Faul, mutlos, unzuverlässig

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Faul, mutlos, unzuverlässig
24 SPORT
FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 4. DEZEMBER 2011, NR. 48
„Faul, mutlos, unzuverlässig“
DIE KNALLER
DIE FALLER
Trainer-Legende Don Turner über den Niedergang des Schwergewicht-Boxens
Mike Tyson erkämpfte sich 1986 im Alter von 20
Jahren den Weltmeistertitel im Schwergewicht
– kein Champion war jünger.
Foto dapd
Lennox Lewis dominierte das Schwergewicht vor
den Klitschkos. Der Brite besiegte Witali Klitschko 2003 vorzeitig.
Foto picture-alliance/dpa
Evander Holyfield war erst im Cruisergewicht
Weltmeister, erkämpfte sich dann viermal den
Titel im Schwergewicht – Weltrekord.
Foto dpa
Riddick Bowe lieferte sich in den neunziger Jahren drei denkwürdige Ringschlachten mit Evander Holyfield – zweimal siegte Bowe.
Foto AP
Advent, Advent, das zweite Lichtlein brennt. Jedoch taugt der schöne Kerzenschein leider Gottes
nicht dazu, etwas Besinnlichkeit in
die hektische Sportwelt zu tragen,
weil bei einigen Herrschaften dieser Tage die Sicherungen durchbrennen. Die einen trennen sich,
die anderen streiten sich, und da
und dort gibt’s auch noch Prügel.
Friede, Freude? Pustekuchen!
Eine stille Nacht, die steht Lindsey
Vonn an Weihnachten bevor. Vorbei die Zeit, als die Skirennläuferin
gemeinsam mit der vormaligen Maria Riesch unterm Christbaum jubilierte, obwohl die deutsch-amerikanische Ski-Freundschaft immerhin
nicht mehr auf Eis liegt. Passé ist
auch Lindsey Vonns Hoffnung, mit
ihrem Angetrauten zum fünften
Male das Fest der Liebe zu feiern.
Thomas Vonn, von der Gattin in einem Interview jüngst als „wahnsinnig ruhig“ verkannt, ist kurz danach wahnsinnig flatterhaft gewor-
Kann man als Cruisergewichtler aufsteigen und den Champion im Schwergewicht entthronen?
Absolut. Der schlechteste Cruisergewichtler kann im Schwergewicht mitboxen. Die großen Champions Rocky
Marciano, Joe Louis, Ezzard Charles –
sie alle waren nur um die 90 Kilogramm schwer. Evander Holyfield war
auch ein Cruisergewicht.
Also gewinnt Jean-Marc Mormeck
am kommenden Samstag gegen Wladimir Klitschko, falls dieser nach seiner Nierenoperation antreten kann?
Nach David Haye und Tomasz Adamek, die beide kläglich scheiterten, ist
der Franzose nun der dritte ehemalige Weltmeister im Cruisergewicht in
Folge, der einen der Klitschkos fordert.
Nein, Mormeck gewinnt nicht. Wladimir sollte leichtes Spiel haben, falls
der Kampf stattfindet. Die Klitschkos
sind derzeit unbesiegbar.
Was haben die Klitschkos, was alle anderen nicht haben?
Sie sind intelligent, gebildet, groß und
halten dich mit ihrem wirklich guten
Jab auf Distanz. Außerdem sind sie keine Spieler, sie lassen sich nicht auf eine
Ringschlacht ein. Sie wollen gewinnen, aber sie wollen nicht beeindrucken. Damit gehen sie kein Risiko ein.
Solange kein Gegner wie Mike Tyson
kommt, der viel Druck ausüben kann,
werden sie gewinnen. Mormeck wird
so wenig eine Chance haben wie vor
ihm David Haye.
Aber Haye hatte doch alles, was man
braucht, um die Klitschkos zu schlagen.
Was denn bitte?
Er ist schnell und kann hart hauen.
Hart hauen können viele Schwergewichtler. Aber niemand, der vor dem
Kampf seine Klappe so weit aufreißt
wie Haye, kann wirklich kämpfen. Als
der Kampf begann, hat ihn der Mut
verlassen. Das ist typisch für die schweren Jungs. Sie gehen in den Kampf, sehen die großen Körper der Klitschkos
und schalten um auf den geringsten
Widerstand. Schwergewichtler sind
nicht die Mutigsten.
Warum nicht?
Weil sie nie kämpfen müssen – nicht
in der Schule, nicht auf der Straße.
Weil sie groß sind und viele Muskeln
haben, geht ihnen automatisch jeder
aus dem Weg. Schauen Sie sich die
Anführer von Straßengangs an, das
sind nie die großen, schweren Jungs.
Die wissen gar nicht, ob sie kämpfen
können, weil sie nie getestet wurden.
Bis sie im Ring stehen. Und sobald sie
hart getroffen werden, haben sie keine
Lust mehr zu kämpfen. Die letzten
Schwergewichtler
mit
wirklich
Mumm waren Marciano, Muhammad
Ali, Joe Frazier, Larry Holmes und
Holyfield. Sie hätten nie einen Kampf
aufgegeben.
Sie haben Mike Tyson vergessen.
Mike Tyson ist für mich der beste
Schwergewichtler der letzten zwanzig
Jahre. Aber hätte er Mumm gehabt,
hätte er hart trainiert. Es ist doch so:
Jeder sucht sich schon im Vorfeld eine
Ausrede für eine Niederlage. Tyson
hat rumgehangen und nicht anständig
trainiert. Das war seine Ausrede. Er
konnte vier Runden lang kämpfen, danach wurde es schwer für ihn.
Aber so schlimm stand es doch noch
nie um das Schwergewicht. Es kommen Boxer aus Amerika nach Deutschland, um sich ohne Gegenwehr von
den Klitschkos verprügeln zu lassen.
Was ist denn passiert mit Amerika,
dem früheren Land der Schwergewichtler?
Es ist ganz einfach: Es gibt kein Enga-
den und hat die Scheidung eingereicht. Vorher soll der ach so ruhige Tom noch einen Wutanfall gehabt und dabei die Skischuhe der
Jetzt-Ex demoliert haben. Offenbar
ist da ein Ros’ entsprungen und
zum Rosenkrieg erwachsen.
Draußen
vom Schwarzwalde
komm ich nicht her, so lautete sinngemäß die Adventsbotschaft, die
unser deutscher Superduperturner
Fabian Hambüchen seinem Verein
KTV Straubenhardt übermittelt
hat. Woraufhin der Turnverein,
der im Titelkampf vergeblich auf
Hambüchens Dienste hoffte, dem
Hessen das Reck vor die Tür stellte. Wer lieber in der Schweiz rumturnt oder bei Stefan Raab rumhopst, der habe in der Bundesliga
nichts mehr zu suchen, empörten
sich die Straubenhardter. Deren Ärger wiederum verärgerte Hambüchen, so dass der seinerseits die
Sportfreundschaft kündigte. Nun
wird schmutzige Wäsche gewa-
gement mehr. Nach Tyson ging es bergab. Es gibt niemanden mehr, der trainieren will. Die Schwergewichtler von
heute sind mit dem wenigen, was sie
verdienen, zufrieden. Ich war unlängst
in Europa beim Fußball. Die Spieler
waren alle bessere Fighter als die
Schwergewichtler von heute. Die sind
einfach nur faul und unzuverlässig. Wissen Sie, wann ein Schwergewichtler
pünktlich erscheint? Nur zum Essen.
Aber in Ihrem Trainingscamp
herrscht doch Pünktlichkeit?
Auch bei mir kommen die Boxer
schon mit dem iPod ins Gym, und so
wollen sie auch am Sandsack trainieren. Sie machen sich warm mit dem
Handy am Ohr. Haben Sie schon mal
einen Piloten im Cockpit mit einem
iPod am Ohr gesehen? Oder einen
Fußballer, der auf dem Feld einen
iPod benutzt? Es ist entsetzlich.
Schwergewichtler interessieren sich
nur für Partys und Girls, aber nicht
für ihr Handwerk. Und weil sie
Schwergewichtler sind, denken sie, sie
könnten alles essen und brauchten keine Diät. Das unterscheidet sie von
den Klitschkos. Die wissen alles über
ihre Körper. Sie wissen, was es an Disziplin braucht, um nach oben zu kommen. Wenn sie vor einem Kampf abnehmen müssen, wann kommen sie
dann noch zum Trainieren?
Haben Sie Hoffnung, dass es bald wieder einen erfolgreichen amerikanischen Schwergewichtler gibt?
Ich kann es mir nicht vorstellen. Denn
unsere Gesellschaft wird schwächer
und nicht stärker. Die Disziplin schwindet. Und die gebildeten Menschen, außer den Klitschkos, werden doch keine
Boxer. Die werden Ingenieure.
Bevor Don Turner einer der besten Boxtrainer der Welt wurde, schlug er sich in den
sechziger Jahren als Profiboxer, Taxifahrer und Kleinkrimineller in Harlem
durch. Später formte er mehr als zwanzig
Weltmeister, unter ihnen die Schwergewichts-Champions Evander Holyfield und
Larry Holmes. Weil er Holyfield zum Sieg
über Mike Tyson führte, wurde Turner
1996 zum Trainer des Jahres gewählt. Er
leitet sein eigenes Trainingscamp in Araphahoe im Bundesstaat North Carolina.
Foto Sportsfile
Würden Sie gerne einen Boxer trainieren, der die Klitschkos herausfordert?
Sehr gerne, ja. Es ist nicht schwer, die
Klitschkos zu schlagen.
Was würden Sie ihm mitgeben?
Du musst es nur wollen. Aber niemand will das Risiko eingehen, hart
von ihnen getroffen zu werden. Du
musst bereit sein, zu investieren, was
sie investieren. Und du musst aggressiv sein. Permanent Druck machen,
wie Tyson. Du musst klein sein, um
unter ihren langen Armen durchzutauchen. Du musst zum Körper schla-
Die Herren aller Gürtel:
Wladimir (links)
und Witali Klitschko
haben sich sämtliche
WM-Titel im Schwergewicht erkämpft.
Foto Imago Sport
gen.
Wann kommt dieser Gegner?
Ich sehe niemanden am Horizont.
Die Klitschkos werden weiter gegen
ausgesuchte Gegner kämpfen. Sobald
ein guter, junger Boxer kommt, werden sie abtreten. Das ist doch so: Du
fährst Fahrrad, bis du dir ein Auto
leisten kannst. Danach fährst du nie
wieder Fahrrad. Wenn sie drei so harte Kämpfe hätten wie Holyfield gegen Riddick Bowe, wären sie nicht
mehr da. Wenn es heute Tyson,
Holmes und Ali noch gäbe, würden
die Klitschkos etwas anderes tun als
boxen. Dann wären sie längst ausgestiegen.
Das sagen Sie nur, weil Sie keinen der
Klitschkos trainieren.
Das stimmt nicht, wir sind gute Freunde. Wenn ich sie trainieren würde,
wäre es genauso. Sie haben keine Gegner. Und sie gehen immer auf Nummer Sicher.
Wer ist die wahre Nummer eins? Witali oder Wladimir?
Das ist schwer zu sagen: Als ich Wladimir 1996 bei den Olympischen Spielen
gesehen habe, habe ich ganz Großes erwartet. Aber zu diesem Superstar hat
er sich nicht entwickelt. Er hat seitdem keine großen Fortschritte gemacht.
Sie haben die Klitschkos eine Zeitlang
zusammen mit Fritz Sdunek trainiert. Warum war das Engagement
nicht von Dauer?
Klaus-Peter Kohl (damals Promoter
der Klitschkos) hatte mich nach einer
Trainingseinheit gefragt, was ich von
ihnen halte. Ich habe gesagt: Sie können gut austeilen. Aber können sie
auch einstecken? Danach wurde ich
nie wieder angerufen. Erst nachdem
Wladimir gegen Corrie Sanders k. o.
ging, rief mich Kohl an und sagte: Du
hast es mir gesagt.
Eine Eigenschaft haben Sie noch vergessen, die es braucht, um die Klitschkos zu schlagen: den richtigen Trainer
in der Ecke.
Ohne guten Trainer in der Ecke wird
es sehr schwer. Aber die meisten Trainer sind nur am Geld und nicht an ihren Boxern interessiert.
Dann können Sie nicht am Geld interessiert sein. Sie haben schließlich
schon vor Jahren aufgehört, Holyfield
zu trainieren.
Ich bin am Geld interessiert. Aber Holyfield kann nicht mehr kämpfen. Er
kann es einfach nicht mehr. Aber die
Leute um ihn herum reden ihm etwas
anderes ein. Ich dagegen sage nur die
Wahrheit. Damit schütze ich mich.
Denn wenn er ernsthaft verletzt würde und ich wäre involviert, würde
mir das sehr weh tun. Man spielt mit
seiner Gesundheit.
Schauen Sie sich seine Kämpfe noch
an?
Warum sollte ich? Ich behalte ihn so
in Erinnerung, wie er einst war: ein
phantastischer Kämpfer.
Was ist denn passiert? Ist er über
Nacht alt geworden?
Seine Gewohnheiten haben sich geändert. Er ist immer öfter in die Kirche gegangen. Und wenn sie für ihren Erfolg beten, brauchen sie ja
nicht mehr zu trainieren.
Welche Boxer trainieren Sie derzeit?
Keinen.
Keinen? Sie sind doch nicht etwa in
Rente?
Nein. Wenn der Richtige kommt,
werde ich ihn trainieren. Ich weiß
nur eines: Es wird kein Leichtgewichtler sein.
Das Gespräch führte Arne
Leyenberg.
SCHLUSS FÜR HEUTE
Friede, Freude – Pustekuchen!
VO N T H O M A S K L E M M
schen, auch wenn es sich letztlich
nur um einen Turnanzug handelt.
Alle Jahre wieder geben Tennisspieler einem Doppelpartner den
Laufpass, was an sich keiner Erwähnung wert wäre, wenn nicht gerade eine ebenso berühmte wie brisante Beziehung in die Brüche ge-
gangen wäre. Aisam-ul-Haq Qureshi und Rohan Bopanna, als pakistanisch-indisches „Friedens-Doppel“ für ihre humanitäre Mission
ausgezeichnet,
gehen
fortan
fremd. Bopanna wendet sich seinem indischen Landsmann Bhupati zu – auf politischen Druck, wie
es heißt. Eine deftige Niederlage
für eines der weltbesten Doppel:
Hatten sich doch Qureshi und Bopanna vorgenommen, „die Mauer
in den Köpfen einzureißen“.
Ach du fröhliche, muss die Freundin des Tennisprofis Tomas Berdych gedacht haben, als ihr jetzt
der Liebste unter die Augen kam.
Der Weltranglistensiebte hat nämlich eine Trennung hinter sich, die
auch äußerlich ihre Spuren hinterlassen hat. Weil Berdych in diesem
Jahr erfolgreicher spielte, als er mit
seinem Trainer gewettet hatte,
musste er einen Schuldenschnitt
über sich ergehen lassen. Nun sieht
der Kerl obenrum sehr kahl aus.
Hoffentlich hält diese Liebe, bei
der kein Festiger mehr hilft.
Heute, Kinder, wird’s was geben,
und zwar etwas auf die Rübe. Das
dachte sich ein Vater aus Frankreich, als sein geliebter Sohnemann auf dem Rugbyfeld böse attackiert wurde. Also stürmte er auf
Nikolaj Walujew war mit 2,18 Metern ein Riese.
Verlor seinen WM-Titel dennoch an den 27
Zentimeter kleineren David Haye. Foto Imago Sport
Lamon Brewster war der letzte Bezwinger von
Wladimir Klitschko. Endete als Aufbaugegner
mit Augenschaden.
Foto Imago Sport
Samuel Peter begann stark, als er Wladimir
Klitschko dreimal zu Boden schickte. Dann
verlor der Nigerianer seine Motivation. Foto dapd
John Ruiz, das Synonym für den Niedergang des
Schwergewichts. Der talentlose Amerikaner
gewann zweimal den WM-Titel. Foto Imago Sport
den Rasen, um dem Nachkömmling namens Imanol Harinordoquy
zu verteidigen. Dem Sohn war die
Beihilfe zur Prügelei eher peinlich,
denn er ist 31 Jahre alt, 105 Kilogramm schwer und gehört als Nationalspieler zu den Sportidolen
Frankreichs. „Ich war ein Idiot“,
sagte der Senior nicht nur deshalb,
weil ihm trotz seiner 61 Jahre die
Altersmilde fehlte. Sondern weil er
bei der Keilerei die Brille auf der
Nase behalten hatte.
Lasst uns froh und munter sein,
lautete der fromme Wunsch des
früheren Football-Profis Joe Kapp,
als er sich seinem alten Rivalen Angelo Mosca versöhnlich mit einer
Blume näherte. Allerdings machte
der 73-Jährige den Fehler, dem
gleich alten Greis die Blüte unter
die Nase zu reiben. Auf offener
Bühne derart freundlich provoziert, schlug Mosca mit seiner Gehhilfe auf den ollen Erzfeind ein.
Kapp wiederum reagierte ebenso
unbesinnlich und streckte den Gebrechlichen per Fausthieb nieder:
OPAration gelungen, Patient lebt.
Macht hoch die Tür, das Tor
macht weit, es kommt der Freiherr
der Herrlichkeit! Es gibt zwar nicht
mehr viele, die den emigrierten Plagiator Karl-Theodor zu Guttenberg als Polit-Onkel aus Amerika
willkommen heißen würden. Aber
Loddamaddäus, der Fachmann für
Fußball und junge Frauen, hat auch
ein Herz für jeden Franken und verzeiht somit auch dem Freiherrn
jede Fälschung als „Fehlerchen“.
Außerdem, so Loddamaddäus, sehe
Guttenberg ohne Brille und ohne
Gel „so gut aus wie ich“. Wer jetzt
denkt, Loddamaddäus habe wohl
den Schuss aufs Tor nicht gehört,
dem sei gesagt, dass er eigentlich
nur aus dem Maddäus-Evangelium
zitiert, wo es heißt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst.“ Hallelodda!