Lesesport 3 Heinrich Heine: Lorelei Ich weiß nicht, was soll es

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Lesesport 3 Heinrich Heine: Lorelei Ich weiß nicht, was soll es
Lesesport
3
Heinrich Heine: Lorelei
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar;
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar.
Sie kämmt es mit goldenem Kamme
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame
Gewaltige Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh’.
Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lorelei gethan.
Infos:
• Heinrich Heine (1797-1856), nach fehlgeschlagener Kaufmannskarriere 1819-1825
Jurastudium in Bonn, Göttingen, Berlin mit Promotion in Göttingen. 1831 wegen
politischer Verfolgung Auswanderung nach Paris. – 1824 von Göttingen aus
Wanderung in den Harz, beschrieben und veröffentlicht u.a. mit der Gedichtsammlung
Heimkehr als erster Band der Reisebilder 1825. Das Gedicht „Ich weiß nicht, was soll
es bedeuten“ (ohne den späteren Titel Lorelei) ist die Nummer 2 in der Sammlung
Heimkehr.
• V. 6 „der Rhein“. Beziehung zu der um 1800 von Clemens Brentano in der Ballade
Lore Lay („Zu Bacharach am Rheine...“) gestalteten Sage von der Zauberin Loreley,
die vom Felsen Loreley herab die Männer berückt und in den Tod lockt (bei Brentano
drei Ritter, die sie ins Kloster bringen sollen). Andere Dichter der Romantik nahmen
das Motiv von Loreley als Hexe, Nixe, Dämonin auf.
• Heine bekennt sich selbst zum Volkslied, habe sich aber gehütet, „den Volkston durch
holpernde Verse und Sprachplumpheit nachzuahmen“. Zugleich weist das Lied Züge
auf, die dem Volkston oder der Volkssage scharf entgegengesetzt sind.
Aufgaben
1
Benennen Sie zwei Themenbereiche des Gedichts.
2
Beschreiben Sie den Gegensatz von volksliedhaften Stilelementen und kunstvoller
Sprach- und Formbehandlung.
3
Können Sie irgendwo einen Doppelpunkt machen, der bedeutet: Hier beginnt das
Märchen? Begründen Sie Ihre Entscheidung unter Berücksichtigung von Tempus und
Sprecher-Anwesenheit bei Märchen überhaupt und in Heines Gedicht. Vgl. Aufgabe 1.
4
Können Sie in den Schluss-Strophen irgendwo einen Punkt machen, der bedeutet: Hier
ist das Märchen zu Ende? Begründen Sie Ihre Entscheidung.
5
Versuchen Sie zu ermitteln, wo sich der Sprecher in den Strophen des Gedichts
räumlich befindet. Setzen Sie Ihr Ergebnis mit der Wirkung der Jungfrau in Bezug.
6
Was „bedeutet“, d.h. auf was deutet die Traurigkeit des Sprechers in Z. 2?
7
Volkslied, Volksmärchen und Volkssage wurden noch 1824/25 nach den Theorien von
Herder, Arnim/Brentano und den Brüdern Grimm als „Stimme der Menschheit“, als
Ausdruck der unbewusst dichtenden Volksseele betrachtet. Was bedeuten unter dieser
Voraussetzung Ihre Befunde zu den Aufgaben 1-6? Vgl. ähnlich in „Ein Jüngling liebt
ein Mädchen“ den Schluss:
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.