I. Editorial - In den Seilen
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I. Editorial - In den Seilen
Nummer 5, 17.2.2006 I. Editorial Liebe Leserinnen und Leser! Wieder ist ein Vierteljahr vergangen seit der letzten Ausgabe, und wieder wird nicht eingehalten, was in der letzten Vorankündigung versprochen wurde. So lange man diese Seiten auch liest, es findet sich kein Wort über die Arbeit der Punktrichter. IdS bleibt eben eine Amateurveranstaltung, vom professionellen Arbeiten so weit entfernt wie Axel Schulz von einem WM-Titel. Trotzdem kann sich diese Ausgabe sehen lassen! Kollege Martin Krauß berichtet über Roman Greenberg, eine neue jüdische Hoffnung im Schwergewicht. Der junge Mann steht kurz vor seinem ersten Titelkampf, und wurde am 16.1. auf www.boxrec.com als höchster Neueinsteiger in die Liste der besten Boxer der Welt platziert! Platz 49 und steigend. Dazu: IdS weigert sich diesmal, die Rubriken „Fäuste im Fernsehen“ und „Bout of the Week“ zu füllen. Ist das Angebot der nächsten Wochen wirklich so mau, oder hat der Herausgeber etwas übersehen? Oder gefiel es ihm einfach besser, ein paar schöne Namen von Box-Arenen dieser Welt zu sammeln? Entscheiden Sie selbst! Nun geht in eure Ecken und kommt lesend zurück! In den Seilen Nummer 5, 17.2.2006 Seite 2 von 9 II. Roman Greenberg – Der Exportschläger. Von Martin Krauß Mein Plan ist, irgendwann auch einmal in Israel einen großen Profiboxabend zu bestreiten.“ Am liebsten als Weltmeister, dann hätte es Roman Greenberg wohl geschafft. Noch hat der 23jährige, 1,91 Meter große Schwergewichtler keinen Titel, aber so viel Lob wie er erntet zur Zeit kaum jemand in der Welt des Profiboxens. „Roman ist der schnellste Kerl, den ich im Schwergewicht je gesehen habe – seit Muhammad“, sagt etwa Angelo Dundee, und der war der Trainer von Muhammad Ali. Der englische „Daily Telegraph“ nennt Greenberg einen „Champion im Wartestand“, seine Art zu boxen mache ihn zu einem „Connaisseurs Boxer“. Und sein englischer Promoter Robert Waterman glaubt, er habe den „weltweit ersten Eine-Milliarde-DollarKämpfer“ unter Vertrag. Roman Greenberg wurde 1982 in Moskau geboren. 1989 siedelte die Familie nach Wien um, „weil wir dort Verwandte und Freunde haben“, sagt Greenberg. 1993 zog die Familie weiter nach Israel. „Als ich elf Jahre alt war, begann ich mit dem Boxen. Das war in einem Gym in der Nähe von Haifa. Aber Gym kann man dazu gar nicht richtig sagen, so etwas gibt es in Israel ja eigentlich nicht.“ Die Geschichte der Greenbergs in Israel ist eine Aufsteigergeschichte. „Es war schwer am Anfang“, erinnert er sich, „wir lebten auf der Straße, meine Eltern, mein kleiner Bruder Alex und ich. Diese ersten Tage und Nächte in Israel waren ein echter Albtraum.“ Der Vater arbeitete sich hoch und ist nun erfolgreicher Geschäftsmann. Romans 13jähriger kleiner Bruder gilt als Schachtalent. „Vor einem Jahr gewann er die Goldmedaille in der israelischen Jugendmeisterschaft, in diesem Jahr die silberne.“ Und Roman, der mit Hebräisch, Russisch, Englisch und Deutsch vier Sprachen fließend spricht, fing an zu boxen. 1998, da ist Greenberg 16, kam der englische Promoter Robert Waterman nach Israel. Er versuchte, dort das Berufsboxen zu etablieren und veranstaltete kleinere Kampfabende in Eilat und Tel Aviv. Waterman In den Seilen Nummer 5, 17.2.2006 Seite 3 von 9 erinnert sich: „Einer meiner Anlaufpunkte war das ‚Gordon’s Swimming Centre‘ in Tel Aviv, das ein großes Boxgym beherbergt. Da nahm ich erstmals von Roman Notiz.“ Der Promoter schloss mit Greenbergs Vater einen Vorvertrag. Watermans Plan war, der Familie bis zu den Olympischen Spielen 2004 zu helfen. „Um sein Potenzial bis zu dem Punkt zu entwickeln, damit er olympisches Gold gewonnen hätte, mussten wir ihn um die Welt reisen und gegen die Besten boxen lassen“, erläutert Waterman seinen Plan. „Ich besorgte ihm Sponsoren und vermittelte Auftritte bei Amateurveranstaltungen in London und Las Vegas.“ 1999 gewann Greenberg als jüngster Boxer überhaupt den israelischen Schwergewichtstitel der Amateure, im Jahr 2000 gewann er bei der Junioren-WM die Silbermedaille. „Aber bald wurde klar, dass der israelische Boxverband nicht die Infrastruktur und nicht das Geld hatte, einen Boxer zu den Olympischen Spielen zu entsenden“, sagt Waterman, und Greenberg ergänzt: „Der Verband hat halt andere Prioritäten gesetzt.“ Nach siebenmonatiger Militärzeit verließ Greenberg 2001 Israel, ging nach England zu dem Promoter Waterman, der ihm den Manager Jim Evans vermittelte und, wurde Profi. Kurz vor diesem Schritt hatte er in Israel noch ein Erlebnis, das ihm den Umzug nach England erleichterte. Zusammen mit einem Freund wollte Greenberg abends in eine Tel Aviver Disco, aber sie hatten nicht genügend Geld für den Eintritt. Stunden später sprengte dort ein Selbstmordattentäter sich und 21 Jugendliche in die Luft. „18 oder 19 war ich damals“, erinnert sich Greenberg und sagt, dass er lieber in England leben würde als in Israel. „Man muss in Israel ständig aufpassen“, sagt er. „Man weiß nie, wann oder wo etwas Schlimmes passiert.“ England ist da ruhiger. Am Anfang reiste er noch drei oder vier Wochen vor jedem Kampf nach England, um sich vorzubereiten. „Mittlerweile lebe ich überwiegend in England. Bei meiner Familie in Israel bin ich nicht mehr so oft.“ Wenn er in Israel ist, trainiert Greenberg bei seinem Entdecker. Tolek Porat heißt er, „der beste Boxtrainer in ganz Israel“. Auch Porat ist ein Russe, aber schon als 11jähriger kam er nach Israel. „Ohne die Russen In den Seilen Nummer 5, 17.2.2006 Seite 4 von 9 würde im israelischen Sport ja kaum etwas laufen“, sagt Greenberg und lacht dabei ein wenig verlegen. „Ich fragte mich, ob dieser Kerl wirklich so gut werden könnte, wie Robert glaubte“, erinnert sich Manager Evans an die Anfänge der Zusammenarbeit. „Heute weiß ich, dass Robert untertrieben hat.“ Der Mann, der mit goldverzierten schwarzen Hosen und einem großen aufgestickten Davidstern den Ring betritt, ist bislang ohne Niederlage oder Unentschieden. 21 Siege sind es, davon 14 durch K.o.. Sein Promoter und sein Manager lassen ihn abwechselnd in den USA und in England boxen. Seine Gegner sind handverlesen, denn im Profiboxen werden große Kämpfer sorgfältig aufgebaut. Einzig der Brite Julius Francis, den Greenberg nach Punkten besiegte, ist Experten besser bekannt. Dafür kassiert Waterman auch viel Kritik, denn schließlich habe Greenberg seine Klasse bislang noch nicht bewiesen. „Niemand von uns behauptet ja, dass er schon gegen Weltmeister geboxt hätte“, antwortet Waterman, er baue seinen Mann halt langsam auf. Roman Greenberg reagiert auf solche Kritik heftiger als sein Promoter. „Nennen Sie mir doch einen Boxer, der gleich zu Beginn seiner Karriere die schwersten Gegner bekam. So etwas gibt es heute nicht mehr“, schimpft er. „Glauben Sie denn, dass die deutschen Boxer gleich gegen die Besten geboxt hätten? Oder die Klitschkos. Immer wurde gesagt, die hätten zu leichte Gegner, ihr Kampfrekord sei geschönt. Beide wurden Weltmeister im Schwergewicht. Was soll daran geschönt sein?“ Roman Greenberg weiß, dass er mit seiner Karriere erst am Anfang steht. Als Amateur erreichte er 47 Siege bei nur fünf Niederlagen. „Jeder muss lernen, jeder fängt klein an“, weiß er. „Und ich weiß, dass ich gut bin.“ Was nach unangenehmer, aber im Boxgeschäft verbreiteter Blenderei klingt, ist bei ihm eine sehr realistische Einschätzung seiner Fähigkeiten. „Meine Geschwindigkeit, meine Technik und meine Beweglichkeit sind gut. Und vor allem kann ich diese Sachen gleichzeitig einsetzen. Ich kann jedem Gegner meinen Kampf aufzwingen.“ In den Seilen Nummer 5, 17.2.2006 Seite 5 von 9 Am 18. März in Monaco bekommt er die Gelegenheit, nach seinem ersten kleinen Titel zu greifen. Gegen den 33jährigen Russen Alex Vassilev tritt er um den Intercontinental-Gürtel der IBO an. Mit einem Kampfrekord von nur 16 Siegen aus 31 Kämpfen scheint der Gegner nicht unbesiegbar. Sein Promoter Robert Waterman träumt schon von großen Kämpfen danach. Während das weiße Amerika nach einer „white hope“ Ausschau hält, so sucht die jüdische Welt nach einer „blau und weißen Hoffnung“, wie es die israelische Zeitung „Ha’aretz“ formuliert. Das einzige Marketingproblem mit Roman Greenberg könnte sein, dass er zu smart aussieht. Wenn er seine modischen Lederjacken trägt, sieht er eher wie ein Student der Wirtschaftswissenschaften aus. Das englische Magazin „Celebrities Worldwide“ nennt Greenberg einen „Justin Timberlake des Boxgeschäfts“. Dass er nicht zu smart ist, darauf beharren Promoter Waterman und Manager Evans. „Roman weiß, was harte Zeiten sind“, sagt Evans und erzählt noch mal die Geschichte, wie die Familie in den ersten Wochen in Israel obdachlos war. „Er sieht aus“, behauptet Evans, „als ob in seinem Mund keine Butter schmilzt.“ Das Fachblatt „Boxing Monthly“ schreibt, dass viele Menschen Greenberg wegen seines Bekenntnis‘ zum Judentum für einen „gimmick fighter“ halten, einen reinen Reklametypen. Aber diese Leute, da ist sich das Fachblatt sicher, irren. Dennoch muss das Waterman-Evans-Management letztlich darauf vertrauen, wie die „Jerusalem Post“ schreibt, dass es viele gibt, die auf „den Glücksfall einer weißen, jüdischen Schwergewichtshoffnung vertrauen, der gut aussieht und Charisma besitzt“. Sehr religiös ist Greenberg nicht. Er hatte seine Bar Mitzvah und wurde in seiner Jugend religiös unterwiesen, aber er befolgt die Regeln kaum. Dennoch sagt er: „Ich fühle mich gut, wenn die Leute sagen, ich sei eine ‚jüdische Hoffnung‘. Man sagt immer, die Juden könnten nicht kämpfen. Das stimmt nicht. In ihrer ganzen Geschichte mussten die Juden kämpfen. Und auch im Boxen gab es immer gute jüdische Kämpfer.“ Es gab schon etliche jüdische Weltmeister in der Geschichte des Profiboxens, aber noch keinen im Schwergewicht. Dabei ist der jeweilige Champ in dieser In den Seilen Nummer 5, 17.2.2006 Seite 6 von 9 Kategorie, wie es Noman Mailer einmal ausdrückte, „der große Zeh Gottes“. Aber alle paar Jahre gibt es wieder eine jüdische Schwergewichtshoffnung. Vor wenigen Jahren war das noch Tim „The Hebrew Hammer“ Puller, ein nicht allzu erfolgreicher Schwergewichtler mit amerikanischer und israelischer Staatsbürgerschaft. Auch er wurde von Robert Waterman betreut. Anfang der Neunzigerjahre hieß die jüdische Hoffnung Damon Feldman, Kampfname „The Jewish Bomber“. Der war zwar erfolgreich, aber seine Karriere dauerte nur von 1988 bis 92, dann stieg er aus und wurde Promoter. Berühmte jüdische Boxweltmeister kommen nicht aus dem Schwergewicht. „Sweet“ Saoul Mamby etwa, der den Juniorweltertitel der WBC von 1980 bis 1982 hielt. Oder Mike „The Kosher Butcher“ Rossman, Halbschwergewichts-Champ der WBA von 1978 bis 1979. Dass Juden das Profiboxen der letzten Jahrzehnte geprägt hätten, kann man nicht gerade behaupten. „Leuten auf den Kopf zu schlagen“, erkannte der legendäre jüdische Trainer Ray Arcel, „ist nicht das höchste Bestreben des jüdischen Volkes.“ Der 1994 verstorbene Arcel feierte als Trainer schon Erfolge, „when Boxing was a jewish sport“, wie ein Buch aus dem Jahr 1997 heißt. Die Zwanziger- und Dreißigerjahre waren die große Zeit des jüdischen Boxens. Benny Leonard, von 1917 bis 1925 Weltmeister im Leichtgewicht, war der vielleicht berühmteste. Barney Ross, Weltergewichtschamp von 1934 bis 1938 der vielleicht beste jüdische Boxer. Der frühere Boxfunktionär Danny Kapilow sagt: „Ab 1950 gab es keine jüdischen Boxer mehr. Die Iren blieben noch ein bisschen, die Italiener auch, und natürlich kamen die Schwarzen auf. Es gab ab da ja auch keine jüdischen Gangster mehr. Sie begannen ihren Weg in der Gesellschaft zu machen.“ In Israel ist das Profiboxen bislang kaum angekommen. 1998 und 1999 veranstaltete Robert Waterman dort ein paar Kampfabende, „aber die In den Seilen Nummer 5, 17.2.2006 Seite 7 von 9 waren ökonomisch nicht so erfolgreich“, sagt Greenberg, „derjenige, der das Boxen nach Israel bringt, werde ich sein.“ Er vertraut darauf, dass es seine eigene Einwanderergeschichte ist, die ihn nach oben bringt. „Es gab Zeiten, da hatten wir nichts zu essen“, erinnert er sich an die erste Zeit in Israel. „aber solche Erfahrungen sind es, die Menschen an die Spitze bringen.“ Einen guten Kampfnamen hat Greenberg übrigens noch nicht, aber sein Manager Evans hat ihn in einem Interview einmal „The Tel Aviv Terminator“ genannt. Daraus könnte ja was werden. III. Fäuste im Fernsehen IV. Bout of the Week - entfallen diesmal. IdS erlaubt sich, das Angebot in den nächsten Wochen zu langweilig zu finden. Und beim Bout of the Week soll kein Kampf mit Namen stehen, die in den Ohren der Leserschaft einfach nur seltsam klingen. Dafür können die Kämpfer ja nichts. Stattdessen: V. Zehn + eine Box-Lieblingsarena von IdS IdS ist der Meinung: Viel zu selten gekämpft wird in… ...Greg´s Ballroom, Mission, Texas, USA ...TURM Erlebniscenter, Oranienburg, GER ...Café Royal, London, GB …Club Soda, Montreal, CAN …Dunkin Donuts Center, Providence, Rhode Island, USA ...A la Carte Event Pavillon, Tampa Bay, Florida, USA …Mack Daddy´s Bar, Somerset, Wisconsin, USA ...Városi Rendezvénycsarnok, Tapolca, HUN ...Kellogg Arena, Battle Creek, Michigan, USA ...Top Hotel Prague, Prag, Tschechien In den Seilen Nummer 5, 17.2.2006 Seite 8 von 9 und natürlich ...Family Arena, St. Charles, Missouri, USA VI. Der IdS-Archivservice Einen IdS versäumt? Später dazu gekommen? Cola in die Festplatte gekippt? Kein Problem! Einfach eine Mail an die Redaktions-Adresse schicken, und irgendwann kommt dann bestimmt die Antwort mit der gewünschten Ausgabe. In der Regel sogar ohne die Fehler, die beim ersten Versenden manchmal drinsteckten. Bisher erschienen: Nr. 0: 2.5.05 – Last ten count für Tunney Hunsaker / Mario Lupp ist zurück Nr. 1: 15.5.05 – Fallobst, was ist das eigentlich? / Martin Krauß über Bruce „The Mouse“ Strauß Nr. 2: 4.6.05 – Besuch bei DSF-Boxxstar Serdar Sahin Nr. 3: 21.8.05 - Besuch bei Schwergewichts-Weltmeisterin Martha Salazar in San Francisco / Last ten count für Genaro Pellegrini, jr. Nr. 4: 17.11.05 – Ein Kaffee mit Nikolai Valuev / Ein Kommentar zum Rücktritt von Vitali Klitschko Wenn Sie wollen, können Sie IdS auch schreiben. Korrigieren, tadeln, Debatten anzetteln, ja: loben gar. IdS wird sichten und gegebenenfalls ausgewählte Korrespondenz veröffentlichen. VII. Vorschau IDS bleibt nichts übrig, als die Vorschau vom letzten Mal zu wiederholen: „Die Punktrichter werteten den Kampf 118-111, 114-114, 116-113. Sieger nach Punkten damit…!“ So brüllen es die Ringsprecher täglich in die Hallen der Welt. Was heißt das eigentlich? Was ist ein Ten-Point-Must-System? Und warum sitzen da überhaupt drei Menschen am Ring und kritzeln auf In den Seilen Nummer 5, 17.2.2006 Seite 9 von 9 Zetteln herum? IdS versucht eine kleine Regelkunde des Punktrichters. Nächstes Mal bestimmt! Außerdem: Wer ist dieser Knud Kohr überhaupt? Ein Herausgeber packt aus! Die ungefragten Informationen werden zusammengetragen von Knud Kohr. Er ist erreichbar unter [email protected] Wenn Sie ihm eigene Informationen zuschicken wollen - gern! Aber seien Sie bitte sparsam mit voluminösen Bildern. Knud Kohr ist ein einfacher Mann mit einem einfachen ISDN-Anschluss. Die nächste Ausgabe von IdS erscheint irgendwann. Wenn Sie Texte verwenden möchten: IdS lässt mit sich reden. „Aba jefracht wern wollnwa schon!“