Fragwürdiges beim Millikan-Versuch
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Fragwürdiges beim Millikan-Versuch
| PH YS I K G E S T E R N U N D H EU T E | Fragwürdiges beim Millikan-Versuch Robert A. Millikan erhielt 1923 als erster amerikanischer Physiker den Nobelpreis für Physik. Geehrt wurde er für seine Präzisionsmessungen zum Photoeffekt und zur experimentellen Bestimmung der elektrischen Elementarladung. Millikans Experimente zur Elementarladung sind auch heute noch ein Standardthema im schulischen Physikunterricht, gleichzeitig werfen sie aber eine Reihe von wissenschaftstheoretischen und ethisch relevanten Fragen auf. ABB. 1 | M I L L I K A N -V E R S U C H Skizze des historischen Versuchs zur Bestimmung der Elementarladung. Millikan schrieb in seinen Veröffentlichungen, dass er mit der von ihm entwickelten Apparatur in der Lage sei, sehr kleine elektrische Ladungen quantitativ zu bestimmen. Dabei würden sich die Werte um ganzzahlige Vielfache eines Wertes häufen, Zwischenwerte träten nicht auf. Diesen kleinsten Wert nahm Millikan als Elementarladung an, die zugleich der Ladung des Elektrons entsprach. In seinen Experimenten sprühte er eine Ölwolke mittels eines Parfumzerstäubers in eine Kammer ein. Darin konnte zwischen Deckel und Boden eine Spannung angelegt werden, so dass diese als Plattenkondensator fungierten. Im elektrischen Feld verteilte sich die Ölwolke, so dass einzelne Tröpfchen beobachtbar wurden. Hierzu beleuchtete Millikan sie seitlich und beobachtete das Streulicht mit einem Mikroskop. In einem ersten Schritt stellte er die Spannung so ein, dass eines der Tröpfchen schwebte. Dann schaltete er die Spannung ab und bestimmte die Sinkgeschwindigkeit des Tröpfchens. Mit dem Stokeschen Reibungsgesetz ließ sich die Masse des Öltröpfchens bestimmen und somit aus dem ersten Teilversuch die absolute Ladung des Tröpfchens ermitteln. Aus physikalischer Sicht ist dieses Ergebnis akzeptiert, dessen Entstehung ist aber mittlerweile umstritten. Die erste Kritik resultierte aus der Analyse von Millikans Laborbüchern durch den amerikanischen Historiker Allan Franklin. Er fand heraus, dass Millikan – entgegen der Behauptung in seiner entscheidenden Veröffentlichung – nicht alle Messwerte veröffentlicht hatte. Insbesondere hatte er Messdaten weggelassen, die nicht ganzzahlige Vielfache der Elementarladung ergaben – also dem eigentlichen Ergebnis widersprachen. Gerade diese Aussage bildete aber ein starkes Argument Millikans gegen die Existenz von „Subelektronen“, die der Wiener Physikprofessor Felix Ehrenhaft nachgewiesen haben © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim M AG A Z I N wollte (darüber mehr in der nächsten Folge). Andererseits lässt sich argumentieren, dass das Verwerfen fragwürdiger Werte durchaus Teil wissenschaftlicher Praxis sei. So besteht bei Millikans Experiment beispielsweise ein Problem darin, dass die Tiefenschärfe des Beobachtungsmikroskops nur sehr klein ist. Insofern kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich ein Tröpfchen nach hinten aus der Ebene hinaus- und gleichzeitig ein zweites in die Ebene hineinbewegt. Wahrgenommen wird aber nur, dass der Lichtpunkt unschärfer und anschließend wieder schärfer wird. Dies lässt sich auch damit erklären, dass sich das Teilchen leicht nach hinten und dann wieder in die Ebene zurückbewegt hat. Eine völlig andere Kritik an Millikans Arbeit warf der Physiker Harvey Fletcher auf, der bei diesen Experimenten mitgewirkt hat. Millikan experimentierte zunächst nicht mit Öl-, sondern mit Wassertröpfchen. Diese verdunsteten aber rasch, wodurch die Messungen sehr ungenau wurden. Nach Fletchers Darstellung war er es, der im Experiment die entscheidende Veränderung umsetzte und erstmals Öl verwendete. Danach wäre er also der ursprüngliche Entwickler des mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Experiments, zumindest aber ein wesentlicher Helfer gewesen. Diese Darstellung der Entwicklung des Experiments wurde auf Fletchers eigenen Wunsch aber erst nach seinem Tod veröffentlicht. Literatur A. Franklin, The neglect of experiment, Cambridge University Press, 1986. R. A. Millikan, Das Elektron, Vieweg & Sohn, Braunschweig 1922. Internet www.its.caltech.edu/~dg/MillikanII.pdf www.snow.edu/~larrys/PHSX222L/ PHSX222LFletcher/ www.phiuz.de Peter Heering, Uni Augsburg 5/2006 (37) | Phys. Unserer Zeit | 227