Frauenarzt 9-2009 Wahlleistungen und Umsatzsteuer

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Frauenarzt 9-2009 Wahlleistungen und Umsatzsteuer
ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht.
Wahlleistungen
und Umsatzsteuer
Thomas Ketteler-Eising, Rolf Michels
Das Thema Umsatzsteuer führt bei Ärzten immer wieder zu
Diskussionen mit den Finanzämtern und birgt damit finanzielle Risiken. Aktuelles Beispiel hierfür waren die ärztlichen Leistungen zur Empfängnisverhütung, bei denen lange streitig war,
ob diese umsatzsteuerfrei sind oder nicht. Auch wenn diese
Leistungen durch Bemühungen des BVF und anderer nunmehr
vom Bundesfinanzministerium als umsatzsteuerfrei anerkannt
wurden, sorgen gerade Wahlleistungen, weil sie nicht von der
gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, weiter für
Unsicherheit. Wichtig sind daher gewisse umsatzsteuerliche
Grundkenntnisse, um auf eine mögliche Auseinandersetzung
mit dem Finanzamt vorbereitet zu sein.
Durch das Betreiben einer freiberuflichen gynäkologischen Praxis wird
der Arzt bzw. die Berufsausübungsgemeinschaft oder das MVZ umsatzsteuerlich zu einem Unternehmer.
Unternehmer ist, wer eine berufliche
Tätigkeit selbstständig ausübt, um
damit Einnahmen zu erzielen, egal ob
die Tätigkeit freiberuflich oder gewerblich ist. Damit unterliegen die
Leistungen einer gynäkologischen
Praxis grundsätzlich der Umsatzsteuer von zurzeit 19 Prozent.
Die Vermutung, umsatzsteuerpflichtige Leistungen könnten sich nicht
lohnen, ist unbegründet. Sind Leistungen, so z.B. Wahlleistungen, umsatzsteuerpflichtig, sind aus den Einnahmen 19 Prozent Umsatzsteuer abzuführen. Von 119 Euro (Brutto-)Einnahmen bleiben dann nach Zahlung
der Umsatzsteuer von 19 Euro noch
100 Euro (Netto-)Einnahmen. Das
kann sich durchaus finanziell lohnen,
wenn die Kalkulation zeigt, dass mit
der Leistung nach Abzug aller Kosten
noch ein Gewinn erzielt wird.
Heilbehandlungen sind
umsatzsteuerfrei
Das Umsatzsteuergesetz befreit aber
Heilbehandlungen von der Umsatz-
steuer, die im Bereich der Humanmedizin im Rahmen der Ausübung
der Tätigkeit als Arzt, Hebamme oder
eines ähnlichen Heilberufs durchgeführt werden. Sinn der Umsatzsteuerbefreiung ist, den Zugang des Einzelnen zu notwendigen ärztlichen
Behandlungen durch die Reduzierung
der Kosten um die Umsatzsteuerbelastung zu erleichtern und zugleich
die Kosten für die Sozialversicherungsträger zu senken.
Die Befreiung dieser Leistungen von
der Umsatzsteuer ist jedoch an bestimmte Voraussetzungen geknüpft,
die sich zur Vereinfachung auf drei
Fragen reduzieren lassen:
1. Handelt es sich bei der erbrachten ärztlichen Leistung um eine
Leistung im Bereich der Humanmedizin, d.h. werden Menschen
behandelt?
2. Wird die Leistung von einem
Arzt, einer Hebamme oder einem
Angehörigen eines arztähnlichen
Berufes erbracht?
3. Steht bei der Leistung ein therapeutisches Ziel im Vordergrund?
Während die ersten beiden Fragen relativ leicht zu beantworten sind, gibt
meist die dritte Frage den Ausschlag,
nämlich, ob für die ärztliche Leistung
Ärztliche Leistungen im Bereich der
Humanmedizin sind von der Umsatzsteuer befreit, wenn sie zur Diagnose, Behandlung, Heilung oder
Vorbeugung von Krankheiten oder
Gesundheitsstörungen vorgenommen werden oder es sich um diesen
gleichgestellte Leistungen zum
Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung
der menschlichen Gesundheit handelt. Die Leistungen müssen sich zudem konkret auf eine (mögliche)
Krankheit oder Gesundheitsstörung
beziehen.
Als ein entscheidendes Indiz für das
therapeutische Ziel und damit für
eine Befreiung von der Umsatzsteuer sieht die Finanzverwaltung die
Kostenübernahme durch die Träger
der gesetzlichen Sozialversicherung.
Dieses Indiz fehlt bei Wahlleistungen. Dies ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Umsatzsteuerpflicht.
Die Kostenübernahme ist nur ein Indiz und keine eigene Voraussetzung,
die zwingend zu erfüllen wäre.
PRAXIS + ÖKONOMIE
STEUERN
Neben den Leistungen aus der Tätigkeit als Arzt oder Hebamme oder bei
einem nichtärztlichen Heilberuf können auch die Umsätze aus Leistungen anderer Heil- und Heilhilfsberufe (Gesundheitsfachberufe) unter die
Steuerbefreiung fallen. Umsatzsteuerlich anerkannte andere Heil- und
Heilhilfsberufe sind z.B.
n Diätassistent aufgrund des
Diätassistentengesetzes;
n auf dem Gebiet der Humanmedizin selbstständig tätige MTA aufgrund des Gesetzes über technische Assistenten der Medizin;
n Diplom-Ökotrophologe (Ernährungsberater) im Rahmen einer
medizinischen Behandlung.
Entscheidend für die Umsatzsteuerfreiheit ist die Qualifikation des Behandelnden. Letztlich muss aufgrund
des beruflichen Befähigungsnachweises belegt werden, dass die Erbringung der betreffenden Leistun-
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PRAXIS + ÖKONOMIE
gen qualitativ der Erbringung durch
einen Arzt entspricht.
Schwierig wird es in
Grenzbereichen
Bestimmte Leistungen
sind umsatzsteuerpflichtig
Nicht eindeutig geklärt ist, ob ärztliche Leistungen für eine Befreiung
von der Umsatzsteuer allgemein anerkannt sinnvoll sein müssen. Unseres Erachtens ist dies zu verneinen.
Auch Leistungen, die ohne konkreten
Verdacht und/ oder Beschwerden (im
Sinne der Kostenübernahme durch
die Krankenkassen) nicht zwingend
notwendig sind oder deren Wirksamkeit noch nicht abschließend wissenschaftlich bewiesen ist, können
von der Umsatzsteuer befreit sein.
Bestes Beispiel sind die Wahlleistungen im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen und der Schwangerschaftsvorsorge. Die meisten Früherkennungs- und Vorsorgeuntersuchungen werden trotz fehlenden
Verdachts rein prophylaktisch durchgeführt, um Sicherheit zu erlangen.
Leistungen, die nur den allgemeinen
Gesundheitszustand verbessern und
insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheiten von Gesundheitschancen erbringen, sind nicht von der
Umsatzsteuer befreit. Damit sind
Leistungen zur Prävention und
Selbsthilfe im Sinne des § 20 SGB V,
die keinen unmittelbaren Krankheitsbezug haben, wie z.B. Ernährungsberatungen oder eine Rückenschulung, trotz der meist langfristig
positiven Wirkungen auf mögliche
Folgeerkrankungen umsatzsteuerpflichtig.
Vor einigen Jahren hat die Rechtsprechung außerdem entschieden,
dass ästhetische und kosmetische
Behandlungen (z.B. medizinisch
nicht indizierte Schönheitsoperationen) nicht als Heilbehandlungsleistung anzusehen und damit umsatzsteuerpflichtig sind. Hierzu gehören auch aus ästhetischen, d.h.
nicht aus funktionellen Gründen
durchgeführte Leistungen im Bereich der Intimchirugie. Ebenso
sind z.B. Leistungen im Bereich der
Injektions-Lipolyse aus diesen
Gründen häufig umsatzsteuerpflichtig.
Wenn eine gynäkologische Praxis anderen Ärzten Geräte und Einrichtungen zur Mitbenutzung überlässt,
handelt es sich eindeutig nicht um
die ärztliche Behandlung von Menschen und damit nicht um eine Leistung im Bereich der Humanmedizin.
Die Vermietung von Geräten und Einrichtungen ist dann eine umsatzsteuerpflichtige Leistung. Gleiches
gilt z.B. für den Verkauf von medizinischen Hilfsmitteln aller Art. Die
Art von Leistungen sind häufig sogar gewerbliche Leistungen, weshalb
auch noch ein Gewerbesteuerrisiko
droht.
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Die KBV merkt bezüglich IGeL an:
„Gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten für alle Diagnosen und Behandlungen, wenn sie die
Bedingungen erfüllen, die das Gesetz
vorgibt: Sie müssen ausreichend,
zweckmäßig und wirtschaftlich sein
und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.“ Es gibt
aber durchaus eine Vielzahl von
Wahlleistungen, die nach eingehender Beratung und Aufklärung vom Patienten nachgefragt werden, das Maß
des Notwendigen jedoch überschreiten.
Z.B. handelt es sich beim Bluttest auf
Toxoplasmose zu Beginn der Schwangerschaft, sofern kein konkreter Verdacht besteht, nicht um eine Kassenleistung, sondern um eine Wahlleistung. Bei Schwangeren, die keine
schützenden Antikörper besitzen, ist
es aber bedeutsam, eine Erstinfektion
in der Zeit der Schwangerschaft zu
vermeiden. Es kann daher entscheidend sein, Erkenntnisse aus einem
entsprechenden Bluttest zu erlangen.
Weitere Beispiele sind die erweiterte
Krebsvorsorge, Erst-Trimester-Screening, HPV-Abstrich, Thin-Prep oder
der immunologische Stuhltest. Ziel
derartiger Wahlleistungen ist eindeutig auch die Diagnose möglicher Gesundheitsstörungen. Ein anderes Ziel
als das therapeutische ist nicht erkennbar. Folglich müssen diese Leistungen auch von der Umsatzsteuer
befreit sein.
Einige Leistungen erfordern in umsatzsteuerlicher Hinsicht eine äußerst differenzierte Betrachtung, so
z.B. Leistungen zur Therapie und
Prävention von Übergewicht und
Adipositas. Nur Leistungen mit eindeutiger medizinischer Indikation,
d.h. soweit der Bereich der Krankenbehandlung betroffen ist, sind umsatzsteuerfrei. Ähnliches gilt für
Gutachten. So sind z.B. Gutachten
über den Gesundheitszustand als
Grundlage für Versicherungsabschlüsse umsatzsteuerpflichtig, weil
der Vertragsabschluss im Vordergrund steht. Gutachten zur Feststellung der persönlichen Voraussetzungen für eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme sind dagegen von
der Umsatzsteuer befreit, selbst
wenn die Patientin im Ergebnis nicht
rehabilitierbar ist.
Ob die Voraussetzungen für eine Umsatzsteuerbefreiung letztlich erfüllt
sind, ist für jede einzelne Leistung
gesondert zu prüfen. Werden die Voraussetzungen z.B. für einzelne Leistungen nicht erfüllt, führt dies aber
nicht zu einer Umsatzsteuerpflicht
sämtlicher Leistungen. Die anderen
Leistungen, die die Voraussetzungen
für eine Befreiung von der Umsatzsteuer erfüllen, bleiben auch dann
weiterhin umsatzsteuerfrei. Es gibt
somit keine umsatzsteuerliche „Infektion“ der gesamten Tätigkeit einer Praxis durch vereinzelte umsatzsteuerpflichtige Tätigkeiten.
Die Nachweispflicht liegt
beim Arzt
Generell ist jede Leistung eines Unternehmers umsatzsteuerpflichtig,
wenn er sich nicht auf die Befreiung
der einzelnen Leistung von der Um-
fristig nicht mehr als jährlich 17.500
Euro betragen. Dann ist trotz der Umsatzsteuerpflicht wegen Geringfügigkeit keine Umsatzsteuer an das Finanzamt zu zahlen.
In der Praxis ist es daher notwendig,
dass Aufzeichnungen geführt werden,
die einen Nachweis gegenüber dem
Finanzamt bezüglich der notwendigen Voraussetzungen ermöglichen,
insbesondere über das therapeutische Ziel. Dies gilt im besonderen
Maße in den Grenzbereichen, z.B. im
Bereich der Intimchirugie, in denen
ähnliche Leistungen zum einen mit
medizinischer Indikation, aber auch
ohne medizinische Indikation denkbar sind. Problematisch bleibt, dass
sich der Arzt im Spannungsverhältnis zwischen ärztlicher Schweigepflicht und steuerlicher Nachweispflicht befindet.
Wenn sich die Praxis an der Schwelle
von 17.500 Euro jährlich befindet,
sollte darauf geachtet werden, die
Grenze nicht versehentlich zu überschreiten. Wird die Grenze auch nur
um 1 Euro überschritten, ist die Praxis im Folgejahr umsatzsteuerpflichtig, selbst wenn damit zu rechnen ist,
das dann die Grenze von 17.500 Euro
unterschritten wird. In diesem Fall
müsste die Praxis ein Jahr warten, bis
sie wieder als Kleinunternehmer betrachtet wird. Man sollte sich vor Augen halten: 1 Euro mehr Einnahmen
kann somit fast 2.800 Euro Umsatzsteuerbelastung auslösen.
Leistungsdifferenzierung
bei der Buchhaltung
Zur Abgrenzung der umsatzsteuerfreien und umsatzsteuerpflichtigen
Einnahmen und Ausgaben ist es notwendig, diese in der Buchhaltung zu
trennen. Speziell bei den Einnahmen
kann dies durch einen gesonderten
Rechnungsnummernkreis oder eine
Markierung auf dem Kontoauszug
bzw. im Kassenbuch erfolgen. Getrennte Bankkonten bzw. Kassenbücher sind nicht zwingend erforderlich. In jedem Fall muss aber, um
auch den Vorsteuerabzug zu ermitteln – denn Umsatzsteuer minus Vorsteuer ergibt den an das Finanzamt
zu zahlenden Steuerbetrag –, eine
getrennte buchhalterische Erfassung
über verschiedene Buchhaltungskonten durchgeführt werden.
Kleinunternehmerregelung
Das Umsatzsteuergesetz kennt die so
genannte Kleinunternehmerregelung.
Eine gynäkologische Praxis mit überwiegend umsatzsteuerfreien Heilbehandlungsleistungen ist in der Regel
Kleinunternehmer, wenn die umsatzsteuerpflichtigen Leistungen lang-
Bei Gemeinschaftspraxen ergibt sich
ein gewisses Gestaltungspotenzial,
wenn einzelne Leistungen nicht von
der Gemeinschaftspraxis, sondern von
den einzelnen Ärzten persönlich erbracht werden. Im Ergebnis lässt sich
damit die Grenze von 17.500 Euro
auf ein Vielfaches erhöhen. Hier ist
aber im Einzelfall eine Beratung
durch den Steuerberater dringend zu
empfehlen.
tern gar nicht bearbeitet, sondern
nur abgeheftet. Wenn Unsicherheiten zur Umsatzsteuerpflicht bestehen, sollte der Arzt ein Gespräch mit
dem Steuerberater suchen und erörtern, ob eine Umsatzsteuererklärung
abzugeben ist.
Aufgrund der geltenden Festsetzungsverjährung kann es auch Vorteile haben, eine Umsatzsteuererklärung abzugeben. Wird z.B. die Umsatzsteuererklärung 2008 im Jahr
2009 abgegeben, endet die Festsetzungsfrist für das Finanzamt am
31.12.2013 (2009 plus vier Jahre).
Danach tritt in der Regel die so genannte Festsetzungsverjährung ein,
und das Finanzamt kann den Umsatzsteuerbescheid nicht mehr ändern – außer beim Vorwurf der Steuerhinterziehung oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung. Wird keine
Umsatzsteuererklärung abgegeben,
verlängert sich die Festsetzungsfrist
von vier auf bis zu sechs Jahre. Entsprechend spät setzt die Verjährung
ein. Wird z.B. für das Jahr 2008 keine Umsatzsteuererklärung abgegeben, endet die Festsetzungsfrist erst
am 31.12.2015. Um also in den Genuss einer früheren Festsetzungsverjährung zu kommen, lohnt es sich
vielfach, eine Umsatzsteuererklärung
abzugeben.
PRAXIS + ÖKONOMIE
satzsteuer berufen kann. Wer die Befreiung von der Umsatzsteuer will,
muss seinen Anspruch grundsätzlich
beweisen können. Im Zweifel ist die
Leistung umsatzsteuerpflichtig.
Umsatzsteuererklärung
ja oder nein?
Jeder Unternehmer, selbst wenn er
nur umsatzsteuerfreie Leistungen
erbringt, ist gesetzlich verpflichtet,
eine jährliche Umsatzsteuererklärung abzugeben. Damit sind auch
gynäkologische Praxen verpflichtet,
Umsatzsteuererklärungen beim Finanzamt einzureichen. Wer dies
nicht befolgt, muss in der Regel
aber nicht mit Sanktionen rechnen,
wenn ausschließlich umsatzsteuerfreie ärztliche Heilbehandlungsleistungen bzw. nur geringfügige umsatzsteuerpflichtige Leistungen im
Rahmen der Kleinunternehmerregelung erbracht werden. Steuererklärungen mit einer Umsatzsteuer von
0 Euro werden häufig bei Finanzäm-
Für die Autoren
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Laufenberg Dr. Michels
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