Predigt zu Matthäus 13,44-46: Die Freude des Schatzfinders

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Predigt zu Matthäus 13,44-46: Die Freude des Schatzfinders
Matthäus 13,44-46: Die Freude des Schatzfinders (J. Röhl; 19.07.2015)
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Predigt zu Matthäus 13,44-46: Die Freude des Schatzfinders
Liebe Schwestern! Liebe Brüder!
Vor einigen Wochen habe ich mir überlegt, welchen Bibeltext ich mir denn für die Predigt bei meiner Verabschiedung heraussuche. Bei solch einem Gottesdienst will ich natürlich nicht irgendeinen
Text haben, sondern es sollte um etwas gehen, was mir selbst wichtig ist und was ich auch euch
als Gemeinden mit auf den Weg geben kann.
Relativ schnell bin ich auf die Gleichnisse vom Schatz im Acker und der kostbaren Perle gekommen. Vor einiger Zeit habe ich einen Vortrag über diese Stelle gehört und der Text hat mich dadurch selbst wieder ganz neu angesprochen und berührt. Es ist ein Text, der auf sehr kurze und
doch eindrückliche Weise deutlich macht, um was es eigentlich geht. Sowohl für uns als einzelne
Christen, aber auch für uns als Gemeinden.
Man könnte zu diesen Gleichnissen viel sagen. Ich möchte mich aber heute auf zwei Punkte beschränken: 1. Die Verborgenheit des Schatzes und 2. Die Freude des Finders.
1. Die Verborgenheit des Schatzes
Jesus wählt in seinen Gleichnissen die Vergleiche sehr sorgfältig aus. Er redet ganz bewusst nicht
in abstrakten Formulierungen über das Reich Gottes, sondern in Bildern und Vergleichen. Denn
Bilder erreichen uns auf einer tieferen Ebene als reine theologische Formulierungen.
Jesus vergleicht das Reich Gottes
hier mit einem verborgenen
Schatz und mit einer kostbaren,
aber in ihrem Wert unerkannten
Perle. Allein dieses Bild von etwas
verborgenen oder unerkannten
macht deutlich, dass das Reich
Gottes und damit Gott selbst ist
nicht so leicht zu finden. Gottes ist nicht sofort für jeden offensichtlich. Gott ist zunächst einmal ein
verborgenes Geheimnis, das wir nicht auf den ersten Blick erkennen können.
Wenn Menschen diesen verborgenen Gott dennoch finden, dann ist es immer zuerst einmal ein
großes Wunder und ein Geschenk. Das Finden kann dabei auf unterschiedliche Weise geschehen. Der Tagelöhner arbeitete auf einem fremden Acker und sucht gar nicht nach einem Schatz.
Er tut seine Arbeit und ist vielleicht sogar im ersten Moment genervt von dem Widerstand, auf den
er beim Pflügen stößt. Erst beim näheren Hinsehen bemerkt er, dass es ein kostbarer Schatz ist.
So mancher sucht gar nicht nach Gott und Gott begegnet ihm auf überraschende Weise im ganz
normalen Alltag.
Der Kaufmann dagegen ist auf der Suche nach kostbaren Perlen. Das ist sein Lebensinhalt. Und
dann findet er die eine Perle, die schöner und kostbarer ist alles alle anderen. Er hat endlich das
gefunden, was er schon so lange sucht. Mancher ist auch heute auf der Suche nach Gott und es
kann unter Umständen lange dauern, bis er Gott wirklich begegnet.
Mir wird das in meinem Glauben immer wichtiger: Gott ist zunächst einmal ein geheimnisvoller und
verborgener Gott. Er ist wie ein verborgener Schatz. Viele Menschen gehen an dem Acker vorbei
und ahnen nicht im geringsten, welche Kostbarkeiten darin verborgen liegen. Selbst der Besitzer
des Ackers hat keine Ahnung, was da in seinem Besitz schlummert. Gott ist wie eine kostbare Perle, die jedoch von den meisten in ihrem Wert gar nicht erkannt wird. Erst der Kaufmann mit sei-
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nem geübten Blick erkennt den wahren Wert der Perle.
Jetzt könnte man die Gleichnisse so verstehen, dass der Finder ja dann den Schatz gefunden hat
und damit das Reich Gottes in seiner vollen Größe und Herrlichkeit für ihn angebrochen ist. Der
Tagelöhner hat ja jetzt den Schatz – er hat ein für alle mal ausgesorgt. Der Kaufmann hat ja jetzt
die kostbare Perle – er braucht nach keiner schönere mehr suchen.
Aber Jesus macht in vielen anderen Gleichnissen deutlich, dass das Reich Gottes, also die Gegenwart Gottes, nicht etwas ist, das man einmal entdeckt und dann ist es in seiner vollen Größe
gegenwärtig. Nein, das Reich Gottes ist wie eine langsam wachsende Frucht. Es ist jetzt schon
gegenwärtig, aber in seiner vollen Größe ist es noch zukünftig.
Gott bleibt ein Geheimnis. Ich habe ihn nicht in der Hand. Je mehr ich mit Gott erlebe, desto größer und geheimnisvoller wird er für mich. Am Anfang des Glaubens habe ich gedacht: „So, jetzt ist
alles klar in meinem Leben, jetzt kann nichts mehr schief gehen. Ich habe Jesus kennen gelernt
und alle wichtigen Fragen sind jetzt ein für alle mal beantwortet.“
Pustekuchen! Je länger ich mit Jesus lebe, desto größer und unbegreiflicher wird er für mich. Es
tauchen neue Fragen auf. Wir machen Erfahrungen, die wir nicht so einfach mit unserem Glauben
in Einklang bringen. Wir merken, dass auch unter Christen nicht immer alles so glatt und problemlos abläuft, wie es im Reich Gottes eigentlich sein sollte. Der Glanz und die Herrlichkeit Gottes
bleibt auch als Christ verborgen unter irdischem Staub.
In einem Lied heißt es: „Aber der Herr ist immer noch größer, größer als ich denken kann.“ Auch
wenn wir den Schatz gefunden haben und die kostbare Perle entdeckt haben: Gott bleibt ein verborgenes Geheimnis. Je mehr ich von ihm weiß, desto mehr bekomme ich eine Ahnung davon,
was ich alles nicht weiß. Je mehr ich von Gott entdecke, desto mehr wird mir klar, dass dieser
herrliche Gott meinen Verstand übersteigt.
Diese Demut tut uns als einzelnen Christen und auch als Gemeinden gut. Wir sollten nicht meinen, dass wir als Christen alles wissen und jede Frage beantworten können. Wir sollten nicht meinen, dass wir die tiefsten Geheimnis Gottes kennen und sie anderen beibringen können. Gott
bleibt auch für uns ein verborgener Schatz. Wir können immer nur wieder neu Staunen, wenn sich
Gott uns und anderen offenbart.
Gerade in unserer Zeit ist diese Haltung wichtig. Wir modernen Menschen mögen es nicht, wenn
wir von oben einfache Lösungen vorgesetzt bekommen und aufgefordert werden: „Das musst du
halt so glauben!“ Wir können nicht anderen den Schatz und die Perle vor den Latz knallen und sagen: Friss oder stirb! Nein, die geheimnisvolle Größe Gottes muss von jedem selbst entdeckt und
gefunden werden. Wir können nur erzählen, warum Jesus für uns selbst so wertvoll ist. Wir können nur ehrlich bezeugen, dass Gott auch für uns Christen immer noch ein wundervolles Geheimnis ist, das wir hier auf Erden nie völlig ergründen können.
2. Die Freude des Finders
Dieser zweite Punkt berührt mich bei diesem Gleichnis noch mehr. Der Tagelöhner findet unverhofft diesen Schatz im Acker. „Und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte,
und kaufte den Acker.“ (V.44) Die erste Reaktion auf den Schatz ist ganz einfach Freude. Und alles was danach kommt, geschieht nicht auch Pflichtgefühl oder weil ihm jemand ins Gewissen redet. Nein, es geschieht ganz selbstverständlich und ganz automatisch aus reiner Freude. Niemand
muss den Tagelöhner überreden oder überzeugen. Er kann gar nicht anders, als vor lauter Freude
über den Schatz alles andere zu verkaufen.
Vor einigen Jahren habe ich schon einmal über diesen Text gepredigt. Damals habe ich vor allem
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betont, dass es in der Nachfolge Jesus wichtig ist, sich ganz hinzugeben. Nachfolge kostet uns etwas. Jesus sagt hier: Der Tagelöhner verkauft alles andere, um an den Schatz zu gelangen. So ist
es in der Nachfolge Jesu: Alles andere wird unwichtig und zweitrangig. Das ist alles gut und richtig. Aber das Entscheidende dürfen wir dabei nicht vergessen: Diese Hingabe und die Bereitschaft
alles andere aufzugeben ist erst der zweite Schritt. Und es ist für den Tagelöhner auch kein
schwieriger Schritt, sondern ein ganz selbstverständlicher.
Das gefällt mir an diesem Gleichnis mit dem Schatz im Acker: Die Freude steht am Anfang. Sie ist
der Ausgangspunkt von allem. Der Tagelöhner entdeckt etwas unendlich kostbares. Er freut sich
von Herzen. Er braucht gar nicht über die nächsten Schritte nachdenken. Sie ergeben sich ganz
von selbst. Er ist nicht traurig über das, was er verkaufen muss, sondern freut sich über das, was
er gefunden hat.
Wie verkrampft und verkopft ist dagegen oft unser Glaube! Wie gesetztlich und fordernd geht es
dagegen oft in unseren Gemeinden zu! Wo ist die Freude? Wo ist die Begeisterung über diesen
großartigen Schatz, den Gott uns schenkt? Warum wird in unseren Gemeinden oft so viel mit
Druck und schlechtem Gewissen gearbeitet?
Als Pastor kenne ich diese Mechanismen in Gemeinden sehr gut. Viele von uns wünschen sich
von sich selbst und von anderen mehr Begeisterung und Hingabe. Es ist ein ganz schöner
Kraftakt, die Gemeinde am Laufen zu halten. Da ist viel Einsatz nötig. Und wenn es nicht so läuft,
wie wir uns das wünschen, dann ist die erste Reaktion oft, dass wir mehr Druck machen, dass wir
von uns und anderen mehr Hingabe fordern: „Ja, Nachfolge kostet halt auch was und als Christ
muss ich auch zu Opfern bereit sein!“ Oder wir fangen an zu rechnen: „Ja ich mach doch viel mehr
als der andere! Der andere soll sich gefälligst auch ein bisschen mehr anstrengen!“
Aber das ist die falsche Herangehensweise. Wenn die Hingabe fehlt, dann bringt es wenig, sie
einfach einzufordern. Wenn die Opferbereitschaft fehlt, dann bringt es wenig, den zweiten Schritt
vor dem ersten zu tun. Wenn wir von uns und anderen mehr Hingabe wollen, dann müssen wir
vorne anfangen: Beim Schatz, bei der kostbaren Perle. Diese Kostbarkeiten müssen wir neu entdecken und schätzen lernen. Wenn wir uns darüber freuen können, dann geschieht manch anderes wie von selbst.
Auch dieser zweite Punkt ist für uns Christen in unserer heutigen Zeit besonders wichtig. Die Menschen um uns herum registrieren sehr genau und feinfühlig, aus welchem Antrieb heraus wir uns
Glaubens- und Gemeindeleben gestalten. Wenn da nur Angst, Druck, Pflichtgefühl und gewohnte
Tradition zu spüren ist, werden sie einen weiten Bogen um uns machen. Da wo wir die Freude eines Schatzfinders ausstrahlen, da werden auch andere neugierig.
Das wünsche ich Euch und auch mir selbst: Zum einen, dass wir Gottes geheimnisvolle Größe
neu entdecken. Welchen Schatz und welche Perle hat Gott in dein Leben hinein gelegt? Zum anderen wünsche ich uns, dass wir uns freuen können an diesem kostbaren Schatz. Das ist der erste und wichtigste Schritt im Glauben. Die Freude am Herrn ist unsere Stärke.
Amen
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Bilder: Tom Garnett / flickr.com; Simon Ska / flickr.com