Second Life, Flickr und Super-8-Filme
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Second Life, Flickr und Super-8-Filme
26 KULTUR Geburtstag Wolf Lepenies siebzig Keine „ferne Fremde“ mehr Foto: dpa Als Frontmensch titulierte der Philosoph Andrej Plesu den Soziologen Wolf Lepenies in seiner Laudatio auf den Friedenspreisträger 2006. Für einen Wissenschaftler ist das eine ungewöhnliche Charakterisierung, und doch trifft sie auf den am 11. Januar 1941 in Ostpreußen geborenen Lepenies zu. Sein Hauptwerk, die Studie „Die drei Kulturen – Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft", zeichnet die Herausbildung des Zeitgeistes aus Wissenschaft und Literatur im 19. Jahrhundert nach, die Entstehungsgeschichte der Soziologie inklusive. Der Soziologe, der einen Ruf aus Princeton ablehnte, um stattdessen an die Freie Universität Berlin zu gehen, beschränkte sich freilich nicht auf das Forschen. Als Mitglied und von 1986 an auch als Leiter des Wissenschaftskollegs zu Berlin trieb er den Aufbau von Forschungszentren in Osteuropa voran. In den Neunzigern kam unter seiner Federführung ein weiterer Schwerpunkt hinzu: der Islam und die Moderne. Es gebe keine „ferne Fremde“ mehr, begründete Lepenies die interdisziplinäre Erweiterung. Der Soziologe feiert heute seinen siebzigsten Geburtstag. th Kurz berichtet Kleist-Förderpreis Wolfram Lotz ausgezeichnet Der 29-jährige Autor Wolfram Lotz erhält im Kleist-Jahr 2011 den mit 7500 Euro dotierten Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker. Die Auszeichnung bekommt er für sein Stück „Der große Marsch“, das das Saarländische Staatstheater Saarbrücken inszeniert und am 20. Mai während der Ruhrfestspiele Recklinghausen uraufführt, teilte die Messe und Veranstaltungs GmbH Frankfurt (Oder) am Montag mit. Der gebürtige Hamburger Lotz lebt in Leipzig und ist der 16. Preisträger. dpa Mannheim Kunsthalle wird saniert Das Jugendstilgebäude der Kunsthalle Mannheim wird grundlegend saniert. Nach einjähriger Vorbereitungsphase wurde mit den Arbeiten am Montag begonnen. Dabei wird die Ausstellungsfläche im Inneren erweitert und die Anlagentechnik nach modernsten Museumsstandards aufgerüstet, wie die Stadt und die Kunsthalle mitteilten. Für die Generalsanierung, die 2013 abgeschlossen sein soll, werden rund 14,3 Millionen Euro veranschlagt. dapd Erich-Kästner-Preis Jan Vogel geehrt Der Cellist Jan Vogel erhält den mit 10 000 Euro dotierten Erich-Kästner-Preis. Vogler wird für sein Engagement für die Völkerverständigung und das Werben für seine Heimat ausgezeichnet, wie der Presseclub Dresden mitteilte. Der 1964 geborene Vogler ist künstlerischer Leiter des Moritzburger Festivals und seit 2008 Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Während seiner Intendanz habe er eine Neuausrichtung initiiert, die sich weltweit großer positiver Resonanz erfreut habe. dapd STUTTGARTER ZEITUNG Nr. 7 | Dienstag, 11. Januar 2011 Second Life, Flickr und Super-8-Filme Der 24. Stuttgarter Filmwinter will Reibungsprozesse zwischen Alt und Neu auslösen. Von Thomas Klingenmaier Medienfestival wei Stufen, das ist ganz wichtig! Direktoren von Filmfestivals müssen dynamisch zwei Stufen auf einmal treppauf auf die kleine Bühne vor der Leinwand federn, als könnten sie es gar nicht erwarten, ihr eigenes Programm zu sehen. Wenn so ein Direktor dann oben am Mikrofon ist und ein paar Sätze der Begrüßung gesprochen hat, die forsche Selbstanpreisung ins durchsichtige Pergamentpapier der falschen Bescheidenheit wickeln, ist das Filmfest eröffnet. Der Stuttgarter Filmwinter allerdings funktioniert ganz anders. Er verzichtet nicht nur auf manches starre Ritual, er umfasst nicht nur ein Programm von experimentellem Kurzfilm bis zur Kunstinstallation im realen und virtuellen Raum, das herkömmliche Begrifflichkeiten und Genredenken sprengt. Der 24. Stuttgarter Filmwinter nagt auch, und das noch kräftiger als die Vorgänger, am Begriff des Anfangs und des Endes. Am 20. Januar, Donnerstag in einer Woche also, startet der Hauptteil des Festivals, unter anderem der Kurzfilmwettbewerb, im Filmhaus an der Friedrichstraße. Schon diesen Donnerstag allerdings beginnt der auch schon traditionelle Warmup, die Aufwärmphase des Festivals, mit Ausstellungen in Oberwelt und Gedok. Bereits im November aber waren bei einem Previewabend einige Teile des Wettbewerbs zu sehen. Und an einem Teil des Filmwinters, dem Wettbewerb im Bereich Neue Medien, kann man teilnehmen, ohne sich je selbst zum Festivalort zu begeben. Die Online-Projekte kann man nicht nur im Internet begutachten, man kann erstmals auch online seine Stimme für den Publikumspreis in diesem Sektor abgeben. Die Grenzauflösung ist keine Unentschlossenheit, sondern programmatisch. Das „Festival for Expanded Media“, wie der Filmwinter sich im Untertitel nennt, will nicht bloß bekannte Definitionen in Frage stellen, er will am liebsten immer dort sein, wo es die doktrinären Definitionen noch gar nicht gibt, wo Spieltrieb, Neugier, Forscherdrang regieren, wo Neues, Ungeformtes und Altes, halb Vergessenes, aufgegriffen, gekreuzt, zum Kurzschluss gebracht werden. Eine prägende Eigenart des Film- Z Die interaktive Arbeit „Tischgeflüster“ der Künstlergruppe The Green Eyl bittet beim 24. Stuttgarter Filmwinter zu Tisch. winters mag man also für einen attraktiven Vorzug oder einen beachtlichen Wettbewerbsnachteil halten: Der Filmwinter lässt sich nicht klar, griffig und mit den beliebten erhellenden Vergleichen beschreiben, also auch so nicht: „Als hätte Quentin Tarantino ein Drehbuch von Salvador Dalí im Auftrag von Opus Dei eines Bettelmönchordens als Oper am Grunde eines Baggersees inszeniert“. Das Thema des Festivals heißt diesmal „Soft Friction“ – eine Mischung aus Science Fiction, Pornoanspielung, Reibungsalarm, Informatikerslang, Kurzprosaverheißung – jede weitere Assoziation ist auch erlaubt. Genauso treffend wäre allerdings der Titel einer Werkschau im Rahmenprogramm: „80 Jahre Freie Radikale“. Das Hamburger Kurzfilmduo Hanna Nordholt und Fritz Steingrobe hat unter anderem DER 24. STUTTGARTER FILMWINTER Veranstalter Schon das Wort Trägerverein wäre vielen Beteiligten zu pompös. Die Medienkunstinitiative Wand 5 e.V. versucht, Spontigeist und postmoderne Kunsttheorie, Partykeller und Medienlabor in ein Festival zu packen. Das hat nicht verhindert, dass sie international bekannt wurde. Warmup Vom 13.1. an finden im Gedok und in der Oberwelt Ausstellungen statt. Das Auge soll sich an die Filmwinterästhetik gewöhnen, die dann von 20.-23.1. geballt geboten wird. Filmhaus Der Filmwinter vagabundierte einst programmatisch durch Stuttgart, fand immer neue Spielorte, oft vorübergehend vakante Immobilien. Als Wand 5 Büros im neuen Filmhaus bezog, fürchteten einige Aktivisten, mit einem festen Spielort könnte Erstarrung einkehren. Das Filmhaus aber wurde selbst ein solches Problemkind der Stuttgarter Medienpolitik, dass es wie die brüchigsten Immobilien zuvor als interessante Dauerbaustelle wahrgenommen werden konnte. Nun „bricht der Film- winter zum letzten Mal in die Räume im Filmhaus ein“, formulieren die Veranstalter. Jury Die Wettbewerbe des Filmwinters werden von ausgewiesenen Experten und Kreativen begutachtet. Dieses Jahr sind unter anderem die Filmemacher Wenzel Storch aus Deutschland und Diane Nerwen aus USA mit der Qual der Wahl betraut. tkl Das gesamte Programm findet sich im Internet unter www.filmwinter.de Foto: Wand 5 ein Soundprogramm zusammengestellt, Haaslahti die Bilder ungebeten und ohne für das die beiden verschiedene Animati- weitere Erlaubnis dem eher klassischen onsfilme von den zwanziger Jahren bis Blick des Kunstausstellungsbesuchers darheute ausgewählt haben, die mit der Ver- bietet. Will jeder Internetnutzer Kunstobschmelzung von bewegten Bildern und jekt und Kunstproduzent sein? Zur EröffKlängen experimentieren. Der Filmwinter nung wird Hanna Haaslahti passendergeht eben immer von der Idee aus, dass weise per Skype zugeschaltet, anschliekünstlerische Ausdrucksformen und Kom- ßend gibt es eine Solo-Performance von munikationstechniken nicht in ihrem eige- Kerstin Gerwien, die Sprache, Tanz und nen Bereich abgesperrt blühen und gedei- Musik verbindet. In der Oberwelt zeigt Vehen, sondern sich mit anderen vermischen, rena Kyselka „Territories of Intimacy“, das dass sie also die Dynamik eiResultat ihrer Forschungen ner Gesellschaft spiegeln, de- Das Festival kratzt über Geschlechterrollen und ren vielfältige Veränderungs- am Lack der Identitätsbildung in den postprozesse keiner mehr verlässsozialistischen Ländern Albaschönen neuen lich prognostizieren kann. nien und Armenien. Wenn etwas nicht mehr an Ideen. Es hat einen Dass neue Medienangedem Ort steht, an dem wir es subversiven Zug. bote unser Leben verändern, zu finden gewohnt sind, änheißt aber nicht, dass jeder dert sich unsere WahrnehMedienhype auch Teil der Zumung, ändern sich seine Bedeutungen. Die- kunft wird. Vor ein paar Jahren überschlusen Prozess des Wandels haben beim Film- gen sich gerade jene Kommentatoren, die winter schon oft Kurzfilme illustriert, die bis dahin wenig Bezug zu virtuellen Welten aus „found footage“ bestehen, aus vorhan- hatten, mit Hymnen auf Second Life. Diese denem Filmmaterial, das neu montiert Internetwelt schien drauf und dran, das wird: Werbeclips von gestern, Spielfilm- reale Leben in ein Schattenreich zu verwanschnipsel, Super-8-Familienstreifen, die deln, in dem nur noch die Körper jener aus einer Flohmarktkiste gepurzelt sind. dämmern würden, deren Geist in Second Dieses Jahr will schon beim Warm-up Life jauchzte. Im Filmwinterwettbewerb Hanna Haaslahti, Jurorin beim Neue-Me- der Neuen Medien steht nun aber das Webdien-Wettbewerb, etwas Vertrautes ver- projekt „The Last Days of Second Life“ pflanzen. Ihre Installation „Real-Time Fa- (www.berkenheger.de) von Susanne Bermily“ im Gedok ruft fortlaufend die neues- kenheger, ein Blog, in dem verlassene virtuten Bilder des Internetdienstes flickr.com elle Orte erfasst werden. Second Life ist so ab und projiziert sie in den Galerieraum. ein Ort des Scheiterns, verlassen von den Dass im Internet private Bilder, Banalitä- Enttäuschten. Der Filmwinter hat auch eiten und Initimitäten einem globalen Publi- nen anarchischen, subversiven Zug, er hinkum als öffentliche Angelegenheit dargebo- terfragt Popanze, er kratzt am Lack der ten werden, aus Vorsatz oder aus Unacht- schönen neuen Ideen. Aus den Lacksplitsamkeit, wird neu bewusstgemacht, indem tern baut er dann gerne was Lustiges. Notenbank Gruß aus der Plattenküche GEPLANTE VERÖFFENTLICHUNGEN 14. Januar The Decemberists Social Distortion Cake 21. Januar Heinz Rudolf Kunze Adele 28. Januar Marianne Faithfull Max Raabe Beatsteaks Gang of Four Hercules and Love Affair 4. Februar Jay Z Trail of Dead James Blake 11. Februar Roxette PJ Harvey 18. Februar Ina Müller The Streets 25. Februar Christopher Cross Ron Sexsmith 4. März Avril Lavigne Beady Eye Lykke Li 11. März R.E.M. The Strokes 18. März Herbert Grönemeyer reitag ist Plattentag, also seit einigen Jahren jener Tag, an dem die neuen Tonträger der Veröffentlichungswoche in die Läden kommen. Völlig überraschend sind allerdings sowohl am Erscheinungstag Freitag, 24. Dezember, wie auch am Erscheinungstag Freitag, 31. Dezember, keine neuen Alben veröffentlicht worden. Auch an diesem Freitag ist, angesichts des Lochs zwischen den Jahren wenig verwunderlich, nichts Relevantes erschienen. Dafür klingen die folgenden Wochen vielversprechend. Schon an diesem Freitag darf man gespannt sein, ob die US-Band Decemberists mit ihrem Neuling „The King is Dead“ an das fantastische 2007er-Album „The Crane Wife“ anknüpfen kann. Zwei Wochen darauf kommt dann Marianne Faithfull, die große Dame des Pop, mit „Horses and High Heels“ aus den Startlöchern, nach dem hochdekorierten „Easy come, easy go“ von 2008 hat sie erneut einige verblüffende Coverversionen eingesungen. Zugleich legt Hercules and Love Affair – neulich in Stuttgart als Vorband von Gossip zu bestaunen – den Nachfolger des selbst betitelten Debüts vor, mit dem die Band 2008 den Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik gewinnen konnte. Der Februar gehört dann drei dollen Damen. Die göttliche Britin PJ Harvey veröffentlicht ihren Longplayer „Let England F Vorschau Allerhand große Bands und Musiker feilen an den letzten Details ihrer neuen Alben. Von Jan Ulrich Welke Bald geht’s los bei ZZ Top (natürlich ohne den „Gastgitarristen“ Sebastian Vettel), R.E.M. (Mitte) und den Red Hot Chili Peppers (dann ohne John Frusciante). Fotos: dpa, StZ (2) shake“ – und wird auch einige Konzerte geben –, gleiches planen die Schwedin Marie Fredriksson mit ihrem Popduo Roxette und die Norddeutsche Deern Ina Müller. Interessant wird es dann auch Anfang März, wenn die Band Beady Eye ihre von Steve Lillywhite produzierte Debüt-CD vorlegt. „Different Gear, still speeding“ wird sie anspielungsreich heißen, ob die verbliebenen Mitglieder von Oasis mit ihrem neuen Bandnamen, aber ohne ihren einstigen Kopf Noel Gallagher einen Gang hoch- oder herunterschalten, wird sich zeigen. Eine Woche darauf drückt dann auch R.E.M. auf die Tube. Das Album „Collapse into now“ wurde in den legendären Berliner Hansa-Studios aufgenommen, als Gäste begrüßen die amerikanischen Alternativerocker-Herren Eddie Vedder von Pearl Jam, Patti Smith und Peaches. Wie geht es weiter? Im April beziehungsweise im weiteren Verlauf des Frühlings stehen neue Alben der Texasrocker ZZ Top (das erste seit sieben Jahren) und Human League (das erste seit neun Jahren) sowie voraussichtlich von Coldplay an. Für den Sommer haben dann zwei Stadionbands ihre neuen Silberlinge angekündigt – Dave Grohls Foo Fighters und die Red Hot Chili Peppers, die sich diesmal angeblich Danger Mouse als Produzenten auserwählt haben. Gerüchtehalber wird es auch bei U2 nicht mehr lange dauern. Bleiben noch einige illustre Damen, die derzeit ebenfalls, wie es heißt, an neuem Material arbeiten. Zum einen sind dies Beyoncé und Britney Spears. Dazu kommt Lady Gaga, bei der man noch nichts Genaueres weiß, außer dass sie definitiv in diesem Jahr ein neues Album vorlegen wird. Und schließlich wäre da noch Amy Winehouse, bei der man bekanntlich nie etwas Genaueres weiß. Über vier Jahre ist es nun schon her, dass ihr Erfolgsalbum „Back to Black“ herauskam. Doch mal heißt es, sie arbeite fieberhaft an neuen Songs, mal wiederum, das Ganze ziehe sich noch hin. Immerhin: am Wochenende hat sie es in Brasilien geschafft, erstmals seit zwei Jahren ein komplettes Konzert ordnungsgemäß über die Bühne zu bringen. Ohne freilich dabei neue Songs zu präsentieren.