Scheiden tut weh

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Scheiden tut weh
Gerrit Alberts
Scheiden tut weh
Die unerwarteten Langzeitfolgen
Scheidungs-Mythen und Wirklichkeit
Experten
gehen davon
In dem scheidungsbejahenden gesellschaftlichen
Klima gedeihen verschiedene Mythen: Eine
Scheidung sei eine vorübergehende Krise. Sie
schaffe zwar Wunden, die aber bald verheilen.
Für Kinder sei eine Trennung besser als die häusliche Gemeinschaft mit Eltern, die sich innerlich
auseinander gelebt haben. Eine sanfte Trennung,
ohne schmutzige Wäsche zu waschen, würde den
Kindern helfen, das Auseinanderbrechen der Familie unbeschadet zu überstehen.
Die Scheidungszahlen klettern in immer neue
Rekordhöhen. 2001 lag die Scheidungsrate in
Deutschland erstmals über 50%. Sie stieg von
1,9% im Jahr 19001 auf 50,7% im vorletzten
Jahr.2 Der Nationale Rat für Familienbeziehungen in den USA – eine Expertengremium, das die
Regierung berät – geht davon aus, dass zwei
Drittel der Neuverheiratungen in irgend einer
Form der Auflösung enden werden.3
In Wirklichkeit weisen Untersuchungsergebnisse
darauf hin, dass Scheidung eine tiefgreifende
Erschütterung sowohl für die Erwachsenen als
auch für die betroffenen Kinder bedeutet. Für
die Erwachsenen zieht das Scheitern der ehelichen Beziehungen z. B. eine deutlich erhöhte
Sterblichkeitsrate nach sich: So ist die Sterblichkeit von 30-jährigen geschiedenen Männern in
dem folgenden Lebensjahrzehnt um 250% höher als die von verheirateten. Im Vergleich dazu
macht die Übersterblichkeit bei hohem Blutdruck nur 200% und bei starkem Rauchen nur
125% aus.4 Um nur einige Problemfelder der
Kinder aus Scheidungsfamilien zu nennen: Sie
leiden vermehrt unter Depressionen, haben vergleichsweise mehr Lernschwierigkeiten, verhalten sich ihren Eltern und Lehrern gegenüber aggressiver, haben als Erwachsene mehr psychische
Probleme, zeugen mehr außereheliche Kinder,
zeichnen sich durch eine niedrigere Heirats- und
eine höhere Scheidungsrate aus als Kinder
nicht-geschiedener
Eltern.5
aus, dass Leider macht dieser Trend vor den Türen der
zwei Drittel christlichen Gemeinden nicht halt. Viele Mender Neuver- schen, die zum Glauben kommen, haben Scheidungserfahrungen – entweder als Ehepartner
heiratungen oder als Kind. Immer häufiger spielt sich das
in irgend Drama der Scheidung – trotz Gottes klarem Verbot – auch in christlichen Familien ab. Paulus
einer Form schreibt über Scheidung: „Den Verheirateten aber
der Auflösung gebiete nicht ich, sondern der Herr, dass eine
enden
werden.
Frau sich nicht vom Mann scheiden lassen soll
... und dass ein Mann seine Frau nicht entlasse“
(1Korinther 7,11-12).
„Sie leiden
vermehrt unter
Depressionen,
verhalten sich
ihren Eltern und
Lehrern gegenüber
aggressiver, haben als
Erwachsene mehr
psychische Probleme ...“
4
Studien, „dass Kinder wie Eltern sich rasch
wieder fangen würden.“ 8 Die Untersuchungen
hingegen belegen, dass der Einfluss der Scheidung auf die Kinder erst viele Jahre nach der
Trennung der Eltern am stärksten ist. Er nimmt
während des Heranwachsens allmählich zu und
ist erst im ersten Jahrzehnt des Erwachsenseins
am stärksten. Das unmittelbare Trauma der Trennung hat weniger Einfluss auf das spätere Leben
des Kindes als die Rollenkonfusion, die es in den
späteren Jahren in der Scheidungs- und Stieffamilie erlebt. Ihm fehlt ein glaubwürdiges Muster für das Zusammenleben von Ehepartnern,
mit dem es sich teils identifizieren, teils aber
auch kritisch auseinandersetzen kann:
Erste Langzeituntersuchung
Die amerikanischen Forscherinnen Wallerstein
und Lewis, erstere eine international profilierte
Expertin für Auswirkungen von Ehescheidungen,
legten erstmals eine methodisch sehr bemerkenswerte Langzeitstudie über die Auswirkungen der
Scheidung auf die betroffenen Kinder vor. Sie
begleiteten 93 Kinder, deren Eltern sich in den
frühen 70-er Jahren scheiden ließen, über einen
Zeitraum von 25 Jahren. Die Kinder stammten
aus gebildeten, gut situierten Familien, um Scheidung unter den bestmöglichen Bedingungen zu
repräsentieren. Bis zum Auseinanderbrechen der
Familie waren die Kinder psychisch stabil und
hatten sich normal entwickelt. Um die Erfahrungen dieser Kinder einschätzen zu können,
wurden zu den gleichen Themen Jugendliche einer Kontrollgruppe befragt. Diese kamen oft aus
Ehen mit ähnlichen Spannungen. Aber der Unterschied war, dass eine große Zahl der manchmal ebenfalls unglücklichen Eltern zusammenblieb und es schaffte, die gemeinsame Kindererziehung aufrecht zu erhalten.6
„Alle Scheidungskinder berichteten, dass das
Bild ihrer Eltern als Liebespaar für immer verloren war. Ihnen fehlte das zentrale Bild für eine
intakte Ehe. Stattdessen begegneten sie einer
Leere.“ 9 Anders als die Kinder aus intakten Familien erwähnten sie kaum den Umgang ihrer
Eltern miteinander. Keiner erwähnte die Liebesgeschichte seiner Eltern oder gar die Scheidungsgeschichte. Das Zusammenleben der Eltern war
aus dem Gedächtnis getilgt, unabhängig davon,
ob die Eltern nach der Trennung schmutzige
Wäsche gewaschen hatten oder nicht. Kindern,
die beide Eltern nach der Trennung regelmäßig
gesehen hatten, erging es nicht anders.
Die unmittelbaren Folgen
Heute halten viele Menschen die Ehescheidung
für ein vollkommen normales Geschehen. Die
Tatsache, dass Hunderttausende von Kindern davon betroffen sind, verleitet zu der Vermutung,
der Vorgang stelle für das einzelne Kind etwas
Gewöhnliches und nichts sonderlich Belastendes
dar. Diese bequeme Ansicht erwies sich in der
Untersuchung als völlig falsch: „Die Kinder waren sehr erschüttert. Sie erlebten die Scheidung
als eine ernsthafte Bedrohung für ihre Geborgenheit und Sicherheit. Sie schlussfolgerten mit
einer unwiderlegbaren Logik: Wenn ein Elternteil den anderen verlässt, dann könnten doch
auch alle beide das Kind verlassen.“ 7 Viele litten
unter Schlaflosigkeit. Die kleineren Kinder waren
überzeugt, dass sie das Problem verursacht hätten, das ihre Eltern auseinander trieb. Ältere
Kinder reagierten eher zornig, weil sie die Eltern
für selbstsüchtig hielten. Die weit verbreitete
Vorstellung, dass die Kinder durch die Scheidung
erleichtert sein würden, weil eine schlechte Ehe
beendet ist, entsprach nicht den Ergebnissen.
Viele Kinder waren trotz Schwierigkeiten in der
Ehe mit dem Familienleben zufrieden. Übereinstimmend versichern Scheidungskinder: „An dem
Tag, als meine Eltern sich scheiden ließen, endete meine Kindheit.“
„Es wird schlimmer, wenn ich glücklich bin!“
Wenn Scheidungskinder als Erwachsene vor
dem Aufbau einer eigenen dauerhaften Beziehung und der Gründung einer Familie stehen,
befinden sie sich in einem zermürbenden Dilemma. Einerseits empfinden sie eine überaus
starke Sehnsucht nach Liebe und Bindung: „Nur
nicht allein sein, lautet ihr Credo, in Erinnerung
an die panische Angst, verlassen zu werden, die
sie als Kind erlebten.“ Auf der anderen Seite
steht die intensive Angst, die nahezu eine Überzeugung ist, dass sie in Liebesdingen genauso
scheitern werden wie ihre Eltern. Eine Frau erzählte: „Jede Nacht, wenn ich ins Bett gehe und
glücklich bin, habe ich panische Angst, dass am
nächsten Morgen alles vorbei ist. Es wird
schlimmer, wenn ich glücklich bin und weiß,
dass ich etwas Schönes zu verlieren habe.“ 10
Auf Kindeskinder hin?
Eine Studie von 25 Jahren ist zu kurz, um die
Auswirkung von Scheidung in der dritten Generation beschreiben zu können. Deutlich wird
jedoch, dass die schmerzliche Erfahrung der
Scheidung der Bezugspunkt für die Entscheidung
der erwachsenen Scheidungskinder ist, ob sie
selber Nachwuchs möchten oder nicht. Nach 25
Jahren hatte ein Drittel der untersuchten Perso-
Scheidungsschäden „auf Raten“!
„Zeit heilt Wunden“ – denkt mancher auch in
Bezug auf die Auswirkungen der Scheidung.
Auch Frau Wallerstein erwartete zu Beginn ihrer
5
Alle Scheidungskinder
berichteten,
dass das Bild
ihrer Eltern
als Liebespaar
für immer
verloren war.
Ihnen fehlte
das zentrale
Bild für eine
intakte Ehe.
lebenslange seelische Verletzungen zufügt und
zu einem guten Teil seiner Beziehungsfähigkeit
beraubt, nimmt dadurch nur ein elementares
Recht auf Selbstbestimmung wahr. Keine empörten Aufschreie des Kinderschutzbundes, keine
Proteste der modernen politischen Bewegungen
für Kinderrechte sind zu vernehmen. Ganz zu
schweigen von der Ignoranz in Bezug auf die
hunderttausendfache bestialische Gewalt gegen
Kinder, die gemordet werden an dem Ort, wo sie
sich eigentlich am sichersten fühlen sollten: im
Leib ihrer Mutter. Wohl nie war die biblische Aussage zutreffender, dass wir in „einem verdrehten
und verkehrten Geschlecht“ (Phil 2,15) leben.
nen Kinder oder plante, Kinder zu bekommen.
Die übrigen zwei Drittel waren zu diesem Zeitpunkt gegen Kinder. Diejenigen, die Kinder hatten, hofften, durch ein eigenes Kind unerfreuliche Erinnerungen zu löschen und neue Episoden zu schreiben. Die meisten, die sich gegen
Kinder entschieden hatten, nannten als Grund,
dass sie schlechte Eltern sein würden. Andere
hatten Angst, dass ein Kind ihre Ehe instabil
machen würde. Keiner gab die Furcht vor einem
Karriereknick als Grund an.
Anders die Befragten aus intakten Familien: Für
die Mehrheit war das Kinderkriegen selbstverständlich. Kinder zu haben, bedeutete für sie die
Auffrischung der eigenen guten Erfahrungen.
Dieser Sinn für Kontinuität mit den eigenen Eltern war genau das, was die Scheidungskinder
zu vermeiden suchten. Sie hatten Angst, wie
ihre Eltern zu werden.
„Die Erde hat kein Leid,
das der Himmel nicht heilen kann“ 13
Die Tatsache, dass sich unsere Gesellschaft durch
das Hinwegsetzen über Gottes Gebote die moralische Lebensgrundlage entzieht, ist bedrückend. Die Missachtung der Gebotes Gottes in
diesem Zusammenhang beginnt sicherlich nicht
erst bei der Scheidung. Liebloses, egoistisches
Verhalten sind ihr so gut wie immer vorausgegangen. Die allermeisten Scheidungen entspringen keiner Laune des Augenblicks. Viele schlaflose Nächte, bittere Tränen und tiefe Verzweiflung sind vorausgegangen. Allerdings erweist
sich dieser scheinbare Ausweg sehr häufig als
Verschlimmerung der Situation, vor allem für
die Kinder. Der echte Ausweg liegt in der Hinwendung zu Gott, der die Ehe eingesetzt und
ihre Auflösung verboten hat und der genau
weiß, wie sie geheilt und zu einem Ort des
Segens werden kann.
Ein verdrehtes Geschlecht
Wir haben
eine neue
Gesellschaft
geschaffen,
wie es sie
noch nie zuvor gegeben
hat. Still und
unbemerkt
haben wir uns
eine Kultur
der Scheidung
geschaffen.
Wenn die Ergebnisse der Untersuchung
sich auch nur annähernd verallgemeinern lassen, bedeuten sie, dass in unserer Gesellschaft eine dramatische Abwärtsbewegung hinsichtlich der sozialen Bindungsfähigkeit stattfindet. Stabile Familien als Basis einer intakten
Gesellschaft werden immer unwahrscheinlicher, je mehr Menschen die Katastrophe der Scheidung erleben: Nicht nur die
ursprüngliche Familie zerbricht, auch auf den
Beziehungen der nächsten Generation lastet eine schwere Hypothek! Frau Wallerstein betont:
Dreißig Jahre Forschung in diesem Bereich zeigten ihr, „dass wir uns inzwischen eine neue Gesellschaft geschaffen haben, wie es sie in der
Geschichte der Menschheit nie zuvor gegeben
hat. Still und unbemerkt haben wir uns eine
Kultur der Scheidung geschaffen.“ 11 Ohne allen
Zweifel könne gesagt werden, dass Kinder aus
Scheidungsfamilien „sich mit Ängsten und Besorgnissen herumschlagen, die ihre in intakten
Familien aufgewachsenen Altersgenossen nicht
teilen. Diese Ängste und Besorgnisse verändern
unsere Gesellschaft in einer Weise, wie wir uns
dies nie haben träumen lassen.“ 12
Auffällig ist, dass in den letzten Jahren viele
Menschen zum Glauben an den Herrn Jesus gekommen sind, die durch die schmerzliche Erfahrung der Scheidung aus der Bahn geworfen
wurden und deren Lebenskonzept in wichtigen
Teilen zu Bruch ging. Dies gilt sowohl für Geschiedene selbst als auch für betroffene Kinder.
So bietet jede Krise auch Chancen. Gott benutzt
oft die Katastrophen und Nöte unseres Lebens,
■
um zu uns zu reden und uns zu retten.
1
Am 01.01.2001 trat in Deutschland das Gesetz
zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung in
Kraft. Darin heißt es: „Kinder haben das Recht
auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Wer
seinem Kind in wohlmeinender erzieherischer
Absicht einen Klaps auf den Hintern gibt, setzt
sich damit ins Unrecht und riskiert, gesellschaftlich geächtet zu werden. Wer jedoch seinem
Kind durch eine Scheidung unter Umständen
2
3
4
5
6
7
9
11
13
6
Statistisches Jahrbuch des Bundes, 1962, S. 55/65.
www.destatis.de/basis/d/bevoe/bevoetab1.htm
Psychologie heute 1991/Nr. 8
Gaspari, Chr.: Eins plus eins ist eins - Leitbilder für Mann und Frau,
Wien, München, 1985, S. 245
Wallerstein, J. S.: Scheidungsfolgen - Die Kinder tragen die Last.
Münster, 2002, S. 27, Originaltitel: The Unexpected Legacy of Divorce. Report of a 25 Year Landmark Study, ISBN 0-7868-8616-1
Wallerstein, Lewis: „Für andere kann die Ehe funktionieren, aber
nicht für mich!“ in Psychologie heute, März 2002, S. 46 ff.
8
Wallerstein, Lewis, S. 45 f.
Wallerstein u. a., S. 30
10
Wallerstein, Lewis, S. 49
Wallerstein, Lewis, S. 48
12
Wallerstein u. a. S. 301
Wallerstein u. a., S. 31
„Earth has no sorrow, that heaven cannot heals“
aus: Thomas Moore, Sacred Songs