Ein Zeitzeuge des Holocaust besucht die HHS Doris Gercke
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Ein Zeitzeuge des Holocaust besucht die HHS Doris Gercke
________________________________________________________________ Begegnungen Ein Zeitzeuge des Holocaust besucht die HHS F rau Dr. Pritzlaff stellte uns am Dienstag, dem 16.09.‘97, das Buch “Untergetaucht” von Gert Koppel vor, und lud uns gleichzeitig ein, bei der Lesung am folgenden Donnerstag teilzunehmen. Das Buch ist von einem Mann, der der jüdischen Religion angehört, verfasst, welcher in seiner Jugend sehr unter den Folgen des Hitlerregimes gelitten hatte, deshalb nach Belgien floh und letztendlich nach Amerika auswanderte, wo er auch heute noch mit seiner Familie lebt. Da sich das Thema Nationalsozialismus in den letzten Schuljahren ausschließlich auf sachliche Basis beschränkte, interessierten uns viel mehr das Schicksal eines Einzelnen und die damit verbundenen Gefühle. Am Donnerstag versammelten wir uns im Klausurraum. Zu Beginn der Lesung appellierte Herr Koppel an uns, mit dem Herzen und nicht nur mit dem Verstand seiner Lesung zu folgen. Wir hörten ausgewählte, vom Autor selbst vorgetragene Ausschnitte des Textes an. Die Lesung selbst war lang. Dadurch konnten wir uns aber ein doch sehr gutes Bild von dem sympathischen Autor machen, und uns seine ergreifenden Erlebnisse fast bildlich vorstellen. Besonders gut gelang dies, da Gert Koppel während der Lesung Erinnerungsstükke zeigte, die ihn durch diese schwere Zeit begleitet hatten. Nach dem Vortrag hatten wir die Möglichkeit, auch persönliche Fragen zu stellen. Auf alle Fragen wurde mit besonderer Sorgfalt eingegangen. Durch die Offenheit des Autors entwickelte sich bald eine fast freundschaftliche Atmosphäre. monstrieren, dass weder Hautfarbe, und Kultur noch Religion ein Hindernis zwischen den freundschaftlichen Verbindungen aller verschiedenen Völker darstellen sollte. (Der Meinung sind wir auch!) Dagmar, Christina, Anita, 11. Zum Ende der uns vorgegebenen Zeit, die dann doch knapp geworden war (drei Schulstunden), zeigte er uns ein Foto seines “Lieblingsenkels”. Er ist Halbasiate. Damit wollte er uns de- Doris Gercke - Lesung m Unterricht lasen wir mit Frau Dr. Pritzlaff ein Buch der Hamburger Schriftstellerin Doris Gercke. Bei dem Roman handelte es sich um einen “Frauenkrimi” . Der Name des Romans war “Der Krieg, der Tod, die Pest”, die Geschichte einer Prostituierten, die aus dem Rotlichtmilieu zu entkommen versucht. Als wir in der Klasse über den Roman diskutierten, wurden sowohl der Stil als auch der Inhalt des Werkes stark kritisiert. Zwei unserer Mitschüler hielten hierauf ein Referat über die Autorin, welches uns ihre persönliche Stellung verdeutlichen sollte. In den darauffolgenden Stunden wurden immer wieder Fragen aufgeworfen, die uns Doris Gercke nur hätte selbst beantworten können. Frau Dr. Pritzlaff erzählte uns nun, daß es eine Möglichkeit gäbe, diese Fragen persönlich an die Autorin zu richten; Wir könnten an dieser Lesung teilnehmen, bei der Doris Gercke ausgewählte Passagen aus ihrem Roman vorlesen würde. Natürlich überlegten wir uns sofort, was wir fragen oder sagen sollten. Wir mußten uns allerdings noch einige Wochen bis zum Termin der Lesung gedulden. Am 20.01.98 war es dann soweit. Wir hatten uns in einem Hörsaal der Universität eingefunden, als die Autorin auch schon eintrat. Frau Gercke las zu dem Thema “Bahnhöfe in der Stadt” aus dem Roman “Kinderkorn” und dem uns bekannten “Der Krieg, der Tod, die Pest”. Ihre Lesung mit persönlichen Anmerkungen zu einigen Textstellen dauerte etwa eine Stunde. Danach hatten wir die Möglichkeit, unsere Fragen zu stellen. Die meisten davon hatten sich erst während der Lesung ergeben. Dennoch beantwortete Doris Gercke auch die kritischen Fragen sehr sorgsam. Copyright: Holger André, Berlin I Dieses Beantworten der Fragen dauerte noch etwa eine Stunde, bevor die Lesung beendet wurde. Die nächste Deutschstunde widmeten wir der Diskussion über die für die meisten neue Erfahrung, eine Autorin aus ihren Werken lesen zu hören. Besonders interessant fanden wir die Ergebnisse der Gespräche mit Doris Gercke, so z.B. die Tatsache, daß sie keine ihrer Kritiken liest (“Das würde mich sehr deprimieren... Das kann ich machen, wenn ich älter bin. Dann kann ich die Kritiken, die in Umzugskartons in meinem Keller stehen, immer noch lesen!”). Die meisten von uns hatten sich Doris Gercke, eine Frau, die Gewalt und Brutalität beschreibt, ganz anders vorgestellt. Im Nachhinein sagten die meisten, sie hätten die Autorin auch als Gegenüber sehr sympathisch gefunden. Christina und Annette, 11. HHS-Jahrbuch 1998 43