Den Sachverhalt und die Lösungsskizze der Ersten Klausur können

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Den Sachverhalt und die Lösungsskizze der Ersten Klausur können
Prof. Dr. Kaspar
Erste Klausur der Großen Übung im Strafrecht
23.11.2012
Erste Klausur – Übung im Strafrecht für Fortgeschrittene – 23.11.2012
Sachverhalt
J, der unter chronischem Geldmangel und Geltungssucht leidet, hat einen Plan entwickelt, um
kostenlos an einen Porsche heranzukommen. Nachdem er sich mit Alkohol Mut angetrunken
hat, spricht er eines Abends – adrett gekleidet und mit einem Schönfelder in der Hand – an
einem Rastplatz den Porschefahrer P an und bittet um eine Mitfahrgelegenheit in die nächste
Stadt. P willigt nach einigem Zögern ein und lässt J neben sich einsteigen. Als P nach
zwanzigminütiger Fahrt an einer roten Ampel anhalten muss, sieht J seine Chance gekommen.
Unbemerkt von P – auf Grund von dessen Konzentration auf die Ampelschaltung – zieht J
sein mitgeführtes Springmesser, hält es P an die Kehle und fordert ihn auf, ihm das Auto zu
überlassen, wenn ihm sein Leben lieb sei. Der völlig überraschte P übergibt daraufhin dem J
die Schlüssel und sucht das Weite. J setzt sich daraufhin selbst ans Steuer und braust davon.
In der nächsten Stadt holt er seinen nichts ahnenden Freund F für eine Spritzfahrt ab. F
erkennt zwar, dass J auf Grund seines alkoholbedingten Zustandes nicht mehr fahrtüchtig ist,
dies ist ihm jedoch egal. Auf der Fahrt gerät J prompt ins Schlingern, so dass er fast im
Graben landet. Erst in letzter Sekunde kann er das Steuer herumreißen. F, der es nun doch mit
der Angst zu tun bekommt, tauscht daraufhin mit J das Steuer. Auf der Weiterfahrt in den
menschenleeren Straßen brüllt J aus Spaß ganz plötzlich „ich bin der König der Welt“, so dass
F – allerdings ohne es zu bemerken – versehentlich zwei am Straßenrand geparkte Fahrräder
streift. J erkennt zwar, dass die Räder beschädigt wurden, sagt jedoch nichts. Bei einem
Zwischenstopp nach ungefähr 3 km sieht F Kratzer an dem Porsche, daraufhin klärt J seinen
Freund F über den Vorgang auf. F hat nun jedoch keine Lust mehr, zurückzukehren und
meldet den Vorfall auch nicht nachträglich bei den zuständigen Behörden. Zum Tatzeitpunkt
hatte J eine Blutalkoholkonzentration von 1,0 Promille. Der angerichtete Sachschaden an den
Fahrrädern beläuft sich auf ca. 1.500 Euro, der am Porsche auf 2.000 €.
Hinweis: Das Springmesser ist ein tragbarer Gegenstand i. S. d. § 1 II Nr. 2 b i. V. m. Anlage
1, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2 Nr. 2.1.1. WaffG und damit eine Waffe i. S. d. WaffG.
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Erster TK: Verschaffen des Porsche
I. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 11 durch die Bedrohung des P mit dem Springmesser und
der Entwendung des Porsches
Hinweis: Es kann auch mit § 249 begonnen werden, wobei die Abgrenzung, ob Raub oder
räuberische Erpressung vorliegt, im Rahmen der Wegnahme diskutiert werden muss.
1. Obj. Tatbestand
a) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben: (+)
b) Verwenden einer Waffe durch Drohung mit dem Springmesser, § 250 II Nr. 1 Alt. 1?
Das Springmesser fällt unter das WaffG und ist als Waffe zu qualifizieren.
Eine Waffe „verwendet“, wer sie in objektiv gefährlicher Weise einsetzt. Dies ist zunächst der
Fall, wenn der Gegenstand als Mittel einer erheblichen körperlichen Verletzung oder
Gefährdung eingesetzt wird. Ein Verwenden liegt aber auch vor, wenn der Gegenstand als
Mittel einer latent gefährlichen Drohung dient. Latent gefährlich ist die Drohung, wenn sie
derart verwirklicht werden könnte, dass für den Betroffenen zumindest die Gefahr einer
erheblichen Körperverletzung entsteht.
Hier: (+)
c) Nötigungserfolg: Die Herausgabe des Autoschlüssels an J und das Verlassen des Wagens.
Problematisch ist, wie dieses Verhalten einzuordnen ist, als Wegnahme i. S. d. § 249 I oder
als ein Handeln i. S. d. §§ 253 I, 255:
→ Muss das abgenötigte Verhalten (als ungeschriebenes TB-Merkmal) eine „Vermögensverfügung“ darstellen?
aa) Noch h.L.: (+)
Hier: J setzt zwar lediglich vis compulsiva ein, so dass noch Raum für eine Willensbetätigung
auf Seiten des P verbleibt. P hat jedoch keine „Schlüsselstellung“ über den
Gewahrsamswechsel inne (dieses Erfordernis „ersetzt“ das Kriterium der Freiwilligkeit beim
Betrug, eine erpressungsspezifische Vermögensverfügung kann ja niemals freiwillig sein);
nach seiner Vorstellung ist für den Gewahrsamsverlust seine Mitwirkung nicht notwendig, da
J ihm den Schlüssel auch selbst abnehmen und sich die Verfügungsgewalt über den Porsche
verschaffen könnte. → Keine Vermögensverfügung gegeben; §§ 253 I, 255 (-)
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All nicht bezeichneten §§ sind die des StGB.
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bb) Rechtsprechung: (-)
Es genügt jedes vermögensrelevante Handeln, Tun oder Unterlassen; § 249 ist der
Spezialtatbestand gegenüber den weiter gefassten und an sich tatbestandlich auch
einschlägigen §§ 253, 255; Spezialtatbestand deshalb, weil dieser eine Zueignungsabsicht und
eine Duldung der Wegnahme voraussetzt; Abgrenzung zu § 249 erfolgt allein nach dem
„äußeren Erscheinungsbild“.
Hier: P hat seinen Gewahrsam an dem Porsche aufgegeben. „Geben“ → §§ 253 I, 255 (+)
→
Diskussion:
Für die Lehre spricht:
- Die Gesetzessystematik: Die Gegenansicht, nach der die räuberische Erpressung auch den
Raub als Spezialdelikt (im Falle von Zueignungsabsicht) mitumfassen soll, ist wenig
einleuchtend, da § 249 dann im Grunde überflüssig wäre. Im Übrigen bleibt unklar, weshalb
von zwei Delikten mit gleichem Strafrahmen das nachfolgende das Grunddelikt darstellen
soll. Zudem wäre es höchst ungewöhnlich, dass einer allgemeiner formulierter
Grundtatbestand hinsichtlich seines Strafrahmens auf ein Spezialdelikt verweist.
- Unterlaufen gesetzlicher Privilegierungen: Die Rechtsprechung macht die Erpressung zum
Auffangtatbestand
für
alle
mit
Bereicherungsabsicht
begangenen,
gewaltsamen
Vermögensschädigungen. Damit missachtet sie die in § 249 zum Ausdruck kommende
gesetzgeberische
Wertung,
wonach
die
mit
Raubmitteln
erzwungene
bloße
Gebrauchsanmaßung nicht die Raubstrafe auslösen soll.
Für die Rechtsprechung spricht:
- Aus dem Wortlaut der §§ 253, 255 lässt sich das Merkmal der Vermögensverfügung nicht
entnehmen.
- Angesichts der insoweit identischen Gesetzesfassung besteht kein Grund, „Gewalt“ in §§
253 anders zu verstehen als in § 240. (Dort aber ist vis absoluta in jedem Fall einbezogen).
- Nur der Verzicht auf das Erfordernis der Vermögensverfügung (und die Einbeziehung der
vis absoluta in den Gewaltbegriff des § 253) ermöglicht einen lückenlosen Rechtsschutz
gegen alle in Bereicherungsabsicht gewaltsam herbeigeführten Vermögensschädigungen.
- Da § 255 die Raubfolgen im gesamten Bereich der mit Raubmitteln erzwungenen Bereicherung eintreten lässt, kann schwerlich von einer unterlaufenen Privilegierung des ohne Zueignungsabsicht (aber mit Bereicherungsabsicht) handelnden Täters die Rede sein.
Der Rechtsprechung wird gefolgt.
A.A. vertretbar.
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d) Kausalität zwischen Drohung und Nötigungserfolg (+)
e) Vermögensnachteil (+)
2. Subjektiver Tatbestand
Vorsatz;
Absicht,
rechtswidriger
Bereicherung
und
Stoffgleichheit
zwischen
Vermögensvorteil und -nachteil gegeben.
3./4. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)
5. Ergebnis: J ist strafbar gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1 (+)
Die gleichzeitig mitverwirklichte Nötigung, § 240, tritt dahinter zurück.
Auf Basis der Literatur, die eine räuberische Erpressung ablehnt, geht es
folgendermaßen weiter:
II. §§ 249 I, 250 II Nr. 1 Alt. 1 durch die Bedrohung des P mit dem Revolver und der
Entwendung des Porsches
1. Obj. Tatbestand
a) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben
b) Wegnahme des Porsche: Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams durch J (+)
c) Finalzusammenhang zwischen Drohung und Wegnahme (+); diese Verknüpfung liegt in
subjektiver und objektiver Hinsicht vor.
d) Verwenden einer Waffe durch Drohung mit Springmesser, § 250 II Nr. 1 Alt. 1: s.o.
2. Subj. Tatbestand
- Vorsatz (+)
- Zueignungsabsicht: Aneignungsabsicht (Absicht, die Sache zumindest vorübergehend zu
nutzen) und Enteignungsvorsatz (Vorsatz der dauernden Enteignung) (+)
- Die beabsichtigte Zueignung ist rw.
3./4. RW und Schuld
5. Ergebnis: §§ 249 I, 250 II Nr. 1 Alt. 1 (+)
Die gleichzeitig mitverwirklichte Nötigung, § 240, tritt dahinter zurück.
II. Strafbarkeit von J gem. § 239 a I Var. 2
1. Objektiver Tatbestand
Sich bemächtigen: Täter bringt anderen physisch in seine Gewalt
Hier: Das In-Schach-Halten des P mit einer Waffe (Springmesser) genügt. (+)
2. Subjektiver Tatbestand
a) Erpressungsabsicht hinsichtlich des Porsches
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Nach der Rspr. ist der Raub der Spezialfall der räuberischen Erpressung, so dass der Täter
nach dieser Ansicht hier (trotz Vorrang des Spezialfalles § 249) auch mit einer auf den
Tatbestand der (räuberischen) Erpressung gerichteten Absicht handelt.
(Hinweis: Wer oben mit der Literatur ausschließlich § 249 bejaht, müsste § 239a StGB an
dieser Stelle ablehnen).
b) Ein zeitlich-funktionaler Zusammenhang zwischen der Bemächtigungslage und der
beabsichtigten Erpressung derart, dass der Täter das Opfer während der Dauer der
Zwangslage erpressen will, liegt vor.
c) Problem: In Zwei-Personen-Konstellationen würden die herkömmlichen Fälle der
räuberischen Erpressung immer auch unter § 239 a I Var. 2 fallen.  restriktive Auslegung
in Zwei-Personen- Konstellationen.
BGH: „Diese Vorschrift beschreibt ein sog. unvollkommenes zweiaktiges Delikt. Dabei muss
zwischen dem ersten, objektiv verwirklichten Teilakt des Entführens oder des SichBemächtigens und dem zweiten, in die Vorstellung des Täters verlagerten Teilakt der
angestrebten weitergehenden Nötigung ein funktionaler Zusammenhang bestehen. Der Täter
muß beabsichtigen, die durch die Entführung oder das Sich-Bemächtigen für das Opfer
geschaffene Lage zur qualifizierten Drohung auszunutzen und durch sie zu nötigen.“2
Aus der zweiaktigen Struktur folgt, dass der Täterwille dahingehen muss, die durch den
(ersten) Bemächtigungsakt geschaffene Zwangslage für einen (zweiten) Nötigungsakt
auszunutzen. Bemächtigungsakt und abgenötigte Handlung dürfen nicht zusammenfallen.
→ Erfordernis des Schaffens einer sog. stabilen Zwischenbemächtigungslage, die einer
Entführungslage vergleichbar ist und die der Täter für ein weiteres Nötigungsverhalten
auszunutzen beabsichtigt. (Beispiel: Bedrohung des Opfers mit dem Tode nach
vorangegangener mehrminütiger Einsperrung in einem Raum; BGH NStZ 2007, 32).
Hier: (-)
3. Ergebnis: § 239 a I Var. 2 (-)
IV. § 316 a I
1. Obj. Tatbestand
a) Angriff verüben
- Angriff auf Leib oder Leben: Angriff ist eine gegen Leib oder Leben des Fahrzeugsführers
gerichtete feindselige Handlung, die keine Verletzung des jeweiligen Rechtsgutes verlangt.
2
BGHSt 40, 350, 355.
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- Verüben: Verübt ist ein Angriff, wenn er ausgeführt wurde; ausgeführt ist der Angriff,
wenn die Angriffstätigkeit – zumindest aus Sicht des Täters – derart abgeschlossen ist, dass
das Opfer dem Wirkungsbereich des Angriffs ausgesetzt ist; der Täter hat den „point of no
return“ erreicht = quasi beendeter Versuch.
Hier: Bedrohung mit dem Springmesser (+)
b) P war bei (zeitlicher Zusammenhang) Verüben des Angriffs auch „Führer“ eines Kfz:
Führer eines Kraftfahrzeugs im Sinne dieser Vorschrift ist, wer das Fahrzeug in Bewegung
zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs
und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist.
Befindet sich das Fahrzeug, in dem sich das Tatopfer aufhält, nicht (mehr) in Bewegung, so
ist darauf abzustellen, ob das Opfer als Fahrer (noch) mit der Bewältigung von Betriebs- oder
Verkehrsvorgängen befasst ist. Bejaht wird dies bei verkehrsbedingtem Halten (egal ob der
Motor läuft oder kurzfristig abgestellt wird).
Hier: (+) P hat seinen Porsche verkehrsbedingt an der roten Ampel zum Halten gebracht.
c) Ausnutzung „der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“:
Der Angriff gegen das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer muss unter Ausnutzung der
spezifischen Bedingungen des Straßenverkehrs begangen werden.
Dieses auf die Vorstellung des Täters bezogene Merkmal setzt voraus, dass die die Abwehrund Schutzmöglichkeiten schwächenden Verhältnisse instrumentalisiert werden. Nach der
h.M. nutzt ein Täter die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs aus, wenn er eine dem
fließenden – den verkehrsbedingten Halt einschließenden – Straßenverkehr eigentümliche
Gefahrenlage, die den Kfz-Führer in seinen Flucht- und Gegenwehrmöglichkeiten
beeinträchtigt, in den Dienst seines Angriffs stellt. Diese verkehrstypische Gefahrenlage
erwächst für den Kfz-Führer aus seiner Beanspruchung durch das Bedienen des Fahrzeugs
und die ihm abverlangte Konzentration auf die Verkehrslage.
Hier: (+) P´s Aufmerksamkeit galt beim Halten an der Ampel in erster Linie der Bewältigung
des Verkehrsvorgangs und der Beobachtung der Verkehrssituation,
indem seine
Konzentration der Ampelschaltung gewidmet war. Genau diese Situation nutzte J für seinen
Angriff aus.
2. Subj. Tatbestand
a) Vorsatz hinsichtlich des Ausnutzens: Der Täter muss sich die verkehrstypische
Gefahrenlage bewusst zunutze gemacht haben; diese muss in der Vorstellung des Täters aber
nicht der alleinige Kausalfaktor für einen erfolgreichen Angriff darstellen: Hier: (+)
b) Vorsatz hinsichtlich Angriff: (+)
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c) Absicht der Begehung eines Raubes oder einer räuberischen Erpressung: (+)
J hat nach der Rspr. eine schwere räuberische Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt.
1 und nach der Literatur einen schweren Raub gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 1 Alt. 1 begangen
(s.o.)
3./4. RW und Schuld
5. Ergebnis: § 316 a I (+)
V. Endergebnis des ersten TK:
J ist strafbar gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1; § 316 a. Diese Taten stehen zueinander im
Verhältnis der Tateinheit, § 52.
Zweiter TK: Die Spritztour mit dem Porsche und J als Fahrer
A.
Strafbarkeit des J
I. § 315 c I Nr. 1a, III Nr. 1
1. Obj. Tatbestand
a) Gefährdungshandlung
aa) Führen eines Fahrzeuges (+)
bb) Relative Fahruntüchtigkeit: ab 0,3 Promille BAK, sofern alkoholbedingter Fahrfehler
hinzutritt.
Hier: (+) J gerät ins Schlingern und landet fast im Graben.
b) Gefährdungserfolg
aa) Gefährdung von Leib oder Leben des F durch das Schlingern:
(1) F ist kein Teilnehmer der Tat, insbesondere kein Gehilfe. Er hat J nicht zur Fahrt trotz
Alkoholisierung
ermuntert.
Ein
Beifahrer
kann
im
Gegensatz
zum
Teilnehmer
unproblematisch Gefährdungsobjekt des § 315 c I sein.
(2) Das Schlingern und die Beinahelandung im Graben ist als ein Beinaheunfall und damit als
ein ausreichender Gefährdungserfolg i. S. d. § 315 c I zu qualifizieren (+)
bb) Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert:
Schaden an dem Porsche tatbestandsmäßig i. S. d. des § 315 c I?
(-) Das Tatwerkzeug scheidet als Schutzobjekt des § 315 c I aus, nachdem es als Tatmittel
nicht gleichzeitig Schutzobjekt sein kann.
c)
Zurechnungszusammenhang
zwischen
dem
fahruntüchtigen
Zustand
und
dem
Beinaheunfall (+)
2. Subj. Tatbestand
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Vorsatz hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit (+)
3. Fahrlässige Verursachung der Gefahr für F, III Nr. 1
a) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit des Erfolgs (+)
b) Objektive Zurechnung (+)
4. RW
Kann eine Einwilligung des F in seine Gefährdung rechtfertigend wirken?
Eine solche Wirkung kann der Einwilligung grundsätzlich nur zukommen, wenn der
Einwilligende selbst Träger des disponiblen, von der Norm geschützten, Rechtsguts ist, und
unter keinen Umständen eine darüber hinausgehende Rechtsgütergefährdung zu erkennen ist.
a) BGH: Die Einwilligung des Gefährdeten bei der Verkehrsgefährdung ist schlechthin
unbeachtlich, da das von § 315 c primär geschützte Universalrechtsgut der Sicherheit des
Straßenverkehrs nicht der Dispositionsbefugnis Einzelner unterliegt.
Arg.: Der Schutz des § 315 c geht über den Individualgüterschutz hinaus. Durch die
Komplexität und Dynamik des Verkehrs kann es zu nicht voraussehbaren Gefährdungen oder
Verletzungen von Individualrechtsgütern kommen: dieses gemeine Verkehrsrisiko versucht
der Gesetzgeber ja gerade in § 315 c zu erfassen, insoweit ist dem § 315 c ein eigenständiges
Rechtsgut
der
Verkehrssicherheit
immanent.
Eine
Einwilligung
des
Individualrechtsgutsträgers mag zwar – in den Grenzen des § 228 – unrechtsausschließende
Wirkung hinsichtlich der konkreten Gefährdung seines Rechtsguts haben. Hinsichtlich des
Allgemeinrechtsguts fehlt es jedoch generell an der Verfügungsbefugnis.
b) A.A.: Da die Vorschrift den Eintritt einer konkreten Gefahr für Individualrechtsgüter
voraussetzt, kann jedoch schwerlich bestritten werden, dass ihr Schutz jedenfalls auch
individuellen Rechtsgütern gilt, die gleichberechtigt und nicht nur als Annex der
Straßenverkehrssicherheit geschützt werden. Diskutabel erscheint daher der Vorschlag, eine
Lösung im Rahmen der objektiven Zurechnung zu suchen und unter dem Aspekt der
eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bereits die Tatbestandserfüllung zu verneinen. Da
jedoch der Fahrzeugführer und nicht der gefährdete Dritte die Tatherrschaft innehat, mithin
die Konstellation einer einverständlichen Fremdgefährdung vorliegt, verdient die prinzipielle
Anerkennung einer das Unrecht des Gefährdungsteils ausschließenden rechtfertigenden
Einwilligung den Vorzug. Die verbleibenden Allgemeininteressen sind über § 316
ausreichend geschützt.
Auf Grund der fehlenden Verfügungsbefugnis über die Rechtssphäre Dritter ist der
Rechtsprechung zu folgen.
A.A. vertretbar.
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4. Schuld
J handelte schuldhaft. Subjektive Vermeidbarkeit der Pflichtverletzung und subjektive
Vorhersehbarkeit des Erfolgs (+)
5. Ergebnis: § 315 c I Nr. 1a, III Nr. 1 (+)
Der gleichzeitig mitverwirklichte § 316 I tritt dahinter auf Grund von Subsidiarität zurück.
B. Endergebnis zweiter TK:
J ist strafbar gem. § 315 c I Nr. 1a, III Nr. 1.
Dritter TK: Die Spritztour mit dem Porsche und F als Fahrer
A.
Strafbarkeit des J
I. § 142 I Nr. 2 durch das Weiterfahren lassen nach der Beschädigung der Räder
1. Obj. Tatbestand
a) Unter einem Unfall im Straßenverkehr ist jedes – zumindest für einen der Beteiligten –
plötzliche, mit den typischen Gefahren des Straßenverkehrs ursächlich zusammenhängende
Ereignis zu verstehen, durch das ein nicht nur belangloser Fremdschaden verursacht wird.
Hier: Der Schaden an den Rädern beträgt 1.500 € (+)
b) Unfallbeteiligter?
J ist ein Unfallbeteiligter i. S. d. § 142 V und damit ein möglicher Täter des Sonderdelikts
§ 142 I Nr. 2. Er hat F durch sein plötzliches Gebrüll erschreckt und so den Unfall
mitverursacht.
c) Sich Entfernen
Die Tathandlung des Sich-Entfernens setzt ein vom Unfallbeteiligten beherrschtes Verlassen
des Unfallortes voraus. Die räumliche Entfernung muss vom Unfallbeteiligten gesteuert
werden können. Wer sich nicht selbst entfernt, sondern durch Dritte entfernen lässt, steuert
den Fortbewegungsvorgang aktiv dadurch, dass er das den Unfallort verlassende Fahrzeug
besteigt bzw. den Fahrer zum Verlassen der Unfallstelle anweist. Das Entfernen ist jedoch
auch durch passives Verhalten möglich. Wer als Mitfahrer am Unfall beteiligt und daher
wartepflichtig ist, begeht Unfallflucht, wenn er es unterlässt, den Fahrer zum sofortigen
Halten zu bewegen. Unterlässt es der unfallbeteiligte Mitfahrer, die Weiterfahrt durch Dritte
zu unterbinden, obwohl ihm dies möglich und zumutbar ist, so steuert er seine Entfernung
durch ein Unterlassen des Eingreifens, wobei die Verpflichtung zum Eingreifen aus seiner
Stellung als Unfallbeteiligter folgt.
Hier: (+)
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d) I Nr. 2: J hat die Wartefrist nicht abgewartet.
2. Subj. Tatbestand (+)
3. RW
4. Schuld
5. Ergebnis: § 142 I Nr. 2 (+)
B.
Strafbarkeit des F
I. § 142 I Nr. 2 durch das Weiterfahren nach der Beschädigung der Räder
1. Obj. Tatbestand
a) Unfall im Straßenverkehr (+)
b) F ist Unfallbeteiligter i. S. d. § 142 V.
c) F hat sich vom Unfallort entfernt.
"Unfallort" ist nicht nur die eigentliche Unfallstelle, sondern auch deren räumlicher
Nahbereich, bei dem noch ein örtlicher Bezug zur eigentlichen Unfallstelle dergestalt
vorhanden ist, dass andere Unfallbeteiligte oder feststellungsbereite Personen den Täter nach
den Umständen des Falles unschwer dort noch als wartepflichtigen Unfallbeteiligten erkennen
können. Durch das Weiterfahren nach dem Unfall hat sich F unproblematisch vom Unfallort
entfernt.
Hier: (+)
d) I Nr. 2: F hat die Wartefrist nicht abgewartet.
2. Subj. Tatbestand (-)
Kein Vorsatz bzgl. eines „Unfalls“ zum relevanten Zeitpunkt der ursprünglichen Weiterfahrt.
Denkbar wäre zwar, auf die weitere Fahrt nach Kenntniserlangung durch F abzustellen. Das
hängt davon ab, ob man auch dies noch als (weiteres) Entfernen vom Unfallort qualifizieren
kann. Das ist dann nicht mehr der Fall, wenn der Täter sich räumlich so weit vom Unfallort
entfernt hat, dass er im Fall der Nr. 2 den örtlichen Bereich verlassen hat, in dem andere
Unfallbeteiligte oder feststellungsbereite Personen ihn unter den gegebenen Umständen noch
unschwer als wartepflichtigen Unfallbeteiligten vermuten und ggf. durch Befragen ermitteln
würden. Ein derartiger räumlich-zeitlicher Zusammenhang besteht nicht mehr, wenn der
Unfallbeteiligte nach dem Unfall wie hier die nicht unerhebliche Distanz von drei Kilometern
zurückgelegt hat, ehe er von dem Unfallgeschehen Kenntnis erlangt hat. Das Weiterfahren
nach Kenntniserlangung ist daher kein (weiteres) Entfernen „vom Unfallort“ mehr, so dass die
Kenntnis des F zu diesem Zeitpunkt keinen relevanten Vorsatz bzgl. § 142 I Nr. 2 darstellt.
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3. Ergebnis: § 142 I Nr. 2 (-)
II. § 142 II Nr. 2 durch die unterlassene Rückkehr bzw. Ermöglichung von Feststellungen
nach Kenntniserlangung vom Unfallgeschehen
1. Obj. Tatbestand
a) Unfall im Straßenverkehr (+)
b) F ist Unfallbeteiligter i. S. d. § 142 V.
c) Sich Entfernen vom Unfallort (+)
d) Berechtigt oder entschuldigt?
F hat sich ohne Vorsatz vom Unfallort entfernt (s.o.) und erst dann von dem Unfall erfahren.
Fraglich ist, ob auch die vorsatzlose Entfernung vom Unfallort die nachträglichen Pflichten
des Abs. 2 Nr. 2 auslöst. Es war lange Zeit umstritten, ob sich gemäß Abs. 2 Nr. 2 auch
derjenige Unfallbeteiligte "berechtigt oder entschuldigt" vom Unfallort entfernt hat, der den
Unfallort in Unkenntnis des Unfalls verlassen hat und erst später bemerkt, dass er einen
Unfall verursacht hat.
aa) Rspr.: In einer Grundsatzentscheidung des BGH3 bejahte dieser eine Strafhaftung nach
Abs. 2 Nr. 2 auch für denjenigen Unfallbeteiligten, der sich zwar in Unkenntnis des Unfalls
vom Unfallort entfernt, aber noch innerhalb eines zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs,
dessen Grenzen aus der Zumutbarkeit hergeleitet werden, von dem Unfall Kenntnis erlangt
hat.
Arg.: Dieses Ergebnis entspreche dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers auf Grund des
Wortlauts des Gesetzes und dessen gesetzgeberischer Gesamtkonzeption, d.h. dem
gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis der beiden ersten Absätze dieses Tatbestandes, sowie
auf Grund des Zwecks der Regelung und nicht zuletzt ihrer Entstehungsgeschichte.
Die Begriffe "berechtigt oder entschuldigt" dürften nicht formaldogmatisch auf die allgemein
anerkannten strafrechtlichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe beschränkt,
sondern könnten ihrem natürlichen Wortsinn entsprechend als "in strafloser Weise"
verstanden werden  Fälle, in denen sich der Unfallbeteiligte ohne Kenntnis des
Unfallgeschehens vom Unfallort entfernt hat, werden einbezogen.
bb) Schrifttum: Der (teleologisch sinnvolle) Interpretationsversuch der Rechtsprechung
wurde in der Literatur mit großer Mehrheit als unzulässige Analogie abgelehnt.
3
BGHSt 28, 129 ff.
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Arg.: Die von Abs. 1 abgeleiteten Sekundärpflichten des nachfolgenden Abs. 2 dürften nicht
weiter gehen als die strafbewehrte Primärpflicht des Abs. 1. Ein derart augenfälliger
Redaktionsfehler könne nur durch den Gesetzgeber selbst korrigiert werden. Bei der von der
Rechtsprechung befürworteten Auslegung würde zudem der für das Unrecht des gesamten
Tatbestandes bedeutsame Unterschied zwischen bewusst-vorsätzlichem Sich Entfernen vom
Unfallort einerseits und unbewusst-vorsatzlosem Verlassen des räumlichen Unfallbereichs
andererseits völlig verwischt; denn wer den Unfall überhaupt nicht bemerkt hat, habe
überhaupt keine echte Wahl zwischen Sich Entfernen oder Warten an der Unfallstelle gehabt,
sei folglich vom primären Normbefehl des Abs. 1 schlicht nicht erfasst und unterfalle
demzufolge auch nicht dem sekundären Auffangtatbestand des nachfolgenden Abs. 2.
cc) BVerfG, Beschluss vom 19.03.20074: Eine Gleichsetzung vorsätzlichen und
unvorsätzlichen Sich Entfernens vom Unfallort ist mit dem verfassungsrechtlichen
Analogieverbot nicht zu vereinbaren.
Die von den Strafgerichten seit bald 30 Jahren praktizierte Auslegung des § 142 Abs. 2 Nr. 2
komme zwar den Bedürfnissen der gegnerischen Unfallbeteiligten bzw. der Geschädigten
entgegen, ausweislich Art. 103 Abs. 2 GG ist der Wortlaut des Gesetzes aber die erste und
äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Die Begriffe „berechtigt oder
entschuldigt“ in § 142 Abs. 2 Nr. 2 sind nicht nur formal-dogmatisch eindeutig geklärt und als
solche auf die allseits anerkannten Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe
beschränkt, sondern werden auch ihrem natürlichen Wortsinn nach selbst von Nicht-Juristen
keineswegs als Synonym für „in strafloser Weise“ verstanden.
Die von Abs. 1 abgeleiteten Sekundärpflichten des nachfolgenden Abs. 2 dürfen nicht weiter
gehen als die strafbewehrte Primärpflicht des Abs. 1; denn wer sich „berechtigt oder
entschuldigt“ vom Unfallort entfernt, handelt unter ganz anderen Voraussetzungen als
derjenige, der sich mangels Kenntnis des Unfallgeschehens vom Unfallort entfernt hat. Somit
laufe die als Auffangtatbestand zu begreifende Subsidiärhaftung des Abs. 2 ins Leere, wenn
den Täter der Normbefehl des Abs. 1 überhaupt nicht erreicht und dieser damit auch nicht die
Wahl zwischen Warten oder Wegfahren hatte.
Diese dem Gesetz zugrunde liegende Konzeption ist ersichtlich auch dem Umstand
geschuldet, dass der Gesetzgeber sich auf diese Weise dem Vorwurf entziehen wollte, einem
möglichen Straftäter mit den im Jahre 1975 neu eingeführten nachträglichen Meldepflichten
4
BVerfGE NJW 2007, S. 1666.
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des Abs. 2 zu viele Aktivpflichten aufgebürdet und damit das auch verfassungsrechtlich
garantierte Selbstbelastungsverbot verletzt zu haben.
Hier: Das vorsatzlose Sich Entfernen des F unterfällt nicht § 142 II Nr. 2.
e) Der objektive Tatbestand des § 142 II ist nicht erfüllt.
2. Ergebnis: § 142 II Nr. 2 (-)
Hinweis: Eine Auseinandersetzung mit diesem Problem in dieser Ausführlichkeit kann
keinesfalls verlangt werden.
C. Endergebnis dritter TK:
J ist strafbar gem. § 142 I Nr. 2.
F hat sich nicht strafbar gemacht.
D. Endergebnis
I. J ist strafbar gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1; § 316 a; 52 sowie jeweils in Tatmehrheit
(§ 53) dazu gemäß § 315 c I Nr. 1a, III Nr. 1 und gemäß § 142 I Nr. 2 (hinsichtlich der
Gefährdung des Straßenverkehrs und der Unfallflucht ist auch Tateinheit vertretbar).
A.A. BGH, der „wegen der teilweisen Identität der Ausführungshandlungen“ des
räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer, schweren Raubes und der weiteren durch das
Führen des Kraftfahrzeugs verwirklichten Straftatbestände insgesamt Tateinheit gem. § 52
annimmt.
II. F hat sich nicht strafbar gemacht.
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