Betrug I - strafrecht

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Betrug I - strafrecht
Vorlesung Strafrecht BT (SoSe 2012)
Juristische Fakultät der Universität Freiburg
Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht
Prof. Dr. Roland Hefendehl & MitarbeiterInnen
§ 30: Betrug (§ 263 StGB)
I.
Allgemeines
Der Betrug ist das wichtigste Vermögensdelikt. Geschützt wird nach h.M. (Wessels/Hillenkamp Rn.
489; MK/Hefendehl § 263 Rn. 1) das Vermögen als Ganzes, nicht (lediglich) das Eigentum oder die
Wahrheit.
Die PKS 2011 weist 912.899 Fälle des Betrugs auf. Das entspricht einem Anteil von 14,2 % an der
Gesamtkriminalität. Die Aufklärungsquote liegt bei 83,3 %. Die Betrugstaten verursachten 2011 einen Gesamtschaden von € 2.219,1 Millionen. Dabei ist der Schaden einer einzelnen Tat zumeist
gering. Nur in 5,6 % der Fälle verursachte einen Schaden von mehr als € 5.000. Mit 31,9 % liegt der
Einzelschaden zumeist zwischen € 50 und € 500.
Die Fassung des § 263 StGB gilt als missglückt. Anerkannt ist aber folgender Prüfungsaufbau:
KK 286
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I.
Objektiver Tatbestand
1.
Täuschung
2.
Irrtum
3.
Vermögensverfügung
4.
Vermögensschaden
5.
Kausalität, objektive Zurechnung bzw. funktionaler Zusammenhang zwischen Täuschung,
Irrtum und Vermögensverfügung
6.
Ggf.: Qualifikation nach § 263 V StGB
II.
Subjektiver Tatbestand
1.
Vorsatz
2.
Absicht rechtswidriger Bereicherung
III. Rechtswidrigkeit
IV. Schuld
V. Ggf. Strafantrag nach §§ 236 IV, 247, 248a StGB
VI. Ggf. Strafzumessung - § 263 III, IV StGB
KK 287
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II.
Täuschung
Tathandlung des Betrugs ist die Täuschung über Tatsachen.
1.
Tatsachenbegriff
Tatsachen sind nach h.M. (RGSt. 55, 129 (131); Rengier BT I § 13 Rn. 4) alle vergangenen oder
gegenwärtigen Sachverhalte (Geschehnisse und Zustände), die objektiv bestimmt und dem Beweis
zugänglich sind.
Der Tatsachenbegriff umfasst sowohl innere als auch als äußere Tatsachen.

Äußere Tatsachen beziehen sich auf etwas äußerlich, wahrnehmbares Reales; dazu zählen
insb. Eigenschaften von körperlichen Gegenständen oder Personen. Z.B. Echtheit eines
Kunstwerks; Beschaffenheit oder Verkehrsfähigkeit einer Sache; Alter, Einkünfte, Gesundheitszustand, Fähigkeiten und Qualifikationen einer Person.

Innere Tatsachen betreffen psychische Zustände wie z.B. den Willen, eine Leistung des vorleistungspflichtigen Vertragspartners zu erfüllen (vgl. NStZ 2009, 694). Zu beachten ist dabei,
dass auch gegenwärtige Absichten, Motive, Vorstellungen oder Überzeugungen hinsichtlich
künftiger Ereignisse umfasst sind (MK/Hefendehl § 263 Rn. 53, 63). Hierüber werden künftige Ereignisse z.T. wieder in den Tatsachenbegriff (mit-)einbezogen.
Nach der Rspr. (BGHSt. 8, 237, 239; LG Mannheim NJW 1993, 1488) genügt es für die Beweisbarkeit, wenn der Täter dem Opfer den Eindruck der Existenz des fraglichen Sachverhalts vermittelt
(z.B. das Vorspiegeln übersinnlicher Fähigkeiten). Nach a.A. (NK/Kindhäuser Rn. 77 f.) genügen
KK 288
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nur solche Tatsachen, die dem Beweis prinzipiell zugänglich sind. Danach würde z.B. das Vorspiegeln übersinnlicher Fähigkeiten aus dem Betrugstatbestand herausfallen.
Nicht täuschungsrelevant sind reine Meinungsäußerungen oder Werturteile sowie Rechtsansichten
und Aussagen über künftige Ereignisse, die sich nicht auf einen ausreichenden Tatsachenkern beziehen, d.h. keine ausreichende Aussage hinsichtlich einer beweisbaren Tatsache enthalten.
a) Meinungsäußerungen und Werturteile
Die sog. bloße Meinungsäußerung oder ein reines Werturteil stellt als Mitteilung subjektiver Wertungen den Gegenbegriff zum Tatsachenbegriff dar. Werturteile sind Äußerungen, die ihrem Wesen
nach durch Elemente der subjektiven Stellungnahme geprägt sind und lediglich die persönliche
Überzeugung des sich Äußernden wiedergibt (Rengier BT II § 29 Rn. 3). Ein Werturteil liegt z.B. in
der Aussage: „Das Bild finde ich schön“, nicht hingegen in der Aussage: „Dies ist ein schöner van
Gogh“.
Die Unterscheidung zwischen Meinungsäußerung und Werturteil auf der einen und Tatsache auf
der anderen Seite kann im Einzelfall schwierig sein. Denn auch Werturteile können einen Kern enthalten, auf den sich die Aussage zurückführen lässt und die eine Aussage in tatsächlicher Hinsicht
enthält (sog. Tatsachenkern). Umgekehrt können auch scheinbar als dem Beweis zugängliche Aussagen nicht als Tatsachen zu bewerten sein. Die Übergänge sind fließend. Entscheidend ist der objektive Sinngehalt der Äußerung, wie er sich nach der Verkehrsauffassung der beteiligten Verkehrskreise darstellt (vgl. Wessels/Hillenkamp Rn. 496; MK/Hefendehl § 263 Rn. 66).
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Die Abgrenzungsprobleme zeigen sich exemplarisch bei Werbeaussagen. Die Verkehrsauffassung
der jeweiligen Verkehrskreise entscheidet darüber, ob in werbenden Anpreisungen noch ein greifbarer Tatsachenkern liegt:

In der Aussage: „Besser geht es nicht“ liegt keine Behauptung eines Tatsachenkerns, da es
am Charakter einer ernsthaft aufgestellten Behauptung fehlt (Wessesl/Hillenkamp Rn. 496).

BGHSt. 34, 199 hat dagegen einen Betrug im folgenden Fall bejaht, in dem der Täter von
ihm vertriebenen Produkten, wie er wusste, Eigenschaften und Wirkungen zuschrieb, die sie
nicht hatten. Dabei glaubte auch der Täter zunächst selbst nicht daran, dass jemand darauf
hereinfallen würde. So sollte das „Hollywood-Lifting-Bad“, angeblich aus „taufrischem Frischzellenextrakt“, im Blitztempo von nur zwölf Bädern wieder schlank, straff und jung formen,
und zwar „mit 100 %iger Figurgarantie“. Verblüfft und zufrieden hätten Testpersonen festgestellt, „dass sie um herrliche zehn, fünfzehn oder mehr Jahre verjüngt“ und zur Figur eines
Filmstars geliftet worden seien. Mit dem angeblich von einem Schweizer Schönheitschirurgen erfundenen Mittel „Frischzellen-Formel Zellaplus 100“ könne man schon nach der ersten
Anwendung von nur zehn Minuten „mindestens fünf Jahre jünger“ werden, nach vollständiger
Behandlung „so jung wie vor 25 Jahren“. Beim Einnehmen der „Schlank-Pille M-E-D 300“
müsse man sogar reichlich essen, „damit die ungeheure Fettabschmelzkraft mit genügend
Nahrung ausgeglichen“ werde. Der „Haarverdicker- Doppelhaar“ verdopple das Haar binnen
zehn Minuten, auch Schuppen, Flechten, fettiges oder zu trockenes Haar würde mit 100
%iger Garantie beseitigt. – BGHSt. 34, 199 bejahte hier die Täuschung über den in den Äußerungen enthaltenen Tatsachenkern. Denn auch wenn die Wirkung offenbar als übertrieben
dargestellt wurde, so sind die Beworbenen dennoch davon ausgegangen, die Produkte hätKK 290
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ten überhaupt eine Wirkung. – Teilweise (Hilgendorf Tatsachenaussagen und Werturteile im
Strafrecht 1998 S. 194) wurde hier das Vorliegen einer betrugsrelevanten Täuschung deshalb verneint, weil die Ausführungen des Täters so abenteuerlich waren, dass jedem Durchschnittsbürger hätte klar sein müssen, dass diese Reklame mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen könnte (krit. dazu MK/Hefendehl § 263 Rn. 69).
Aufgrund der Schwere der Abgrenzung ist im Gutachten ggf. genau zu prüfen, ob eine scheinbar
wertende Aussage nicht doch einen ausreichenden Tatsachenkern enthält bzw. ob eine scheinbar
beweisbare Aussage nicht durch ein wertendes Element überlagert wird.
b) Künftige Ereignisse
Neben der Einbeziehung bei inneren Tatsachen können künftige Ereignisse auch anderweitig als
Tatsache in Bezug genommen werden. Voraussetzung dafür ist (MK/Hefendehl § 263 Rn. 64;
NK/Kindhäuser § 263 Rn. 81) aber, dass

die künftige Tatsache gegenwärtige Entscheidungsrelevanz hat und

die täuschende Aussage auf gegenwärtigen, gesicherten Erfahrungssätzen hinsichtlich einer
künftigen Entwicklung oder der gegenwärtigen Einschätzung eines Experten beruht.
Bsp. (bei MK/Hefendehl § 263 Rn. 64): Der Verkauf von gefärbten Sonnenbrillen zur Beobachtung
einer angeblichen bevorstehenden Sonnenfinsternis; die künftige Entwicklung eines Aktienfonds
aufgrund der Beurteilung durch Experten.
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c) Rechtsauffassungen
Die Äußerung allein von Rechtsauffassungen (z.B. man habe einen Kaufpreiszahlungsanspruch) ist
eine „Sollens- und keine Seinsaussage“ (NK/Kindhäuser § 263 Rn. 89) und damit als Werturteil zu
behandeln. Hier wird lediglich die rechtliche Bewertung eines (unstreitigen) Lebenssachverhalts
vorgenommen.
Bsp.: Nachdem A und B sich über den Übergang des Eigentums von A auf B geeinigt haben, behauptet B, er sei Eigentümer der Sache geworden. Die Behauptung, B sei Eigentümer, bringt lediglich eine (falsche) Rechtsauffassung zum Ausdruck; denn Eigentum erwirbt B gem. § 929 S. 1 BGB
erst mit der Übergabe der Sache.
Davon zu unterscheiden sind Äußerungen, bei denen Rechtsbegriffe als verkürzte Umschreibung
von Lebenssachverhalten verwendet und damit (konkludent) das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen vorgetragen werden (z.B. der Anspruchsgegner habe eine auf den Abschluss
eines Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung abgegeben).
Bsp.: B verlangt von A die Sache mit der Begründung heraus, er sei Eigentümer der Sache. Darin
kann die konkludente Behauptung liegen, dass die rechtlichen Voraussetzungen (Einigung, Übergabe) einer Übereignung tatsächlich vorgelegen hätten, obwohl A und B nie über eine Eigentumsübertragung an der Sache gesprochen haben.
2.
Täuschungshandlung
§ 263 StGB umschreibt die Tathandlung als das Vorspiegeln falscher, oder das Entstellen oder Unterdrücken wahrer Tatsachen. Die drei genannten Varianten lassen sich nicht genau abgrenzen und
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überschneiden sich teilweise (MK/Hefendehl § 263 Rn. 43). Letztlich geht es bei der Täuschungshandlung stets um das bewusst irreführende Einwirken auf das Vorstellungsbild eines anderen.
3.
Arten der Täuschung
Es sind drei verschiedenen Arten der Täuschung zu unterschieden: Es kann

ausdrücklich,

konkludent oder

durch Unterlassen
getäuscht werden. Diese Reihenfolge ist auch bei der Falllösung beizubehalten.
a) Ausdrückliche Täuschung
Bei der ausdrücklichen Täuschung wird die fragliche Tatsache explizit geäußert und es liegt eine (in
Worte gefasste) wahrheitswidrige Erklärung des Täuschenden vor (z.B.: „Dieser Wagen ist kein Unfallwagen.“).
b) Konkludente Täuschung
Eine konkludente Täuschung liegt in einem Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung über eine Tatsache zu verstehen ist. Entscheidend ist nach h.M. (Wessels/Hillenkamp Rn. 498; LK/Tiedemann § 263 Rn. 28 ff.), welche Tatsache der Täter nach der Verkehrsanschauung durch sein Verhalten miterklärt (unabhängig davon, was er mit seinem Verhalten
erklären wollte).
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Wesentliche Fallgruppen der konkludenten Täuschung:
aa) Zwingende Schlussfolgerung
Bestimmte Tatsachen ergeben sich als zwingende Schlussfolgerung aus ausdrücklichen Erklärungen des Täters (zahlreiche Bsp. bei Otto BT § 51 Rn. 16).
Bsp.: Der Verkäufer eines Gegenstandes erklärt schlüssig, zur Verschaffung des Eigentums an diesem Gegenstand in der Lage zu sein.
bb) Mitbehauptete Tatsachen
Mitbehauptet sind Tatsachen, die sich zwar nicht unmittelbar aus einer mehrdeutigen oder unvollständigen Äußerung des Täters ableiten lassen, die aber aufgrund der Gesamtumstände, unter denen die Äußerung geschieht, von der Verkehrsanschauung als mitbehauptet angesehen werden.
Ob die Verkehrsanschauung eine bestimmte Tatsache als schlüssig miterklärt betrachtet, hängt
insb. von der Risikoverteilung zwischen den beiden Parteien ab (OLG Celle StV 1994, 188, 189;
MK/Hefendehl § 263 Rn. 88 m.w.N.).
Da stets die Beurteilung der Umstände des Einzelfalls durch die Verkehrsanschauung maßgeblich
ist, verbieten sich hier pauschalierende Antworten.
Bsp. 1: Das Fordern eines bestimmten Preises enthält grds. nicht die konkludente Erklärung, die
angebotene Leistung sei diesen Preis auch wert. Denn in einer Marktwirtschaft richtet sich der Preis
nach Angebot und Nachfrage (Rengier BT I § 13 Rn. 6). Das Fordern eines bestimmten Preises ist
jedoch dann eine schlüssige Täuschung über die Üblichkeit des Preises, wenn es sich um einen
festen Listen- oder Taxpreis handelt, der eindeutig feststeht und bestimmt ist (BGH NJW 2009,
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2900, 2901) oder der Preis mit besonderen wahrheitswidrigen Behauptungen gerechtfertigt wird
(dazu BGH NStZ 2010, 88, 89).
Bsp. 2: In der bloßen Annahme einer Leistung ist nicht schlüssig die Erklärung enthalten, dass sie
von dem anderen geschuldet sei, z.B. wenn an der Supermarktkasse zu viel Wechselgeld herausgegeben wird (vgl. Rengier BT I § 13 Rn 7).
Bsp. 3: Schreibt eine Bank dem Girokonto eines Kunden irrtümlich einen ihm nicht zustehenden
Betrag gut, gilt es zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden:
a) Die Gutschrift erfolgt aufgrund eines bankinternen Versehens ohne Überweisungsauftrag eines
Kunden (sog. Fehlbuchung).
b) Die Gutschrift erfolgt infolge einer irrtümlichen Überweisung eines Geldbetrages durch einen Dritten (sog. Fehlüberweisung).
Bis zur Entscheidung BGHSt. 46, 196 nahm die h.M. an, dass der Kontoinhaber bei der Fehlbuchung wegen des Stornorechts der Bank keinen Auszahlungsanspruch erhält, bei der Abhebung
des Betrages aber konkludent erkläre, die Auszahlung aus einem ihm zustehenden Guthaben zu
verlangen. Seit BGHSt. 46, 196 verneint der BGH dies aber unter Berufung auf die zivilrechtliche
Rechtslage. Denn auch vor Ausübung eines evtl. Stornorechts stehe dem Kunden das entsprechende Guthaben materiell zu (vgl. hierzu MK/Hefendehl § 263 Rn. 107; ders. NStZ 2001, 281).
Damit ist aber noch nicht die Frage entschieden, ob bei der Fehlbuchung aber eine Täuschung
durch Unterlassen (kraft Garantenstellung aus dem Girovertrag) vorliegt (vgl. dazu unten KK 296).
KK 295
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Bsp. 4: Wer einen Wettvertrag abschließt, erklärt nach h.M. (RGSt. 62, 415; MK/Hefendehl § 263
Rn. 113; NK/Kindhäuser § 263 Rn. 133) konkludent, den Wettausgang nicht zu kennen, da die beiderseitige Unkenntnis des Ausgangs Grundalge des Geschäfts ist (a.A. für die Spätwette BGHSt.
16, 120, 121). In der Entscheidung zum Fall Hoyzer nahm BGHSt. 51, 165 an, auch im unpersönlichen Massengeschäft des täglichen Lebens erkläre der Wettende an der Wettannahmestelle konkludent, auch keinen manipulativen Einfluss auf den Ausgang des jeweiligen Spiels genommen zu
haben (zust. MK/Hefendehl § 263 Rn. 113; Wessels/Hillenkamp Rn. 499b; krit. Schlösser NStZ
2005, 423, 426): „Zwar reicht die allgemeine Erwartung, der andere werde sich redlich verhalten, für
die Annahme entsprechender konkludenter Erklärungen nicht aus. Abgesehen davon, dass die Vertragspartner aber ein Minimum an Redlichkeit im Rechtsverkehr, das auch verbürgt bleiben muss,
voraussetzen dürfen (vgl. Sch/Sch/Cramer/Perron § 263 Rn. 14 f.), ist die Erwartung, dass keine
vorsätzliche sittenwidrige Manipulation des Vertragsgegenstandes durch einen Vertragspartner in
Rede steht, unverzichtbare Grundlage jeden Geschäftsverkehrs und deshalb zugleich miterklärter
Inhalt entsprechender rechtsgeschäftlicher Erklärungen. […] Bei der Sportwette, einer Unterform
des wesentlich durch Zufall bestimmten Glücksspiels […], ist Gegenstand des Vertrages das in der
Zukunft stattfindende und von den Sportwettenteilnehmern nicht beeinflussbare […] Sportereignis.
Auf diesen Vertragsgegenstand nimmt jede der Parteien bei Abgabe und Annahme des Wettscheins Bezug.“
Bsp. 5: BGHSt. 47, 1 (zust. MK/Hefendehl § 263 Rn. 83; i.E. auch Wessels/Hillenkamp Rn. 500)
bejahte eine Täuschung durch die unaufgeforderte Zusendung einer „Insertionsofferte“, d.h. eines
Angebots zur Aufgabe einer (Todes-)Anzeige, die wie eine Rechnung für eine bereits erschienene
Anzeige aufgemacht war, obwohl die Adressaten bei genauem Lesen herausfinden hätten können,
dass es sich hierbei nur um ein Angebot handelte. Zu einer tatbestandlichen (konkludenten) TäuKK 296
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schung werde dies trotz objektiver Wahrheit der Erklärung dann, wenn der Täter die richtige Erklärung planmäßig einsetzt, um den Adressaten zu schädigen, die Irrtumserregung also nicht bloße
Folge, sondern Zweck der Handlung ist. Diese Entscheidung wird vielfach kritisiert (vgl. Joecks
§ 263 Rn. 29 ff; Pawlik StV 2003, 297), da das Vorgehen zwar unmoralisch, aber nicht strafbar sei,
weil nur wahre Tatsachen behauptet worden seien. Dabei wird jedoch verkannt, dass auch der gezielte Einsatz wahrer Tatsachen in missverständlichen Formulierungen und unklaren Gestaltungen
den Adressaten verwirren und ihn somit irrig eine Zahlungsverpflichtung annehmen lassen kann.
Insoweit ist der Täuschungsbegriff also auch normativ zu bestimmen. Innerhalb einer wertenden
Betrachtung sind aber auch die Sorgfaltsobliegenheiten der Adressaten zu berücksichtigen
(MK/Hefendehl § 263 Rn. 83). Ob in derartigen Fallgestaltungen eine konkludente Täuschung zu
bejahen ist, kann davon abhängen, ob es sich um einen geschäftserfahrenen (käufmännischen)
oder einen privaten Adressaten handelt. Allerdings sind auch Kaufleute nicht zur Durchforstung der
Schreiben bis in das letzte Detail verpflichtet. Eine konkludente Täuschung ist also bei „professioneller Vorgehensweise“ auch in diesem Geschäftsfeld möglich, insb. wenn man berücksichtigt, dass
häufig arbeitsteilige, aber zurechnungsbegründende Strukturen in Unternehmen existieren, die nicht
jedem Detail die gleiche Aufmerksamkeit schenken und Routinen anwenden (BGH StV 2004, 535,
537; OLG Frankfurt NJW 2003, 3215, 3215 f.). Dafür spricht auch der Rechtsgedanke des § 305 c
BGB.
Bsp. 6: Eine Täuschung liegt auch bei sog. „Abo-Fallen“ vor. Dies betrifft insbesondere Internetseiten, bei denen der Anschein der Unentgeltlichkeit geweckt wird und bei Registrierung die
Kostenpflichtigkeit bewusst an versteckter Stelle erfolgt (OLG Frankfurt NJW 2011, 398 ff.).
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