Widerruf einer Versicherungsver

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Widerruf einer Versicherungsver
NEWSLETTER SEPTEMBER 2013
Versicherungs- und Versicherungsvertriebsrecht
Versicherungsvertriebsrecht
Widerruf einer Versicherungsvermittlererlaubnis wegen Verwirkung
von Regelstraftaten
Mit Urteil vom 04.07.2013 hat das VG
Regensburg (Az. RN 5 K 12.1737) den Widerruf
einer dem Kläger gemäß § 34 d Abs. 1 GewO
erteilten Erlaubnis bestätigt. In rechtlicher Hinsicht
ist die Erlaubnis ein begünstigender Verwaltungsakt und kann als solcher auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise
mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden,
wenn die Behörde aufgrund nachträglich
eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den
Verwaltungsakt nicht zu erlassen und ohne den
Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet
würde.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt
zugrunde: Der Kläger erhielt per Bescheid vom
07.04.2011 die Erlaubnis gemäß § 34 d GewO. Im
Rahmen des Erlaubnisverfahrens wurden die
Auskünfte aus dem Führungszeugnis und
Gewerbezentralregister hinzugezogen. Einträge
zu Lasten des Vermittlers waren nicht enthalten.
Der Erlaubnisbehörde wurden jedoch Hinweise
von Dritter Seite übermittelt, wonach der Kläger
bereits wegen einschlägiger Straftaten verurteilt
worden sei. Die Nachforschungen der Erlaubnisbehörde ergaben, dass der Kläger u. a. im Jahr
2010 wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 60
Tagessätzen zu je 30,- € verurteilt wurde. Im
Berufungsverfahren vor dem Landgericht (Az. 5
Ns 40 Js 15083/10) wurde die Berufung mit Urteil
vom 03.05.2011 mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Kläger wegen
versuchten Betruges zu einer Geldstrafe von 45
Tagessätzen zu je 25,-- € verurteilt wurde. Das
Urteil wurde am gleichen Tag rechtskräftig.
Hintergrund war folgender:
Der Kläger, habe eine Versicherungsnehmerin zur
Kündigung ihrer Krankenversicherung gedrängt,
in dem er der Versicherungsnehmerin erklärt
habe, dass die Versicherungsprämie um
monatlich 60,- Euro teurer werde, weshalb sie die
Möglichkeit habe, die Versicherung zu kündigen.
Die
Versicherungsnehmerin
unterzeichnete
schließlich die vom Vermittler vorbereitete
Kündigung und der Vermittler reichte diese bei der
Gesellschaft, für die er als selbständiger
Handelsvertreter tätig war, ein. Gleichzeitig hatte
er der Versicherungsnehmerin jedoch für die
Rücknahme der Kündigung eine Provision in
Höhe von 400,- € zugesagt. Die Versicherungsnehmerin hat daraufhin auch das vom Vermittler
vorbereitete
Kündigungsrücknahmeschreiben
unterzeichnet. Wegen der Rücknahme der
Kündigung wurde dem Kläger seitens der
Gesellschaft intern eine Provision in Höhe von
1.080,39 € gutgeschrieben. An die Versicherungsnehmerin hat der Kläger 400,-- € als Provision
ausbezahlt. Zu einer Auszahlung der dem Kläger
gutgeschriebenen Provision kam es allerdings
nicht mehr. Einen Anspruch auf die Provision
habe der Kläger nicht gehabt, da er die Versicherungsnehmerin zur Kündigung gedrängt
habe. Auch sei es ihm verwehrt, einen Teil seiner
Provision an die Versicherungsnehmerin weiterzureichen.
Neben diesem versuchten Betrug wurde zudem
nach Erlaubniserteilung bekannt, dass gegen den
Vermittler ein weiteres Strafverfahren geführt
wurde, in dem er wegen Urkundenfälschung in
Tateinheit mit Betrug in zwei Fällen verurteilt
worden war. In diesem Fall hatte der Vermittler
einen fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrag ausgefüllt und als Versicherungsnehmerin
eine vermeintliche Kundin eingetragen. Der
Vermittler habe den Antrag selbst mit dem Namen
der angeblichen Kundin unterzeichnet und auch
ein vermeintliches Beratungsprotokoll hierzu
gefertigt und ebenfalls mit dem Namen der Kundin
unterzeichnet. Im Vertrauen darauf, dass
tatsächlich ein Vertrag zu Stande gekommen sei,
habe die Gesellschaft dem Vermittler eine
Provision in Höhe von rund 430 € gutgeschrieben.
Ferner habe der Vermittler darüber hinaus ein
Vertragsformular der Gesellschaft für eine
dynamische Unfallversicherung ausgefüllt, ebenfalls unterzeichnet von ihm selbst als eine
vermeintliche Kundin. Auch diesen gefälschten
Antrag habe er bei der Versicherung eingereicht,
woraufhin ihm Provisionen in Höhe von insgesamt
rund 19 € gutgeschrieben wurden.
selbst ein Schaden in Höhe von 400 € entstanden
sei, da er diesen Betrag als Provision an die
geschädigte im ersten Strafverfahren ausbezahlt
habe. Der Kläger war weiterhin der Auffassung, er
habe letztendlich nur im Interesse der
Versicherten gehandelt.
Das zuständige VG Regensburg hat die Klage
des Vermittlers als unbegründet abgewiesen. Die
Erlaubnis sei zu Recht entzogen worden. Ein
rechtmäßig begünstigender Verwaltungsakt kann
gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG
auch nachdem er unanfechtbar geworden ist,
ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft
widerrufen werden, wenn die Behörde aufgrund
nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt
wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und
ohne den Widerruf der Erlaubnis das öffentliche
Interesse gefährdet würde.
Nach Auffassung der Kammer waren diese
tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt. Dem
Kläger wäre nunmehr die Erlaubnis zur Tätigkeit
als
gewerbsmäßiger
Versicherungsvermittler
deshalb zu versagen, weil Tatsachen vorliegen,
die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger
die für den Geschäftsbetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt.
Aufgrund dieser später bekannt gewordenen
Strafverfahren gegen den Vermittler widerrief die
Erlaubnisbehörde mit Bescheid vom 15.10.2012
die
erteilte
Versicherungsvermittlererlaubnis.
Außerdem wurde der Vermittler verpflichtet, die
ihm erteilte Erlaubnisurkunde zurückzugeben. Für
den Fall der Zuwiderhandlung wurde außerdem
Zwangsgeld verhängt.
Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid
Anfechtungsklage mit der Begründung, es dürfe
bei der Entscheidung nicht außer Acht gelassen
werden, dass Verurteilungen im Sinne des § 34 d
Abs. 2 Hs. 2 GewO nur in der Regel den Schluss
auf die Unzuverlässigkeit als Versicherungsvermittlers zulassen würden. Beim Kläger jedoch
würden Besonderheiten vorliegen, die ausnahmsweise ein Abweichen von dieser Regel zulassen
würden, so dass ihm die Erlaubnis nicht entzogen
werden
dürfe.
Unter
anderem
sei
zu
berücksichtigen, dass ihm nur bedingter Vorsatz
vorgeworfen worden sei. Zudem sei der
Gesellschaft im Endergebnis kein Schaden
entstanden. Die Provisionen seien nicht an den
Kläger ausbezahlt worden. Letztlich hätte das
Ganze sogar zur Folge gehabt, dass dem Kläger
Von Unzuverlässigkeit sei besonders dann
auszugehen, wenn der Gewerbetreibende nach
dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die
Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig
ordnungsgemäß betreiben wird. Gerade die
Versicherungsvermittlung ist ein besonderes
Vertrauensgewerbe. Genau aus diesem Grund
hat
der
Gesetzgeber
Regeltatbestände
geschaffen, bei deren Vorliegen grundsätzlich von
der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden
auszugehen ist. Die erforderliche Zuverlässigkeit
besitzt danach in der Regel nicht, wer wegen
einer der in dem Tatbestand geregelten
Katalogstraftat in den letzten fünf Jahren
Vorstellung seines Erlaubnisantrags verurteilt
worden ist. Unter diesen aufgelisteten Straftaten
befinden
sich
auch
Betrug
sowie
Urkundenfälschung. Das Gericht betrachtete es
für unerheblich, dass der Kläger nach eigener
Auffassung
lediglich
im
Interesse
des
Versicherten gehandelt habe. Zwar muss ein
Vermittler die Interessen des Versicherungsnehmers im Blick haben. Allerdings gilt dies nur
im legalen Bereich. Es liegt auf der Hand, dass
die Fürsorge gegenüber dem Versicherungsnehmer keinesfalls so weit gehen kann, dass
gleichzeitig eine betrügerische Schädigung des
Versicherers gegeben wäre.
Nicht überzeugt hat das Gericht ferner das
Argument des Klägers, dass er im zweiten Strafverfahren seine Berufung nur auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt habe, weil ihm dies
seitens des Gerichts nahe gelegt worden sei.
Denn hier sei schon in der ersten Instanz
festgehalten worden, dass sich der festgestellte
Sachverhalt aus dem Geständnis des Klägers
selbst ergebe. Letztlich sei es so, dass das
Verwaltungsgericht nicht zur Aufgabe hat, den
einer strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde
liegenden Sachverhalt erneut aufzurollen. Nach
alledem bleibt es bei der Erlaubnisentziehung
zulasten des Klägers.
FAZIT
Dieses Urteil zeigt einmal mehr, dass die
Erlaubniserteilung nicht nur im Rahmen der ersten
Beantragung, sondern auch im Nachhinein
sorgfältig geprüft und auf deren Richtigkeit hin
überprüft wird. Auch im Nachhinein kann eine
einmal erteilte Erlaubnis wieder widerrufen
werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die
von Anfang an dazu geführt hätten oder jetzt dazu
führen würden, dass eine Erlaubnis gar nicht erst
erteilt wird.
Versicherungsrecht
BGH: Richtiger Erklärungsgegner bei
Änderung der Bezugsberechtigung
aus einer Gruppenunfallversicherung
In seinem Urteil vom 26.06.2013 hatte sich der
BGH (Az.: IV ZR 243/12) mit der Frage
auseinanderzusetzen, gegenüber wem die
Änderung der Bezugsberechtigung aus einer
Gruppenunfallversicherung mitzuteilen ist. Dem
lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin machte gegen die Beklagten in
einem Prätendentenstreit die Freigabe eines von
der G. Versicherung AG hinterlegten Betrages
aus einer Unfallversicherung geltend. Am
28.05.2008 verstarb infolge eines Unfalls der
Lebensgefährte der Klägerin, der von den
Beklagten, seinen Eltern, zu je 1/2 beerbt wurde.
Der Arbeitgeber des Verstorbenen hatte als
Versicherungsnehmer bei dem Versicherer im
Rahmen einer Gruppenunfallversicherung auch
für den Verstorbenen als Versicherten eine
Unfallversicherung abgeschlossen. In dem
Versicherungsschein
für
die
Gruppenunfallversicherung sind für den Todesfall als
Bezugsberechtigte die gesetzlichen Erben (hier
die Eltern des Verstorbenen) aufgeführt.
Am 10.04.2008 benannte der Verstorbene auf
einem von seinem Arbeitgeber zur Verfügung
gestellten
Formular
„Benennung
von
Bezugsberechtigten“
die
Klägerin
als
Bezugsberechtigte. Dieses Formular wurde bei
dem Arbeitgeber des Verstorbenen zu dessen
Personalakte genommen. Eine Weiterleitung an
den Versicherer vor dem Tod des Verstorbenen
unterblieb allerdings. Nachdem es zwischen den
Hinterbliebenen zu Streitigkeiten um die Rechte
aus der Unfallversicherung kam, hinterlegte der
Versicherer die Versicherungssumme. Die
Klägerin meint nun, Anspruch auf die hinterlegte
Versicherungsleistung zu haben. Landgericht und
Oberlandesgericht entschieden im Sinne der
Klägerin; auf die Revision der Beklagten hob der
BGH das Berufungsurteil aber auf und verwies die
Sache zurück.
Der BGH führt in seiner Begründung aus: Bei
Verfügungen unter Lebenden zugunsten Dritter
auf den Todesfall sei zu unterscheiden zwischen
dem Deckungsverhältnis einerseits – hier dem
Gruppenunfallversicherungsvertrag zwischen Arbeitgeber und Versicherer zugunsten des
Verstorbenen als Versichertem – und dem
Zuwendungsverhältnis (Valutaverhältnis) zwischen dem Verfügendem (Versichertem) und dem
Begünstigten
andererseits.
Beide
Rechtsverhältnisse seien schuldrechtlicher Natur;
erbrechtliche Bestimmungen fänden insoweit
keine Anwendung.
Nach Auffassung des BGH habe der verstorbene
Versicherte der Klägerin die Bezugsberechtigung
aus
der
Gruppenunfallversicherung
im
Deckungsverhältnis nicht wirksam eingeräumt.
Die von einem Verstorbenen zu Lebzeiten
begründete
Bezugsberechtigung
für
die
Todesfallleistung aus einer Unfallversicherung
verschaffe
dem
Begünstigten
im
Versicherungsfall
eine
im
Deckungsverhältnis
jedenfalls insoweit unentziehbare Rechtsstellung,
als
die
Erben
des
Versicherten
die
Bezugsberechtigung nicht mehr ändern oder
widerrufen können. Voraussetzung hierfür sei eine
wirksame Einräumung der Bezugsberechtigung
durch den Berechtigten noch zu seinen Lebzeiten.
Bei der Bestimmung der Bezugsberechtigung,
ihrem Widerruf sowie ihrer Abänderung handele
es sich um einseitige empfangsbedürftige
Willenserklärungen, die gemäß § 130 Abs. 1 BGB
erst wirksam werden, wenn sie dem Versicherer
zugegangen sind. Eine Vereinbarung über das
Bezugsrecht
lediglich
zwischen
dem
Verstorbenen als Versichertem sowie dem
Bezugsberechtigen entfalte nur schuldrechtliche
Wirkungen im Valutaverhältnis, während im
Deckungsverhältnis eine Vereinbarung zwischen
Versicherungsnehmer oder Versichertem und
Versicherer erforderlich sei.
Im vorliegenden Fall sei die maßgebliche
Vereinbarung über das Bezugsrecht nur zwischen
dem Erblasser und der Klägerin sowie dann
ergänzend durch Überlassung des Formulars
gegenüber dem Arbeitgeber erfolgt. Eine
Übersendung des Formulars an den Versicherer
wurde weder unmittelbar durch den Erblasser
noch durch dessen Arbeitgeber vor dem
Versicherungsfall
veranlasst,
sodass
die
Bezugsrechtsänderung mangels Zugangs nicht
wirksam werden konnte.
Der BGH weist allerdings darauf hin, dass eine
wirksame Begründung bzw. Änderung der
Bezugsberechtigung zugunsten der Klägerin dann
in Betracht komme, wenn der Arbeitgeber die ihm
mitgeteilte Änderung der Bezugsberechtigung mit
Wirkung für den Versicherer – nämlich als dessen
Empfangsbote oder Stellvertreter – entgegennehmen hätte können. Eine solche Befugnis des
Arbeitgebers müsste jedoch vor Eintritt des
Versicherungsfalls zwischen ihm und dem
Versicherer vereinbart worden sein, was der BGH
allerdings aufgrund des ihm vorgelegten
Sachverhalts nicht abschließend beurteilen
konnte. Insofern war die Sache daher zur
erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht
zu verweisen. Der BGH weist darüber hinaus auf
einen weiteren komplexen Fallstrick bei der
Änderung der Bezugsberechtigung hin:
Rechtlich handelt es sich bei der Begründung
bzw. Änderung der Bezugsberechtigung um eine
unentgeltliche Zuwendung eines Rechts, mithin
um
einen
Schenkungsvertrag
zwischen
Versichertem und Bezugsberechtigtem. Dessen
Wirksamkeit hängt indessen nach § 518 Abs. 1
Satz 1 BGB von der notariellen Beurkundung ab,
die hier jedoch nicht gewahrt wurde. Eine Heilung
durch Schenkungsvollzug nach Maßgabe des
§ 518 Abs. 2 BGB komme aber nicht in Betracht:
Zwar ist eine Unfallversicherung, bei der der
Versicherte hinsichtlich der Todesfallleistung eine
widerrufliche Bezugsberechtigung zu Gunsten
eines Dritten bestimmt, ab Eintritt des Todes ein
Vertrag zu Gunsten Dritter (§§ 328, 331 BGB) auf
den Todesfall. Die im Valutaverhältnis vereinbarte
Schenkung ist aber nur dann im Sinne von § 518
Abs. 2 BGB bewirkt, wenn hier der Erblasser als
Versicherter einem Dritten wirksam bereits zu
seinen Lebzeiten eine unwiderrufliche Bezugsberechtigung eingeräumt habe oder eine widerrufliche Bezugsberechtigung bis zu seinem Tod
nicht widerrufe. Eine Heilung nach § 518 Abs. 2
BGB konnte aber schon deshalb nicht eintreten,
weil der Klägerin im Deckungsverhältnis kein
wirksames Bezugsrecht eingeräumt wurde – es
fehlte gerade an der Änderung des bisherigen
Bezugsrechts für die gesetzlichen Erben
zugunsten der Klägerin durch eine dem
Versicherer noch zu Lebzeiten des Versicherten
zugegangene Willenserklärung.
FAZIT
Angesichts
der
Mehrzahl
der
Vertragsbeziehungen und der beteiligten Parteien tun sich
bei Unfall- und Lebensversicherungsverträgen,
zumal wenn es sich noch um Gruppenversicherungen
handelt,
schnell
rechtliche
Stolperfallen auf. Die angestrebten wirtschaftlichen Ziele können dabei leicht ins Hintertreffen
geraten. Bei jeder Änderung der Bezugsberechtigung ist daher darauf zu achten, dass die
Information dem Versicherer tatsächlich zugeht.
Bundesverfassungsgericht:
Versicherungsvertragliche Schweigepflichtentbindungsklauseln vs. Recht
auf informationelle Selbstbestimmung
In seiner Entscheidung vom 13.08.2013 hatte sich
das Bundesverfassungsgericht (Az.: 1 BvR
3167/08) mit einem Konflikt zwischen dem Recht
auf informationelle Selbstbestimmung und der
versicherungsvertraglichen
Obliegenheit
zur
Schweigepflichtentbindung zu befassen. Der
Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Die Beschwerdeführerin schloss mit der
Beklagten des Ausgangsverfahrens, einem
Versicherungsunternehmen, einen Vertrag über
eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Nach deren
Tarifbedingungen hatte die Versicherte bei der
Beantragung von Versicherungsleistungen u. a.
behandelnde Ärzte, Krankenhäuser und sonstige
Krankenanstalten sowie Pflegepersonen, andere
Personenversicherer
und
Behörden
zu
ermächtigen, dem Versicherungsunternehmen auf
Verlangen Auskunft zu geben.
Die Beschwerdeführerin beantragte unter Verweis
auf Berufsunfähigkeit aufgrund von Depressionen
Versicherungsleistungen. Dabei lehnte sie ab, die
auf
dem
Antragsformular der
Beklagten
abgedruckte
Schweigepflichtentbindungserklärung, die zur Einholung sachdienlicher Auskünfte
bei einem weiten Kreis von Stellen ermächtigt
hätte, abzugeben und bot stattdessen an,
Einzelermächtigungen für jedes Auskunftsersuchen zu erteilen. Daraufhin übersandte die
Beklagte der Beschwerdeführerin vorformulierte
Erklärungen zur Schweigepflichtentbindung ihrer
Krankenkasse, zweier Ärztinnen und ihrer
Rentenversicherung, die die verschiedenen
Stellen „umfassend“ zur Auskunftserteilung über
„Gesundheitsverhältnisse,
Arbeitsunfähigkeitszeiten und Behandlungsdaten“ sowie im Fall der
Rentenversicherung über die „berufliche Situation“
ermächtigen sollten. Die Beschwerdeführerin
lehnte die Unterzeichnung ab und bat um weitere
Konkretisierung der gewünschten Auskünfte. Dem
kam die Beklagte nicht nach; das Versicherungs-
unternehmen verweigerte in der Folge die
Zahlung
der
beantragten
Versicherungsleistungen. Die Klage der Beschwerdeführerin auf
Zahlung der monatlichen Rente wiesen die
Zivilgerichte ab. Der Beschwerdeführerin sei
zumutbar gewesen, die Einzelermächtigungen vor
der Unterzeichnung selbst weiter einzuschränken
oder die in den Einzelermächtigungen genannten
Unterlagen selbst zu beschaffen und der
Beklagten vorzulegen.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass
die
zivilgerichtlichen
Entscheidungen
die
Beschwerdeführerin in ihrem durch Art. 2 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht in
seiner Ausprägung als Recht der informationellen
Selbstbestimmung verletzen.
Es führt zunächst abstrakt aus: Kann in einem
Vertragsverhältnis ein Partner den Vertragsinhalt
faktisch einseitig bestimmen, ist es Aufgabe des
Rechts, auf die Wahrung der Grundrechtspositionen der beteiligten Parteien hinzuwirken.
Fehle es an rechtlichen Regelungen, obliege es
den
Gerichten
selbst,
das
Recht
auf
informationelle Selbstbestimmung durch einen
angemessenen Ausgleich mit dem Offenbarungsinteresse des Versicherungsunternehmens zu
gewährleisten. Dazu seien die gegenläufigen
Belange im Rahmen einer umfassenden Abwägung gegenüberzustellen. Das Versicherungsunternehmen müsse einerseits den Eintritt des
Versicherungsfalls prüfen können, anderseits
müsse aber auch die Übermittlung von
persönlichen
Daten
auf
das
hierfür
Erforderliche begrenzt bleiben. Allerdings ist es
dem Versicherer oft nicht möglich, im Voraus alle
Informationen zu beschreiben, auf die es für die
Überprüfung des Leistungsfalls ankommen kann.
Soweit keine gesetzlichen Regelungen zur
informationellen Selbstbestimmung greifen, könne
es zur Gewährleistung eines schonenden
Ausgleichs der verschiedenen Grundrechtspositionen geboten sein, zum Beispiel durch eine
verfahrensrechtliche Lösung im Dialog zwischen
Versichertem und Versicherer die zur Abwicklung
des Versicherungsfalls erforderlichen Daten zu
ermitteln. Die Anforderungen an diesen Dialog
festzulegen und ihn auszugestalten, zähle zu den
Aufgaben der Zivilgerichte. Versicherte einer
Berufsunfähigkeitsversicherung könnten nicht auf
die Möglichkeit verwiesen werden, einen
Vertragsschluss zu unterlassen oder die
Leistungsfreiheit des Versicherers hinzunehmen.
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an
einen hinreichenden Ausgleich zwischen den
betroffenen Grundrechtspositionen würden die
angegriffenen zivilgerichtlichen Entscheidungen
nicht gerecht, so das Bundesverfassungsgericht.
Sie trügen den Belangen der Beschwerdeführerin
nicht hinreichend Rechnung:
belastet. Dieser Weg sei nicht geeignet, ihr Recht
auf informationelle Selbstbestimmung im Dialog
mit dem Versicherungsunternehmen zu gewährleisten. Die angegriffenen Entscheidungen ließen
beim Ausgleich der Grundrechtspositionen unberücksichtigt, dass es das beklagte Versicherungsunternehmen nicht unverhältnismäßig belasten
muss, wenn von ihm eine weitere Einschränkung
der geforderten Einzelermächtigungen verlangt
wird. Zwar könne der Umfang der Einzelermächtigungen dabei nicht von vornherein schon
auf die für die Prüfung des Leistungsanspruchs
relevanten Informationen begrenzt werden. Würde
die Schweigepflichtentbindung aber zunächst auf
solche
Vorinformationen
beschränkt,
die
ausreichen, um festzustellen, welche Informationen tatsächlich für die Prüfung des Leistungsfalls relevant sind, könnte so der Umfang der
überschießenden Informationen begrenzt und
damit dem Recht der Beschwerdeführerin auf
informationelle
Selbstbestimmung
Rechnung
getragen werden. Die Verfahrenseffizienz würde
durch eine solche grobe Konkretisierung der
Auskunftsgegenstände nur geringfügig beeinträchtigt.
FAZIT
Durch die vorformulierten Einzelermächtigungen
würde es dem Versicherer ermöglicht, auch über
das für die Abwicklung des Versicherungsfalls
erforderliche Maß hinaus in weitem Umfang
Informationen über die Beschwerdeführerin
einzuholen. Die benannten Gegenstände der
„umfassenden“ Auskünfte - etwa „Gesundheitsverhältnisse, Arbeitsunfähigkeitszeiten und Behandlungsdaten“ - seien so allgemein gehalten,
dass sie kaum zu einer Begrenzung des
Auskunftsumfangs führen. Erfasst würden nahezu
alle bei den benannten Auskunftsstellen über die
Beschwerdeführerin vorliegenden Informationen,
darunter auch viele für die Abwicklung des
Versicherungsfalls bedeutungslose Informationen.
Entgegen
der
angegriffenen
Gerichtsentscheidungen sei es der Beschwerdeführerin nicht
zuzumuten, die vorformulierten Einzelermächtigungen selbst zu modifizieren oder die erforderlichen Unterlagen eigenständig vorzulegen. Denn
damit würde der Beschwerdeführerin auferlegt,
die Interessen des Versicherungsunternehmens
zu erforschen, und für den Fall, dass die
vorgelegten Unterlagen oder die modifizierten
Ermächtigungen für unzureichend erachtet
würden, mit dem Risiko eines Leistungsverlusts
Mittlerweile hat der Gesetzgeber mit § 213 VVG
eine gesetzliche Regelung geschafften, die das
Verfahren und den Umfang der Erhebung
personenbezogener Gesundheitsdaten bei Dritten
regelt und die zumindest eine grobe Orientierung
bietet. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist dennoch relevant für die zahlreichen
Altfälle, d. h. Versicherungsverhältnisse, die bis
zum Inkrafttreten des VVG am 01.01.2008
entstanden sind, auf die der neue § 213 VVG
keine Anwendung findet.
OLG Naumburg: „Vorweggenommene
Deckungsprozesse“ nur in Ausnahmefällen zulässig.
Pflichtversicherungsgesetz bestehende Versicherungspflicht (Nr. 1), eine eingetretene oder
drohende Insolvenz des Schädigers lag nicht vor
(Nr. 2) und der Aufenthaltsort des Schädigers war
auch bekannt (Nr. 3).
Das OLG Naumburg (Az.: 2 U 23/13) hatte über
die Zulässigkeit eines sogenannten „vorweggenommenen Deckungsprozesses“ zu entscheiden.
Die Klägerin des Verfahrens ist Unfallversicherer
und machte als solche die auf sie übergegangenen Rechte ihres geschädigten Versicherungsnehmers gegenüber dem Schädiger
aus einer Gesundheitsverletzung anlässlich einer
Rangelei geltend. Ihre Klage richtete die Klägerin
allerdings nicht gegen den Schädiger selbst (sog.
Haftpflichtprozess), sondern unmittelbar gegen
dessen
Privathaftpflichtversicherer
(sog.
Deckungsprozess). Konkret beantragte die
Klägerin die Feststellung, dass die beklagte
Privathaftpflichtversicherung zur Freistellung des
Schädigers in Höhe der Aufwendungen der
Klägerin verpflichtet ist.
Das Gericht wies die Klage als unzulässig ab, da
die Klägerin kein rechtlich schutzwürdiges
Interesse an der beantragten Feststellung habe.
Es führt aus: Die gesetzlichen Regelungen zur
Pflichtversicherung und die Rechtsprechung
gehen grundsätzlich davon aus, dass der
Geschädigte bzw. dessen Versicherer den
Anspruch auf Schadenersatz zunächst gegenüber
dem Schädiger selbst geltend macht und dadurch
- ggf. unter Inanspruchnahme von Rechtsschutz den Anspruch dem Grund und der Höhe nach
feststellen
lässt
(sog.
Haftpflichtprozess).
Regelmäßig soll erst im Anschluss daran aus
abgetretenem oder durch Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss übergegangenem Recht
die Haftpflichtversicherung des Schädigers in
Anspruch genommen werden (sog. Deckungsprozess).
Die
Feststellungen
im
vorangegangenen
Haftpflichtprozess haben dabei im nachfolgenden
Deckungsprozess
Bindungswirkung.
Ein
Direktanspruch des Geschädigten gegen die
Haftpflichtversicherung des Schädigers ist nach
§ 115 Abs. 1 Nrn. 1-3 VVG nur in eng begrenzten
Ausnahmefällen begründet. Der Gesetzgeber hat
sich bewusst gegen eine Ausweitung der
Möglichkeit der unmittelbaren Inanspruchnahme
des
Pflichtversicherers
entschieden.
Im
vorliegenden Fall waren die Voraussetzungen für
einen Direktanspruch gegen die Haftpflichtversicherung nicht erfüllt: Bei der Privathaftpflicht
handelte es sich nicht um eine nach dem
Der vorweggenommene Deckungsprozess des
Geschädigten oder seines Versicherers direkt
gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers
ohne vorherige Abtretung, wie er hier vorliegt, ist
dagegen eine sehr seltene Ausnahme. Dem
Geschädigten wird von der Rechtsprechung nur in
Ausnahmefällen ein rechtliches Interesse an einer
gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers
gerichteten, dem Haftpflichtprozess vorhergehenden Feststellungsklage im Deckungsprozess zugebilligt. Ein Feststellungsinteresse
wird bejaht, wenn wegen der Untätigkeit des
Versicherungsnehmers die Gefahr besteht, dass
dem Haftpflichtgläubiger der Deckungsanspruch
als Befriedigungsobjekt verloren geht (so etwa,
wenn der Versicherungsnehmer insolvent ist und
weder der Versicherungsnehmer noch der
Insolvenzverwalter gegen eine unberechtigte
Deckungsversagung vorgehen und deshalb der
Rechtsverlust durch Verjährung droht). Der
Geschädigte kann ein Feststellungsinteresse
auch dann haben, wenn der Versicherer auf seine
Anfrage, ob Versicherungsschutz bestehe, keine
(eindeutige) Antwort gibt oder die Auskunft
verweigert.
Unter
Zugrundelegung
dieser
Maßstäbe war nach Ansicht des OLG ein
rechtliches Interesse der klagenden Versicherung
an der begehrten Feststellung nicht zu bejahen.
FAZIT
Versicherungsverträge zwischen Versicherer und
Versichertem begründen nur in engen Ausnahmefällen unmittelbar Ansprüche eines geschädigten
Dritten gegen den Versicherer. Außerhalb dieser
Ausnahmefälle sind Dritte daher gehalten,
zunächst gegen den Schädiger bzw. Versicherten
selbst vorzugehen.
ULRIKE SPECHT
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