Geschäfte mit Lateinamerika trotz sozialistischer

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Geschäfte mit Lateinamerika trotz sozialistischer
Brasilien und Lateinamerika:
Wachstumsmärkte trotz sozialistischer Rahmenbedingungen?
von
Karlheinz Kurt Naumann aus São Paulo
Einführung
Lateinamerika wird, was den Sozialismus angeht, früher oder später von der Wirklichkeit überholt werden, denn Marx hat ausgedient:
• DDR, UdSSR, Jugoslawien und andere kommunistische Länder
(wobei die DDR für mich als Berliner nie ein Land war), deren
Namen heute nur noch in Geschichtsbüchern zu finden sind,
sind vergessen, in Venezuela hätte Chávez ohne Öl keine Überlebenschance, Nordkorea und Kuba befinden sich „in Wartestellung“ und Rotchina praktiziert Frühkapitalismus
• der „zum Untergang verurteilte Kapitalismus“ mit seinen freien
Märkten und der privatwirtschaftlichen Initiative blüht
• selbst in den sozialistisch angehauchten Ländern Lateinamerikas sind Imperialismus, Ausbeutung, Proletariat und Bourgeoisie kaum gehörte Begriffe und
Planwirtschaft hat wenig Chancen, wenn man vielleicht von Venezuela absieht
Allerdings gibt auch der Kapitalismus Anlaß zu Fragen, die mit Globalisierung, Liberalisierung
und Freihandel zusammenhängen sowie mit Konzentration von Wirtschaftsmacht, die Konzernen mehr Einfluß auf die Weltwirtschaft gibt, als sie viele Staaten haben.
Glücklicherweise hat sich die Privatwirtschaft von der Politik in Lateinamerika ziemlich abgekoppelt und eine linksgerichtete Regierung ist nicht gleich eine Katastrophe, es sei denn, sie
verstaatlicht wie in Bolivien die Erdöl- und Erdgasgesellschaften und setzt sich über bestehende Lieferverträge hinweg.
Die These Marx’s von der Verelendung der Arbeitermassen stimmt auch in den armen Ländern Lateinamerikas nicht, noch weniger z.B. in Brasilien, auch wenn er Recht hatte mit der bis
heute bestehenden ungleichmäßigen Verteilung von Einkommen und Produktionsvermögen.
Dieses Ungleichgewicht ist sicher einer der Gründe für die hohe Kriminalität Lateinamerikas,
die das Leben nicht nur der Bevölkerung schwer macht, sondern auch Geschäfte mit und in
Lateinamerika belastet. Laut UNO werden in Lateinamerika dreimal mehr Menschen mit Feuerwaffen umgebracht als im Weltmittel, 60 % aller weltweiten Entführungen finden in Lateinamerika statt und die Kriminalität kostet nur für die Wiederherstellung der Infrastruktur und den
Unterhalt der Ordnungskräfte 23 Mrd. ! jährlich. Alle Länder dieser Region, selbst Chile, sind
gleichermaßen betroffen. Der brasilianischen kriminellen Organisation PCC (Primeiro Comando da Capital, d.h. São Paulo) wird nachgesagt, daß sie 230.000 ! pro Woche „verdient“ und
nötigenfalls über 150.000 Verbrecher verfügt. Eng verbunden mit der Kriminalität ist die Korruption der Behörden, Justiz und Polizei inbegriffen.
Das Managermagazin hat eine Riskmap 2007 veröffentlicht, danach sind die hier interessierenden Länder so eingestuft:
Land
Argentinien
Brasilien
Chile
Venezuela
Politisches Risiko
mittel
mittel
niedrig
hoch
Sicherheitsrisiko
niedrig
niedrig
niedrig
mittel
Bevor diese Länder der Reihe nach betrachtet werden, muß allgemein gesagt werden, daß
der ausländische Geschäftsmann in Lateinamerika, regional mehr oder weniger ausgeprägt,
Vortrag auf der Internationalen ZfU - Tagung am 24. April 2007
-2nach wie vor auf auslegungsbedürftige regulatorische Rahmen mit manchmal hoher Rechtsunsicherheit stößt, die Korruption noch lange nicht eingedämmt ist und selbst die Gefahr von
Enteignungen wie jüngste Beispiele in Bolivien, Venezuela und selbst Brasilien zeigen, nicht
von der Hand zu weisen ist.
Argentinien
Das Land hat 36 Mio. Einwohner, von denen 11,5 Millionen im Großraum Buenos Aires und
über 89 % in Städten wohnen. Die Krise von 2002 ist überwunden und 2005 überstieg das BIP
endlich wieder den hohen Wert von 1998. Argentinien importiert zu 68 % für den verarbeitenden Sektor für Industrieerzeugnisse, zu 22 % Dienstleistungen, zu 5 % für den Sektor Energie und
Brennstoffe, 3 % Rohstoffe und 2 % für den verarbeitenden Sektor für Erzeugnisse aus der
Agrarproduktion.
In Argentinien wird 2007 der Präsident gewählt und bis heute ist nicht klar, ob sich Kirchner der
Wiederwahl stellt oder seine Frau Cristina vorschickt, die als populäre Senatorin gute Chancen hat und ihrem Mann die Möglichkeit geben könnte, sich nach ihrer Amtszeit wieder wählen zu lassen. Argentinien praktiziert Preiskontrolle und brät Extrawürste im Mercosur, was ein
Zusammenwachsen der Mercosurländer ernsthaft behindert.
Die Wirtschaft wächst mit hohen BIP - Zuwachsraten - 2007 werden es 8,5 % sein und das BIP
wird 338,1 Mrd. US$ erreichen -, aber von einem niedrigen Niveau aus. Dazu waren harte
Maßnahmen Kirchners nötig:
• Anhebung von Gehältern (die Unterscheidung von Lohn und Gehalt existiert hier nicht) und
Renten (ebensowenig der zwischen Rente und Pension) zur Hebung der Kaufkraft
• Preiskontrolle
• Abwertung des Peso
• Einführung einer Exportsteuer von 5 % auf Industriegüter, 20 % auf Commodities wie Fleisch,
Soja, Mais und Weizen) und 35 bis 40 % auf Erdöl und seine Derivate
Gleichzeitig wurden die Auslandsschulden des Staates neu verhandelt und nur mit 30 % ihres
Wertes bedient.
Die Weltwirtschaftslage begünstigte Argentinien, sein Export stieg von 29,6 Mrd. US$ in 2003
auf 46 Mrd. US$ in 2006. Die jährliche Handelsbilanz ist positiv mit 11 Mrd. US$. Der Bausektor
boomt und wuchs 2005 um 22,7 % und 2006 um 19,6 %. Die Investitionen betragen 22 % des
BIP, meist handelt es sich dabei um argentinisches Kapital. 2006 erreichten die Währungsreserven fast 28 Mrd. US$. Das Land emittiert jährlich 31 Mrd. Pesos, was inflationär wirkt, die Inflation beträgt über 10 % im Jahr und würde ohne staatliche Kontrolle wahrscheinlich 15 %
erreichen. Weitere Risiken liegen in der Energieversorgung, das Angebot an Elektroenergie
wächst weniger als die Nachfrage, weil wegen der unzureichenden Energiepreise niemand in
Kapazitätsausweitung investiert. Auch darf nicht unterschätzt werden, daß die Regierung
unverhofft und unvorhersehbar in die Wirtschaft eingreift und die Spielregeln ändert.
Günstig ist die Lage vor allem für Exporteure, die ihre Produkte im Maschinenbau, der IT Branche, der Papierindustrie, der Pharmaindustrie und bei Kraftfahrzeugteileherstellern absetzen wollen. Eine spezielle Nische sind Erdgasleitungen. Die Umwelttechnik gewinnt zunehmend an Bedeutung, 2007 findet deshalb die Weltwindenergiekonferenz WWEC - World Wind
Energy Conference and Exhibition in Argentinien statt.
Brasilien
Brasilien hat kontinentale Ausmaße und ebenso große Probleme, aber auch Chancen. Die
Bevölkerung beträgt schon fast 190 Mio. Einwohner, die sich sehr ungleich verteilen, so leben
z.B. nur 7 % der Bevölkerung im Norden Brasiliens auf knapp der Hälfte der gesamten Fläche
des Landes, während im Südosten sich auf 42 % der Fläche 43 % der Einwohner drängen.
Das Bruttoinlandsprodukt von 605 Mrd. US$ in 2004 setzt sich so zusammen: 53,2 % Dienstleistungen, 37,2 % Industrieproduktion, 9,6 % Agrarwirtschaft
-3Diese Struktur zeigt eigentlich, daß Brasilien den Status eines Schwellenlandes bereits verlassen
hat, auch wenn es regional durchaus Entwicklungslandcharakter trägt.
Nach der Wiederwahl Lulas könnten die großen ausstehenden Reformen als da sind Steuerreform, Gesundheitsreform, Sozialversicherungsreform, Politische Reform und Justizreform angepackt werden, obwohl die Vergangenheit zeigt, daß die Wahrscheinlichkeit dafür gering
ist. Auch das von Lula aus dem Zylinder gezauberte PAC - Programm zur Beschleunigung des
Wirtschaftswachstums stößt auf Widerspruch und Skepsis. Ein großes Problem ist aktuell der
schwache Dollar bzw. der starke Real, der den Import fördert und den Export hemmt, was
aufgrund von Preissteigerungen bei Commodities nicht unbedingt sofort ersichtlich
ist. Insgesamt 14 Sektoren sind von den Importen beeinträchtigt, sie verloren letztes Jahr 19,6
Mrd. R$ an lokaler Produktion, z.B. waren es 8 % bei Elektronikerzeugnissen, 6,2 % bei Transportmitteln und 3,8 % bei Textilien. Dagegen hilft nur eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der brasilianischen Industrie. Dazu reicht allerdings die im PAC (Programm für die Beschleunigung des Wachstums) vorgesehene Steuererleichterung von 6 Mrd. R$ bei einer Gesamtbesteuerung der Unternehmen von 800 Mrd. R$ nicht aus, denn magere 0,7 % sind ein
Tropfen auf den heißen Stein.
Die Industrialisierung ist weit vorangeschritten, dieses Jahr wird Brasilien mehr im Ausland investieren als das Ausland in Brasilien, die Grenze vom Schwellenland nach oben ist regional bereits überschritten.
Chile
Chile ist ein Land mit nur 15 Mio. Einwohnern, von denen ein Drittel in der Hauptstadt leben.
Die Ausmaße des Landes sind außergewöhnlich, 180 km durchschnittliche Breite bei 4265 km
Länge.
Chile ist ohne Zweifel immer noch Musterland Lateinamerikas. Es hat zwar in Michelle Bachelet eine linke Präsidentin, aber während der Diktatur hatte das Land Gelegenheit, die nötigen
Reformen schnell und gründlich zu erledigen und das Glück, sie in der nachfolgenden anhaltenden demokratischen Epoche zu festigen. Die erste Präsidentin des Landes, in dem Wahlpflicht herrscht, steht vor der Herausforderung, die Früchte des anhaltenden Wirtschaftswachstums vor den Begierlichkeiten von Interessensgruppen zu schützen, was ihr aller Voraussicht
nach gelingen wird. Dieses Ausnahmeland kann Geschäftsleuten uneingeschränkt wegen
seiner geringen Korruption, den festen und beständigen Regeln und der hohen Rechtssicherheit empfohlen werden. Die chilenische Regierung hat es auch durch zahlreiche Freihandelsabkommen verstanden, sich den Zugang zu vielen Märkten zu verschaffen, die ideologisch
verblendeten Regierungen anderer Länder verschlossen bleiben. Chile hat auch bewußt auf
die Vollmitgliedschaft im Mercosur verzichtet, weil man mit der Marktöffnung schon weiter ist
als z.B. Argentinien und Brasilien. So beträgt der einheitliche Einfuhrzoll nur 6 %, gilt aber nur
noch für ein Drittel der Importe, deshalb betrug der effektive durchschnittliche Satz 2004 nur
2,1 % und für Lieferungen aus Deutschland 1 %, ein Paradies im Vergleich zu Brasilien, aber
leider nur ein kleines, 2005 importierte das Land Güter für 32,6 Mrd. US$ und exportierte für
40,6 Mrd. US$. Deutschland ist fünftgrößter Lieferant Chiles und exportiert vor allem Maschinen, Hochtechnologieprodukte, chemische Erzeugnisse und Fahrzeuge.
Die chilenischen Problemfelder sind schnell genannt: Hohe Abhängigkeit vom Kupfer- und
Zelluloseexport und daraus resultierende Verletzlichkeit, sehr ungleiche Einkommensverteilung, steigende Kriminalität und verbesserungsbedürftige Infrastruktur.
Der Kurs des Peso ist frei von jeglichen staatlichen Einflüssen, die Inflation niedrig (3 - 4 % per
annum) und das BIP wächst mit über 6 % im Jahr und erreichte 2006 einen Wert von 140 Mrd.
US$, die Devisenreserven betrugen über 17 Mrd. US$. Übrigens ist das BIP des sogenannten
Interiors des Bundesstaates São Paulo, also ohne die Stadt São Paulo, größer als das Chiles.
Was Chile für ausländische Geschäftsleute attraktiv macht, sind diese Stärken:
• Liberaler Handel mit 166 Nationen
• Diverse Freihandelsabkommen
-4-
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Assoziierungsabkommen mit der EU
Modernes Finanzsystem
Überdurchschnittliches BIP - Wachstum
Konsolidierte Staatsfinanzen, niedrige Kosten, Zinsen und Steuern, angemessener Wechselkurs, dadurch hohe Wettbewerbsfähigkeit
Stabile Regierung
Geografische Konzentration der Wirtschaftsaktivitäten in Ballungsgebieten
Sehr gut ausgebildete Fachkräfte
Absatzmärkte wettbewerbsintensiv und entwicklungsfähig
Hohe Investitionsgüternachfrage wegen des Modernisierungsbedarfes der Wirtschaft
Bedarf an ausländischen Investoren für Wasserwerke, Stromversorgung und Infrastruktur,
einfaches Genehmigungsverfahren für ausländische Investitionen
Wer in Chile Geschäfte machen will, sollte sich den starken Branchen Bergbau, Energie,
Chemie, Pharmazeutik, Umwelttechnik und Dienstleistungen (Telekommunikation, Finanzen,
Transport) widmen. Darüber sollten die wichtigen Bereiche Land- und Forstwirtschaft und Fischereiindustrie nicht vergessen werden.
Venezuela
Das Land ist etwas größer als der brasilianische Bundesstaat Mato Grosso, hat 26 Mio. Einwohner und mit 162 Mrd. US$ fast 11 % des brasilianischen BIP. In der UNO - Rangreihenfolge
der Humanentwicklung von 2004 nimmt es den 72. Platz von 177 ein, knapp hinter Brasilien,
welches den 69. Platz einnimmt. 52 % der Bevölkerung Venezuelas lebt unterhalb der Armutsgrenze, vor allem aus dieser Schicht rekrutiert Chávez seine Anhänger.
Hugo Chávez hat nach seiner Wiederwahl seine Machtposition ausgebaut. Er kann durch
geltendes Recht unterstützt weitgehend durch Dekrete regieren und hat durch den Wahlboykott der Opposition ein Parlament mit ausschließlich seinen Anhängern hinter sich, dessen
Abgeordnete ihm wie in ehemals kommunistischen Staaten einstimmig zustimmen. Dazu paßt
die Umbenennung Venezuelas in eine Sozialistische Republik und die Ankündigung von weitgehenden Verstaatlichungen. Der gesamte Energie- und Stromsektor sowie der Telekommunikationsbereich soll unter staatliche Kontrolle kommen. Vor dem Parlament verkündigte der
Präsident Anfang Februar 2007: "Wir haben entschieden, den gesamten venezolanischen
Energie- und Stromsektor zu verstaatlichen, alles, absolut alles." Die Energiebranche soll offensichtlich nicht entschädigt werden im Gegensatz zum Telekommunikationssektor, für die
Übernahme der CANTV, an der als Großaktionär die US - Telekommunikationsgesellschaft
Verizon beteiligt ist, sollen die Eigner bezahlt werden.
Um auch die außerparlamentarische Opposition auszuschalten, will Chávez die Lizenz des ihn
kritisierenden Fernsehsenders RCTV, die nach regierungsmeinung im März 2007 ausläuft, wegen „putschistischer Aktivitäten“ nicht erneuern. Das alles ist nur möglich durch das Öl, dessen Erträge Chávez einerseits zum Kauf der Meinung eines Großteils der armen, ungebildeten
und schlecht informierten Bevölkerungsschicht verwendet, andererseits zur Beeinflussung labiler lateinamerikanischer Regierungen mit sozialistischer und oft einhergehender antiamerikanischer Tendenz. Die Öffnung des Mercosurs für Venezuelas Vollmitgliedschaft kann in diesem
Zusammenhang nur als unverständlicher Fehler vor allem auch der brasilianischen Regierung
gesehen werden, wenn man Präsident Lula nicht andere Absichten unterstellen will. 2008 will
der Präsident, der seit 1.2.2007 für anderthalb Jahre in 11 Segmenten per Dekret regieren
kann, drei Nullen vom Bolivar streichen und einstellige Inflationszahlen erreichen. Bei 2 % im
Januar kann das schwerfallen. Weiterhin wird die Mehrwertsteuer in zwei Schritten im März
und Juni gesenkt, aber zur Kompensierung der Einnahmeausfälle eine Vermögenssteuer und
eine Luxusgütersteuer eingeführt werden. Langfristig soll die Mehrwertsteuer ganz abgeschafft werden. Außerdem kündigte er als populistische Maßnahme an, wenn es die soziale
Notwendigkeit erfordert, die jetzt schon preiskontrollierten Unternehmen der Lebensmittelwertschöpfungskette gezielt zu verstaatlichen.
Dazu kommen Inflation von 17 % im vergangenen Jahr, unsichere Rechtslage, Korruption und
die „echte und unmittelbare Gefahr“, daß es Chávez gelingt, sich dauerhaft unabsetzbar zu
-5machen. Außerdem läuft jeder Investor Gefahr, daß seine Firma entschädigungslos verstaatlicht wird. Vor unternehmerischer Tätigkeit kann deshalb zur Zeit in Venezuela nur abgeraten
werden. Niemand weiß allerdings, wie lange sich das Regime von Präsident Chávez noch
halten wird. Sobald es aus irgendeinem Grund Vergangenheit sein sollte, bietet das Land
wieder gutes Geschäftschancen in der Stahl- und Aluminiumindustrie, im Erdölsektor einschließlich Petrochemie und auch im Telekommunikationsbereich.
Risikobewertung Brasiliens
Auswirkung der Wahlen
Präsident Lula hat die Wahlen im zweiten Anlauf am 29.10.2006 mit 61 % der Stimmen der
wahlpflichtigen Wähler - in Brasilien herrscht Wahlzwang - gewonnen und ist das zweite Mal
Präsident und schon sagt man ihm nach, daß er eine Wiederwahl des nächsten Präsidenten
durch eine Verfassungsänderung verhindern und sich nach dessen erster und einziger Amtsperiode wieder zur Wahl stellen will. Grund für den Wahlsieg Lulas, der den sozialdemokratischen Herausforderer Geraldo Alckmin, früherer Ministerpräsident des Bundesstaates São
Paulo mit 39 % weit hinter sich ließ, ist die Identifikation der breiten Massen mit der Herkunft
Lulas und seinen Sozialprogrammen und die Angst vieler Wähler vor dem Wegfall von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst im Zuge der von Alckmin angekündigten „Verschlankung“
des Staates. Das Sozialprogramm „Bolsa Familia“, welches 11 Millionen Brasilianer begünstigt,
die Erhöhung des Mindestlohnes und der Rückgang der Lebensmittelpreise wurden ebenso
Lula gutgeschrieben wie die anhaltend geringe Inflationsrate, die Außenhandelsüberschüsse
und der Abbau der Auslandsverschuldung. Der „kleine Mann“ fühlte sich von den Rekordzinsen und der hohen Steuerlast der Unternehmen kaum betroffen und sah nicht die daraus
resultierende Bedrohung der brasilianischen Industrie, die sich mehr und mehr auf Importe
stützt. Auch die Korruptionsskandale der Regierung machten wenig Eindruck auf ihn.
Was sich in den nächsten Jahren in Brasilien tun wird, hängt wesentlich vom Verhalten der
Koalitionspartner ab, wobei Lula lavieren muß, denn seine eigene Partei steht nicht geschlossen hinter seinem Kurs und im Parlament herrschen fast die Verhältnisse der Weimarer Republik. Mitte Februar waren seine Ministerien in den Händen folgender Koalitionspartner:
PT: Innenministerium, Verteidigung, Erziehung, Finanzen, Landwirtschaft, Generalsekretariat
des Präsidenten, Umwelt, Planung, Arbeit, Institutionelle Beziehungen, Menschenrechte
PMDB: Kommunikation, Bergbau und Energie
PC do B: Sport
PP: Städte
PSB: Wissenschaft und Technologie, Nationale Integration
PTB: Tourismus
PV: Kultur
PR: Transport
Parteilos: Gesundheit, Justiz
Lulas Ehrgeiz ist zweifelsohne, Brasilien aus dem Status des Schwellenlandes herauszuführen
und ein höheres Wachstum zu erreichen. Die Prognose in kleinen Schritten weiter sinkender
Leitzinsen kann sicher gewagt werden, aber genauso sicher werden die Sozialprogramme
keine Abstriche erfahren und die Sozialversicherungsreform wird nur allmählich durchgeführt
werden mit einer ausbalancierten Einnahmen - Ausgaben - Bilanz, die noch in weiter Ferne
liegt. Zur Zeit wird wenigstens selbst von der Regierung schon laut über die Einführung eines
Mindestrentenalters nachgedacht. Sicher positiv zu werten ist die verkündigte weitere Dezentralisierung der Wirtschaft des Landes, die heute immer noch vor allem von São Paulo geprägt ist und künftig den ärmeren Bundesstaaten mehr Chancen gibt. Die gerade für die
unternehmerische Tätigkeit wichtige Verringerung der Bürokratie ist unwahrscheinlich.
Da der Präsident mit dem Wachstum im Wort steht, ist aber sein Programm zur Wachstumsbeschleunigung PAC, welches viele Milliarden R$ vor allem in die Infrastruktur lenken soll, durchaus glaubwürdig. Davon werden Bereiche wie das Eisenbahnwesen, der Straßenbau, die
-6Energieerzeugung und -verteilung, der Wohnungsbau und die Umwelttechnik stark profitieren. Allerdings ist die Herkunft der Mittel dafür noch unklar, denn die von der Regierung genannten Zahlen schließen Investitionen der Privatwirtschaft mit ein.
Währungsstabilität
Jede Regierung steht vor dem Dilemma, drei Dinge haben zu müssen, um Währungsstabilität
zu gewährleisten: Freien Kapitalverkehr, Zinsautonomie und Währungskurskontrolle. Leider
sagen die Volkswirtschaftler, daß nur zwei von diesen drei Bedingungen frei wählbar sind und
die dritte sich dann jeweils selbst ausschließt. Brasilien hat lobenswerter Weise auf die Kurskontrolle verzichtet und das kam dabei heraus:
Kurs der letzten drei Monate am 9.2.2007:
Kurs der letzten drei Jahre am 9.2.2007:
Kurs der letzten zwölf Monate am 9.2.2007:
Kurs der letzten fünf Jahre am 9.2.2007:
Kurs der letzten zwei Jahre am 9.2.2007:
Die Auswirkungen sind für Exporteure, die ihre Waren und Dienstleistungen in Brasilien absetzen wollen, natürlich ideal, nicht so sehr aber für die Firmen, die in Brasilien gegen den Import
„anproduzieren“ müssen. So hat Black & Decker z.B. seinen Umsatz vor ca. 2 Jahren zu 80 %
mit in Brasilien hergestellten Waren erzielt, aktuell sind es nur noch 65 % und wer bei Black &
Decker ein Bügeleisen in Brasilien kauft, erhält ein chinesisches Produkt. Und konsequenter
Weise hat die Firma ihre Investitionen in Brasilien heruntergeschraubt und wartet auf bessere
Zeiten, d.h. auf einen Kurs von mindestens 1 US$ = 2,50 R$.
Die Konsequenz ist ein Rückgang der Industrialisierung, wenn keine Innovations- und Rationalisierungsreserve vorhanden ist. Der Ausweg, den einige brasilianische Unternehmen gehen, ist
-7die Öffnung von Fabriken im Ausland, so hat WEG, einer der größten Elektromotorfabrikanten
der Welt aus Jaraguá do Sul schon Fabriken in Portugal, Mexiko und China. Andere suchen ihr
Heil in neuen Produkt- und Produktionstechnologien.
Traditionsgemäß war Argentinien lange schon der nach den USA zweitgrößte Handelspartner
Brasiliens. Das hat sich jüngst geändert, Argentinien wurde von China überflügelt. Ende 2006
lag Argentinien mit 8,1 Mrd. US$ Exporten nach Brasilien noch vor China mit 7,9 Mrd. US$, aber
Ende Januar 2007 hatte China in den letzten 12 Monaten Waren für 8,28 Mrd. US$ nach Brasilien exportiert und Argentinien für 8,19 Mrd. US$. Noch ist der Abstand klein, aber er wird
wachsen. Daran ist auch die ideologisch verbrämte Brille der brasilianischen Regierung
schuld, die an einen Verbündeten geglaubt hat und unvermittelt einen Konkurrenten vor sich
sieht, der unbarmherzig Terrain gewinnt. Es war ein unverzeihlicher Fehler der Regierung Lula,
der sozialistischen Volksrepublik China das Attribut der freien Marktwirtschaft ohne Gegenleistung zu gewähren und damit auf Verteidigungsmechanismen gegen die nicht immer
marktwirtschaftlichen chinesischen Geschäftspraktiken zu verzichten.
Bei einer Betrachtung der Währungsstabilität darf das Länderrisiko nicht fehlen:
Trotz des ähnlichen Kurvenverlaufes von Länderrisiko und !-Kurs ist keine eindeutige Korrelation zu erkennen:
-8Der brasilianischen Regierung ist dies natürlich bewußt und die Zentralbank versucht, durch
massive Stützungskäufe dem Kursverfall des Dollars entgegenzuwirken. Als ungewollte Konsequenz liegen die Währungsreserven Brasiliens bereits bei fast 100 Mrd. US$. Über die Frage, ob
dies ausreichend ist, wird polemisiert, denn ein Vergleich mit anderen Schwellenländern legt
nahe, daß die Reserven (Situation Ende 2006) unzureichend sind:
Land
Devisenreserven
(% vom
BIP)
Taiwan
Thailand
Rußland
Südkorea
Venezuela
Brasilien
Mexiko
Südafrika
72,25
32,10
30,20
27,07
19,44
9,09
8,01
7,70
Die Zentralbank wird, sogar von der regierenden Arbeiterpartei, wegen ihrer rigorosen Zinspolitik angegriffen, die auf der einen Seite dazu geführt hat, daß die Inflation kein Thema mehr
in Brasilien ist, aber auf der anderen Seite Firmen dazu bringt, Exporterlöse im vorzufinanzieren,
um auf diese Weise Dollardarlehen zu 6 % per annum anstelle 40 % bei R$-Darlehen für die
Stärkung des Umlaufvermögens zu nutzen. Und dadurch wird der Dollarzufluß natürlich verstärkt, was wiederum zu Stärkung des Real beiträgt. Und solange die US-amerikanische Konjunktur so gut läuft, daß Investoren risikoreichere Anlagemöglichkeiten für ihre im Überfluß
vorhandenen Dollar suchen, werden diese weiterhin ihren Weg nach Brasilien finden und so
schnell den Dollarkurs nicht wieder steigen lassen. Der Ausweg ist sicher nicht nur eine Herabsetzung des Leitzinses, denn dieser bestimmt nur zu einem Teil die tatsächlich von den brasilianischen Banken praktizierten Kreditzinsen, weil diese außerdem noch von den Kosten der
Banken, ihrem Kreditausfallrisiko und natürlich ihren z.Z. sehr zufriedenstellenden Gewinnen
(Beispiel Bradesco: 6,36 Mrd. R$ in 2006, + 15 % gegenüber dem Vorjahr) abhängen.
Fazit für Geschäfte mit Brasilien ist die Notwendigkeit, sich auf einen starken Real einzustellen,
d.h. sowohl zu exportieren als auch „Schnäppchen“ zu suchen, denn etliche brasilianische
Firmen stehen wegen dieser Situation heute schon zum Verkauf.
Bildungssystem
Wer es in Frankreich zu etwas bringen will, muß eine école superieur besuchen. Wer in Brasilien
Präsident werden will, braucht dazu kein Diplom, aber es hilft, Gewerkschaftsführer gewesen
zu sein. Und wenn der amtierende Präsident darauf auch noch mit berechtigtem Stolz hinweist, animiert er nicht gerade zum Schulbesuch.
In Brasilien sind Eliteschulen verpönt, denn - siehe Überschrift - wir befinden uns in einem sozialistischem Umfeld. Was dazu führt, denen, die mangels Vorbildung keine Zugang zu den meist
guten öffentlichen und den oft weniger guten privaten Universitäten haben, weil sie die Aufnahmeprüfungen nicht bestehen und die kostenpflichtigen Vorbereitungskurse nicht bezahlen können, diesen Zugang per gesetzlicher Quotenregelung zu verschaffen.
Die öffentlichen Universitäten sind gut in Brasilien, weil der größte Teil der staatlichen Bildungsaufgaben nicht in die Schul-, sondern in die Hochschulausbildung gesteckt wird. Was
übrigens nicht verhindert, daß über 80 % der frischgebackenen Juristen bei der Zulassungsprüfung für den Rechtsanwaltsberuf durchfallen. Die Qualität der Universitäten ist sehr unterschiedlich und trotz des Hinweises auf die Elitehochschulen gibt es doch einige herausragende Bildungseinrichtungen, von denen stellvertretend für alle die Technische Hochschule der
Luftwaffe ITA - Instituto Tecnologico de Aeronáutica genannt werden soll.
Präsident Lula, der sich laut Opposition seit seinem ersten Amtsantritt im permanenten Wahlkampf befindet, werden Ambitionen auf ein drittes Mandat nachgesagt, welches nur durch
eine Verfassungsänderung möglich wäre. Um dafür den nötigen Rückhalt zu bekommen,
bedarf es guter Gründe. Ein solcher Grund könnte die erfolgreiche Reform des desolaten öffentlichen Schulwesens Brasiliens sein. Lula hatte diese Reform schon für sein erstes Mandat
-9versprochen, ist aber grandios gescheitert, wie es gerade veröffentlichte Daten seines eigenen Erziehungsministeriums zeigen, nach denen sich die
Ausbildungsqualität in den letzten zehn Jahren ernsthaft verschlechtert hat.
Sein Vorgänger Fernando Henrique Cardoso konnte wenigstens stolz darauf sein, daß es ihm
gelang, 97 % der schulpflichtigen Kinder dazu zu bringen, daß sie eine öffentliche Schule besuchten, von denen die Hälfte laut Juan Arias von der Zeitung El Pais vorher eine Schule nie
von innen gesehen hatte. Lula, der ein pragmatischer Politiker ohne große Ideologie - die ist
im Überfluß in seiner Arbeiterpartei vorhanden - und mit einem sehr feinen Gespür für die
Stimmung des Volkes ist, weiß genau, daß nur eine verbesserte Schulausbildung letztendlich
die großen sozialen Unterschiede Brasiliens beseitigen helfen kann. Da hilft es auch nicht, daß
die öffentlichen Universitäten gut sind, aber die Jugendlichen, die eine schlechte öffentliche
Schule besucht haben, die Aufnahmeprüfung nicht schaffen und die Studienplätze den Absolventen teurer Privatschulen vorbehalten sind. Was wie gesagt zu einer Quotenregelung
geführt hat, damit auch Abgänger öffentlicher Schulen und speziell afrikanischer Herkunft mit
nicht ausreichender Vorbildung eine öffentliche Universität besuchen können - was zu Spannungen zwischen den Studenten und zum Absinken des Niveaus führt.
Dieses Niveau ist heute bei Kindern nach der Grundschule so niedrig, daß viele laut Erziehungsministerium entweder nicht lesen können oder nicht verstehen, was sie lesen. Da der
Mittelschulbesuch nicht vorgeschrieben ist, bleiben viele Kinder auch als Erwachsenen auf
diesem Niveau stehen. Mit ein Grund dafür ist die schlechte Bezahlung der Grundschullehrer,
die oft weniger als ein ungelernter Maurer verdienen. An Schulen, die die Lehrer mit einem
vierzehnten oder fünfzehnten leistungsabhängigen Monatsgehalt zu besseren Ergebnissen
anreizen, ist das Ausbildungsniveau signifikant besser.
Die Grundschulpflicht sieht einen achtjährigen Schulbesuch an, die nicht obligate Mittelschule einen dreijährigen. Vor dem Studium muß die erwähnte Hürde der Aufnahmeprüfung genommen werden.
Diese Struktur wird allmählich geändert. Bereits ein Drittel der 33 Millionen Schüler zwischen 6
und 16 Jahren besuchen eine neunjährige Grundschule, die bis Ende 2010 die Norm sein soll.
Die Schüler sollen nicht mehr mit 7, sondern bereits mit 6 Jahren zur Schule kommen und diese
dann mit 14 verlassen, um entweder einen Beruf zu ergreifen oder die Mittelschule zu besuchen.
Lulas Projekt sieht eine wesentlich bessere Bezahlung der 2 Millionen Lehrer Brasiliens vor, eine
bessere Ausbildung der Lehrer selbst, eine bessere Struktur der Schulen und die Einführung der
Mittelschulpflicht. Außerdem soll jedem Schüler einer öffentlichen Schule ein Computerarbeitsplatz zur Verfügung stehen. Sein Erfolg wird von der Unterstützung der elf Parteien abhängen, die die Regierungskoalition bilden und von der Figur des Erziehungsministers, dessen
Name beim Schreiben dieses Artikels noch nicht feststeht.
Chancen und Zukunftsbranchen Brasiliens
Bei einer Umfrage von Serasa bei 1.032 brasilianischen Firmen, die ihre Antworten zwischen
dem 30. Oktober und 8. November, also nach der Wiederwahl Lulas, gaben, zeigte sich eine
große Bereitschaft, 2007 unter der Regierung des alten - neuen Präsidenten zu investieren. 63
% wollten mehr als 2006 investieren, 32 % Investitionen in gleicher Höhe vornehmen und nur 5
% sprachen von einer Reduzierung. Viele brasilianische Firmen planen Investitionen im Nordosten und im Norden Brasiliens. So will die Bierbrauergruppe Schincariol aus Itú für 135 Mio. R$
eine Brauerei im Bundesstaat Ceará bauen und Votorantim Metais wird 2007 zwei Projekte
(eine Eisen - Nickel - Fabrik in Goiás und ein koksbeheizter Kessel für die eigene Energieversorgung) für 738 Mio. R$ realisieren und in den nächsten drei Jahren insgesamt 1,7 Mrd. R$ investieren. Suzano Petroquímica wird mit 200 Mio. R$ die Produktionskapazität für Polypropylen
um 44 % erhöhen.
- 10 Deutsche Unternehmen wollen bis 2008 in der Größenordnung von 7,5 Mrd. US$ investieren
und an den Privatisierungen in den Bereichen Infrastruktur und Energieversorgung teilhaben.
Deutsche Waren werden in Brasilien mit den Attributen teuer und gut versehen, gefragt sind
u.a. Kfz - Komponenten, Laborausrüstung, medizintechnische Geräte, Holzbearbeitungsmaschinen, Textilmaschinen, Druckmaschinen, Werkzeugmaschinen und bei Konsumgütern Seifen und Parfüms der oberen Preisklasse.
Laut der Aufstellung „FT Global 500“ der Financial Times mit Stichtag 31.3.2006 sind unter den
500 weltgrößten Unternehmen, gemessen am Aktienkapital, 2006 auch 10 lateinamerikanische Firmen vertreten:
Rang
48
117
155
205
222
266
294
321
360
362
377
Firma
Petrobras
Vale do Rio Doce
America Movil
Bradesco
Banco Itau
Ambev
Cemex
Wal-Mart de México
Tenaris
Banco do Brasil
Amtel
Land
Brasilien
Brasilien
Mexiko
Brasilien
Brasilien
Brasilien
Mexiko
Mexiko
Argentinien
Brasilien
Mexiko
Marktwert
Mio US$
91.217
54.395
43.070
33.294
31.032
26.459
24.432
22.763
20.881
20.727
20.170
Sektor
Öl- und Gasprodukte
Bergbau
Telekommunikation
Bank
Bank
Getränke
Bau & Materialien
Einzelhandel
Metallurgie
Bank
Telekommunikation
In der Zwischenzeit hat Petrobrás allerdings die Spitzenposition verloren.
Kleine und mittlere Unternehmen haben hier natürlich keine Chancen, selbst als Global Player
aufzutreten, aber als Zulieferanten haben sie große Chancen.
Verlagswesen
Der Kuriosität halber und weil das vorige Kapitel vom Bildungssystem handelt, soll zuerst ein
besonderer Wachstumsmarkt betrachtet werden, nämlich der der wissenschaftlich - technischen Bücher. Und diese Betrachtung gibt durchaus Anlaß zur der Hoffnung, daß das Ausbildungsniveau sich verbessern wird. 2005 wurden 182,5 Mio. dieser Bücher verkauft, im Jahr
zuvor waren es nur 153,5 Millionen gewesen.
Energiesektor
Petrobrás hat kühne, aber realisierbare Pläne - nämlich Brasilien dazu zu verhelfen, bis 2011
die USA als führende Nation im Verkauf von Biokraftstoff (Ethanol und Biodiesel) abzulösen.
Dazu wurden bereits vier Schritte unternommen:
1.
Gründung der Nipaku, zusammen mit der staatlichen japanischen Nippon Alcohol
Hanbai, die brasilianisches Ethanol in Japan und anderen asiatischen Staaten verkaufen wird
2.
Entscheidung, für den Export des Alkohols eine 600 km lange Alkohol - Pipeline von Zentralbrasilien bis zum Hafen von Santos zu bauen
3.
Bau dreier neuer Biodieselfabriken mit Partnern der Privatwirtschaft
4.
Intensivierung der angewandten Forschung, um Mamona und Pinhão (Pinienkerne)
ebenfalls zur Biodieselproduktion zu nutzen
Brasilien hat alles, um Weltführer zu werden und zu bleiben: nachwachsende Rohstoffe für
Biodiesel, Zuckerrohr für Ethanol, Logistik, 30 Jahre Proálcool - Programm, 300 exportierende
erfahrenene Ethanolproduzenten. Hier sind kleinere und mittlere Unternehmen u.a. als Zulieferer für Filter und nahtlose Endlosförderbänder gefragt.
- 11 Der Präsident des Bundesenergierates CNPE - Conselho Nacional de Política Energética bestätigte Pläne zum Bau neuer Atomkraftwerke, die der Regierung bereits zur Beratung vorliegen. Danach soll zunächst Angra III fertiggestellt werden und dann ist vom nächsten Jahrzehnt an bis 2030 der Bau weiterer 4 bis 6 Atomkraftwerke in Zentralen ähnlich der von Angra
dos Reis vorgesehen. Im Endstadium sollen 5 % des Energiebedarfes Brasilien durch Atomstrom gedeckt werden.
Die erste der beiden neuen Zentralen soll am Rio São Francisco entstehen, der zweite Standort ist noch nicht festgelegt. Angra III soll wohl auf jeden Fall als Überbleibsel des Nuklearprogrammes der Siebzigerjahre gebaut werden, aber für weitere Atomkraftwerke - die wegen
der Vermeidung der Verbrennung fossiler Brennstoffe sehr sinnvoll sind, wenn man keine ideologischen Scheuklappen trägt - sind wichtige Voraussetzungen zu schaffen. Neben der Gewährleistung der Betriebssicherheit und der Endlagerung des Atommülls besteht nämlich
auch die Notwendigkeit, 500 Millionen US$ in Anlagen zur Herstellung des für den Betrieb der
Atommeiler nötigen "Atombrennstoffes" zu investieren. Denn heute deckt Brasilien nur 6 % des
Bedarfes an angereicherten Uranbrennstäben aus eigener Fertigung. Die bekannten Uranreserven Brasiliens reichen für 60 bis 80 Jahre, wenn man den Verbrauch des der Regierung
vorliegenden Programmes zugrunde nimmt.
Im Energierat, der sich aus sieben Ministern, einem Vertreter der Bundesstaaten und zwei der
Öffentlichkeit besteht, gibt es nur eine Stimme gegen diese Pläne, die ausgerechnet der Ministerin für Umwelt gehört. Andere Kritiker sind nach Bekanntwerden der Stromerzeugungskosten, die für Angra III jetzt mit 138 R$/MWh angegeben werden, und angesichts der UNOWarnungen vor einem Klimawandel verstummt.
Der Einsatz von Windenergieanlagen wird auch in Brasilien immer wichtiger. Das Potential der
Windenergie wird auf 140 GW geschätzt:
- Eletrobras prognostizierte 4,8 Mrd. R$ Investitionen in Windkraftanlagen bis Ende 2006
- Die zur spanischen Elecnor gehörende Enerfin kündigt einen Windparkbau in Rio
Grande do Sul zusammen mit Cip Brasil für 230 Mio. US$ an, damit sollen drei Anlagen
mit je 50 MW installiert werden
- Elebras und Innovent wollen ebenfalls in Rio Grande do Sul in Windkraft investieren, es
geht um 70 MW und 91 Mio. US$
- In Rio Grande do Norte plant die Iberdrola - Tochter Enerbrasil einen 49,3 MW - Windpark, im selben Bundesstaat soll die New Energy Options eine 64,5 MW - Anlage bauen, beide Projekte werden über das Proinfa - Programm gefördert, welches 60 % local
content vorschreibt
Von diesen Projekten dürften die beiden einzigen Windkraftanlagerhersteller in Brasilien,
Wobben Power und GE Wind, profitieren, aber angeblich interessieren sich Vestas aus Dänemark und Gamesa und Ecotècnica aus Spanien ebenfalls für diesen Markt.
Eine große Chance für Zulieferer und Ingenieursunternehmen bietet auch die Erschließung
der riesigen unterseeischen Erdgasfelder vor Santos und der Weitertransport in die Verbrauchszentren. Vor dem Hintergrund der Preissteigerung des bolivianischen Erdgases und
der Enteignung der Petrobrás - Anlagen in Bolivien wird diese Erschließung zunehmend wichtiger.
Infrastruktur
Der Ausbau und die Modernisierung des Stromnetzes gehören zu diesem Bereich genauso
wie die nötige Privatisierung der Flughäfen, der Ausbau und die Instandsetzung des Fernstraßen und der See- und Flußhäfen, die Schaffung moderner Lagerkapazitäten sowie der Ausbau der Wasserwirtschaft. Deutschland hat bei der Privatisierung, die in Brasilien von 1991 bis
2004 ungefähr 116 Mrd. US$ Erlös für die Regierung brachte, nur eine sehr untergeordnete
Rolle gespielt, es reichte mit 1 % nur für den 15. Platz. Deshalb wurde das Land auch vom
zweiten Platz (nach den USA) der ausländischen Direktinvestoren verdrängt und mußte Länder wie Spanien, Portugal und Frankreich an sich vorbeiziehen lassen. Jetzt ist praktisch die
- 12 letzte Gelegenheit, bei der Modernisierung und den Folgeinvestitionen im Infrastrukturbereich
mitzumachen. Der starke R$ sollte dabei helfen, ins Geschäft zu kommen.
Stahlerzeugung
CSN wollte Corus kaufen, wurde aber von Tata Steel überboten. Damit ist eine Chance vertan, Brasilien wieder "in die schwarzen Zahlen" zu bringen, denn das Wachstum der Stahlproduktion 2006 sah in den BRIC-Staaten so aus:
Wachstum
Produktion
Brasilien
- 2,2 %
30,9 Mio. to
Rußland
+ 7,1 %
70,8 Mio. to
Indien
+ 7,7 %
44,0 Mio. to
China
+ 18,5 %
418,7 Mio. to
Wegen des Produktionsrückganges beträgt die Kapazitätsauslastung der brasilianischen
Stahlindustrie nur 84,4 %. Trotzdem soll die Produktionskapazität ausgebaut werden, u.a.
durch zwei neue Stahlwerke (Ceará Steel und Companhia Siderúrgica de Atlântico - CSA).
2010 sollen dann 50,4 Mio. Tonnen Stahl jährlich hergestellt werden können. Sollte das PAC
erfolgreich sein, können es auch 75 Mio. Tonnen werden.
Der Aufsichtsrat von ThyssenKrupp hat grünes Licht gegeben für eine 2,4 Mrd. US$ - Investition
in ein Stahlwerk mit einer Jahreskapazität von 5 Mio. Tonnen. 2009 soll die Produktion in Sepetiba unter dem Firmennamen Companhia Siderúrgica do Atlântico - CSA aufgenommen
werden, an diesem Unternehmen wird ThyssenKrupp mit 90 % und der Eisenerzlieferant Companhia Vale do Rio Doce - CVRD mit 10 % beteiligt sein. Das neue Stahlwerk von KruppThyssen ist über die Planungsphase hinweg, das eröffnet europäischen Zulieferern sehr gute
Chancen, sich in Brasilien zu etablieren. Selbst kleine Firmen, die z.B. Sauerstoffkernlanzen
nach Brasilien exportieren, machen gute Geschäfte. Andere erfolgreiche ausländische Produkte sind u.a. Brennrohhalter, Panzerschläuche und Hochdruckarmaturen für Kaltwalzwerke,
deren Erzeugnisse durch Ölflecke leiden würden.
Rio entwickelt sich zu einem Stahlkocherpool, denn außer ThyssenKrupp haben auch andere
Firmen Pläne. In Cosigua wird Gerdau ein bestehendes Stahlwerk erweitern und ein neues für
Spezialstähle bauen. Die Siderúrgica de Barra Mansa hat ebenfalls ein Erweiterungsprojekt
und die Companhia Siderúrgica Nacional - CSN will ein neues Stahlwerk in Itaguaí errichten.
Wenn alle diese Pläne realisiert werden, wird Rio der größte regionale Stahlproduzent Lateinamerikas sein.
Automobilindustrie
Im Januar 2007 wurden soviel Fahrzeuge wie nie zuvor verkauft, 152.900 Einheiten. Der bisherige Rekord von Januar 1997 lag bei 134.800 Einheiten. Die Fahrzeugproduktion ist in Brasilien
seit Jahren im Steigen begriffen:
2002 - 1,79 Mio. Fahrzeuge
2003 - 1,82 Mio. Fahrzeuge
2004 - 2,31 Mio. Fahrzeuge
2005 - 2,52 Mio.Fahrzeuge
2006 - 2,61 Mio. Fahrzeuge
Der Inlandsabsatz verzeichnete diese Werte:
2004 - 1,57 Mio. Fahrzeuge
2005 - 1,71 Mio. Fahrzeuge
2006 - 1,93 Mio. Fahrzeuge
Der Exportumsatz wuchs im letzten Jahr durch den Wertzuwachs des R$ um 8,4 %, der Exportabsatz ging aber um 5,8 % zurück.
Für das laufende Jahr schätzt ANFAVEA, der Automobilherstellerverband, einen Inlandsabsatz
von 2,08 Mio. Fahrzeugen und die Produktion auf 2,7 Mio. Einheiten. Fiat, um nur ein Beispiel
- 13 zu nennen, hat 1.200 neue Mitarbeiter für die Schicht von 00:00 bis 06:00 eingestellt und beschäftigt damit bereits 10.200 Leute. Ford fährt in Camaçarí drei Schichten (Fiesta, EcoSport)
und VW in São José dos Pinhais (Fox, Golf). Zulieferanten wie SKF, Saint-Gobain Sekurit und
auch kleinere wie Engemet passen sich diesem Rhythmus an und arbeiten ebenfalls im Dreioder Vierschichtbetrieb. Damit ist die brasilianische Fahrzeugindustrie wieder zu der Wachstumsbranche geworden, die sie so viele
Jahre war, bevor die Krisenzeit begann.
Neuankömmlinge haben hier aber nur eine Chance, wenn sie im Zuge einer follow source Politik gerufen werden, meist von einem TIER 1 - Systemlieferanten, weniger vom Automobilhersteller selbst. Chancen ergeben sich auch im Ersatzteilmarkt, so stand ein GM - Stanzwerk
vor einiger Zeit zum Verkauf, in dem ausschließlich Ersatzteile für ausgelaufene Modelle gefertigt wurden. Allerdings hätte GM bei einem Verkauf alle Fördermittel zurückzahlen müssen,
deshalb sind solche Verkäufe meist sehr schwierig. Wer innovative Produkte hat, hat allerdings auch als Neuankömmling eine Chance, z.B. mit Luftverbesserern für das Wageninnere
auf der Basis von freien Ionen.
Biotechnologie
Brasilianische Pharmaunternehmen sind groß und forschen mit Erfolg, sie sind aber nicht immer groß genug, um die Forschungsergebnisse auch in Produkte umzusetzen. Deshalb gibt es
vielfältige Verzahnungen der brasilianischen Pharmaindustrie mit ihren Branchenkollegen im
Ausland. Aber es gibt Nischen, in denen die Zusammenarbeit mit Universitäten und privaten
Instituten es auch kleineren Unternehmen möglich macht, in diesem Sektor erfolgreich tätig
zu sein. In den letzten drei Jahren hat die Zahl der Biotechnologieunternehmen in Brasilien um
25 % zugenommen, was die Regierung zum Anlaß nahm, ein 10 Mrd. R$ - Investitionsprogramm ins Leben zu rufen, welches diesem Sektor bis 2017 Mittel zur Verfügung stellen soll. 75
% der heute in diesem Sektor tätigen Firmen sind Kleinst- oder kleine Unternehmen. Einige
werden von der FAPESP - Stiftung (Fundação de Amparo à Pesquisa do Estado de São Paulo)
unterstützt, weisen Wachstumsraten von 50 % auf und exportieren bereits nach wenige Jahre
nach ihrer Gründung u.a. nach Europa. Brasiliens Biotechfirmen, die sich auf die genetische
Verbesserung von Rindern spezialisiert haben, eröffneten bereits Niederlassungen in anderen
lateinamerikanischen Ländern und sind Weltmarktführer bei der in vitro - Embryonenproduktion.
Bergbau
Firmen wie Vale do Rio Doce gehören heute zur Weltspitze. Wer an solche Unternehmen Spitzentechnologie liefern kann, hat einen Dauerkunden mit hohem Bedarf gewonnen. Die
Bergwerksgruppe Anglo American sieht Brasilien als Wachstumsmarkt, denn in ein einziges
Projekt wird sie 1,2 Mrd. US$ hineinstecken. Es handelt sich um das Nickelbergwerkprojekt Barro Alto in Goiás, wo ab 2010 jährlich 36.000 Tonnen Nickeleisen gewonnen werden sollen.
Anfang 2007 sollen die Erschließungsarbeiten beginnen. Ich freue mich besonders darüber,
weil mein Großvater Bergmann war und ich mich deshalb dem Bergbau verbunden fühle.
Allerdings fühlen nicht alle deutschen Firmen, die bei diesem Projekt als Lieferanten und
Dienstleister Geld verdienen können, diese Verbundenheit, denn längst nicht alle Firmen, die
dafür in Frage kommen, sind in Brasilien präsent. Dabei sind solche Bergwerksprojekte immer
langfristig angelegt, so wurde z.B. für Barro Alto ein Nickeleisenerzvorrat von 116,2 Mio. Tonnen
festgestellt. Anglo American kann mit diesem neuem Bergwerk seinen Nickelförderanteil in
Brasilien von 28 auf 35 % (ab 2011) steigern. Der Bergbau wächst übrigens fünfmal mehr als
der Durchschnitt der Industrie (BIP: +13,1 % gegenüber +2,4% in den letzten 12 Monaten,
Situation von Juni 2006) und ein Ende ist nicht abzusehen.
Papier und Zellulose
Die norwegische Norske Skog investiert 210 Mio. US$, um ihre Produktionskapazität an Zeitungspapier in Brasilien zu verdoppeln. Seit 2003 wächst nämlich der Bedarf um 5 % jährlich
und um diesen zu decken, wird die Gruppe eine stillgelegte Fabrik von Südnorwegen nach
- 14 Brasilien verlagern. Der neue Standort wird Jaguariaíva in Paraná sein, wo man 2000 eine
Fabrik von Fletcher Challenge gekauft hatte. Nach dem Ausbau wird man dort über eine
Kapazität von 385.000 Tonnen im Jahr verfügen. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres konnte die Firma in Brasilien ihren Absatz um 28 % steigern. Der Weltmarktanteil
der Firma beträgt 13 %. In Südamerika hat man eine weitere Fabrik in Chile.
Agrobusiness
Das Agrobusiness wird durch die Aktionen der Landlosenorganisation sem terra beeinträchtigt, aber im Vergleich zur Größe des Marktes sind dies nur Nadelstiche, wenn auch im Einzelfall Enteignungen drohen, die in jüngster Vergangenheit auch schon multinationale Firmen
betrafen. Wer als Ausländer in diesem Sektor tätig werden will, muß sich eine stabile Basis
schaffen und vor allem auf die lokalen Gegebenheiten Rücksicht nehmen, liegen doch die
land- und forstwirtschaftlichen Gebiete weit ab von den „zivilisierten“ Zentren wie São Paulo.
Man darf also keine europäisch gefärbte Umgebung erwarten und sollte möglichst mit einheimischen Kräften arbeiten, auch auf der Führungsebene der Firmen. Daß das Feld attraktiv
ist, zeigt der Wechsel eines Präsidenten der brasilianischen Niederlassung eines deutschen
Autobauers ins Agrobusiness.
Brasilien ist heute Global Player auf dem ersten Platz der Oberliga bei Geflügelfleisch, Rindfleisch, Orangensaft(-konzentrat), Sojabohnen und Zucker und auf Führungsposition darunter
bei Schweinefleisch und Tabak. Es ist eine eindeutige Tendenz weg von tropischen zu nicht
tropischen Erzeugnissen zu spüren mit der EU mit 41 % der Agrarausfuhren als wichtigster Abnehmer, aber mit den größten Zuwächsen in China und Rußland. Wichtig dabei ist für die
Stabilität der Position Brasiliens, daß Subventionen die Preise nur mit einem 3 % - Anteil unterstützen. Kein Vergleich also mit den Verhältnissen in den EU -Staaten. Die Aufwertung des R$
beeinflußt allerdings die Wettbewerbsfähigkeit Brasiliens, ohne kräftige Preissteigerungen wäre kein wertmäßiger Exportzuwachs möglich gewesen.
In einem Land, in dem die Anbaufläche ohne Beeinträchtigung der Regenwälder problemlos
verdoppelt werden könnten und welches zwei oder sogar drei Ernten pro Jahr wegen des
günstigen Klimas zu verzeichnen hat, haben nicht nur Landwirte gute Chancen, sondern vor
allem auch Zulieferanten technisch hochwertiger Produkte für den Agrarsektor. Das fängt bei
Gefriertrocknern für Kaffee, Kühlanlagen für Milch und Separatorzentrifugen für pflanzliche
Öle an, setzt sich über implantierbaren Chips zur Kennzeichnung von Rindern fort und hört bei
automatischen Erntemaschinen und Bewässerungsanlagen, die ihren Weg per GPS finden,
auf.
Zum Agrobusiness muß auch die unter dem Energiesektor schon genannte Gewinnung von
Biodiesel und Ethanol gezählt werden. Bereits heute ist die Hälfte der in Brasilien gebauten
Pkw in der Lage, entweder Benzin oder Alkohol oder eine beliebige Mischung davon als
Treibstoff zu benutzen. Allein der Ethanolsektor rechnet in den nächsten sieben Jahren mit
über 10 Mrd. US$ Investitionen!
2007 bietet den Firmen, die auf irgendeine Weise dem Agrobusiness verbunden sind, große
Chancen in Brasilien. Denn dieses Jahr wird Brasilien eine neue Rekordernte einfahren und
dafür Maschinen, Transportmittel, Lagerraum und Verarbeitungskapazität brauchen. Hier die
Zahlen der Getreideernte in Mio. Tonnen mit der Schätzung für 2007:
Jahr
Ernte
1998
76,5
1999
82,4
2000
83,0
2001
100,3
2002
96,7
2003
123,2
2004
119,2
2005
113,9
2006
120,8
2007
126,5
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß in Deutschland nur noch 1,6 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten, in Brasilien aber fast 30 %. Daran hat auch
der in den vergangenen 14 Jahren hauptsächlich durch in diesem Bereich tätigen brasilianischen Großunternehmen wie z.B. Sadia mit 40.000 Mitarbeitern erzielte Produktivitätsgewinn
von 40 % nichts geändert. Und außerdem zeigt diese Zahl, daß den sogenannten Landlosen
nicht langfristig geholfen ist, wenn man ihnen eine Parzelle übereignet und sich selbst über-
- 15 läßt. Merkwürdig ist, daß ausländische Firmen wie Nestlé, Cargill und Bunge, um nur einige zu
nennen, kräftig im Agrarsektor tätig sind, deutsche Unternehmen aber durch Abwesenheit
glänzen, obwohl der Sektor boomt. Dabei sollen Ausnahmen wie Fuchs Gewürze nicht unerwähnt bleiben, diese Firma unterhält z.B. eigene Anbauflächen in Brasilien.
Exportieren oder im Lande produzieren?
Eine letzte Frage soll noch aufgeworfen werden, Export oder Produktion in Brasilien? Diese
Fragen stellen sich viele Exportwillige, die ein Geschäft nicht wegen fehlender Wettbewerbsfähigkeit verlieren wollen. Kodak hat diese Frage für sich entschieden und wird die Digitalkamera Easyshare C360 in der Freihandelszone von Manaus von der Firma Jabil montieren lassen. Sie wird dann in Brasilien nur noch 900 R$ und nicht mehr 1.300 R$ kosten. Außer Brasilien
läßt Kodak Digitalkameras nur noch in China bauen. Sony baut schon länger Digitalkameras
in der Freihandelszone, die Firmen Elgin (Canon-Großhändler) und Flex wollen dies ebenfalls
tun und haben bereits entsprechende genehmigte Projekte. 2005 wurden 2 Mio. Digitalkameras in Brasilien verkauft, doppelt so viel wie 2004. 2006 sollen es 3 Mio. Einheiten werden.
Das Potential ist groß, 2004 hatten 34 % der brasilianischen Haushalte eine Analogkamera und
nur 2,4 % eine digitale. 2007 soll der Anteil der Digitalkameras auf 19,5 % steigen, das wäre
dann ein Bestand von 9,3 Mio. Digitalkameras. Plausibilitätskontrolle: (9,3 : 19,5) x 100 = 47,69
Mio. Haushalte bzw. knapp 4 Personen pro Haushalt, also richtig. 2005 wurden bereits mehr
digitale als analoge Kameras verkauft. Während in der „ersten Welt“ die Verkäufe analog digital sich die Waage halten, macht in Brasilien die Analogtechnik immer noch 70 % des Umsatzes von Kodak aus. Alle Exporteure sollten sich heute die Gedanken von Kodak zu eigen
machen und ihre Situation kritisch überdenken.
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Kontaktdaten des Autors:
Dipl.-Ing. Karlheinz Kurt Naumann
Leiter des FIRMENPOOLS
BRASILIEN / MERCOSUR der IHK zu Essen
Geschäftsführender Gesellschafter der
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