Aus der Geschichte der Taller Schule

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Aus der Geschichte der Taller Schule
Lippischer Kalender 1922 S. 84–86
Aus der Geschichte der Taller Schule
von A. Wiemann, Talle
Kein Haus steht mehr im Mittelpunkt des dörflichen Lebens als das Schulhaus. Allen ist es bekannt, fas alle sind jahrelang seine Gäste gewesen, und
noch täglich werden neue Fäden gesponnen zwischen ihm und selbst der
entlegensten Waldhütte. Schhon die Allerjüngsten betrachten es mit
scheuer Neugier. Das Schülergeschlecht vereinigt sich in ihm zu gemeinsamen Erleben und Streben. Die Großen erkennen, je länger, je mehr, was sie
ihrer schlichten Dorfschule für den Lebenskampf verdanken. Und den Alten
wird am Feierabend des Lebens die Schule wieder ein Stück goldenen Kinderparadieses, in das sie sich sinnend gern zurückträumen. Die Schule gehört uns allen, soll darum auch unser aller Sorge, unser aller Stolz sein! Unsere Schule gehört allen auch in ihrer Geschichte, in ihrem Werden und
Wachsen. Darum wird auch gewiß mancher der alten und jungen Taller
Schulhausgäste gerne zuhören, wenn ich heute einiges aus der Geschichte
unserer Schule erzähle. Und wer unsere Schule nicht kennt, dem möge
beim Zuhören seine eigene Dorfschule wieder vor seinem Auge erstehen
und der möge begierig gemacht werden, auch ihrer Vergangenheit nachzufragen und nachzuforschen.
Wie lange in unserm Dorfe schon eine Schule bestanden hat, läßt
sich wohl nicht mehr genau feststellen. Jedenfalls ist unsere Kirche viel älter
als die Schule. Jene ist in ihrer jetzigen Gestalt in den Jahren 1485 – 1492
erbaut worden, Teile derselben stammen aber nach Meinung von Baufachleuten aus der Zeit um 1200. Gewiß war in jenen Zeiten unser Dorf noch
ohne Schule. 1406 wird zwar ein „Costertor Talle“ mit Namen Hennecke
angeführt, aber unter diesem Küster haben wir keinen Schulmann zu verstehen, sondern einen Kirchendiener, dem ungefähr dieselben Dienste oblagen wie unserm heutigen Kirchendiener. Unsere heutige allgemeine
Volksschule ist ein Kind der Reformationszeit. Luther und die andern Reformatoren verlangten grundsätzlich, daß jeder Christ imstande sein müßte,
selbst in der heiligen Schrift zu forschen nach dem Grunde des Heils und
dem Wege zur Seligkeit. Alle seien Priester vor Gott, dazu berufen, ihre Seligkeit zu beschaffen. Damit mußten sie grundsätzlich die allgemeine Schule
fordern für Stadt und Land. In unserm Heimatlande wurde die Reformation
durchgeführt nach 1536, dem Todesjahre des Grafen Simon V., der kein
Freund von Luthers Lehre und Werk gewesen war. In den Städten fanden
sich zuerst und am zahlreichsten Anhänger der neuen Lehre, die abgelegenen Dörfer vernahmen gewiß zuletzt den süßen Klang der „Wittenberger
Nachtigall“. Bei uns wurde 1555 das Chor an die Kirche gebaut. Vielleicht
knüpft sich dies Ereignis an die Einführung der Reformation in unserm Dorfe. Nur langsam schlugen evangelische Lehre, evangelisches Leben Wurzeln
im Lande. Daß besonders auch die Durchführung des lutherischen Schulgedankens auf den Dörfern den größten Schwierigkeiten begegnete, ist
selbstverständlich. Für manchen war doch der ganze Konfessionswechsel
nur ein äußerer Vorgang, kein inneres Erleben. Und daß nun gar jeder um
der Seligkeit willen in die Schule sollte, wird manchem schlichten Bäuerlein
ketzerischer vorgekommen sein, als der Ablaßhandel. Vielleicht zu Ende des
16. Jahrhunderts wurden in den Kirchdörfern die ersten Schulen errichtet,
hier etwas früher, dort etwas später. In Talle wurde 1599 „das Klosterhaus
erbawet“. So berichtet in unserm ältesten Kirchenbuche um 1660 Pastor
van Lee. Damit war auch wohl unsere erste Schule erbaut. Der Küster wurde nun zugleich Schulmeister. Natürlich muß man sich den damaligen
Schulbetrieb möglichst einfach denken. Katechismus, Singen, Lesen, das
werden wohl zunächst die Unterrichtsfächer gewesen sein, und der schulfreien Tage im Jahre mochten anfangs mehr sein als der Schultage. Aber es
war wenigstens ein Anfang gemacht. Das Küsterhaus stand unterhalb der
Kirche, da wo jetzt das Niekesche Kaufhaus steht, an einem Abhange, der
im Volksmunde noch heute „Küsterbrink“ heißt. Als Kirchspielschule war
unsere Schule zunächst für die ganze Kirchengemeinde bestimmt, auch für
die jetzigen Schulorte Bavenhausen und Kirchheide. Um 1614 wirkte in Talle
als Küster und Schulmeister Bernhard Biere. Die Hauptmängel der neuen
Schule waren einmal die weiten Schulwege und dann das Fehlen einer genügenden schulischen Vorbildung des Küsters. Stundenweit mußten die
Kinder bei den damaligen schlechten Wegen (Fliegenstraße!) zur Schule gehen; und wie konnte denn über Nacht ein Kirchendiener zum Schulmeister
werden! Man stelle sich doch einmal vor, daß das heute geschehen sollte!
Damals war es so. Daß unter solchen Umständen Eltern und Kinder nur selten Freunde der Schule waren, braucht uns nicht zu wundern. Wie kam
denn aber gerade der Kirchendiener zum neuen Schulamte? Das
Schulehalten wurde durchaus als kirchliche Aufgabe betrachtet, von den
Geistlichen aber allgemein auf die ihnen untergebenen Küster abgewälzt.
Diese aber sahen hier eine Möglichkeit, ihr gewiß spärliches Einkommen
durch das Schulgeld der Kinder zu erhöhen. Der Schulbetrieb wird unter
diesen Umständen wohl mehr schlecht als recht gewesen sein und erst
nach ungefähr 100 Jahren trat eine gewisse Aenderung ein. Bis 1657 reichen unsere Kirchenbücher zurück, und in ihnen finden wir auch einige Mitteilungen, die uns in Bezug auf die Schule interessieren. Wie groß war damals die Seelenzahl unserer Gemeinde und demnach die Schülerzahl? Ein
ungefähres Bild geben uns Eintragungen ins Kirchenbuch, wenn wir wir sie
vergleichen mit den entsprechenden heutigen Verhältnissen. Um 1665
wurden durchschnittlich jährlich geboren 41 Kinder, getraut wurden 8 Paare, und es starben 24 Personen. 250 Jahre später, um 1915, betrug die Zahl
der Getauften 87, die der getrauten Paare 20, während 43 Gemeindemitglieder starben. Daraus dürften wir wohl schließen, daß den 2500 Personen
unserer Gemeinde von heute um 1554 etwa 1000 bis 1100 gegenüberstanden. Hätte damals der Schulzwang im heutigen Sinne bestanden, dann hätte sich der Taller Küster über Schülermangel nicht zu beklagen gehabt.
Ueber den damaligen Lehrer berichtet das Kirchenbuch von 1664: „Den 21.
februarii hat Johann Biere, der schulmeister in der Talle, seine frauwe begraben lassen.“ Gleichzeitig mit diesem Schulmeister lebte in Talle auch ein
Schneider „Henrich Biere“, beide wohl Nachkommen des erwähnten Bernhard Biere. Johann Biere hat sein Amt versehen bis 1689. Zu seiner Zeit sind
die Nebenschulen in Kirchheide und Bavenhausen eingerichtet worden „zu
beßrer Ziehung der Jugend in der wahren seligen verkändtnis und der
Furcht Gottes“. Mit diesen „ordentlichen Nebenschulen“ sollten gewiß auch
die Klagen über die weiten Schulwege beseitigt und den sich hier und da
bildenden kleinen „Klipp– und Winkelschulen“ der Boden entzogen werden.
Es scheint fast so, als haben sich die Leute durch die Einrichtung solcher
Klippschulen den staatlichen, gewiß strafferen „ordinären Schulen“ entziehen wollen. 1683 wird uns von einer Kirchen– und Schulvisitation in der
Gemeinde berichtet. Wie die Schulprüfung ausfiel, geht daraus hervor, daß
der Schulmeister zu Bavenhausen sofort sein Amt niederlegte und dem Küster zu Talle bezeugt wird, daß er sehr „verdrossen“ sei. Diesem wurde ein
Gehilfe „adjunktieret“, Dietrich Dubbert, der auch die Schule in
Bavenhausen mit verwalten mußte. Von 1689 bis 1706 ist Konrad Vogd Küster und Schulmeister in Talle. Sein Grabstein, der ihn in der Inschrift als einen treufleißigen Mann hinstellt, ziert noch heute unsern alten Friedhof.
Ueber das Stelleneinkommen unserer Küsterei um jene Zeit wird berichtet,
daß „vor Länderey ist zusammen zu 6 Scheffel Roggen; liegt bey nahe am
Dorfe, wird genannt auffen Heidenfelt, ist schlimme länderey –; und ist bei
der Talle nicht die geringste Garweyde“, also daß weder „schwein, Gans
noch Hinden“ zu halten waren. Außerdem wurde dem Küster „im Herrenholze“ ein Buchenbaum angewiesen, und die Bauern der Gemeinde mußten
48 Scheffel Roggen liefern. Der über diese Einkünfte berichtende Stelleninhaber klagt aber gleichzeitig darüber, daß nur 12 bis 16 Scheffel Korn einkämen. Dabei wird über den Zustand mehrerer Höfe der Gemeinde berichtet, sie seien „zerrissen und verkauft“, „verwüstet und zerrissen“, „verdorben und verbrannt“. Wir sehen also, daß auch die Menschen früherer Zeiten ihr gerüttelt Maß wirtschaftlicher Sorgen und Nöte zu tragen hatten.
Verzagen auch wir nicht! Der Nachfolger Henrich Vogds war Johann Albert
Jungbluth aus Kirchheide, dem bei seiner Berufung bestätigt wird, daß er
das Küster– und Schulmeistergehalt völlig erhalten solle, „wegen mit Verwaltung der Orgel aber jährlich aus denen Kirchenmitteln vier Thaler zu ge-
nießen habe“. Mit dem Küster– und Schulamte war also jetzt noch ein neuer Dienst verbunden, der Organistendienst. Vielleicht war Vogd der erste
Taller Organist gewesen. Die damalige Bedeutung unserer Kirche erhellt
auch ein wenig daraus, daß der Taller Küster 4 Taler für das „Schlagen“ der
Orgel erhielt, während sein Amtsgenosse in Schötmar für denselben Dienst
nur 2 Thaler bekam. Zu Jungebluths Zeiten brach der Matorfer Schulstreit
aus, über den ich an anderer Stelle ausführlich berichtet habe. Der alte
Jungebluth aber erlebte nicht mehr den Ausgang dieses dreißigjährigen
Krieges, der schließlich dahin entschieden wurde, daß die Matorfer und
Lehmkuhler Kinder bis zum 10. Lebensjahr die Kirchheider Schule zu besuchen hatten, dann aber die Taller Kirchspielschule. Diese erscheint jetzt also
als die höhere Schule. In ihr wurde auch das Schreiben gelehrt, während die
Nebenschulen nur „Leseschulen“ waren. Albert Jungebluth war 1729 gestorben und hatte in seinem Sohne Johann Anton den Nachfolger erhalten.
Während dessen Amtszeit, 1733, wurde das baufällig gewordene Küsterhaus abgenommen und wieder aufgebaut. Das Einkommen des Küsters
wird um 1740 von den klagenden Matorfer Bauern auf 50 Taler geschätzt,
während der Kirchheider Schulmeister „von gnedigster Herrschaft nur 16
Taler zu genießen“ hatte. Anton Jungebluth war 30 Jahre im Amte, sein
Nachfolger, Hermann Conrad Lüdeking, nur 10 Jahre (1759–1769). Darauf
wurde Kotzenberg Taller Küster, der bis zu seinem Tode (1796) in unserm
Dorfe amtierte. Er war wahrscheinlich der letzte Taller Schulmann alten
Schlages seiner Ausbildung nach. Bis dahin waren die Schulmeister haupt–
oder nebenamtlich Handwerker gewesen mit nur recht dürftigen Schulkenntnissen, die sie sich durch Selbst– oder Privatunterricht erworben hatten. 1781 war in Detmold das Lehrerseminar gegründet worden. Und nun
begann mit der besseren Ausbildung und der ausschließlichen schulischen
Betätigung der Lehrer unsere lippische Volksschule allmählich aufzublühen.
Die Küsterstellen waren damals vor andern Schulstellen begehrt; betrug
doch 1796 das Einkommen der Taller Stelle 133 Taler. In diesem Jahre gingen um unsere erledigte Küsterstelle folgende Bewerbungen ein: Voigt aus
Lüdenhausen, Dubbert aus Meinberg, Knöner aus Heiden, Kotzenberg aus
Barntrup, Fasse aus Kirchheide. Letzterer erhielt unsere Stelle und verwaltete sie bis zum Jahre 1805. Ehe wir das 18. Jahrhundert in der Taller Schulgeschichte verlassen, gedenken wir noch einer Stiftung des Junkers von
Niederntalle für unsere Schule. Otte Henrich von Groten überwies im Jahre
1767 ein auf Freitags Hofe in Talle stehendes Kapital von 100 Talern an die
hiesige Schule, „daß jährlich vor die Zinsen neun arme Kinder informieret
werden.“ Die Zinsen dieser Stiftung werden jetzt für die Schulbibliothek
verwandt. Uebrigens hatte schon früher einer der Vorgänger des Stifters,
Friedrich zur Grote, – wenn anders ich ein altes Aktenstück richtig deute –
„für den, der die Kinder informieret – – etwas schlimmes Landes verehret.“
Von den Taller Küstern des 19. Jahrhunderts brauche ich nicht viel zu erzählen; sie leben außer dem Nachfolger Jobst Hermann Fasses, Friedrich Stork,
der bis zu seinem Tode im Jahre 1817 in unserm Dorf wirkte, noch im Gedächtnis des lebenden Geschlechts. Unsere ältesten Dorfbewohner erzählen noch von dem Küster Franz Kotzenberg, der von 1818 bis 1846 hier tätig
war. Er war wohl ein Sohn des früheren Küsters gleichen Namen. Die Familie Kotzenberg scheint damals eine rechte lippische Schulmeisterfamilie gewesen zu sein. Werden doch einmal im Jahre 1821 als Paten eines Sohnes
von Franz Kotzenberg, neben einem Krüger Ernst Kotzenberg aus Ahmsen
genannt der Küster Wilhelm Kotzenberg aus Uflen. Der Küster August Kotzenberg aus Barntrup, der Küster Heinrich Kotzenberg aus Wasserhorst im
Bremischen. Die verstorbenen Nachfolger Franz Kotzenbergs stehen erst
recht bei vielen unserer Dorfbewohner in gutem Andenken. Es sind die
Friedrich Rehme (1846–1867), Heinrich Brockhausen (1868–1877) und Fritz
Rehme (1878–1913). 1847 war das alte Schulhaus am Küsterbrinke nicht
mehr zu gebrauchen. Es wurde verkauft und statt dessen ein neues gebaut
oder vielmehr gleich einem Schwalbenneste an einen andern Bergabhang
g e k l e b t. Da liegt es noch heute, stattlich und breit wie eine Dorfburg,
mehr schön als wirtschaftlich zweckmäßig gelegen. Der Schulgarten eignet
sich besser zu Uebungen in Bergsteigen als zu lohnenden Versuchen im Gartenbau.
Vor etwa 30 Jahren wurde das Küsterhaus durch einen Anbau vergrößert. Seit jener Zeit (1892) arbeiten 2 Lehrer an unserer Schule. Als zweite Lehrer waren an ihr tätig: F. Bökemeier (1892 bis 1897), A. Wiemann
(1903–1906), A. Huxoll + (1906 bis 1907), G. Bödeker (1907), Wedeking, +,
(1907 bis 1908), O. Vietmeier (1908–1910), F. Meyer +, (1910), Friedrich
Brand (1910–1912), O. Wolfram +, (1912), E. Siekmann (1912–1914), W.
Kordhanke (1919), H. Plöger (seit 1919).
Damit nehmen wir für heute Abschied von unserer alten Schule.
Möge sie auch in Zukunft unter einem freundlichen Stern stehen! Möge sie
stets ein frisches Zweiglein sein an dem Baume einer blühenden lippischen
und deutschen Volksschule!

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