Angst Macht Gewalt
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Angst Macht Gewalt
Angst Macht Gewalt Ein Film über den Zusammenhang von Angst, Macht und Gewalt 31 Minuten, Deutschland 1999 Filmische Konzeption, Kamera, und Schnitt: Dr. Monika Zurhake, Jochen Vetter Fachliche Beratung: Dipl.Psych. Siglind Willms, Pater Johannes Risse Produktion: Servizio OM Logo: Prof. Ullrich Martini Standortbestimmung Das Video "Angst, Macht, Gewalt" ist die Fortsetzung des 1997 erschienenen Videos "Aggression, die Energie zum Lebenskampf." Es folgt ihm das Video: "Die Kunst des fairen Streitens." Das erste Video versucht, die Notwendigkeit aggressiven Verhaltens für den Vollzug eines gelungenen, selbstverantwortlich geführten Lebens darzustellen. Im vorliegenden Videofilm soll der Zusammenhang von Angst, Macht und Gewalt nachvollziehbar verdeutlicht werden. Im 3. Teil werden Lösungen zum gelungenen Umgang mit den konflikthaften Anteilen aggressiven Verhaltens angeboten, die die Voraussetzung bilden für den Aufbau einer tragfähigen Streit- und Konfliktkultur. Zur Theorie Aus der Notwendigkeit jedes einzelnen Individuums heraus, an die Welt heranzutreten (aggreddi) auf Dinge und Situationen zuzugehen, um sich einen eigenen Lebensraum zu schaffen, in dem es das zur Verfügung hat, was es zum Leben braucht oder glaubt zu brauchen, entstehen unausweichlich und unabänderlich Verteilungsund Durchsetzungsfragen. Es gibt Dinge, auf die zwei oder mehrere Einzelne gleichzeitig Zugriff nehmen wollen. Problematisch wird diese Situation dadurch, dass es meistens keine Richtschnur oder allgemeingültige Regeln gibt, wie viel wem von etwas zusteht oder er benötigt. " Ich grenze meinen Lebensraum ab gegen das konkurrierende Du," so heißt es im Video 1 oder wie Fichte sagt: "Das Du ist der Feind des Ich." Eine tiefe Angst belastet die Beziehungen der Menschen untereinander. Man könnte sie in der Klage erfassen:" Ich habe Angst, daß Du mir wegnimmst, was ich brauche; dass Du besser, schneller, fähiger bist als ich, daß Du mich überfährst, an die Wand spielst, mir meine Chancen für ein gelungenes Leben raubst. " Bedauerlicherweise verlieren wir dabei leicht aus dem Blick, wie viele Chancen für die Gestaltung und den Vollzug unseres Lebens in der Begegnung mit dem anderen liegen. Der Klärungsprozess für Durchsetzungs- und Verteilungsfragen ist mit einem Ringkampf zu vergleichen. Die Sprache sagt anschaulich: Es wird um eine Lösung der Frage gerungen. Das Besondere von Ringkämpfen ist, dass man sich mal oben, in der überlegenen Position und mal unten, in der unterlegenen Position befindet, dass man manchmal weit überlegene Partner und manchmal ganz schwache hat. Über- und Unterlegenheit sind die Begriffe, die uns an dieser Stelle unseres Aggressionsmodelles beschäftigen. Sie sind das Tor zum Verständnis von Macht und Gewalt. Über - und Unterlegenheit Überlegenheit wird von jedem gewünscht, Unterlegenheit wird gefürchtet. Überlegenheit gibt ein Gefühl von Sicherheit, dass man zu dem kommt, was man braucht und möchte Macht über Situationen haben, seine Interessen durchzusetzen Bedingungen so gestalten kann, dass sie einem zum Vorteil und Nutzen gereichen Überlegenheit gibt ein Gefühl von Stärke, Wert und Recht darauf, das zu bekommen, was man zur eigenen Lebensentfaltung und Selbstverwirklichung benötigt. Unterlegenheit dagegen macht Angst, nicht zu bekommen, was man braucht und möchte, zu kurz zu kommen, an die Wand gespielt und überfahren zu werden, klein gemacht, gedemütigt und verletzt zu werden, unter Umständen in der gesamten Existenz bedroht zu sein, wertlos der Willkür anderer ausgeliefert, dem Spott anderer Menschen preisgegeben zu sein. Kinder, die in ihrer frühen Entwicklung immer wieder erfahren, dass ihre Bedürfnisse wichtig sind, die sich in ihren Wünschen respektiert und ernst genommen fühlen, entwickeln ein grundlegendes Lebensgefühl von Selbstwert und Recht auf Durchsetzung und Verwirklichung. Ihnen steht aggressives Verhalten im konstruktiven Sinne selbstverständlich zur Verfügung. Überlegenheit im Ringkampf um Durchsetzung oder Macht über Situationen besitzen ist für sie eine häufig gemachte Erfahrung. Sie wissen, dass sie ein Recht auf Lebensentfaltung haben und sorgen dafür, dass dies Recht auch verwirklicht wird. Aus einem stabilen Selbstwertgefühl heraus können sie auch Unterlegenheit akzeptieren, ohne in negatives aggressives Verhalten verfallen zu müssen. Kinder, die viel kritisiert werden, die darauf gedrillt sind, bestimmte, gesellschaftliche Normen zu erfüllen, die wenig Aufmerksamkeit und Respekt erfahren in bezug auf die Verwirklichung ihrer Bedürfnisse, und Interessen, entwickeln Ängste, Unsicherheiten ein negatives Selbstbild und ein Lebensgefühl, das durch den Mangel an Selbstwert gekennzeichnet ist. Menschen, deren Entwicklung in dieser Weise verlief, versuchen oft gewollt Aufmerksamkeit zu erregen, fallen durch Rücksichtslosigkeit und Überheblichkeit auf und sind sozusagen ständig darum bemüht, das Gefühl, klein und wertlos zu sein, auszugleichen. Die Autoaggression Eine andere Form, mit Ängsten und Unsicherheiten fertig zu werden ist der Verzicht auf das Ausleben der aggressiven Energie. Es ist ein Versuch, durch angepasstes, freundliches Verhalten Möglichkeiten zu schaffen, eigene Wünsche und Bedürfnisse zu verwirklichen. Dieser Versuch scheitert aber oft und führt zu einem Phänomen, das man Auto - oder Selbstaggression nennt. In diesem Fall richtet sich die aggressive Energie, die zur Lebenserhaltung bereitsteht gegen den Menschen selbst. Er entwickelt Gedanken wie: Ich habe kein Recht, ich bin ein Nichts, mich kann man vergessen, ich bin der letzte Dreck und Ähnliches. Sprachstörungen, Nägelkauen, Haare ausreißen und andere Tics sind Symptome des Kindes, das selbstaggressiv reagiert. Depressionen, phobische Ängste und Selbstmordgefährdung oder gelungener Selbstmord sind Formen, in denen sich die Selbstaggression beim Erwachsenen äußert. Es wird von manchen Forschern angenommen, dass bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen der Anteil der Selbstaggression einer Person auch eine Rolle spielt. Man könnte zwei Ebenen unterscheiden, auf denen Über - und Unterlegenheit eine Rolle spielen: - - erstens die Ebene des alltäglichen Handelns, in der jeder Augenblick eine Durchsetzungsfrage und damit verbunden einen Durchsetzungsringkampf bringen kann und zweitens die Ebene der psychischen Voraussetzungen, wie ein gutes Selbstwertgefühl oder Minderwertigkeitsgefühle, die dafür entscheidend sind, ob ein Mensch sich gut durch - und auseinandersetzen kann oder nicht. Da Obensein gute Gefühle mit sich bringt und Untensein Angst, gibt es ein grundsätzliches Streben in jedem Menschen, die überlegene Position zu gewinnen und in ihr zu bleiben. Die Angst vor der Unterlegenheit ist der Schlüssel zum Verständnis des Strebens nach und Festhaltens an Machtpositionen. Wie einmal ein junger Mann im Zug posaunte: "Man muss immer einen haben, auf den man runtergucken kann!" Andersartigkeit und Gleichberechtigung aller Bedürfnisse Macht an sich ist wertfrei. Erst wenn sie zur Absicherung der eigenen Interessen auf Kosten anderer missbraucht wird, oder, wenn sie mit Mitteln erworben wird, die anderen Menschen definitiv schaden, ist sie zu hinterfragen. Was heißt "schaden" in diesem Fall? Diese Frage lässt sich immer nur mit Blick auf eine konkrete Konstellation beantworten. Denn es gibt im Ringkampf um Verteilung und Durchsetzung keinen Ringrichter, das macht die Verständigung an dieser Stelle des Zusammenlebens häufig sehr schwierig. Teilweise können Regeln und Gesetze diese Funktion übernehmen, aber die vielen Verteilungsfragen des Alltags sind nicht alle in Regeln zu fassen. Wer sagt, wie viel jemand von einer Sache braucht? Wer weiß von sich selbst genau zu sagen, wie viel Liebe, Anerkennung, Geld oder Besitz er wirklich benötigt? Für jeden Menschen haben seine eigenen Bedürfnisse Vorrang vor denen des anderen, jedem Menschen muss zugestanden werden, dass seine Bedürfnisse im Zusammenspiel seiner körperlichen und seelischen Existenz von vorrangiger Bedeutung sind, vor denen der anderen. Mit Blick auf die Andersartigkeit jedes Menschen zum anderen hin, haben alle Bedürfnisse eine Existenzberechtigung. Wenn wir von uns selbst ausgehen, jeder Einzelne für sich, dann sind alle Bedürfnisse mindestens verständlich und im jeweiligen individuellen Zusammenhang gerechtfertigt. Das Wesen der Aggressivität ist nur zu verstehen, wenn allen Menschen das Recht auf ihre Bedürfnisse und deren Befriedigung zugestanden wird. Nur wenn ich gleich bin mit anderen, brauche ich keine Angst zu haben, muss von daher auch nicht überlegen sein. Vom psychologischen Denken aus gesehen, das den seelischen Zusammenhang in jedem Einzelnen fokussiert und für das jeder Einzelne gleich bedeutsam und wichtig ist, ist jedes menschliche Bedürfnis aus dem Erleben des jeweils Betroffenen heraus verständlich. Da aber viele Bedürfniserfüllungen des einen Menschen, die des anderen ausschließen, muß um Lösungen und Kompromisse gerungen werden und zwar meist ohne "Ringrichter". Die vielen unterschiedlichen, sich teilweise ausschließenden oder das Leben verhindernden Bedürfnisse zu Lösungen zu führen, die ein friedliches Mit- oder Nebeneinander möglich machen, ist die Kunst im Umgang mit aggressiver Energie. Man könnte z. B. sagen: Barmherzigkeit ja, aber für wen? Oder: Gleichheit bedeutet in dieser Hinsicht oft schon Gewalt Die Fähigkeit, Interpretationen umzudeuten und Konstellationen von verschiedenen Seiten zu betrachten, macht einen konstruktiven Umgang mit aggressiver Energie wesentlich leichter. Hierzu wird im 3. Video, das den Titel "Die Kunst des fairen Streitens" trägt, mehr zu finden sein. Selbstverständliche Durchsetzung Wer stark ist im Einfordern seines Rechtes auf Selbstbestimmung setzt sich durch und lebt davon, dass viele andere Menschen nicht darüber nachdenken, was ihnen entgeht oder sie verpassen, oder worauf sie verzichten. Sie lassen dem Stärkeren die Macht über die Situation. Wer schwach ist in der Durchsetzung, lernt mit dem Gefühl zu leben, dass er eben nicht so viel Recht hat auf Macht. Erlernt vielleicht, dass er stark sein kann im Verzichten, in Höflichkeit, Rücksichtnahme und Friedfertigkeit, oder er greift zu Waffen wie List, Lüge, Betrug oder auch Gewalt. Gewalt Auch der Begriff der Gewalt ist positiv und negativ zu verstehen, wie der Begriff Aggression: Negativ ist die Kraft zu bewerten, die eingesetzt wird, um eine überlegene Position um jeden Preis zu gewinnen oder zu behaupten, egal mit welchen Mitteln, ohne Rücksicht auf negative Folgen für andere Menschen und häufig auch für den gewalttätig Handelnden selbst. Positiv ist die Kraft zu bewerten, die dem destruktiv Handelnden Einhalt gebietet, die dafür sorgt, dass unrechtmäßig erworbene Überlegenheit aufgegeben werden muss, die den Friedlichen vor gewalttätigen Übergriffen schützt. Spirale der Gewalt: Es wird immer wieder von einer Spirale der Gewalt gesprochen. In unserem Modell sieht sie folgendermaßen aus: Ich bin in einer unterlegenen Position, fühle mich klein, verletzt und am Leben bedroht. Ich will in eine bessere Position kommen, koste es, was es wolle, so halte ich es nicht mehr aus. Ich werde aktiv mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen und von denen ich weiß, dass ich durch sie stark bin wie z.B.: Intellektuelle Überlegenheit Moralische Argumentation Wortgewandtheit Charme - List - Lüge Skrupellosigkeit Unterwürfigkeit Körperliche Kraft Ich erlebe Überlegenheit, fühle mich gut, entspannt, erleichtert triumphierend. Ich entwickele Lust an der Macht, werde süchtig auf dieses positive Gefühl gegenüber dem negativen der Unterlegenheit Ich bekomme Angst, die überlegene Position zu verlieren. Ich mache Anstrengungen, sie zu sichern und diese Sicherheit auszubauen. Kleine Zeichen von Bedrohung dieser Überlegenheit lösen Angst aus. Ich fühle mich klein und will wieder in eine überlegene Position kommen. Wertungen und die Interpretation der Wirklichkeit Im Umgang mit Angst, Macht und Gewalt spielen vor allem Wertungen eine große Rolle. Es liegt sehr häufig an den Interpretationen, die wir dem Verhalten anderer Menschen, den Dingen, die uns widerfahren, der Bedürfnislage in uns selbst geben, ob wir uns angegriffen und bedroht fühlen oder nicht. Es entscheidet letztlich immer nur jeder für sich selbst darüber, ob er zu wenig oder genügend hat, ob eine Grenze überschritten wurde, ob eine Position als unter - oder überlegen zu interpretieren ist. Wir können bereitwillig in Konstellationen eine Überlegenheit der anderen hineindeuten und uns deshalb klein fühlen, wir können hohe Ansprüche an das Leben und die Gutmütigkeit anderer oder auch an unsere eigene Leistungsfähigkeit stellen und dadurch häufig unzufrieden sein. Wir können dadurch in uns die Bereitschaft schüren, uns angegriffen zu fühlen und deswegen aggressiv werden zu müssen. Hier spielt die in der Kindheit geprägte oben beschriebene Charakterstruktur eine große Rolle. " Ich habe Angst, zu verhungern," sagt eine Frau, die über einen Großgrundbesitz verfügt und ein kleines Stück Land durch Verkauf abgegeben hat. "Unsere Demut ist unser Stolz," sagt eine Ordensschwester und interpretiert damit eine Situation von Unterlegenheit um in eine der Überlegenheit. Jede Situation, jedes Ereignis, jede Handlung, alles ,was passiert, ist vielfältig deutbar und so können wir immer etwas finden, was unsere Unterlegenheit beweist und uns legitimiert, aggressiv zu werden. Wir können aber auch Situationen so interpretieren, daß wir in irgendeiner Form souverän werden über sie. Das hängt viel von der geistigen Beweglichkeit, vom Willen zum Frieden und vor allem vom eigenen Selbstwertgefühl und Selbstverständnis ab. Faszination durch Macht und Gewalt Wir Menschen haben Lust auf Konstellationen, in denen ein Mensch der Größte, Schnellste, Beste ist, am liebsten wir selbst. Wir haben Lust, Zuschauer zu sein, wenn es um Zerstörung, Lebensbedrohung oder Vernichtung geht. Spannend wird es in allen Geschichten, Theaterspielen und Filmen, wenn "der Gute " und der " Böse " definiert sind, wenn der Böse versucht, den Guten zu vernichten und wenn der Böse besiegt und vernichtet wird." Blut muss fließen," dann guckt jeder hin. Es gibt in jedem Menschen eine Lust an Gewalt, die anderen widerfährt. Man darf nur selber nicht in der unterlegenen Position, in der Opferrolle sein, dann hört der Spaß auf. Scham und Verdrängung So faszinierend wie Gewalt für uns ist, so schamhaftig gehen wir mit unserem eigenen Gewaltpotential, unserer eigenen Gewaltbereitschaft um. Wir wollen diese Seite unseres Menschseins weder verstehen, noch erkennen, noch überdenken. Wir haben mächtige Widerstände, uns in dieser Hinsicht mit uns selbst auseinander zu setzen. Es geht immer um andere, die gewalttätig sind: "Ich doch nicht!" Dies wird besonders deutlich an der Art und Weise, wie Methoden vermieden, totgeschwiegen oder diskriminiert werden, die uns helfen könnten, diese Seite unseres Wesens zu erkennen. Siehe Video Szene 3 und 8. .Solange kein öffentliches Bewusstsein gewachsen ist, dass jeder Mensch seine Gewaltbereitschaft genau so zur Kenntnis nehmen sollte, wie seine schlechten Zähne oder seine Rauchersucht, solange gibt es keine Hoffnung, dass sich an den bestehenden Gewaltstrukturen Wesentliches ändern kann. Die Fähigkeit des Menschen, unliebsame Anteile seines Erlebens verdrängen zu können, macht es möglich, dass wir im Brustton der Überzeugung sagen können: "Ich doch nicht !"Es ist schwer und braucht fachkundige Hilfe, wenn Verdrängungen aufgelöst und ihre Inhalte ins Bewusstsein gehoben werden sollen. Projektion oder Übertragung alter Gefühle auf neue Situationen Es soll hier noch eine letzte Gegebenheit beschrieben werden, die den Umgang mit unserer Aggressivität so schwierig macht. Es ist ein Gesetz, dass wir alte Erfahrungen aus Kindheit und Jugend im Körper gespeichert haben. Teile dieser Erfahrungen wie das Gefühl oder ein Geruch oder ein anderes Detail werden in uns lebendig, wenn wir in der Gegenwart etwas erleben, was an die alte Erfahrung erinnert. Manchmal wird auch die gesamte alte Erfahrung aktiviert, manchmal tritt sie ins Bewusstsein, meistens nicht. Es sieht dann so aus, dass wir auf eine Situation reagieren, als sei sie die alte, auch wenn sie in vieler Hinsicht anders ist. Beispiel: Mein Vater hat mich als Kind geschlagen, als ich gegen ein Gebot verstoßen hatte. Ich sehe noch heute, sein zorniges Gesicht, wenn ich daran denke. Es kann mir heutzutage passieren, dass ich, wenn ich gegen eine Abmachung mit meinem Partner verstoßen habe, vorausnehme, dass er so zornig reagieren wird wie mein Vater damals und ich wappne mich schon mit aggressiver Energie für den Moment, in dem ich ihm begegnen werde. Ich kann dann oft gar nicht mehr wahrnehmen, wie er wirklich reagiert, weil ich seinen Zorn schon vorwegnehme, einen Zorn, der dem meines Vaters in der alten Situation gleicht. Da derartige Übertragungen meist unbewusst laufen, ist es auch in diesem Zusammenhang sehr, sehr schwer, Konflikte zwischen Partnern zu klären und zu lösen. Was stellt das vorliegende Video dar? Es beginnt mit einer Szene von Jugendlichen der Klasse 8, die Waffen präsentieren, die ihrer Aussage nach jede (r) Jugendliche ab Klasse 5 heute mit sich trägt. "Ein Messer hat jeder in der Tasche!" Es zeigt aber auch die Scham, die zu beobachten ist, wenn es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Gewaltbereitschaft in jedem von uns geht. In einer Abfolge von Szenen wird versucht zu dokumentieren, wie die unterlegene Position mit Gefühlen von klein, ohnmächtig, wertlos sein, die überlegene mit Gefühlen von Größe und Macht verbunden ist. Es wird versucht, die Angst, die in der Unterlegenheit, in der Opferrolle aufkommt, erlebbar zu machen. Wie die Opferrolle zum Grundgefühl von Minderwert, Angst und Unsicherheit führt, wie daraus die Sehnsucht erwächst nach Macht, Rache, Überlegenheit oder Vernichtung des anderen bis hin zu direkt gelebter Lust an vernichtender Gewalt bildet das Ende der Spirale, in der sich das Video bei der Darstellung unserer Gewaltbereitschaft hinaufschraubt. Es wird darauf hingewiesen, dass die Szenen 3, 4, 5, 6, 8 und 9 Einblick geben in das innere Erleben der betroffenen Menschen Szenenabfolge Szene 1 : Schüler der Klasse 8 präsentieren ihre Waffen Szene 2 : Jugendliche beschäftigen sich mit der Darstellung von Gewaltbereitschaft. Szene 3 : "Wenn ich oben bin, bist Du unten !" Kampf zweier Männer - a) mit Worten b) mit Körperkraft Szene 4 : Frustration und Angst vor Unterlegenheit führen zu gewalttätigem Handeln. Autofahrer. Szene 5 : Verlierer landen im Abseits. Behinderung und Zugehörigkeit zu Gruppen. Szene 6 : Weitergabe von Verletzungen. Ein Gewaltakt. Szene 7 : Verletzungen von Kindern durch Eltern und umgekehrt. Szene 8 : Ohnmacht und Verletzung werden als " Kleingemachtwerden" erlebt und erzeugen Hass. Es bedarf der Entlastung und Verarbeitung von Hass. Szene 9 : Durch gewalttätigen Zugriff verschaffe ich mir Überlegenheit. Radikale Randgruppen. Szene 10 : Die gesellschaftlichen Ziele von "größer, schneller, besser sein" sind Formen der Gewalt. Szene 11 : Gewalt wird zur Sucht. Einsatzmöglichkeiten des Videofilmes: Der Film kann eingesetzt werden - Im Schulunterricht ab Klasse 9 Zur Schulung von LehrerInnen, Eltern und ErzieherInnen für das Verständnis und den Umgang mit Gewaltbereitschaft In der Friedensarbeit Arbeitsanregungen: Nach dem Anschauen des Filmes sollte man die Zuschauer zuerst ihre Betroffenheit äußern lassen. Dazu gehört vor allem auch die Artikulation von Widerständen, dieser Wirklichkeit ins Auge zu sehen, weil diese nur abzubauen sind, wenn sie ausgedrückt werden dürfen. Sie sind auch eine Form aggressiven Verhaltens. An Hand der einzelnen Szenen lässt sich die Frage stellen: " Wo finde ich mich wieder?" Reflexion und Analyse des eigenen Verhaltens können sich anschließen. Ebenso könnte man mit der Frage verfahren: "Wo finde ich ähnliches Verhalten in meiner Umgebung?" Anschauen des ersten Videos, um den Zusammenhang von der Notwendigkeit aggressiven Verhaltens und dessen Destruktivität verstehen zu lernen. Erarbeiten der strukturellen Parallelen zu Einzelpersonen, Gruppen, gesellschaftlichen Gruppen oder politischen Systemen. Im Anschluss an das Anschauen des Videos könnten die Teilnehmer eigene Erfahrungen sammeln, indem sie selber Übungen machen, wie sie im 1. Video angeboten werden oder folgende weiterführende Übungen: a) Erinnern Sie sich, wo Sie in Ihrem Leben schon Gewalt erlebt haben. Wo haben Sie sich selbst als rücksichtslos und andere überfahrend erlebt? Wo spürten Sie selbst anderen gegenüber Hass- oder Vernichtungswünsche? Nehmen Sie sich dafür 15 Minuten Zeit. Wählen Sie sich danach eine Partnerin/Partner, mit der/dem Sie über das Geschriebene sprechen. Versammeln Sie sich im Plenum und tauschen Sie sich über ihre Erfahrungen aus. b) Schreiben Sie auf, wo Sie in Ihrem Leben Opfer waren. Verfahren Sie in der gleichen Weise wie unter a) beschrieben. c) Suchen Sie sich eine Partnerin/ Partner und fragen Sie sie/ihn, ob sie/ er bereit ist, die "Vesuvübung" mit Ihnen zu machen. Falls sie/er zustimmt, stellen Sie sich voreinander auf und beschimpfen Sie sich mit Schimpfworten, so gut es Ihnen möglich ist. Wenn eine/r merkt, dass es ihr/ihm zuviel wird, kann sie/er "Stop" sagen und die Übung muss sofort abgebrochen werden. Beenden Sie die Übung indem Sie den Partner auf jeden Fall entrollen. Sprechen Sie danach über ihre Erfahrung zu zweit und danach in der ganzen Trainingsgruppe. d) Suchen Sie sich einen Partner, eine Partnerin und entscheiden Sie, wer zuerst Herr, und wer Sklave sein soll. Der Herr gibt dem Sklaven Aufträge, die er/sie erfüllen muss. Es werden danach die Rollen getauscht. Sprechen Sie danach zu zweit und im Plenum über Ihre Erfahrungen. e) Teilen Sie Ihre Gruppe in 4 Untergruppen auf. Jede geht in eine Ecke des Raumes. In einer Ecke stehen die Täter, in einer die Opfer, in einer die Retter und in einer die Rebellen. Alle Untergruppen haben 2 Minuten Zeit, zu überlegen, wie sie ihre Rolle gestalten wollen. Danach spielen die 4 Gruppen 8 Minuten lang miteinander ein Spiel entsprechend ihren Rollen. Dann sucht sich jeder einen Partner, um über die Erfahrungen zusprechen. Daraufhin gehen alle eine Ecke weiter, um eine weitere Rolle auszuprobieren. Das Spiel beginnt von vorn bis alle Mitspieler jede Rolle einmal erfahren haben. Es gibt drei Sicherheitsegeln dabei: 1. Die Leiter dürfen nicht mitspielen 2. Keiner darf den Raum verlassen. 3. Wenn einer "Stop" sagt, muss sofort abgebrochen werden. Später werden alle Erfahrungen im Plenum reflektiert und man kann fragen: "Was will ich in meinem Verhalten verändern? Wie möchte ich das tun? Reflektieren Sie die gesellschaftlichen Normen und Gebräuche, die die Gewaltbereitschaft in den Menschen anheizen. Literaturhinweise: Schweigen ist Schuld Ein Lesebuch der Verlagsinitiative gegen Gewalt und Fremdenhass. Frankfurt a. M. 1993, ISBN3-492-04000-4 Im Keller Jan Ph. Reemtsma Rororo 22221 Aggressives Verhalten Mythen und Möglichkeiten M. Borg - Laufs Dgvt Verlag, Tübingen Ethik und Unendliches Gespräche mit Philippe Nemo E. Levinas Edition Passagen Verlag, Wien 1986 Kleine Helden in Not Schnack - Neutzling Rororo Mann8257 Hörrohr Zeitschrift für deutsch - ausländische Solidarität August 1994