CLOPIDOGREL-LOADINGDOSE BEI PCI IM RAHMEN DES

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CLOPIDOGREL-LOADINGDOSE BEI PCI IM RAHMEN DES
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a r z n e i - t e l e g r a m m® 2009; Jg. 40, Nr. 4
CLOPIDOGREL-LOADINGDOSE BEI PCI
IM RAHMEN DES AKUTEN KORONARSYNDROMS
Mit der Aufsättigungsdosis soll die verzögert einsetzende
plättchenhemmende Wirkung von Clopidogrel kompensiert
werden. Die Loadingdose beträgt üblicherweise 300 mg, bei
dringlicher Indikation für eine PCI werden in manchen
Leitlinien inzwischen auch 600 mg empfohlen.2,3,5,6 In diesen Situationen soll die Aufsättigungsdosis zudem so rasch
wie möglich eingenommen werden. Auch Leitlinien, die eine routinemäßige Behandlung vor der diagnostischen Angiographie nicht vorsehen – um ein erhöhtes Blutungsrisiko
bei Patienten zu vermeiden, deren Erkrankung für eine PCI
ungeeignet ist und die statt dessen operativ behandelt werden müssen – empfehlen die Einnahme der Loadingdose
noch vor der PCI.1,4 Dass in diesen Situationen eine sofortige Bypassoperation erforderlich wird, gilt jedoch als selten.
In anderen Leitlinien wird daher für die dringliche PCI beim
akuten Koronarsyndrom mit oder ohne ST-Hebung die frühest mögliche Einnahme der Aufsättigungsdosis empfohlen.2,3,5,7 Der Nutzen der Vorbehandlung mit Clopidogrel ist
durch mehrere PCI-Studien dokumentiert.13-15
Bei 99% der Studienteilnehmer wird eine PCI durchgeführt, 94% erhalten Stents, 47% beschichtete Stents. 99% nehmen ASS ein, bei nahezu allen wird Heparin oder ein anderes
Antikoagulans, bei 55% ein Glykoproteinblocker verwendet.
26% nehmen die Aufsättigungsdosis des Thienopyridins vor
der PCI ein, die übrigen zu einem späteren Zeitpunkt. Auch in
der Subgruppe der Herzinfarktpatienten mit primärer PCI
werden nur 31% vorbehandelt.11,16
Im medianen Studienverlauf von 14,5 Monaten erleiden
unter Prasugrel 643 der Patienten (9,4%) ein Ereignis des primären Endpunkts im Vergleich zu 781 (11,5%) unter Clopidogrel (Hazard ratio [HR] 0,81; 95% CI 0,73-0,90; Number
needed to treat [NNT] = 48). Signifikant vermindert werden
nur nichttödliche Herzinfarkte (7% vs. 9,1%; NNT = 48), die
kardiovaskuläre Sterblichkeit (2% vs. 2,2%) und die Schlaganfallrate (jeweils 0,9%) unterscheiden sich nicht. Auch die Gesamtsterblichkeit ist gleich (2,8% vs. 2,9%).11
Die Komplikationen konzentrieren sich erwartungsgemäß
zu Studienbeginn: 23% aller Ereignisse des primären Endpunkts treten in der ersten Stunde auf, 45% am ersten Tag
und 54% in der ersten Woche.17 Auch der Vorteil von Prasugrel wird hauptsächlich in den ersten 30 Tagen erzielt. In der
durch stratifizierte Randomisierung gebildeten Subgruppe der
Patienten mit ST-Hebungsinfarkt ist die Differenz zu Clopidogrel bei Studienende etwas geringer als nach 30 Tagen. Bei den
übrigen nimmt sie im Studienverlauf noch etwas zu.16,17 Nach
einer bisher nicht vollständig publizierten explorativen Analyse, in der die ersten 30 Tage und der Verlauf danach getrennt
betrachtet werden, ist der Zusatznutzen von Prasugrel jenseits
der ersten 30 Tage nicht mehr signifikant.18 Die Subgruppe
der mindestens 75 Jahre alten Patienten scheint nicht von Prasugrel zu profitieren (primärer Endpunkt bei 16% vs. 17%),
bei den Patienten mit transitorischer ischämischer Attacke
(TIA) oder Schlaganfall in der Vorgeschichte schneidet Prasugrel tendenziell schlechter ab (19,1% vs. 14,1%). Ihr Schlaganfallrisiko steigt signifikant (6,5% vs. 1,2%; Number needed to
harm [NNH] = 19).10 Bei Schlaganfall oder TIA in der Vorgeschichte ist Prasugrel kontraindiziert.8
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Blutungen aller
Schweregrade nehmen in der Zulassungsstudie unter Prasugrel
signifikant zu: schwerwiegende insgesamt von 1,7% auf 2,2%
(NNH = 200), lebensbedrohliche von 0,8% auf 1,3% (NNH =
200) und tödliche von 0,1% auf 0,3% (NNH = 500). Auch bei
den Patienten, bei denen schließlich ein koronarer Bypass gelegt wird (3,2% der Gesamtgruppe), sind schwerwiegende Blutungen unter der Neuerung signifikant häufiger (11,3% vs.
3,6%; NNH = 14). Tödliche Blutungen (0,9%) kommen hier
nur unter Prasugrel vor. In der Subgruppe der mindestens 75Jährigen ist das Risiko tödlicher Blutungen (1% vs. 0,1% unter
Clopidogrel) ebenfalls deutlich erhöht.10 Nach einer explorativen Analyse scheinen schwerwiegende Blutungen unter Prasugrel in den ersten 30 Tagen numerisch, im Zeitraum danach
signifikant zuzunehmen.18
Nach Post-hoc-Auswertungen der US-amerikanischen
Arzneimittelbehörde FDA wird in der Zulassungsstudie unter
Prasugrel – bei Ausschluss von nichtmelanotischem Hautkrebs – eine Zunahme neu diagnostizierter Malignome beobachtet (1,3% vs. 1,0%), die sich, anders als der Anbieter es sehen will, nicht durch verstärkte Diagnostik wegen häufigerer
Blutungen unter der Neuerung erklärt. Die Inzidenzkurven
trennen sich jenseits des vierten Studienmonats. Die Differenz
nimmt dann fortlaufend zu. Auch die Sterblichkeit an neu diagnostiziertem Krebs ist unter Prasugrel höher (0,4% vs. 0,3%).
Eine Erklärung hierfür gibt es nicht. Diskutiert wird neben der
Möglichkeit eines Zufallsbefundes ein stimulierender Effekt
auf die Tumorausbreitung. In vier großen plazebokontrollierten Studien mit Clopidogrel und insgesamt knapp 50.000 Teilnehmern findet sich kein entsprechendes Signal. Während die
hiesige Prasugrel-Fachinformation8 das Risikosignal mit keinem Wort erwähnt, fordern FDA-Reviewer für den Fall der
Zulassung einen entsprechenden Warnhinweis. Gefordert
wird zudem, die Frage der Tumorstimulierung in einer weiteren randomisierten Studie mit Prasugrel bei medikamentös
behandeltem akuten Koronarsyndrom mit zu prüfen.10
NUTZEN-SCHADEN-BILANZ ZU GUNSTEN VON
PRASUGREL? Bei akutem, durch PCI versorgtem Koronar-
syndrom würden durch Prasugrel im Vergleich zu Clopidogrel
nach der TRITON-TIMI-38-Studie pro 1.000 Patienten
21 nichttödliche Herzinfarkte
verhindert.
Dafür wären pro 1.000 Patienten
2 tödliche Blutungen,
3 nichttödliche schwerwiegende Blutungen (intrakranielle
oder Hb-Abfall ≥ 5 g/dl) sowie
5 weitere nichttödliche Blutungen (Hb-Abfall ≥ 3 g/dl,
aber < 5 g/dl)
in Kauf zu nehmen, möglicherweise auch
3 neue maligne Tumoren.
Unbeeinflusst blieben Sterblichkeit und Schlaganfallrate.
Diese Bilanz lässt allerdings den zeitlichen Verlauf unberücksichtigt. Während der Nutzen überwiegend in den ersten
Studientagen und -wochen dokumentiert ist, halten die Risiken unter der Langzeiteinnahme an oder nehmen sogar zu.
Den Daten der TRITON-TIMI-38-Studie lässt sich ein optimaler Behandlungszeitraum nicht entnehmen. Sie wurde, wie
zuvor schon eine entsprechende plazebokontrollierte Studie
mit Clopidogrel,13,19 nicht auf die Ermittlung einer für die Patienten optimalen, sondern als Zulassungsgrundlage für eine
möglichst lange Akuttherapie angelegt.
Offen bleibt zudem, inwieweit der Vorteil von Prasugrel
darauf beruht, dass die Kontrollgruppe nicht standardgemäß
therapiert wurde. Der Nutzen einer Vorbehandlung mit Clopidogrel bei PCI im Rahmen eines akuten Koronarsyndroms13,14 war vor Beginn der TRITON-TIMI-38-Studie bekannt. Durch den zeitlichen Rahmen für die Einnahme der
Aufsättigungsdosis, wie er im TRITON-Protokoll vorgegeben
war, wurde eine Unterversorgung der Clopidogrelgruppe offensichtlich einkalkuliert: Es ist sonst nicht nachvollziehbar,
warum die Loadingdose bis eine Stunde nach Verlassen des
Katheterlabors eingenommen werden konnte. Die Rechnung
scheint aufgegangen zu sein: Nach einem Dia (siehe Seite 36),
das einer der Studienleiter 2007 auf einer Fortbildungsveranstaltung präsentiert hat,20* scheint sich nur bei denjenigen
*
Das Dia wurde uns von einem Kritiker der TRITON-TIMI-38-Studie überlassen,20 der es selbst für einen Vortrag während der öffentlichen FDA-Anhörung zu Prasugrel verwendet hat.21 Der Kritiker hat Interessenkonflikte: Er ist
Mitinhaber eines US-Patents für Prasugrel und hat dafür eine Abfindung erhalten, er hat Fördergelder von Lilly und Sanofi erhalten und Beraterhonorare
von Sanofi.21,22
vor

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