Durch und durch tätowiert

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Durch und durch tätowiert
Durch und durch tätowiert
Tattoo-Farben verteilen sich im ganzen Körper - das birgt Gefahren, weil einige
Pigmente Krebs auslösen könnten
Tattoos gehen unter die Haut. Technisch, weil Nadeln mehrere tausend Mal pro
Minute Farbe in die mittlere Hautschicht, die Dermis, pieken. Emotional, weil die
Schriften und Bilder oft an Existentielles rühren: Männer tragen den Namen der
Freundin, koptische Christen zeigen mit dem Kreuz ihre Religionszugehörigkeit,
japanische Yakuza demonstrieren, dass sie Mitglieder der Bande sind. Auch als
Schmuck werden Tattoos immer beliebter. Neun Prozent aller Deutschen sind
Schätzungen zufolge inzwischen tätowiert, in den USA soll es jeder Vierte sein.
Was nur wenige Anhänger des Trends wissen: Die Tätowierfarben gehen nicht nur
unter die Haut, sie verteilen sich von dort auch im ganzen Körper. "Einige der Stoffe
sind giftig oder krebserregend", sagt Michael Landthaler, Chef der Dermatologie am
Uniklinikum Regensburg. Er gilt als einer der wenigen deutschen Experten auf
diesem Gebiet.
Zwar gibt es seit einem Jahr eine Verordnung, die als besonders kritisch eingestufte
Farbpigmente für Tattoofarben und Permanent-Make-up verbietet. Aber sie geht dem
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nicht weit genug. "Es ist nach wie vor so,
dass die Inhaltsstoffe keine Zulassung brauchen", sagt Renate Krätke, Leiterin der
BfR-Kommission für kosmetische Mittel. Das heißt: Es können immer noch
Farbpigmente und Konservierungsstoffe in Tattoo-Farben landen, deren
gesundheitliche Unbedenklichkeit nicht erwiesen ist.
Vor Inkrafttreten der Verordnung war die Situation noch extremer: "Es gab zwar
schon immer verantwortungsbewusste Hersteller", sagt Krätke. Aber bei
Produzenten, die sich nicht um solche Überlegungen scherten, konnte in den Tattoos
so ziemlich alles landen, was genug Farbkraft hatte - auch wenn es für andere
Zwecke gedacht war, zum Beispiel für Autolacke. Paradox, denn die Inhaltsstoffe für
Kosmetikprodukte wie Cremes, die nur oberflächlich verwendet werden, sind seit
Jahren der europäischen Kosmetik-Richtlinie und der deutschen KosmetikVerordnung unterworfen. Demnach sind bestimmte Zusätze prinzipiell verboten, und
Farbstoffe dürfen nur verwendet werden, wenn sie in der Verordnung aufgelistet sind.
Die im Körper angewendeten Tattoo-Farben hingegen unterstehen erst seit 2005
einer verbindlichen Regelung, dem Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und
Futtermittelgesetz (LFGB). Das verbietet aber keine Substanzen, sondern bestimmt
nur allgemein, dass verwendete Stoffe nicht die Gesundheit schädigen dürfen. Erst
mit der Tätowiermittel-Verordnung gibt es konkrete Verbote. Darunter fallen etwa
Azofarbstoffe, die sich durch Sonnenlicht oder die versuchte Tattoo-Entfernung per
Laser in krebserregende aromatische Amine spalten lassen. Aufgrund der neuen
Regelung müssen die Hersteller außerdem die Inhaltsstoffe der Tattoo-Farben
angeben. Gängig sind Ruß für Schwarz und Eisenoxide für Rot und Gelb.
"Man weiß nicht, was die Pigmente unter der Haut machen", sagt Krätke vom BfR.
Deshalb fordert das Institut, die bestehende Negativliste um eine Positivliste
unbedenklicher Stoffe zu ergänzen. Dazu müsste man erfassen, welche Pigmente,
Konservierungsmittel und Verunreinigungen in Farben für Tattoos und PermanentMake-up enthalten sind. Diese Stoffe müssten getestet werden, ob sie stabil
gegenüber UV-Licht und Bakterien sind, ob sie die Haut reizen und das Erbgut von
Zellen verändern. Für die Zulassung sollten sie mindestens die Anforderungen für
Kosmetika erfüllen - beim Tätowieren wird anders als beim Eincremen die Haut als
Schutz umgangen.
Dermatologe Christian Raulin von der Laserklinik Karlsruhe sieht mit der neuen
Verordnung zwar "den größten Schaden abgewendet". Inwieweit diese befolgt
würde, sei aber unklar. Es gibt keine Statistiken dazu, denn die Kontrolle ist Sache
der örtlichen Gesundheitsämter. In der Schweiz, wo es seit 2008 Vorschriften zur
Zusammensetzung und Kennzeichnung von Tattoofarben gibt, hat das Bundesamt
für Gesundheit deren Einhaltung überprüft - mit erschreckendem Ergebnis. Von 152
Proben durften 41 Prozent wegen gesundheitsgefährdender Mängel ab sofort nicht
mehr benutzt werden, die meisten enthielten verbotene Substanzen. Bei 68 Prozent
beanstandeten die Kontrolleure die mangelnde Deklaration der Inhaltsstoffe.
Inzwischen erwägen mehrere Staaten, Tattoo-Inhaltsstoffe stärker zu reglementieren.
Doch die Gesetzgeber stehen vor einem Problem: Es gibt kaum Forschung dazu. Die
Wissenschaftler wissen nicht, ob in Tattoos verwendete Pigmente tatsächlich die
Ursache von Krebserkrankungen sind. Laserspezialist Raulin und seine Kollegen
schrieben Ende 2009 im Journal of the European Academy of Dermatology and
Venereology, dass in der Literatur viele Hautveränderungen im Zusammenhang mit
Tattoo-Pigmenten geschildert würden, darunter Vergrößerungen der Lymphknoten.
Landthaler hat beobachtet, dass "es zunehmend Berichte über schwarzen und
weißen Hautkrebs in Tätowierungen" gibt, in 30 bis 40 Publikationen seien Fälle
beschrieben. Das sei aber kein Beweis dafür, dass die Farben die Ursache dafür
seien. "Bisher weiß man darüber noch zu wenig."
Sicher ist nur, dass die Farben nicht nur im Tattoo bleiben, sondern sich im Körper
verteilen. Landthaler schätzt, dass innerhalb von vier bis sechs Wochen nach
Stechen des Tattoos etwa 30 Prozent des Farbstoffs über das Lymphsystem
abtransportiert werden. Mediziner haben die Tattoo-Pigmente bereits in den
Lymphknoten von Tätowierten nachgewiesen. Landthaler ist sich außerdem sicher,
dass die Pigmente nicht nur in den Lymphknoten landen, sondern "überall im Körper,
in Leber, Hirn und Nieren zum Beispiel".
Ob dies ein gesundheitliches Risiko darstellt, ist nicht klar - außer, der Patient leidet
unter einer Allergie gegen die Farbstoffe. Dann kann es laut Raulin durch die
weiträumige Verteilung der Farbstoffe zu quälendem und nicht therapierbarem
Juckreiz kommen. Außerdem stellen die Pigmente seiner Ansicht nach eine
diagnostische Herausforderung dar, weil sie in den Lymphknoten nicht von den
Metastasen des schwarzen Hautkrebses zu unterscheiden seien.
Landthaler und der Physiker Wolfgang Bäumler von der Universität Regensburg
haben ermittelt, dass auf einem Quadratzentimeter tätowierter Haut 2,25 Milligramm
Pigment verwendet wird. Eine Online-Umfrage der Forscher unter 3400
deutschsprachigen Tätowierten ergab, dass sich ein Drittel von ihnen mehr als 900
Quadratzentimeter Haut hatte tätowieren lassen, das entspricht der Fläche eines
rundherum tätowierten Männerarms. Bei dieser Größe würden mehr als zwei Gramm
Pigmente in die Haut eingebracht. "Alarmierend"" finden das die Autoren angesichts
der möglichen Inhaltsstoffe.
Vielen Tätowierten scheint die mögliche Gefahr durch ihren Körperschmuck nicht
bewusst zu sein. Der Umfrage nach hielt ein Drittel der Befragten die Farben für
sicher, allerdings hegten 65 Prozent Skepsis gegenüber den Pigmenten in ihren
Tattoos.
Landthaler und Raulin raten aufgrund der bisherigen Erkenntnisse generell davon ab,
sich tätowieren zu lassen. Nicht nur weil die umstrittenen Inhaltsstoffe der TattooTinten Risiken bergen. Beim Stechen unter mangelhaften hygienischen Bedingungen
ist auch die Übertragung von Krankheiten wie Hepatitis möglich. SUSANNE
KLAIBER
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.90, Dienstag, den 20. April 2010 , Seite 16

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