Interpretation der Reise der Missionsbraut Elisabeth
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Interpretation der Reise der Missionsbraut Elisabeth
Missionsbräute der Basler Mission im 19. Jahrhundert Hochzeit im Basler Missionshaus in Hongkong Elisabeth Oehler-Heimerdinger Kapelle und Missionsstation in Tschonghangkang „Könnte ich abends hier einschlafen und am Morgen in China erwachen…“ Interpretation der Reise der Missionsbraut Elisabeth Oehler – Heimerdinger zu ihrem Bräutigam in China von und mit Pia Müller-Potter Die Missionsbraut, die ‚sich in den Dienst der Mission stellt‘ Missionsbräute waren meist junge Frauen, die im 19. Jahrhundert einen Missionar heirateten, ohne ihn vorher persönlich zu kennen. Sie besassen häufig nur eine Fotografie und wenige Briefe von dem Mann, mit dem sie dann das restliche Leben verbrachten. Dass ca. 300 Frauen aus Süddeutschland oder der Schweiz Missionare in Übersee heirateten ohne sie zu kennen, hatte Das Basler Missionshaus im 19. Jahrhundert mit den 1837 eingeführten Heiratsvorschriften der Basler Mission zu tun, die Missionare nach China, Indien und Afrika aussandte. Die Missionare mussten als Junggesellen ausreisen und durften erst nach zwei Jahren der Bewährung auf dem sogenannten Missionsfeld um Heiratserlaubnis beim Komitee, dem obersten Leitungsgremium, bitten. Eine Heirat kam für einen Missionar nur mit einer europäischen Frau in Frage. So liessen sie in der Heimat bei jungen Frauen anfragen, ob diese bereit wären, einen Missionar zu heiraten und ihre Heimat für immer zu verlassen. Spuren, die diese Frauen hinterliessen, sind Briefe, Tagebücher und Fotografien. Sie beschreiben ein Stück wenig bekannter württembergischer und Schweizer Frauengeschichte. Briefe sind häufig interessante Beispiele eines sich Näherkommens im Zeitraffer. Denn es konnte durchaus sein, dass man sich nur zwei oder drei Briefe schrieb, bevor man endgültig zusammentraf. Die Spuren der Frauen führen im übertragenen Sinne ins württembergische nahe Dorf und eben in die aussereuropäische Ferne, nach Indien, Afrika und China. Sie führen auch in die Fremde, das Unbekannte: einmal eine geschichtliche Fremde - das 19. Jahrhundert -, zum anderen in eine geographische Fremde und Ferne und in fremde und ferne Lebens- und Denkwelten. Die meisten auf diese - aus heutiger Sicht - sehr spezielle Weise umworbenen Frauen traf ein Heiratsantrag überraschend. Diejenigen, die 'Ja' sagten, sahen in dem Antrag ein 'Zeichen Gottes', der sie aufforderte, seinem Ruf Folge zu leisten und Missionsarbeit zu tun. Natürlich gab es auch weltliche Motive. Manch eine wollte beispielsweise der dörflichen Enge entfliehen, Abenteuerlust konnte eine Rolle spielen, was sich für eine Frau in dieser Zeit nicht ziemte. Das Alter konnte ein Grund sein: mit über 30 Jahren galt man als sogenannte ‚alte Jungfer‘. Da war es verlockender einen eigenen Haushalt weit weg von zu Hause zu führen oder aber es wurde der Umweg über die Ehe genutzt, um überhaupt in der Mission arbeiten zu können, denn die Basler Mission nahm bis Ende des 19. Jahrhunderts keine ledigen Frauen auf. Nicht zuletzt spielte die ernsthafte gelebte Frömmigkeit eine Rolle. Es gehörte schon einiges an Gottvertrauen dazu, sich auf solch eine Situation einzulassen. Die Frauen waren in der Regel zwei Monate unterwegs. Die Reise der Bräute verlief in mehreren Etappen – über das Missionshaus in Basel – die Hafenstadt, in der man sich einschiffte – die mehrmonatige Schiffsreise. Wenn die Missionsbräute an ihrem Bestimmungsort ankamen, dann sah die Basler Verordnung noch eine Frist von zwei Wochen vor, gewissermassen als Bedenkzeit. Dann wurde noch in der Hafenstadt oder später auf der Missionsstation die Hochzeit gefeiert. Danach begann ohne Unterbrechung das neue gemeinsame Leben im fremden Lande. Aus der Missionsbraut war die Missionarsfrau geworden. Elisabeth Oehler – Heimerdinger Elisabeth Heimerdinger kannte ihren zukünftigen Ehemann Wilhelm Oehler bereits, jedoch nur als den Bruder ihrer Freundin Maria. Elisabeth wurde 1884 in Bad Cannstatt geboren, die Eltern betrieben hier ein großes Bekleidungsgeschäft. Mit ihrer Freundin Maria, Tochter des Dekans von Cannstatt und weiteren Freundinnen gründete sie ein Jungfrauenkränzchen, das sogar eine eigene kleine Zeitung herausgab. Hier zeigen sich schon recht früh Elisabeths Begabungen. Sie war eigentlich ein Schöngeist. Ihre Liebe galt der Literatur und der Malerei. Später wurde sie eine bekannte Missionsschriftstellerin. Wilhelm Oehler, der Bruder von Maria, 1877 geboren, also 7 Jahre älter als Elisabeth, studierte Theologie, promovierte 1905 und war einige Zeit Lehrer am Basler Missionshaus. Sein Onkel, Theodor Oehler, war zu dieser Zeit Direktor der Basler Mission. 1906 ließ sich Wilhelm als Missionar nach China aussenden. Er hatte sich also wohl heimlich in die Freundin seiner Schwester verliebt, sie zumindest als in Frage kommende Braut im Auge behalten. Die Reise Elisabeth`s im Jahre 1909 ist die Schnittstelle zwischen dem alten und dem neuen Leben, sie ist die Klammer zwischen dem Hier und Dort, zwischen dem ‚nicht mehr‘ und ‚noch nicht‘, der Brennpunkt, an dem sich Vergangenes und Zukünftiges bündelt. Elisabeth hatte viel Zeit sich mit ihrer Zukunft als Missionarsfrau zu befassen; sie hinterfragte sich oft und bat täglich um Gottes Beistand. Elisabeth und Wilhelm feierten ihre Hochzeit zwei Wochen nach Elisabeths Ankunft in Hongkong und reisten bald darauf weiter ins Südchinesische Hinterland nach Tschonghangkang. Das Leben als Missionars bzw. Missionsfrau hielt Elisabeth Oehler nach ihrer Rückkehr 1920 in unzähligen Büchlein fest. Besonders wichtig erschien ihr immer, auf das Leben und die Nöte der einheimischen Frauen, die ihr ans Herz gewachsen waren, hinzuweisen. In der szenischen Lesung erweckt Pia Müller-Potter Elisabeth Oehler - Heimerdinger anhand von Originalzitaten aus Briefen und Tagebucheinträgen zum Leben. Die historischen Schriften und Bilder finden sich im Archiv der Basler Mission, siehe auch www.bmarchives.org. Eine szenische Lesung kann nur eine Interpretation der Gefühls- und Denkwelt der historischen Person sein; die Denkweise einer heutigen Frau fliesst logischerweise mit ein. Es ist faszinierend und manchmal auch irritierend diese Spotlights auf eine europäische Emigrantin jener Zeit mit zu erleben und es bleibt jedem offen Parallelen zum Fremdsein von Menschen in anderen Kulturen heute mit anklingen zu lassen. Eine wichtige Grundlage für die szenische Lesung bildete das Buch von Dr. phil. Dagmar Konrad „Missionsbräute: Pietistinnen des 19. Jahrhunderts“ (ISBN 3-89325-936-8), das hier zum Studium wärmstens empfohlen sei. Dagmar Konrad hält gerne auch öffentliche Vorträge zum Thema; das nächste Mal spricht sie am Donnerstag 03. April 2014 von 10.15h bis 11.45h im Missionshaus in Basel. Nachmittags um 14.30h spielt Pia Müller-Potter die szenische Lesung. Kontakt: Basler Mission Pia Müller +41 61 260 22 53 [email protected]