Minijobs: Bei 450 Euro muss nicht Schluss sein Welche Rechte

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Minijobs: Bei 450 Euro muss nicht Schluss sein Welche Rechte
in Kooperation mit dem Finanzportal biallo.de
Von Rolf Winkel
35/2013
Minijobs: Bei 450 Euro muss nicht Schluss sein
Welche Rechte geringfügig Beschäftigte haben
Millionen von Minijobbern werden ihnen zustehende Rechte von ihren Arbeitgebern nicht gewährt. Zu diesem Ergebnis kam erst kürzlich
eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Danach
haben zwei Drittel der Minijobber noch nie den
ihnen gesetzlich zustehenden bezahlten Urlaub
genommen. 41 Prozent werde bezahlter Urlaub
generell verwehrt.
Auch eine Studie des Bundesfamilienministeriums zeichnet ein düsteres Bild der Lage von
Minijobberinnen. Die meisten Frauen, die nur
einen oder mehrere Minijobs haben, kommen
demnach aus dieser Erwerbsform nicht mehr
heraus. Minijobs sind demnach anfällig für
Schwarzarbeit und haben zudem ein negatives
Image. Die „fließenden Grenzen zur Schwarzarbeit" würden zum Beispiel sichtbar, wenn
Überstunden in bar oder als Naturalien ausgezahlt würden.
1. Arbeitsrechtliche Regeln
Das Arbeitsrecht gilt auch für Minijobs. Unterschiede gegenüber anderen, besser entlohnten
Arbeitsverhältnissen bestehen hier prinzipiell
nicht. Was den sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten eines Betriebes unterschiedslos
zusteht, steht auch Minijobbern zu. Das bedeutet: Wenn alle sozialversicherten Mitarbeiter
eines Betriebes Anspruch auf eine bestimmte
Leistung des Arbeitgebers haben, dürfen Minijobber nicht ausgeschlossen werden. Das entschied das Bundesarbeitsgericht bereits am 20.
November 1990 in Bezug auf die betriebliche
Altersversorgung. Das Gericht befand: Soweit
eine betriebliche Altersversorgung besteht, sind
auch die geringfügig Beschäftigten einzubeziehen. Ein Ausschluss dieser Gruppe ist rechtswidrig (Az.: AZR 613/89).
Gleiches gilt für Entlohnung und Urlaub: Minijobber müssen genauso entlohnt werden, wie
es für die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten per
Tarifvertrag vorgeschrieben bzw. betriebsüblich
ist. Ihnen steht das ihrer Arbeitszeit entsprechende anteilige Arbeitsentgelt zu. Wer also ein
Fünftel der Zeit arbeitet, die für eine entsprechende Vollzeit-Stelle vorgesehen ist, muss
auch ein Fünftel des Brutto-Vollzeitlohns erhalten. Und dazu gibt es – wenn es per Tarifvertrag oder über eine betriebliche Regelung vor-
gesehen ist – auch Nacht-, Sonntags-, Feiertags- oder Überstundenzuschläge. Das gilt
auch für Urlaub- und Weihnachtsgeld. Minijobber haben nicht nur Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Urlaub, sondern auch auf ein anteiliges Urlaubs- und Weihnachtsgeld, falls diese
Zahlungen im Betrieb üblich bzw. tarifvertraglich geregelt sind.
Beispiel: Im Arbeitsvertrag eines Minijobbers
ist eine wöchentliche Arbeitszeit von 9,5 Arbeitsstunden vorgesehen, das sind genau 25
Prozent der Wochenarbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten im gleichen Betrieb (38 Stunden).
Das Urlaubsgeld der Vollzeitbeschäftigten beträgt 600 Euro, in diesem Fall kann der Minijobber das anteilige Urlaubsgeld von 150 Euro
beanspruchen. Beim Weihnachtsgeld (bzw.
beim 13. Monatsgehalt) wird genauso verfahren.
Manchmal kann es hilfreich sein, wenn man
einem Arbeitgeber gegenüber eine „offizielle
Instanz“ zitieren kann. Das kann man zum
Thema ganz offiziell bei der Minijobzentrale
nachlesen: „Vollzeitbeschäftigte erhalten vom
Arbeitgeber ein Weihnachtsgeld, nicht aber die
geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer. Nach
dem Gleichbehandlungsgrundsatz haben dann
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auch geringfügig Beschäftigte anteilsmäßig
(gemessen an den Arbeitsstunden) einen Anspruch auf Weihnachtsgeld.“
nierung wegen des Geschlechts dar.“ (EuGH,
Urteil 09.09.1999, Az.: C-281/97).
(http://www.minijobzentrale.de/DE/0_Home/01_mj_i
m_gewerblichen_bereich/20_arbeitsrecht/einleitung
_arbeitsrecht.html?nn=425556)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: Minijobber, die infolge unverschuldeter Krankheit
oder einer medizinischen Vorsorge- bzw. Rehabilitationsmaßnahme arbeitsunfähig sind,
haben Anspruch auf Fortzahlung ihres regelmäßigen Verdienstes durch den Arbeitgeber bis
zu sechs Wochen. Das Entgelt wird für die Tage fortgezahlt, an denen Arbeitnehmer ohne
Arbeitsunfähigkeit zur Arbeitsleistung verpflichtet wären. Geregelt ist dies in den Paragraphen
3 und 4 des Entgeltfortzahlungsgesetzes.
Zum Thema Weihnachts- und Urlaubsgeld gab
es gerichtliche Auseinandersetzungen, weil
einzelne Tarifverträge, insbesondere der inzwischen geänderte Bundes-Angestellten-Tarif
(BAT), geringfügig Beschäftigte ausdrücklich
von Urlaubs- und Weihnachtsgeldansprüchen
ausnahmen. Dazu entschied der Europäische
Gerichtshof: „Der Ausschluss geringfügig Beschäftigter ... von den tarifvertraglich vereinbarten jährlichen Sonderzuwendungen stellt, falls
tatsächlich wesentlich mehr Frauen als Männer
davon betroffen sind, eine gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende mittelbare Diskrimi-
Wichtig: Wenn es zwischen Arbeitnehmer und
Arbeitgeber über arbeitsrechtliche Fragen Streit
gibt, sind die Arbeitsgerichte zuständig.
2. Steuerliche Regeln
Klar ist: Der arbeitsrechtliche Grundsatz der
Gleichbehandlung kann gegebenenfalls die
Einkünfte der Minijobber auf mehr als 450 Euro
im Monat bringen. Davor fürchten sich (häufig
allerdings zu Unrecht) viele Arbeitnehmer und
(obwohl sie möglicherweise noch weniger Anlass dazu haben) auch viele Arbeitgeber. Warum die beidseitigen Befürchtungen häufig nicht
berechtigt sind, können Sie unter Punkt 4.
nachlesen.
Hier geht es zunächst um die Frage, ob höhere
Zahlungen der Arbeitgeber überhaupt die sozialversicherungs- und steuerrechtliche 450Euro-Grenze sprengen. Unter Umständen können die Betroffenen nämlich deutlich höhere
Einkünfte haben.
Soweit der Teil, der über 450 Euro im Monat
hinausgeht, nicht sozialversicherungspflichtig
ist, bleibt es bei der „Geringfügigkeit“ des Jobs.
Es fallen dann also für den Arbeitnehmer – mit
der Ausnahme ggf. für die Rentenversicherungsbeiträge für den Fall, dass Rentenversicherungspflicht besteht – keine Sozialversicherungsbeiträge an.
2a. Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und
Nachtarbeit
Diese Zuschläge werden vielen Minijobbern
unter Verweis auf die Gefahr, dass die 450Euro-Grenze gesprengt wird, nicht gezahlt.
Dieser Verweis ist falsch, denn im Regelfall
sind die Zuschläge nicht sozialversicherungsund damit auch nicht steuerpflichtig.
Dies gilt, soweit folgende Regeln eingehalten werden:
1. Der Grundlohn, auf den sich die Zuschläge
beziehen, darf 25 Euro pro Stunde nicht übersteigen (für die Steuer gilt noch eine höhere 50Euro-Grenze, diese kann hier jedoch außer
Acht bleiben, da die Stundenlöhne von Minijobbern im Regelfall niedrig ausfallen).
2. Darüber hinaus kommt es auf das Verhältnis
von Stundenlohn und Zuschlag an. Die Zuschläge dürfen – gemessen am Stundenlohn –
nicht unverhältnismäßig hoch sein.
Für Sonntagsarbeit gilt: Die Zuschläge dürfen
nicht mehr als 50 Prozent des Grundlohns betragen. Bei einem Grundlohn von zehn Euro ist
also ein Zuschlag von fünf Euro pro Stunde für
die Sozialversicherung (und Steuer) „unschädlich“.
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Für die Arbeit an Silvester (von 14.00 bis 24.00
Uhr) und an gesetzlichen Feiertagen gilt: Der
Zuschlag darf maximal 125 Prozent des Grundlohns betragen.
Für die Arbeit zwischen Heiligabend 14.00 und
dem zweiten Weihnachtsfeiertag (bis 24.00)
gilt: Der Zuschlag darf maximal 150 Prozent
des Grundlohns betragen. Diese Regelung gilt
auch für den 1. Mai.
Für Nachtarbeit gilt: In der Zeit von 20.00 bis
0.00 Uhr und von 4.00 bis 6.00 Uhr darf der
Zuschlag 25 Prozent des Grundlohns nicht
übersteigen. In der Zeit zwischen 0.00 und 4.00
Uhr darf der Zuschlag maximal 40 Prozent des
Grundlohns betragen.
Wenn Feiertags- und Sonntagsarbeit zusammentreffen (etwa am Ostersonntag), können
nicht beide Zuschläge gleichzeitig sozialversicherungs- und steuerfrei gewährt werden. Zuschläge für Nachtarbeit und Sonn- und Feiertagsarbeit können dagegen gleichzeitig sozialversicherungs- und steuerfrei gewährt werden.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer arbeitet am Ostersonntag nachts von 0.00 bis 4.00 Uhr. Er kann
zusätzlich zu seinem üblichen Entgelt 125 plus
40 Prozent seines Grundlohns verdienen.
Auch beim Punkt „Zuschläge“ kann es Arbeitnehmern helfen, wenn sie auf eine offizielle
Quelle verweisen können. Diese findet sich in
den sogenannten Geringfügigkeits-Richtlinien
der Spitzenverbände der Sozialversicherung
vom 20. Dezember 2012. Das Werk stellt ausführlich das Versicherungs- und Beitragsrecht
sowie das Meldeverfahren für geringfügige Beschäftigungen dar. Informationen zur Sozialversicherungs- und Steuerfreiheit der Zuschläge
finden sich in dem genannten RichtlinienDokument unter Punkt 2a.
Die Richtlinien finden Sie übrigens im Internet,
wenn Sie die beiden Stichworte „Deutsche Rentenversicherung“ und „Geringfügigkeitsrichtlinien“ eingeben.
2b. Entgeltumwandlung für die betriebliche
Altersversorgung
Minijobber können wegen ihres niedrigen Einkommens kaum fürs Alter vorsorgen und auch
in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben sie nur niedrige Ansprüche. Zugleich würden manche Arbeitgeber sie gern flexibler einsetzen – über die 450-Euro-Grenze hinaus.
Hier bietet sich das Instrument der Entgeltumwandlung an: Ein Teil der erzielten Bruttoeinkünfte wird per Entgeltumwandlung in die
betriebliche Altersvorsorge (meist in sogenannte Direktversicherungen) eingezahlt. Die für die
Altersvorsorge genutzten Teile des Bruttolohns
sind – wenn die Regeln eingehalten werden –
weder steuer- noch sozialversicherungspflichtig.
Beispiel: Eine Arbeitnehmerin arbeitet in ihrem
einzigen Job als Kassiererin in einem Supermarkt monatlich 60 Stunden. Bei einem Stundenlohn von 10,50 Euro kommt sie auf ein monatliches Bruttoentgelt von 630 Euro. Da ihr
Ehepartner relativ gut verdient und sie zudem
daran interessiert ist, die beitragsfreie Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung aufrechtzuerhalten, möchte die Betroffene die 450-Euro-Regelung nutzen.
Dies funktioniert in diesem Fall folgendermaßen: Ein Betrag von monatlich 180 Euro
wird per Entgeltumwandlung in eine Direktversicherung einbezahlt. Das geht in diesem Fall
relativ einfach, weil die Betroffene privat eine
seit zehn Jahren laufende Kapitallebensversicherung besitzt. Diese wird nun in eine betriebliche Versicherung umgewandelt. Der Arbeitgeber übernimmt die Beitragszahlung. Die sozialversicherungspflichtigen Einkünfte der Betroffenen sinken hierdurch von 630 Euro auf (630
minus 180 =) 450 Euro. Das bedeutet: Der
Minijob bleibt sozialversicherungsfrei (ggf. mit
der Ausnahme der Rentenversicherung) und
steuerfrei.
Die Entgeltumwandlung ist allerdings nur innerhalb gewisser Grenzen sozialversicherungsfrei,
die jedoch relativ großzügig sind. Sozialversicherungsfrei sind umgewandelte Entgeltbestandteile bis zur Höhe von maximal vier Prozent der aktuell geltenden Beitragsbemessungsgrenze (West) der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese liegt derzeit (2013) bei monatlich 5.800 Euro. Vier Prozent davon sind 232
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Euro. Bis zu diesem Höchstbetrag ist auch für
Minijobber eine Entgeltumwandlung möglich.
Einzelheiten hierzu können im RichtlinienDokument unter Punkt 2a. nachgelesen werden. Im Anhang des Papiers findet sich auch
ein kommentierter Beispielfall (Nr. 14).
3. Überschreiten der 450-Euro-Grenze
Die folgenden Tipps richten sich nicht an Arbeitnehmer mit einem (kleinen) Nebenjob. Für
diese ist vielfach ein – für den Arbeitnehmer
selbst – steuer- und sozialversicherungsfreier
Minijob vorteilhaft. Mit einem solchen Nebenjob
fahren sie häufig weit besser als beispielsweise
mit Überstunden in ihrem „Erstjob“ – und den
Schutz der Sozialversicherungen haben sie im
Nebenjob ja nicht nötig. Diesen haben sie bereits durch den Hauptjob.
In vielen Fällen sind Minijobber – insbesondere
Frauen – jedoch eigentlich auf den vollen
Schutz der Sozialversicherung angewiesen.
Dies gilt beispielsweise dann, wenn die Betroffenen sich mit dem Gedanken tragen, in der
nächsten Zeit schwanger zu werden oder für
Arbeitnehmer mit anfälliger Gesundheit, aber –
natürlich – auch für alle, die ihren Mini-Job eher
für unsicher halten und Interesse an Leistungen
der Arbeitslosenversicherung haben. Dann bietet es sich an, den Arbeitgeber zu fragen, ob
nicht aus dem Mini-Job (mindestens) ein
450,01-Euro-Job werden kann – also ein MidiJob. Midi-Jobs kommen allerdings nur als
Hauptbeschäftigungsverhältnis in Frage, also
beispielsweise für Hausfrauen, nicht jedoch als
Nebenjob für Arbeitnehmer, die bereits ein anderes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis haben.
Tipp: Sie sollten sich nicht scheuen, ihren Arbeitgeber auf eine geringfügige Lohnerhöhung
anzusprechen, die unter Umständen ja nur einen Cent ausmachen muss (450,01 Euro statt
450,00 Euro). Denn hier handelt es sich um
eine typische Win-win-Situation. Dem Arbeitnehmer werden durch die geringfügige Bruttolohnerhöhung die kompletten Ansprüche der
Sozialversicherung gesichert – bei relativ geringen Nettolohneinbußen. Dadurch haben sie
Anspruch auf Krankengeld, auf das volle Mutterschaftsgeld der gesetzlichen Krankenversicherung und auf die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I.
Für den Arbeitgeber fallen bei einem 450,01Euro-Job deutlich geringere Sozialabgaben an:
Statt mehr als 30 Prozent an Sozialbeiträgen,
die bei einem Mini-Job für den Chef anfallen,
sind es bei einem Midi-Job nur knapp 20 Prozent.
4. Anspruch auf „Mehr Job“
„Viele Frauen würden gerne länger arbeiten“,
so fasst das Forschungsinstitut der Arbeitsagenturen seine jüngsten Arbeitszeituntersuchungen zusammen. Das gilt auch für Minijobberinnen. Diese sind im Schnitt 12,5 Stunden
pro Woche tätig, tatsächlich möchten sie jedoch
im Schnitt acht Stunden länger, nämlich 20,5
Stunden, jobben. Das sind Ergebnisse einer
Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Und das Statistische Bundesamt ermittelte gar, dass jede fünfte teilzeitbeschäftigte Frau viel lieber einen Vollzeitjob
hätte.
Gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeitverlängerung gibt es in Deutschland schon seit Anfang 2001 – und zwar im Teilzeit- und Befris-
tungsgesetz (TzBfG). Das Gesetz enthält nicht
nur Regelungen zur Arbeitszeitverkürzung,
sondern auch zur Aufstockung der Arbeitszeit,
und zwar in Paragraf 9, der die Überschrift
„Verlängerung der Arbeitszeit“ trägt. „Der Arbeitgeber hat einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, der ihm den Wunsch nach einer Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, bei der Besetzung eines
entsprechenden freien Arbeitsplatzes bei gleicher Eignung bevorzugt zu berücksichtigen, es
sei denn, dass dringende betriebliche Gründe
oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen.“
Danach kann – natürlich – keine Arbeitnehmerin ihren Chef oder ihre Chefin zwingen, extra
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für sie einen neuen Vollzeitjob zu schaffen.
Doch dass Stellen neu besetzt werden, gehört
zum Firmenalltag. In diesen Fällen regelt das
Gesetz eindeutig den Vorrang der schon im
Unternehmen beschäftigten Teilzeiter – wozu
auch Minijobber gehören. Bei dieser gesetzlichen Regelung zur Verlängerung der Arbeitszeit gibt es – anders als bei den Bestimmungen
zur Verkürzung – kaum einschränkende Klauseln.
Die Regelung gilt für Unternehmen aller Größenklassen. Denn das Gesetz enthält keine
Klausel, durch die kleinere Betriebe mit 15 oder
weniger Beschäftigten hiervon ausgenommen
sind.
Die Regelung ist nicht (nur) für Arbeitnehmer
vorgesehen, die vorher ihre Arbeitszeit verkürzt
haben. Sie gilt vielmehr unterschiedslos für alle
Teilzeitbeschäftigten, also auch für diejenigen,
die in einem Unternehmen von vornherein als
Teilzeitkräfte „eingestiegen“ sind.
Ferner sieht Paragraf 9 des TzBfG – anders als
Paragraf 8, in dem es um die Arbeitszeitverkürzung geht – keine Mindestdauer der Beschäftigung vor. Die Regelung gilt also auch für Teilzeitbeschäftigte, die erst ganz kurze Zeit in einem Unternehmen tätig sind.
Und schließlich fordert das Gesetz auch keine
wöchentliche Mindestarbeitszeit. Danach können z.B. auch Minijobber mit einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden verlangen, dass sie
eine neu im Betrieb ausgeschriebene Vollzeitstelle bekommen, wenn sie dafür qualifiziert
sind.
Verweigerung nur bei dringenden Gründen:
Weiterhin kann der Arbeitgeber den Wunsch
nach längerer Arbeitszeit nicht aus reinen „betrieblichen Gründen“ ablehnen. Diese müssen
vielmehr „dringend“ sein.
Einige Male bereits hat sich das Bundesarbeitsgericht mit Paragraf 9 des Teilzeit- und
Befristungsgesetzes beschäftigt. Tenor ist dabei, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen
des Paragrafen ein harter Rechtsanspruch eines Beschäftigten auf Verlängerung seiner Arbeitszeit besteht. Die entsprechende gesetzliche Regelung ist keinesfalls nur als mehr oder
weniger unverbindlicher Appell an Arbeitgeber
anzusehen.
Gibt es mehrere Bewerbungen für einen Arbeitsplatz, so „gebietet“ das Gesetz die tatsächliche Berücksichtigung eines im Betrieb bereits
teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers – wenn
dieser entsprechend qualifiziert ist. Diese klare
Gesetzesauslegung traf das Bundesarbeitsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 15.
August 2006 (Az: 9 AZR 8/ 06).
Fundstelle: http://lexetius.com/2006,3693
In einer BAG-Entscheidung vom 8. Mai 2007
ging es um die Frage des dringenden betrieblichen Grundes. Geklagt hatte ein inzwischen
42-Jähriger, der beim ADAC als Disponent in
der Pannenhilfe beschäftigt war – und zwar mit
20 Stunden wöchentlich. Im August 2005
schrieb der Automobil-Club vier neu zu besetzende Disponentenstellen in Vollzeit aus. Der
Teilzeitbeschäftigte verlangte daraufhin eine
Verlängerung seiner Arbeitszeit. Das lehnte der
ADAC ab. Begründung: Die neu ausgeschriebenen Vollzeit-Stellen sollten tariffrei sein – für
den 42-jährigen Teilzeiter gelte aber ein Tarifvertrag.
Das BAG gab dem Disponenten Recht. Paragraf 9 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, in
dem es um die „Verlängerung der Arbeitszeit“
geht, begründe einen „einklagbaren Rechtsanspruch“. Dieser verpflichte den Arbeitgeber,
einen bereits teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer
zu bevorzugen, wenn eine freie oder neu ausgeschriebene Vollzeit-Stelle zu besetzen ist.
Anderes gelte nur, wenn „dringende betriebliche Gründe“ gegen den Wunsch des Arbeitnehmers angeführt werden können (Az.: 9 AZR
874/06). Da solche „dringenden“ Gründe von
den Gerichten aber nur selten anerkannt werden, haben Teilzeiter künftig gute Karten, wenn
sie sich bei ihrem Arbeitgeber auf eine frei werdende Vollzeitstelle bewerben.
Eine ganz ähnliche Entscheidung traf das LAG
Baden-Württemberg am 21. März 2013 gegen
den international tätigen Paketlogistiker UPS.
Die Firma darf – so das LAG – nicht einfach
darauf bestehen, nur Teilzeitkräfte einzustellen.
Alles andere würde den gesetzlichen Anspruch
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auf eine Verlängerung der Arbeitszeit unterlaufen.
Gestützt auf die Regelungen des Teilzeit- und
Befristungsgesetzes hatte der Betriebsrat die
Zustimmung zur Einstellung von neuen Arbeitskräften mit 17 Wochenarbeitsstunden verweigert. Die betriebliche Interessenvertretung argumentierte, dass hierdurch bereits mit 17 Wochenarbeitsstunden beschäftigte Arbeitnehmer
benachteiligt würden, die bereit seien, 34 Stunden tätig zu sein. Das LAG folgte dieser Position. Die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers, nur 17-Stunden-Kräfte einzustellen,
müsse sachlich gerechtfertigt sein. Eine Einschränkung der Flexibilisierung des Personaleinsatzes mit Mehrarbeit durch Doppelschichtarbeitsplätze sei nicht erkennbar. Ein erhöhter
Organisationsaufwand in Vertretungsfällen wie
Urlaub und Krankheit sei hinzunehmen. Höhere
Krankenstände und eine größere Zahl von Betriebsunfällen in den Doppelschichten seien
nicht zwingend mit einer höheren Arbeitszeit
verbunden. UPS unterlaufe daher mit seinem
Konzept, nur Arbeitnehmer in Teilzeit zu beschäftigen, den Anspruch auf Erhöhung der
Arbeitszeit nach Paragraf 9 TzBfG.
Tipp: Teilzeiter, die an einer Verlängerung ihrer
Arbeitszeit bzw. einem Vollzeitjob interessiert
sind, sollten dies in jedem Fall dem Betriebsoder Personalrat – soweit ein solcher vorhanden ist – gegenüber deutlich machen. Sie können ihren Anspruch auch vor dem Arbeitsgericht geltend machen. Voraussetzung ist dabei
allerdings in jedem Fall: Frei werdende Arbeitsplätze werden besetzt. Und: Die Betroffenen
müssen für die Stelle geeignet sein.
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