institut hirnforschung universitaet bremen

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Presseinformation
Neurobiologische Grundlagen von Psychotherapien und
ihrer zeitlichen Dynamik
Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth, Institut für Hirnforschung Universität Bremen
Hamburg, 26. September 2013 – Gängige Psychotherapien wie Analytische Psychotherapie
(AP) und verwandte psychodynamische Therapien (PDTs) oder kognitive Verhaltenstherapie
(KVT) bieten hinsichtlich ihrer möglichen Wirkungsweisen bei affektiven Störungen
Erklärungsmodelle an, die aus neurowissenschaftlicher Sicht nicht belegt sind. „So wird bei
der KVT zum Beispiel postuliert, dass die Gedanken die Gefühle beeinflussen, man muss für
eine Veränderung also die Gedanken grundlegend umstrukturieren. Das ist nach
neurobiologischer Erkenntnis nicht möglich, denn das Umgekehrte ist der Fall. Dass KVT
wirkt, muss an anderen Faktoren, z.B. Bindungsmechanismen und an Einübung liegen“, sagt
Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth, Institut für Hirnforschung, Abt. für Verhaltensphysiologie und
Entwicklungsneurobiologie der Universität Bremen, anlässlich der Jahrestagung der DGPT
vom 26. bis 29. September 2013 in Berlin. Auch für die AP beziehungsweise die PDTs gibt
es bisher kaum Ansätze zu einer neurowissenschaftlichen Fundierung, obgleich hier einige
Grundaussagen durchaus zutreffend erscheinen (z.B. Bindungsorientierung). Bei der
Psychoanalyse steht im Mittelpunkt das Bewusstmachen unbewusster Konflikte durch den
Therapeuten. Auch da sagt die Neurobiologie: Das geht nicht, da man Unbewusstes
prinzipiell nicht bewusst machen kann, sondern nur Vorbewusstes, laut Prof. Roth.
Verdrängung als Hauptursache psychischer Konflikte geschieht zwischen Bewusstsein und
dem Vorbewussten, nicht dem Unbewussten. Unbewusste Konflikte des Patienten lassen
sich aber vom Therapeuten über nichtverbale Kommunikation in der Übertragung indirekt
erfahren.
Bei Psychotherapien setzt häufig eine Verbesserung der psychischen Befindlichkeit bereits
nach kurzer Zeit ein. „Viele Patienten oder Therapeuten brechen die Therapie dann ab, weil
es den Patienten ja augenscheinlich besser geht“, sagt Prof. Roth. Da sei es wichtig, die
Wirkmechanismen genau zu untersuchen. Aus neurobiologischer Sicht hat die kurzfristige
Besserung hauptsächlich mit der Persönlichkeit des Therapeuten und dem positiven
Bindungsverhältnis zwischen Therapeut und Patient zu tun. Dabei werden dann massiv das
„Bindungshormon“ Oxytocin und endogene Opioide ausgeschüttet, die wiederum auf das
Stress- und Angstsystem mildernd einwirken und eine nur oberflächliche Besserung
bewirken. In der späteren Phase einer Therapie spielen dann ganz andere,
strukturverändernde Mechanismen eine Rolle, die wie Gewohnheiten tiefer im Gehirn, in den
sogenannten Basalganglien verankert sind. Diese psychischen Gewohnheiten sind sehr
resistent gegen Veränderungen. Um sie zu verändern und zu einer dauerhaften Genesung
zu kommen, benötigt es viel mehr Zeit und langfristiges Einüben von neuen Abläufen.
Die Wirkung von Psychotherapien ist also auf der zellulären Ebene limbischer Zentren und
ihrer Verknüpfungsstrukturen zu suchen, und zwar im Bereich des Stressverarbeitungs-,
Selbstberuhigungs-, Impulshemmungs- und Bindungssystems. Dies gilt insbesondere für die
Interaktionen zwischen Stirnhirn, Amygdala (Kerngebiet des Gehirns im medialen Teil des
Temporallappens) und mesolimbischen System (vornehmlich dem Nucleus accumbens) und
ihren jeweiligen Einfluss auf die Basalganglien (BG) als eigentlichem Steuerzentrum für
Psyche und Verhalten im Gehirn. Diese lassen sich nur „prozedural“, das heißt durch lang
anhaltende Einwirkungen in einem förderlichen emotional-motivationalen Rahmen und
abhängig von der individuellen Disposition des Patienten ändern. Dies spricht aus
neurobiologischer Sicht für ein Zwei- bis Mehr-Phasen-Modell von Psychotherapien (kurze
und langandauernde Therapiephase) bei affektiven Störungen.
Prof. Dr.Dr. Gerhard Roth
Institut für Hirnforschung Universität Bremen
Abt. für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie
Leobener Straße
28359 Bremen
[email protected]

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