BUNDESKARTELLAMT

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BUNDESKARTELLAMT
BUNDESKARTELLAMT
Für die Veröffentlichung bestimmt
B 8 – 93/07
Fusionsverfahren
Verfügung gemäß § 40 Abs. 2 GWB
BESCHLUSS
In dem Verwaltungsverfahren
1.
RWE AG
Opernplatz 1
45128 Essen
Beteiligte zu 1.
2.
RWE Rhein-Ruhr AG
Kruppstraße 5
45128 Essen
Beteiligte zu 2.
3.
für die noch nicht gegründete Stadtwerke Krefeld Neuss GmbH & Co. KG
SWK Stadtwerke Krefeld AG
St. Töniser Str. 124
47804 Krefeld
Beteiligte zu 3a)
Stadtwerke Neuss Energie und Wasser GmbH
Moselstraße 25-27
41464 Neuss
Beteiligte zu 3b)
4.
Stadtwerke Velbert GmbH
Kettwiger Straße 2
42549 Velbert
Beteiligte zu 4.
-1-
5.
Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft Velbert mbH
Kettwiger Straße 2
42549 Velbert
Beteiligte zu 5.
6.
Stadtwerke Kempen GmbH
Heinrich-Horten-Str. 50
47906 Kempen
Beigeladene zu 1.
7.
Wuppertaler Stadtwerke AG
Bromberger Straße 39-41
42281 Wuppertal
Beigeladene zu 2.
wegen Prüfung eines Zusammenschlussvorhabens nach § 36 Abs. 1 GWB hat die 8. Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes am 23. Oktober 2007 beschlossen:
1.
Das am 31. Juli 2007 angemeldete Vorhaben wird nach § 40 Absatz 2 und 3
GWB unter folgender Nebenbestimmung freigegeben:
Die Freigabe erfolgt unter der aufschiebenden Bedingung, dass die Beteiligte
zu 2. ihre Beteiligung an der Beigeladenen zu 2. in Höhe von 18,742 % an die
Stadt Wuppertal oder an ein mit der Stadt Wuppertal gemäß § 36 Abs. 2 GWB
verbundenes Unternehmen veräußert. Die Bedingung gilt als erfüllt, wenn die
Beteiligte zu 2. der Beschlussabteilung nachweist, dass die Veräußerung der
Anteile rechtswirksam vollzogen ist.
2.
Die Gebühr für diese Entscheidung wird unter Anrechnung der gesondert festzusetzenden Gebühr von [...] Euro für die Anmeldung des Zusammenschlusses auf
[...] Euro
(in Worten: [...] Euro)
festgesetzt und der Beteiligten zu 1. auferlegt.
-2-
A.
Sachverhalt
(1)
Mit am 30. Juli 2007 eingegangenen Schreiben vom gleichen Tage hat die RWE AG
für RWE Rhein-Ruhr gemäß § 39 GWB die nachfolgenden Zusammenschlussvorhaben angemeldet:
I.
Die Vorhaben
(2)
Die RWE Rhein-Ruhr AG (RWE Rhein-Ruhr) hat vor, sich erstmalig mit knapp unter
25 % an der in Gründung befindlichen Stadtwerke Krefeld Neuss AG & Co. KG
(SWKN) sowie an der entsprechenden Komplementärgesellschaft zu beteiligen. Im
Gegenzug beabsichtigt RWE Rhein-Ruhr, sämtliche an das Elektrizitätsverteilnetz im
Stadtgebiet Neuss angeschlossenen Stromkleinkunden (Kunden ohne registrierende
Leistungsmessung) im Raum Neuss in die Gesellschaft einzubringen.
(3)
Darüber hinaus hat RWE Rhein-Ruhr vor, knapp unter 20 % der Anteile an den
Stadtwerken Velbert (SW Velbert) zu erwerben. Im Zuge dessen erhöht sich die Beteiligung von RWE Rhein-Ruhr an SW Velbert auf insgesamt knapp unter 40 %.
(4)
Zur Abwendung der schon im Vorfeld mit RWE Rhein-Ruhr diskutierten drohenden
Untersagung der beiden vorgenannten Zusammenschlussvorhaben hat RWE RheinRuhr zugesagt, ihre Beteiligung an der Wuppertaler Stadtwerke AG (WSW) in Höhe
von 18,742 % an die Stadt Wuppertal zu veräußern.
II.
Verfahrensgang
(5)
Auf Nachfrage der Beschlussabteilung machte RWE Rhein-Ruhr mit Schreiben vom
7. August 2007 ergänzende Angaben.
(6)
Mit Schreiben vom 21. August 2007 beantragte die Stadtwerke Kempen GmbH ihre
Beiladung zum Verfahren. Mit Schreiben vom 6. September 2007 beantragte die
Wuppertaler Stadtwerke AG ihre Beiladung zum Verfahren hinsichtlich der Beteiligung der RWE Rhein-Ruhr an SW Velbert. Die Verfahrensbeteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Beschluss vom 19. September 2007 hat die Beschlussabteilung beiden Beiladungsanträgen stattgegeben.
(7)
Mit Schreiben vom 19. September 2007 wurde den Beteiligten und den Beigeladenen
mitgeteilt, dass die Beschlussabteilung beabsichtigt, das Zusammenschlussvorhaben
unter Nebenbestimmungen freizugeben, und Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
-3-
III.
Die beteiligten Unternehmen
1.
Stadtwerke Krefeld Neuss AG & Co. KG (SWKN)
(8)
SWKN ist ein derzeit noch in Gründung befindliches Gemeinschaftsunternehmen der
Stadtwerke Krefeld (75 %) und der Stadtwerke Neuss (25 %). In SWKN sollen die
energiewirtschaftlichen operativen Tätigkeiten der Stadtwerke Krefeld (Strom, Gas,
Fernwärme und Wasser) und der Stadtwerke Neuss (Gas, Fernwärme und Wasser)
eingebracht werden. Die dazugehörigen Versorgungsnetze der Stadtwerke Krefeld
und Neuss sollen ebenfalls an SWKN verpachtet werden. Die Gründung der SWKN
ist beim Bundeskartellamt angemeldet und mit Schreiben vom 27. Juli 2007 freigegeben worden (B8 – 82/07).
(9)
Nach der Beteiligung von RWE Rhein-Ruhr, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, würde sich die Beteiligungsstruktur an SWKN wie folgt darstellen:
SWK Stadtwerke Krefeld GmbH
Stadtwerke Neuss Energie und Wasser GmbH
RWE Rhein-Ruhr
(10)
knapp über
knapp über
knapp unter
50 %
25 %
25 %
Für die Zwecke der Prüfung des vorliegenden Zusammenschlusses sind der SWKN
die noch einzubringenden Tätigkeiten der SWK Stadtwerke Krefeld AG und Stadtwerke Neuss Energie und Wasser GmbH bereits zuzurechnen. Soweit für die nachfolgende Prüfung relevant, ergibt sich daraus das folgende Bild:
-
Der SWKN zuzurechnende Strombezug belief sich 2006 auf rund [...] GWh.
Davon lieferte RWE [...] . Von dem abgesetzten Strom entfielen rund [...] GWh
auf leistungsgemessene Kunden, rund [...] GWh auf nicht-leistungsgemessene
Kunden und rund [...] GWh auf Weiterverteiler.
-
Der SWKN zuzurechnende Gasbezug belief sich 2006 auf rund [...] GWh. Vorlieferant ist [...] . Von dem abgesetzten Gas entfielen rund ein Drittel auf Gaskleinkunden und zwei Drittel auf Gasgroßkunden.
(11)
Der Aufsichtsrat der SWKN soll aus insgesamt 21 Mitgliedern bestehen, von denen
vor dem Anteilserwerb von RWE Rhein-Ruhr 6 Mitglieder von der Stadtwerke Neuss
Energie und Wasser GmbH und 15 Mitglieder von der SWK Stadtwerke Krefeld AG
vorgeschlagen werden. Mit dem Anteilserwerb durch RWE Rhein-Ruhr soll RWE
Rhein-Ruhr [...] erhalten, [...] . Darüber hinaus soll [...] eingeräumt werden (vgl. insoweit das Verfahren B8 - 82/07).
(12)
RWE Rhein-Ruhr soll außerdem [...] .
-4-
2.
Stadtwerke Velbert GmbH (SW Velbert)
(13)
An der SW Velbert sind derzeit die der Stadt Velbert gehörende VHV Versorgungsund Verkehrsgesellschaft Velbert mbH (60,5 %), RWE Rhein-Ruhr (20 %) und WSW
(19,5%) beteiligt.
(14)
Die energiewirtschaftlichen Eckdaten der Stadtwerke Velbert lassen sich auf Grundlage der für 2005 vorliegenden Informationen wie folgt zusammenfassen:
-
SW Velbert setzt knapp [...] GWh Strom an leistungsgemessene Kunden und
gut [...] GWh an nicht-leistungsgemessene Kunden ab. Die strukturierte Beschaffung erfolgt derzeit gemeinsam mit WSW.
-
SW Velbert setzt gut [...] GWh Gas an Gaskleinkunden und knapp [...] GWh
an Gasgroßkunden ab.
3.
RWE AG und RWE Rhein-Ruhr AG (RWE Rhein-Ruhr)
(15)
RWE Rhein-Ruhr ist eine 100%ige Tochter der zum RWE Konzern gehörenden RWE
Energy AG. Innerhalb der für den integrierten Absatz von Strom, Gas und Wasser
zuständigen RWE Energy Gruppe ist die RWE Rhein-Ruhr die für den westdeutschen
Raum verantwortliche Regionalgesellschaft mit einem Stromabsatz von rund [...]
GWh und einem Gasabsatz von rund [...] GWh. RWE Rhein-Ruhr erzielte im Jahr
2006 Umsatzerlöse in Höhe von rund € [...]. Die Unternehmen des RWE Konzerns
erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2006 weltweit Umsatzerlöse in Höhe von € 44.256
Mio. Zur weiteren geographischen Aufteilung der Umsatzerlöse wird auf die Amtsakte
verwiesen.
(16)
Die von RWE Rhein-Ruhr in SWKN einzubringenden Stromkleinkunden stellen ein
Absatzvolumen von knapp [...] GWh/a dar.
4.
Wuppertaler Stadtwerke AG (WSW)
(17)
WSW ist eines der größten Versorgungsunternehmen im Bergischen Land. An WSW
sind derzeit beteiligt: die der Stadt Wuppertal gehörenden Wuppertaler Stadtwerke
GmbH mit 69,789 %, RWE Rhein-Ruhr mit 18,724 %, Cegedel International S. A. mit
6,378 %, Stadtwerke Velbert GmbH mit 4,681 % und der Enneppe Ruhr-Kreis mit
0,427 %.
(18)
Auf WSW entfällt ein Gasabsatz von rund [...] GWh, von dem der größte Teil von
RWE Rhein-Ruhr als Vorlieferant geliefert werden. WSW setzt außerdem rund [...]
GWh Strom ab, wovon es etwa [...] GWh selbst erzeugt. Der tatsächliche Strombezug
beläuft sich damit auf rund [...] GWh. Von dem abgesetzten Strom entfielen rund [...]
-5-
GWh auf leistungsgemessene Kunden, rund [...] GWh auf nicht-leistungsgemessene
Kunden und rund [...] GWh auf Weiterverteiler.
B.
Kontrollpflicht
(19)
Mit dem Erwerb von knapp unter 25 % der Anteile an SWKN wird RWE Rhein-Ruhr
im Sinne von § 37 Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 GWB einen wettbewerblich erheblichen Einfluss auf SWKN erwerben. Ob einem Unternehmen bei einer Beteiligung von unter
25 % die Möglichkeit verschafft wird, einen wettbewerblich erheblichen Einfluss im
Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB auszuüben, ist im Rahmen einer Gesamtschau unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Der Anteilserwerb
muss im Ergebnis mit sogenannten Plus-Faktoren verbunden sein, die trotz der geringeren Anteilshöhe die Beteiligung als eine solche erscheinen lassen, die einem
Anteilserwerb von 25 % und mehr gleichzusetzen ist. Vorliegend war zunächst zu berücksichtigen, dass RWE Rhein-Ruhr knapp unter 25 % der Anteile an SWKN erwerben will. Damit liegt die beabsichtigte Beteiligung denkbar knapp unter der maßgeblichen Schwelle von 25 %. Darüber hinaus erhält RWE Rhein-Ruhr [...] . Die Stellung
von RWE Rhein-Ruhr in SWKN wird [...] weiter abgesichert. Schließlich war zu berücksichtigen, dass RWE einer der beiden größten deutschen Energieversorger ist,
der nicht zuletzt in der von dem Vorhaben betroffenen Region einen Schwerpunkt
seiner Tätigkeit hat. Das alles lässt erwarten, dass die übrigen Gesellschafter der
SWKN, insbesondere die SWK Stadtwerke Krefeld GmbH als Mehrheitsgesellschafter, auf die Vorstellungen von RWE Rhein-Ruhr Rücksicht nehmen werden, auch
wenn dies nur geschieht, soweit es ihren eigenen Interessen nicht zuwiderläuft1.
(20)
Die Übertragung der Stromkleinkunden von RWE Rhein-Ruhr im Raum Neuss auf die
SWKN stellt außerdem den Erwerb eines wesentlichen Vermögensteils im Sinne von
§ 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB dar.
(21)
Mit der Aufstockung der Anteile an SW Velbert von 20 % auf knapp unter 40 % wird
RWE Rhein-Ruhr im Sinne von § 37 Absatz 1 Nr. 3 Satz 1 lit. b) GWB erstmalig die
Anteilsschwelle von 25 % erreichen (und überschreiten). Hinsichtlich der Märkte, auf
denen die SW Velbert tätig ist, gilt dies gemäß § 37 Absatz 1 Nr. 3 Satz 3 GWB
zugleich auch als Zusammenschluss der beteiligten Unternehmen untereinander,
1
Vgl. BGH WRP 2005, 352, 353 „Deutsche Post/trans-o-flex“; WuW/E DE-R 607, 608 „Minderheitsbeteiligung im Zeitschriftenhandel“; WuW/E DE-R 607 „ASV/Stilke“; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2004 Az.: VI - 2 Kart 10/04 (V), Beschlussausfertigung Seite 14 f. „KG Wochenkurier“; Beschluss vom 6.7.2005, Az.: VI - Kart 26/04 (V), Beschlussausfertigung Seite 11
„Bonner Zeitungsdruckerei“.
-6-
nämlich neben RWE und SW Velbert noch die VHV Versorgungs- und Vertriebsgesellschaft Velbert mbH.
(22)
Die vorgenannten Erwerbsvorgänge sind jeweils nach deutschem Recht kontrollpflichtig. Die Umsatzschwellen des § 35 GWB werden jeweils überschritten; die Zusammenschlüsse fallen auch nicht in den Anwendungsbereich der FKVO.
C.
Wettbewerbliche Beurteilung
(23)
Die beiden Zusammenschlussvorhaben lassen die Verstärkung bereits bestehender
marktbeherrschender Stellungen im Strom- sowie im Gasbereich erwarten, § 36 Abs.
1, Halbs. 1 GWB. Insbesondere durch die Zusage von RWE Rhein-Ruhr, die Minderheitsbeteiligung an den SW Wuppertal zu veräußern, treten jedoch auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen ein, welche die mit dem Zusammenschluss
eintretenden Nachteile der Marktbeherrschung im Ergebnis überwiegen, § 36 Abs. 1,
Halbs. 2 GWB.
I.
Strommärkte2
(24)
Die Zusammenschlussvorhaben betreffen in sachlicher Hinsicht den Strommarkt, auf
dem SWKN und SW Velbert Strom nachfragen. Das ist namentlich der Markt für den
Erstabsatz von Strom. Die Zusammenschlussvorhaben betreffen weiter die Strommärkte, auf denen SWKN und SW Velbert leistungsgemessene Stromgroßkunden
und nicht-leistungsgemessene Stromkleinkunden mit Strom beliefern. Die betroffenen
Strommärkte sind mit Ausnahme der lokal abzugrenzenden Stromkleinkundenmärkte
bundesweit abzugrenzen.
(25)
Die bundesweiten Strommärkte werden von einem weitgehend wettbewerbslosen
Oligopol beherrscht, das jedenfalls aus RWE und E.ON besteht. Auf den lokal abzugrenzenden Stromkleinkundenmärkten sind SWKN (im Bereich Krefeld) und SW Velbert jeweils als marktbeherrschend anzusehen.
(26)
In der einen wettbewerblich erheblichen Einfluss vermittelnden Beteiligung eines der
Oligopolisten an einem Stadtwerk sieht die Beschlussabteilung sowohl eine Verstärkung des die bundesweiten Strommärkte beherrschenden Oligopols als auch eine
2
Vgl. im Einzelnen: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 2007, VI-2 Kart 7/04 (V), Beschlussausfertigung Seite 8 ff. „EAM / Stadtwerke Eschwege GmbH“; Beschluss der 8. Beschlussabteilung vom 15. März 2007, B8 62/06 „RWE / Saar Ferngas“, Beschlussausfertigung
Seite 25 ff.
-7-
Verstärkung der Stellung des den Stromkleinkundenmarkt beherrschenden Stadtwerkes3. So verhält es sich auch hier.
(27)
Mit Rücksicht auf die bereits im Zusammenhang mit der Anmeldung der Zusammenschlussvorhaben zugesagten Veräußerung des Anteils an WSW bedarf es an dieser
Stelle keiner ins Einzelne gehenden Erörterungen. Bei der zugesagten Anteilsveräußerung stellt sich die Situation nämlich spiegelbildlich dar. Die wettbewerblichen Verbesserungen dort entsprechen den wettbewerblichen Verschlechterungen hier (siehe
unter IV.). Dies gilt entsprechend für die Einbringung von Stromkleinkunden der RWE
Rhein-Ruhr in SWKN.
II.
Gasmärkte4
(28)
Die Zusammenschlussvorhaben betreffen in sachlicher Hinsicht den Markt, auf dem
SWKN und SW Velbert als Weiterverteiler Gas nachfragen (Weiterverteilermarkt),
sowie die Märkte, auf denen SWKN und SW Velbert Gasgroßkunden (industrielle und
gewerbliche Sondervertragskunden) und Gaskleinkunden (HuK-Kunden und Heizgaskunden) mit Gas beliefern. Auf diesen beiden Endkundenmärkten ist ausschließlich auf Gas abzustellen5.
(29)
In räumlicher Hinsicht grenzt die Beschlussabteilung die sachlich relevanten Gasmärkte in ständiger Verwaltungspraxis regional nach den Versorgungsgebieten der
beteiligten Unternehmen ab, wie sie sich bislang aus der Netzsituation ergeben haben. Zwar dürfte mit dem neuen Gaswirtschaftsjahr 2007/2008 in naher Zukunft auch
ein neues Gasnetzzugangsmodell Geltung erlangen, das (zumindest innerhalb eines
von zahlreichen Marktgebieten) den Gasnetzzugang auf der Basis von nur noch zwei
Verträgen möglich machen soll (Zweivertragsmodell). Auch verbinden sich mit der
Einführung des Zweivertragsmodells und einer Verringerung der Marktgebiete Hoffnungen auf die Entwicklung eines funktionsfähigen Großhandels. Doch sieht sich die
Beschlussabteilung vor dem Hintergrund der bislang stets fehlgeschlagenen Bemühungen um eine wirksame Liberalisierung der Gasmärkte zu einer zurückhaltenden
3
Siehe auch OLG Düsseldorf aaO.
4
Zur Abgrenzung der Gasmärkte und ihrer wettbewerblichen Beurteilung im Einzelnen siehe
Beschluss der 8. Beschlussabteilung vom 15. März 2007, B8 62/06 „RWE / Saar Ferngas“.
5
Zur Ablehnung eines energieübergreifenden Wärmemarktes für den Bereich des Kartellrechts
vgl. BGH Urteil vom 09.07.2002, Az. KZR 30/00, Beschlussausfertigung S. 12 f. "Fernwärme
für Börnsen"; zur Anwendbarkeit der vertragsrechtlichen Billigkeitskontrolle im Bereich der Daseinsvorsorge analog § 315 BGB siehe hingegen jüngst BGH Urteil vom 13.06.2007, Az. VIII
ZR 36/06.
-8-
Prognose veranlasst. Eine Änderung der bislang durch regional begrenzte Märkte
bestimmten Marktverhältnisse tritt nicht notwendig bereits mit der Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen ein6. Auch bei sich ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen bleibt zunächst die Entwicklung der tatsächlichen Marktverhältnisse abzuwarten7. Die Beschlussabteilung hält daher einstweilen ihre bisherige Marktabgrenzung aufrecht.
(30)
Mit Blick auf die Beteiligung von RWE Rhein-Ruhr an SWKN lässt der Zusammenschluss nicht erwarten, dass durch ihn eine marktbeherrschende Stellung auf den relevanten Gasmärkten begründet oder verstärkt würde. SWKN liegt im angestammten
Versorgungsgebiet von E.ON Ruhrgas, dem in Deutschland in jeder Hinsicht überragenden Gasversorgungsunternehmen. E.ON Ruhrgas ist bislang auch der Vorlieferant des zukünftig von SWKN bezogenen Gases. Sollte SWKN als mögliche Folge
des Zusammenschlusses den Vorlieferanten wechseln, dürfte dies eher als ein den
Wettbewerb auf den relevanten Märkten insgesamt belebendes Element zu werten
sein.
(31)
Allerdings dürfte die Aufstockung der Beteiligung von RWE Rhein-Ruhr an SW Velbert erwarten lassen, zum einen die marktbeherrschende Stellung von RWE RheinRuhr auf dem relevanten Markt für die Belieferung von Weiterverteilern und zum anderen die marktbeherrschende Stellung von SW Velbert bei der Belieferung von Endkunden zu verstärken. SW Velbert liegt im Versorgungsgebiet von RWE Rhein-Ruhr.
RWE Rhein-Ruhr ist auch ein Vorlieferant von SW Velbert. Die Aufstockung der Beteiligung ist geeignet, den Gasabsatz an SW Velbert tendenziell noch weiter abzusichern. Schließlich dürfte auch der potentielle Wettbewerb um Endkunden im Versorgungsgebiet der SW Velbert noch weiter gedämpft werden.
(32)
Mit Rücksicht auf die bereits im Zusammenhang mit der Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens zugesagten Veräußerung des Anteils an WSW bedarf es indes
auch an dieser Stelle keiner darüber hinaus ins Einzelne gehenden Erörterungen. Bei
der zugesagten Anteilsveräußerung stellt sich die Situation – wie auch im Strombereich – spiegelbildlich dar. Die wettbewerblichen Verbesserungen dort entsprechen
den wettbewerblichen Verschlechterungen hier (siehe unter IV.).
6
Vgl. BGHZ 136, 379, 385 „Strom und Telefon I“.
7
Vgl. BGHZ 136, 268, 277 „Stromversorgung Aggertal“.
-9-
III.
Fernwärme- und Wassermärkte
(33)
Die Zusammenschlüsse lassen nicht eine Verstärkung der marktbeherrschenden
Stellungen von SWKN und SW Velbert erwarten, die sie auf den betroffenen Fernwärme- und Wassermärkten innehaben. Es handelt sich insoweit um lokale Märkte,
auf denen das Zusammenschlussvorhaben die Stellung von SWKN und SW Velbert
jeweils unberührt lässt.
IV.
Abwägungsklausel
(34)
Der Zusammenschluss lässt sich wegen der von der Beschlussabteilung gesehenen
Nachteile der Marktbeherrschung nur unter den Voraussetzungen der Abwägungsklausel gemäß § 36 Absatz 1 Halbs. 2 GWB freigeben. Die wettbewerblichen Verbesserungen und die wettbewerblichen Verbesserungen treten nicht ausschließlich in ein
und demselben Markt ein, sondern – zumindest zum Teil – in verschiedenen Märkten. Die wettbewerblichen Verbesserungen, die in Folge der Zusammenschlussvorhaben (einschließlich der zugesagten Veräußerung) eintreten, müssen daher im Ergebnis klar überwiegen. Nicht ausreichend ist ein bloßes Aufwiegen.
(35)
Die zugesagte Veräußerung der Anteile an WSW in Höhe von 18,724 % ist in Verbindung mit der Einbringung der Stromkleinkunden in SWKN geeignet, die Voraussetzungen der Abwägungsklausel herzustellen:
(36)
Bei der Veräußerung der Anteile an WSW handelt es sich um einen vollständigen
Rückzug von RWE Rhein-Ruhr als Gesellschafter der WSW. Diese Form der Entflechtung ist vom Grundsatz her spiegelbildlich zu den wettbewerblichen Verschlechterungen zu betrachten, die mit einer erstmaligen Beteiligung an einem entsprechenden Stadtwerk eintreten. Auf WSW entfällt ein Gasabsatz von rund [...] GWh, von
dem der größte Teil von RWE Rhein-Ruhr als Vorlieferant geliefert werden. WSW
setzt außerdem etwa [...] GWh Strom ab, wovon es rund [...] GWh selbst erzeugt. Der
Strombezug beläuft sich damit auf rund [...] GWh.
(37)
Bei der Einbringung der RWE-eigenen Kunden in die SWKN handelt es sich dem
Wesen nach um einen dekonzentrativen Vorgang. Die auf diese Stromkunden entfallende Strommenge wurde bislang konzernintern beschafft und war bislang als von
RWE vollständig kontrollierte Menge dem Wettbewerb entzogen. Nach der Einbringung in SWKN besteht erstmalig die Möglichkeit, dass dritte Anbieter hinsichtlich der
Beschaffung der auf diese Kunden entfallende Strommenge durch SWKN zum Zuge
kommen können. Auch wenn RWE Rhein-Ruhr als Minderheitsgesellschafter strukturelle Vorteile gegenüber dritten Stromanbietern besitzen dürfte, lässt sich doch nicht
- 10 -
leugnen, dass es sich insoweit um eine graduelle Verbesserung handelt. Betroffen ist
ein Stromabsatz von etwa [...] GWh.
(38)
Stromseitig wiegen diese wettbewerblichen Verbesserungen die wettbewerblichen
Verschlechterungen, die durch die Beteiligung an SWKN und die Aufstockung der
Beteiligung an SW Velbert eintreten, qualitativ und quantitativ in hinreichendem Maße
auf:
(39)
Die Aufgabe der Beteiligung an WSW steht dem Erwerb der Beteiligung an SWKN
qualitativ und quantitativ ausreichend gleich. In beiden Fällen handelt es sich um eine
einen wettbewerblich erheblichen Einfluss vermittelnde Minderheitsbeteiligungen unter 25 %. Auch mit Blick auf die jeweils bezogene Strommenge sind SWKN und WSW
in etwa vergleichbar.
(40)
Etwaige wettbewerblichen Verschlechterungen im Strombereich, die im Zuge der
Aufstockung der bereits bestehenden Beteiligung von RWE Rhein-Ruhr an den SW
Velbert eintreten, werden in ihrer Qualität und Quantität nach Bewertung durch die
Beschlussabteilung mit der geplanten Einbringung der Stromkleinkunden von RWE
Rhein-Ruhr in die SWKN aufgewogen. Die Einbringung der Stromkunden in SWKN
zieht graduelle wettbewerbliche Verbesserungen nach sich (siehe oben Rz. 36). Umgekehrt ist zu sehen, dass mit der Aufstockung des RWE Rhein-Ruhr Anteils an SW
Velbert ebenfalls nur eine graduelle Verschlechterung einhergeht. RWE Rhein-Ruhr
besitzt bereits einen wettbewerblich erheblichen Einfluss, bliebe aber nach der Aufstockung gleichwohl hinter der Qualität eines beherrschenden Einflusses zurück.
Was die jeweilige Verstärkung / Abschwächung des Einflusses angeht ist eine qualitative Vergleichbarkeit beider Vorgänge durchaus gegeben. Nicht zuletzt entspricht
auch die Strommenge, die auf die in SWKN eingebrachten Stromkunden entfällt und
damit zukünftig von SWKN nachgefragt werden dürfte, in etwa der Strommenge, die
von SW Velbert nachgefragt wird.
(41)
Gasseitig wird die entsprechende Verstärkung des bereits bestehenden wettbewerblich erheblichen Einflusses auf die SW Velbert aufgewogen durch den vollständigen Rückzug aus WSW. Der Rückzug aus WSW ist, da es sich um einen vollständigen Rückzug handelt, qualitativ deutlich höher zu bewerten, als die (lediglich) graduelle Verstärkung des bereits bestehenden wettbewerblich erheblichen Einflusses
auf die SW Velbert (siehe hierzu schon oben Rz. 39). In quantitativer Hinsicht geht
der Gasbezug von WSW sogar deutlich über den Gasbezug von SW Velbert hinaus.
Er ist in etwa viermal so groß.
- 11 -
(42)
Den nach dem Aufwiegen der wettbewerblichen Verschlechterungen verbleibenden
quantitativen wie qualitativen Überschuss, der namentlich aus der zugesagten Veräußerung der Minderheitsbeteiligung an WSW resultiert, sieht die Beschlussabteilung
als genügend an, um damit in einer Gesamtwürdigung zu einem Überwiegen im Sinne des § 36 Absatz 1, 2. Hs. GWB zu gelangen. Zu Gunsten von RWE Rhein-Ruhr
war nicht zuletzt auch zu berücksichtigen, dass sie eine Beteiligung an einem Stadtwerk aufgibt, das in einem gewissen Umfang über eigene Stromerzeugungskapazitäten verfügt.
(43)
Die eintretenden wettbewerblichen Verschlechterungen betreffen den Kernbereich
des Zusammenschlussvorhabens. Unter diesen Umständen kann eine Freigabe
grundsätzlich nur mit einer Bedingung verbunden werden. Die Übertragung der RWEeigenen Stromkleinkunden im Raum Neuss auf SWKN gehört bereits zum Gegenstand des in dieser Form zu vollziehenden Zusammenschlussvorhabens. Eine entsprechende Nebenbestimmung erscheint daher entbehrlich.
D.
Gebühren
[...]
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Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde zulässig. Sie ist schriftlich binnen einer mit Zustellung des Beschlusses beginnenden Frist von einem Monat beim Bundeskartellamt, Kaiser-Friedrich-Straße 16, 53113 Bonn, einzureichen. Es genügt jedoch, wenn sie innerhalb
dieser Frist bei dem Beschwerdegericht, dem Oberlandesgericht Düsseldorf, eingeht.
Die Beschwerde ist zu begründen. Die Frist für die Beschwerdebegründung beträgt zwei
Monate. Sie beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Verfügung und kann auf Antrag
vom Vorsitzenden des Beschwerdegerichts verlängert werden. Die Beschwerdebegründung
muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluss angefochten und seine Abänderung
oder Aufhebung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich
die Beschwerde stützt.
Beschwerdeschrift und Beschwerdebegründung müssen durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Auf Antrag kann das Beschwerdegericht
die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Dr. Carsten Becker
Dr. Ralph Langhoff
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Sandro Gleave

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