23.-26. November2009 in Warschau und Biała Podlaska
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23.-26. November2009 in Warschau und Biała Podlaska
Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin Sachausschuss "Migration und Integration" Dokumentation der Informationsbesuche 16.10.2009 in Zgorzelec (Görlitz) 23.-26. November2009 in Warschau und Biała Podlaska 1. Einleitung Eine Delegation von Mitgliedern des Sachausschusses Migration-Integration des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin hat am 16. Oktober 2009 in Zgorzelec (Görlitz) und vom 23.-26. November 2009 in Warschau und Biała Podlaska Gespräche mit Organisationen, Einzelpersonen oder Verbänden geführt, die dort in der Flüchtlingsund Migrationsarbeit tätig sind. Anlass war der Wunsch nach einem Erfahrungsaustausch, aus dem dann eventuell Kooperationen und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entstehen könnten. Hintergrund unseres Besuches war, dass wir es in der konkreten Beratungsarbeit immer wieder mit Personen zu tun haben, die aus Polen kommend nach Deutschland einreisten, obwohl sie dort nach durchlaufenem Asylverfahren teilweise sogar als Flüchtlinge anerkannt wurden oder einen vorübergehenden Abschiebungsschutz erhalten haben. Die meisten von ihnen stammen aus Tschetschenien oder anderen Ländern der Russischen Föderation. Hauptziel der Informationsreise war die Überprüfung von Berichten, wonach die Betreuung, Unterbringung, Arbeitsmöglichkeiten, Bildung und Ausbildung, sowie medizinische Versorgung und hier insbesondere psychologische Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen in Polen völlig unzureichend seien. Programm der Besuche 16. OKTOBER 2009 Besuch im Caritas-Centrum Pmocy Migrantom i Uchodzdom in Zgorzelec, Frau Bozena Jastrzebska 23. NOVEMBER 2009 (Anreise nach Warschau) 24. NOVEMBER 2009 10:00 Uhr Erfahrungen von Caritas Polska in der Flüchtlingsarbeit Katarzyna Sekula, Koordinatorin der Migrationsprojekte 11:30 Uhr Besuch der Stiftung „Ocalenie“ Innovative Methoden der Flüchtlingsarbeit in Polen 14:30 Uhr Besuch des Migrationszentrums Arbeit mit Migranten aus Vietnam Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen 25 NOVEMBER 2009 11:00 Uhr Präsentation der Arbeit mit Flüchtlingen in dem Caritaszentrum für Migranten und Flüchtlinge Biała Podlaska 12:00 Uhr Besuch des Geschlossenen Zentrums/Abschiebungshaft in Biała Podlaska 14:30 Uhr Besuch im Aufnahmezentrum für Flüchtlinge in Biała Podlaska 26. NOVEMBER 2009 (Rückreise) Teilnehmende: - Peter Botzian, Referent Migration und Integration Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V. - Elisabeth Eichert UAC, Vorsitzende des Sachausschusses Migration und Integration des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin, Pastoralreferentin „Kirche im sozialen Brennpunkt“, Sitz in St. Christophorus Berlin-Neukölln - Hans-Jürgen van Schewick, Richter am Bundesverwaltungsgericht a.D. , Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) – Vertretung der katholischen Laien auf Bundesebene - P. Martin Stark SJ, Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland (JRS), Flüchtlingsseelsorger im Erzbistum Berlin und Vertreter des Erzbistums in der Berliner Härtefallkommission, Vertreter des JRS im „Kath. Forum Leben in der Illegalität“ - Traudl Vorbrodt, Mitglied von Pax Christi im Erzbistum Berlin im Bereich „Flüchtlinge, Asyl, Migranten, Menschenrechte“, Mitglied des Flüchtlingsrates Berlin in der Berliner Härtefallkommission 2. Ausländerrechtlicher Hintergrund Rechtlicher Rahmen1 Polen ist seit dem 01. Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union und am 21.12.2007 auch dem Schengener Abkommen beigetreten. Dadurch sind die Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland entfallen. Der nationale rechtliche Rahmen betreffend ausländische Staatsangehörige und Asyl besteht vor allem im 1 Diese Erläuterungen sind entnommen dem Bericht von Wolfgang KREISSL-DÖRFLER (SPE) für den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres über eine Besuchsreise von Mitgliedern des Europäischen Parlaments vom 1.-3. April 2008 nach Polen. Seite 2 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen - Gesetz über Ausländer vom 13. Juni 2003 (Ausländergesetz, geändert 2005 und 2007) und im - Gesetz über den Schutz von Ausländern auf dem Hoheitsgebiet der Republik Polen vom 13. Juni 2003. Einige Maßnahmen in diesen Gesetzen wurden mit dem Gesetz über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt auf polnischem Territorium vom 14. Juli 2006 geändert. Das Ausländerschutzgesetz sowie das frühere Ausländergesetz von 1997 enthalten Bestimmungen zu den Verfahren und Praktiken für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den Konzepten des sicheren Drittstaates und Herkunftsstaates, offenkundig unbegründeten Fälle, ergänzenden Formen des Schutzes, vorübergehenden Schutz und Asyl. Außerdem wird die rechtliche Situation von unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern beschrieben, und es wird der Schutz von besonders bedürftigen Personen (Gewaltopfern) geregelt. Für die Migrations- und Asylpolitik zuständige Behörden Das Ministerium für Inneres und Verwaltung (Ministerstwo Spraw Wewnętrznych i Administracji) ist generell für die Migrationspolitik und Fragen im Zusammenhang mit Flüchtlingen sowie legalen und illegalen Einwanderern zuständig. Dem Ministerium ist die polnische Ausländerbehörde (Urząd do Spraw Repatriacji i Cudzoziemców) unterstellt, die frühere polnische Behörde für Repatriierung und Ausländer, die für das BOO, eine Stelle für die Organisation und Verwaltung offener Aufnahmezentren, verantwortlich ist. Außerdem kontrolliert das Ministerium die Polizei (Komenda Główna Policji) und den Grenzschutz (Komenda Główna Straży Granicznej), die beide geschlossene Gewahrsamszentren führen. Wer sind die Einwanderer und Asylbewerber? Seit seiner Aufnahme in die Europäische Union im Mai 2004 gibt es zwei Hauptquellen für die Migration nach Polen: legale und illegale Einwanderung von Staatsangehörigen von Länder der früheren Sowjetunion (vor allem Ukraine und Belarus) auf der Suche nach Saisonarbeit; großer Zustrom, vor allem seit 2002, von tschetschenischen Asylbewerbern (90 % der Asylbewerber). Asylverfahren Gegenwärtig gibt es ein Asylverfahren, Ausländern können aber zwei Titel zuerkannt werden: die Flüchtlingseigenschaft und die Duldung. Die Flüchtlingseigenschaft wird zuerkannt, wenn die Ausländer die Bedingungen der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen, der Polen seit 1991angehört. Die Duldung wurde 2003 eingeführt und tritt seither mehr und mehr an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft. Die Personen, denen eine Duldung erteilt wurde, genießen größtenteils die gleichen Rechte wie Flüchtlinge, aber es gibt Unterschiede. Das Asylverfahren beginnt mit einem Antrag, der vom Ausländer beim Leiter des Amtes für Repatriierung und Ausländer gestellt wird. Seite 3 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen Der Ausländer stellt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft über den befehlshabenden Offizier der Grenzschutzeinheit. Ein Ausländer, der keine Genehmigung für die Einreise in die Republik Polen besitzt, kann den Antrag während der Grenzkontrolle bei der Einreise in die Republik Polen am Kontrollposten stellen. Die Grenzschutzbeamten informieren die Person in einer für diese verständlichen Sprache über die Abläufe und Grundsätze des Verfahrens für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie über die ihr zustehenden Rechte und ihre Pflichten. Die Grenzschutzbeamten holen von der Person Informationen ein (Identität, Herkunftsland, Fotografien und Fingerabdrücke, Visa oder Aufenthaltstitel, Reiseroute) und schicken den Antrag innerhalb von 48 Stunden an den Leiter der Behörde. Die Entscheidung über die Zuerkennung oder Verweigerung der Flüchtlingseigenschaft muss innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab dem Datum der Antragstellung ergehen. Die Entscheidung über die Verweigerung der Flüchtlingseigenschaft wegen eines offenkundig unbegründeten Antrags sollte innerhalb einer Frist von 30 Tagen ab dem Datum der Antragstellung ergehen. Gegen die Entscheidungen des Leiters der Behörde über die Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft kann bei der Flüchtlingsbehörde Widerspruch eingelegt werden. Die Entscheidung der Flüchtlingsbehörde muss innerhalb eines Monats nach Einlegen des Widerspruchs ergehen. Die Ausländer, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragen, können ungehindert mit einem Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen und allen Organisationen Kontakt aufnehmen, die sich satzungsgemäß mit Flüchtlingsangelegenheiten befassen. Gewahrsamszentren – Aufnahmezentren In Polen gibt es Aufnahmezentren (offen) und Gewahrsamszentren (geschlossen). Die große Mehrheit der Asylbewerber ist in Polen in Aufnahmezentren untergebracht. Wenn eine Person einen Asylantrag während der Grenzkontrolle stellt und keine Einreisegenehmigung für Polen hat oder wenn sich eine Person illegal in Polen aufhält, kann sie in einem Zentrum in Gewahrsam genommen werden. Wenn die Person legal nach Polen einreist und Asyl beantragt, kann er die Asylentscheidung in Freiheit abwarten. Aktuelle Entwicklung2 Mit Wirkung vom 01.01.2009 hat Polen Vorgaben der EU umgesetzt. Zu den wesentlichen Neuerungen im Ausländerrecht zählen: 2 - Liste der Drittländer, deren Staatangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen sowie Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind - Definition des Schengeneinheitsvisum - Einrichtung einer zentralen Visastelle Quelle: Entscheidungen Asyl, Informations-Schnelldienst 3/2009 (ehemals EE-Brief) 16. Jahrgang Seite 4 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen - Erlaubnis für Ausländer, mit einem Schengenvisum eines anderen EUMitgliedstaates legal einzureisen, sofern nicht die Aufenthaltsdauer des Visums ausgeschöpft wurde - Regelung des sog. kleinen Grenzverkehrs mit der Ukraine, Russland und Weißrussland - Neudefinition des temporären und subsidiären Flüchtlingsschutzes - Zulässigkeit der Zustellung amtlicher Schreiben an Ausländer auch an ihre Rechtsanwälte oder den Ort der letzten Niederlassung in Polen - Erhöhte Bußgelder, bis zu 5.000 € für Schleuser. Aktuelle Zahlen3 2006 2007 2008 11.315 13.248 8.517 585 212 193 Sekundärer Schutz 2110 2919 2595 Abgelehnt 1229 2348 1608 Quote Flüchtlingsanerkennung 12,7 % 3,9 % 4,4 % Gesamtschutzquote 67,9 % 57,1 % 63,4 % Asylanträge Anerkannte Flüchtlinge Hauptherkunftsländer 2008 3 Anerkannte Flüchtlinge Sekundärer Schutz Russische Föderation (131) Russische Föderation (2543) Irak (28) Sri Lanka (13) Weißrussland (14) Weißrussland (4) Somalia (6) Irak (4) Turkmenistan (4) Armenien (4) Quelle: UNHCR, Asylum Trends in Central Europe 2006-2008 Seite 5 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen 3. Besuch im Caritas-Centrum Pmocy Migrantom i Uchodzdom Zgorzelec Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Diecezji Legnickiej ul. Ks. Domańskiego 12 59-900 ZGORZELEC tel. / fax. 0 75 771 65 61 0 75 771 65 61 e-mail: [email protected] Während die Caritas in Polen in ihren größeren Migrationszentren verschiedene Dienste (Rechtsberatung, überwiegend Traumabehandlung) anbietet, betreibt sie in Görlitz eine kleine Beratungsstelle, in der nur eine Person beschäftigt ist (Personal 1:150). Das Büro umfasst zwei kleine Räume im Souterrain. Von Seiten der Ortskirche und der Bevölkerung gibt es nur wenig Unterstützung. Eine Hauptaufgabe der Beratungsstelle ist die Betreuung von nach Polen auf dem Landweg nach der sog. Dublin-II-Verordnung zurückgeschobenen Flüchtlingen. Die Mitarbeiterin erzählt von einem Fall einer tschetschenischen Familie, bei der die Ausländerbehörde Berlin die Rückschiebung und den Weitertransport nach Dembak organisiert hatte. Von 2003 bis 2008 hat sich die Zahl der zu betreuenden Menschen verdoppelt - von 5000 auf über 10.000. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Tschetschenien, Afghanistan, Sri Lanka, Bosnien und zunehmend aus Georgien. Insgesamt bekommen Flüchtlinge nur wenige Informationen über staatliche Hilfen. Flüchtlinge erhalten in der Regel Zuweisungen zu Aufnahmezentren und müssen ihre Fahrt bis dahin alleine finanzieren und organisieren. Anerkannte Flüchtlinge erhalten ein Jahr lang staatliche Unterstützung. Sprachkurse werden für ein Jahr lang angeboten und finanziert. Eine vierköpfige Familie erhält z.B. monatlich 120,00 Sloty sowie einmal pro Monat ein Lebensmittelpaket von der Caritas im Wert von 400,00 Zloty. Bei der Suche nach Schul- und Arbeitsmöglichkeiten gibt es dagegen keine Unterstützung. Neben den fehlenden Arbeitsmöglichkeiten ist das größte Problem die Wohnungsnot. Insgesamt gibt es in Polen 22 Unterkünfte, in denen die Unterbringung für 3 Monate mit staatlicher Unterstützung erlaubt ist; danach erfolgt die Entlassung in die Selbständigkeit, viele landen in der Obdachlosigkeit. Nur in Warschau gibt es 8 Wohnungen für anerkannte Flüchtlinge. Wenige bleiben in der Region. So lebt in Görlitz nur eine Familie aus Tschetschenien. In der Bevölkerung ist vor allem gegenüber den Russischsprachigen und muslimischen Menschen eine sehr geringe Akzeptanz vorhanden. Die örtlichen Ärzte verfügen über keine besondere Ausbildung in interkultureller Kompetenz. Rechtsberatung wird vor allem über die private „Legal Clinic“ in Krakau kostenlos angeboten, bei der JurastudentInnen ein Jahr lang kostenlose Rechtshilfe für Flüchtlinge leisten und sich dies auf ihr Studium anrechnen lassen können (http://www.fupp.org.pl). Nur im Asylverfahren stehen Dolmetscher zur Verfügung. Über das Verfahren sind nur fremdsprachigen Hinweise erhältlich. Seite 6 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen 4. Gespräch mit Caritas Polska ul. Skwer Kard. Stefana Wyszyńskiego 9 01-015 Warszawa Telefon: +48 22 3348500/+48 22 3348585 Fax: +48 22 3348558 E-mail: [email protected] www.caritas.pl Der polnische Caritasdirektor, Prälat Dr. Marian Subocz, konnte krankheitsbedingt nicht mit uns sprechen. Das Gespräch erfolgte mit der Referentin (Koordynator projektu) Katarzyna Sekuła, [email protected], Tel.: 022 3348 522. Caritas Polen arbeitet seit 13 Jahren im Migrationsbereich. Schwerpunkte sind die rechtliche und psychologische Unterstützung von Flüchtlingen und MigrantInnen. In den letzten 3 Jahren hat der Bereich der Integration zunehmend mehr an Bedeutung gewonnen. Die Caritas unterhält in Polen Zentren: - Centrum Pomocy Migrantom i UchodźcomCaritas Archidiecezji Białostockiej - Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Archidiecezji Lubelskiej - Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Diecezji Legnickiej - Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Diecezji ZielonogórskoGorzowskiej - Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Diecezji Siedleckiej In den Zentren im Osten arbeiten jeweils 4 MitarbeiterInnen, multikulturelle BeraterInnen („multicultural advisor“), Rechtsanwalt/Rechtsanwältin, Psychologe/Psychologin, SozialarbeiterIn. Diese Stellen wurden neu geschaffen und mit tschetschenischen Frauen besetzt. In den Zentren an der Westgrenze ist nur jeweils ein/e MA beschäftigt. Ziel ist ein umfassendes System der Unterstützung vor allem für schutzbedürftige Personengruppen („complex support“ oder interdisziplinäres Team). Zielgruppen der Arbeit sind AsylbewerberInnen, anerkannte Flüchtlinge, Flüchtlinge, die subsidiären Schutz erhalten haben und besonders schutzbedürftige Personengruppen. 2810 KlientInnen wurden bis jetzt in diesem Jahr unterstützt: davon 84 % soziale Hilfe, 11 % Rechtshilfe, 4 % psychologische Unterstützung und 1 % andere. Ein neues Projekt ist seit Januar die Vermittlung von Wohnungsunterkünften für Flüchtlinge, da viel Leute ungern Wohnungen an Ausländer, speziell Tschetschenen, vermieten. Speziell in Schlesien sei eine gestiegene Ausländerfeindlichkeit festzustellen. Hilfe bei Jobsuche wird ebenfalls angeboten. Kata. rechnet in Zukunft mit einer höheren Zuwanderung in Form von legaler Arbeitsmigration, aber auch illegaler Migration ( aus Vietnam, China, Armenien). 2008 kamen etwa 5000 Asylantragsteller nach Polen. Sie werden in insgesamt 19 Aufnahmecentern betreut. Davon werden 6 vom Staat und die restlichen von privaten Betreibern unterhalten. Diese aber unter staatlicher Aufsicht. Auch das dort beschäftigte Personal unterliegt staatlicher Kontrolle. Den 6 staatlichen Centern sind, neben einer Seite 7 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen „offenen“ Erstaufnahmeeinrichtung, eine geschlossene und eine Abschiebeeinrichtung angeschlossen. Sie werden von der Bundespolizei betrieben. 5. Fundacja „Ocalenie“ (Stiftung Rettung) Adresse: 00-364 Warszawa ul. Ordynacka 9 lok. 21 (II piętro) Telefon/Fax: +48 22 828 50 54 e-mail: [email protected] www.ocalenie.org.pl Gespräch mit Frau Malika Abdoulvakhabova vom Vorstand der Stiftung Malika lebt seit 13 Jahren in Polen. Sie kam selbst als Flüchtling, hat 2 Jahren in einem Flüchtlingslager gelebt und arbeitet seit 6 Jahren in der Stiftung. Sie und ihre Tochter, die studiert hat und in einem Fernsehsender heute in leitender Position arbeitet, ist ein positives Beispiel für Integration. Die Stiftung ist die einzige Organisation in ganz Polen, in der eine Migrantin im Vorstand ist. Malika bekleidet das Amt der Vizepräsidentin. „Wenn man will, erreicht man in Polen viel, aber der Wille zur Bildung ist notwendig.“ Die Stiftung wurde im Jahr 2000 von Dorota Parzymies gegründet für Polen, die in den Kaukasus vertrieben wurden. Daher bestehen sehr gute Kontakte nach Georgien und in den Kaukasus. Seit 2003, zur Zeit des 2. Tschetschenienkrieges, ist der Schwerpunkt die Betreuung von tschetschenischen Flüchtlingen. Mittlerweile ist die Stiftung dafür bekannt und angesehen in ganz Polen. Die Stiftung bietet Schulungen an für Mitarbeitende der Bundespolizei und der Bundesmigrationsbehörde in der Vermittlung von interkultureller Kompetenz. Beschäftigt sind 11 Kern-Mitarbeiter, insgesamt arbeiten 20 im Rahmen von Projekten, teilweise mit EU Förderung. Die Stiftung hat Zugang zur Abschiebungshaft und wird telefonisch angerufen aus den 19 offenen Zentren des Landes. Nach der persönlichen Einschätzung von Malika ist die Situation von Flüchtlingen in Polen im Vergleich zum Jahr 2000 sehr viel besser geworden. Dies betrifft sowohl die Gesetzgebung als auch die finanzielle Unterstützung. Schwierig sei derzeit der Wohnungsmarkt, weswegen die Caritas ein Projekt anbiete, bei dem für 1 Jahr eine Wohnung teilfinanziert werde. Ebenfalls ein großes Problem sei die Umsetzung der EUZuständigkeitsverordnung Dublin II. Ihrer Meinung nach ist Polen darauf nicht genügend vorbereitet. Es sei z.B. zu hinterfragen, warum Polen nicht öfter Fristen verstreichen lasse (6 Monate), um Rücknahmeersuchen leichter ablehnen zu können. Das Thema Alleinstehende / unbegleitete Minderjährige ist in ihrer Arbeit nicht so relevant. Hierzu will sie uns noch Infos schicken. Für Minderjährige wird ein Vormund (Kurator), bestellt. In Wahrschau gibt es ein Kinderheim – staatliches Kinderheim Nr. 9. – in das alle alleinstehenden Minderjährige kommen. Im letzten Jahr waren 11 unbegleitete Minderjährige dort, die grundsätzlich polnischen Minderjährigen gleichgestellt sind. Bei Zweifel am angegebenen Alter werden Röntgenuntersuchungen des Gebisses, der Handwurzeln und des Schultergelenkes durchgeführt. (Auf wessen Anordnung konnte uns nicht gesagt werden.) Seite 8 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen Während eines laufenden Asylverfahrens kann keine Familienzusammenführung betrieben werden. Egal, wie das Verfahren endet, unter 18-jährige werden nicht abgeschoben. Nach Malikas persönlicher Auffassung hat sie als Muslimin keine Ablehnung erfahren. Sie persönlich akzeptiert, dass Polen ein katholisches Land ist und in jedem Klassenzimmer ein Kreuz hängt. Sie schickt ihre Kinder nicht in den Religionsunterricht und hat deswegen keine Probleme. An uns äußert Malika den Wunsch bzw. die Erwartung, in konkreten Fällen zusammen zu arbeiten, wie im Fall eines jungen Tschetschenen. Seine Familie hat in Deutschland Asyl erhalten. Er selbst aber wurde wegen Dublin II nach Polen zurück geschoben. 6. Osrodka Migranta (Migrationszentrum) Fu Schengfu Ośrodek Migranta Fu Shenfu ul. Ostrobramska 98 04-118 Warszawa tel./fax: (022) 610-02-52/(022) 610-02-52 e-mail: [email protected] Gespräch mit P. Jacek Gniadek SVD, [email protected] Die Arbeit des Migrationszentrums begann vor 10 Jahren. Ein neues Projekt ist finanziert mit EU Geldern und besteht darin, Illegalen und entlassenen Abschiebungshäftlingen, die eine Duldung erhalten (tolerated status), Hilfestellung zu geben. 95 % von ihnen sind VietnamesInnen, 5 % sind ChinesInnen. Etwa 400 Menschen kommen jährlich ins Center. Das Ausländerrecht ändert sich jedes Jahr. Seit Februar 2009 sind die Bestimmungen, eine Duldung zu erhalten komplizierter geworden. Neu ist, dass jetzt eine Meldeadresse erforderlich ist. Mit einer Duldung ist eine Arbeitserlaubnis verbunden, aber nicht die Möglichkeit, Sozialleistung zu beziehen. Für P. Jacek ist noch nicht klar, ob und wann Geduldete eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Im Zentrum arbeiten 10 angestellte Mitarbeiter, darunter zwei Ordensfrauen, ein vietnamesischer Priester, ein Übersetzer, ein Anwalt und Freiwillige. Nach Einschätzung von P. Jacek gibt es in der Öffentlichkeit keine Vorbehalte VietamesInnen gegenüber, da alle arbeiten und keine (!) Leistungen beziehen wollen. Da sie somit aus der Illegalität heraus kommen, sind sie auch nicht mehr im vietnamesischen Ghetto und brauchen nicht länger illegal für andere VietnamesInnen zu arbeiten. Die vietnamesische Community ist die größte Ausländerpopulation in Polen und hat etwa 60.000 Mitglieder. Wegen fehlender Erfolgsaussichten stellen VietnamesInnen im Allgemeinen keinen Asylantrag. P. Jacek kennt nur 2-3 VietnamesInnen, die einen Flüchtlingsstatus erhalten haben. Für SVD ist die Arbeit mit Flüchtlingen und MigrantInnen eine Priorität, da die eine „missio ad gentes“ sei, eine Herausforderung für die Kirche in Polen darstelle. Seite 9 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen 7. Caritas Zentrum Biala Podlaska Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Diecezji Siedleckiej ul. Warszawska 15 21 – 500 Biała Podlaska tel. / fax: 0 83 342 07 96/0 83 342 07 96 e-mail: [email protected] Gespräch mit Monika Meiniwik (Psychologin), Johanna Adamczyk (Rechtsberaterin), Eva Ivaniuk (Sozialearbeiterin). Die Psychologin berichtet von einer tschetschenischen Frau, die mehrfach vergewaltigt worden ist. Sie berichtet, dass sie keine Therapie, aber therapeutische Gespräche anbietet. Für die Einleitung einer Therapie ist die Aufenthaltszeit in den Aufnahmezentren zu kurz. Sie arbeitet hauptsächlich mit Frauen und Kindern und sie sieht großen Bedarf. Sie sieht keine Chance, mit ihrem Angebot die Männer zu erreichen. Gerne möchte sie eine Selbsthilfegruppe ins Leben rufen, damit die Betroffenen untereinander ins Gespräch kommen. Johanna erzählt über ihre Erfahrungen mit den Asylverfahren, deren Erfolg mit der jeweiligen Nationalität zusammen hänge. Im Sommer kam eine größere Gruppe von GeorgierInnen, die zum größten Teil abgelehnt worden sind (19%). Selten kommen AbchasierInnen oder OssetInnen, zum größten Teil sind es KurdInnen. Dagegen erhalten TschetschenInnen in der Regel „subsidiären Schutz“ und können zunächst 2 Jahre bleiben und zwar unabhängig vom Stand des Verfahrens. Etwa 50 % von ihnen werden anerkannt4. Johanna macht nur Rechtsberatung, sie legt nicht selbst Rechtsmittel ein. Asylanhörungen finden nicht mehr nur in Warschau statt, sondern hier vor Ort. Die Psychologin nimmt daran regelmäßig teil. Nach ihrer Erfahrung beauftragen Betroffene bei ablehnenden Entscheidungen selbst Anwälte mit ihrer Vertretung, d.h. sie haben offensichtlich das nötige Geld dazu. Sie erzählt von einer tschetschenischen Familie, die mit dem Auto zum Zentrum kamen, um hier einen Kinderwagen zu beantragen. Schwerpunkt der Arbeit wird im Zentrum der Caritas und nicht in den Lagern geleistet. In der Regel gehen die MitarbeiterInnen zweimal im Monat in die drei Lager. Noch ein paar Zahlen: Soziale Hilfe erhalten 50-60 KlientInnen an manchen Tagen (Schlange stehen für Sachmittel); 40 KlientInnen kommen mtl. In die Rechtsberatung; 5 KlientInnen sind in der Woche im psychologischen Dienst. Anerkannte Flüchtlinge und Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz erhalten Arbeitserlaubnis und für ein Jahr Integrationshilfen und Sozialhilfe in der auch für Polen gültigen Höhe. Nach einem Jahr besteht kein Anspruch mehr auf öffentliche Hilfen. Flüchtlinge mit einer Duldung („tolerated status“) besitzen automatisch eine Arbeitserlaubnis, erhalten aber keinerlei staatliche Hilfen. Residenzpflicht besteht nicht. Es wird aber erwartet, dass sich die Flüchtlinge mit Aufenthaltsstatus in der Region der Aufnahmeeinrichtung niederlassen, da sie dort bereits die Beratungs- und Hilfseinrichtungen kennen. Die meisten von denen, die nicht in andere Länder weiterziehen, bevorzugen aber einen Wohnsitz in den großen Städten und werden dort 4 Nach Angaben des Europäischen Statistikamtes Eurostat für das zweite Quartal 2009 wurden in Polen 1.560 Entscheidungen über Schutzanträge gestellt, davon 845 positiv (sei es eine Flüchtlingsanerkennung, sei es die Zuerkennung des subsidiären Schutzes oder die Gewährung eines humanitären Aufenthaltes). Die Gesamtschutzquote ist mit 53,7 % im europäischen Vergleich besonders hoch. Seite 10 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen mit großen Problemen konfrontiert. Alle Kinder dürfen und sollen in Regelschulen gehen. Zur Frage einer Einbürgerung wurde gesagt, dass es ausgesprochen schwierig und langwierig sei, die polnische Staatsbürgerschaft zu erhalten, es sei denn, die Aufnahme erfolge „im Interesse des Staates“. Die jeweils notwendigen Verlängerungen der Aufenthaltstitel erfolgen in den Behörden der Wojwodschaften. Gesonderte Ausländerbehörden gibt es nicht. 8. Strzeżonego Ośrodka i Aresztu w Celu Wydalenia w Białej Podlaskiej Geschlossenes Zentrum / Abschiebungshaft Biala Podlaska Placówka SG w Białej Podlaskiej - Strzeżony Ośrodek i Areszt w celu wydalenia Adresse: 21-500 Biała Podlaska ul. Dokudowska 19 Tel.: (083) 344 96 15 FAX (083) 344 96 06 http://www.strazgraniczna.pl/wps/portal/tresc?WCM_GLOBAL_CONTEXT=pl/s erwis-sg/struktura_sg/oddzialy/ww_naosg130508/o_psg+w+bialej+podlaskiej/ Gespräch mit dem stellvertretenden Direktor (?) 2003 wurde in Polen ein Ausländergesetz eingeführt, 2004 Mindeststandards, 2008 wurde das Ausländergesetz zuletzt geändert. Die Unterbringung im geschlossenen Zentrum muss gerichtlich angeordnet werden. Gründe dafür sind: die Ausreisepflicht, der Verdacht des Untertauchens und / oder illegaler Grenzübertritt. Das geschlossene Zentrum wird geführt von der Bundespolizei der Wojwodschaft (Landkreis) und unterliegt dem Verantwortungsbereich des Innenministeriums. Das geschlossene Zentrum in Biala Podlaska ist Anfang 2008 eröffnet worden. Vom 31.01.2008 bis 31.10.2009 sind untergebracht gewesen: 633 Personen im geschlossenen Zentrum und 69 Personen in der Abschiebungshaft. Von den Personen im geschlossenen Zentrum kamen 243 aus Russland, 118 aus Georgien, 49 aus Vietnam, 34 aus China, 27 aus Armenien, 21 Ukraine und 13 aus Weißrussland. Insgesamt haben während der Unterbringung im geschlossenen Zentrum 90 Personen einen Asylantrag gestellt. Die durchschnittliche Verweildauer der Inhaftierung beträgt 3 Monate, die Einrichtung bietet 174 Plätze insgesamt, davon 12 Plätze in Abschiebungshaft. Während unseres Besuches waren 7 Abschiebungshäftlinge dort untergebracht. Handys sind erlaubt, Feuerzeuge dagegen nicht. Seit der Eröffnung hat es bisher 2 Suizidversuche gegeben. Die Aufgaben der Bundespolizei umfassen: - Organisation der Rückführung - Medizinische Behandlung und Transport zu den Krankenhäusern - Eine Abteilung zur Überprüfung der Identität (Zugang zu EURODAC besteht bei den grenznahen Polizeistellen) Seite 11 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen - Eine Bildungsabteilung („sekcji edukacyjnej“) für die Organisation von Sport und Kulturangeboten, Bibliothek, Beratungsangebot für Opfer von Menschenhandel, Sprachkurse, Kinderbetreuung Eine Etage ist für Familien z.T. mit minderjährigen Kindern vorgesehen. Alleinstehende, unbegleitete Minderjährige werden nicht untergebracht. Für muslimische Flüchtlinge wurde ein Gebetsraum eingerichtet. In der Einrichtung gibt es Vollverpflegung unter Beachtung der religiösen Regeln. Das Personal wurde geschult von der Stiftung „Ocalenie“. Zugang zum geschlossenen Zentrum hat auch die „Helsinki Foundation“, die vorwiegend Rechtshilfe für Abschiebehäftlinge anbietet. 9. Ośrodku dla Cudzoziemców w Białej Podlaskiej - Offenes Zentrum Biala Podlaska Katarzyna Matjusek (baut für das Bundesamt das Zentrum auf), Norbert Falik (Leiter des offenen Zentrums) und 4 weitere MA haben am Gespräch teilgenommen. Drei von ihnen sind Mitarbeiterinnen des Bundesamtes für Migration und führen eigenständig Anhörungen durch. Die Asylentscheidungen werden aber ausschließlich in Warschau getroffen. Außerdem nahm eine Sozialarbeiterin am Gespräch teil. Das Zentrum hat vor 4 Monaten eröffnet und ist eines von 19 offenen Zentren in Polen, die überwiegend in privater Hand sind. Das Zentrum wird neu aufgebaut und soll als Ziel die Funktion einer „Clearing-Stelle“ übernehmen. Als zentrale Aufnahmestelle finden hier Asylanhörungen statt, es werden med. Untersuchungen gemacht, dann wird entschieden wohin die Flüchtlinge weiterverteilt werden. Durchschnittlich halten sich Flüchtlinge 1 Woche im Zentrum auf. Bisher kamen am Tag etwa 15 bis 20 Flüchtlinge, zuletzt nur noch 1 bis 2 Aufnahmen pro Tag. Die Einrichtung hat eine Kapazität von 200 Plätzen, zusätzlich bestehen im Erdgeschoss Sammelunterkünfte für 100 Personen, die genutzt werden zur Erstunterbringung. Zum Zeitpunkt unseres Besuches waren 12 Leute im Zentrum untergebracht, da – nach Angaben des Leiters - gerade viele weiterverteilt worden sind. Am 15. eines Monats wird Taschengeld ausgezahlt (80 Zloty pro Person und Monat). In der Einrichtung finden jetzt auch Asylanhörungen außerhalb von Warschau statt. Die AnhörerInnen sind für alle Länder zuständig.. Es finden nur Interviews statt ohne Übersetzung, die AnhörerInnen sprechen selbst, neben polnisch, russisch und englisch. Für AntragstellerInnen, die diese Sprachen nicht beherrschen, finden die Anhörungen weiterhin nur in Warschau statt. Es wird ein handschriftliches Protokoll angefertigt. 90% aller Asylanträge werden von Flüchtlingen aus Tschetschenien, bzw. der Russischen Föderation gestellt5. Hierbei handelt es sich meistens um Familien, bei Flüchtlingen aus Georgien meistens um alleinstehende Männerkurdischer Volkszugehörigkeit. Der Leiter der Einrichtung berichtet von einem aktuellen Fall von 6 Letten, die aus Deutschland auf Grund von Dublin II 5 Die Russische Föderation ist in Polen mit großem Abstand das Hauptherkunftsland. Von 7.093 Personen, die 2006 Flüchtlingsschutz beantragten, kamen von dort 6.405 Personen. Der weit überwiegende Teil, 5.644, gab an, tschetschenische Volkszugehörige zu sein. Von den 423 Personen, die 2006 den Flüchtlingsstatus i.S.d. GFK erhielten, waren 384 Russen; beim subsidiären Schutz waren es 2.015 von 2.049 insgesamt.“ Aus: Entscheidungen Asyl Informations-Schnelldienst 11/2007 (ehem. EE-Brief) 14. Jg. Seite 12 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen zurückgeschoben wurden und sich in der Einrichtung gemeldet haben.Sie sagten, dass sie in Berlin einen Asylantrag stellen wollten oder gestellt haben. Zum Thema Dublin II Wenn jemand während eines laufenden Asylverfahrens Polen verlässt, ruht das Verfahren. Bei Rückschiebungen mit dem Flugzeug werden die Betroffenen in einem geschlossenen Zentrum untergebracht, Minimum 30 Tage, Maximum 1 Jahr. Bei Abschiebungen auf dem Landwege kommen die Betroffenen in der Regel nach Dembak und werden von dort weiter vermittelt. In allen Fällen ist ein Wiederaufgreifensantrag erforderlich. Dass Polen auch nach längst überschrittenen Zeiten der Rückübernahme im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten oft zustimmt6, stieß bei den Beteiligten zwar auf Unverständnis, konnte aber nicht konkret begründet werden. Vermutet wurde, dass dies vor allem auf Druck der EU geschehe. Die Behörde ist verpflichtet über das Asylverfahren aufzuklären, Beratung erfolgt auch durch die Caritas Mitarbeiter. Relevante, fremdsprachige Gesetzestexte und ausführliche Informationen zum Asylverfahren sind vorhanden und werden ausgehändigt.(Russisch, englisch in den von uns besuchten Einrichtungen; bei Bedarf können anderssprachige in Warschau angefordert werden). Alle Gesprächsteilnehmenden äußern den Eindruck, dass die Betroffenen sehr gut aufgeklärt sind über das Verfahren und ihre Rechte. Die Rechtsberaterin von der Caritas kann sich auf Nachfrage nicht vorstellen, dass die rechtliche, medizinische und psychologische Versorgung von Flüchtlingen in Polen schlechter sein soll als in Deutschland. Aber die ökonomische Situation sei sicherlich anders. Katarzyna Matjusek ergänzt, dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt für tschetschenische Flüchtlinge schwierig sei. Übereinstimmend äußerten sich alle Gesprächsteilnehmenden dahingehend, dass die Zahl der per Dublin II Zurückgeschobenen keine solche große Rolle spiele, dass man sagen könne, Polen wäre damit überfordert. Ihrer Meinung nach stellt die Zahl der Flüchtlinge, mit denen Polen insgesamt zu tun hat, keine Überforderung dar. Problematisch für alle MitarbeiterInnen der Migrationscenter ist aber die Tatsache, dass viele Flüchtlinge Polen lediglich als Transitland betrachten. Das erschwert eine tatsächliche Integrationsarbeit sehr oder macht diese unmöglich. 10. Ergebnis Nach den Erfahrungen an den von uns aufgesuchten Orten und in den geführten Gesprächen ist die Lage differenziert zu betrachten, aus polnischer Sicht und aus deutscher Sicht. Der Einblick erhebt nicht den Anspruch, ein vollständiges Bild erfassen zu können. Insgesamt ist der Gesamteindruck einer positiven Entwicklung gegenüber den Umständen für Flüchtlinge noch im Jahr 2000 entstanden. Das wird von unseren GesprächspartnerInnen, etwa von Katarzyna Sekula, Koordinatorin der Migrationsprojekte Caritas Polen oder der Vizepräsidentin von „Ocalenie“ (Rettung), 6 Deutschland stellte in Dublinverfahren 2008 an Polen 806 Übernahmeersuchen. Quelle: Entscheidungen Asyl, Informations-Schnelldienst 3/2009 (ehem. EE-Brief) 16. Jg. Seite 13 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen Malika Abdulvakabova, belegt (vgl. S. 7-9). Aus ihrer Sicht haben sich die Bedingungen für tschetschenische und andere Flüchtlinge deutlich verbessert, wenn etwa alle BundesgrenzschutzpolizistInnen heute in Umgang und Verständnis anderer, speziell tschetschenischer Kultur von Ocalenie geschult werden. Das Ansehen, die Kompetenz der NGO wie der Caritas sind gewachsen. Ebenfalls bestätigt wird die positive Entwicklung durch das 2008 neu eröffnete Gewahrsamszentrum in Biala Podlaska, das zwar als ein Vorzeigeobjekt gilt. Dennoch werden wir in Gesprächen immer wieder darauf hingewiesen, dass Standards und Ausstattung mit älteren Einrichtungen in Polen durchaus (!) vergleichbar seien. Wir waren beeindruckt etwa vom mehrsprachigem Personal (russisch, englisch, polnisch), von einer zum Team zählenden Psychologin für das geschlossene Zentrum oder von mehrsprachigen Hinweisen zu Asylanträgen. Ein Infoflyer ist auf der Internetseite des Grenzschutzes veröffentlicht. Die Rechtsberaterin von der Caritas konnte sich nicht vorstellen, dass die rechtliche, medizinische und psychologische Versorgung von Flüchtlingen in Polen schlechter sein soll als in Deutschland (vgl. S. 13) Die medizinische Versorgung für Flüchtlinge entspricht dem durchschnittlichen Versorgungsstandard der polnischen Bevölkerung. Gleiches gilt für soziale Unterstützung mittels einer „Nothilfe“ von 80 Sloty, die ebenfalls dem Durchschnitt der Bevölkerung entspricht. Es gibt keine Form von Arbeitslosengeld. Die Nothilfen sind nicht mit ALG II vergleichbar. Die Bewertung ist aus unserer Sicht ambivalent. Die ökonomische Situation in Polen funktioniert anders als in Deutschland. An sich sind Flüchtlinge nicht schlechter gestellt, dennoch reichen die staatlichen Hilfen nicht aus, um selbstständig leben zu können. Damit stellen sich für uns Fragen an das allgemeine Sozialsystem. Was geschieht mit all denen, die nicht stark und fit genug sind, um nach der Entlassung in die Selbstständigkeit Wohnung und Arbeit zu finden? Katarzyna Matjusek erklärt, dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt für tschetschenische Flüchtlinge schwierig sei (vgl S. 13) An der Ostgrenze ist es besonders schwer, Arbeit zu finden. Das erklärt, warum sich manche Flüchtlinge mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland ausrechnen. Auch der Anreiz sozialer Hilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von 184,07 € (Sachleistung) und 40,90 € (Barbetrag)7 scheint in ökonomischer Hinsicht mehr Anreiz zu geben, um Geld an die zurückgelassenen Familien zu schicken. Problematisch ist die Tatsache, dass viele Flüchtlinge Polen lediglich als Transitland betrachten. Das erschwert die tatsächliche Integration sehr oder macht diese sogar unmöglich (vgl. S.13). Positiv sehen wir, dass anerkannten Flüchtlingen in Polen mehr Eigenverantwortung zugestanden wird. Gleichzeitig hinterfragen wir unser eigenes Ausländerrecht, das Menschen oft über Jahre nur duldet und den Zugang zum Arbeitsmarkt beschränkt und damit in staatlicher Abhängigkeit hält und in Folge entmündigt. Lösungen werden oftmals von Beratungsstellen erwartet, da die Betroffenen es eigenständig nicht schaffen 7 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG Seite 14 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen können. Kritisch muss gefragt werden, ob dies nicht dazu führt, dass Deutschland gerade für Menschen zum Zielland wird, die es woanders nicht schaffen. Übereinstimmend und unerwartet äußern sich alle Gesprächsteilnehmenden dahingehend, dass die Zahl der per Dublin II Zurückgeschobenen keine so große Rolle spiele, dass Polen damit überfordert wäre. Ihrer Meinung nach stellt auch die derzeitige Gesamtzahl der Flüchtlinge keine Überforderung dar (vgl. S. 13). Wir fragen, ob darin der Grund liegt, dass Zurückschiebungen nicht abgelehnt werden. Der Leiter des Aufnahmezentrums für Flüchtlinge in Biala Podlaska, Norbert Falik, erwidert: „Polen ist doch ein reiches Land“. Er sieht darin einen selbstbewussten Beitrag Polens im Rahmen seiner Verpflichtungen innerhalb der EU. Bei aller Verschiedenheit des polnischen Asyl- und Ausländerrechts sehen wir es doch als problematisch an, dass geschwächte oder bedürftige Flüchtlinge keine Chance haben, ihr Leben auf eigene Fuße zu stellen. In der Folge unzureichender humanitärer Lebenshilfe drohen etwa ältere Menschen, psychisch oder physisch Beeinträchtigte oder kinderreiche Familien nach der Entlassung in die Eigenständigkeit auf der Straße oder in der Obdachlosigkeit zu landen. Hier sehen wir ein dringendes, humanitäres und originäres Handlungsfeld für die Kirche in Polen. Insbesondere mit Blick auf die psychologische Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) von Asylsuchenden belegen Therapie-Erfahrungen, dass diese oder andere Formen von Traumatisierungen erst dann therapeutisch behandelt werden können, wenn die Existenz gesichert ist. Zudem lässt sich ein Trauma nicht innerhalb der Dauer eines Integrationsjahres behandeln. Tiefer greifende Therapien gehen über längere Zeiträume und sind nur muttersprachlich effektiv. Ganz besonders hervorzuheben sind die freundliche und sehr offene Gesprächsatmosphäre, die wir in Polen erfuhren. In allen Einrichtungen, die wir besuchten, nahmen auch die jeweiligen Leitungen aktiv an den Gesprächen teil. Nahezu alle Gesprächspartner waren jung, gut ausgebildet und überdurchschnittlich motiviert und beherrschten mehrere Fremdsprachen. Vorbehalte uns gegenüber konnten wir nicht feststellen. Das Interesse an der Flüchtlingsarbeit in Berlin war sehr groß. Dringenden Handlungsbedarf sehen wir im Bereich Fremdenfeindlichkeit, humanitäre Hilfe und Integration. Unserer Ansicht nach ist hier das der Kirche erforderlich. Sie könnte helfen, die Augen für die Not von Flüchtlingen zu öffnen und die Integration fremder Kulturen zu fördern. Im Fazit bleibt zu sagen, dass wir als Diözesanrat den Blick über den Zaun gewagt haben. Wir wollten hören, wie schlecht es läuft und mussten unsere bisherigen Vorurteile revidieren. Der positive Gesamteindruck wurde durch die Kompetenz unserer GesprächspartnerInnen unterstrichen, die u.E. keinen Anlass hatten, Situationen zu beschönigen oder ein Eigeninteresse zu verfolgen. Wir danken allen, die mit viel Engagement uns Rede und Antwort standen! Von polnischer Seite erlebten wir die Begegnungen „auf Augenhöhe“, wofür wir ebenfalls danken. Seite 15 von 16 Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin - Sachausschuss Migration-Integration Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen 11. Handlungsempfehlungen - Information bzw. Weitergabe der Erfahrungen und Eindrücke an Gruppen und Organisationen (Berlin und bundesweit), die sich mit dem Thema „Dublin II“ beschäftigen. - Vor allem im Hinblick auf die kirchliche Situation in Polen erscheint es wichtig, örtliche Kirchengemeinden, Pfarrer und Bischöfe stärker für die Themen Flucht und Asyl zu sensibilisieren und sie dadurch zu motivieren, im Einzelfall humanitäre Unterstützung anzubieten sowie anwaltschaftlich für Flüchtlinge und Migranten einzutreten. Hierzu ist es notwendig, das Gespräch mit Kirchenleitungen und Bischöfe zu suchen und diese hierbei um ihre Mithilfe zu bitten. - Um einen Austausch zu ermöglichen, wäre eine baldige Gegeneinladung zu begrüßen. Sinnvoll wäre ein regelmäßiger, mindestens jährlicher Erfahrungsaustausch. Denkbar wäre etwa auch ein Austauschprogramm für Mitarbeitende und Ehrenamtliche der beteiligten Organisationen (evt. mit Unterstützung der Caritasverbände). - Im Hinblick auf die Praxis des Selbsteintritts in Dublin-II-Verfahren könnten humanitäre Aspekte im Gespräch mit dem BAMF dargelegt werden. - Im Hinblick auf die Situation von minderjährigen, alleinstehenden Flüchtlingen wäre eine Kontaktaufnahme mit dem Kinderheim Nr. 9 in Warschau sinnvoll. Seite 16 von 16