Absetzen der Medikation vor einer geplanten

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Absetzen der Medikation vor einer geplanten
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Die AKA informiert über die präoperative Anpassung der Pharmakotherapie
Absetzen der Medikation vor einer geplanten Operation?
Irene Vo g el K a hm a n n
Vor einer geplanten Operation muss man sich
bei Patienten mit vorbestehender Medikation
verschiedene Fragen stellen: Dürfen oder müs­
sen alle verordneten Medikamente bis zum
Operationstag eingenommen werden? Müssen
gewisse Arzneimittel abgesetzt werden? Wenn
ja, wann? Aus Kostengründen hält der Trend
der Spitäler an, die Patienten erst am Opera­
tionstag einzubestellen. Dadurch wird die Fra­
gestellung der präoperativen Pharmakothera­
pie je länger je mehr auch die Offizinapotheker
betreffen. Im folgenden Artikel werden mög­
liche Probleme und Massnahmen dargestellt.
beiten die verschiedenen Spitäler nach internen
Richtlinien, die sehr unterschiedlich ausfallen kön­
nen. Ebenso können für die Beratung in der Apothe­
ke keine allgemein gültigen Richtlinien formuliert
werden. Bei Bedarf muss mit dem zuständigen Arzt
Kontakt aufgenommen werden. In der Literatur wird
eine interdisziplinäre Absprache zwischen Hausarzt,
Spezialist, Chirurg, Anästhesist, Pharmazeut und
Patient gefordert. [5]
Beim präoperativen Management von Medika­
tionen muss für jeden Patienten die individuelle
Nutzen-/Risikoabwägung sehr sorgfältig erfolgen.
Wie bereits erwähnt, kann es mit dem Absetzen der
Medikation zu einer Exazerbation der Grunderkran­
kung kommen, was mit einem erhöhten Operations­
risiko einhergehen könnte. Andererseits sollten ge­
wisse Medikamente keinesfalls gestoppt werden,
weil positive Wirkungen auf den prä- und den post­
operativen Verlauf nachgewiesen werden konnten.
So wirken z. B. Betablocker bei kardialen Risikopa­
tienten bei nicht-kardialen Operationen kardiopro­
tektiv, indem sie die Inzidenz von Myokardischämien
reduzieren. Medikamentengruppen, welche nicht
grundsätzlich gestoppt werden sollten, sind in der
Tabelle 1 aufgeführt. Sie werden unverändert einge­
nommen, inkl. am Morgen des Operationstages.
Jede Operation stellt ein Trauma dar. Der Körper re­
agiert auf diesen Stress mit Anpassungsreaktionen,
z. B. mit hormonellen Veränderungen. So kann es zu
einem Anstieg von Kortisol, Katecholaminen und
Glukagon kommen. Zusätzlich können ACTH (Ad­
renokortikotropes Hormon), Vasopressin, Prolaktin,
Aldosteron, Angiotensin und Zytokine beteiligt sein.
Der Operationsumfang, die Art der Anästhesie, die
Dauer der Nahrungskarenz, Vorerkrankungen, Infek­
tionen und Angst beeinflussen das Ausmass der
Anpassungsreaktionen.
Es ist offensichtlich, dass es mit der ununterbro­
chenen Medikation zu unerwünschten Wirkungen
während oder nach der Operation kommen kann, Tabelle 1: In der Regel keine
wie z. B. Stoffwechselentgleisung, Interaktionen mit
Anästhetika, erhöhte Blutungsneigung oder Infek­
tionen. Andererseits kann es gefährlich sein, alle
Medikamente in der präoperativen Periode grund­
sätzlich abzusetzen. Eine dadurch ausgelöste Exazer­
bation der Grundkrankheit könnte zu einem erhöh­ Medikation unverändert
fortführen, inkl. am Morgen des
ten Operationsrisiko, zu Komplikationen unmittelbar
Operationstages
nach der Operation oder zu einem verschlechterten
Outcome führen. [1] Diese Situation könnte sich
dann verschärfen, wenn Patienten postoperativ keine
oralen Medikamente zu sich nehmen können und
die Substanzen parenteral nicht verfügbar sind. [2,3]
Änderung der Medikation notwendig
R 5–HT3–Antagonisten
R Antiarrhythmika
R Antihypertensiva
R Antikonvulsiva
R Antiparkinsonmittel
R Antiretrovirale Therapie
R Bronchodilatatoren
Ausnahme Theophyllin:
Stopp 12 Std. vor Operationen
R Digitalispräparate
R Nitrate
R Statine
Management
Mangels ausreichender klinischer Untersuchungen
fehlen evidenzbasierte Richtlinien zum präopera­
tiven Management bei vorbestehender Medikation.
Obwohl die erste Arbeit zur Thematik bereits 1988
publiziert worden ist, [4] setzt sich die vorhandene
Literatur hauptsächlich aus Fallberichten und nichtsystematischen Reviews zusammen. Qualitativ be­
friedigende randomisiert-kontrollierte Studien oder
systematische Reviews fehlen. Entsprechend ar­
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Bei verschiedenen Medikamentengruppen wird in
der Regel die Medikation gestoppt oder die Dosie­
rung angepasst. Es sind dies vor allem Medikamente,
welche den Stoffwechsel, die Elektrolyte und die
Blutgerinnung beeinflussen oder mit Arzneimitteln,
die während oder nach der Operation eingesetzt
werden, interagieren können. Wichtige Gruppen
sind in Tabelle 2 zusammengestellt, und diese Grup­
pen werden in den folgenden Abschnitten disku­
tiert.
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Tabelle 2: In der Regel Anpassung der Medikation notwendig
R Antidiabetika
R Schilddrüsenhormone
R Kortikosteroide
R Diuretika
R Psychopharmaka
R Basistherapeutika der rheumatoiden Arthritis
Medikation
– TNF-α-Blocker
stoppen, anpassen,
bzw. beachten der möglichen
unerwünschten Wirkungen
– Methotrexat
R Medikamente mit Einfluss auf Blutgerinnung
– Antikoagulantien
– Thrombozytenaggregationshemmer
– NSAR
R Ovulationshemmer, Hormonersatztherapie
R Phytopharmaka
R Antibiotika
Antidiabetika – veränderte Stoffwechsellage
durch die Operation
Schilddrüsenhormone – Hypo- oder Hyper­
thyreose?
Werden Patienten mit einer Hypothyreose operiert,
muss möglicherweise mit einer erhöhten Komplika­
tionsrate gerechnet werden, z. B. Ileus oder Delirium
[9]. Mehrere Systeme wie Herz- und Lungenfunk­
tion, gastrointestinale Motilität, Flüssigkeitshaushalt
oder Hämostase können betroffen sein. Vor ge­
planten Operationen sollte deshalb die Stoffwech­
sellage möglichst normalisiert werden. Bei drin­
genden Operationen werden Patienten mit einer
schweren Hypothyreose perioperativ mit Thyroxin
und Glukokortikoiden behandelt. In diesem Fall
muss eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber ge­
wissen, zur Prämedikation eingesetzten Medika­
menten (z. B. Anxiolytika, Sedativa) beachtet und
deren Dosis reduziert werden.
Schilddrüsenhormone haben direkte inotrope
und chronotrope Effekte. Daher ist das perioperative
Risiko bei einer Hyperthyreose vor allem durch kardio­
vaskuläre Probleme gekennzeichnet. Das Risiko von
Vorhofflimmern wird beispielsweise mit 10 bis 20
Prozent beziffert. [10] Gefürchtet ist vor allem eine
postoperative thyreotoxische Krise, die mit Fieber,
Tachykardie, Verwirrtheit, Kreislaufversagen und even­
tuell Tod einhergehen kann. Bei schwerer Hyper­
thyreose sollte deshalb eine elektive Operation ver­
schoben werden, bis sich die Stoffwechsellage nor­
malisiert hat. Bei milder Schilddrüsenüberfunktion
kann die Operation unter Betablockade, z. B. mit
10–40 mg Propranolol pro Tag, durchgeführt werden.
Die Thyreostatika sollten bis zum Vortag eingenom­
men werden. [11]
Die Ausschüttung der gegenregulatorischen Hormo­
ne Kortisol, Katecholamine, Glucagon und Wachs­
tumshormone beim operierten Diabetespatienten
steigert die Glukoneogenese, Glykogenolyse, Proteo­
lyse, Lipolyse und Ketogenese. Die Folge ist ein er­
höhtes Risiko für eine katabole Stoffwechsellage mit
Hyperglykämie, Dehydratation (osmotische Diurese)
und Ketose. Diese Situation kann sich durch die pe­
rioperative Nahrungskarenz zusätzlich verschärfen.
[6] Das perioperative Management bei Diabetikern
richtet sich nach dem Typ des Diabetes, der vorbeste­
henden Medikation und der Grösse der geplanten
Operation.
Bei Patienten mit nichtinsulinabhängigem Diabetes sollten die oralen Antidiabetika am Operationstag Kortikosteroide – Beachten der
ausgesetzt werden. Metformin muss 48 Stunden vor Nebennierenrindensuppression
der Operation gestoppt werden, um eine Laktatazi­
dose zu vermeiden. (Die Laktatazidose ist eine Bei operativen Eingriffen kommt es als Reaktion auf
ernste metabolische Komplikation einer Therapie mit die Stresssituation initial zu einem Anstieg von
Metformin, die sich mit einer azidotischen Dyspnoe, ACTH (Adrenokortikotropes Hormon) und Kortisol
Bauchschmerzen, Hypothermie und nachfolgendem mit Verlust der zirkadianen Rhythmik. Während
Koma äussert. In Deutschland wurden seit 1990 über ACTH postoperativ schnell auf subnormale Werte
30 Fälle beschrieben, wobei 50 Prozent davon letal abfällt, bleiben die Kortisolspiegel über mehrere Tage
verliefen! [7]). Bei grösseren
erhöht und sinken nur lang­
Operationen muss anstelle der
sam. Diese erhöhte Freiset­
Ununterbrochene Medikation zung von Kortisol ist wichtig,
oralen Antidiabetika eine Insu­
lininfusion verabreicht werden.
nach der Operation adap­
kann während oder nach der um
Bei Patienten mit vorbestetive Vorgänge wie zum Beispiel
Operation zu unerwünschten Glukosebereitstellung, Vaso­
hender Insulintherapie sollte
das langwirksame Insulin spä­
konstriktion und Abwehr
Wirkungen führen
testens am Tag vor der Opera­
überschiessender Immunre­
tion durch ein mittel- oder
aktionen zu ermöglichen.
kurzwirksames Insulin ersetzt werden. Am Opera­ Bei einer chronischen Kortikosteroidbehandlung
tionstag wird der Patient mit einer Insulininfusion (>1 Woche mit Dosisäquivalenten >5–10 mg Predni­
therapiert. [8] In der Regel wird Glucose 5–10% mit solon pro Tag) ist wegen der Supprimierung der
einem Zusatz von Actrapid verwendet; die Dosie­ ­Nebennierenachse die Ausschüttung von Kortisol
rung richtet sich einerseits nach dem üblichen Tages­ vermindert. Dies kann bei Operationen eine unge­
bedarf an Insulin, andererseits nach dem gemes­ nügende Stessadaptation (bis hin zu einer Neben­
senen Nüchtern-Blutzuckerwert.
nierenrindenkrise) zur Folge haben. Die Tabelle 3
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zeigt die Situationen, wo eine perioperative Stress­ Tabelle 4: Management der Psychopharmaka [15,16]
prophylaxe mit Kortisol erfolgen soll, und ein mög­
Medikament
Management
Bemerkungen
liches Dosierungsschema.
Lithium
Tabelle 3: Mögliches Vorgehen zur Stress­
prophylaxe mit Kortisol [12,13]
Stopp 72 Std. vor
Erhöhtes Risiko einer Lithium-
Operation
Intoxikation
(Halbwertszeit von
R durch Flüssigkeitsverschie-
Lithium ca. 24 Std.)
Grosser chirurgischer Eingriff
v. a. bei hämodynamisch
UND
R Steroidtherapie
bungen während Operation,
instabilen Patienten
Normale Kortikosteroid­
R durch Interaktionen mit NSAR,
>1 Woche mit Dosis-
medikation am Morgen
­äquivalenten >5–10 mg
des Operationstages
Prednisolon/Tag
+ 25 mg Hydrocortison
Trizyklische
Ausschleichen 2
Direkte Effekte auf Herz-,
zur Anästhesieeinleitung
Antidepressiva
Wochen vor Operation
Kreislaufsystem
R grossflächige topische
Diuretika
Steroidanwendung
+ Hydrocortison
(bei abruptem Stopp
Interaktionen: Anästhetika
R Zustand nach Adrenal-
75–100 mg/Tag
Gefahr von Entzugs-
R Wirkungsverstärkung der
über 48–72 Std.
erscheinungen)
ektomie, ­Hypophysektomie
R Nebenniereninsuffizienz
Kleinere und moderate Eingriffe
Katecholamine
MAO-Hemmer
Stopp 2 Wochen vor
Interaktionen: Pethidin, Tramadol
Immer übliche Kortiko-
1. und 2. Generation:
Operation
R schwere exzitatorische
steroid­medikation am
z. B. Tranylcypromin,
Reaktionen, Atemdepression,
Morgen des Operations-
Clorgylin (in CH nicht
Koma
tages
im Handel)
+ evtl. eine zusätzliche
Hydrocortisongabe als
Stressprophylaxe
MAO-Hemmer
Stopp 24 Std. vor
Selektiver und reversibler
3. Generation:
Operation
MAO-Hemmer
Moclobemid
R Gefahr der Interaktionen
gering
Diuretika – Elektrolytverschiebungen
SSRI
Diuretika können im Zusammenhang mit der Anäs­
thesie zu Volumen- resp. Elektrolytverschiebungen
(v. a. Kalium) führen. Blutdruckabfälle und Herz­
rhythmusstörungen sind die Folge. Deshalb werden
Diuretika in der Regel bis zum Vortag der Operation
eingenommen, am Operationstag weggelassen. [14]
Psychopharmaka – mögliche Interaktionen
beachten
Bei jedem Patienten sollte das Risiko der Interak­
tionen (z. B. mit den Anästhetika) bei Fortführen der
Therapie gegen das Risiko einer Verschlechterung der
Grundkrankheit resp. einer Entzugssymptomatik
beim Absetzen der Medikation abgewogen werden.
Eine mögliche Vorgehensweise ist der Tabelle 4 zu
entnehmen. Einige Experten empfehlen jedoch die
kontinuierliche Weitergabe, in der Annahme, dass
die Gefahr der Interaktionen überschätzt wird.
Basistherapie der rheumatoiden Arthritis –
Achtung Immunsuppression
Stopp 24 Std. vor
Interaktionen:
Operation
Pethidin, Tramadol, Dextromethorphan, Metoclopramid
R Serotoninsyndrom (Hyperthermie, vegetative Instabilität, Koma)
Neuroleptika
Literatur inkonsistent,
Interaktionen:
meist wird Stopp
R Wirksamkeitsreduktion der
24 Std. vor Operation
empfohlen
Inhalationsanästhetika
R Wirkungsverstärkung der
intravenösen Anästhetika
R Verlängerung der neuromuskulären Blockade der
nicht-depolarisierenden
Muskelrelaxantien
R Gefahr des malignen
neuroleptischen Syndroms
(Hyperthermie, Akinesie,
Muskelrigidität, vegetative
Dysfunktion, Bewusstseins­
störungen, erhöhte SerumKreatinase)
Ein spezielles Augenmerk ist auf die verwendeten pirocin-Nasensalbe) sinnvoll sein, um diese mög­
Basistherapeutika zur Therapie der rheumatoiden liche Infektionsquelle auszuschliessen.
Arthritis zu richten. Steroide müssen (vgl. Kap. Kor­
TNF-α-Blocker müssen zwingend abgesetzt
tikosteroide) und Methotrexat kann perioperativ werden, weil diese mit einem deutlich erhöhten In­
beibehalten werden. Bei Methotrexat muss die Ge­ fektionsrisiko bis hin zu einer fulminanten, lebens­
fahr einer Staphylokokkus-aureus-Kolonisation auf bedrohlichen Sepsis einhergehen können. Wegen
der Haut und in der Nase beachtet werden. Bei ortho­ der sehr unterschiedlichen Pharmakokinetik der zur­
pädischen Operationen (z. B. Kunstgelenkimplanta­ zeit verwendeten Substanzen gelten die Empfeh­
tion) könnte eine Sanierung der Nase (z. B. mit Mu­ lungen in Tabelle 5. [17]
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Tabelle 5: Management der TNF-α-Blocker
Medikament
Management
Etanercept
Stopp ca. 1–2 Wochen vor Operation
Enbrel®
Infliximab
Stopp ca. 6 Wochen vor Operation
Remicade®
Adalimumab
Stopp ca. 4 Wochen vor Operation
Humira®
Orale Antikoagulantien – «Bridging» mit
­n iedermolekularem Heparin
Würden die oralen Antikoagulantien wegen der er­
höhten Blutungsgefahr präoperativ ersatzlos abge­
setzt, würde eine antikoagulatorische Lücke mit
einem erhöhten Risiko für thromboembolische Kom­
plikation entstehen. Um dieses Risiko zu reduzieren,
ist eine überbrückende Behandlung («Bridging») mit
niedermolekularen Heparinen (LMWH) erforderlich,
die eine kürzere Halbwertszeit haben und eine bes­
sere Steuerung erlauben, vgl. Tabelle 6. Als Dosie­
rungsempfehlung gilt die volle therapeutische Hepa­
rinisierung entsprechend der Akutbehandlung der
Beinvenenthrombose oder der Lungenembolie. [18]
Thrombozytenaggregationshemmer –
­p atientenspezifisches Vorgehen
Bei den zur Thrombozytenaggregation eingesetzten
Wirkstoffen kann kein allgemein gültiges Vorgehen
vor geplanten Operationen angegeben werden. Auf­
grund der Operation (Blutungsrisiko), des Anästhesie­
verfahrens (erhöhtes Blutungsrisiko v. a. bei rücken­
marksnaher Regionalanästhesie) und individueller
Risiken der Patienten muss das geeignete Vorgehen
für jeden Patienten definiert werden. [19]
Aus Sicht der Operateure/Anästhesisten haben sich die
Regeln in Tabelle 7 etabliert.
Aus Sicht der Kardiologen sollte eine bestehende
ASS-Therapie trotz der erhöhten Blutungsneigung
wenn immer möglich fortgeführt werden. In einer
systematischen Übersichtsarbeit, basierend auf zehn
randomisierten Studien und 38 Beobachtungsstu­
dien (mit mehr als 40 000 untersuchten Patienten)
konnte gezeigt werden, dass präoperatives Absetzen
von ASS bei bis zu zehn Prozent der Patienten mit
akuten kardiovaskulären Syndromen assoziiert war.
Wurde die ASS-Therapie beibehalten, erhöhte sich
die Blutungskomplikation um den Faktor 1.5, ohne
jedoch deren Schweregrad zu erhöhen (mit Ausnah­
me von intrakraniellen Eingriffen und transurethra­
Tabelle 6: Orale Antikoagulantien – Bridging mit LMWH
len Prostatektomien). [20]
Medikament
Management
Patienten nach koronarer Stentimplantation ste­
hen unter einer dualen antithrombozytären Medika­
Phenprocoumon
Stopp 1 Woche vor geplanter Operation, Beginn mit LMWH,
tion mit ASS plus Clopidogrel für mindestens vier
Marcoumar®
sobald INR ausserhalb des therapeutischen Bereichs
Wochen bei unbeschichteten Stents und während
Acenocoumarol
Stopp 3 Tage vor geplanter Operation, Beginn mit LMWH,
sechs bis zwölf Monaten bei beschichteten Stents.
Sintrom®
sobald INR ausserhalb des therapeutischen Bereichs
Das Clopidogrel darf wegen der Gefahr eines lebens­
bedrohlichen thrombotischen Verschlusses des koro­
naren Zielgefässes in dieser Zeitperiode nicht abge­
Bei vielen kleineren Eingriffen muss die orale Anti­
setzt werden. Da unter Clopidogrel die Blutungsge­
koagulation nicht oder nicht vollständig aufgehoben
fahr stark erhöht ist, sollte Clopidogrel konsequent
werden, so z. B. bei vielen dermatologischen oder
sieben Tage vor einer elektiven Operation gestoppt
zahnärztlichen Eingriffen. Eine Anpassung der Dosis
werden. Nach Stentimplantation sollten deshalb
muss nach Abschätzung des individuellen Blutungs­
Operationen – wenn immer möglich – ausserhalb
risikos des Patienten erfolgen. Neben der Art der
der erwähnten, obligatorischen antithrombozytären
Operation spielt auch die geplante Anästhesieform
Behandlung stattfinden. [21]
eine Rolle. Der individuellen Risikosituation entspre­
chend werden die LMWH bis zum Vortag der Opera­
Analgetika mit Einfluss auf die Blutgerinnung
tion oder bis zum Operationstag verabreicht.
– möglichst Karenzfrist gemäss Halbwertszeit
einhalten
Tabelle 7: Management der Thrombozytenaggregationshemmer
Sicht Operateure/Anästhesisten (Sicht Kardiologen vgl. Text)
Analgetika mit Einfluss auf die Blutgerinnung sollten
Stopp vor geplanter
Stopp vor rückenmarksnaher
entsprechend ihrer Halbwertszeit vor geplanten
Medikament
Operation
Anästhesie / Punktion
Operationen gestoppt resp. durch Alternativen wie
COX-2–Hemmer (Celecoxib), Paracetamol oder opi­
Dipyridamol + ASS
7 Tage
48 Std
oide Analgetika ersetzt werden, vgl. Tabelle 8.
Asasantin®
ASS
7 Tage
48 Std
7 Tage
7 Tage
Aspirin cardio®
Clopidogrel
Plavix®
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Tabelle 9: Management von Phytotherapeutika [25]
Tabelle 8: Karenzfrist von NSAR
Medikament
Absetzen
vor ­O peration
[Tage]
Acemetacin
2
Dexibuprofen
2
Dexketoprofen
2
Thrombozytenaggregation bei
2
Flurbiprofen
2
Ibuprofen
2
Indometacin
2
Ketorolac
2
Lormoxicam
2
Mefenaminsäure
2
7
Nabumeton
7
Naproxen
2
Nimesulid
7
Phenylbutazon
7
Piroxicam
7
Salicylsäurederivate
(ASS, Benorilat, Salicis extract.)*
Tenoxicam
Ginkgo, Ginseng,
Mind. 10 Tage
R Erhöhte Blutungsneigung v. a. in
Knoblauch
Kombination mit ASS oder oralen
Antikoagulantien
Mind. 10 Tage
7
7
* Ausnahmen vgl. Kapitel Thrombozytenaggregationshemmer
Hormonelle Kontrazeptiva/Hormonersatztherapeutika (HRT) – erhöhte Gefahr von
Thromboembolien
Enzyminduktor von CYP 3A4
R Verlängerung der Narkose möglich
Grapefruitsaft
Etodolac
nur präferenziell)
Wirkungen
2
hoher Dosis (200 mg) möglich
Meloxicam (hemmt COX-2
Absetzen vor
­O peration
Hypericum
Diclofenac
vorübergehende Hemmung der
Wirkstoff
Mind. 1 Tag
Starker Inhibitor der intestinalen CYP 3A4
R Erhöhung der Blutspiegel diverser
Medikamente, z. B. von Midazolam
p.o. um das Doppelte
sich nachteilig auswirken, da die Rückkehr der ein­
zelnen Parameter zu den Ausgangswerten in zeitlich
unterschiedlicher Weise verläuft, so dass die Balance
der Hämostase vorher nicht erreicht wird. Die Wie­
deraufnahme der Ovulationshemmer und HRT sollte
frühestens zwei Wochen nach der vollen Mobilisa­
tion erfolgen.
Einige Experten empfehlen wegen dieser langen
Einnahmepause und der dadurch möglicherweise
auftretenden Probleme, die Hormone prä- und post­
operativ unverändert einzunehmen.
Phytopharmaka – Nachfrage bei den Patienten
Verschiedene phytopharmazeutisch genutzte Wirk­
stoffe können neben Interaktionen mit Anästhetika
v. a. einen Einfluss auf die Blutgerinnung haben.
Grosse Studien, um die Häufigkeit und Schweregrad
dieser unerwünschten Blutungen abzuschätzen, gibt
es nicht. Allerdings sind viele Fallbeschreibungen zu
finden, die Blutungen, schlechte Wundheilung, Ar­
rhythmien bis hin zu Todesfällen erwähnen. Deshalb
wird generell empfohlen, die Phytopharmaka zehn
Tage vor geplanten Operationen abzusetzen, vgl. Ta­
belle 9.
Die Behandlung mit weiblichen Hormonen stellt
zusätzlich zum operativen Eingriff einen Risikofaktor
für venöse Thromboembolien dar. Deshalb wird
empfohlen, die Einnahme oraler Kontrazeptiva und
HRT vier bis sechs Wochen vor einer geplanten Ope­ Antibiotika – beachten von Resistenzen und
ration zu beenden. [22,23] Dieses relativ lange Inter­ Keimselektion
vall ist für die Normalisierung der hormonindu­
zierten Veränderungen der Gerinnungs- und Fibri­ Antibiotika per se müssen vor geplanten Operatio­
nolyse-Parameter nötig: Die Halbwertszeiten der nen nicht gestoppt werden.
Gerinnungsfaktoren schwan­
Der Operateur sollte sich je­
ken zwischen fünf Stunden
doch ein Bild über mögliche
Präoperatives Medikations(Faktor VII) und fünf bis
resistente und selektionierte
Management: individuelles
sechs Tagen (Fibrinogen, Fak­
Keime machen, damit die pe­
tor XIII). Ein erniedrigter An­
rioperative Antibiotikaprophy­
Nutzen-/Risikoabwägen für
tithrombinspiegel beginnt et­
laxe und das bei einer allfäl­
­jeden Patienten ist wichtig
wa neun Tage nach Absetzen
ligen postoperativen Infektion
eines Ovulationshemmers an­
notwendige Therapeutikum
zusteigen und erreicht nach ca.
richtig gewählt werden kön­
18 Tagen den Ausgangswert. Auch die Thrombinbil­ nen. So werden z. B. durch Chinoloneinnahme resi­
dung normalisiert sich erst nach dieser Zeit. [24] Eine stente Staphylokokken auf der Haut selektioniert.
kürzere Zeitspanne zwischen der Beendigung der Diese konnten bis zu sechs Wochen nach Einnah­
Einnahme der Hormone und der Operation könnte meende nachgewiesen werden. [26] Eine fremdkör­
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perassoziierte Infektion (z. B. Hüft-Kunstgelenk) mit
einem solchen (resistenten!) Hautkeim würde wahr­
scheinlich eine langwierige, teure, parenterale Anti­
biotikatherapie mit einer Vancomycin-Kombination
nach sich ziehen. Weiter konnte gezeigt werden, dass
bereits nach vier Tagen Antibiotikatherapie die Ko­
lonflora signifikant verändert wird, z. B. kam es zur
Selektion von Pseudomonas.
  [4] Gluck R, Munoz E, Wise L: Pre-operative and post-operative medical
Fazit für die Apothekenpraxis
  [8] Schneider HJ, Schaaf L, Kellermann W, Standl E., perioperatives Manage­
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  [5] Noble DW, Webster J, Interrupting drug therapy in the perioperative
­periode, Drug Saf 2002; 25 (7): 489–95
  [6] Schneider HJ, Schaaf L, Kellermann W, Standl E., perioperatives
Management bei endokrinologischen Erkrankungen und Diabetes
­mellitus, Deutsches Aerzteblatt, 15. Juni 2007
  [7] Heck M, Fresenius M, Repetitorium Anästhesiologie, 5. Auflage 2007,
Kapitel 7 «Prämdedikation»
ment bei endokrinologischen Erkrankungen und Diabetes mellitus,
Patienten mit vorbestehender Medikation benötigen
vor einer Operation eine rechtzeitige Beratung. Aus­
ser in gewissen Fällen (TNF-α-Blocker, estrogene
oder gestagene Hormone) ist eine Analyse der Medi­
kation 14 Tage vor Spitaleintritt ausreichend. Die
Apotheker können beurteilen, ob vorzeitige Mass­
nahmen zu erwägen sind, und können allenfalls zu
Handen des behandelnden Arztes Vorschläge auf­
stellen. Nehmen Patienten rezeptpflichtige Medika­
mente ein, sollen Empfehlungen nur nach Rückspra­
che mit dem Hausarzt oder dem zuständigen Opera­
teur/Anästhesisten erfolgen. Bei Einnahme von As­
pirin® mit oder ohne Plavix® sollte zusätzlich mit
dem zuständigen Kardiologen Rücksprache genom­
men werden.
In der Selbstmedikation sollen die Apotheker
auf die Risiken der Selbstmedikation (NSAR, Phyto­
therapeutika) aufmerksam machen und die in die­
sem Artikel erwähnten Massnahmen empfehlen. z
Deutsches Aerzteblatt, 15. Juni 2007
  [9] Schiff RL, Welsh GA, perioperative Evaluation and management of the
patient with endocrine dysfunction, Med Clin N Am 2003; 87: 175–92
[10] Klein I, Ojamaa K, thyroid hormone and the cardiovascular system,
N Engl J Med 2001;344: 501–9
11] Schneider HJ, Schaaf L, Kellermann W, Standl E., perioperatives Manage­
ment bei endokrinologischen Erkrankungen und Diabetes mellitus,
Deutsches Aerzteblatt, 15. Juni 2007
[12] Oelkers W, Adrenal insufficiency, New Engl J Med 1996, 335: 1206–1212
[13] Salem M, Tainsh RE, Bromberg J, Loriaux DL, Chernow B, Perioperative
Glucocorticoid Coverage, A Reassessment 42 Years after Emergence of a
Problem, Annals of Surgery, Vol 219, No 4, (1994), 416–425
[14] Jung J., Schreiber J.U., Aktuelle Therapie der Herzinsuffizienz,
Der Anaesthesist 2003 52: 612–618
[15] Huyse FJ, Touw DJ, Strack Van Schijndel R, Laange JJ, Slaets JPJ.,
Psychotropic Drugs and the perioperative Period: A Proposal for a
Guideline in elective Surgery, Psychosomatics 47;1: Jan-Feb 2006
[16] Milde A.S., Motsch J., Medikamenteninteraktionen für den Anästhesisten,
Der Anaesthesist 2003, 839–859
[17] Giles JT, Gelber AC, Nanda S, TNF inhibitor therapy increases the risk of
post-operative orthopedic infection in patients with rheumatoid arthritis,
Dieser Artikel wurde im Auftrag der AKA verfasst von Irene Vogel Kahmann,
Spitalapothekerin FPH, Schaffhausen, Mitglied der AKA.
American College of Rheumatology 2004 meeting, San Antonio Oct
16–21, 2004, Abstract 1764
[18] Ansell J, Hirsh J, Poller L, Bussey H, Jacobson A, Hylek E: The pharmaco­
Wir danken Prof. Daniel Scheidegger, Chefarzt Anästhesie,
logy and management of the vitamin-K-antagonists: the Seventh ACCP
Universitätsspital Basel, für die Durchsicht des Manuskripts.
Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy, Chest 200;
126: 204–33
[19] Kozek-Langenecker SA, Lokoregionalanästhesie und Blutgerinnung,
Korrespondenzadresse:
Arzneimittelkommission der Schweizer Apotheker AKA
Der Anästhesist, Vol 52, Nr 6, 2003
[20] Burger W, Chemnitius JM, Kneissl GD, Rucker G, Low dose aspirin for
Postfach 5247, 3001 Bern
­secondary cardiovascular prevention – cardiovascular risks after its
Tel. 044 994 75 63, Fax 044 994 75 64
­perioperative withdrawal versus bleeding risks with its continuation –
E-Mail: [email protected]
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La traduction française
paraîtra dans un
­prochain numéro du
pharmaJournal.
pharmaJournal 3 | 1.2008
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