GESELLSCHAFTSRECHT
Transcription
GESELLSCHAFTSRECHT
GESELLSCHAFTSRECHT Gesellschaftsrecht Sittenwidrigkeit von Aktionärsvereinbarungen? Christian Dittert | Dittert @ kaufmannlutz.com 1. Einleitung Der Gesetzgeber fokussiert sich bei den Regelungen des Kapitalgesellschaftsrechts nahezu ausschließlich auf die statutarische Ebene der Satzung. Nur in ausgewählten Vorschriften werden auch „einfache“ schuldrechtliche Verträge in Bezug genommen (vgl. etwa § 136 Abs. 2 AktG). In der Praxis haben jedoch schuldrechtliche Vereinbarungen unter den Gesellschaftern gerade bei Kapitalgesellschaften eine sehr große Bedeutung, da sie im Gegensatz zur Satzung insbesondere nicht der Publizität des Handelsregisters unterliegen. Bei der Aktiengesellschaft findet sich dementsprechend ein Nebeneinander von Satzung und Aktionärsvereinbarungen. Dabei darf trotz der Bedeutung, die das Gesetz der Satzung beimisst, nicht fälschlicherweise davon ausgegangen werden, dass die Aktionärsvereinbarung eine lediglich untergeordnete Rolle spielt. Im Gegenteil sind Aktionärsvereinbarungen oftmals Gegenstand der wesentlichen individuellen und die Gesellschaft maßgeblich beeinflussenden Vereinbarungen zwischen Aktionären, wohingegen die Satzung der Aktiengesellschaft regelmäßig auf standardisierte und technische Floskeln sowie die zwingenden gesetzlichen Mindestinhalte reduziert bleibt. Ein Beispiel für einen typischen Regelungsinhalt einer Aktionärsvereinbarung stellt die sog. „Changeof-control-Klausel“ dar, die Vinkulierungsbestimmungen, also Beschränkungen der freien Verfügung über Aktien, ergänzt. Es handelt sich hierbei um eine Regelung, die insbesondere dort von Bedeutung ist, wo Gesellschaften Aktionärsstellungen innehaben. Partei der Aktionärsvereinbarung ist die entsprechende Gesellschaft, nicht aber die hinter ihr stehenden Ge- 22 sellschafter. Mit einer „Change-of-control-Klausel“ wird auf Ebene der Aktionäre sichergestellt, dass ein Kontrollwechsel bei der Gesellschaft in Aktionärsstellung nur mit Zustimmung der anderen Aktionäre bzw. unter bestimmten Auflagen möglich ist. Auf diese Weise binden Aktionäre auch die maßgeblichen, hinter vorgeschalteten Gesellschaften stehenden Personen an ihren Kreis und bewirken so eine wichtige Ergänzung des gerade mit Vinkulierungsklauseln bezweckten „Überfremdungsschutzes“. Mit Wirksamkeit einer „Change-of-control-Klausel“ im Rahmen einer Aktionärsvereinbarung hatte sich jüngst das Oberlandesgericht München (Urteil vom 18.10.2007, Az. 23 U 5786/06) auseinanderzusetzen: 2. U rteil des OLG München vom 18.10.2007 (23 U 5786/06) Kläger des Verfahrens war ein niederländischer Investmentfonds, der sich unter anderem gegen folgende Regelung in einer Aktionärsvereinbarung wandte: (1) Sofern ein Aktionär keine natürliche Person, sondern eine in- oder ausländische Personen- oder Kapitalgesellschaft, gleich welcher Rechtsform, ist („Gesellschaft“), dürfen die Gesellschaftsanteile an solchen Gesellschaften nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft übertragen werden. (2) Gleiches gilt für die Begründung von Treuhandschaften, Unterbeteiligungen, stillen Beteiligungen oder ähnlichen Rechtsverhältnissen an diesen Gesellschaftsanteilen oder den Gesellschaften. (…) Bei Verstoß gegen die vorgenannte Klausel war im streitgegenständlichen Fall als Sanktion der entschädigungslose Anteilsverlust vorgesehen, wogegen sich die klagende Partei zur Wehr setzte. Das OLG München entschied in diesem Zusammenhang, dass die beschriebene Sanktionsregelung nichtig sei. Dabei ließ das Gericht zunächst offen, ob bereits ein gesellschaftsrechtlicher Treuepflichtverstoß darin zu sehen sei, dass die Nichteinholung der Zustimmung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft gemäß Abs. 1 der Change-of-control-Klausel ohne jegliche Differenzierung zum entschädigungslosen Anteilsverlust führen solle. Das OLG München sah jedoch in der Sanktion des entschädigungslosen Anteilsverlustes einen Verstoß gegen die guten Sitten gemäß § 138 Abs. 1 BGB. In klassischer Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln als Einfallstore für die Grundrechte in privatrechtliche Rechtsbeziehungen konstatierte das Gericht einen Verstoß gegen den Wertmaßstab des Art. 14 Abs. 1 GG, mit dem die streitgegenständliche Regelung schlechterdings unvereinbar sei. Dass das von der Beklagtenseite angeführte Ziel einer wirksamen Abschreckung von Pflichtverletzungen das gewählte Mittel der Sanktion nicht rechtfertige, bedürfe keiner weiteren Begründung. wenig der Verdacht auf, das OLG München habe den Verstoß gegen die guten Sitten sehr pauschal und ohne stichhaltige Argumente bejaht. Bezeichnend ist, dass das Gericht den Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB bzw. die Unvereinbarkeit mit dem Wertmaßstab des Art. 14 Abs. 1 GG durch die schlichte Feststellung begründet, dass das von den Beklagten angeführte Ziel einer wirksamen Abschreckung von Pflichtverletzungen das gewählte Sanktionsmittel des entschädigungslosen Anteilsverlusts nicht rechtfertige, was keiner weiteren Begründung bedürfe. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass dem Urteil des OLG München im Ergebnis nicht gefolgt wird. Es stellt sich lediglich die Frage, ob sich das gefundene Ergebnis nicht plausibler aus aktienrechtlichen Erwägungen ableiten lässt, zumal damit auch dem allgemeinen Prinzip gefolgt werden könnte, nachdem die speziellere Regelung Vorrang vor der allgemeineren hat. § 23 Abs. 5 AktG wird als Ausdruck des Prinzips der Satzungsstrenge verstanden. Als solcher ist er Grundlage der oft zitierten Starrheit des Aktienrechts, die bestimmte Regelungsinhalte entweder von vornherein verbietet oder andere der Regelung in der Satzung vorbehält, was insbesondere mit Blick auf die börsennotierte Aktiengesellschaft gerne aus Erwägungen des Anlegerschutzes, gerade auch des Schutzes von Kleinanlegern, abgeleitet wird. 3. Anmerkung Wie jeder schuldrechtliche Vertrag unterliegen auch Aktionärsvereinbarungen Wirksamkeits- und Durchsetzbarkeitshindernissen. Diese können sowohl dem Aktienrecht bzw. sonstigen Spezialgesetzen als auch dem allgemeinen bürgerlichen Recht entstammen. Insoweit begegnet die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB durch das OLG München keinen Bedenken. Fraglich ist jedoch, ob die Sanktion des entschädigungslosen Anteilsentzugs bei Verstoß gegen eine „Change-of-control-Klausel“ tatsächlich gegen die guten Sitten, also das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, verstößt. Das OLG München kann sich hier zumindest auf einschlägige Stimmen in der Literatur berufen, die jedoch einer kritischen Würdigung bedürfen. § 138 BGB stellt eine zivilrechtliche Generalklausel dar, die aufgrund ihrer Weite der restriktiven Auslegung bedarf, um der Eröffnung eines ausufernden Anwendungsbereichs entgegen zu wirken. Bei der Lektüre der Urteilsgründe drängt sich vorliegend ein Ein anerkannter Ausfluss der Satzungsstrenge des § 23 Abs. 5 AktG ist die Tatsache, dass Verpflichtungen in Aktionärsvereinbarungen nicht der korporationsrechtlichen Sanktionierung auf Ebene der Satzung zugänglich sind. So kann beispielsweise nicht bei Verstoß gegen die Klausel einer Aktionärsvereinbarung die Satzung die Zwangseinziehung von Aktien anordnen. Ein solcher Fall lag hier nicht vor, da die Sanktion vorliegend in die schuldrechtliche Ebene der Aktionärsvereinbarung eingebettet war. Der entschädigungslose Anteilsverlust als korporationsrechtliche Sanktion wird dabei durch Stimmbindungsvereinbarungen lediglich mittelbar herbeigeführt: die Aktionäre sind zu einem entsprechenden Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft verpflichtet, das zur entschädigungslosen Einziehung der Aktien des gegen die „Change-of-controlKlausel“ Verstoßenden führt. Allerdings fragt sich das OLG München in seinen Entscheidungsgründen selbst, ob eine derartige Sanktion im Übrigen ihrer „kooperationsrechtlichen“ [Anmerkung: Hier muss 23 GESELLSCHAFTSRECHT ein redaktionelles Versehen vorliegen, da es um die „korporationsrechtliche Natur“ des Anteilsentzugs geht.] Natur wegen überhaupt in einer Aktionärsvereinbarung geregelt werden könne, lässt diese Frage jedoch offen. Dies ist jedoch ein vielversprechender Ansatzpunkt, um das vom OLG München gefundene Ergebnis mit einem stichhaltigen Begründungsansatz zu untermauern. Es ist nämlich inzwischen gefestigte Rechtsprechung, dass Stimmbindungsvereinbarungen der Zwangsvollstreckung zugänglich sind, was zwingend auch mit einer strengeren Inhaltskontrolle gemessen an den Maßstäben des Aktienrechts einhergehen muss. Man könnte das Ergebnis des OLG München also ohne den unzureichend begründeten Rückgriff auf § 138 Abs. 1 BGB auch an einem Verstoß gegen zwingendes Aktienrecht und damit letztlich § 134 BGB festmachen: sind nämlich korporationsrechtliche Sanktionen für Inhalte schuldrechtlicher Aktionärsvereinbarungen unzulässig, so könnte man zu demselben Ergebnis kommen, wo vollstreckungsrechtlich durchsetzbare Stimmbindungsvereinbarungen mittelbar dieselbe Wirkung ausüben. 24 4. Fazit Das Verdikt der Sittenwidrigkeit sollte nicht vorschnell und überdies lediglich in Ausnahmefällen über Regelungen in schuldrechtlichen Aktionärsvereinbarungen gefällt werden. Oftmals bietet das strenge Aktienrecht schon geeignete Abwehrmechanismen. Unabhängig von der Begründung des Ergebnisses spricht jedoch vieles dafür, dass bei Change-of-control-Klauseln jedenfalls der entschädigungslose Anteilsentzug im Falle des Verstoßes gegen die Klausel einen zu weit gehenden Eingriff in die Rechte des Aktionärs darstellt, auch wenn ein entsprechender Sanktionsmechanismus lediglich schuldrechtlich zwischen den Aktionären einer Aktiengesellschaft vereinbart ist. Die Vertragsgestaltung sollte hier nach milderen Ansätzen Ausschau halten, die aber nicht minder effektiv sein müssen: denkbar sind etwa (pauschalierte) Schadensersatz- oder Vertragsstrafregelungen. Der Entschädigungsausschluss bei Zwangseinziehung kann dabei nicht als Vertragsstrafe deklariert werden, wie das OLG München im Einklang mit der Literatur zurecht entschieden hat. Recht Aktuell 4/2008