Dubai wartet auf mich - Daniel Puntas Bernet

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Dubai wartet auf mich - Daniel Puntas Bernet
«Dubai wartet auf mich»
Die arabischen Golfstaaten brauchen Arbeitskräften aus Asien. In Nepal
erhalten Auswanderer vor ihrer Abreise nach Dubai oder Katar einen CrashKurs für die Arbeit auf Baustellen. Das Geld, das sie nach Hause schicken,
hält Nepals Wirtschaft lebendig.
Ropadur schwingt sich auf das Baugerüst, klettert nach oben und löst mit
sicheren Handgriffen eine Eisenhalterung. «Stangen bitte!», ruft er. Kurz
darauf langen seine Kollegen Rohre hinauf, das Gerüst muss in die Höhe,
zehn Minuten für drei Stockwerke hat der Ausbildungsleiter gesagt. Es ist
Mitte Dezember, 150 junge Nepalesen trainieren im Global Polytechnic
Institute von Kathmandu Baustellenarbeit und simulieren den Ernstfall:
Mauern hochziehen, Leitungsrohre legen, Holzlatten nageln oder zersägen.
Der Ernstfall, das ist der Bauboom auf der Arabischen Halbinsel. Damit die
Business-Towers, Shopping-Malls und Luxushotels in der Golfregion weiter
in die Höhe schiessen können, braucht es täglich neue Arbeiter aus Asien.
Nepalesen werden von den arabischen Bauherren wegen ihrer sanftmütigen
Natur besonders geschätzt. Und damit sie am ersten Arbeitstag in der Wüste
nicht ganz auf verlorenem Posten stehen, erhalten die Männer in Kathmandu
einen Crash-Kurs im Bau. Ropadurs Team schafft das Gerüst in achteinhalb
Minuten. «Dubai wartet auf mich», sagt Ropadur zufrieden.
Nepal, das Land am Himalaja, hält sich mit Männern wie Ropadur über
Wasser. Jeden Tag ziehen 600 von ihnen auf der Suche nach einer besseren
Zukunft ins aufstrebende Malaysia oder in den Mittleren Osten. Inklusive
der Migranten nach Indien verliessen 2007 rund 300 000 Nepalesen ihr Land.
1,5 Millionen von ihnen arbeiten im Ausland; ihre Überweisungen machen
knapp 20 Prozent des Bruttosozialprodukts aus. Auch weil die politischen
Wirren rund um die maoistischen Rebellen das Land seit Jahren destabilisieren und den Tourismus reduzieren, ist das überwiesene Geld aus den
Erdöl-Metropolen Nepals wichtigster Wirtschaftszweig.
Leergefegte Dörfer
Vor wenigen Tagen verliess der 26-jährige Ropadur sein Dorf in der Nähe
von Pokahara im Westen Nepals. Ein Dorf, das wie Tausende andere ein paar
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hundert Einwohner zählt und scheinbar von landwirtschaftlicher
Subsistenzwirtschaft lebt. «Seit ich mit 15 die Schule verliess, habe ich
nichts anderes gemacht, als Mais, Hirse und Hafer anzubauen. Jetzt winkt
die Chance, Neues zu lernen», sagt Ropadur. Dorfkollegen haben ihm von
Dubai erzählt, nur Positives. Vom Geld, das man verdiene, von der
interessanten Arbeit auf dem Bau und vom warmen Meer. Und weil ihre
Familien ihre Häuser renovieren und sogar Autos kaufen können, will es
Ropadur nun auch wagen - obschon oder gerade weil er vor wenigen Wochen
geheiratet hat.
Die nepalesische Migration fegt die Dörfer von jungen Männern leer. Die
zurückgebliebenen Frauen und Alten müssen die Landarbeit verrichten,
obschon in vielen Kasten die Religion dies verbieten würde. In Ghyalchok,
einem Dorf mit 300 Einwohnern zwei Autostunden südlich von Kathmandu, lebt
die frisch verheiratete Salma. Ihr Mann verliess Ghyalchok vor zwei
Wochen. Jetzt lebt Salma zusammen mit Schwiegermutter und Schwägerinnen.
«Ich habe, im Gegensatz zu andern, Glück gehabt, wir verstehen uns
prächtig», sagt Salma. Dass sie ihren Gatten nun zwei Jahre nicht sehen
wird, bereitet ihr keine Mühe. Im Gegenteil, sie ist stolz, dass er es
geschafft hat.
Im praktisch männerlosen Dorf ist die landwirtschaftliche Produktion
zurückgegangen. Dafür werden vor jedem zweiten Haus Haushaltwaren,
Spielzeuge oder Nahrungsmittel zum Verkauf angeboten. Die 80 Männer des
Ortes arbeiten alle am Golf, das überwiesene Geld ermöglicht den Frauen,
ein kleines Geschäft zu eröffnen.
Zurück in Kathmandu: In einer engen Seitengasse hinter dem Luxushotel
Shangri-La befindet sich die Agentur Moondrops. Davor warten zu jeder
Stunde ein paar Dutzend Männer. Moondrops ist eines von 700 Vermittlungsbüros Kathmandus - das Geschäft läuft hervorragend. «Wir
vermitteln unsere Kunden nach einer kurzen Schulung in den Mittleren Osten
und garantieren ihnen, dass sie nicht in den Irak geschickt werden», sagt
der Direktor Mohit Thapa. Diese Garantie müssen neuerdings alle Stellenvermittler Kathmandus erbringen: 2004 wurden in Bagdad 12 Nepalesen nach
der Geiselhaft ermordet; eine als Baufirma getarnte Schlepperbande übergab
die ahnungslosen Neuankömmlinge aus dem Himalaja nach ihrer Ankunft am
Golf den irakischen Rebellen.
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Soeben hinterlässt ein Bote einen dicken Umschlag, Absender ist die Qatar
Construction and Development Company. «Wir bestellen 450 Arbeiter zu den
üblichen Konditionen, davon je ein Drittel Elektriker, Sanitärinstallateure und Maurer. Arbeitsbeginn: Sofort.» Dem Brief angefügt ist
ein Mustervertrag mit den Anstellungsbedingungen: Zwei Jahre Arbeit am
Stück, Sechstagewoche, Überzeit möglich/erwünscht, Unterkunft wird zur
Verfügung gestellt, die Verpflegung vom Monatslohn von 125 Dollar
abgezogen. «Das ist ein Top-Auftrag von einer seriösen Firma - und wir
verdienen an jedem vermittelten Arbeiter 200 Dollar», frohlockt Thapa.
Hohe Verschuldung
Die Provision für Moondrop bezahlt nicht der arabische Bauherr, sondern
der vermittelte Arbeiter selbst. «Zusammen mit den Visagebühren und dem
Flug nach Dauha kostet das Abenteuer Golf die Migranten rund 1500 Dollar»,
sagt Sanwa Limbu, der Verbandspräsident der Stellenvermittler. Einen
Betrag, den kaum ein arbeitsloser Nepalese besitze, weshalb eine
Verschuldung unumgänglich sei. «Während der ersten beiden Anstellungsjahre
bezahlen unsere Landsleute ihren Kredit zurück, anschliessend verdienen
sie verhältnismässig viel Geld, das ihren Familien zugute kommt», sagt
Limbu. Wünscht sich ein Geschäftsmann wie er, dass die jungen Männer
bleiben würden? «Der Exodus ist nicht zu stoppen, solange unser Land
politisch instabil ist. Unsere Vermittlung eröffnet vielen Menschen eine
Perspektive», sagt Limbu.
Als ob sich Nepal für seine Migration schämte, wurde die Abwanderung der
arbeitsfähigen Jugend lange Zeit negiert und behindert. Erst seit kurzem
hilft der Staat mit Aufklärungskampagnen. Einige NGO wollten mit der
Brechstange die landwirtschaftliche Produktion ankurbeln, anstatt der
Migration Hand zu bieten. Davon sind viele nun abgekommen, das
Bauarbeiter-Trainingscamp Global Polytechnic Institute wird neuerdings von
Helvetas unterstützt. «Wir haben lange mit der Entscheidung gerungen»,
sagt Franz Gähwiler von Helvetas Schweiz. «Schliesslich sagten wir uns:
Entweder wir verschliessen uns vor einer Tatsache, die uns nicht gefällt,
oder wir blicken ihr ins Auge und sorgen dafür, dass die jungen Männer im
Ausland bessere Startbedingungen haben.»
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In wenigen Tagen fliegt Ropadur mit Hunderten von Gleichgesinnten via
Dauha nach Dubai. Der Linienflug wurde dank den nepalesischen Bauarbeitern
überhaupt erst in Betrieb genommen. Dass die Arbeitsbedingungen am Golf
oft haarsträubend sind, Menschen wie Sardinen in Unterkünfte gepfercht
werden, Pässe bei der Einreise abgegeben werden müssen und keine
Rechtssicherheit besteht, davon hat Ropadur noch nie gehört. Auch die
Tatsache, dass er die ersten 12 bis 18 Monate dafür arbeiten wird, sein
Wirken in Dubai zu finanzieren, stört ihn nicht. «Sklavenarbeit? Auf gar
keinen Fall. Ich sehe etwas von der Welt, lerne Neues dazu, gewinne
Ansehen im Dorf und kann meine Familie ernähren.»
«Es gehen nicht die Ärmsten»
200 Millionen Menschen, oder 3 Prozent der Weltbevölkerung, sind
Migranten. Armut und Verbesserung der Lebensbedingungen sind die beiden
Hauptmotive, warum Menschen ihr Heimatland verlassen. «Entgegen einem
verbreiteten Vorurteil sind Migranten nicht die Ärmsten, sondern stammen
meist aus der Mittelschicht eines Landes», sagt die Migrationsforscherin
Susan Thieme von der Universität Zürich.
Mit Abstand am meisten Migranten stammen aus China (35 Millionen). Das
grösste Empfängerland sind die USA, wo derzeit 40 Millionen Migranten
leben - die Schweiz figuriert in diesem Vergleich mit 1,8 Millionen
Migranten an 20. Stelle. Neben den traditionellen Empfängerländern
Australien, Kanada, USA und Neuseeland hat sich in den letzten Jahren die
Zahl der Migranten in Irland, Norwegen, Spanien und Portugal verdoppelt.
Bemerkenswert ist der ökonomische Effekt: Der Wert der von Emigranten in
ihre Heimatländer überwiesenen Gelder ist zwischen 1999 und 2006
weltweitvon 70 auf 280 Milliarden Dollarangestiegen. In Bangladesh beträgt
der Anteil am staatlichen Devisenaufkommen 30 Prozent; in der
Dominikanischen Republik übersteigt er wertmässig die Einnahmen aus dem
Tourismus; in Mexiko sind die überwiesenen Dollars die zweitwichtigste
Devisenquelle nach den Ölexporten.
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Susan Thieme, die zur Migration von Nepalesen nach Delhi ihre Dissertation
verfasste, hebt neben dem ökonomischen Effekt den immateriellen Einfluss
der Migration hervor: «Migration hat eine bedeutende Funktion für die
Entwicklungszusammenarbeit. Die zurückkehrenden Migranten übeneine
Brückenfunktionaus und bringen viel neues Wissen mit nach Hause.» (dpb.)
© NZZ am Sonntag; 10.02.2008

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