23.-26. November2009 in Warschau und Biała Podlaska

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23.-26. November2009 in Warschau und Biała Podlaska
Diözesanrat der Katholiken
im Erzbistum Berlin
Sachausschuss "Migration und Integration"
Dokumentation der Informationsbesuche
16.10.2009 in Zgorzelec (Görlitz)
23.-26. November2009 in Warschau und Biała Podlaska
1. Einleitung
Eine Delegation von Mitgliedern des Sachausschusses Migration-Integration des
Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin hat am 16. Oktober 2009 in Zgorzelec
(Görlitz) und vom 23.-26. November 2009 in Warschau und Biała Podlaska Gespräche
mit Organisationen, Einzelpersonen oder Verbänden geführt, die dort in der Flüchtlingsund Migrationsarbeit tätig sind. Anlass war der Wunsch nach einem
Erfahrungsaustausch, aus dem dann eventuell Kooperationen und eine vertrauensvolle
Zusammenarbeit entstehen könnten.
Hintergrund unseres Besuches war, dass wir es in der konkreten Beratungsarbeit immer
wieder mit Personen zu tun haben, die aus Polen kommend nach Deutschland
einreisten, obwohl sie dort nach durchlaufenem Asylverfahren teilweise sogar als
Flüchtlinge anerkannt wurden oder einen vorübergehenden Abschiebungsschutz
erhalten haben. Die meisten von ihnen stammen aus Tschetschenien oder anderen
Ländern der Russischen Föderation. Hauptziel der Informationsreise war die
Überprüfung
von
Berichten,
wonach
die
Betreuung,
Unterbringung,
Arbeitsmöglichkeiten, Bildung und Ausbildung, sowie medizinische Versorgung und hier
insbesondere psychologische Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen in
Polen völlig unzureichend seien.
Programm der Besuche
16. OKTOBER 2009 Besuch im Caritas-Centrum Pmocy Migrantom i Uchodzdom in
Zgorzelec, Frau Bozena Jastrzebska
23. NOVEMBER 2009 (Anreise nach Warschau)
24. NOVEMBER 2009
10:00 Uhr
Erfahrungen von Caritas Polska in der Flüchtlingsarbeit
Katarzyna Sekula, Koordinatorin der Migrationsprojekte
11:30 Uhr
Besuch der Stiftung „Ocalenie“
Innovative Methoden der Flüchtlingsarbeit in Polen
14:30 Uhr
Besuch des Migrationszentrums
Arbeit mit Migranten aus Vietnam
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Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen
25 NOVEMBER 2009
11:00 Uhr
Präsentation der Arbeit mit Flüchtlingen in dem Caritaszentrum für
Migranten und Flüchtlinge Biała Podlaska
12:00 Uhr
Besuch des Geschlossenen Zentrums/Abschiebungshaft in Biała
Podlaska
14:30 Uhr
Besuch im Aufnahmezentrum für Flüchtlinge in Biała Podlaska
26. NOVEMBER 2009 (Rückreise)
Teilnehmende:
-
Peter Botzian, Referent Migration und Integration Caritasverband für das
Erzbistum Berlin e.V.
-
Elisabeth Eichert UAC, Vorsitzende des Sachausschusses Migration und
Integration des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin,
Pastoralreferentin „Kirche im sozialen Brennpunkt“, Sitz in St. Christophorus
Berlin-Neukölln
-
Hans-Jürgen van Schewick, Richter am Bundesverwaltungsgericht a.D. ,
Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) – Vertretung der
katholischen Laien auf Bundesebene
-
P. Martin Stark SJ, Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland
(JRS), Flüchtlingsseelsorger im Erzbistum Berlin und Vertreter des Erzbistums in
der Berliner Härtefallkommission, Vertreter des JRS im „Kath. Forum Leben in
der Illegalität“
-
Traudl Vorbrodt, Mitglied von Pax Christi im Erzbistum Berlin im Bereich
„Flüchtlinge, Asyl, Migranten, Menschenrechte“, Mitglied des Flüchtlingsrates
Berlin in der Berliner Härtefallkommission
2. Ausländerrechtlicher Hintergrund
Rechtlicher Rahmen1
Polen ist seit dem 01. Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union und am 21.12.2007
auch dem Schengener Abkommen beigetreten. Dadurch sind die Kontrollen an den
Grenzen zu Deutschland entfallen.
Der nationale rechtliche Rahmen betreffend ausländische Staatsangehörige und Asyl
besteht vor allem im
1 Diese Erläuterungen sind entnommen dem Bericht von Wolfgang KREISSL-DÖRFLER (SPE) für den
Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres über eine Besuchsreise von Mitgliedern des
Europäischen Parlaments vom 1.-3. April 2008 nach Polen.
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-
Gesetz über Ausländer vom 13. Juni 2003 (Ausländergesetz, geändert 2005 und
2007) und im
-
Gesetz über den Schutz von Ausländern auf dem Hoheitsgebiet der Republik
Polen vom 13. Juni 2003. Einige Maßnahmen in diesen Gesetzen wurden mit dem
Gesetz über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt auf polnischem
Territorium vom 14. Juli 2006 geändert.
Das Ausländerschutzgesetz sowie das frühere Ausländergesetz von 1997 enthalten
Bestimmungen zu den Verfahren und Praktiken für die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft, den Konzepten des sicheren Drittstaates und Herkunftsstaates,
offenkundig unbegründeten Fälle, ergänzenden Formen des Schutzes, vorübergehenden
Schutz und Asyl. Außerdem wird die rechtliche Situation von unbegleiteten
minderjährigen Asylbewerbern beschrieben, und es wird der Schutz von besonders
bedürftigen Personen (Gewaltopfern) geregelt.
Für die Migrations- und Asylpolitik zuständige Behörden
Das Ministerium für Inneres und Verwaltung (Ministerstwo Spraw Wewnętrznych i
Administracji) ist generell für die Migrationspolitik und Fragen im Zusammenhang mit
Flüchtlingen sowie legalen und illegalen Einwanderern zuständig.
Dem Ministerium ist die polnische Ausländerbehörde (Urząd do Spraw Repatriacji i
Cudzoziemców) unterstellt, die frühere polnische Behörde für Repatriierung und
Ausländer, die für das BOO, eine Stelle für die Organisation und Verwaltung offener
Aufnahmezentren, verantwortlich ist.
Außerdem kontrolliert das Ministerium die Polizei (Komenda Główna Policji) und den
Grenzschutz (Komenda Główna Straży Granicznej), die beide geschlossene
Gewahrsamszentren führen.
Wer sind die Einwanderer und Asylbewerber?
Seit seiner Aufnahme in die Europäische Union im Mai 2004 gibt es zwei Hauptquellen
für die Migration nach Polen:
legale und illegale Einwanderung von Staatsangehörigen von Länder der
früheren Sowjetunion (vor allem Ukraine und Belarus) auf der Suche nach
Saisonarbeit;
großer Zustrom, vor allem seit 2002, von tschetschenischen Asylbewerbern
(90 % der Asylbewerber).
Asylverfahren
Gegenwärtig gibt es ein Asylverfahren, Ausländern können aber zwei Titel zuerkannt
werden: die Flüchtlingseigenschaft und die Duldung.
Die Flüchtlingseigenschaft wird zuerkannt, wenn die Ausländer die Bedingungen der
Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen, der Polen seit 1991angehört.
Die Duldung wurde 2003 eingeführt und tritt seither mehr und mehr an die Stelle der
Flüchtlingseigenschaft. Die Personen, denen eine Duldung erteilt wurde, genießen
größtenteils die gleichen Rechte wie Flüchtlinge, aber es gibt Unterschiede.
Das Asylverfahren beginnt mit einem Antrag, der vom Ausländer beim Leiter des Amtes
für Repatriierung und Ausländer gestellt wird.
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Der Ausländer stellt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft über den
befehlshabenden Offizier der Grenzschutzeinheit. Ein Ausländer, der keine
Genehmigung für die Einreise in die Republik Polen besitzt, kann den Antrag während
der Grenzkontrolle bei der Einreise in die Republik Polen am Kontrollposten stellen.
Die Grenzschutzbeamten informieren die Person in einer für diese verständlichen
Sprache über die Abläufe und Grundsätze des Verfahrens für die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft sowie über die ihr zustehenden Rechte und ihre Pflichten.
Die Grenzschutzbeamten holen von der Person Informationen ein (Identität,
Herkunftsland, Fotografien und Fingerabdrücke, Visa oder Aufenthaltstitel, Reiseroute)
und schicken den Antrag innerhalb von 48 Stunden an den Leiter der Behörde.
Die Entscheidung über die Zuerkennung oder Verweigerung der Flüchtlingseigenschaft
muss innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab dem Datum der Antragstellung
ergehen. Die Entscheidung über die Verweigerung der Flüchtlingseigenschaft wegen
eines offenkundig unbegründeten Antrags sollte innerhalb einer Frist von 30 Tagen ab
dem Datum der Antragstellung ergehen.
Gegen die Entscheidungen des Leiters der Behörde über die Zuerkennung und
Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft kann bei der Flüchtlingsbehörde Widerspruch
eingelegt werden. Die Entscheidung der Flüchtlingsbehörde muss innerhalb eines
Monats nach Einlegen des Widerspruchs ergehen.
Die Ausländer, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragen, können
ungehindert mit einem Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten
Nationen und allen Organisationen Kontakt aufnehmen, die sich satzungsgemäß mit
Flüchtlingsangelegenheiten befassen.
Gewahrsamszentren – Aufnahmezentren
In Polen gibt es Aufnahmezentren (offen) und Gewahrsamszentren (geschlossen). Die
große Mehrheit der Asylbewerber ist in Polen in Aufnahmezentren untergebracht.
Wenn eine Person einen Asylantrag während der Grenzkontrolle stellt und keine
Einreisegenehmigung für Polen hat oder wenn sich eine Person illegal in Polen aufhält,
kann sie in einem Zentrum in Gewahrsam genommen werden.
Wenn die Person legal nach Polen einreist und Asyl beantragt, kann er die
Asylentscheidung in Freiheit abwarten.
Aktuelle Entwicklung2
Mit Wirkung vom 01.01.2009 hat Polen Vorgaben der EU umgesetzt. Zu den
wesentlichen Neuerungen im Ausländerrecht zählen:
2
-
Liste der Drittländer, deren Staatangehörige beim Überschreiten der
Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen sowie Liste der Drittländer,
deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind
-
Definition des Schengeneinheitsvisum
-
Einrichtung einer zentralen Visastelle
Quelle: Entscheidungen Asyl, Informations-Schnelldienst 3/2009 (ehemals EE-Brief) 16. Jahrgang
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-
Erlaubnis für Ausländer, mit einem Schengenvisum eines anderen EUMitgliedstaates legal einzureisen, sofern nicht die Aufenthaltsdauer des Visums
ausgeschöpft wurde
-
Regelung des sog. kleinen Grenzverkehrs mit der Ukraine, Russland und
Weißrussland
-
Neudefinition des temporären und subsidiären Flüchtlingsschutzes
-
Zulässigkeit der Zustellung amtlicher Schreiben an Ausländer auch an ihre
Rechtsanwälte oder den Ort der letzten Niederlassung in Polen
-
Erhöhte Bußgelder, bis zu 5.000 € für Schleuser.
Aktuelle Zahlen3
2006
2007
2008
11.315
13.248
8.517
585
212
193
Sekundärer Schutz
2110
2919
2595
Abgelehnt
1229
2348
1608
Quote Flüchtlingsanerkennung
12,7 %
3,9 %
4,4 %
Gesamtschutzquote
67,9 %
57,1 %
63,4 %
Asylanträge
Anerkannte Flüchtlinge
Hauptherkunftsländer 2008
3
Anerkannte Flüchtlinge
Sekundärer Schutz
Russische Föderation (131)
Russische Föderation (2543)
Irak (28)
Sri Lanka (13)
Weißrussland (14)
Weißrussland (4)
Somalia (6)
Irak (4)
Turkmenistan (4)
Armenien (4)
Quelle: UNHCR, Asylum Trends in Central Europe 2006-2008
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Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen
3. Besuch im Caritas-Centrum Pmocy Migrantom i Uchodzdom Zgorzelec
Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom
Caritas Diecezji Legnickiej
ul. Ks. Domańskiego 12
59-900 ZGORZELEC
tel. / fax. 0 75 771 65 61 0 75 771 65 61
e-mail: [email protected]
Während die Caritas in Polen in ihren größeren Migrationszentren verschiedene Dienste
(Rechtsberatung, überwiegend Traumabehandlung) anbietet, betreibt sie in Görlitz eine
kleine Beratungsstelle, in der nur eine Person beschäftigt ist (Personal 1:150). Das Büro
umfasst zwei kleine Räume im Souterrain. Von Seiten der Ortskirche und der
Bevölkerung gibt es nur wenig Unterstützung.
Eine Hauptaufgabe der Beratungsstelle ist die Betreuung von nach Polen auf dem
Landweg nach der sog. Dublin-II-Verordnung zurückgeschobenen Flüchtlingen. Die
Mitarbeiterin erzählt von einem Fall einer tschetschenischen Familie, bei der die
Ausländerbehörde Berlin die Rückschiebung und den Weitertransport nach Dembak
organisiert hatte.
Von 2003 bis 2008 hat sich die Zahl der zu betreuenden Menschen verdoppelt - von
5000 auf über 10.000. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Tschetschenien,
Afghanistan, Sri Lanka, Bosnien und zunehmend aus Georgien. Insgesamt bekommen
Flüchtlinge nur wenige Informationen über staatliche Hilfen.
Flüchtlinge erhalten in der Regel Zuweisungen zu Aufnahmezentren und müssen ihre
Fahrt bis dahin alleine finanzieren und organisieren. Anerkannte Flüchtlinge erhalten
ein Jahr lang staatliche Unterstützung. Sprachkurse werden für ein Jahr lang angeboten
und finanziert. Eine vierköpfige Familie erhält z.B. monatlich 120,00 Sloty sowie einmal
pro Monat ein Lebensmittelpaket von der Caritas im Wert von 400,00 Zloty. Bei der
Suche nach Schul- und Arbeitsmöglichkeiten gibt es dagegen keine Unterstützung.
Neben den fehlenden Arbeitsmöglichkeiten ist das größte Problem die Wohnungsnot.
Insgesamt gibt es in Polen 22 Unterkünfte, in denen die Unterbringung für 3 Monate mit
staatlicher Unterstützung erlaubt ist; danach erfolgt die Entlassung in die
Selbständigkeit, viele landen in der Obdachlosigkeit. Nur in Warschau gibt es 8
Wohnungen für anerkannte Flüchtlinge. Wenige bleiben in der Region. So lebt in Görlitz
nur eine Familie aus Tschetschenien.
In der Bevölkerung ist vor allem gegenüber den Russischsprachigen und muslimischen
Menschen eine sehr geringe Akzeptanz vorhanden. Die örtlichen Ärzte verfügen über
keine besondere Ausbildung in interkultureller Kompetenz. Rechtsberatung wird vor
allem über die private „Legal Clinic“ in Krakau kostenlos angeboten, bei der
JurastudentInnen ein Jahr lang kostenlose Rechtshilfe für Flüchtlinge leisten und sich
dies auf ihr Studium anrechnen lassen können (http://www.fupp.org.pl). Nur im
Asylverfahren stehen Dolmetscher zur Verfügung. Über das Verfahren sind nur
fremdsprachigen Hinweise erhältlich.
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Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen
4. Gespräch mit Caritas Polska
ul. Skwer Kard. Stefana Wyszyńskiego 9
01-015 Warszawa
Telefon: +48 22 3348500/+48 22 3348585
Fax: +48 22 3348558
E-mail: [email protected]
www.caritas.pl
Der polnische Caritasdirektor, Prälat Dr. Marian Subocz, konnte krankheitsbedingt nicht
mit uns sprechen. Das Gespräch erfolgte mit der Referentin (Koordynator projektu)
Katarzyna Sekuła, [email protected], Tel.: 022 3348 522.
Caritas Polen arbeitet seit 13 Jahren im Migrationsbereich. Schwerpunkte sind die
rechtliche und psychologische Unterstützung von Flüchtlingen und MigrantInnen. In den
letzten 3 Jahren hat der Bereich der Integration zunehmend mehr an Bedeutung
gewonnen.
Die Caritas unterhält in Polen Zentren:
-
Centrum Pomocy Migrantom i UchodźcomCaritas Archidiecezji Białostockiej
-
Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Archidiecezji Lubelskiej
-
Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Diecezji Legnickiej
-
Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Diecezji ZielonogórskoGorzowskiej
-
Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Diecezji Siedleckiej
In den Zentren im Osten arbeiten jeweils 4 MitarbeiterInnen, multikulturelle
BeraterInnen
(„multicultural
advisor“),
Rechtsanwalt/Rechtsanwältin,
Psychologe/Psychologin, SozialarbeiterIn. Diese Stellen wurden neu geschaffen und mit
tschetschenischen Frauen besetzt. In den Zentren an der Westgrenze ist nur jeweils
ein/e MA beschäftigt. Ziel ist ein umfassendes System der Unterstützung vor allem für
schutzbedürftige Personengruppen („complex support“ oder interdisziplinäres Team).
Zielgruppen der Arbeit sind AsylbewerberInnen, anerkannte Flüchtlinge, Flüchtlinge,
die subsidiären Schutz erhalten haben und besonders schutzbedürftige
Personengruppen.
2810 KlientInnen wurden bis jetzt in diesem Jahr unterstützt: davon 84 % soziale Hilfe,
11 % Rechtshilfe, 4 % psychologische Unterstützung und 1 % andere. Ein neues Projekt
ist seit Januar die Vermittlung von Wohnungsunterkünften für Flüchtlinge, da viel Leute
ungern Wohnungen an Ausländer, speziell Tschetschenen, vermieten. Speziell in
Schlesien sei eine gestiegene Ausländerfeindlichkeit festzustellen. Hilfe bei Jobsuche
wird ebenfalls angeboten. Kata. rechnet in Zukunft mit einer höheren Zuwanderung in
Form von legaler Arbeitsmigration, aber auch illegaler Migration ( aus Vietnam, China,
Armenien).
2008 kamen etwa 5000 Asylantragsteller nach Polen. Sie werden in insgesamt 19
Aufnahmecentern betreut. Davon werden 6 vom Staat und die restlichen von privaten
Betreibern unterhalten. Diese aber unter staatlicher Aufsicht. Auch das dort beschäftigte
Personal unterliegt staatlicher Kontrolle. Den 6 staatlichen Centern sind, neben einer
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„offenen“ Erstaufnahmeeinrichtung, eine geschlossene und eine Abschiebeeinrichtung
angeschlossen. Sie werden von der Bundespolizei betrieben.
5. Fundacja „Ocalenie“ (Stiftung Rettung)
Adresse: 00-364 Warszawa
ul. Ordynacka 9 lok. 21 (II piętro)
Telefon/Fax: +48 22 828 50 54
e-mail: [email protected]
www.ocalenie.org.pl
Gespräch mit Frau Malika Abdoulvakhabova vom Vorstand der Stiftung
Malika lebt seit 13 Jahren in Polen. Sie kam selbst als Flüchtling, hat 2 Jahren in einem
Flüchtlingslager gelebt und arbeitet seit 6 Jahren in der Stiftung. Sie und ihre Tochter,
die studiert hat und in einem Fernsehsender heute in leitender Position arbeitet, ist ein
positives Beispiel für Integration. Die Stiftung ist die einzige Organisation in ganz Polen,
in der eine Migrantin im Vorstand ist. Malika bekleidet das Amt der Vizepräsidentin.
„Wenn man will, erreicht man in Polen viel, aber der Wille zur Bildung ist notwendig.“
Die Stiftung wurde im Jahr 2000 von Dorota Parzymies gegründet für Polen, die in den
Kaukasus vertrieben wurden. Daher bestehen sehr gute Kontakte nach Georgien und in
den Kaukasus. Seit 2003, zur Zeit des 2. Tschetschenienkrieges, ist der Schwerpunkt die
Betreuung von tschetschenischen Flüchtlingen. Mittlerweile ist die Stiftung dafür
bekannt und angesehen in ganz Polen. Die Stiftung bietet Schulungen an für
Mitarbeitende der Bundespolizei und der Bundesmigrationsbehörde in der Vermittlung
von interkultureller Kompetenz. Beschäftigt sind 11 Kern-Mitarbeiter, insgesamt
arbeiten 20 im Rahmen von Projekten, teilweise mit EU Förderung. Die Stiftung hat
Zugang zur Abschiebungshaft und wird telefonisch angerufen aus den 19 offenen
Zentren des Landes.
Nach der persönlichen Einschätzung von Malika ist die Situation von Flüchtlingen in
Polen im Vergleich zum Jahr 2000 sehr viel besser geworden. Dies betrifft sowohl die
Gesetzgebung als auch die finanzielle Unterstützung. Schwierig sei derzeit der
Wohnungsmarkt, weswegen die Caritas ein Projekt anbiete, bei dem für 1 Jahr eine
Wohnung teilfinanziert werde. Ebenfalls ein großes Problem sei die Umsetzung der EUZuständigkeitsverordnung Dublin II. Ihrer Meinung nach ist Polen darauf nicht
genügend vorbereitet. Es sei z.B. zu hinterfragen, warum Polen nicht öfter Fristen
verstreichen lasse (6 Monate), um Rücknahmeersuchen leichter ablehnen zu können.
Das Thema Alleinstehende / unbegleitete Minderjährige ist in ihrer Arbeit nicht so
relevant. Hierzu will sie uns noch Infos schicken. Für Minderjährige wird ein Vormund
(Kurator), bestellt. In Wahrschau gibt es ein Kinderheim – staatliches Kinderheim Nr. 9.
– in das alle alleinstehenden Minderjährige kommen. Im letzten Jahr waren 11
unbegleitete Minderjährige dort, die grundsätzlich polnischen Minderjährigen
gleichgestellt sind. Bei Zweifel am angegebenen Alter werden Röntgenuntersuchungen
des Gebisses, der Handwurzeln und des Schultergelenkes durchgeführt. (Auf wessen
Anordnung konnte uns nicht gesagt werden.)
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Während eines laufenden Asylverfahrens kann keine Familienzusammenführung
betrieben werden. Egal, wie das Verfahren endet, unter 18-jährige werden nicht
abgeschoben.
Nach Malikas persönlicher Auffassung hat sie als Muslimin keine Ablehnung erfahren.
Sie persönlich akzeptiert, dass Polen ein katholisches Land ist und in jedem
Klassenzimmer ein Kreuz hängt. Sie schickt ihre Kinder nicht in den Religionsunterricht
und hat deswegen keine Probleme.
An uns äußert Malika den Wunsch bzw. die Erwartung, in konkreten Fällen zusammen
zu arbeiten, wie im Fall eines jungen Tschetschenen. Seine Familie hat in Deutschland
Asyl erhalten. Er selbst aber wurde wegen Dublin II nach Polen zurück geschoben.
6. Osrodka Migranta (Migrationszentrum) Fu Schengfu
Ośrodek Migranta Fu Shenfu
ul. Ostrobramska 98
04-118 Warszawa
tel./fax: (022) 610-02-52/(022) 610-02-52
e-mail: [email protected]
Gespräch mit P. Jacek Gniadek SVD, [email protected]
Die Arbeit des Migrationszentrums begann vor 10 Jahren. Ein neues Projekt ist
finanziert mit EU Geldern und besteht darin, Illegalen und entlassenen
Abschiebungshäftlingen, die eine Duldung erhalten (tolerated status), Hilfestellung zu
geben. 95 % von ihnen sind VietnamesInnen, 5 % sind ChinesInnen.
Etwa 400 Menschen kommen jährlich ins Center. Das Ausländerrecht ändert sich jedes
Jahr. Seit Februar 2009 sind die Bestimmungen, eine Duldung zu erhalten komplizierter
geworden. Neu ist, dass jetzt eine Meldeadresse erforderlich ist. Mit einer Duldung ist
eine Arbeitserlaubnis verbunden, aber nicht die Möglichkeit, Sozialleistung zu beziehen.
Für P. Jacek ist noch nicht klar, ob und wann Geduldete eine Aufenthaltserlaubnis
erhalten können. Im Zentrum arbeiten 10 angestellte Mitarbeiter, darunter zwei
Ordensfrauen, ein vietnamesischer Priester, ein Übersetzer, ein Anwalt und Freiwillige.
Nach Einschätzung von P. Jacek gibt es in der Öffentlichkeit keine Vorbehalte
VietamesInnen gegenüber, da alle arbeiten und keine (!) Leistungen beziehen wollen. Da
sie somit aus der Illegalität heraus kommen, sind sie auch nicht mehr im
vietnamesischen Ghetto und brauchen nicht länger illegal für andere VietnamesInnen zu
arbeiten. Die vietnamesische Community ist die größte Ausländerpopulation in Polen
und hat etwa 60.000 Mitglieder.
Wegen fehlender Erfolgsaussichten stellen VietnamesInnen im Allgemeinen keinen
Asylantrag. P. Jacek kennt nur 2-3 VietnamesInnen, die einen Flüchtlingsstatus erhalten
haben. Für SVD ist die Arbeit mit Flüchtlingen und MigrantInnen eine Priorität, da die
eine „missio ad gentes“ sei, eine Herausforderung für die Kirche in Polen darstelle.
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7. Caritas Zentrum Biala Podlaska
Centrum Pomocy Migrantom i Uchodźcom Caritas Diecezji Siedleckiej
ul. Warszawska 15
21 – 500 Biała Podlaska
tel. / fax: 0 83 342 07 96/0 83 342 07 96
e-mail: [email protected]
Gespräch mit Monika Meiniwik (Psychologin), Johanna Adamczyk (Rechtsberaterin),
Eva Ivaniuk (Sozialearbeiterin).
Die Psychologin berichtet von einer tschetschenischen Frau, die mehrfach vergewaltigt
worden ist. Sie berichtet, dass sie keine Therapie, aber therapeutische Gespräche
anbietet. Für die Einleitung einer Therapie ist die Aufenthaltszeit in den
Aufnahmezentren zu kurz. Sie arbeitet hauptsächlich mit Frauen und Kindern und sie
sieht großen Bedarf. Sie sieht keine Chance, mit ihrem Angebot die Männer zu erreichen.
Gerne möchte sie eine Selbsthilfegruppe ins Leben rufen, damit die Betroffenen
untereinander ins Gespräch kommen. Johanna erzählt über ihre Erfahrungen mit den
Asylverfahren, deren Erfolg mit der jeweiligen Nationalität zusammen hänge. Im
Sommer kam eine größere Gruppe von GeorgierInnen, die zum größten Teil abgelehnt
worden sind (19%). Selten kommen AbchasierInnen oder OssetInnen, zum größten Teil
sind es KurdInnen. Dagegen erhalten TschetschenInnen in der Regel „subsidiären
Schutz“ und können zunächst 2 Jahre bleiben und zwar unabhängig vom Stand des
Verfahrens. Etwa 50 % von ihnen werden anerkannt4. Johanna macht nur
Rechtsberatung, sie legt nicht selbst Rechtsmittel ein. Asylanhörungen finden nicht
mehr nur in Warschau statt, sondern hier vor Ort. Die Psychologin nimmt daran
regelmäßig teil. Nach ihrer Erfahrung beauftragen Betroffene bei ablehnenden
Entscheidungen selbst Anwälte mit ihrer Vertretung, d.h. sie haben offensichtlich das
nötige Geld dazu. Sie erzählt von einer tschetschenischen Familie, die mit dem Auto zum
Zentrum kamen, um hier einen Kinderwagen zu beantragen.
Schwerpunkt der Arbeit wird im Zentrum der Caritas und nicht in den Lagern geleistet.
In der Regel gehen die MitarbeiterInnen zweimal im Monat in die drei Lager. Noch ein
paar Zahlen: Soziale Hilfe erhalten 50-60 KlientInnen an manchen Tagen (Schlange
stehen für Sachmittel); 40 KlientInnen kommen mtl. In die Rechtsberatung; 5
KlientInnen sind in der Woche im psychologischen Dienst.
Anerkannte Flüchtlinge und Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz erhalten
Arbeitserlaubnis und für ein Jahr Integrationshilfen und Sozialhilfe in der auch für Polen
gültigen Höhe. Nach einem Jahr besteht kein Anspruch mehr auf öffentliche Hilfen.
Flüchtlinge mit einer Duldung („tolerated status“) besitzen automatisch eine
Arbeitserlaubnis, erhalten aber keinerlei staatliche Hilfen. Residenzpflicht besteht nicht.
Es wird aber erwartet, dass sich die Flüchtlinge mit Aufenthaltsstatus in der Region der
Aufnahmeeinrichtung niederlassen, da sie dort bereits die Beratungs- und
Hilfseinrichtungen kennen. Die meisten von denen, die nicht in andere Länder
weiterziehen, bevorzugen aber einen Wohnsitz in den großen Städten und werden dort
4
Nach Angaben des Europäischen Statistikamtes Eurostat für das zweite Quartal 2009 wurden in Polen
1.560 Entscheidungen über Schutzanträge gestellt, davon 845 positiv (sei es eine Flüchtlingsanerkennung,
sei es die Zuerkennung des subsidiären Schutzes oder die Gewährung eines humanitären Aufenthaltes).
Die Gesamtschutzquote ist mit 53,7 % im europäischen Vergleich besonders hoch.
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mit großen Problemen konfrontiert. Alle Kinder dürfen und sollen in Regelschulen
gehen. Zur Frage einer Einbürgerung wurde gesagt, dass es ausgesprochen schwierig
und langwierig sei, die polnische Staatsbürgerschaft zu erhalten, es sei denn, die
Aufnahme erfolge „im Interesse des Staates“.
Die jeweils notwendigen Verlängerungen der Aufenthaltstitel erfolgen in den Behörden
der Wojwodschaften. Gesonderte Ausländerbehörden gibt es nicht.
8. Strzeżonego Ośrodka i Aresztu w Celu Wydalenia w Białej Podlaskiej Geschlossenes Zentrum / Abschiebungshaft Biala Podlaska
Placówka SG w Białej Podlaskiej - Strzeżony Ośrodek i Areszt w celu wydalenia
Adresse: 21-500 Biała Podlaska ul. Dokudowska 19
Tel.: (083) 344 96 15
FAX (083) 344 96 06
http://www.strazgraniczna.pl/wps/portal/tresc?WCM_GLOBAL_CONTEXT=pl/s
erwis-sg/struktura_sg/oddzialy/ww_naosg130508/o_psg+w+bialej+podlaskiej/
Gespräch mit dem stellvertretenden Direktor (?)
2003 wurde in Polen ein Ausländergesetz eingeführt,
2004 Mindeststandards,
2008 wurde das Ausländergesetz zuletzt geändert.
Die Unterbringung im geschlossenen Zentrum muss gerichtlich angeordnet werden.
Gründe dafür sind: die Ausreisepflicht, der Verdacht des Untertauchens und / oder
illegaler Grenzübertritt.
Das geschlossene Zentrum wird geführt von der Bundespolizei der Wojwodschaft
(Landkreis) und unterliegt dem Verantwortungsbereich des Innenministeriums.
Das geschlossene Zentrum in Biala Podlaska ist Anfang 2008 eröffnet worden. Vom
31.01.2008 bis 31.10.2009 sind untergebracht gewesen: 633 Personen im
geschlossenen Zentrum und 69 Personen in der Abschiebungshaft.
Von den Personen im geschlossenen Zentrum kamen 243 aus Russland, 118 aus
Georgien, 49 aus Vietnam, 34 aus China, 27 aus Armenien, 21 Ukraine und 13 aus
Weißrussland. Insgesamt haben während der Unterbringung im geschlossenen Zentrum
90 Personen einen Asylantrag gestellt. Die durchschnittliche Verweildauer der
Inhaftierung beträgt 3 Monate, die Einrichtung bietet 174 Plätze insgesamt, davon 12
Plätze in Abschiebungshaft. Während unseres Besuches waren 7 Abschiebungshäftlinge
dort untergebracht. Handys sind erlaubt, Feuerzeuge dagegen nicht. Seit der Eröffnung
hat es bisher 2 Suizidversuche gegeben.
Die Aufgaben der Bundespolizei umfassen:
-
Organisation der Rückführung
-
Medizinische Behandlung und Transport zu den Krankenhäusern
-
Eine Abteilung zur Überprüfung der Identität (Zugang zu EURODAC besteht bei
den grenznahen Polizeistellen)
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-
Eine Bildungsabteilung („sekcji edukacyjnej“) für die Organisation von Sport und
Kulturangeboten, Bibliothek, Beratungsangebot für Opfer von Menschenhandel,
Sprachkurse, Kinderbetreuung
Eine Etage ist für Familien z.T. mit minderjährigen Kindern vorgesehen. Alleinstehende,
unbegleitete Minderjährige werden nicht untergebracht. Für muslimische Flüchtlinge
wurde ein Gebetsraum eingerichtet. In der Einrichtung gibt es Vollverpflegung unter
Beachtung der religiösen Regeln.
Das Personal wurde geschult von der Stiftung „Ocalenie“. Zugang zum geschlossenen
Zentrum hat auch die „Helsinki Foundation“, die vorwiegend Rechtshilfe für
Abschiebehäftlinge anbietet.
9. Ośrodku dla Cudzoziemców w Białej Podlaskiej - Offenes Zentrum Biala
Podlaska
Katarzyna Matjusek (baut für das Bundesamt das Zentrum auf), Norbert Falik (Leiter
des offenen Zentrums) und 4 weitere MA haben am Gespräch teilgenommen. Drei von
ihnen sind Mitarbeiterinnen des Bundesamtes für Migration und führen eigenständig
Anhörungen durch. Die Asylentscheidungen werden aber ausschließlich in Warschau
getroffen. Außerdem nahm eine Sozialarbeiterin am Gespräch teil.
Das Zentrum hat vor 4 Monaten eröffnet und ist eines von 19 offenen Zentren in Polen,
die überwiegend in privater Hand sind. Das Zentrum wird neu aufgebaut und soll als
Ziel die Funktion einer „Clearing-Stelle“ übernehmen. Als zentrale Aufnahmestelle
finden hier Asylanhörungen statt, es werden med. Untersuchungen gemacht, dann wird
entschieden wohin die Flüchtlinge weiterverteilt werden. Durchschnittlich halten sich
Flüchtlinge 1 Woche im Zentrum auf. Bisher kamen am Tag etwa 15 bis 20 Flüchtlinge,
zuletzt nur noch 1 bis 2 Aufnahmen pro Tag. Die Einrichtung hat eine Kapazität von 200
Plätzen, zusätzlich bestehen im Erdgeschoss Sammelunterkünfte für 100 Personen, die
genutzt werden zur Erstunterbringung. Zum Zeitpunkt unseres Besuches waren 12
Leute im Zentrum untergebracht, da – nach Angaben des Leiters - gerade viele
weiterverteilt worden sind. Am 15. eines Monats wird Taschengeld ausgezahlt (80 Zloty
pro Person und Monat). In der Einrichtung finden jetzt auch Asylanhörungen außerhalb
von Warschau statt. Die AnhörerInnen sind für alle Länder zuständig.. Es finden nur
Interviews statt ohne Übersetzung, die AnhörerInnen sprechen selbst, neben polnisch,
russisch und englisch. Für AntragstellerInnen, die diese Sprachen nicht beherrschen,
finden die Anhörungen weiterhin nur in Warschau statt. Es wird ein handschriftliches
Protokoll angefertigt. 90% aller Asylanträge werden von Flüchtlingen aus
Tschetschenien, bzw. der Russischen Föderation gestellt5. Hierbei handelt es sich
meistens um Familien, bei Flüchtlingen aus Georgien meistens um alleinstehende
Männerkurdischer Volkszugehörigkeit. Der Leiter der Einrichtung berichtet von einem
aktuellen Fall von 6 Letten, die aus Deutschland auf Grund von Dublin II
5 Die Russische Föderation ist in Polen mit großem Abstand das Hauptherkunftsland. Von 7.093 Personen,
die 2006 Flüchtlingsschutz beantragten, kamen von dort 6.405 Personen. Der weit überwiegende Teil,
5.644, gab an, tschetschenische Volkszugehörige zu sein. Von den 423 Personen, die 2006 den
Flüchtlingsstatus i.S.d. GFK erhielten, waren 384 Russen; beim subsidiären Schutz waren es 2.015 von
2.049 insgesamt.“ Aus: Entscheidungen Asyl Informations-Schnelldienst 11/2007 (ehem. EE-Brief) 14. Jg.
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Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen
zurückgeschoben wurden und sich in der Einrichtung gemeldet haben.Sie sagten, dass
sie in Berlin einen Asylantrag stellen wollten oder gestellt haben.
Zum Thema Dublin II
Wenn jemand während eines laufenden Asylverfahrens Polen verlässt, ruht das
Verfahren. Bei Rückschiebungen mit dem Flugzeug werden die Betroffenen in einem
geschlossenen Zentrum untergebracht, Minimum 30 Tage, Maximum 1 Jahr. Bei
Abschiebungen auf dem Landwege kommen die Betroffenen in der Regel nach Dembak
und werden von dort weiter vermittelt. In allen Fällen ist ein Wiederaufgreifensantrag
erforderlich. Dass Polen auch nach längst überschrittenen Zeiten der Rückübernahme
im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten oft zustimmt6, stieß bei den Beteiligten
zwar auf Unverständnis, konnte aber nicht konkret begründet werden. Vermutet wurde,
dass dies vor allem auf Druck der EU geschehe.
Die Behörde ist verpflichtet über das Asylverfahren aufzuklären, Beratung erfolgt auch
durch die Caritas Mitarbeiter. Relevante, fremdsprachige Gesetzestexte und ausführliche
Informationen zum Asylverfahren sind vorhanden und werden ausgehändigt.(Russisch,
englisch in den von uns besuchten Einrichtungen; bei Bedarf können anderssprachige in
Warschau angefordert werden). Alle Gesprächsteilnehmenden äußern den Eindruck,
dass die Betroffenen sehr gut aufgeklärt sind über das Verfahren und ihre Rechte.
Die Rechtsberaterin von der Caritas kann sich auf Nachfrage nicht vorstellen, dass die
rechtliche, medizinische und psychologische Versorgung von Flüchtlingen in Polen
schlechter sein soll als in Deutschland. Aber die ökonomische Situation sei sicherlich
anders. Katarzyna Matjusek ergänzt, dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt für
tschetschenische Flüchtlinge schwierig sei. Übereinstimmend äußerten sich alle
Gesprächsteilnehmenden dahingehend, dass die Zahl der per Dublin II
Zurückgeschobenen keine solche große Rolle spiele, dass man sagen könne, Polen wäre
damit überfordert. Ihrer Meinung nach stellt die Zahl der Flüchtlinge, mit denen Polen
insgesamt zu tun hat, keine Überforderung dar. Problematisch für alle MitarbeiterInnen
der Migrationscenter ist aber die Tatsache, dass viele Flüchtlinge Polen lediglich als
Transitland betrachten. Das erschwert eine tatsächliche Integrationsarbeit sehr oder
macht diese unmöglich.
10. Ergebnis
Nach den Erfahrungen an den von uns aufgesuchten Orten und in den geführten
Gesprächen ist die Lage differenziert zu betrachten, aus polnischer Sicht und aus
deutscher Sicht. Der Einblick erhebt nicht den Anspruch, ein vollständiges Bild erfassen
zu können.
Insgesamt ist der Gesamteindruck einer positiven Entwicklung gegenüber den
Umständen für Flüchtlinge noch im Jahr 2000 entstanden. Das wird von unseren
GesprächspartnerInnen, etwa von Katarzyna Sekula, Koordinatorin der
Migrationsprojekte Caritas Polen oder der Vizepräsidentin von „Ocalenie“ (Rettung),
6
Deutschland stellte in Dublinverfahren 2008 an Polen 806 Übernahmeersuchen. Quelle: Entscheidungen
Asyl, Informations-Schnelldienst 3/2009 (ehem. EE-Brief) 16. Jg.
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Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen
Malika Abdulvakabova, belegt (vgl. S. 7-9). Aus ihrer Sicht haben sich die Bedingungen
für tschetschenische und andere Flüchtlinge deutlich verbessert, wenn etwa alle
BundesgrenzschutzpolizistInnen heute in Umgang und Verständnis anderer, speziell
tschetschenischer Kultur von Ocalenie geschult werden. Das Ansehen, die Kompetenz
der NGO wie der Caritas sind gewachsen.
Ebenfalls bestätigt wird die positive Entwicklung durch das 2008 neu eröffnete
Gewahrsamszentrum in Biala Podlaska, das zwar als ein Vorzeigeobjekt gilt. Dennoch
werden wir in Gesprächen immer wieder darauf hingewiesen, dass Standards und
Ausstattung mit älteren Einrichtungen in Polen durchaus (!) vergleichbar seien. Wir
waren beeindruckt etwa vom mehrsprachigem Personal (russisch, englisch, polnisch),
von einer zum Team zählenden Psychologin für das geschlossene Zentrum oder von
mehrsprachigen Hinweisen zu Asylanträgen. Ein Infoflyer ist auf der Internetseite des
Grenzschutzes veröffentlicht.
Die Rechtsberaterin von der Caritas konnte sich nicht vorstellen, dass die rechtliche,
medizinische und psychologische Versorgung von Flüchtlingen in Polen schlechter sein
soll als in Deutschland (vgl. S. 13) Die medizinische Versorgung für Flüchtlinge
entspricht dem durchschnittlichen Versorgungsstandard der polnischen Bevölkerung.
Gleiches gilt für soziale Unterstützung mittels einer „Nothilfe“ von 80 Sloty, die ebenfalls
dem Durchschnitt der Bevölkerung entspricht. Es gibt keine Form von Arbeitslosengeld.
Die Nothilfen sind nicht mit ALG II vergleichbar.
Die Bewertung ist aus unserer Sicht ambivalent. Die ökonomische Situation in Polen
funktioniert anders als in Deutschland. An sich sind Flüchtlinge nicht schlechter gestellt,
dennoch reichen die staatlichen Hilfen nicht aus, um selbstständig leben zu können.
Damit stellen sich für uns Fragen an das allgemeine Sozialsystem. Was geschieht mit all
denen, die nicht stark und fit genug sind, um nach der Entlassung in die
Selbstständigkeit Wohnung und Arbeit zu finden?
Katarzyna Matjusek erklärt, dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt für
tschetschenische Flüchtlinge schwierig sei (vgl S. 13) An der Ostgrenze ist es besonders
schwer, Arbeit zu finden. Das erklärt, warum sich manche Flüchtlinge mehr Chancen auf
dem Arbeitsmarkt in Deutschland ausrechnen. Auch der Anreiz sozialer Hilfe nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz von 184,07 € (Sachleistung) und 40,90 € (Barbetrag)7
scheint in ökonomischer Hinsicht mehr Anreiz zu geben, um Geld an die
zurückgelassenen Familien zu schicken.
Problematisch ist die Tatsache, dass viele Flüchtlinge Polen lediglich als Transitland
betrachten. Das erschwert die tatsächliche Integration sehr oder macht diese sogar
unmöglich (vgl. S.13).
Positiv sehen wir, dass anerkannten Flüchtlingen in Polen mehr Eigenverantwortung
zugestanden wird. Gleichzeitig hinterfragen wir unser eigenes Ausländerrecht, das
Menschen oft über Jahre nur duldet und den Zugang zum Arbeitsmarkt beschränkt und
damit in staatlicher Abhängigkeit hält und in Folge entmündigt. Lösungen werden
oftmals von Beratungsstellen erwartet, da die Betroffenen es eigenständig nicht schaffen
7
Grundleistungen nach § 3 AsylbLG
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können. Kritisch muss gefragt werden, ob dies nicht dazu führt, dass Deutschland gerade
für Menschen zum Zielland wird, die es woanders nicht schaffen.
Übereinstimmend und unerwartet äußern sich alle Gesprächsteilnehmenden
dahingehend, dass die Zahl der per Dublin II Zurückgeschobenen keine so große Rolle
spiele, dass Polen damit überfordert wäre. Ihrer Meinung nach stellt auch die derzeitige
Gesamtzahl der Flüchtlinge keine Überforderung dar (vgl. S. 13). Wir fragen, ob darin
der Grund liegt, dass Zurückschiebungen nicht abgelehnt werden. Der Leiter des
Aufnahmezentrums für Flüchtlinge in Biala Podlaska, Norbert Falik, erwidert: „Polen ist
doch ein reiches Land“. Er sieht darin einen selbstbewussten Beitrag Polens im Rahmen
seiner Verpflichtungen innerhalb der EU.
Bei aller Verschiedenheit des polnischen Asyl- und Ausländerrechts sehen wir es doch
als problematisch an, dass geschwächte oder bedürftige Flüchtlinge keine Chance haben,
ihr Leben auf eigene Fuße zu stellen. In der Folge unzureichender humanitärer
Lebenshilfe drohen etwa ältere Menschen, psychisch oder physisch Beeinträchtigte oder
kinderreiche Familien nach der Entlassung in die Eigenständigkeit auf der Straße oder
in der Obdachlosigkeit zu landen. Hier sehen wir ein dringendes, humanitäres und
originäres Handlungsfeld für die Kirche in Polen.
Insbesondere mit Blick auf die psychologische Behandlung Posttraumatischer
Belastungsstörungen (PTBS) von Asylsuchenden belegen Therapie-Erfahrungen, dass
diese oder andere Formen von Traumatisierungen erst dann therapeutisch behandelt
werden können, wenn die Existenz gesichert ist. Zudem lässt sich ein Trauma nicht
innerhalb der Dauer eines Integrationsjahres behandeln. Tiefer greifende Therapien
gehen über längere Zeiträume und sind nur muttersprachlich effektiv.
Ganz besonders hervorzuheben sind die freundliche und sehr offene
Gesprächsatmosphäre, die wir in Polen erfuhren. In allen Einrichtungen, die wir
besuchten, nahmen auch die jeweiligen Leitungen aktiv an den Gesprächen teil. Nahezu
alle Gesprächspartner waren jung, gut ausgebildet und überdurchschnittlich motiviert
und beherrschten mehrere Fremdsprachen. Vorbehalte uns gegenüber konnten wir
nicht feststellen. Das Interesse an der Flüchtlingsarbeit in Berlin war sehr groß.
Dringenden Handlungsbedarf sehen wir im Bereich Fremdenfeindlichkeit, humanitäre
Hilfe und Integration. Unserer Ansicht nach ist hier das der Kirche erforderlich. Sie
könnte helfen, die Augen für die Not von Flüchtlingen zu öffnen und die Integration
fremder Kulturen zu fördern.
Im Fazit bleibt zu sagen, dass wir als Diözesanrat den Blick über den Zaun gewagt haben.
Wir wollten hören, wie schlecht es läuft und mussten unsere bisherigen Vorurteile
revidieren. Der positive Gesamteindruck wurde durch die Kompetenz unserer
GesprächspartnerInnen unterstrichen, die u.E. keinen Anlass hatten, Situationen zu
beschönigen oder ein Eigeninteresse zu verfolgen. Wir danken allen, die mit viel
Engagement uns Rede und Antwort standen! Von polnischer Seite erlebten wir die
Begegnungen „auf Augenhöhe“, wofür wir ebenfalls danken.
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Dokumentation der Informationsbesuche nach Polen
11. Handlungsempfehlungen
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Information bzw. Weitergabe der Erfahrungen und Eindrücke an Gruppen
und Organisationen (Berlin und bundesweit), die sich mit dem Thema „Dublin
II“ beschäftigen.
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Vor allem im Hinblick auf die kirchliche Situation in Polen erscheint es
wichtig, örtliche Kirchengemeinden, Pfarrer und Bischöfe stärker für die
Themen Flucht und Asyl zu sensibilisieren und sie dadurch zu motivieren, im
Einzelfall humanitäre Unterstützung anzubieten sowie anwaltschaftlich für
Flüchtlinge und Migranten einzutreten. Hierzu ist es notwendig, das Gespräch
mit Kirchenleitungen und Bischöfe zu suchen und diese hierbei um ihre
Mithilfe zu bitten.
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Um einen Austausch zu ermöglichen, wäre eine baldige Gegeneinladung zu
begrüßen. Sinnvoll wäre ein regelmäßiger, mindestens jährlicher
Erfahrungsaustausch. Denkbar wäre etwa auch ein Austauschprogramm für
Mitarbeitende und Ehrenamtliche der beteiligten Organisationen (evt. mit
Unterstützung der Caritasverbände).
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Im Hinblick auf die Praxis des Selbsteintritts in Dublin-II-Verfahren könnten
humanitäre Aspekte im Gespräch mit dem BAMF dargelegt werden.
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Im Hinblick auf die Situation von minderjährigen, alleinstehenden
Flüchtlingen wäre eine Kontaktaufnahme mit dem Kinderheim Nr. 9 in
Warschau sinnvoll.
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