Kein Rappeln in der Kiste

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Kein Rappeln in der Kiste
GESELLSCHAFT
KULTUR
MEDIEN
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H E LG E S C H N E I D E R
Lebenswerk I
Lebenswerk II
Seit drei Jahren ist Boris Palmer
Oberbürgermeister von Tübingen.
Wie er sich so macht an der Macht,
davon erzählt nun der SWR-Dokumentarfilm „Das Palmerprinzip“. Im
Interview mit der taz erläutert Palmer, warum es durchaus Zeit ist für
einen Blick auf sein bisheriges
Lebenswerk
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Helge Schneider hat sie alle schon
gesehen, die schönen und weniger
schönen Städte, groß und klein, in
Deutschland. Jetzt war er mal wieder in Göttingen, der stadtgewordenen Mittelmäßigkeit – und bekam
gleich einen Preis. Den Göttinger
Elch, den einzigen Satirepreis in
Deutschland
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www.taz.de
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Foto:
ddp
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B O R I S PAL M E R
MONTAG,
7. DEZEMBER 2009
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Kein Rappeln in der Kiste
BEHÄLTNISSE
Mehr als 90 Prozent
aller Waren werden
in Containern
transportiert. Mit der
Krise geriet auch der
Containerverkehrins
Stocken. Eine
Geschichte über die
wichtigste Box
unserer Zeit
VON ANNE HAEMING
Alles sieht aus wie immer. Container stapeln sich turmhoch
und bunt entlang der Häfen. Auf
Schiffen vor den Anlegestellen
und weit in die Kaianlagen hinein. Kräne überragen das Ganze.
Die gleiche Szenerie in Hamburg, Hongkong oder Barcelona.
Man kennt diese Bilder aus den
Fernsehnachrichten und den
Wirtschaftsteilen der Zeitungen.
Die riesigen Behälter stehen für
internationalen Warenhandel,
illustrieren weltweite Exporttrends, kurz: Sie sind Symbol der
Globalisierung. Jeder sechs Meter lang, 2,44 Meter breit, 2,60
Meter hoch, aus Stahl: Sie stehen
für die Containerisierung der
Welt.
Ja, alles sieht aus wie immer,
doch in den Containerhäfen ist
derzeit nichts wie immer. Die
Fracht liegt teilweise seit Monaten in den Schiffsbäuchen, weil
die Kunden kein Geld haben, sie
auszulösen, viele der Container
sind auch einfach leer. Und zwar Der Container – Symbol der Globalisierung und gleichzeitig ihr Symptom. Und leer Foto: Felix Clouzot/Stone/Getty Images
immer mehr. Allein in China waken, hoch über einem Hafenbe- Länge, der üblichen Maßeinheit,
Diese Stahlkiste ist ein Modul, sich hinter den gestanzten Stahlren es Anfang des Jahres 160.000
cken schwebend. Auch wenn sich auch abgekürzt als TEU für eine Einheit. Ein Transportmittel wänden verbirgt, ist letztlich so
Stück. Im Vergleich zum Vorjahr Einerseits ist der
in den USA und Europa parallel „Twenty-foot equivalent unit“. im Wortsinn – ein Medium. Es be- unfassbar und unbestimmt wie
sind die Transportraten weltweit
ähnliche Transportprinzipien 2008 waren weltweit 525 Millio- fördert Inhalt von einem Ort das Wesen einer globalisierten
um 15 Prozent gesunken, die Container zu einer
entwickelten: Es war McLean, der nen TEU unterwegs. Vor zwanzig zum anderen. Allerdings ist die- Weltgesellschaft.
Preiskurven krachten mit Wucht Ikone geronnen, die
erkannte, dass sich uniforme Be- Jahren war es gerade einmal ein ses Medium das direkte GegenKein Wunder stürzten sich die
nach rechts unten. Es sei die bisüberall
und
sofort
hältnisse standardisiert beför- Sechstel. Diese Box, erklärt Klose, teil von anderen Formen der Küstenbewohner in Cornwall alle
lang größte Krise der Branche,
dern lassen würden und man so hat „unser Denken verändert“. Kommunikation; in der Contai- an den Strand, als dort vor fast
heißt es. Auch jetzt spiegelt sich von allen wiedereine Menge Zeit und somit auch Und, ganz unaufdringlich, unse- nersprache gibt es nur absolutes drei Jahren Container an den
die Situation der globalen Wirterkennbar ist.
Geld sparen könnte. 58 Kisten ren Alltag. Selbst der Erdbeerjo- Verstehen, es fehlen Missver- Strand gespült worden waren,
schaft in den Containern. Sie
packte er an einem diesigen ghurt im Kühlregal ist aus Einzel- ständnisse, falsche Interpretatio- weil die „MSC Napoli“ auf Grund
sind gestrandet, ins Stocken ge- Andererseits aber:
Apriltag auf die „Ideal X“, die teilen aus allen Ecken der Welt nen, irgendetwas zwischen den gelaufen war. Es ging weniger
raten. Sie sind Symbol der Globa- Geheimniskrämerei
Fahrt des allerersten Container- zusammengerührt. Wir alle sind Zeilen gibt es nicht. Reibungslos ums Plündern, schien es, als darlisierung – und gleichzeitig ihr
Frachtschiffs ging von New York umgeben von den immer glei- eben. Fast.
um, den Inhalt endlich zu sehen.
Symptom.
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Denn auch wenn das Medium,
Und jetzt sind sie dank der
ins texanische Houston. Das war chen Containerspuren.
Damit hätte wahrlich nieDas Phänomen Container
der Beginn der „Just in time“-Liemand gerechnet, als die Box er- ........................................................................................................................................................................................................
Und in der Tat: Der Container der Inhaltstransporter, problem- Krise zu wahren Leerstellen geferung, der Anfang vom Ende steht wie sonst kaum ein Ding los überall andocken kann, in worden, bloße Hülsen, ohne Lafunden wurde. Logistik hieß ■ Alexander Klose: „Das Contaigroßer Lagerhallen. Die Meere, für die zunehmende Homogeni- Empfang genommen wird, als dung. Das war zuvor undenkbar –
noch schlicht Transport, als der nerprinzip. Wie eine Box unser
Schienen und Straßen wurden sierung der Welt. Bei weltweit das erkannt wird, was es ist, so Container waren voll, ihr Wesen
US-amerikanische
Spediteur Denken verändert“. Mare Verlag,
zum ortlosen Warendepot.
Malcolm McLean 1956 auf die cle- Hamburg 2009. Die Perspektive
vertretenen Marken wie McDo- gibt es doch eine markante Leer- ist immerhin, etwas zu beinhalDas Ganze hätte genauso gut nald’s, Coca-Cola oder etwa Ikea stelle: den Inhalt selbst. Völlig zu ten. Doch die in den Häfen der
vere Idee kam, seine Fracht in je- des Buches ist streng kulturwissennen Boxen vom Land übers Was- schaftlich und sehr detailverliebt – scheitern können. Denn, klar: gibt es hier und da regionale Un- Recht spricht der Kulturwissen- Welt gestrandeten Stahlkisten
ser aufs Land zu transportieren, die Buchfassung der Doktorarbeit. Dieses Prinzip funktioniert nur, terschiede, die Zutaten sind an- schaftler Klose daher von der werden fortan zu mehr taugen
wenn an allen Verladestationen ders, der Geschmack, die Aus- „Blackbox des Transports“, stellt als zum Sinnbild des florierenstatt alles jedes Mal entladen und www.containerwelt.info
die gleichen Vorrichtungen pa- wahl sind nicht identisch. Doch einen Vergleich her zur sagen- den Globalhandels.
wieder aufladen zu müssen. Er ■ Olaf Preuß: „Eine Kiste erobert
Wer Container als Symbol abratstehen, um die Stahlboxen beim Container gilt: Die Unifor- haften Büchse der Pandora, der
war 43, es war die Zeit, als Herren die Welt. Der Siegeszug einer einnoch Hüte trugen, im deutschen fachen Erfindung“. Murmann Ver- vom Lkw aufs Schiff, auf die mität ist seine Existenzbedin- „großen Behälterfigur abendlän- druckt, wird nun immer beide
Fernsehen lief damals noch lag, Hamburg 2007. Der Redakteur Schiene und zurück auf den Lkw gung. Er ist von vorneherein dar- dischen Denkens“. Was drin ist, Interpretationen mitliefern: den
Aufschwung und die Krise. Denn
nicht einmal Werbung. Wann ge- der Financial Times Deutschland nä- zu hieven. Mit der „Macht einer auf ausgelegt, international ab- merkt man erst hinterher.
Dieses Zusammenspiel macht ob etwas drin ist, sieht man
nau der Container selbst erfun- hert sich dem Phänomen über Re- Naturerscheinung“ habe sich solut kompatibel zu sein. Er passt
den wurde, ist umstritten.
portagen – er war in Häfen und auf diese Transportweise durchge- immer, egal wohin er kommt. es so leicht, diese Stahlkiste als schließlich nicht. Dass es weltsetzt, schreibt der Kulturwissen- Wer ihn transportiert, ihn entge- Bild für etwas so Abstraktes wie umspannende Netzwerke gibt,
So gründete die Internationa- Frachtern unterwegs.
schaftler Alexander Klose in sei- gennimmt, weiterbefördert, hat die Globalisierung einzusetzen. davon zeugt allein ihre Existenz,
le Handelskammer bereits 1933 ■ Die Performance-Künstlerin Jedas „Bureau International des katerina Anzupowa ist der Entsteh- nem jüngst erschienenen Buch Kräne, Sattelschlepper, Waggons Auf der einen Seite ist der Contai- stählern und berechenbar.
Vielleicht sang Phillip Boa
„Das Containerprinzip“. War die auf exakt jene Maße abge- ner zu einer Ikone geronnen, die
Containers“ in Paris, das bis heu- tung eines Bechers Erdbeerjo„Ideal X“ gerade einmal knapp stimmt, runter, rauf, zack, zack. überall und sofort von allen wie- deshalb einst eine Hymne auf
te die Interessen der Branche ghurt hinterhergereist. http://
160 Meter lang, messen die größ- Die Liberalisierung der Weltwirt- dererkennbar ist. Auf der ande- „Container Love“, die Liebe zu eivertritt. Der Aufmachertext der erdbeerjoghurt150g.wordten ihrer Art heute knapp 400 schaft war streng genommen ren Seite aber: Geheimniskräme- nem Container. Nichts ist verersten Ausgabe der Verbands- press.com
Meter.
zeitschrift klärte erst einmal auf: ■ „Container Story“ ist ein Dokunur dank dieses Systems mög- rei. Von außen ein Kasten, so sim- lässlicher als die Kiste selbst. Du
Am meisten Cargo fasst der- lich. Geschätzte 90 Prozent aller pel und schnörkellos wie ein Le- bekommst nur, was du siehst,
„Was ist ein Behälter“ lautete die mentarfilm über ebendas: die
zeit die „MSC Daniela“: 14.000 Waren werden heute so beför- gostein, und innen, tja, das In- und unkaputtbar sind sie obenSchlagzeile, darunter ein Foto Geschichte des Containers.
nenleben bleibt rätselhaft. Was drein.
Standardcontainer von 20 Fuß dert.
von einer Art Bauwagen am Ha- www.containerstory.com