Minijobs: Bei 450 Euro muss nicht Schluss sein Welche Rechte
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Minijobs: Bei 450 Euro muss nicht Schluss sein Welche Rechte
in Kooperation mit dem Finanzportal biallo.de Von Rolf Winkel 35/2013 Minijobs: Bei 450 Euro muss nicht Schluss sein Welche Rechte geringfügig Beschäftigte haben Millionen von Minijobbern werden ihnen zustehende Rechte von ihren Arbeitgebern nicht gewährt. Zu diesem Ergebnis kam erst kürzlich eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Danach haben zwei Drittel der Minijobber noch nie den ihnen gesetzlich zustehenden bezahlten Urlaub genommen. 41 Prozent werde bezahlter Urlaub generell verwehrt. Auch eine Studie des Bundesfamilienministeriums zeichnet ein düsteres Bild der Lage von Minijobberinnen. Die meisten Frauen, die nur einen oder mehrere Minijobs haben, kommen demnach aus dieser Erwerbsform nicht mehr heraus. Minijobs sind demnach anfällig für Schwarzarbeit und haben zudem ein negatives Image. Die „fließenden Grenzen zur Schwarzarbeit" würden zum Beispiel sichtbar, wenn Überstunden in bar oder als Naturalien ausgezahlt würden. 1. Arbeitsrechtliche Regeln Das Arbeitsrecht gilt auch für Minijobs. Unterschiede gegenüber anderen, besser entlohnten Arbeitsverhältnissen bestehen hier prinzipiell nicht. Was den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eines Betriebes unterschiedslos zusteht, steht auch Minijobbern zu. Das bedeutet: Wenn alle sozialversicherten Mitarbeiter eines Betriebes Anspruch auf eine bestimmte Leistung des Arbeitgebers haben, dürfen Minijobber nicht ausgeschlossen werden. Das entschied das Bundesarbeitsgericht bereits am 20. November 1990 in Bezug auf die betriebliche Altersversorgung. Das Gericht befand: Soweit eine betriebliche Altersversorgung besteht, sind auch die geringfügig Beschäftigten einzubeziehen. Ein Ausschluss dieser Gruppe ist rechtswidrig (Az.: AZR 613/89). Gleiches gilt für Entlohnung und Urlaub: Minijobber müssen genauso entlohnt werden, wie es für die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten per Tarifvertrag vorgeschrieben bzw. betriebsüblich ist. Ihnen steht das ihrer Arbeitszeit entsprechende anteilige Arbeitsentgelt zu. Wer also ein Fünftel der Zeit arbeitet, die für eine entsprechende Vollzeit-Stelle vorgesehen ist, muss auch ein Fünftel des Brutto-Vollzeitlohns erhalten. Und dazu gibt es – wenn es per Tarifvertrag oder über eine betriebliche Regelung vor- gesehen ist – auch Nacht-, Sonntags-, Feiertags- oder Überstundenzuschläge. Das gilt auch für Urlaub- und Weihnachtsgeld. Minijobber haben nicht nur Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Urlaub, sondern auch auf ein anteiliges Urlaubs- und Weihnachtsgeld, falls diese Zahlungen im Betrieb üblich bzw. tarifvertraglich geregelt sind. Beispiel: Im Arbeitsvertrag eines Minijobbers ist eine wöchentliche Arbeitszeit von 9,5 Arbeitsstunden vorgesehen, das sind genau 25 Prozent der Wochenarbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten im gleichen Betrieb (38 Stunden). Das Urlaubsgeld der Vollzeitbeschäftigten beträgt 600 Euro, in diesem Fall kann der Minijobber das anteilige Urlaubsgeld von 150 Euro beanspruchen. Beim Weihnachtsgeld (bzw. beim 13. Monatsgehalt) wird genauso verfahren. Manchmal kann es hilfreich sein, wenn man einem Arbeitgeber gegenüber eine „offizielle Instanz“ zitieren kann. Das kann man zum Thema ganz offiziell bei der Minijobzentrale nachlesen: „Vollzeitbeschäftigte erhalten vom Arbeitgeber ein Weihnachtsgeld, nicht aber die geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer. Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz haben dann www.biallo.de Seite 2 auch geringfügig Beschäftigte anteilsmäßig (gemessen an den Arbeitsstunden) einen Anspruch auf Weihnachtsgeld.“ nierung wegen des Geschlechts dar.“ (EuGH, Urteil 09.09.1999, Az.: C-281/97). (http://www.minijobzentrale.de/DE/0_Home/01_mj_i m_gewerblichen_bereich/20_arbeitsrecht/einleitung _arbeitsrecht.html?nn=425556) Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: Minijobber, die infolge unverschuldeter Krankheit oder einer medizinischen Vorsorge- bzw. Rehabilitationsmaßnahme arbeitsunfähig sind, haben Anspruch auf Fortzahlung ihres regelmäßigen Verdienstes durch den Arbeitgeber bis zu sechs Wochen. Das Entgelt wird für die Tage fortgezahlt, an denen Arbeitnehmer ohne Arbeitsunfähigkeit zur Arbeitsleistung verpflichtet wären. Geregelt ist dies in den Paragraphen 3 und 4 des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Zum Thema Weihnachts- und Urlaubsgeld gab es gerichtliche Auseinandersetzungen, weil einzelne Tarifverträge, insbesondere der inzwischen geänderte Bundes-Angestellten-Tarif (BAT), geringfügig Beschäftigte ausdrücklich von Urlaubs- und Weihnachtsgeldansprüchen ausnahmen. Dazu entschied der Europäische Gerichtshof: „Der Ausschluss geringfügig Beschäftigter ... von den tarifvertraglich vereinbarten jährlichen Sonderzuwendungen stellt, falls tatsächlich wesentlich mehr Frauen als Männer davon betroffen sind, eine gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende mittelbare Diskrimi- Wichtig: Wenn es zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über arbeitsrechtliche Fragen Streit gibt, sind die Arbeitsgerichte zuständig. 2. Steuerliche Regeln Klar ist: Der arbeitsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung kann gegebenenfalls die Einkünfte der Minijobber auf mehr als 450 Euro im Monat bringen. Davor fürchten sich (häufig allerdings zu Unrecht) viele Arbeitnehmer und (obwohl sie möglicherweise noch weniger Anlass dazu haben) auch viele Arbeitgeber. Warum die beidseitigen Befürchtungen häufig nicht berechtigt sind, können Sie unter Punkt 4. nachlesen. Hier geht es zunächst um die Frage, ob höhere Zahlungen der Arbeitgeber überhaupt die sozialversicherungs- und steuerrechtliche 450Euro-Grenze sprengen. Unter Umständen können die Betroffenen nämlich deutlich höhere Einkünfte haben. Soweit der Teil, der über 450 Euro im Monat hinausgeht, nicht sozialversicherungspflichtig ist, bleibt es bei der „Geringfügigkeit“ des Jobs. Es fallen dann also für den Arbeitnehmer – mit der Ausnahme ggf. für die Rentenversicherungsbeiträge für den Fall, dass Rentenversicherungspflicht besteht – keine Sozialversicherungsbeiträge an. 2a. Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit Diese Zuschläge werden vielen Minijobbern unter Verweis auf die Gefahr, dass die 450Euro-Grenze gesprengt wird, nicht gezahlt. Dieser Verweis ist falsch, denn im Regelfall sind die Zuschläge nicht sozialversicherungsund damit auch nicht steuerpflichtig. Dies gilt, soweit folgende Regeln eingehalten werden: 1. Der Grundlohn, auf den sich die Zuschläge beziehen, darf 25 Euro pro Stunde nicht übersteigen (für die Steuer gilt noch eine höhere 50Euro-Grenze, diese kann hier jedoch außer Acht bleiben, da die Stundenlöhne von Minijobbern im Regelfall niedrig ausfallen). 2. Darüber hinaus kommt es auf das Verhältnis von Stundenlohn und Zuschlag an. Die Zuschläge dürfen – gemessen am Stundenlohn – nicht unverhältnismäßig hoch sein. Für Sonntagsarbeit gilt: Die Zuschläge dürfen nicht mehr als 50 Prozent des Grundlohns betragen. Bei einem Grundlohn von zehn Euro ist also ein Zuschlag von fünf Euro pro Stunde für die Sozialversicherung (und Steuer) „unschädlich“. www.biallo.de Seite 3 Für die Arbeit an Silvester (von 14.00 bis 24.00 Uhr) und an gesetzlichen Feiertagen gilt: Der Zuschlag darf maximal 125 Prozent des Grundlohns betragen. Für die Arbeit zwischen Heiligabend 14.00 und dem zweiten Weihnachtsfeiertag (bis 24.00) gilt: Der Zuschlag darf maximal 150 Prozent des Grundlohns betragen. Diese Regelung gilt auch für den 1. Mai. Für Nachtarbeit gilt: In der Zeit von 20.00 bis 0.00 Uhr und von 4.00 bis 6.00 Uhr darf der Zuschlag 25 Prozent des Grundlohns nicht übersteigen. In der Zeit zwischen 0.00 und 4.00 Uhr darf der Zuschlag maximal 40 Prozent des Grundlohns betragen. Wenn Feiertags- und Sonntagsarbeit zusammentreffen (etwa am Ostersonntag), können nicht beide Zuschläge gleichzeitig sozialversicherungs- und steuerfrei gewährt werden. Zuschläge für Nachtarbeit und Sonn- und Feiertagsarbeit können dagegen gleichzeitig sozialversicherungs- und steuerfrei gewährt werden. Beispiel: Ein Arbeitnehmer arbeitet am Ostersonntag nachts von 0.00 bis 4.00 Uhr. Er kann zusätzlich zu seinem üblichen Entgelt 125 plus 40 Prozent seines Grundlohns verdienen. Auch beim Punkt „Zuschläge“ kann es Arbeitnehmern helfen, wenn sie auf eine offizielle Quelle verweisen können. Diese findet sich in den sogenannten Geringfügigkeits-Richtlinien der Spitzenverbände der Sozialversicherung vom 20. Dezember 2012. Das Werk stellt ausführlich das Versicherungs- und Beitragsrecht sowie das Meldeverfahren für geringfügige Beschäftigungen dar. Informationen zur Sozialversicherungs- und Steuerfreiheit der Zuschläge finden sich in dem genannten RichtlinienDokument unter Punkt 2a. Die Richtlinien finden Sie übrigens im Internet, wenn Sie die beiden Stichworte „Deutsche Rentenversicherung“ und „Geringfügigkeitsrichtlinien“ eingeben. 2b. Entgeltumwandlung für die betriebliche Altersversorgung Minijobber können wegen ihres niedrigen Einkommens kaum fürs Alter vorsorgen und auch in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben sie nur niedrige Ansprüche. Zugleich würden manche Arbeitgeber sie gern flexibler einsetzen – über die 450-Euro-Grenze hinaus. Hier bietet sich das Instrument der Entgeltumwandlung an: Ein Teil der erzielten Bruttoeinkünfte wird per Entgeltumwandlung in die betriebliche Altersvorsorge (meist in sogenannte Direktversicherungen) eingezahlt. Die für die Altersvorsorge genutzten Teile des Bruttolohns sind – wenn die Regeln eingehalten werden – weder steuer- noch sozialversicherungspflichtig. Beispiel: Eine Arbeitnehmerin arbeitet in ihrem einzigen Job als Kassiererin in einem Supermarkt monatlich 60 Stunden. Bei einem Stundenlohn von 10,50 Euro kommt sie auf ein monatliches Bruttoentgelt von 630 Euro. Da ihr Ehepartner relativ gut verdient und sie zudem daran interessiert ist, die beitragsfreie Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung aufrechtzuerhalten, möchte die Betroffene die 450-Euro-Regelung nutzen. Dies funktioniert in diesem Fall folgendermaßen: Ein Betrag von monatlich 180 Euro wird per Entgeltumwandlung in eine Direktversicherung einbezahlt. Das geht in diesem Fall relativ einfach, weil die Betroffene privat eine seit zehn Jahren laufende Kapitallebensversicherung besitzt. Diese wird nun in eine betriebliche Versicherung umgewandelt. Der Arbeitgeber übernimmt die Beitragszahlung. Die sozialversicherungspflichtigen Einkünfte der Betroffenen sinken hierdurch von 630 Euro auf (630 minus 180 =) 450 Euro. Das bedeutet: Der Minijob bleibt sozialversicherungsfrei (ggf. mit der Ausnahme der Rentenversicherung) und steuerfrei. Die Entgeltumwandlung ist allerdings nur innerhalb gewisser Grenzen sozialversicherungsfrei, die jedoch relativ großzügig sind. Sozialversicherungsfrei sind umgewandelte Entgeltbestandteile bis zur Höhe von maximal vier Prozent der aktuell geltenden Beitragsbemessungsgrenze (West) der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese liegt derzeit (2013) bei monatlich 5.800 Euro. Vier Prozent davon sind 232 www.biallo.de Seite 4 Euro. Bis zu diesem Höchstbetrag ist auch für Minijobber eine Entgeltumwandlung möglich. Einzelheiten hierzu können im RichtlinienDokument unter Punkt 2a. nachgelesen werden. Im Anhang des Papiers findet sich auch ein kommentierter Beispielfall (Nr. 14). 3. Überschreiten der 450-Euro-Grenze Die folgenden Tipps richten sich nicht an Arbeitnehmer mit einem (kleinen) Nebenjob. Für diese ist vielfach ein – für den Arbeitnehmer selbst – steuer- und sozialversicherungsfreier Minijob vorteilhaft. Mit einem solchen Nebenjob fahren sie häufig weit besser als beispielsweise mit Überstunden in ihrem „Erstjob“ – und den Schutz der Sozialversicherungen haben sie im Nebenjob ja nicht nötig. Diesen haben sie bereits durch den Hauptjob. In vielen Fällen sind Minijobber – insbesondere Frauen – jedoch eigentlich auf den vollen Schutz der Sozialversicherung angewiesen. Dies gilt beispielsweise dann, wenn die Betroffenen sich mit dem Gedanken tragen, in der nächsten Zeit schwanger zu werden oder für Arbeitnehmer mit anfälliger Gesundheit, aber – natürlich – auch für alle, die ihren Mini-Job eher für unsicher halten und Interesse an Leistungen der Arbeitslosenversicherung haben. Dann bietet es sich an, den Arbeitgeber zu fragen, ob nicht aus dem Mini-Job (mindestens) ein 450,01-Euro-Job werden kann – also ein MidiJob. Midi-Jobs kommen allerdings nur als Hauptbeschäftigungsverhältnis in Frage, also beispielsweise für Hausfrauen, nicht jedoch als Nebenjob für Arbeitnehmer, die bereits ein anderes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis haben. Tipp: Sie sollten sich nicht scheuen, ihren Arbeitgeber auf eine geringfügige Lohnerhöhung anzusprechen, die unter Umständen ja nur einen Cent ausmachen muss (450,01 Euro statt 450,00 Euro). Denn hier handelt es sich um eine typische Win-win-Situation. Dem Arbeitnehmer werden durch die geringfügige Bruttolohnerhöhung die kompletten Ansprüche der Sozialversicherung gesichert – bei relativ geringen Nettolohneinbußen. Dadurch haben sie Anspruch auf Krankengeld, auf das volle Mutterschaftsgeld der gesetzlichen Krankenversicherung und auf die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I. Für den Arbeitgeber fallen bei einem 450,01Euro-Job deutlich geringere Sozialabgaben an: Statt mehr als 30 Prozent an Sozialbeiträgen, die bei einem Mini-Job für den Chef anfallen, sind es bei einem Midi-Job nur knapp 20 Prozent. 4. Anspruch auf „Mehr Job“ „Viele Frauen würden gerne länger arbeiten“, so fasst das Forschungsinstitut der Arbeitsagenturen seine jüngsten Arbeitszeituntersuchungen zusammen. Das gilt auch für Minijobberinnen. Diese sind im Schnitt 12,5 Stunden pro Woche tätig, tatsächlich möchten sie jedoch im Schnitt acht Stunden länger, nämlich 20,5 Stunden, jobben. Das sind Ergebnisse einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Und das Statistische Bundesamt ermittelte gar, dass jede fünfte teilzeitbeschäftigte Frau viel lieber einen Vollzeitjob hätte. Gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeitverlängerung gibt es in Deutschland schon seit Anfang 2001 – und zwar im Teilzeit- und Befris- tungsgesetz (TzBfG). Das Gesetz enthält nicht nur Regelungen zur Arbeitszeitverkürzung, sondern auch zur Aufstockung der Arbeitszeit, und zwar in Paragraf 9, der die Überschrift „Verlängerung der Arbeitszeit“ trägt. „Der Arbeitgeber hat einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, der ihm den Wunsch nach einer Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, bei der Besetzung eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes bei gleicher Eignung bevorzugt zu berücksichtigen, es sei denn, dass dringende betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen.“ Danach kann – natürlich – keine Arbeitnehmerin ihren Chef oder ihre Chefin zwingen, extra www.biallo.de Seite 5 für sie einen neuen Vollzeitjob zu schaffen. Doch dass Stellen neu besetzt werden, gehört zum Firmenalltag. In diesen Fällen regelt das Gesetz eindeutig den Vorrang der schon im Unternehmen beschäftigten Teilzeiter – wozu auch Minijobber gehören. Bei dieser gesetzlichen Regelung zur Verlängerung der Arbeitszeit gibt es – anders als bei den Bestimmungen zur Verkürzung – kaum einschränkende Klauseln. Die Regelung gilt für Unternehmen aller Größenklassen. Denn das Gesetz enthält keine Klausel, durch die kleinere Betriebe mit 15 oder weniger Beschäftigten hiervon ausgenommen sind. Die Regelung ist nicht (nur) für Arbeitnehmer vorgesehen, die vorher ihre Arbeitszeit verkürzt haben. Sie gilt vielmehr unterschiedslos für alle Teilzeitbeschäftigten, also auch für diejenigen, die in einem Unternehmen von vornherein als Teilzeitkräfte „eingestiegen“ sind. Ferner sieht Paragraf 9 des TzBfG – anders als Paragraf 8, in dem es um die Arbeitszeitverkürzung geht – keine Mindestdauer der Beschäftigung vor. Die Regelung gilt also auch für Teilzeitbeschäftigte, die erst ganz kurze Zeit in einem Unternehmen tätig sind. Und schließlich fordert das Gesetz auch keine wöchentliche Mindestarbeitszeit. Danach können z.B. auch Minijobber mit einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden verlangen, dass sie eine neu im Betrieb ausgeschriebene Vollzeitstelle bekommen, wenn sie dafür qualifiziert sind. Verweigerung nur bei dringenden Gründen: Weiterhin kann der Arbeitgeber den Wunsch nach längerer Arbeitszeit nicht aus reinen „betrieblichen Gründen“ ablehnen. Diese müssen vielmehr „dringend“ sein. Einige Male bereits hat sich das Bundesarbeitsgericht mit Paragraf 9 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes beschäftigt. Tenor ist dabei, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des Paragrafen ein harter Rechtsanspruch eines Beschäftigten auf Verlängerung seiner Arbeitszeit besteht. Die entsprechende gesetzliche Regelung ist keinesfalls nur als mehr oder weniger unverbindlicher Appell an Arbeitgeber anzusehen. Gibt es mehrere Bewerbungen für einen Arbeitsplatz, so „gebietet“ das Gesetz die tatsächliche Berücksichtigung eines im Betrieb bereits teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers – wenn dieser entsprechend qualifiziert ist. Diese klare Gesetzesauslegung traf das Bundesarbeitsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 15. August 2006 (Az: 9 AZR 8/ 06). Fundstelle: http://lexetius.com/2006,3693 In einer BAG-Entscheidung vom 8. Mai 2007 ging es um die Frage des dringenden betrieblichen Grundes. Geklagt hatte ein inzwischen 42-Jähriger, der beim ADAC als Disponent in der Pannenhilfe beschäftigt war – und zwar mit 20 Stunden wöchentlich. Im August 2005 schrieb der Automobil-Club vier neu zu besetzende Disponentenstellen in Vollzeit aus. Der Teilzeitbeschäftigte verlangte daraufhin eine Verlängerung seiner Arbeitszeit. Das lehnte der ADAC ab. Begründung: Die neu ausgeschriebenen Vollzeit-Stellen sollten tariffrei sein – für den 42-jährigen Teilzeiter gelte aber ein Tarifvertrag. Das BAG gab dem Disponenten Recht. Paragraf 9 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, in dem es um die „Verlängerung der Arbeitszeit“ geht, begründe einen „einklagbaren Rechtsanspruch“. Dieser verpflichte den Arbeitgeber, einen bereits teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer zu bevorzugen, wenn eine freie oder neu ausgeschriebene Vollzeit-Stelle zu besetzen ist. Anderes gelte nur, wenn „dringende betriebliche Gründe“ gegen den Wunsch des Arbeitnehmers angeführt werden können (Az.: 9 AZR 874/06). Da solche „dringenden“ Gründe von den Gerichten aber nur selten anerkannt werden, haben Teilzeiter künftig gute Karten, wenn sie sich bei ihrem Arbeitgeber auf eine frei werdende Vollzeitstelle bewerben. Eine ganz ähnliche Entscheidung traf das LAG Baden-Württemberg am 21. März 2013 gegen den international tätigen Paketlogistiker UPS. Die Firma darf – so das LAG – nicht einfach darauf bestehen, nur Teilzeitkräfte einzustellen. Alles andere würde den gesetzlichen Anspruch www.biallo.de Seite 6 auf eine Verlängerung der Arbeitszeit unterlaufen. Gestützt auf die Regelungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes hatte der Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung von neuen Arbeitskräften mit 17 Wochenarbeitsstunden verweigert. Die betriebliche Interessenvertretung argumentierte, dass hierdurch bereits mit 17 Wochenarbeitsstunden beschäftigte Arbeitnehmer benachteiligt würden, die bereit seien, 34 Stunden tätig zu sein. Das LAG folgte dieser Position. Die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers, nur 17-Stunden-Kräfte einzustellen, müsse sachlich gerechtfertigt sein. Eine Einschränkung der Flexibilisierung des Personaleinsatzes mit Mehrarbeit durch Doppelschichtarbeitsplätze sei nicht erkennbar. Ein erhöhter Organisationsaufwand in Vertretungsfällen wie Urlaub und Krankheit sei hinzunehmen. Höhere Krankenstände und eine größere Zahl von Betriebsunfällen in den Doppelschichten seien nicht zwingend mit einer höheren Arbeitszeit verbunden. UPS unterlaufe daher mit seinem Konzept, nur Arbeitnehmer in Teilzeit zu beschäftigen, den Anspruch auf Erhöhung der Arbeitszeit nach Paragraf 9 TzBfG. Tipp: Teilzeiter, die an einer Verlängerung ihrer Arbeitszeit bzw. einem Vollzeitjob interessiert sind, sollten dies in jedem Fall dem Betriebsoder Personalrat – soweit ein solcher vorhanden ist – gegenüber deutlich machen. Sie können ihren Anspruch auch vor dem Arbeitsgericht geltend machen. Voraussetzung ist dabei allerdings in jedem Fall: Frei werdende Arbeitsplätze werden besetzt. Und: Die Betroffenen müssen für die Stelle geeignet sein. Das „Thema der Woche“ ist ein Service der Verbraucher-Redaktion Biallo & Team GmbH, Bahnhofstraße 25, 86938 Schondorf. Sie können uns erreichen unter [email protected] oder per Telefon: 08192/93379-0. Weitere Infos unter www.biallo.de www.biallo.de