aufsicht mit gebrüll

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aufsicht mit gebrüll
Unternehmen Aufsichtsräte
AUFSICHT MIT GEBRÜLL
D
a ist einer runde drei Jahrzehnte
im Geschäft, hat die 60 rüstig
überschritten – und dann muss
sich der langjährige Allianz-Vorstand
Reiner Hagemann examinieren lassen:
Wie sind die Ertragsmechaniken von
Lebensversicherungsprodukten? Schon
mal einen internationalen Merger gemanagt? Erklären Sie uns doch die Maklerkanäle in der Schweiz, die Vertriebspfade
in Österreich – ja, geht’s noch?
Hagemann kam sich vor wie bei einem
Bewerbungsgespräch, als der Finanz-
konzern Fortis seine Eignung für den
Board des Unternehmens prüfte; der
soll, ähnlich dem deutschen Aufsichtsrat, die Firmengeschäfte kontrollieren.
Erst die Befragung durch Headhunter,
dann machte sich der Chairman ein
Bild von Persönlichkeit und Expertise,
schließlich gab das Nominierungskomitee des Boards ein Votum ab: „Ein paar
Monate kann sich eine solche Prozedur
schon hinziehen“, erzählt Hagemann. In
Deutschland sei ein solch intensives
Auswahlverfahren „eher die Ausnahme“.
Nachdem er im Streit mit Allianz-Chef
Michael Diekmann (54) vor drei Jahren
den Münchener Konzern verlassen hatte, wandte sich Hagemann einer neuen
Beschäftigung zu: Er wollte sein Wissen
nicht brachliegen lassen, sich die eine
oder andere Prämie hinzuverdienen –
und wurde Berufsaufsichtsrat.
Dass er seinem Ex-Chef die Meinung
geigte, hat ihm geholfen, vor allem im
Ausland: Er gilt als unabhängiger, kritischer Geist. Andererseits hat er mit seiner Schelte nach Auffassung des engeren
ERHARD
SCHIPPOREIT (60)
REINER
HAGEMANN (61)
EX-EONFINANZVORSTAND
EX-ALLIANZ-VORSTAND
Prüfexperte: Der
Anerkannter Versicherungsfachmann („Mister Allianz“). Schied im
Streit mit Allianz-Chef
Diekmann. Mandate:
Eon Energie, Bayer
Schering Pharma,
Wüstenrot &
Württembergische.
Kritischer Geist:
Finanzer wird gern für
den anspruchsvollen
Prüfungsausschuss
engagiert. Mandate:
SAP, Deutsche Börse,
Hannover Rück, Fuchs
Petrolub; Berater für
BNP Paribas, Fidelity.
Unternehmen Aufsichtsräte
UNTERNEHMENSFÜHRUNG Die Finanzkrise legt die Schwächen der
Corporate Governance bloß. Sind Berufsaufseher die Lösung?
Zirkels der Deutschland AG wider den
Komment verstoßen und deshalb eine
Ratskarriere in ihren Kreisen verwirkt.
So musste Hagemann hierzulande mit
Mandaten aus der zweiten Prestigereihe
vorliebnehmen: bei Eon Energie etwa, bei
Bayer Schering Pharma, beim Finanzdienstleister Wüstenrot & Württembergische, bei der Hochtief-Tochter Facility
Management.
Das stört ihn nicht. Er weiß, was er
kann. Und er weiß, dass sie Leute wie
ihn brauchen in Zeiten der Wirtschafts-
CLEMENS BÖRSIG (60)
EX-FINANZVORSTAND
DEUTSCHE BANK
Trendsetter: Prominentester Vertreter der
Zunft der Berufsaufsichtsräte. Wechselte
im noch rüstigen
Manageralter auf den
Stuhl des Aufsichtsratschefs der
Deutschen Bank.
Weitere Mandate:
Bayer, Linde,
Daimler.
krise, mehr als je zuvor. Denn es fehlt
an geeignetem Personal, vor allem mit
Finanzmarkt-Know-how, in der Unternehmenskontrolle.
Der Bedarf ist gewaltig. Nicht nur die
rund 14 000 Aktiengesellschaften suchen
händeringend nach qualifizierten Aufsehern. Auch immer mehr Familienfirmen
wollen externe Expertise für ihre Gremien. Und jetzt tritt auch noch der Staat
als zusätzlicher Nachfrager auf den Plan,
bei den von ihm alimentierten und kontrollierten Unternehmen wie Commerz-
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FOTOS: ANDREAS BUCK, JENS SCHWARZ, ANDREAS POHLMANN
bank, Hypo Real Estate (HRE) – und wer
auch immer noch folgen mag.
„Es muss dringend mehr Professionalität ins System“, fordert der Berliner
Wirtschaftsprofessor Axel von Werder,
Mitglied der Regierungskommission
Corporate Governance.
Das Versagen der Räte, die Beinahepleiten (IKB, HRE) nicht wittern, Korruption nicht erkennen (Siemens), sich
von Bespitzelungen überrascht zeigen
(Bahn, Telekom) und teure Firmenkäufe
durchwinken, wird nicht nur zu Turbulenzen bei den anstehenden Hauptversammlungen führen. In einer Zeit, in
der staatliche Einflussnahme das Gesellschaftsbild prägt, beschäftigt das
Fehlverhalten der Firmenwächter auch
Koalitionsrunden und Staatsanwaltschaften – die rezessionsgeplagte Öffentlichkeit ohnehin.
Es knarzt und knirscht an vielen
Ecken, allen Reformen zum Trotz.
Die gesetzlichen Auflagen wurden seit
den Bilanzskandalen Ende der 90er Jahre beständig verschärft. Es folgten Novellen unter melodischen Kürzeln wie
KonTraG, TransPuG, UmaG.
Seit 2002 ist zudem der Deutsche
Corporate Governance Kodex, ein Bündel freiwilliger Regeln, in Kraft. Und bis
zum Sommer will die Bundesregierung
das neue Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) verabschieden, das weitere Kontrollvorschriften vorsieht. So
soll der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats zu einer Art Supergremium
aufgewertet werden: Unabhängige Finanzexpertise ist Pflicht; die Aufgabe
wird um Risikomanagement, Controlling und Compliance erweitert.
Auch in der Praxis hat sich tatsächlich
einiges bewegt. So haben etliche Firmen
mittlerweile einen Nominierungsausschuss, der gezielt Kandidaten für den
Aufsichtsrat sucht. Unternehmensberater bilden Aufsichtsräte aus, verleihen
sogar TÜV-Zertifikate (für 950 Euro).
Sparkassen schicken ihre Beiräte auf die
Schulbank. Arbeitnehmer-Aufsichtsräte
lassen schon mal Strategiepapiere des
Vorstands mit externer Hilfe vorab analysieren, damit sie die betreffenden Rats-
Unternehmen Aufsichtsräte
Die Krönung der Karriere
Eine Exklusivstudie über den Aufstieg bisheriger Vorstandsmitglieder in den Aufsichtsrat
Das Problem: Der Wechsel von bisherigen Vorstandsmitgliedern in den
Aufsichtsrat des Unternehmens hat
aus Sicht der Befürworter einen
Vorteil: Firmen-Know-how geht nicht
verloren. Dem steht ein gravierender
Nachteil gegenüber: Es mangelt
den Aufsehern oft an der Souveränität,
eigene Entscheidungen aus der
Vorstandszeit kritisch zu hinterfragen.
In vielen Konzernen ist es gleichwohl
Brauch, dass der Chef nach seiner
Amtszeit auf den Stuhl des
Aufsichtsratsvorsitzenden wechselt.
„Dieser Automatismus muss
durchbrochen werden“, fordert Axel
von Werder, Inhaber des Lehrstuhls für
Unternehmensführung an der
TU Berlin und Mitglied der CorporateGovernance-Kommission der
Bundesregierung. Der Kodex dieser
Kommission, eine Ansammlung freiwilliger Regeln der Selbstverpflichtung,
enthält dazu eine weiche Empfehlung:
Solche Wechsel sollen „nicht die
sitzungen nicht nur staunend verfolgen,
sondern auch mitreden können.
KEINE FRAGE, DAS ALLES HILFT. Aber
reicht es auch aus?
Allzu häufig werden Aufsichtsräte
noch nach dem Family-and-FriendsPrinzip ausgewählt: Der Vorstand kennt
einen, und der wird’s.
Expertise ist wichtig, aber es fehlt oft
an der inneren Einstellung, das Wissen
auch einzusetzen. „Wenn sich der Geist
nicht ändert, helfen auch keine Gesetze“,
glaubt der Familienunternehmer Jürgen
Heraeus (72), der selbst in vielen Aufsichts- und Beiräten sitzt. „Mut lässt sich
eben nur schwer regulieren.“
Es mangelt etwa an der Courage, Vorständen ein, sagen wir ruhig, faires Gehaltsmodell aufzudrücken. Wenn Kontrolleure Garantieboni absegnen, anstatt
den Aufschlag erfolgsabhängig zu machen, kann Ökonom von Werder das nicht
nachvollziehen: „Manche Aufsichtsräte
haben offenbar nicht genau hingesehen
und nun Schwierigkeiten, aus den Zusagen wieder herauszukommen.“
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managermagazin 4/2009
Regel“ sein, heißt es. Sie sollen den
Aktionären auf der Hauptversammlung
besonders begründet werden.
Die Studie: Professor von Werder hat
zusammen mit Till Talaulicar von
der Universität Witten/Herdecke die
Wechsel vom Vorstand in den
Aufsichtsrat in Börsenunternehmen
untersucht, im Zehnjahreszeitraum von
1998 bis 2007.
sel verhinderten. Der Kodex habe allerdings eine „kulturbildende Wirkung“;
Unternehmen würden Wechselabsichten nun eingehender rechtfertigen
müssen. „Krasse Fälle“, in denen ein
wenig erfolgreicher Chef als Krönung
seiner Karriere auch noch Oberaufseher wird, werde es in Zukunft kaum
noch geben, vermutet von Werder.
Die Ergebnisse: In den Dax-Gesell-
schaften war der personelle Übergang
vom Vorstand in den Aufsichtsrat
besonders stark verbreitet (siehe Grafik). Seit dem Inkrafttreten der
entsprechenden Kodex-Regeln im Juni
2005 hat sich die Lage verbessert.
Das sei jedoch nicht zwangsläufig dem
Regelwerk gutzuschreiben, so die Autoren der Studie. Eine Einzelfallanalyse
habe ergeben, dass auch andere
Gründe wie persönliche Lebensplanung
oder schlechte Performance den Wech-
Immer noch ist es in vielen Unternehmen Tradition, dass bisherige Vorstandsvorsitzende quasi automatisch an die
Spitze des Aufsichtsrats rücken. Neuerdings gibt es zumindest die Hoffnung
auf eine Wendung zum Besseren, wie
von Werder in einer Exklusivstudie für
manager magazin herausgefunden hat
(siehe Kasten oben).
Die aktuellen Missstände provozieren
den üblichen Politreflex: das Pochen
auf noch schärfere Governance-Regeln.
Anfang März verständigte sich die RegierungskoalitionG auf ein härteres Vorgehen gegen Manager und Aufsichtsräte:
Wer Manager nicht am Abkassieren hindert, haftet im Zweifel selbst.
Doch der Staat ist bei diesem Thema
wenig glaubwürdig, schließlich hat er
selbst gesündigt.
Das Wirken der Aufseher beim Skandalinstitut HSH Nordbank entwickelte
sich zum Governance-Desaster. Die staatlichen Kontrolleure haben die riskanten
Geschäfte der Landesbank (SchleswigHolstein/Hamburg) nicht nur mitgetragen, sondern offenkundig auch ver-
Heiliger Stuhl
Wie viele Vorstandsvorsitzende in den
Aufsichtsrat wechseln (1998 bis 2007)
Dax
M-Dax
Ausgeschiedene
Chefs
41
47
19
18
Wechsel in den
Aufsichtsrat
Übernahme des
AR-Vorsitzes
15
8
Grafik: manager magazin Quelle: von Werder/Talaulicar
günstigte HSH-Kredite bekommen – die
Staatsanwälte haben Vorermittlungen
eingeleitet. Jetzt schieben sich SPD und
CDU, Hamburger und Holsteiner, ehemalige und amtierende Aufseher gegenseitig
die Schuld zu. Lediglich Aufsichtsratschef
Wolfgang Peiner (65) hat, als er im Februar seinen Rückzug ankündigte, Selbstkritik transportiert: Dass die Geschäfte der
Bank überdimensioniert waren, so Peiner,
„hätte ich erkennen müssen“. Chapeau.
Bei der Landesbank Baden-Württemberg haben 30 Verwaltungsräte, zum
großen Teil dem politischen Spektrum
zugehörig, die Schieflage nicht verhindert. Offenbar sind die Schwaben bei
der Konstruktion der Bank-Governance
nach der Devise verfahren: Viel hilft viel.
Sicher, der Staat hat es nicht leicht bei
der Auswahl seiner Kontrollposten. Er
sucht vor allem im Finanzgewerbe: Saubermänner mit Niveau, die sich mit
bescheidenem Salär zufriedengeben und
die er auch noch steuern kann – eierlegende Wollmilchsäue sind im Vergleich
dazu Commodity-Ware. Und je häufiger
er sich an Unternehmen beteiligt, umso
Unternehmen Aufsichtsräte
mehr neue Räte braucht er. Zwei für die
Commerzbank, womöglich auch einige
für die HRE. Die acht Posten des neuen
Staatshilfebeirats hat er Anfang März erfolgreich besetzen können, überwiegend
mit Leuten aus der Wirtschaft.
Gute Aufsichtsräte sind knapp. Da
liegt es nahe, dass Staat und Unternehmen im selben Goldfischteich angeln.
Clemens Börsig (60) gilt als Trendsetter der Berufsaufseher-Bewegung. 2006
hat er seinen Posten als Finanzvorstand
der Deutschen Bank aufgegeben und
den Aufsichtsratsvorsitz übernommen.
Schnell kamen weitere Großmandate
(Bayer, Daimler, Linde) hinzu.
Der Zahlenfan kennt das Rechenwerk
der Bank besser als mancher Vorstand.
Jetzt führt er auch das GovernanceProblem des Geldhauses einer Lösung
zu: alles auf Anfang. Bankchef Josef
Ackermann (61) hatte den Vorstand
verkleinert und eine Hierarchiestufe
tiefer das sogenannte GEC als Machtinstrument geschaffen, eine weitgehend
kontrollfreie Zone. Börsig füllt den Vorstand nun wieder auf. Auch der frühere
Henkel-Chef Ulrich Lehner (62) hat sich
KLAUS
BUKENBERGER (52)
EX-VORSTANDSCHEF
HOMAG AG
Rat aus der Provinz:
Der Schwarzwälder
firmiert als „selbstständiger Berufsaufsichtsrat“. Spezialität: der gehobene
Mittelstand (200 Millionen bis 2 Milliarden
Euro Umsatz).
Mandate: Homag,
Sick, Rutronik, Mahr,
Leitz; Berater für
Investcorp (London).
Die Fülle der Mandate ist nicht das
Problem („Bis zu zehn kann man schaffen, falls kein Aufsichtsratsvorsitz dabei
ist“). Es ballt sich nur alles in wenigen
Monaten. Für die Reiseplanung der rund
60 Sitzungen im Jahr braucht er die Hilfe
einer versierten Sekretärin: „Sonst würde
ich an der Organisation ersticken.“
Man nimmt ihn, den Ex-CFO, gern in
den Prüfungsausschuss. Dort, wo knifflige Fragen nach Bilanzpositionen, Geschäftsrisiken und Anti-Korruptionsregeln zu klären sind. Immer hart an der
Grenze zu Haftung und Schadensersatz.
Weil er in vielen Prüfungsausschüssen
sitzt, kann er das nutzen, was auf Unternehmensstrategisch „Synergieeffekt“
heißt: „Die vielen ähnlich gelagerten
Mandate erleichtern meine Arbeit.“
befördert die Professionalität. In vielen DaxKonzernen verdienen die Räte deutlich
besser als früher. Und für den anspruchsvollen Prüfungsausschuss-Job gibt’s Zuschläge zum normalen Salär; der Vorsitz
in der Expertenrunde wird – nach dem
ARV – am besten dotiert. Gut, die 5000
Euro plus bei SAP sind nicht die Welt.
Aber es summiert sich eben für den Berufsaufseher Schipporeit, auf alles in allem rund eine halbe Million Euro im Jahr.
Machen wir uns dann noch ein wenig
vertraut mit den Dienstreiseplänen von
Klaus Bukenberger (52).
Der Wirtschaftsingenieur, dessen Antlitz eine hohe Stirn und ein eckiges Brillengestell prägen, wohnt im Schwarzwalddorf Schenkenzell. Mal reist er aus
der Provinz, mal von seinem Stuttgarter
Büro aus zu den Kontrolleurstreffen, in
malerische Orte wie Schopfloch (Mittel-),
Waldkirch (Süd-) oder Ispringen (NordSchwarzwald), deren Aufzählung die
Gefahr eines Kuckucksuhr-Tinnitus in
sich birgt.
Er hat sich spezialisiert, auf den gehobenen Mittelstand (200 Millionen bis
2 Milliarden Euro Umsatz), auf technologisch orientierte Unternehmen, wir befinden uns schließlich im Tüftel-Ländle.
Die Homag AG (Holzbearbeitungsmaschinen) gehört dazu, dort war er bis
2006 Vorstandschef. Seitdem firmiert
Bukenberger als „selbstständiger Berufsaufsichtsrat“.
Sein wichtigstes Mandat: Beim Familienunternehmen Sick AG, das Sensoren
herstellt, leitet er den Aufsichtsrat. Rund
EINE DIFFERENZIERTE BELOHNUNG
FOTO: UTE GRABOWSKY
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als AR-Profi in der Deutschland AG etabliert: Er hat den Vorsitz bei der Deutschen Telekom, kontrolliert Eon und
ThyssenKrupp, sitzt als unabhängiger
Kapitalvertreter im Aufsichtsrat der Porsche SE.
Wer genauer hinguckt, entdeckt weitere Anhänger der Berufsgruppe.
Blicken wir etwa einmal in den
schwarzen Terminkalender von Erhard
Schipporeit (60).
Der schlanke, leicht ergraute Mann
war einst Chef von Varta und bis Ende
2006 Finanzvorstand des Düsseldorfer
Eon-Konzerns. Damals, mit 57, verspürte
er noch genügend wirtschaftliche Dynamik in sich, um seine Zeit nicht „mit
Kunstgeschichte“ zu vertrödeln.
Das hat er nun davon: Aktionärstreffen bei Hannover Rück am 5. Mai (genau:
in Hannover), einen Tag später nach
Mannheim zu Fuchs Petrolub, SAPHauptversammlung am 19. Mai (wieder
Mannheim), tags darauf zur Deutschen
Börse nach Frankfurt. Ach ja, Ende Mai
muss er noch nach Luxemburg, wo sich –
sein neuester Job – der Board der USFondsgesellschaft Fidelity trifft.
Unternehmen Aufsichtsräte
„Die Alten sitzen noch im Klub“
Headhunter Heiner Thorborg über die Suche nach professionellen Aufsichtsräten
Herr Thorborg, wie findet man den
idealen Aufsichtsrat?
Wann kommt sie an?
THORBORG Früher lief das über
Family & Friends. Einer aus dem Aufsichtsrat hatte einen guten Freund,
der wiederum einen kannte – und der
bekam dann den Posten. Heute funktioniert diese Methode nicht mehr.
Weil die Aufsichtsratsvorsitzenden
oft in einem senioren Alter sind, in
dem sie die aktuelle Managergeneration nicht mehr gut genug kennen.
Die Alten sitzen noch im Klub, aber
die Musik spielt draußen. In den USA
ist das längst erkannt worden.
THORBORG Es geht langsamer, als
wir gedacht haben. Ich schätze, dass
ein Drittel aller Aufsichtsratsmandate
bei Dax-Gesellschaften mittlerweile
extern besetzt wird. Gesucht werden
vor allem weibliche AR-Mitglieder. Die
sind ja schon auf der Managementebene rar. Auch ausländische Shareholder deutscher Firmen, die hier den
Markt nicht kennen, wenden sich an
uns. Für deutsche Firmen wiederum
suchen wir ausländische Räte, etwa in
Frankreich oder den USA. Dort hat der
hiesige ARV oft keinen Überblick.
Was läuft dort besser?
Sind Aufsichtsräte knapp?
THORBORG Dort werden Aufsichtsratsmandate fast nur noch
über Personalberatungen abgewickelt. Die Amerikaner prüfen die
Kandidaten auf Herz und Nieren, sogar die akademischen Titel. Diese
Welle wird, wie so viele andere zuvor,
auch zu uns herüberschwappen.
THORBORG Ja. Deswegen müssen
wir ja über die Grenze, um die Besten
zu bekommen. Allerdings macht die
deutsche Mitbestimmung im Aufsichtsrat es für viele Ausländer nicht
besonders attraktiv, weil dadurch die
Unternehmenskontrolle doch arg verkrustet ist und die einzelnen Aufseher
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managermagazin 4/2009
Warum nicht?
THORBORG Es gibt eine gewisse
Hemmschwelle bei den potenziellen
Kandidaten. Die glauben, dass solche
Jobs dem Chef vorbehalten sind, weil
mit ihnen Prestige verbunden ist. Und
dann gab es diese Nachfrage nach einfachen Vorstandsmitgliedern bislang
gar nicht in nennenswertem Maße,
weil unsere Aufsichtsräte lieber im eigenen Saft geschmort haben.
N
als Berufsaufsichtsrat. Namen wie Wennemer (ehemals Conti), Walter (ehemals
Dresdner Bank), Panke (ehemals BMW)
oder Alfred Tacke (ehemals Evonik
und Bundeswirtschaftsministerium), ein
Mann, der beide Sphären – Politik und
Unternehmen – gut kennt.
Aber Berufskontrolleure allein, so viel
unabhängige Expertise sie auch bündeln,
lösen die Probleme der Corporate Governance nicht. „Der Vorstand braucht auch
Gesprächspartner, die noch mitten im
Tagesgeschäft stehen“, sagt Erhard
Schipporeit. „Wenn ich zehn Jahre lang
nur Aufsichtsrat bin, habe ich eine zu
große Distanz zum Operativen.“
Die gesunde Mischung macht’s. Das
betrifft auch das Lebensalter der Kontrolleure. Es müssen ja nicht immer nur
der Chef und vielleicht noch sein Finanzvorstand Unternehmen beaufsichtigen.
Auch jüngere Topmanager, so Headhunter Thorborg, hätten „großes Interesse“,
solche Aufgaben zu übernehmen (siehe
Interview oben).
Die Chancen für einen Neuanfang sind
da. Die Demografie nagt am Status quo.
Mit 70 oder 72 ist in vielen Firmen satzungsgemäß Schluss mit Aufsicht.
Die Bellheims der Deutschland AG treten kürzer oder ab: Multi-Kontrolleur
Manfred Schneider (70) lässt sich bei
Daimler am 8. April nur noch für weitere
zwei Jahre bestellen. Altersgenosse Ulrich Hartmann (70) reduziert seine Mandate schon seit einiger Zeit, am 22. April
ist der Posten bei der Münchener Rück
fällig. Jürgen Strube (69) gibt bei BASF
den Vorsitz am 30. April ab.
Einige freilich kleben noch an ihren
Sesseln, als hinge ihr Seelenheil davon ab.
Der umstrittene Infineon-Aufsichtsratschef Max Dietrich Kley (69) hat den
rechten Moment des Abgangs längst verpasst (siehe auch Seite 48). Und HansJürgen Schinzler, Aufsichtsratschef der
Münchener Rück, kandidiert auf der
Hauptversammlung für eine weitere
Amtszeit. Das lässt sich sogar mit den
Statuten guter Corporate Governance
vereinbaren, jedenfalls wenn man sie
buchstabengetreu und nicht dem Geiste
nach auslegt: Schinzler wird im Oktober
erst 69 Jahre alt.
Dietmar Student
FOTO: BERT BOSTELMANN/BILDFOLIO
60 Tage im Jahr wendet er dafür auf. „So
viel muss man schon investieren, sonst
wird man seiner Verantwortung nicht
gerecht“, sagt Bukenberger.
Die Sick-Gründerwitwe Gisela hat ihn
weiterempfohlen, so fügte sich Wächteramt an Wächteramt. Sieben Mandate
betreut er mittlerweile, Firmen wie
Rutronik (elektronische Bauteile), Mahr
(Messtechnik), Leitz (Werkzeuge).
Die nächsten 10 bis 15 Jahre will Bukenberger den Job des Berufsaufsehers
auf jeden Fall noch ausüben.
Geld? Ja, spielt ein Rolle. Aber mit seinem Schwerpunkt auf Schwaben und
Familienunternehmen, unterliegt er da
nicht dem Klumpenrisiko der doppelten
Knauserigkeit? „Es entwickelt sich“, sagt
Bukenberger. Immer mehr Mittelständler würden für eine gute Governance
auch einen guten Preis zahlen. Er rechnet nach Tagessätzen ab, zu Tarifen eines Seniorberaters von McKinsey & Co. –
mithin ein paar tausend Euro pro Tag.
Hagemann, Schipporeit, Bukenberger – auf den Listen der Headhunter stehen weitere Kandidaten für eine Karriere
selbst zu wenig beeinflussen können.
Hinzu kommt die Sprachbarriere; die
Simultanübersetzung ist da nur eine
Krücke. Bei jüngeren Vorständen gibt
es ein großes Interesse daran, Posten
in anderen Unternehmen zu übernehmen. Dort kann man auch für das eigene Unternehmen etwas lernen. Die
Praxis sieht indes so aus, dass der Chef
und vielleicht noch sein Finanzvorstand die AR-Mandate wahrnehmen,
der versierte Produktionsvorstand
oder Vertriebsmanager aber nicht.

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