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Elisabeth Greifenstein und Georg Roth
Würzburg/Kairo
Köln
Pharao trifft Prokrustes.
Eine geometrisch-morphometrische
Analyse spätzeitlicher Königsplastik
4. Workshop der AG-CAA
Berlin, Freitag 15.2.2013
1. Einleitung
Folie 2/25
Ausgangssituation
-
“Freizeit-Projekt“ (Redaktionskraft und Projektkoordinator)
-
Nur frei zugängliche Mittel und Quellen (2D-Bilder & Opensource)
-
Work in progress
Pionierstudie mit provisorischen Ergebnissen
Methode zu welcher Frage ?
Neue Methoden erlauben manchmal neue Fragestellungen
Georg Roth
Köln
Folie 2/25
2. Zur Problematik der Spätzeitplastik
Folie 3/25
2.1. Zeitleiste (nach Beckerath)
Spätzeit
664-332 v. Chr.
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
Folie 3/25
2. Zur Problematik der Spätzeitplastik
Folie 4/25
2.2. Ursprünge der Schwierigkeiten
- Die Ägyptologie kennt nicht die klassische
Portraitforschung mit etablierter Methodik
-Schlechter Erhaltungszustand, z.B. durch
damnatio memoriae => kaum beschriftete
Stücke als Referenz greifbar
Baltimore 22415
- Herkunft der Stücke oftmals nicht bekannt
- Fokus der Autoren auf einzelne Stücke, der
Überblick fehlt
-Übernahme von fehlerhaften Zuschreibungen
ohne kritische Prüfung von einer Publikation
in die nächste
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
Museo
Capitolini 8
Folie 4/25
2. Zur Problematik der Spätzeitplastik
Folie 5/25
2.3. Das Material
℗ E. Greifenstein und G. Roth 2013
Fragestellung:
Kann Spätzeitplastik durch Geometrische Morphometrie geordnet werden?
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
Folie 5/25
3. Vorbereitung des Materials
Folie 6/25
Auswahl der Fotos
- Statuen mit Kopf und gleichen, messbaren Punkten
- Nur exakt frontal aufgenommene Fotos
- Sinnvolle Auswahl auf übersichtliche Menge für
einen ersten Versuch, nach weiteren Kriterien, z.B.
Material, Größe, moderne Ergänzungen, Fotoqualität
- Möglichst große chronologische Bandbreite
- Æ 30 Köpfe
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
Folie 6/25
3. Vorbereitung des Materials
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
Folie 7/25
Folie 7/25
Folie 8/25
4. Erfassung einer Form
4.1. Form-Modellierung
Formen erlauben zwei Arten der Repräsentation:
- Umriss-Linie (sehr viele Pseudopunkte)
- markante Punkte (wenige Punkte)
- (und Mischung beider Ansätze)
Umriss eines Insektenflügels (CLAUDE 2008, 214 Fig. 5.4)
„Markante“ Punkte an/in einer Form
(STEGMANN/DELGADO 2002, 9 Fig. 5)
Georg Roth
Köln
Folie 8/25
4. Erfassung einer Form
4.2. Auswertungsmethode
„Geometrische Morphometrie“
Folie 9/25
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
Methoden der Geometrie zur Form-Messung/-Analyse.
Mathematik/Biologie ab ~ 1990; vereinzelt in Archäologie.
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
Methoden u. a. in Biologie und Sicherheitswesen
(Passbild !) weit verbreitet.
→ In allen Formen analysierenden Fächern sinnvoll.
Georg Roth
Köln
Folie 9/25
Folie 10/25
4. Erfassung einer Form
4.3. Form-Repräsentation der Königsköpfe
-
Punkte heißen Landmarken
LM-Ensemble heißt Konfiguration
Gesicht = Konfiguration aus 30 LM
Die Köpfe gehen als ein Tabelle mit X-/YKoordinaten (LM) in die Berechnung ein.
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
Messfehler verringert durch Paß-Schablone!
℗ E. Greifenstein und G. Roth 2013
Digitalisierung mit
Profi-Freeware
TPS Dig 2.12
(ROHLF 2002ff)
Georg Roth
Köln
Folie 10/25
5. Prokrustesüberlagerung
Folie 11/25
5.1. Formtheorie
Gleiche Form?
Hände gleicher Form? (STEGMANN/DELGADO 2002, 2 Fig. 1)
Georg Roth
Köln
Folie 11/25
Folie 12/25
5. Prokrustesüberlagerung
5.1. Formtheorie
Verschiebung
Drehung
Gleiche Form !
Hände gleicher Form? (STEGMANN/DELGADO 2002, 2 Fig. 1)
Skalierung
Formunterschied negativ durch nicht formändernde Operationen definiert!
Entferne Unterschiede bei Lage, Drehung
und Skalierung → Rest = Formunterschied
Nicht-Form-ändernde Operationen
(ZELDITCH et al. 2004, 74 Fig. 4.1)
Georg Roth
Köln
Folie 12/25
Folie 13/25
5. Prokrustesüberlagerung
5.2. Prokrustes-Überlagerung
Lage-Filterung durch
Zentrierung auf Mittelpunkt
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
Verschoben
Skaliert
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
Ausgang
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
Punkt an DurchschnittsKoordinaten = Zentroid
Größen-Filter durch Skalierung auf Zentroidgröße
= Koordinaten durch Abstandssumme teilen.
Georg Roth
Köln
Folie 13/25
Folie 14/25
5. Prokrustesüberlagerung
5.2. Prokrustes-Überlagerung
Prokrustes-Überlagerung ist iterativ:
Drehen, Durchschnittbilden, Drehen,
bis Unterschied minimal.
Gedreht
Maß für Unterschied ist Summe quadrierter
Distanzen zwischen sich entsprechenden
Landmarken, die sog. Prokrustes-Distanz.
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
Daraus Durchschnittsgesicht als
Referenz für Vergleiche ableiten.
Georg Roth
Köln
Folie 14/25
Folie 15/25
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
MISVERSTÄNDNIS-MÖGLICHKEIT!
Unterscheide zw. Prokrustes-Punkten und
Abweichungen vom Durchschnittsgesicht.
Prokrustesrohdaten:
Ein Punkt = eine LM
Abweichungen (PCA-daten):
Ein Punkt = ein Objekt
Spalten x/y Koordinate
Spalten = Abweichungen vom DS
Daten=“Stapel“ aus Tabellen
Daten 1 Tabelle
Georg Roth
Köln
Folie 15/25
Folie 16/25
6. Ähnlichkeitsanordnung/PCA
6.1. Erfolg der Ähnlichkeitsanordnung
Die pro Achse erfasste
Streuung ist hier der FormUnterschied.
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
PCA-I und -II:
zusammen 69,6 % aller Information !
Mit der Ladungsformel lassen
sich Formveränderungen
„zurückrechnen“.
Man misst mit erfasster
Streuung verschiedene (!)
Formunterschiede.
Georg Roth
Köln
Folie 16/25
6. Interpretation der Ergebnisse
Folie 17/25
6.2. ÄhnlichkeitsGruppen
Durchschnittsgesicht
liegt in der Mitte
x-Achse = Verhältnis
Augen- zu Mundpartie
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
y-Achse = Gesichtslänge und Augenabstand
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
Folie 17/25
Folie 18/25
6. Interpretation der Ergebnisse
6.2. ÄhnlichkeitsGruppen
Gruppen haben
gleiche Unähnlichkeit
zu Durchschnitt: sind
sich also untereinander ähnlich!!!
Schwierigkeit:
Abgrenzung der
Gruppen voneinander!
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
1.1
3
2
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
1.2
Folie 18/25
6. Interpretation der Ergebnisse
Folie 19/25
6.2. Ähnlichkeitsgruppen
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
Folie 19/25
Folie 20/25
6. Interpretation der Ergebnisse
6.3. Ergebnisevaluation
Lage der sicher
datierbaren Stücke im
Koordinatensystem
Erweiterte Fragestellung:
Ist diese Anordnung
chronologisch bedingt?
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
℗ E. Greifenstein
und G. Roth 2013
Psammetich II
Nektanebos I.
Nektanebos I.
Amasis
Ptolemaios II.Amasis
Folie 20/25
7. Zusammenfassung und Ausblick
Folie 21/25
7.1. Zusammenfassung Ägyptologie
Erfolge:
-
Sortierung einer großen Menge an Objekten nach objektiven „Gesichtspunkten“, anhand der reinen Form
-
Präsentation der Ergebnisse auf einen Blick Æ übersichtliche Basis für weitere Argumentation
-
Überzeugende Verteilung der meisten sicher datierbaren Stücke der Spätzeit im Koordinatensystem
Schwierigkeiten:
-
Verfahren schränkt Auswahl an auswertbarer Plastik ein
-
Abgrenz ung der Ähnlichkeits gruppen
-
Feinheiten werden nicht erfasst (Oberflächenbehandlung, etc.)
-
„Arc haismus“ der ägyptischen Plastik erhöht Schwierigkeit der Deutung und änderte Fragestellungen!
Vorher: Kann Spätzeitplastik durch Morphometrie geordnet werden?
Antwort: Nach der Form? ja! Chronologisch? Noch ungeklärt, aber nach erstem Versuch vielversprechend!
Neu: Ist es überhaupt möglich, ägyptische Plastik anhand ihrer Form chronologisch zu sortieren? Das
bedingt ein festgeschriebenes Gestaltungsschema für einzelne Könige! Ist ein solches durc h die
Morphometrie nachzuweisen? W elche Rolle spielt der Archaismus in der ägyptischen Kunst?
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
Folie 21/25
7. Zusammenfassung und Ausblick
Folie 22/25
7.2. Ausblick Ägyptologie
-
Suche nach der Antwort auf neue Fragestellungen:
Weitere Versuche mit ausschließlich beschrifteten Stücken aller Epochen
der altägyptischen Kunst Æ Aufbau eines typologischen Gerüstes
danach Eingliederung unbeschrifteter Stücke
-
Erfassung in 3D
-
Anwendung der Geometrischen Morphometrie auf andere Materialgruppen
der Ägyptologie, z.B. Schrift oder Keramik
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
Folie 22/25
8. Methodenkritik und Zusammenfassung
Folie 23/25
8.1. Morphometrische Sicht - Zusammenfassung
-
Fasst Formunterschiede objektiv zusammen (Systematisierung)
Identifiziert wichtigste Formunterschiede
(Beurteilung)
Quantifiziert wichtigste Formunterschiede
(Bedeutung)
(Visualisiert wichtigste Formunterschiede) (Darstellung)
-
Erkundende Gruppenbildung
(Strukturaufdeckend !!)
Speziell hier:
R-Code garantiert exakt gleiche Auswertung verschiedener Datensätze
durch unterschiedliche Anwender (standardisiert und flexibel zugleich).
Georg Roth
Köln
Folie 23/25
8. Methodenkritik und Zusammenfassung
Folie 24/25
8.2. Morphometrisch-“prähistorischer“Ausblick
Methode anwendbar auf archäologische Quellen aller Art
(Gegenst., Verzierungen, Statuetten, Architektur, Felsbilder etc.)
3D-Anwendung bisher nur in der Biologie
Statuetten Teotihuacan (2D-LM)
(BUXEDA/VILLALONGA 2011)
Meerkatzen-Schädel: 80,4 % der
Formvariation ist W-O-Grafient
(CARDINI et al. 2010)
Enormes Potential für statistische Verfahren:
- optimierte Gruppenbildungen (Clustern)
- Gruppenvergleiche (Diskriminanz und MANOVA)
- Verbindung mit Zusatzinformationen
(z. B. Raum, Datierung, Typologie)
Georg Roth
Köln
Folie 24/25
Folie 25/25
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
Elisabeth Greifenstein
Georg Roth
[email protected]
[email protected]
Wem wär' Prokrustes nicht bekannt, der Räuberfürst aus Griechenland?
Wer in der Zeit der Jugendjahr einstmals ein guter Schüler war, der weiss es, oder wusst es.
Sein Gasthaus war von viertem Rang. Zwei Betten drin, eins kurz eins lang, besaß darin
Prokrustes.
Das Mittel das er ausgedacht, wollt' einer schlafen drin zur Nacht, das war ein sehr robustes.
War groß der Arme von Statur so steckt ins kleine Bett in nur der räubrische Prokrustes.
War einer unansehnlich klein, so musst ins grosse Bett er rein. Und wer nicht wollt', der musst es.
(Gedicht der 1920er Jahre; rezitiert von Dr. Rudolf Kuper)
Gary LARSON
Folie 25/25
Folie 26/25
Folie 26/25
Literatur: Ägyptologie
Folie 27/25
Literatur
B. v. Bothmer (Hrsg.), Egyptian Sculpture of the Late Period – 700
B.C. to A.D. 100 – An Exhibition held at THE BROOKLYN
MUSEUM 18 October 1960 to 9 January 1961 (New York
1960).
A. Leahy, „Saite Royal Sculpture: A Review“ in Göttinger Miszellen
80 (1984), 59-76.
K. Myśliwiec, Royal Portraiture of the Dynasties XXI-XXX (Mainz
1988).
-
Zahlreiche Einzelaufsätze
Beiträge in Ausstellungskatalogen
Beschreibungen in Datenbanken der einzelnen Museen
Elisabeth Greifenstein
Würzburg
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Literatur: Geometrische Morphometrie
Folie 28/25
Literatur zur Methode:
J. Claude, Morphometrics with R (New York 2008).
F. Rohlfs, tpsDig 2.0 (2010) [Internetressource: life.bio.sunysb.edu/morph/soft-dataacq.html].
M. Zelditch/D. Swiderski/H. Sheets/W. Fink, Geometric Morphometrics for Biologists: a
Primer (San Diego 2004).
Abbildungen:
M. Stegmann/D. Delgado Gomez A Brief Introduction to Statistical Shape Analysis (2002)
[Internetressource: Informatics and Mathematical Modelling, Technical University of
Denmark, Richard Petersens Plads, Building 321, DK-2800 Kgs. Lyngby, Denmark].
A. Cardini et al., Chapter 8. Biogeographic Analysis Using Geometric Morphometrics: Clines
in Skull Size and Shape in a Widespread African Arboreal Monkey. In: A. Elewa (ed.),
Morphometrics for Nonmorphometricians (Heidelberg 2010), 191-218.
J. Buxeda/A. Vilallonga, Morphometrics and Compositional Classes. The Study of
Anthropomorphic Sculptures from Teotihuacan (México). CoDaWork 2011: 4th
International Workshop on Compositional Data Analysis. Girona, Spain 9 – 13 May
2011 [Internetressource].
Georg Roth
Köln
Folie 28/25