkeit ist eine Sprache, die Adelige und
Nichtadelige gleichermaßen sprechen und verstehen.
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