Vokale Improvisation im Klassenzimmer am Beispiel
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Vokale Improvisation im Klassenzimmer am Beispiel
Martin Eibach / Stefanie Anzenhuber Vokale Improvisation in der Sekundarstufe I am Beispiel von Gerhard Rühms, "die winterreise dahinterweise" Der erste Schritt zur produktiven Eigentätigkeit Bereits im 18. Jahrhundert wies Jean-Jacques Rousseau mit seinem Erziehungsroman "Emile" auf die zentrale Bedeutung der Eigentätigkeit als einer elementaren Grundlage für die Persönlichkeitsentwicklung des jungen Menschen hin. Diese Erkenntnis blieb sowohl in der allgemeinen Pädagogik als auch in der Musikerziehung lange unbeachtet. Erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts kam "die produktive Selbsttätigkeit und das Schöpferische als Grundsatz der Musikerziehung" 1 durch die Reformpädagogen wieder stärker ins Bewusstsein. Seither ist die musikalische Improvisation ein wichtiger Bestandteil der musikalischen Erziehung, was Auswirkungen sowohl auf deren Inhalte und Ziele als auch auf Arbeitsformen und -mittel hat. 2 Theoretische Grundlagen und praktische Anwendung 2.1 Theoretische Grundlagen 2.1.1 Zum Begriff Improvisation Rainer Eckhardt definiert „musikalische Improvisation“ als eine „Musizierweise (...), bei der aktuelle Klangvorstellungen, also musikalische Gedanken und Ideen, während ihrer Entstehung oder unmittelbar im Anschluss vokal und/oder instrumental verwirklicht werden und individuell oder kollektiv zu einer erklingenden musikalischen Gestaltung ausgebaut werden. Aufgrund der zeitlichen Nähe folgt diese Gestaltung nicht nur den Klangvorstellungen, sondern kann auch auf diese erweiternd oder modifizierend zurückwirken. Im Verlauf der Impro- 1 Kramer, Wilhelm (1997): Musik erfinden. In: Helms, Siegmund/Schneider, Reinhold/Weber (Hg.) (1997): Handbuch des Musikunterrichts – Sekundarstufe I, Kassel (Bosse), S. 335 http://www.schott4music.com/netzspezial/; 01.02.2006 visation können Klänge oder Klangfolgen, die von der zugrude liegenden musikalischen Spielidee abweichen (...), ebenso wie beabsichtigte oder zufällige Beiträge der Mitspieler, aber auch akustische Ereignisse aus der Umgebung produktiv verarbeitet werden und die Gestaltung bereichern.“ 3 Je nach Ausmaß des Bezuges auf zuvor wahrgenommene und verarbeitete Musik oder Klänge ist somit zwischen Improvisation und Reproduktion zu unterscheiden. Der Prozess des Erfindens von Musik lässt sich aus der Perspektive der Kreativitätsforschung in vier Phasen teilen: • Vorbereitung, • Inkubation (innere Auseinandersetzung durch Umstrukturierung und unzensiertes Ausprobieren), • Illumination (Auftauchen der Idee) und • Verifikation (Prüfung und Ausarbeiten einer Lösung). 4 Der Prozess des „Erfindens von Musik“ hängt dabei sowohl von der kreativen Produktivität als auch vom handwerklichen Können ab. 2.1.2 Das musikalische Material Eine wichtiges Moment für die Anleitung zum Improvisation ist die Auswahl des zur Verfügung stehenden Materials. Kriterien hierfür sind neben dem individuellen Geschmack, der bereits eine Grenze aufgrund des Gefallens setzt, vor allem der didaktische Zweck, der mit der jeweiligen Aufgabe verbunden ist. In der Praxis haben sich unterschiedliche Strategien der Materialauswahl für den Einstieg bewährt: 1) Einfache Schalleffekte oder auch Klangereignisse (z.B. zur akustischen Nachahmung einer Gewitterszene oder für die Gestaltung einer „Geräuschmaschine“) können, gerade weil sie ohne Metrik und konventionelles Tonsystem auskommen, die produktive Kreativität steigern, aber auch „das musikbezogene Vorstellungsvermögen anrei- 2 ebd. 3 Eckhart, Rainer (1995): Improvisation in der Musikdidaktik, Augsburg (Wißner), S.15. 4 Müller, Otto-Walter (1998): Intelligenz, Begabung und Kreativität. In: Bovet, Gislinde/Huwendiek (Hg.)(1998): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf. 2. Aufl., Berlin (Cornelsen), S. 387-408. http://www.schott4music.com/netzspezial/; 01.02.2006 chern.“ 5 2) Die Verwendung eines überschaubaren Tonvorrats einer spezifischen Musikkultur (z.B. Gamelan-Musik, Jazz, Blues oder Epochen, wie dem Impressionismus) hilft dabei, die Übersicht beim Einstieg nicht zu verlieren. Nach und nach kann dann das Tonmaterial der traditionellen Dur-Moll-Tonalität z.B. um pentatonische Skalen oder Ganztonleitern erweitert werden. 6 Möglich ist auch die Beschränkung des Skalenmaterials auf nur wenige Töne, kurze Patterns oder einfache Rhythmen. Dies gibt dem Schüler schneller eine gewisse Sicherheit mit dem musikalischen Material, gleichzeitig eröffnet die Materialreduzierung die Chance, dass die Phantasie im Umgang mit ihm gefördert wird. Zu beachten ist allerdings, dass eine bestimmte Flexibilität des Materials erhalten bleibt, um ein mögliches „Festfahren“ zu verhindern. 3) Eine dritte Möglichkeit des Einstiegs beschreibt Renate Brandmüller. Ihrer Überzeugung nach erleichtert ein mehrdimensionaler, fächerübergreifender Ansatz Kindern häufig den Zugang zur Improvisation. Durch die Bereitstellung einer Fülle an Darstellungsmöglichkeiten wie z.B. Poesie, Tanz, Gesang, Rollenspiele oder ähnliches wird die Phantasie und Kreativität der Improvisierenden besonders angesprochen. Vorbilder für diesen Ansatz sind Multimedia- und Integrationsmodelle (z.B. Film oder Theater). 7 2.1.3 Ziele der Improvisation in der Musikpädagogik Die Improvisation nimmt in der heutigen Musikpädagogik aus zweierlei Gründen eine wichtige Rolle ein: Einerseits als Methode zur Förderung musikalischer Lernprozesse, andererseits als deren Zielpunkt, im Sinne eines aktiven, selbstbestimmten und kreativen Umgangs mit musikalischem Material. So oder so lässt sich Improvisation als eine intensive Form des lernenden Umgangs mit Musik auffassen. Dazu zählt als erster Schritt die Vermittlung von Ba- 5 Eckhardt, Rainer (2000): Nichts als Fragen? – Musikalische Improvisation in der Schule. In: Terhag, Jürgen (Hg.) (2000): Populäre Musik und Pädagogik 3 – Orale Musiktradierung, Musiktheorie, Improvisation, Mediale Lebenswelten, Oldershausen: Lugert Verlag, S. 482-191. 6 Vgl. Kramer, Wilhelm a.a.O., S. 340. 7 Vgl. Nimczick, Ortwin (1997): Erfinden von Musik. In: Helms, Siegmund/Schneider, Reinhold/Weber (Hg.): Handbuch des Musikunterrichts – Sekundarstufe II, Kassel: Bosse, S. 183-184; Kramer, Wilhelm (1997): Musik erfinden. In: Helms, Siegmund/Schneider, Reinhold/Weber (Hg.): Handbuch des Musikunterrichts – Sekundarstufe I, Kassel: Bosse, , S. 340-343. http://www.schott4music.com/netzspezial/; 01.02.2006 siswissen und Hörfähigkeit. Die zweite Ebene, Improvisation als Lernziel, führt zu einer Erweiterung des Verständnisses für bestimmte Musikwerke und -stücke. Des Weiteren kann sich beim Schüler „ein allgemeine[s] Verständnis für künstlerisch-musikalisches Schaffen“ 8 entwickeln. 2.1.4 Die Rolle des Musiklehrers Da die produktive Hauptaufgabe beim Schüler selbst liegt, hat der Lehrer nur eine vermittelnde Rolle. Er sollte gestalterische Hilfen geben, die die Schüler ermutigen, eigenständig improvisatorische Möglichkeiten zu erkunden. „Es geht […] insgesamt darum, gestalterische Ideen freizusetzen und die Energien aufzuspüren und zu bündeln, die zu ihrer Realisierung notwendig sind." 9 Dabei liegt die Hauptaufgabe des Lehrers in der Vorbereitung des Umfelds für die Improvisationsarbeit. Während der Improvisation sollte er sich möglichst zurückhalten, um ein experimentelles Klima zu erlauben, in dem sich Gruppenprozesse möglichst frei entfalten können. 10 2.2 Umsetzung der vokalen Improvisation 2.2.1 Überlegungen zur Sprachimprovisation Während die instrumentale Improvisation ein inzwischen etabliertes Element des Musikunterrichts darstellt, ist die Improvisation mit der Stimme vielen Lehrern noch fremd, 11 obwohl die menschliche Stimme das voraussetzungsloseste und am vielseitigsten einsetzbare Instrument ist. Bereits in der Antike war die Musik immer eng mit der Sprache verbunden. Der Vortrag von Texten ist durch ähnliche Begrifflichkeiten wie die Gestaltung von Musik gekennzeichnet: Wir sprechen z.B. vom Sprachrhythmus, Sprachmetrik und Sprachmelos. Eine Herausforderung bei der vokalen Improvisation liegt darin, dass viele Schüler es heute 8 Kramer, Wilhelm (1997): Musik erfinden. In: Helms, Siegmund/Schneider, Reinhold/Weber (Hg.): Handbuch des Musikunterrichts – Sekundarstufe I, Kassel: Bosse, S. 340. 9 Vgl. Kramer a.a.O., S. 343. 10 Vgl. Jahnz, Rolf (1991): Zurück in die Zukunft – Experimentelle Lyrik im Musikunterricht mit lmprovisationsmodellen aus den siebziger Jahren. In: Musik und Unterricht 8/1991, S. 21; Vgl. Kramer, Wilhelm (1997): Musik erfinden. In: Helms, Siegmund/Schneider, Reinhold/Weber (Hg.): Handbuch des Musikunterrichts – Sekundarstufe I, Kassel: Bosse, S. 341-343. 11 Vgl. Jahnz, Rolf (1991): Zurück in die Zukunft – Experimentelle Lyrik im Musikunterricht mit lmprovisationsmodellen aus den siebziger Jahren. In: Musik und Unterricht 8/1991, , S. 21. http://www.schott4music.com/netzspezial/; 01.02.2006 nicht mehr gewohnt sind, spontan mit ihrer Singstimme umzugehen. Es bereitet ihnen Schwierigkeiten, durch das Singen Emotionen oder auch musikalischen Ausdruck zu zeigen, da ihnen bereits das Singen an sich Probleme bereitet. Daher ist es zumeist sinnvoll über die Sprechstimme einen Zugang zur vokalen Improvisation zu finden. Doch auch dieser bedeutet ein gewisses Maß an Überwindung für den Schüler. 12 2.2.2 Anregungen aus der Literaturgeschichte Dadaistische Texte, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, sind geradezu eine Fundgrube für Anregungen und Ideen zur Sprachimprovisation. In dieser Literaturströmung haben Zufallsmomente und Spontanität einen hohen Stellenwert. Zudem führt die Denkweise des Dadaismus von der Idealform des Gedichts weg und hin zum Lautgedicht. Es steht also nicht mehr der Sinngehalt der Worte im Vordergrund sondern deren Klang und Rhythmus. Auf diese Art und Weise sprechen z.B. in simultanistischen Gedichten mehrere Sprecher gleichzeitig ihre Abbildung 1: Hugo Balls Gedicht eigenen Texte „wie in einem polyphonen Vokalwerk." 13 "Karawane" Hugo Ball (1917)Dies ist meistens bereits in der Form des Gedichts wieder zu erkennen, bei der die Worte häufig ähnlich einer Collage zusammengefügt sind. 14 Zur Veranschaulichung kann Hugo Balls vielzitiertes Lautgedicht „Karawane“ (siehe Abb. 1) von 1921 dienen. 15 Ball verzichtet völlig auf sinnerfüllte Wörter, und baut durch Schriftbild und Lautmalerei auf eine assoziative Wirkung beim Zuhörer. Aus dem Dadaismus entwickelte sich in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts eine weitere Richtung, die konkrete und visuelle Poesie, welche ebenfalls für den Musikunterricht neue 12 Vgl. Schmitt, Rainer (1992): Konkrete und visuelle Poesie, Mittler zwischen Sprache und Musik. In: Musik und Unterricht 12/1992, S 24; Vgl. Gellrich, Martin (1995): Förderung des musikalischen Ausdrucks durch die Arbeit mit Stimme und Gestik. In: Musik und Unterricht 34/1995, S. 22-23. 13 Rötzer, Gerd Hans (1992): Geschichte der deutschen Literatur – Epochen, Autoren, Werke, Bamberg: Buchners Verlag, S.328. 14 Vgl. http://www.krreEkrefeld.schulen.net/referate/deutsch/r07I9t00.htm; Vgl. Rötzer, Gerd Hans (1992): Geschichte der deutschen Literatur – Epochen, Autoren, Werke, Bamberg: Buchners Verlag, S.327-328. 15 Zu Einsatzmöglichkeiten im Musikunterricht vgl. Schmitt, Rainer (1992): Konkrete und visuelle Poesie – Mittler in Sprache und Musik. In: Musik und Unterricht 12/1992, S 25. http://www.schott4music.com/netzspezial/; 01.02.2006 Anregungen liefern kann. „Die konkrete Poesie ist eine Richtung innerhalb der modernen Lyrik, welche die phonetische, visuelle und akustische Dimension der Sprache als literarisches Mittel verwendet." 16 Als hervorragende Beispiele lassen sich hier beispielhaft das Gedicht „lauter leise leute" von Ernst Jandl oder Gerhard Rühms Gedicht, „jetzt" nennen. Beide Texte fordern durch ihre Form zu einer dynamischen und improvisatorisch-räumlichen Umsetzung heraus. 17 Gerhard Rühm komponierte auf Anregung des Festivals des "steirischen herbstes" 1990 nach dem Vorbild des Liederzyklus „Die Winterreise“ von Franz Schubert in einer „literarischradiophonen Auseinandersetzung“ 18 das Stück „die winterreise dahinterweise - ein Zyklus von Zwölf Hörbildern.“ 19 Rühm hatte bei dieser Komposition die Idee, den Sprachklang der Winterreisentexte Wilhelm Müllers beizubehalten. Daher ersetzte er Müllers Worte durch Worte, bei denen der Vokalklang und soviel wie möglich des Konsonantenklangs erhalten blieb. „[D]ie auf diese weise eigentümlich verzerrt wirkende klanggestalt der gedichte signalisiert eine halluzinative aussageschicht, die "dahinter", nämlich hinter den originalworten, zu liegen scheint und sie zugleich konterkariert." 20 Die Wahl der Wörter steht im assoziativen Zusammenhang der Klangstimmung des jeweiligen Stückes. Zur Verdeutlichung der Vorgehensweise von Gerhard Rühms folgt eine Gegenüberstellung der beiden Gedichte: Wilhelm Müller: Der Leiermann Gerhard Rühm: der geile bann Drüben hinterm Dorfe Steht ein Leiermann Und mit starren Fingern Dreht er was er kann. Hügel in den koffer näht ein geiler bann stunden harren schlingern zehrt der schattendrang Barfuß auf dem Eise Wankt er hin und her fahrlust auf die reise 16 Vgl. http://virtuelleschuledeutsch.at/literatur3/ly_konkret_vtfg.htm. 17 Vgl. Schmitt, Rainer (1992): Konkrete und visuelle Poesie – Mittler in Sprache und Musik. In: Musik und Unterricht 12/1992,, S. 26-27. 18 http://www.kunstradio.at/2005A/13_02_05.html. 19 Vgl. http://www.kunstradio.at/2005A/13_02_05.html. 20 Rühm, Gerhard (o.J.): Die winterreise dahinterweise. Internet: http://www.kunstradio.at/2005A/13 02 05.html (21.1.2006) http://www.schott4music.com/netzspezial/; 01.02.2006 Und sein kleiner Teller Bleibt ihm immer leer. dankt beginnend schwer mund weint weiche fälle treibt geflimmer her Keiner mag ihn hören, Keiner sieht ihn an, Und die Hunde knurren Um den alten Mann. deine fragen stören leine zieht am bann um die wunde lungern stumme fallen dann Und er läßt es gehen, Alles wie es will, Dreht, und seine Leier Steht ihm nimmer still. runder pressen wehen bald des zieles bild weht um steine geier bläht die zimmer wild Wunderlicher Alter ! Soll ich mit dir geh'n ? Willst zu meinen Liedern Deine Leier dreh'n ? kunde lichter falter groll im stille steh'n schwillt zu steilen zittern geiles beine seh'n Rühm verbindet in seiner Komposition „die winterreise dahinterweise“ die Schubert'schen Vertonung mit der gesprochenen Neutextierung und kombiniert sie mit Geräuschen, die die Stimmung des Stückes unterstreichen. 21 Im Hintergrund hört man Wasserplätschern und Windgeheule. In der im Internet präsentierten Radiofassung spricht der Komponist den Text sehr ruhig und einheitlich ohne großen emotionalen Ausdruck. 22 2.2.4 Kreative Umsetzung am Beispiel „der geile bann" von Gerhard Rühm Die Begegnung mit der kompositorischen Idee Rühms in „die winterreise dahinterweise“ kann im Musikunterricht der Sekundarstufe I als Impuls dienen, eigene Sprachimprovisationen zu den Texten Wilhelm Müllers zu erstellen. Ein Beispiel aus der Arbeit mit Studierenden der Schulmusik sei an dieser Stelle exemplarisch vorgeführt. 21 Vgl. http://www.kunstradio.at/2005A/13 02 05.html 22 Eine Tonaufnahme findet sich unter http://stream.sil.at:7562/content/2005A/13 02 05.mp3 http://www.schott4music.com/netzspezial/; 01.02.2006 Stefanie Anzenhofer, eine Studentin an der Hochschule für Musik Würzburg, hat sich bei ihrer Vorgehensweise an Gerhard Rühms Beschreibung seines Stückeaufbaus orientiert. Beim wiederholten Anhören des Stückes „Der Leiermann“ von Schubert dachte sie spontan an eine verwitterte, alte Holzbank, die bei Wind und Wetter in einem verwahrlosten Schrebergärtchen steht. Mit dieser gedanklichen Vorstellung versuchte sie eine Neutextierung zu finden, bei der ebenfalls Vokale und weitestgehend die Konsonanten erhalten bleiben: Stefanie Anzenhofer: die zweierbank trüber in der sorge kräht die zweierbank wunden starren drinnen bretter krasser an ruhm verblasst bestehnd kaltes wider will' weht stund' keiner zweier stetig schimmernd' ziel zart muss laufen leise rankt er blind und leer runzeln greinen greller treibt gewimmer schwer und zerbricht erkaltet völlig sitz vergeh'nd fühlst du deine glieder weinend leiden seh'n? steine lagen öder weiter zieh'n in bann um die hundert spuren ruhm der alten bank Wie Rühm verwendete sie als Hintergrundmusik Franz Schuberts „Der Leiermann“ und kombinierte dies mit Wind- und Regengeräuschen, die in ihrer Assoziation sofort mit aufgetreten waren. Diese Geräusche enden wie in der Version von Gerhard Rühm erst mit dem Ende der Schubertschen Vertonung. Auch bei der Sprechweise hat sie sich stark am Vorbild des Texts „geiler bann“ orientiert. 2.2.5 Möglichkeiten zur Umsetzung im Musikunterricht Schülern fällt es vermutlich leichter einen vorgegebenen Text in einer Instrumental- oder Vokalimprovisation zu verarbeiten, als einen eigenen Text zu kreieren. Dies gilt besonders, wenn die Beibehaltung der Vokale und bestmöglich auch der Konsonanten gefordert ist. Eine solche Aufgabe erfordert viel Kreativität und Zeitaufwand von den Schülern. Man sollte deshalb http://www.schott4music.com/netzspezial/; 01.02.2006 einige Abstriche bei den „Kompositionsregeln“ machen, zum Beispiel nur die Beibehaltung der Vokale fordern. Eine weitere Schwierigkeit für die Umsetzung kann sich daraus ergeben, dass der Dadaismus in einigen Lehrplänen für das Fach Deutsch nicht enthalten ist. Den Schülern wird deshalb der zeitgeschichtliche Hintergrund fehlen, was zu Verständnisproblemen führen kann. Um dieses Problem zu entschärfen, empfiehlt sich im Vorfeld eine Einführung in diese Literaturströmung (evtl. Kooperation mit dem Fach Deutsch). Hilfreich ist es auch, wenn das gewählte Gedicht oder der gewählte Text zunächst im Deutschunterricht behandelt wird. Falls der Lehrer die als Vorlage dienende Vokalkomposition nicht aus dem Bereich des klassisch-romantischen Repertoires, sondern aus der Pop- oder Rockmusik wählt, sollte darauf geachtet werden, dass der Text deutschsprachig ist, da ansonsten die Vokalunterschiede in den unterschiedlichen Sprachen zu zusätzlichen Schwierigkeiten führen können. Sollte dennoch ein englischsprachiger Text gewählt werden, bietet sich die Zusammenarbeit mit Fach Englisch an. Eine Arbeitserleichterung ergibt sich, wenn Vokalkompositionen mit Refrain gewählt werden, da dann nur die Strophen neu textiert werden müssen. Die Bestimmung der richtigen Arbeitsgruppengröße ist nicht einfach. Je mehr Schüler beieinander sind, desto schneller fällt sicherlich jemandem ein entsprechendes Wort ein. Allerdings wächst mit der Zahl der Gruppenmitglieder die Gefahr, dass sie sich nicht auf eine Assoziation einigen können oder einer sich aus der Verantwortung stielt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Ansatz Rühms für den Musikunterricht ein wirkungsvoller Einstieg in die Thematik der vokalen Improvisation mit Schülern ist, da hier alle drei geforderten Ziele der Improvisation berücksichtigt werden: Es wird Basiswissen der Musik gelernt wie zum Beispiel der Aufbau eines romantischen Kunstliedes und das Hörverständnis. Eine Förderung der Persönlichkeits- und Wertevermittlung erfolgt durch die intensive Zusammenarbeit der SchülerInnen. Außerdem sind wir überzeugt, dass diese Form der Improvisation ein hohes Maß an Kreativität bei den SchülerInnen freisetzen kann. Bei einer Umsetzung erscheint es sinnvoll, diesen Vorschlag zur vokalen Improvisation in ein längeres fächerübergreifendes, vielleicht sogar einen ganzen Jahrgang umfassendes Projekt einzufügen, an dem auch Deutsch- und Kunstlehrer beteiligt sind. Dieses Projekt könnte in einer großen Präsentation enden, um den Schülern einen weiteren Anreiz zu bieten. http://www.schott4music.com/netzspezial/; 01.02.2006 Literaturverzeichnis: Eckhart, Rainer (1995): Improvisation in der Musikdidaktik, Augsburg (Wißner). Eckhardt, Rainer (2000): Nichts als Fragen? – Musikalische Improvisation in der Schule. In: Terhag, Jürgen (Hg.): Populäre Musik und Pädagogik 3 – Orale Musiktradierung, Musiktheorie, Improvisation, Mediale Lebenswelten, Oldershausen: Lugert Verlag, S. 182-193. Gellrich, Martin (1995): Förderung des musikalischen Ausdrucks durch die Arbeit mit Stimme und Gestik. In: Musik und Unterricht 34/1995, S. 22-24. Hyro-Mediaservice E.K.: Hugo Ball – Karawane, <http://www.gedichteforen.de/archive/465/thread.html> 01.05.2005 Jahnz, Rolf (1991): Zurück in die Zukunft – Experimentelle Lyrik im Musikunterricht mit Improvisationsmodellen aus den siebziger Jahren. In: Musik und Unterricht 8/1991, S. 17-21. Kramer, Wilhelm (1997): Musik erfinden. In: Helms, Siegmund/Schneider, Reinhold/Weber (Hg.): Handbuch des Musikunterrichts – Sekundarstufe I, Kassel: Bosse, S. 335-363. Kunstradio: Gerhard Rühm, <http://www.kunstradio.at/BIOS/ruehmbio.html> (01.05.2005) Kunstradio: KUNSTRADIO 12. Juni 1997, <http://www.kunstradio.at/1997A/12_6_97.html> 01.05.2005 Kunstradio: KUNSTRADIO - RADIOKUNST SONNTAG, 13. Februar 2005, http://www.kunstradio.at/2005A/13_02_05.html mit <http://stream.siI.at:7562/content/2005A/13_02_05.mp3> 01.05.2005. Müller, Otto-Walter (1998): Intelligenz, Begabung und Kreativität. In: Bovet, Gislinde/Huwendiek, Volker (Hg.)(1998): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf. 2. Aufl., Berlin (Cornelsen), S. 387-408. Nimczick, Ortwin (1997): Erfinden von Musik. In: Helms, Siegmund/Schneider, Reinhold/Weber (Hg.): Handbuch des Musikunterrichts – Sekundarstufe II, Kassel: Bosse, S. 169-188. Rötzer, Gerd Hans (1992): Geschichte der deutschen Literatur – Epochen, Autoren, Werke, Bamberg: Buchners Verlag. Roscher, Wolfgang (1978): Improvisation. In: Gieseler, Walter (Hg.) (1979): Kritische Stichwörter zum Musikunterricht, München, Schmitt, Rainer (1992): Konkrete und visuelle Poesie – Mittler in Sprache und Musik. In: Musik und Unterricht 12/1992, S. 24-28. Vogt, Jürgen (2004): (K)eine Kritik des Klassenmusikanten. Zum Stellenwert Instrumentalen Musikmachens in der Allgemeinbildenden Schule. <http://home.arcor.de/g/zfkm/vogt7.pdf> q-nic Communications GmbH: Dadaismus, <http://www.krref.krefeld.schulen.net/referate/deutsch/r07 19t00.htm> 01.05.2005 Poppernitsch, Brigitte: LYRIK des 20. Jhdt. 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