Punitive damages: Vom "fremden Fötzel" zum

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Punitive damages: Vom "fremden Fötzel" zum
Punitive damages: Vom "fremden Fötzel" zum
"Miteidgenoss"?
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FELIX DASSER
(Publiziert in Schweizerische Juristen-Zeitung 96 (2000) 101-111)
US-amerikanische punitive damages (Strafschadenersatz) erfreuen sich zunehmender Beachtung durch Journalisten und Juristen, wenn auch meist nur geringer
Wertschätzung. Der Autor untersucht die neueren Entwicklungen und wirft einen
kritischen Blick auf die Haltung des schweizerischen Rechts, die komplexer ist, als
gemeinhin angenommen wird.
1.
"Recht oder Lotterie?"
Unter diesem Titel erschien kürzlich ein Bericht in der NZZ über das Urteil eines Ge2
schworenengerichts (jury) in Kalifornien. Kläger waren Autoinsassen, die bei einem
Auffahrunfall schwere Verbrennungen erlitten hatten, weil der Benzintank explodiert war.
Gemäss dem Bericht verurteilte die jury die Herstellerin General Motors nicht nur zur
3
Bezahlung von bereits beachtlichen USD 108 Mio. "normalem" Schadenersatz, sondern
brummte der Herstellerin auch noch USD 4,8 Milliarden (!) auf als Strafe für eine angeblich
menschenverachtende Konzeption des Fahrzeuges durch kostengün-stige, aber
gefährliche Plazierung des Benzintanks.
Wahrscheinlich haben Sie auch die Geschichte von der älteren Amerikanerin gehört, die
sich im Auto den soeben in einem McDonald's Drive-Through erstandenen Kaffee bei der
nächsten Bodenwelle brühend heiss in den Schoss geleert hat. Diese eine Tasse Kaffee
hätte McDonald's fast USD 2,9 Mio. gekostet, davon USD 2,7 Mio. als Strafschadenersatz,
wenn ein entsprechender Entscheid einer jury in New Mexico in Rechtskraft erwachsen
4
wäre.
1
Erweiterte Fassung eines im April 1999 vor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich
gehaltenen Vortrages.
2
NZZ, 12.7.99 Nr. 158, 15; vgl. auch The Economist, 17.7.99, 14.
3
In den letzten Jahrzehnten wurde es in einer zunehmenden Zahl von Gliedstaaten üblich, unter dem Titel
Schadenersatz nicht bloss zahlenmässig beweisbare finanzielle Verluste auszugleichen, sondern auch
grosszügige Entschädigungen für "pain and suffering" zuzusprechen. Der hohe Betrag von USD 108 Mio.
lässt vermuten, dass der grösste Teil solche immateriellen Schädigungen betrifft.
4
Stella Liebeck v. McDonald's. Der Richter reduzierte die von der jury zugesprochenen punitive damages
auf USD 480'000. In der Folge schlossen die Parteien einen Vergleich in unbekannter Höhe, weshalb das
Urteil nicht publiziert ist. Hinweise finden sich im Nachahmerprozess Immormino v. J & M Powers, Inc.,
d.b.a. McDonald's (Court of Common Pleas, Cuyahoga County, Ohio, 91 Ohio Misc. 2d 198; 698 N.E.2d
-2-
Auch Europäer sind manchmal Leidtragende solcher Entscheide. In Alabama klagte der
Arzt Dr. Gore BMW und deren amerikanische Vertriebsgesellschaft auf Schadenersatz
ein. Er hatte einen BMW als Neuwagen gekauft, ohne informiert zu werden, dass der
Wagen wegen Lackschäden beim Transport frisch lackiert worden war. Diese
Verkaufspraxis ist in einigen Gliedstaaten der USA, so auch in Alabama, verboten. Die jury
verurteilte die Beklagten zur Zahlung von USD 4'000 als Minderwert sowie zu punitive
damages von USD 4 Mio., indem sie offenbar die Zahl von knapp 1000 in den gesamten
USA trotz Neulackierung als Neuwagen verkauften BMW mit einem angenommenen
5
Minderwert von USD 4000 pro Fahrzeug multiplizierte.
Diese Urteile über Strafschadenersatz oder punitive damages sind nur drei neuere
Beispiele aus einer wachsenden Reihe von notorischen jury-Urteilen. Wir Europäer pflegen
sie je nach momentaner Stimmung mit überlegenem Amusement oder ahnungsvollem
Entsetzen zur Kenntnis zu nehmen und frei nach Obelix auszurufen: "Ils sont fous, ces
Américains!" Aber stimmt ein solches Pauschalurteil?
2.
Worum geht es bei den punitive damages wirklich?
a)
Das Rechtsinstitut im Überblick
Bei den punitive damages – oder exemplary damages, wie man auch sagt – geht es
gemeinhin um eine Art "Schadenersatz", der über den Ersatz des effektiven materiellen
(und je nach Jurisdiktion auch immateriellen) Schadens des Geschädigten hinausgeht und
6
eine besondere Verwerflichkeit des schädigenden Verhaltens voraussetzt. Wir kennen sie
vor allem aus dem US-amerikanischen Recht. Sie sind aber im gesamten common law
verbreitet, insbesondere in England, Kanada, Australien, Neuseeland und Indien. Die
7
Wurzeln reichen zurück bis in die Antike.
In den USA ist der Zweck meistens Abschreckung und Bestrafung. In einzelnen Fällen
oder Jurisdiktionen geht es aber auch – oder sogar nur – um Gewinnabschöpfung,
516), sowie in diversen Zeitungsartikeln (z.B. Forth Worth Star–Telegram, 19.8.1994; Wall Street Journal,
19.8.1994).
5
Dazu hinten bei Anm. 14 und 24. Weitere Hintergrundinformationen bei Andrew L. Frey / Evan M. Tager,
Supreme Court says enough is enough to punitive damages, International Commercial Litigation special
supplement December 1996 / January 1997, 61 ff.
6
Aus der (zahlreichen) Literatur: Gerald W. Boston, Punitive Damages in Tort Law, Deerfield u.a., Loseblatt,
1993-; Adrian Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz,
St. Gallen / Lachen 1998; Thomas Gabathuler, Absurdität als Methode, plädoyer, 1992, 14 ff.; Christian
Lenz , Amerikanische Punitive Damages vor dem Schweizer Richter, Zürich 1992; Linda L. Schlueter /
Kenneth R. Redden, Punitive Damages, 3.A. Charlottesville 1995; zusätzlich neu Juliana Mörsdorf-Schulte,
Funktion und Dogmatik US-amerikanischer punitive damages, Tübingen 1999; ein kurzes, aber treffendes
Stimmungsbild vermittelt Joachim Zekoll, US-amerikanisches Haftpflichtrecht – Mythos und Realität, NJW
1999, 2163 ff.
7
Vgl. die Hinweise bei Schlueter / Redden (zit. Anm. 6, 1 ff.) auf Mehrfachschadenersatz im Kodex
Hammurabi und im römischen Recht.
-3-
Entschädigung für die Kosten der Rechtsverfolgung und für weitere sonst ungedeckte
8
Schäden, um Genugtuung und anderes. So dürfen in Connecticut punitive damages
gerade nicht zur Bestrafung dienen, sondern bloss zur Entschädigung des Beklagten für
seine Prozesskosten, die nach amerikanischem Prozessrecht grundsätzlich jede Partei
9
selber trägt.
Die traditionellen punitive damages des ungeschriebenen common law werden immer
häufiger durch gesetzliche Regelungen (statutes) überlagert. Sonderfälle sind die
sogenannten double oder treble damages, also eine (mehr oder weniger) auto-matische
Verdoppelung oder Verdreifachung des Schadenersatzbetrages aufgrund besonderer
10
gesetzlicher Anordnung. Sie erfreuen sich zunehmender legislatorischer Beliebtheit und
sollen im Interesse der Allgemeinheit einen zusätzlichen Anreiz zur Rechtsverfolgung
durch die Geschädigten schaffen. Sie dienen deshalb auch nicht immer der Bestrafung,
11
sondern teilweise einer weit verstandenen Entschädigung.
Der Anwendungsbereich der punitive damages umfasst in den USA grundsätzlich alle
Fälle unerlaubter Handlungen (tort). Sie sind besonders häufig in Fallgruppen, bei denen
eine strafrechtliche Verfolgung durch allenfalls wenig interessierte Behörden als zu wenig
griffig erscheint, etwa bei geringfügigeren Vergehen (petty crime). In Ausnahmefällen kann
auch
eine
Vertragsverletzung
zu
punitive
damages
führen,
namentlich
im
Arbeitsvertragsrecht und im Versicherungsrecht bei Fällen von sogenannter fraudulent
misrepresentation,
insbesondere
wenn
provisionsbewusste
Ver-sicherungsagenten
12
irreführende Angaben über den Versicherungsschutz machen.
b)
Das aleatorische Element der US-amerikanischen juries ...
Voraussetzungen für die Zusprechung von punitive damages sind in der Regel Bös-willigkeit oder krasse Rücksichtslosigkeit des Schädigers sowie eine tatsächliche Schädigung
des Klägers. Im Übrigen hat die jury freies Ermessen. Ein Rechtsanspruch besteht nach
common law weder dem Grundsatz nach noch bezüglich der Höhe. Die Entscheide fallen
entsprechend unterschiedlich aus. Oft geht es darum, dem Schädiger eine Lektion zu
erteilen ("teach a lesson", "send a message") und sowohl ihn wie auch Dritte zu
8
9
Übersicht bei Schlueter / Redden (zit. Anm. 6), Bd. I, 21 ff. und Bd. II.
Schlueter / Redden (zit. Anm. 6), Bd. II, 358.
10
Die bekanntesten Beispiele finden sich im Kartellrecht (Clayton Act 1914, §4, 15 U.S.C. § 15(a)) und im
Bereich der Bekämpfung des organisierten Verbrechens (Racketeer Influenced and Corrupt Organizations
Act, "RICO", 1970, 18 U.S.C. § 1964(c)).
11
Vgl. Trademark Infringement Act 1946 (15 U.S.C. § 1117): "such sum ... shall constitute compensation and
not a penalty". Ähnliches gilt gemäss einzelnen Gerichtsentscheiden für andere treble damages (Schlueter
/ Redden [zit. Anm. 6], Bd. I, 23).
12
Schlueter / Redden (zit. Anm. 6), Bd. I, 381.
-4-
13
veranlassen, sich in Zukunft korrekt zu verhalten. Je grösser und hierarchischer der
Konzern, desto grösser muss nach gängiger Ansicht der Betrag werden, damit der Fall in
der Chefetage überhaupt zur Kenntnis genommen wird und Kurskorrekturen bewirken
kann. Damit haben die Geschworenen aber noch keine klare Berechnungsgrundlage. Sie
entscheiden zuweilen sehr emotional. Manchmal wird der Betrag auch gezielt in der Höhe
der vom Schädiger erzielten Gewinne angesetzt, um so den wirtschaftlichen Anreiz zu
schädigenden Handlungen zu nehmen. Dies ist allerdings einfacher gesagt als getan: Im
erwähnten Fall Gore v. BMW hat die jury zugunsten von Dr. Gore den gesamten als
illegitim betrachteten Gewinn von BMW "abgeschöpft", ohne zu berücksichtigen, dass
andere Käufer frisch lackierter Wagen dank der Publizität des ersten Urteils und der
Akquisitionstätigkeit des klägerischen Anwaltes ebenfalls auf den Geschmack kommen
und den gleichen Gewinn gleich nochmals abschöpfen könnten – was natürlich auch
14
versucht wurde.
Diese hemdsärmelige Bemessungspraxis hat in der Lehre immer wieder zu Ver-suchen
geführt, einen rationalen Bemessungsstandard zu entwickeln, namentlich auch zur
Verhinderung
übermässiger
Bestrafungen,
welche
wirtschaftlich
sinnvolle
Geschäftstätigkeiten unterbinden könnten. Nach einem bekannten Ansatz sollen die
punitive damages anhand der Wahrscheinlichkeit, dass ein schädigendes Verhalten zu
Ersatzzahlungen führt, kalkuliert werden: Je weniger der Schädiger damit rechnen muss,
dass ein Geschädigter seinen Schaden geltend macht – etwa weil viele Geschädigte nur je
einen geringen Schaden erleiden oder weil der Schädiger schwer eruierbar ist –, desto
höher muss der Betrag der punitive damages sein, damit ein wirtschaftlicher Anreiz für
15
schädigendes Verhalten fehlt.
Bei Massenprodukten wie etwa Autos kann diese
Berechnungsart durchaus zu sehr hohen Beträgen führen und rechtfertigt dogmatisch
zahlreiche der gemeinhin als exorbitant betrachteten Urteile.
c)
... und dessen praktische Bedeutung
Die wirtschaftliche Tragweite der punitive damages ist umstritten, wird aber gerade bei
Produktehaftpflichtklagen wegen der Medienwirksamkeit einiger exorbitanter Urteile von
13
In den meisten notorischen Fällen stellte die jury vorgängiges zynisches Verhalten des Schädigers fest,
das nach ihrer Ansicht mangels anderer Sanktionsmöglichkeiten nur durch eine massive Geldbusse
gestoppt werden konnte, so auch in den eingangs erwähnten Fällen General Motors und McDonald's.
14
Allein Gore's Anwalt reichte 25 weitere Klagen ein (vgl. die Liste im Entscheid BMW of North America, Inc.
v. Ira Gore, Jr., S.Ct. Ala., 19.8.1994, 646 So.2d 619, 626 Fn. 4); Nachahmerprozesse gab es auch –
allerdings ohne Erfolg – beim McDonald's-Fall (vgl. vorne Anm. 4 sowie Holowaty v. McDonald's, U.S.
District Court, D. Minnesota, 13.7.1998, 10 F.Supp.2d 1078; beide Male summary judgment ohne jury trial
zugunsten von McDonald's).
15
Vgl. A. Mitchell Polinsky / Steven Shavell, Punitive Damages: An Economic Analysis, Harvard L. Rev. 111
(1998), 869 ff.
-5-
juries gewöhnlich erheblich überschätzt. Nur sehr wenige (bei Produktehaftpflicht ungefähr
2%) der Urteile, in denen Schadenersatz zugesprochen wird, enthalten auch punitive
16
damages und dann meistens geringe Beträge von einigen zehntausend Dollar. Die noch
viel selteneren exorbitanten Urteile werden von den Instanzen nachträglich – und weit
17
weniger schlagzeilenträchtig – in aller Regel massiv reduziert. Von den verbleibenden
Problemfällen betrifft nur ein verschwindend kleiner Teil ausländische Beklagte. In der
Schweiz sind deshalb bisher nur zwei Gerichtsfälle bekannt, welche die Vollstreckung von
punitive damages-Urteilen betreffen. Nicht unterschätzt werden dürfen allerdings die juries
in einigen Südstaaten, wie McDonald's in New Mexico bestätigt erhielt. Besonders
berüchtigt ist Alabama. Dort wurden in den letzten Jahren aus historischen und
gesellschaftlichen Gründen gegenüber auswärtigen Grossunternehmen mit Genuss alle
18
Grenzen gesprengt.
d)
Die aktuelle Gegenbewegung in den USA
Exorbitante Urteile haben aber nicht nur bei uns, sondern auch in den USA etliche Stirnen
runzeln lassen. Die meisten Gliedstaaten haben deshalb in den letzten rund 15 Jahren
gesetzliche Beschränkungen eingeführt, namentlich in Form von Höchst-beträgen (zum
Beispiel dreimal den wirklichen Schaden, mindestens aber USD 250'000), strengeren
Beweisanforderungen oder verschiedenen weiteren prozessua-len Vorkehren zum Schutz
16
Eine offizielle Untersuchung von 1995 über einen Beobachtungszeitraum von 12 Monaten ergab folgende
Häufigkeiten von punitive damages: 6% aller erfolgreichen Schadenersatzklagen vor einer jury (für den
Kläger erfolgreich waren 52% der durchgeführten 12'000 jury trials). Bei der Hälfte davon betrugen die
punitive damages maximal USD 50'000. 8% lagen über USD 1 Mio. Bei Verurteilungen aufgrund von
Produktehaftpflicht betrug die Wahrscheinlichkeit von punitive damages nur 2%, bei medical malpractice
(durch Ärzte und Spitäler) 3%, dagegen 30% bei Verleumdung, 27% in arbeitsrechtlichen Prozessen und
21% bei Betrug (Dept. of Justice Report, 16.7.1995, abgedruckt bei Schlueter / Redden [zit. Anm. 6], Bd. 2,
697 ff.). Eine andere Untersuchung über die Jahre 1965 bis 1990 förderte landesweit bloss 355 Fälle von
punitive damages bei Produktehaftpflicht zutage, trotz Millionen von Klagen (Michael Rustad, Demystifying
Punitive damages in Products Liability: Testing Tort Anecdotes with Empirical Data, Iowa L. Rev. 78, 1992,
1 ff., zit. nach Mörsdorf-Schulte [zit. Anm. 6], 189). Ferner: Theodore Eisenberg et al., The Predictability of
Punitive Damages, 26 J. Leg. Studies 623 (1997); Jonathan M. Karpoff / John R. Lott, Punitive Damages:
Theory and Evidence (Publikation in Journal of Law and Economics vorgesehen). Eine soeben publizierte
Nachfolgestudie des Dept. of Justice vom 1. September 1999 zeigt im Übrigen eine Tendenz zuungunsten
von punitive-damages -Klägern: Weniger Siege und geringere punitive damages (Rückgang des
gewichteten Mittels in tort cases von USD 51'000 in 1992 auf USD 30'000 in 1996), vgl.
www.ojp.usdoj.gov/bjs/civil.htm. Diese Studie zeigt, dass Berufsrichter eher geneigt sind, dem Kläger Recht
zu geben, als juries, dafür aber niedrigere punitive damages zusprechen.
17
Im Fall Gore v. BMW wurde das Urteil der jury von USD 4 Mio. über mehrere Schritte auf zuletzt USD
50'000 reduziert (Supreme Court of Alabama, 9.5.1997, 701 So.2d 507). Zum McDonald's-Fall vgl. Anm. 4.
Man kann deshalb mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Milliarden des eingangs erwähnten GMUrteiles das weitere Verfahren nicht überstehen werden.
18
Vgl. Nina Montagu-Smith, Up, up - and away?, International Commercial Litigation, June 1997, 10 ff.
-6-
19
der Beklagten vor Willkür. Verschiedene Gliedstaaten sehen auch vor, dass ein Grossteil
der punitive damages, bis 75% oder mehr, dem Staat oder einem gemeinnützigen Fonds
20
zufällt und somit der oft kritisierte "windfall profit" des Klägers vermindert wird. Solche
Regelungen, welche den betreffenden Teil der punitive damages einer öffentlichrechtlichen
Busse annähern, sind allerdings verfassungsrechtlich umstritten und teilweise bereits
wieder aufgehoben worden. Verschiedene Reformen und Vorschläge versuchen auch das
Sonderproblem von zahlreichen parallelen Klagen gegen den gleichen Schädiger zu lösen,
etwa durch das Verbot mehrfacher Zusprechung von punitive damages für dasselbe
21
Fehlverhalten oder durch eine zwangsweise Konsolidierung aller parallelen Verfahren. In
einigen wenigen Gliedstaaten sind punitive damages im Übrigen traditionell ganz untersagt
22
oder nur aufgrund besonderer gesetzlicher Grundlage zulässig. Auf Bundesebene sind
entsprechende Bestrebungen der Republikaner bisher allerdings weitgehend am
Widerstand der einflussreichen Lobby der trial lawyers gescheitert.
23
Vor drei Jahren ist auch der U.S. Supreme Court auf diesen Zug aufgesprungen, wenn
auch erst nach längerem Zaudern. Nicht ganz zufällig ging es um einen Fall aus dem
24
einschlägig berüchtigten Alabama, nämlich um den erwähnten BMW -Fall. Nachdem
bereits der Supreme Court of Alabama das Urteil der jury von USD 4 Mio. auf USD 2 Mio.
halbiert hatte, betrachtete der U.S. Supreme Court auch diesen Betrag noch als "grossly
excessive" und deshalb als Verstoss gegen den verfassungsmässigen Grundsatz von
"due process". Er versuchte, Richtlinien für eine faire Bemessung festzusetzen. Diese
blieben allerdings sehr vage und verlangten letztlich eine Berücksichtigung zahlreicher
19
Vgl. die aktuellen Übersichten bei Mörsdorf-Schulte (zit. Anm. 6), 192 ff., und im Anhang zum Entscheid
des U.S. Supreme Court in Sachen BMW v. Gore (zit. Anm. 24).
20
Vgl. die Liste im Anhang zum Entscheid BMW of North America v. Gore, 517 U.S. 559 (1996). Im Detail
Mörsdorf-Schulte (zit. Anm. 6), 221 ff. Je nach Umständen können bis zu 100% an die öffentliche Hand
fallen, vgl. Iowa Code 1997, Section 668A.1(2)(b).
21
Dazu Mörsdorf-Schulte (zit. Anm. 6), 226 ff.
22
Louisiana, Massachusetts, Nebraska, New Hampshire und Washington. Vgl. die detaillierte Übersicht
bei Schlueter / Redden (zit. Anm. 6), Bd. II, Chapter 20.
23
Vgl. Note, "Common Sense" Legislation: The Birth of Neoclassical Tort Reform, Harvard L. Rev. 109
(1996), 1765 ff. Gewisse Beschränkungen enthalten u.a. der Civil Rights Act von 1991 bei Diskriminierung
am Arbeitsplatz (42 U.S.C. § 1981a(b)(3)) und der neue "Y2K Act" vom 20. Juli 1999 (Pub. L. No. 106-37,
Sec. 5), zugunsten kleinerer Unternehmen (u.a. Beschränkung der punitive damages auf das Dreifache
des normalen Schadenersatzes, aber höchstens USD 250'000).
24
BMW of North America, Inc. v. Gore, 517 U.S. 559 (1996); vgl. Frey / Tager (zit. Anm. 5).
-7-
25
Umstände des Einzelfalles. Seither hat der Supreme Court verschiedene weitere Urteile
26
kassiert.
e)
Konsequenz
Gesamthaft ergibt sich ein durchzogenes Bild: In den Medien nehmen punitive damages
dank immer wilderer Amokläufe vereinzelter juries zwar wachsenden Raum ein, in der
amerikanischen Realität werden aber auch solche "runaway juries" gleichzeitig
zunehmend an die Kandare genommen und gezähmt.
Unabhängig davon dürfen aber die USA und die übrigen Staaten des common law nicht
über einen Leisten geschlagen werden. In England hat das höchste Gericht, das House of
Lords, bereits 1964 in einem kühnen Entscheid in Sachen Rookes v. Barnard die punitive
damages weitgehend zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Sie sind ohne besondere
gesetzliche Grundlage nur noch gegen willkürliche Handlungen des Staates oder zur
Abschöpfung unrechtmässiger Gewinne zulässig und auch dies nur in bestimmten Fällen
27
von tort.
3.
Hannibal ante portas? – Punitive damages vor dem Schweizer
Zivilrichter
a)
Funktionale Vergleichung mit Überraschungen
Das Rechtsinstitut der punitive damages erscheint uns als fremd. Es ist unserer
Rechtsordnung aber nicht völlig unbekannt. Das schweizerische Privatrecht enthält auch
abgesehen vom nur teilweise vergleichbaren, parteiautonomen Institut der Ver-tragsstrafe
verschiedene funktionale Entsprechungen, die nicht alle geläufig sind. Zu beachten ist
allerdings, dass im common law punitive damages je nach konkreter gesetzlicher oder
gewohnheitsrechtlicher Ausgestaltung verschiedene Funktionen erfüllen, so dass eine
funktionale Vergleichung letztlich nur im Einzelfall erfolgen kann.
25
Als "guideposts" formulierte der Supreme Court drei Kriterien: Die punitive damages müssen in einem
vernünftigen ("reasonable") Verhältnis stehen zu 1. (und vor allem) der Vorwerfbarkeit des fehlbaren
Verhaltens, 2. dem effektiven Schaden und 3. den anderen zivil- und strafrechtlichen Sanktionen für solches
Verhalten.
26
OXY USA Inc. v. Continental Trend Resources, Inc., 116 S.Ct. 1843 (1996); weitere Beispiele vgl. S.Ct.
Ala. (zit. Anm. 14), Fn. 3, und bei Lothar Griessbach / David Cordero, BMW v. Gore – praktische Folgen, RIW
1998, 592 ff., 594 Fn. 20.
27
[1964] 1 All E.R. 367. Vgl. auch Cassell & Co Ltd v. Broome and Another, H.L., [1972] 1 All E.R. 801; A.B.
and Others v. South West Water Services Ltd, C.A., [1993] 2 W.L.R. 507. Die drei Kategorien von tort sind
defamation, intimidation und trespass.
-8-
(1)
Eingriffskondiktion / Geschäftsanmassung nach Art. 423 OR
Beide Rechtsinstitute dienen der Abschöpfung von Profiten aus widerrechtlichem
Verhalten, wie punitive damages in zahlreichen Fällen auch. Besonders bekannt ist die
Gewinnabschöpfung in der Höhe der üblichen Lizenzabgaben bei der Verletzung von
28
Immaterialgüterrechten (sogenannte "Lizenzanalogie"). Dabei wird eine Bereicherung des
Verletzten in Kauf genommen, da kein Nachweis erforderlich ist, dass der Verletzer das
Immaterialgüterrecht auch unter Inkaufnahme einer Vergütung genutzt hätte und damit
dem Verletzten ein Schaden entstanden ist.
(2)
Genugtuung nach Art. 47 und 49 OR.
Die traditionelle Zurückhaltung der Schweizer Gerichte bei der Zusprechung und
Bemessung der Genugtuung nimmt seit einiger Zeit ab, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Monetarisierung der gesellschaftlichen Werte. Dadurch nähern sich die
Beträge allmählich den in den USA für punitive damages üblichen Summen – wiederum
unter Vorbehalt der medienträchtigen Ausnahmefälle. Beide Rechtsinstitute dienen so
29
durchaus auch der materiellen Bereicherung des Geschädigten.
Die Genugtuung geht zwar im Gegensatz zu den punitive damages grundsätzlich von der
Opfer- und nicht von der Täterperspektive aus. In der Praxis wird dieser Unterschied aber
etwas relativiert. Bei der Bemessung der Genugtuung ist die Schwere des Verschuldens
des Schädigers zu berücksichtigen, obwohl der Genugtuung nach neuerer Ansicht keine
30
pönale Funktion zukommen soll.
Sowohl in der schweizerischen wie auch in der
deutschen Gerichtspraxis spielen bei der Genugtuung die Aspekte der Prävention und der
31
Sühne sogar ausdrücklich mit.
(3)
Prozessentschädigung
Unser Zivilprozessrecht sieht den Ersatz der Prozesskosten der Obsiegenden durch die
unterliegende Partei praktisch als Selbstverständlichkeit vor. In den USA wird diese
28
Christoph Nertz, Der Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung bei rechtswidriger
Benutzung fremder Immaterialgüterrechte (sog. Lizenzanalogie), Basel / Frankfurt a.M. 1995.
29
Zum Schweizer Recht vgl. Roland Brehm , Berner Kommentar, 1998, Art. 47 OR N 11.
30
BGE 112 II 133; 104 II 264; Anton Schnyder, Basler Kommentar – Obligationenrecht I, 2.A. 1996, Art. 47 N
17; Heinz Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 2.A. Zürich 1998, Rz. 495; zurückhaltend Brehm (zit.
Anm. 29), Art. 47 N 33-35.
31
Bezüglich dem "Gedanken der Prävention" explizit BGH 15.11.1994 (Caroline von Monaco), NJW 1995,
861; zu dieser Rechtsprechung: Joachim Rosengarten, Der Präventionsgedanke im deutschen Zivilrecht,
NJW 1996, 1935 ff.; Friedrich Graf von Westphalen, "Punitive damages" in US-amerikanischen
Produkthaftungsklagen und der Vorbehalt des Art. 12 EGBGB, RIW 1981, 141, 148 f. Zum Schweizer Recht
vgl. die zahlreichen Rechtsprechungs- und Literatur-Hinweise bei Brehm bezüglich einer Straffunktion der
Genugtuung (Brehm [zit. Anm. 29], Art. 47 N 36-48 und Art. 49 N 18).
-9-
Funktion teilweise durch punitive damages übernommen – in Connecticut sogar
ausschliesslich, in den übrigen Gliedstaaten grundsätzlich im Ausmass der contingency
32
fee zugunsten des klägerischen Anwalts. Diese Kosten können in den USA wegen
diverser prozessrechtlicher Besonderheiten Grössenordnungen erreichen, die hierzulande
völlig fremd sind.
(4)
Verletzerzuschlag im Immaterialgüterrecht
Im dogmatischen "Abseits" des Immaterialgüterrechts entwickelt sich unter dem
Deckmantel der Schadenspauschalierung heimlich ein sogenannter "Verletzerzu-schlag":
Namentlich wer ohne Genehmigung des Urhebers ein Werk nutzt, riskiert immer mehr,
neben der oben erwähnten üblichen Lizenzabgabe nach Art. 423 OR unter Umständen
einen pönalen Zuschlag bezahlen zu müssen. Im Recht der Verwertungsgesellschaften ist
dies bereits Alltag. So sehen einige Tarife der SUISA bei Verletzung der Urheberrechte
nicht bloss den normalen Ansatz gemäss dem Grundsatz der Lizenzanalogie vor, sondern
den zweifachen, ähnlich den amerika-nischen double damages. Ein Teil der Lehre hat
solche verdoppelte Abschöpfungen eines fiktiven Gewinnes als eine Art punitive damages
33
erkannt und aus Gründen der Prävention begrüsst. Das Bundesgericht liess zwar 1996 in
einem obiter dictum die Zulässigkeit solcher Verdoppelungen in den Tarifen wegen der
34
Ordre public-Problematik von punitive damages ausdrücklich offen; bereits ein Jahr
später genehmigte es aber double damages gemäss Ziff. 18 des Tarifes S der SUISA aus35
drücklich und ohne Bedenken.
Auch ausserhalb des Tarifrechts regt sich die Rechtsfortbildung: Vor einigen Jahren
verurteilte das Zürcher Obergericht einen Urheberrechtsverletzer nicht bloss zur Zahlung
der üblichen Lizenzsumme an die geschädigte Fotografin, sondern darüber hinaus zu
einem ausdrücklich pönalen Zuschlag von 20% aus generalpräventiven Gründen. Auf
32
Da bei Haftpflichtprozessen in der Regel zwischen 25 und 50% des zugesprochenen Schadenersatzes
als Anwaltshonorar abgehen, verbleibt dem Kläger im Ergebnis ein Schaden, ausser der zugesprochene
Schadenersatz wird künstlich "aufgebläht", zum Beispiel durch punitive damages.
33
Lucas David, Der Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, SIWR I/2, 2.A. 1998, 115 f.; ferner: Denis Barrelet
/ Willi Egloff, Das neue Urheberrecht, Bern 1994, Art. 60 N 4, Art. 62 N 13.
34
35
BGE 122 III 467.
Bundesgericht, 20. Juni 1997, sic! 1998, 38, E. 6a. Das Bundesgericht berief sich auf den erhöhten
Verwaltungsaufwand bei der Verfolgung von Verletzungen (ohne diesen zu quantifizieren) und die
Möglichkeit, entsprechende Aufwandvergütungen vertraglich zu pauschalieren. Der Vergleich mit der analog
der Konventionalstrafe behandelten Schadenspauschalierung (vgl. Gauch / Schluep / Schmid / Rey,
Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 7.A. 1998, Bd. II, Rz. 3974) hinkt aber, da bei den
relevanten Urheberrechtsverletzungen gerade kein Vertrag vorliegt. Den im früheren Entscheid von 1996
und in der Lehre teilweise diskutierten pönalen Charakter pauschalisierter Verletzerzuschläge überging
das Bundesgericht in diesem Entscheid. Vgl. auch die älteren kantonalen Entscheide über die
Durchsetzbarkeit solcher doppelter Abgaben: KG GR, 9.2.1988, SMI 1989, 74 f., und Einzelrichter ZH,
23.10.1987, SMI 1989, 74.
- 10 -
Berufung hin verneinte das Bundesgericht im erwähnten Entscheid von 1996 zwar de lege
lata die Zulässigkeit dieses Zuschlages, bestätigte aber, dass pönale Zuschläge in Lehre
36
und Rechtsprechung in der Tat teilweise anerkannt waren. Der Entscheid zeigt bei aller
(durch den Entscheid von 1997 offenbar überholten) Zurückhaltung des Bundesgerichtes
deutlich, dass punitive damages im Immaterialgüterrecht zumindest kein Tabu mehr sind,
auch wenn hinreichende gesetzliche Grundlagen im zu entscheidenden Fall fehlten.
(5)
Punitive damages im Arbeitsrecht
Die neueren Art. 336a und 337c OR sehen vor, dass das Gericht bei einer ungerechtfertigten Kündigung zusätzlich zum normalen Schadenersatz der betroffenen Partei
nach freiem Ermessen eine sogenannte "Entschädigung" zusprechen kann. Diese
"Entschädigungen" sind zusätzlich zu vollem Schadenersatz geschuldet und stellen
deshalb bewusst "Strafzahlungen für das durch die missbräuchliche Kündigung oder die
37
ungerechtfertigte Entlassung zugefügte Unrecht" dar – also punitive damages. Neben
dieser primären Funktion anerkennt das Bundesgericht in der neueren Praxis gestützt auf
die Materialien zwar auch eine gewisse Genugtuungsfunktion; am grundsätzlich pönalen
38
Charakter ändert sich dadurch aber nichts. Es geht darum, eine Lektion zu erteilen, und
damit um die gleiche Motivation wie bei klassischen punitive damages. Quantitativ ist der
Strafschadenersatz auf sechs Monatslöhne und damit in der Regel auf einige zehntausend
Franken beschränkt. Die punitive damages des common law bewegen sich aber oft in
ähnlichen Grössenordnungen, sind also auch quantitativ durchaus vergleichbar.
(6)
Punitive damages im Gleichstellungsgesetz
Gemäss Art. 5 des Gleichstellungsgesetzes von 1995 (GlG)
39
kann das Gericht bei
Diskriminierung oder sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nach freiem Ermessen
Strafschadenersatz in der Höhe von maximal drei beziehungsweise sechs Monatslöhnen
– bemessen nach dem schweizerischen Durchschnittslohn – zusprechen. Gemäss der
Botschaft geht es zwar formell um eine "Entschädigung", die aber "nicht an das Vorliegen
eines Schadens gebunden" ist, sondern offenbar an die Stelle strafrechtlicher Sanktionen
40
tritt und abschreckend wirken soll.
36
Der Gesetzgeber hat damit bewusst eine
BGE 122 III 463, E. 5c/cc.
37
BGE 123 V 5 E. 2a, bestätigt in 123 III 391 E. 3. Rehbinder bezeichnet die Entschädigung deshalb als
eigentliche "Rechtsverletzungsbusse" (Manfred Rehbinder, Basler Kommentar zum OR [zit. Anm. 30], Art.
336b N 1, Art. 337c N 3); vgl. auch Lenz (zit. Anm. 6), 99-104.
38
39
40
Vgl. BGE 123 V 5 E. 2b und 123 III 391 E. 3.
SR 151.
Botschaft vom 24.2.1993, BBl 1993 I 1248, 1299 f. mit Hinweis auf die analoge Regelung der EU.
- 11 -
strafrechtliche Funktion in ein privatrechtliches Kleid gesteckt zur Entlastung der
Strafverfolgungsbehörden. Sowohl in der Form wie in der Funktion entspricht der
Strafschadenersatz von Art. 5 GlG deshalb den US-amerikanischen punitive damages.
Anders als bei Art. 336a und 337c OR ist bei Art. 5 GlG auch eine allfällige Genugtuung
ausdrücklich separat geschuldet; die "Entschädigung" hat also ausschliesslich pönale
41
Funktion.
(7)
Konsequenz
Wir sehen daraus, dass auch bei uns in zunehmendem Masse sogar bewusst zum Mittel
des Strafschadenersatzes gegriffen wird. Hier ist offensichtlich seit einiger Zeit ein grundlegendes Umdenken im Gang. Gesetzgeber und Richter bedienen sich pragmatisch einer
Methodenvielfalt zur Erreichung konkreter Ziele ohne Bindung an überkommene
begriffsjuristische Distinktionen. Die funktionale Annäherung von Strafrecht und Privatrecht
weckt zwar Bedenken, da dem Privatrecht zahlreiche Vorkehren zum Schutz des
Beklagten zumindest formell fremd sind. Sie ist aber mittlerweile Realität.
Die Beispiele sind noch äusserst vereinzelt und weit verstreut. Dies ändert jedoch nichts
daran, dass funktionale Entsprechungen zu punitive damages mit gezielt präventiver
Funktion in unser Privatrecht Eingang gefunden haben. Nachdem in diesen Fällen, etwa im
Kündigungsrecht, die Zuständigkeit des Zivilrichters unbestritten ist, dürfte damit auch den
immer wieder geführten dogmatischen Diskussionen um die privatrechtliche Natur der
42
punitive damages des common law der Boden entzogen worden sein. Nachdem das
schweizerische Privatrecht Strafschadenersatz mit wesentlicher pönaler Funktion kennt,
wäre die pauschale Verweigerung der Anerkennung von punitive damages des common
law mangels privatrechtlicher Natur widersprüchlich. Man muss dabei nicht einmal die
anerkannte, wenn auch etwas schwer fassbare Sühne- und Präventionsfunktion des
Schadenersatzrechts als sol-chen mit seiner ausgeprägten Betonung der Schuldfrage
bemühen: Wenn Schadenersatz ein Verschulden des Schädigers voraussetzt, kann dies
letztlich nur mit den täterorientierten, pönalen Funktionen der Sühne und Abschreckung
43
gerechtfertigt werden.
41
Art. 5 Abs. 5 GlG. Zur Straffunktion und zur weitergehenden Praxis des EuGH, welche im Interesse einer
wirksamen Abschreckung eine nach oben offene Sanktion verlangt, vgl. Olivier Steiner, Das Verbot der
indirekten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Erwerbsleben, Basel u.a. 1999, 367 ff.
42
A.A. für Deutschland, aber in Abweichung von konstanter Lehre und höchstrichterlicher Rechtsprechung:
Mörsdorf-Schulte (zit. Anm. 6), 296 ff., aufgrund einer detaillierten, in der Würdigung aber tendenziösen
Analyse des Rechtsinstituts der punitive damages. Für eine zivilrechtliche Charakterisierung: BGE 116 II
376.
43
Dazu Bernhard Grossfeld, Die Privatstrafe. Ein Beitrag zum Schutz des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts, Frankfurt a.M. / Berlin 1961, 78-81; Holger Bentert, Das pönale Element – Ein
Fremdkörper im deutschen Zivilrecht? Zugleich ein Beitrag zur Frage der Anerkennung US-amerikanischer
- 12 -
b)
Punitive damages im schweizerischen Erkenntnisverfahren
Was bedeutet dies nun für ein schweizerisches Gericht im Erkenntnisverfahren, das
aufgrund des schweizerischen Kollisionsrechts insbesondere ein amerikanisches
Deliktsrecht anzuwenden hat? Nach der traditionellen Meinung müsste das Gericht
aufgrund des Ordre public-Vorbehaltes in Art. 17 IPRG von der Zusprechung von punitive
damages a priori absehen, namentlich wegen Verletzung des Bereicherungsverbotes und
wegen ihrer privatrechtsfremden Straffunktion.
Wie wir gesehen haben, erleiden aber sowohl das Bereicherungsverbot als auch das
Verbot der Bestrafung im schweizerischen Privatrecht zunehmend Ausnahmen. Sie
gehören deshalb nicht mehr ohne weiteres zu den unumstösslichen Grundwerten unserer
Rechtsordnung und damit zum Ordre public. Eine Rechtsordnung, die in bestimmten
Fällen bedenkenlos zum Mittel des privatrechtlichen Strafschaden-ersatzes greift, um wie
im Falle des neuen Gleichstellungsrechts die Strafverfolgungs-behörden zu entlasten,
kann nicht das identische Rechtsinstitut eines ausländischen Rechts a priori als völlig
stossend und unseren Grundwertungen zuwiderlaufend abqualifizieren, bloss weil es im
ausländischen Recht einen viel weiteren Anwendungsbereich hat und allenfalls zu
44
Exzessen führen kann.
Ohnehin sollen amerikanische punitive damages ja in vielen
Fällen dazu dienen, effektive oder erwartete Profite aus moralisch stossendem und
widerrechtlichem Verhalten abzuschöpfen. Ob der schweizerische Ordre public dazu
dienen soll, einem rücksichtslosen Schädiger einen illegitimen Gewinn zu belassen, ist
zumindest fraglich. Ist die Antwort "Nein", dann verbietet sich eine pauschale Verwerfung
von punitive damages und hat einer Einzelfallprüfung zu weichen.
Bei den klassischen punitive damages erübrigt sich aber eine Anwendung von Art. 17
IPRG ohnehin. Dieser Vorbehalt dient schon nach seinem Wortlaut bloss zur Verhinderung
stossender Ergebnisse im Einzelfall, und damit nicht zur Nichtanwendung generell45
abstrakter Normen als solchen. Der schweizerische Erkenntnisrichter kann das Ergebnis
aber selbst steuern, da er nach amerikanischem Recht bei der Anwendung und
"punitive-damages"-Urteile, Diss. Berlin 1996, 18-22; ferner Brehm (zit. Anm. 29), Art. 47 N 47; neuestens
Marita Körner, Zur Aufgabe des Haftungsrechts - Bedeutungsgewinn präventiver und punitiver Elemente,
NJW 2000, 241-246.
44
Ähnlich für das deutsche Recht nun auch Mörsdorf-Schulte (zit. Anm. 6), 34, m.w.H.; a.A. Ernst Stiefel / Rolf
Stürner, Die Vollstreckbarkeit US-amerikanischer Schadenersatzurteile exzessiver Höhe, Versicherungsrecht 38 (1987), 829, 841: "Der Verstoss gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts ist nur im
Bereich deutscher Ausnahmen zu verneinen." Stiefel / Stürner gingen allerdings bloss von der Existenz
einer einzigen Ausnahme (im Bereich des Persönlichkeitsschutzes) aus. Insofern war ihre
Schlussfolgerung berechtigt, aber mittlerweile überholt.
45
Frank Vischer, IPRG-Kommentar (Heini / Keller / Siehr / Vischer / Volken, Hrsg.), Zürich 1993, Art. 17 N
19.
- 13 -
Bemessung der punitive damages völlige Freiheit hat. Es hindert ihn also niemand daran
zu entscheiden, es seien im konkreten Einzelfall überhaupt keine oder nur sehr geringe
punitive damages angebracht. Insofern handelt es sich bei der Frage der Ordre public46
Widrigkeit von punitive damages um ein Scheinproblem.
Dagegen haben die Gerichte bei double oder treble damages regelmässig nur
beschränktes Ermessen in der Zusprechung und gar keines in der Bestimmung der Höhe.
Je nach den Umständen ist hier eine Reduktion oder gänzliche Verweigerung wegen
Verletzung des Ordre public unumgänglich. Eine reflexartige Nichtanwendung solcher
Vorschriften ist jedoch fehl am Platz. Zumindest im Arbeitsvertragsrecht und im
Gleichstellungsrecht, wo das schweizerische Recht ebenfalls bewusst punitive damages
vorsieht, müssen entsprechende amerikanische Regeln grundsätzlich angewendet
47
werden. Allenfalls ist das Quantum der Beträge einzuschränken.
Sonderfälle
sind
die
Produktehaftpflicht
und
das
Wettbewerbsrecht,
da
das
schweizerische Kollisionsrecht hier die Zusprechung weitergehender Leistungen, als nach
48
schweizerischem Recht zulässig wären, ausdrücklich untersagt. Auch dadurch werden
meines Erachtens punitive damages nicht notwendigerweise verhindert, sondern bloss
49
betragsmässig beschränkt.
Das Problem ist aber weitgehend theoretischer Natur, da
50
entsprechende Prozesse in der Praxis gar nicht stattfinden.
c)
Rechtshilfe in Zivilsachen
Eine weitere Fallgruppe sind die Rechtshilfeverfahren in Zivilsachen. Im Verhältnis zu den
USA sind hier insbesondere die beiden Haager Zustellungs- beziehungsweise
46
Vorbehalten sind Regeln über Abgaben an den Forumsstaat oder eine öffentliche Kasse (vgl. vorne bei
Anm. 20). Solche Regeln dürften wegen ihrem engen teleologischen Bezug zum prozessualen System der
juries in einem Erkenntnisverfahren in der Schweiz grundsätzlich gar nicht anwendbar sein und wären im
Übrigen wegen ihres öffentlichrechtlichen Charakters unbeachtlich (ebenso im Rahmen der Vollstreckung
die h.L. in Deutschland, vgl. Manfred Baumbach / Christoph Henkel, Anerkennung und Vollstreckung von
punitive damages -Entscheiden amerikanischer Zivilgerichte vor dem Hintergrund des Verfahrens BMW v.
Gore, RIW 1997, 727, 732; Hartwin Bungert, Rezension, RabelsZ 61 [1997], 388 ff., 393, m.w.H.).
47
Vgl. Bungert (zit. Anm. 46), 399.
48
Art. 135 Abs. 2 bzw. 137 Abs. 2 IPRG. Letztere Bestimmung richtet sich speziell gegen die treble
damages des Clayton Act.
49
Vgl. Felix Dasser, Basler Kommentar – Internationales Privatrecht (Honsell / Vogt / Schnyder, Hrsg.) Basel
1996, Art. 137 N 20 f. (noch zurückhaltend: N 22). A.A. die h.L.: Vischer, IPRG-Kommentar (zit. Anm. 45), Art.
137 N 18; Volken, IPRG-Kommentar (zit. Anm. 45), Art. 135 N 52; Lenz (zit. Anm. 6), 117-119 m.w.H. Zur
Diskussion um den analogen Art. 38 des deutschen EGBGB vgl. Mörsdorf-Schulte (zit. Anm. 6), 28 ff.
50
Zum Kartellrecht vgl. Dasser (zit. Anm. 49), Art. 137 N 2. Das Gleiche dürfte auch für das Produktehaftpflichtrecht gelten: Wenn nach schweizerischem IPR ein US-amerikanisches Produktehaftpflichtrecht
anwendbar ist, sind in aller Regel genügend Verbindungen mit dem entsprechenden Gliedstaat gegeben,
um dort einen Gerichtsstand zu begründen - und wer klagt schon in der Schweiz auf punitive damages,
wenn er es in den USA tun kann?
- 14 -
51
Beweiserhebungs-Übereinkommen von 1965 und 1970 zu beachten.
Diese beiden
Übereinkommen sehen eine Verweigerung der Rechtshilfe nur für den Fall vor, dass die
Rechtshilfe die Hoheitsrechte oder die Sicherheit des ersuchten Staates gefährden
52
würde.
Ein eigentlicher Ordre public-Vorbehalt fehlt. Rechtshilfe ist deshalb auch in
53
Verfahren zu leisten, bei denen punitive damages verhängt werden können. Dies mag auf
den ersten Blick überraschen, ist aber unbedenklich: Die Verhängung von punitive
damages ist ja, wie erwähnt, immer nur eine Möglichkeit in einem Verfahren auf normalen
Schadenersatz und erst noch statistisch äusserst selten. Verweigerung der Rechtshilfe
würde deshalb in erster Linie den allfälligen Schädiger vor der Pflicht zur Begleichung des
von ihm verursachten Schadens bewahren.
54
Entsprechend entschied auch das deutsche Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994.
Das Gericht argumentierte zu Recht, es genüge, dass nach Erlass eines Urteils dessen
Vollstreckung auf eine allfällige Ordre public-Widrigkeit überprüft werden kann. Dies gilt
gemäss einem vorgängigen Entscheid des OLG München im erwähnten Fall BMW
konsequenterweise sogar, wenn im ausländischen Verfahren bereits ein Urteil über
55
exorbitante punitive damages ergangen ist.
d)
Ausländische punitive damages-Urteile vor dem schweizerischen
Vollstreckungsrichter
Wie steht es nun mit der Vollstreckung eines ausländischen Urteils, das zugunsten einer
privaten Partei lautet? Sowohl das IPRG wie auch die gängigen einschlägigen Staats56
verträge sehen eine Ordre public-Kontrolle vor.
Allerdings ist diese Kontrolle zur
Vermeidung hinkender Urteile eingeschränkt: Nur die Vollstreckung "offensichtlich" Ordre
57
public-widriger Entscheide darf verweigert werden.
Was für den schweizeri-schen
Erkenntnisrichter gerade noch Ordre-public-widrig ist, ist für den schweize-rischen
51
52
HZÜ: SR 0.274.131; HBÜ: SR 0.274.132. In der Schweiz in Kraft seit 1.1.1995.
Vgl. Art. 13 HZÜ bzw. Art. 12 HBÜ.
53
Friedrich K. Juenger / Mathias Reimann, Zustellung von Klagen auf punitive damages nach dem Haager
Zustellungsübereinkommen, NJW 1994, 3274 f.; a.A.: Mörsdorf-Schulte (zit. Anm. 6), 300; Hanno Merkt,
Abwehr der Zustellung von "punitive damages"-Klagen: das Haager Zustellungsübereinkommen und USamerikanische Klagen auf "punitive damages", "treble damages" und "RICO treble damages ", Heidelberg
1995; Joachim Rosengarten, Punitive damages und ihre Anerkennung und Vollstreckung in der Bundes republik Deutschland, Hamburg 1994, 205.
54
NJW 1995, 649 ff. = RIW 1995, 320 ff. Dazu Heiko Morisse, Die Zustellung US-amerikanischer Punitivedamages -Klagen in Deutschland, RIW 1995, 370 ff.
55
15.7.1992, IPRax 1993, 309 f.
56
Vgl. Art. 27 Abs. 1 IPRG; Art. 27 Ziff. 1 Lugano-Übereinkommen (LugÜ, SR 0.275.11); Art. V 2 b New Yorker
Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958
(NYÜ, SR 0.277.12).
57
Vgl. Art. 27 Abs. 1 IPRG, BGE 116 II 630 E. 4a.
- 15 -
Vollstreckungsrichter durchaus vollstreckungsfähig. Zusätzlich ist das Mass der
Beziehung des konkreten Sachverhaltes zur Schweiz zu berücksichtigen: Je geringer
diese Binnenbeziehung, desto geringer der Eingriffsbedarf.
Soweit ausländische Urteile über punitive damages aufgrund der konkreten Umstände im
Ergebnis funktional der schweizerischen Rechtslage entsprechen, gelten sie grundsätzlich
als vollstreckbar. Bei einem Vollstreckungsverfahren in Basel ging es um Folgendes: Das
amerikanische Erkenntnisgericht hatte der Klägerin, gestützt auf englisches Recht, unter
anderem USD 50'000 punitive damages zugesprochen, offenbar in erster Linie zur
Abschöpfung ungerechtfertigter Gewinne der Beklagten. Das Basler Gericht kam zum
Schluss, dass im vorliegenden Fall mangels relevanter pönaler Komponente keine
offensichtliche Unvereinbarkeit mit schweizerischen Rechtsgrundsätzen, namentlich der
58
Eingriffskondiktion und der Geschäftsanmassung nach Art. 423 OR, bestand.
Bei eindeutig pönalen punitive damages gilt nach mehrheitlicher Ansicht dagegen ein
59
grundsätzlich qualitatives Kriterium, d.h. sie sind per se nicht vollstreckbar. So entschied
1982 auch ein Rechtsöffnungsrichter in Sargans, der die Vollstreckung eines texanischen
Urteils auf dreifachen Schadenersatz aufgrund bewusst falscher Angaben bei einem
Grundstückverkauf pauschal verweigerte. Er berief sich unter anderem auf die
60
Missachtung des Bereicherungsverbotes und den pönalen Charakter des Urteils.
Der deutsche Bundesgerichtshof verweigerte in einem ähnlichen Entscheid von 1992 die
Vollstreckung unter Berufung auf das Bestrafungsmonopol des Staates. Zwar handle es
sich bei punitive damages um zivilrechtliche, nicht strafrechtliche Ansprüche, zumindest
soweit sie an den Geschädigten zu zahlen sind. Entsprechende Urteile seien deshalb auf
dem Zivilweg grundsätzlich vollstreckbar. Andererseits stiess sich der Bundesgerichtshof
am übermässigen Eingriff in das Strafmonopol des Staates, der die Vollstreckung im
vorliegenden Fall Ordre public-widrig mache. Allerdings liess er ein Türchen offen mit der
Formulierung, punitive damages "von nicht unerheblicher Höhe" verstiessen gegen den
61
deutschen Ordre public.
Damit fielen genau genommen nicht (rein pönale) punitive
58
Zivilgericht BS 1.2.1989, BJM 1991, 31 ff. (das Appellationsgericht wies eine Berufung ab). Das
Bundesgericht trat auf eine weitere Berufung nicht ein, hielt aber fest, dass es sich beim punitive damages Urteil um ein Zivilurteil, nicht ein Strafurteil handelte (BGE 116 II 376).
59
Vgl. die Übersicht bei Dörig (zit. Anm. 6), 360 f.; ferner Kurt Siehr, Zur Anerkennung und Vollstreckung
ausländischer Verurteilungen zu "punitive damages", RIW 1991, 705 ff., 709; abgeschwächt je nach Ausmass der Binnenbeziehung: Lenz (zit. Anm. 6), 168 ff.
60
Zitiert bei Jens Drolshammer / Heinz Schärer, Die Verletzung des materiellen ordre public als Verweigerungsgrund bei der Vollstreckung eines US-amerikanischen "punitive damages -Urteils" (Urteilsanmerkung), SJZ 82 (1986), 309 ff.
61
BGH 4.6.1992, E. 2 und 3, NJW 1992, 3096 ff.; IPRax 1993, 310 ff.; dazu Baumbach / Henkel (zit. Anm.
46), 732.
- 16 -
damages als solche unter den Bannstrahl des Bundesgerichtshofes, sondern nur deren
Exzesse.
Angesichts der heutigen Rechtslage ist nach meiner Ansicht der qualitative,
vollstreckungsfeindliche Ansatz nicht mehr haltbar. Angemessener erscheint es, ein
punitive damages-Urteil soweit zu vollstrecken, als es quantitativ nicht Ordre public-widrig
62
ist.
Es ist dabei natürlich nicht möglich, abstrakt eine klare Linie für eine solche
Teilvollstreckung zu ziehen. Es braucht eine Prüfung des Einzelfalles nach Massgabe von
63
Angemessenheit und Verhältnismässigkeit unter Berücksichtigung der Binnenbeziehung.
Hilfsweise kann als oberste Grenze die neuere Tendenz in den USA genommen werden,
punitive damages auf den höheren Betrag von USD 250'000 oder dem Dreifachen des
64
tatsächlichen Schadens des Klägers zu begrenzen. In der Regel wird der Schweizer
Richter aber namentlich im Fall starker Binnenbeziehung tiefer gehen müssen. In Frage
kommt derzeit das Niveau grosszügig bemessener Genugtuungssummen oder das
Doppelte des arbeitsrechtlichen Strafschadenersatzes.
Eine starre Formel aufzustellen erscheint als verfrüht, da das Recht sowohl in den USA
als auch bei uns im Fluss ist. Was vor zwanzig Jahren noch unvorstellbar gewesen sein
mag – punitive damages im schweizerischen Privatrecht –, ist heute Realität. In weiteren
zehn oder zwanzig Jahren wird die Situation wiederum völlig verändert sein. Auch die
Gerichte werden sich die nötige Entscheidungsfreiheit für die Zukunft offenhalten wollen
und von allzu apodiktischen Urteilen absehen.
e)
Anfechtung von Entscheiden internationaler Schiedsgerichte in der
Schweiz
Ob internationale Schiedsgerichte an sich überhaupt berechtigt sind, punitive damages
65
zuzusprechen, ist umstritten. Die Tendenz ist aber klar in Richtung Zulässigkeit. Es ist
62
In diese Richtung bereits Berti / Schnyder, Basler Kommentar zum IPR (zit. Anm. 49), Art. 27 N 7. Zur
Zulässigkeit von Teilanerkennungen vgl. Berti / Schnyder, a.a.O., N 27; Siehr (zit. Anm. 59), 709; Lenz (zit.
Anm. 6), 177 ff. A.A.: Rosengarten (zit. Anm. 31), 201, wonach auch exorbitante punitive damages zu
vollstrecken seien, da ein quantitativer Eingriff eine unzulässige "révision au fond" darstelle (allerdings
bedeutet eine Ordre public-Kontrolle generell eine Ausnahme vom Verbot der révision au fond, vgl. Vischer
[zit. Anm. 45], Art. 17 N 24).
63
Für das deutsche Recht: Bungert (zit. Anm. 46), 399.
64
Diese Limiten werden allerdings nicht nur von den interessierten trial lawyers, sondern auch in der Lehre
als willkürlich kritisiert, vgl. Note (zit. Anm. 23), 1769.
65
Vgl. für den in der Praxis wichtigsten Fall von treble damages des amerikanischen Kartellrechts: Felix
Dasser, Neue Tendenzen im Internationalen Kartellprivatrecht der Schweiz, AJP 1996, 950, 955 ff.; Carl
Baudenbacher / Anton K. Schnyder, Die Bedeutung des EG-Kartellrechts für Schweizer Schiedsgerichte,
ZSR-Beiheft 29, Basel 1996, Rz. 208 ff.; Roger Zäch, Swiss International Arbitration – Civil Claims Arising
from Restraints of Competition Affecting Markets Outside Switzerland, in: Comparative Competition Law:
Approaching an International System of Antitrust Law (Hanns Ullrich, Hrsg.), Baden-Baden 1998, 267, 282 f.
m.w.H.; generell: U.S. Supreme Court, Mastrobuono v. Shearson Lehman Hutton, Inc. (514 U.S. 52, 1995).
- 17 -
deshalb nur eine Frage der Zeit, bis ein Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz einen
entsprechenden Entscheid erlässt und sich die Frage der Anfechtbarkeit stellt.
Nach Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG sind Schiedsentscheide vor dem schweizerischen
Bundesgericht anfechtbar, wenn sie gegen den Ordre public verstossen. Das Bundesgericht hat nach längerer Unsicherheit vor einigen Jahren grundsätzlich entschieden, es
gehe bei Art. 190 IPRG zwar dem Ursprung nach um einen schweizerischen, inhaltlich
aber um einen universellen Ordre public, der den gemeinsamen Grund-auffassungen der
66
Kulturstaaten entspricht. Damit wird eine Aufhebung praktisch verhindert, da ein solcher
universeller Ordre public als kleinster gemeinsamer Nenner notgedrungen auch die
Wertungen des common law beinhaltet und damit punitive damages zulässt: Was im
common law weithin anerkannt ist, verstösst nicht gegen grundlegende Wertungen des
common law und damit auch nicht gegen die gemein-samen Grundwerte aller
67
wesentlichen Rechtsordnungen.
4.
Schlussfolgerungen
Das angelsächsische Recht der punitive damages ist im Fluss. Vereinzelten, tendenziell
zunehmenden Exzessen von US-amerikanischen juries steht eine vermehrte Beschränkung durch Gerichte und Gesetzgeber gegenüber. Gleichzeitig haben punitive
damages punktuell auch in unser Recht Eingang gefunden. Auf gut schweizerisch
ausgedrückt: Der verfemte "fremde Fötzel" von ehedem ist auf dem besten Weg, zum
anerkannten "Miteidgenoss" zu avancieren. Wir haben hier ein unerwartetes Beispiel der
bekannten Konvergenz der Rechtssysteme.
Entsprechend ist es aus Schweizer Sicht Zeit für einen Abbau traditioneller Berührungsängste. Die punitive damages des common law sollten als Rechtsinstitut anerkannt
werden. Eine Bekämpfung der notorischen Exzesse im Einzelfall genügt und entspricht
mehr unserer derzeitigen, auf Gerechtigkeit im Einzelfall anstatt auf dogmatische
Prinzipientreue fokussierten Rechtskultur.
66
67
BGE 120 II 167 f.
Im Ergebnis ebenso Zäch (zit. Anm. 65), 285; Stephen Berti, Zur Anfechtbarkeit eines
Schiedsentscheides wegen Unvereinbarkeit mit dem Ordre public nach Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG, in:
Rechtskollisionen, Festschrift Anton Heini, Zürich 1995, 1, 9 f., und Gabrielle Kaufmann-Kohler, L'ordre
public d'envoi ou la notion d'ordre public en matière d'annulation des sentences arbitrales, SZIER 1993,
273 ff., alle drei allerdings unter Berufung auf einen m.E. fragwürdigen Ordre public "d'envoi": Es dürfte
einem Nichtjuristen schwer erklärbar sein, wes halb ein Schiedsentscheid im Anfechtungsverfahren mit
dem Gütesiegel des schweizerischen Bundesgerichtes versehen, später aber, falls er wider Erwarten doch
in der Schweiz vollstreckt werden sollte, als vollkommen stossend ignoriert werden kann (so aber Berti,
a.a.O., und Zäch [zit. Anm. 65], 286). Die Zukunft liegt m.E. nicht in zusätzlichen künstlichen Unterteilungen
des Ordre public, sondern in dessen generell zurückhaltender Anwendung.
- 18 -
Es bleibt natürlich der gewichtige Einwand, einzelne Anklänge an punitive damages in
68
unserem Recht machten die US-amerikanische Version noch lange nicht salonfähig. Nur
ist der Ordre public ein arg grobschlächtiges Schwert. Wenn die eine Hand es zum Heil
des rechtsdisziplinären Reinheitsgebotes wuchtig schwingt, während die andere Hand
genau solche verpönten punitive damages in opportunistischem Eklektizismus punktuell
einsetzt, dann entsteht ein unerträgliches Spannungsfeld. Da das Internationale Privatrecht
letztlich der Unterstützung und Durchsetzung des eigentlichen Privatrechts dient, ist der
kollisionsrechtliche Ordre public nicht als Schwert, sondern als Skalpell für gezielte
chirurgische Eingriffe zu benützen, zumindest solange der heutige Trend im Privatrecht
anhält. Dass die Rechtsanwendung nach der hier vertretenen Ansicht schwieriger wird, ist
ein Nachteil, der aus Gründen der Konsequenz wohl oder übel in Kauf zu nehmen ist.
68
So im Ergebnis Mörsdorf-Schulte (zit. Anm. 6), 298 ff.

Documents pareils